17. Kapitel

Wer bearbeitet bei Ihnen Einbruchdelikte?«

»Was geht Sie das an?« Jupp Bock lächelte Heike kalt an. »Wollen Sie einen Einbruch melden, eine Anzeige aufgeben?« Er hatte sich soeben einen Kaffee auf den Schreibtisch gestellt, als die beiden Radioreporter Heike Göbel und Peer Finke in seinem Büro aufgetaucht waren. Dieser Umstand alleine genügte, um seine Laune heute Morgen auf den Tiefpunkt zu bringen. Immer, wenn die blonde Reporterin auftauchte, gab es Schwierigkeiten. Und Schwierigkeiten konnte Bock sich nach dem Streit mit Norbert Ulbricht nicht mehr leisten. Er war darauf bedacht, Karriere zu machen, und wollte einen frischen Wind ins Wuppertaler Polizeipräsidium bringen. Das Unterfangen hatte sich bislang als schwerer erwiesen, als er anfangs vermutet hatte.

Heike mahnte sich zur Ruhe. »Unsinn. Sie bearbeiten den Mordfall Hansjürgen Jochims - das zumindest habe ich so von Kommissar Ulbricht erfahren. Also - wer?« Mit durchgedrücktem Rücken saß sie in einem der beiden Besucherstühle vor Bocks Schreibtisch. Neben ihr hockte ein eher schweigsamer Peer Finke.

»Ich verstehe nicht ganz, was ein Einbruch mit dem Mordfall an Jochims zu tun hat«, stellte Bock fest. Seine Stimme klang einen Deut versöhnlicher. Gelangweilt starrte er auf seine Fingernägel.

»Es geht um den Einbruch in eine Apotheke in Ronsdorf. Dort wurde vor wenigen Tagen Arsen entwendet.« Heike schnippte mit den Fingern. »Und? Klingelt's bei Ihnen?«

»Was wissen Sie?« Bock war blass geworden. Seine Haut wirkte wächsern und plötzlich schien er nervös zu werden.

»Es ist kein Geheimnis mehr, dass der Lehrer nicht an einer Überdosis Schlaftabletten, sondern an einer Arsenvergiftung starb«, half Heike ihm auf die Sprünge.

»Sein Mörder wollte eben ganz sicher sein.«

»Hallo? Klingelt's bei Ihnen noch immer nicht?« Heike trommelte hektisch mit den Fingerknöcheln auf der Schreibtischplatte herum. Sie warf Peer Finke, der sich bislang herausgehalten hatte, einen Hilfe suchenden Blick zu.

Finke räusperte sich. »Bereits eine geringe Dosis Arsen genügt, um einen Menschen umzubringen. 0,1 Gramm, um genau zu sein«, dozierte Peer. Seine Blicke wechselten zwischen Heike und Jupp Bock hin und her. Hinter seiner Stirn arbeitete es. »Verstehen Sie nicht?«, fragte Peer nun und entfernte, sichtlich gelangweilt, einen Flusen vom Kragen seines Jacketts. »Suchen Sie die Einbrecher, die das Arsen aus der Apotheke entwendeten, und Sie haben mit großer Sicherheit einen dringend Tatverdächtigen, vielleicht sogar eine Spur zum Mörder von Hansjürgen Jochims.« Er lächelte charmant.

Jupp Bock hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Das Lächeln auf seinen schmalen Lippen gefror. »Verdammt, warum hat mir das niemand gesagt?«

Jetzt war es an Heike, überheblich zu lächeln. »Deshalb sind wir ja hier, Herr Bock.«

Ohne darauf einzugehen, griff Bock zu seinem Telefon. »Ich brauche die Akte vom Apothekeneinbruch in Ronsdorf.« Er nickte. »Ja, es eilt.« Er warf den Hörer auf die Gabel und wandte sich wieder seinen Besuchern zu. »Und was Sie betrifft«, sagte er gefährlich leise. »Ich hoffe, dass Sie bei Ihren Ermittlungen legal vorgegangen sind. Wenn nicht…«, er machte eine kleine Pause. »Wenn nicht, dann gnade Ihnen Gott.«

»Der Presserat«, schlug Heike unbeeindruckt vor. »Drohen Sie uns mit dem Deutschen Presserat.«

Bock starrte sie unverständlich an. »Bitte?«

»Nun, damit droht uns Kommissar Ulbricht auch jedes Mal. Bislang ist es nie dazu gekommen.«

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, zischte Jupp Bock.

* * *

»Was mich nur wundert…« Stefan schürzte die Lippen. »Ich kann nicht ganz verstehen, warum dieser Bemberg erst Heiger nachstellt - ihn wahrscheinlich sogar auf dem Gewissen hat - und danach das Gleiche mit dem Freund seiner Liebsten versucht.« Er saß im Büro von Michael Eckhardt und trank mit dem Chefredakteur der Wupperwelle Kaffee. Eckhardt hatte ihn direkt am Eingang abgepasst und Wollte sofort wissen, was inzwischen geschehen war.     

»Ein Psychopath«, brummte Eckhardt. »Ich habe schon mit Kommissar Ulbricht telefoniert. Die Polizei hat die Wohnung der Eltern und Bembergs Zimmer in der WG durchsucht.«    

»Und?«

»Bemberg war offenbar ein Fan von Heiger, hatte überall Filmplakate, Zeitungsausschnitte, Autogrammkarten und so Weiter.« Eckhardt wiegte den Kopf. »Also alles das, was jeder Fan so sammelt von ›seinem‹ Star.« Er trommelte auf der Schreibtischplatte herum, sprang auf und trat an das Fenster, so wie er es immer tat, wenn er nachdachte.

Auf der B 7 war Stau in Richtung Alter Markt, weil es vor einer Ampel einen kleinen Auffahrunfall gegeben hatte. Die Schwebebahn zog weiter hinten unbeeindruckt von der Verkehrslage ihre Bahn. Jetzt wandte sich der Chef der Wupperwelle zu Stefan um. »Interessanter finde ich allerdings das, was an Fotografien gefunden wurde, die nichts mit Heiger zu tun haben.«

 

»Was sind das für Fotos?« Stefan richtete sich im Besucherstuhl auf.

»Sie zeigen Kathrin Jungmann. An der Haltestelle, im wegfahrenden Bus. Sie zeigen das Mädchen beim Shoppen, im Freibad, spärlich bekleidet und es gibt sogar Fotos, wie sie in der Umkleidekabine eines Kaufhauses etwas anprobiert. Und …« Eckhardt machte eine kleine Pause. »Und es gibt auch Fotos von ihrem Zimmer und vom Bad. Sie zeigen das Mädchen nackt.«

»Was hat das zu bedeuten?« Stefan ahnte es schon.

»Unser Freund Bemberg ist ein Spanner von der übelsten Sorte.«

»Ich finde es beängstigend, dass solche Zeitgenossen unerkannt herumlaufen.« Eckhardt kehrte zum Schreibtisch zurück, zupfte an seiner Krawatte herum und öffnete den obersten Hemdknopf. »Bemberg ist jetzt ein Fall für den Polizeipsychologen. Er ist da, wo er hingehört: Hinter Schloss und Riegel.«

»Steht denn fest, dass er Tim Heiger ermordet hat?«, wagte Stefan einen Einspruch und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Er wurde nach seiner Festnahme gestern noch verhört.« Eckhardt blickte auf die Armbanduhr. »Zur Zeit findet eine Pressekonferenz im Polizeipräsidium statt. Ich habe Jordan hingeschickt. Er soll einen Beitrag für die Mittagssendung vorbereiten.«

Stefan erhob sich, leerte die Kaffeetasse im Stehen. »Wo ist eigentlich Frau Göbel?« Er blickte durch das große Fenster, das das Chefbüro von der Redaktion abtrennte. Von Heike keine Spur.

»Tut mir Leid«, sagte Eckhardt und grinste schief. »Keine Ahnung. Sie ist Ihre Freundin.« 

»Ja«, nickte Stefan und legte die Hand auf die Türklinke. »Und Ihre Mitarbeiterin. Wir haben uns seit gestern nicht mehr gesehen.«

»Haben Sie …« Eckhardt suchte nach der richtigen Formulierung. »Haben Sie Streit?«

»Nein«, schüttelte Stefan den Kopf. »Heike ist nach dem Casting nach Hause gefahren. Wir haben nur kurz telefoniert.«

Dass der Haussegen zwischen ihm und Heike momentan etwas schief hing, wollte er dem Chef nicht auf die Nase binden. Das Private hatte im Dienst nichts verloren. Bevor Eckhardt weitere peinliche Fragen stellen konnte, war Stefan draußen.

Die Hektik im angrenzenden Großraumbüro erschlug ihn förmlich. Auf dem Weg zu seinem Schreibtisch sprachen ihn drei Kollegen an, die irgendetwas Belangloses von ihm wissen wollten. Entnervt erreichte Stefan schließlich seinen Schreibtisch. Er fuhr seinen Rechner hoch und sichtete einige Faxe, die auf seinem Schreibtisch lagen, als das Telefon anschlug.

»Seiler, Wupperwelle, guten Tag«, sagte er möglichst freundlich, nachdem sich am anderen Ende der Leitung eine weibliche Stimme gemeldet hatte.

»Mein Name ist Peggy Bach. Es geht um … ach, das sage ich Ihnen besser persönlich. Könnten wir uns vielleicht heute Nachmittag kurz treffen?«

Es war eine warme, weiche Stimme mit sehr akzentuierten Nuancen, die etwas in Stefan ansprachen. »Worum geht es?«

»Nicht am Telefon.« Ihre Stimme klang ängstlich. »Ich will nicht am Telefon darüber reden. Es geht um Ihren Kollegen, um Peer Finke.«

»Er ist ein freier Mitarbeiter«, erwiderte Stefan und überlegte, was Peer wohl angestellt haben könnte. Seine Neugier war längst erwacht. »Wann können wir uns denn treffen?«, fragte er.

»Ich bin ab zwölf in Barmen unterwegs, habe dort einen Termin.«

»Das passt«, lachte Stefan. »Ich habe gleich Sendung. Danach könnten wir uns sehen.« Er vereinbarte einen Termin mit der geheimnisvollen Anruferin. Dann wurde es auch schon höchste Zeit. Die Mittagssendung wollte vorbereitet werden.

* * *

»Hat Eckhardt dich geschickt?« Manfred Jordan blickte Heike verwundert an, als er mit anderen Kollegen aus dem Polizeipräsidium kam. Unschlüssig stand er auf der obersten der breiten Stufen und blinzelte in das Sonnenlicht.

»Nein, ich bin in anderer Mission hier«, erwiderte Heike und lächelte ihm aufmunternd zu. »Keine Angst, ich nehm dir schon nicht die Butter vom Brot.«

»Irgendwie glaubt jeder, dass ich nur über Damenhandball berichten kann und sonst nichts, was?« Jordan grinste und zupfte sich im Kinnbart. Er zwinkerte Heike über den Rand seiner Brille hinweg zu.

Jordan war Mitte zwanzig, schmächtig und etwas größer als Heike. Mit seinem Kapuzenshirt, den Turnschuhen und der verwaschenen Jeans sah er ein wenig aus wie ein Student, fand Heike. »Was gab es denn hier? Eine Pressekonferenz?«

Jordan nickte. »Ja, das dürfte dich auch interessieren. Es ging um den Mann, der auf Lars Gemmering, den Nachwuchsschauspieler, geschossen hat. Gestern wurde er ja verhaftet.«

»Ja, nachdem er auf Stefan geschossen hatte«, murmelte Heike tonlos und blickte zu Boden.

»Ich sehe, du bist auf dem Laufenden. Fast jedenfalls«, fügte er dann hinzu. »Also, es steht jetzt so gut wie fest, dass Bemberg auch Heiger auf dem Gewissen hat. Die Kugeln stammen eindeutig aus der gleichen Waffe. Neun Millimeter …«

»Na dann kann sich Tickmann ja beruhigt zurücklehnen und endlich seinen Film machen, ohne Angst zu haben, dass man auf sein Team schießt.«

»Sieht so aus, als wäre die Anschlagserie auf das Filmprojekt damit aufgeklärt«, nickte der Nachrichtenredakteur.

»Und nun?«

»Gernot Bemberg wird dem Haftrichter vorgeführt.« Jordan schulterte seinen kleinen Rucksack. »Ich muss in die Redaktion. Eckhardt will den Beitrag über die Festnahme schon in einer knappen Stunde senden.«

»Na dann - hau rein«, lachte Heike. »Ich kann dich mitnehmen.«

»Gern.«

Gemeinsam gingen sie zu Heikes Twingo, der in der Druckerstraße geparkt war. Nachdem Heike sich in den fließenden Verkehr auf der B7 eingeordnet hatte, räusperte sie sich. »Schon seltsam, das Gefühl, eine solche Anschlagserie von Anfang bis zum Ende zu begleiten. Na ja, jetzt ist es vorbei.«

»Ich weiß nicht…«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, als die Ampel am Loh auf Rot umsprang. »Warum?«

»Das solltest du besser wissen. Da hängt mehr dran, das hab ich im Urin.« Er grinste entschuldigend, als ihm seine etwas unfeine Redensart auffiel. »Was ist zum Beispiel mit dem Anwalt, der in seinem Haus überfallen wurde? Zufällig der Scheidungsanwalt von Tickmann. Tickmanns werte Gattin macht Geschäfte mit Kunst, ist Tochter einer reichen Fabrikantenfamilie …« Er dachte nach. »Die allerdings vor einigen Jahren pleite ging.«

Die Ampel sprang auf Grün um. Heike legte den Gang ein und fuhr an. »Worauf willst du hinaus?«

»Weiß der Geier«, brummte Jordan und legte den Rucksack mit dem kleinen Aufnahmegerät auf den Rücksitz. »Das ist der reinste Klüngel, wenn du mich fragst. Es geht um Kohle. Verdammt viel Kohle, und da hängt dieser Anwalt drin.« Er klatschte in die Hände. »Jede Wette. Burbach hat Dreck am Stecken.«

Heike runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?«

»Vermutlich hat er mehr mit Tickmann zu tun gehabt als nur dessen Scheidung abzuwickeln.«

»Bei der dieser aber nicht sonderlich gut weggekommen ist«, erwiderte Heike.

»Woher weißt du das denn nun?«

Sie lächelte spitzbübisch zu ihm herüber. »Ich war heute Nacht bei ihm.«

»Du warst - was?« Jordan machte große Augen. »Weiß Stefan davon?«

»Keine Sorge, er wird es erfahren.« Heike lachte. »Und keine Angst: Es ist nichts gelaufen, auch wenn Tickmann es gerne anders gehabt hätte.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ein Frauentyp. Verwegen, abenteuerlich und sehr intelligent. Darauf stehen Frauen.«

»Du musst es wissen«, griente Jordan.

»Allerdings.« Heike stoppte den Wagen, nachdem ein vor ihr fahrender Lastwagen den Warnblinker eingeschaltet hatte und zum Laden in zweiter Reihe parkte. Sie musste nach links und ärgerte sich über die Sturheit einiger Wuppertaler Autofahrer. Sie spürte, wie Jordans Blick auf ihr lastete.

»Und?«, fragte er schließlich.

Sie grinste. »Was - und?«

»Nun … was hast du herausbekommen?«

Heike musste lachen. Sie fuhr an. Erst auf Höhe des Engels-Hauses warf sie ihm einen eiligen Seitenblick zu. »Was denkst du?«

»Da läuft 'ne Intrige gegen Tickmann.« Jordan massierte sich die Finger, bis die Gelenke vernehmlich knackten. »Ich denke, dass ihm seine Exfrau die Hölle heiß macht. Sie will ein größeres Stück vom Kuchen abhaben.«

»So was Ähnliches habe ich doch schon mal gehört«, erwiderte Heike. Die Ampel am Opernhaus sprang auf Rot. Sie kuppelte aus und blickte den Kollegen an. »Es ist immer eine Frage der Sichtweise. Tickmann fühlt sich von seiner Exfrau ausgebootet. Und seine Exfrau glaubt, dass sie zu billig abgespeist worden ist.«

»Rechtfertig das einen Mord?«

»Jetzt kommt also der Mord an Heiger ins Spiel«, murmelte Heike, drücke den ersten Gang rein und fuhr an. Bis zum Sender waren es nur noch ein paar Meter. Sie setzte den Blinker und suchte eine freie Parklücke auf dem kleinen Parkplatz der Redaktion.

»Glaubst du an einen Zusammenhang?« Jordan löste den Sicherheitsgurt. »Wie passt das alles zu dem durchgeknallten Bemberg?«

»Jeder ist käuflich«, bemerkte Heike.

»Auch Psychopathen?«

Heike machte ein Pokerface. »Lassen wir uns überraschen.« Damit stieg sie aus.

Jordan trottete hinter ihr her. Der Nachrichtenredakteur massierte sich das Kinn. »Was mich nur an diesem ganzen Puzzle stört ist der tote Lehrer.«

»Genau, das ist der Punkt, der nicht ins Bild passen will«, stimmte Heike ihm zu. Nebeneinander erklommen sie die breiten Stufen hinauf zur Redaktion, die im oberen Stockwerk eines Bankgebäudes lag. An den Wänden des Treppenhauses hingen Fotos der Mitarbeiter. So konnten Besucher auf dem Weg zur Redaktion schon einmal die Gesichter der Moderatoren kennen lernen.     

Im gläsernen Studio saß Stefan und moderierte die Mittagssendung. Als er einen Seitenblick in die benachbarte Redaktion warf, zwinkerte er Heike zu. Es war an der Zeit, dass sie mal wieder gemeinsam an der Front kämpften. Doch zuvor würde einiges zu klären sein …    

* * *

Peggy Bach war eine interessante Person. Anfang dreißig, schlank, lange, dunkle Haare und geheimnisvolle Augen. Sie war hübsch, bildhübsch. Das gestand er sich sofort ein, als Stefan die junge Frau im oberen Stockwerk des Barmer McDonald's traf. Er musste sich nicht lange nach ihr Umsehen. Nachdem er die Wendeltreppe erklommen hatte, war ihm Peggy Bach sofort aufgefallen. Offenbar hatte sie auch schon irgendwann einmal von ihm ein Foto gesehen. Sie saß an der Fensterreihe, von der aus man auf den Alten Markt blicken konnte, und winkte ihn lächelnd an den Tisch. Der Becher Mineralwasser und die Salatschale, die vor ihr standen, deuteten darauf hin, dass sie sich gesund ernährte.

»Hallo, Herr Seiler«, sagte sie und deutete auf den gegenüberliegenden freien Stuhl. »Bitte setzen Sie sich doch.«

Er bedankte sich, schob die Mütze in den Nacken und setzte sich. »Sie wollten mich sprechen?«

Peggy Bach nickte. »Wie Sie vielleicht schon wissen, wurde in meine Apotheke eingebrochen.«

Stefan verstand. »Die Apotheke, Ihre Apotheke also. Es wurde Arsen gestohlen?«

»Allerdings«, bestätigte sie und stocherte in ihrem Salat herum, während Stefan seinen Hamburger aus dem Papier wickelte und durch den Strohhalm an seiner Cola saugte.

»Sie wissen, dass wir in Wuppertal einen Mord haben, bei dem das Opfer an einer Arsenvergiftung starb?«

Peggy Bach nickte. »Das Interessante daran ist, dass wohl ein anderes Motiv für den Einbruch vorgetäuscht werden sollte.«

»Was meinen Sie?«

»Nun …« Sie trank von ihrem Mineralwasser. »Die Diebe entwendeten nicht nur Arsen, sondern auch noch einige Medikamente. Auch die Kasse mit dem Wechselgeld ließen sie mitgehen.«

»Kleine Irreführung, hm?«, murmelte Stefan kauend.

»Genau.« Sie nickte und blickte an Stefan vorbei, als eine Schwebebahn in die Station Alter Markt einfuhr. Das Wuppertaler Wahrzeichen befand sich auf gleicher Höhe wie die obere Ebene des Restaurants. »Ich habe auch schon mit Peer darüber gesprochen.«

»Kennen Sie sich schon lange?«

Wieder ein Nicken. Ein Lächeln umspielte ihr Gesicht. »Allerdings. Vor mehr als siebzehn Jahren haben wir uns in einer Tanzschule in Barmen kennen gelernt.« Jetzt huschte ein nachdenkliches Lächeln über ihre Lippen. »Er ist mir kaum aufgefallen. Etwas unscheinbar, der Gute.«

Stefan schwieg, ließ sie reden. Es war ungewohnt für ihn, etwas aus Peer Finkes Privatleben zu erfahren.

Peggy Bach fuhr indes fort. »Und offen gestanden - so schnell wie ich ihn dort kennen gelernt habe, so schnell hatte ich ihn nach dem Tanzkurs auch wieder vergessen.«

Stefan nickte. Obwohl er Peer schon lange kannte, hatte der Kollege stets ein Geheimnis aus seinem Privatleben gemacht. Und jetzt wurde sich Stefan darüber klar, wie wenig er eigentlich über Peer Finke wusste. »Wie ist er - privat, meine ich?«

Sie lächelte gedankenverloren. »Er ist sehr liebenswert, steht hinter einem und opfert sich förmlich auf, wenn er erst mal jemanden in sein Herz geschlossen hat.«

»Und Sie hatte er ins Herz geschlossen.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Peggy nickte. »Allerdings. Und ehrlich gesagt, ich habe ihn lange Zeit auf Distanz gehalten.« Sie drehte den leeren Becher Mineralwasser in den Händen. »Ich habe ihn einfach nicht geliebt.«

»Und deshalb ist der Kontakt damals eingeschlafen?«

»Ja. Doch vor ein paar Tagen tauchte er plötzlich in meiner Apotheke auf. Und da war wieder das alte Gefühl der Vertrautheit, diese Zuneigung, das Funkeln in seinen Augen …«

»Sie klingen verliebt«, stellte Stefan fest.

Peggy Bach zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man liebt. Das ist meine große Schwäche.«

»Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Vielleicht könnten Sie … vermitteln?« Ihr hübsches Gesicht hatte eine tiefrote Färbung angenommen. Die Situation war ihr sichtlich peinlich.

»Ein offen gestanden schweres Unterfangen«, räumte Stefan ein. »Ich bin mit Peer zwar befreundet, allerdings kennen wir uns hauptsächlich beruflich. Er macht Radio, ich mache Radio. Er als freier Mitarbeiter und ich bin fest beim Sender angestellt.« Er zuckte die Schultern. »Aber gerne werde ich versuchen, Ihnen zu helfen.« Stefan überlegte, warum Peggy Bach ihn zu diesem Treffen gebeten hatte. Er war sicher, dass ihr Tête-à-tête mit Peer Finke nicht der Grund des Gespräches war. Sie suchte nach einem Aufhänger für ein Gespräch. Doch warum? 

»Wissen Sie, die Apotheke ist nicht viel mehr als ein Mittel, um Geld zu verdienen«, eröffnete sie ihm nun. »Eigentlich gibt es etwas anderes, das mich interessiert.«

Stefan schwieg und lauschte.

»Ich jobbe als Synchronsprecherin für einige Studios.«

»Ach«, entfuhr es Stefan. Er hatte Schwierigkeiten, seine Überraschung zu verbergen. Ihre warme, angenehme Stimme war ihm bereits aufgefallen. Er konnte sich Peggy Bach gut als Sprecherin vorstellen.

»Das ist allerdings keine zuverlässige Einnahmequelle«, fuhr sie fort. »Und als Quereinsteigerin habe ich Probleme, im Schauspielgeschäft Fuß zu fassen. Also nehme ich die Sprechrollen an, die ich bekommen kann.«

»Haben Sie es schon mal über eine Casting-Agentur versucht?«, fragte Stefan. »Ich kenne Leute, die Ihnen behilflich sein könnten.«

»Nein, wissen Sie, das Synchronisieren ist nur so ein Hobby von mir. Ich leihe Schauspielerinnen im Film meine Stimme, erhalte Honorar und das war's.« Sie zuckte lächelnd die Schultern.

»Dann sollten Sie sich Peer warm halten«, riet Stefan. »Er hat ein eigenes, kleines Studio und ist bestimmt in der Lage, mit Ihnen eine Demo-CD aufzunehmen, damit Sie sich auch noch für andere Projekte bewerben können. Haben Sie schon mal daran gedacht, als Sprecherin für Radiosendungen oder CDs zu arbeiten?«

»Ich will das alles gar nicht so professionell betreiben«, wiegelte Peggy Bach ab und hob die zarten Hände. »Wie gesagt - an dieser Sache hängt mein Herzblut. Doch leben tue ich nach wie vor von der Apotheke.«

Stefan wurde aus diesem Gespräch nicht ganz schlau. Diese Peggy Bach war geheimnisvoll. Sie wollte reden, wollte ihm eine Message zukommen lassen, aber ohne allzu viel von sich preiszugeben. Eine schwierige Frau, sogar für ihn, der als Reporter Erfahrung damit hatte, Leute auszufragen. Stefan beschloss, das Thema zu wechseln.

»Hat die Kripo schon einen Tatverdächtigen, der für den Einbruch in ihre Apotheke verantwortlich sein könnte?«

 

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und die langen Haare flogen ihr um die Schultern. »Jedenfalls kann man mit Arsen nicht sehr viel anfangen. Dass es hochtoxisch ist, ist kein Geheimnis.«

Stefan sagte nichts über den toten Lehrer Hansjürgen Jochims, der durch eine Arsenvergiftung ums Leben gekommen war. Diese Frau war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.

»Die Spurensicherung fand gelbe Lacksplitter und Scherben eines Rücklichtglases.« Peggy Bach hob die rechte Hand und spreizte Daumen und Zeigefinger. »Es gibt nur eine schmale Hofeinfahrt, die zum Hintereingang der Apotheke führt. Vermutlich haben sich die Täter beim Versuch, im Hinterhof zu rangieren, ihr Auto kaputtgefahren.«

Stefan dachte angestrengt nach. Gelbe Lackspuren. Wann war ihm zuletzt ein gelber Wagen aufgefallen? Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Stefan musste etwas überprüfen. Hatte Peggy Bach ihm den Tipp bewusst gegeben? Wusste sie mehr als das, was sie preisgab?

Er glaubte, die Message verstanden zu haben und hatte es plötzlich eilig. Er blickte auf die Armbanduhr, lächelte der jungen Frau entschuldigend zu und erhob sich. »Wissen Sie«, sagte er. »Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.«

»Ja«, nickte sie. »Und große Sünden später.«