1
Am Abend des achtzehnten Februar zweitausend ging ich früh zu Bett und schlief sofort ein, doch nachts wurde ich wieder wach und konnte keinen Schlaf mehr finden.
Um zehn nach sechs hatte ich das Federbett bis zum Kinn hochgezogen und atmete mit offenem Mund.
Das Haus war still. Man hörte nur den Regen, der gegen das Fenster schlug, meine Mutter, die im oberen Stockwerk zwischen Schlafzimmer und Bad hin und her ging, und mein lautes Ein- und Ausatmen.
Bald würde meine Mutter mich wecken kommen, um mich zu dem Treffen mit den anderen zu bringen.
Ich knipste meine Zikadenlampe auf dem Nachttisch an. Eine Ecke des Zimmers, wo der mit Anziehsachen vollgestopfte Rucksack, die Daunenjacke, die Tasche mit den Skistiefeln und die Ski lagen, wurde in grünes Licht getaucht.
Zwischen dreizehn und vierzehn war ich plötzlich aufgeschossen, als hätte man mich gedüngt, und überragte nun meine Altersgenossen. Meine Mutter sagte, zwei Zugpferde hätten mich gestreckt. Ich verbrachte eine Menge Zeit vor dem Spiegel, um meine blasse, sommersprossige Haut und die Härchen auf den Beinen zu betrachten. Mein Haar war eine kastanienbraune Matte, aus der die Ohren herausstanden. Die Pubertät hatte meine Gesichtszüge verändert, und zwischen meinen grünen Augen saß eine imposante Nase.
Ich stand auf und schob meine Hand in die Tasche des Rucksacks, der neben der Tür stand.
»Das Messer ist da. Die Taschenlampe auch. Alles da«, sagte ich mit leiser Stimme.
Die Schritte meiner Mutter auf dem Gang. Sie trug bestimmt die blauen Schuhe mit den hohen Absätzen.
Ich sprang zurück ins Bett, machte das Licht aus und stellte mich schlafend.
»Lorenzo, aufwachen. Es ist spät.«
Ich hob den Kopf vom Kissen und rieb mir die Augen.
Meine Mutter zog den Rollladen hoch. »Was für ein scheußlicher Tag … Hoffen wir, dass es in Cortina besser ist.«
Im fahlen Morgenlicht waren die Umrisse ihrer schlanken Figur zu sehen. Sie hatte den Rock und die graue Jacke angezogen, die sie immer trug, wenn sie etwas Wichtiges vorhatte. Den Pullover mit dem runden Ausschnitt. Die Perlen. Und die blauen Schuhe mit den hohen Absätzen.
»Guten Morgen«, sagte ich gähnend, als wäre ich gerade wach geworden.
Sie setzte sich auf die Bettkante. »Hast du gut geschlafen, Schatz?«
»Ja.«
»Ich mache dir Frühstück … In der Zeit kannst du dich waschen.«
»Nihal?«
Sie fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. »Schläft um diese Zeit noch. Hat er dir die gebügelten T-Shirts gegeben?«
Ich bejahte mit einem Nicken.
»Dann steh auf, los.«
Ich hätte es gern getan, doch auf meiner Brust lag eine Last, die mich erdrückte.
»Was ist los?«
Ich nahm ihre Hand. »Hast du mich lieb?«
Sie lächelte. »Natürlich habe ich dich lieb.« Sie stand auf, schaute sich im Spiegel neben der Tür an und strich sich den Rock glatt. »Jetzt hoch mit dir. Musst du dich ausgerechnet heute bitten lassen aufzustehen?«
»Ein Kuss.«
Sie beugte sich über mich. »Du gehst doch nicht zu den Soldaten, du fährst in die Skiferien.«
Ich umarmte sie, schob mein Gesicht zwischen ihre blonden Haare, die ihr in die Stirn fielen, und drückte meine Nase an ihren Hals.
Sie roch gut. Ich musste an Marokko denken. An diese wahnsinnig engen Gassen voller Stände mit farbigem Pulver. Aber ich war nie in Marokko gewesen.
»Was ist das für ein Duft?«
»Sandelholzseife. Wie immer.«
»Kannst du sie mir leihen?«
Sie hob eine Augenbraue. »Warum?«
»Dann wasche ich mich damit und habe dich immer bei mir.«
Sie zog mir die Decke weg. »Seit wann wäschst du dich denn? Los, stell dich nicht an, du wirst überhaupt keine Zeit haben, an mich zu denken.«
Durch das Fenster des BMW besah ich mir die Mauer des Zoos. Sie war voller nasser Wahlplakate. Weiter oben, in der Voliere für Raubvögel, hockte ein Geier auf einem toten Ast. Er sah aus wie eine alte Frau in Trauer, die im Regen schlief.
Wegen der Heizung im Auto bekam ich keine Luft mehr, und die Frühstückskekse steckten mir tief unten im Hals fest.
Es hörte auf zu regnen. Ein Paar, er fett und sie mager, machte Gymnastik auf den mit klatschnassen Blättern bedeckten Stufen des Museums für moderne Kunst.
Ich sah meine Mutter an.
»Was ist los?«, fragte sie, ohne die Augen von der Straße zu wenden.
Ich blähte den Brustkorb auf und versuchte, die tiefe Stimme meines Vaters nachzuahmen: »Du musst das Auto waschen, Arianna. Es ist ein Schweinestall auf vier Rädern.«
Sie lachte. »Hast du deinem Vater Auf Wiedersehen gesagt?«
»Ja.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich soll keine Dummheiten anstellen und nicht wie ein Verrückter Ski fahren.« Ich machte eine Pause. »Und ich soll dich nicht alle fünf Minuten anrufen.«
»Hat er das gesagt?«
»Ja.«
Sie schaltete und bog in die Via Flaminia ein. Der Verkehr in der Stadt wurde langsam dichter. »Ruf mich an, wann du willst. Hast du alles? Musik? Handy?«
»Ja.«
Der graue Himmel hing schwer über den Dächern und zwischen den Antennen.
»Die Tasche mit den Medikamenten hast du dabei? Hast du das Thermometer eingesteckt?«
»Ja.«
Ein Junge auf einer großen Vespa hatte sein Handy unter den Helm geschoben und lachte.
»Geld?«
»Ja.«
Wir fuhren über die Tiberbrücke.
»Ich glaube, den Rest haben wir gestern Abend zusammen kontrolliert. Du hast alles.«
»Ja, ich habe alles.«
Wir standen an einer Ampel. Eine Frau in einem Fiat 500 starrte in die Ferne. Auf dem Bürgersteig zog ein alter Mann zwei Labradore hinter sich her. Eine Möwe hockte auf einem Baumgerippe voller Plastiktüten, das aus dem schlammfarbenen Wasser aufragte.
Wenn Gott gekommen wäre und mich gefragt hätte, ob ich diese Möwe sein wolle, hätte ich Ja gesagt.
Ich machte den Sicherheitsgurt auf. »Lass mich hier raus.«
Sie sah mich an, als hätte sie mich nicht verstanden. »Wie, hier?«
Die Ampel wurde grün.
»Halt an, bitte.«
Doch sie fuhr weiter. Zum Glück war ein Müllauto vor uns, und wir mussten langsamer fahren.
»Mama! Halt an.«
»Schnall dich wieder an.«
»Ich bitte dich: Halt an.«
»Warum denn?«
»Ich will allein zum Treffpunkt gehen.«
»Ich verstehe nicht …«
Ich wurde lauter. »Halt an, bitte.«
Meine Mutter fuhr rechts ran, machte den Motor aus und strich sich die Haare mit der Hand zurück. »Also, was ist los, Lorenzo? Ich bitte dich, fang jetzt bloß nicht an … Du weißt, dass ich um diese Zeit noch nicht in der Lage bin, klar zu denken.«
»Es ist, dass …« Ich ballte die Fäuste. »Alle anderen gehen allein hin. Ich kann nicht mit dir kommen. Ich blamiere mich bis auf die Knochen.«
»Das musst du mir erklären …« Sie rieb sich die Augen. »Ich soll dich also hier rauslassen?«
»Ja.«
»Und mich nicht einmal bei Alessias Eltern bedanken?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nicht nötig. Ich sage es ihnen.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage.« Sie drehte den Zündschlüssel um.
Ich warf mich auf sie. »Nein … nein … Bitte.«
Sie schob mich weg. »Bitte was?«
»Lass mich allein hingehen. Ich kann nicht mit meiner Mama ankommen. Dann machen sie sich über mich lustig.«
»Was für ein Unsinn … Ich will wissen, ob alles in Ordnung ist, ob ich etwas tun soll. Das scheint mir das Mindeste. Im Unterschied zu dir bin ich kein Höhlenmensch.«
»Das bin ich auch nicht. Ich bin genau wie alle anderen.«
Sie blinkte. »Nein. Kommt nicht infrage.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Mutter so viel Wert darauf legen würde, mich hinzubringen.
Ich wurde wütend und fing an, mir mit den Fäusten auf die Beine zu schlagen.
»Was machst du da?«
»Nichts.« Ich umklammerte den Türgriff so fest, dass die Fingerknöchel weiß wurden. Am liebsten hätte ich den Rückspiegel abgerissen und das Autofenster eingeschlagen.
»Warum musst du dich wie ein Kleinkind benehmen?«
»Du behandelst mich wie einen … Arsch.«
Sie warf mir einen flammenden Blick zu. »Nicht diese Ausdrucksweise! Du weißt, das dulde ich nicht.«
Ich schlug mit der Faust aufs Armaturenbrett. »Mama, ich will allein dahingehen, verdammt.« Die Wut schnürte mir die Kehle zu. »In Ordnung. Dann fahre ich gar nicht. Bist du jetzt zufrieden?«
»Pass bloß auf, dass ich nicht ernsthaft wütend werde, Lorenzo.«
Ich spielte meine letzte Karte aus. »Alle haben gesagt, dass sie allein hingehen. Aber ich komme immer mit meiner Mama. Das ist der Grund dafür, dass ich Probleme habe …«
»Jetzt schieb es nicht auf mich, wenn du Probleme hast …«
»Papa hat gesagt, ich muss unabhängig werden. Mein eigenes Leben leben. Mich von dir lösen.«
Meine Mutter schloss die Augen halb und presste ihre schmalen Lippen aufeinander, als wollte sie sich daran hindern zu sprechen. Sie drehte sich um und starrte auf die vorbeifahrenden Autos.
»Es ist das erste Mal, dass sie mich einladen … Was sollen sie denn von mir denken?«, fuhr ich fort.
Sie blickte sich um, als hoffte sie, jemand würde ihr sagen, was sie machen sollte.
Ich drückte ihr die Hand. »Mama, du kannst ganz beruhigt sein …«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ganz und gar nicht beruhigt.«
Mit dem Arm um die Ski, der Tasche mit den Skistiefeln in der Hand und dem Rucksack über der Schulter sah ich zu, wie meine Mutter wendete. Ich winkte ihr und wartete, bis der BMW auf der Brücke verschwunden war.
Ich ging den Viale Mazzini hinunter, kam am Gebäude der RAI vorbei. Hundert Meter vor der Via Col di Lana ging ich langsamer, während mein Herz schneller schlug. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als hätte ich an einem Kupferdraht geleckt. Dieses ganze Zeug, das ich schleppte, behinderte mich. Und in der Daunenjacke schwitzte ich wie in der Sauna.
Als ich an der Kreuzung ankam, schaute ich um die Ecke.
Weiter hinten, vor einer modernen Kirche, stand ein großer Mercedes-Geländewagen. Ich sah Alessia Roncato, ihre Mutter, den Sumerer, Oscar Tommasi, der gerade das Gepäck im Kofferraum verstaute. Ein Volvo mit einem Paar Ski auf dem Dach hielt neben dem SUV. Riccardo Dobosz stieg aus und lief zu den anderen. Dann stieg auch sein Vater aus.
Ich zog mich zurück, an die Mauer, lehnte die Ski dagegen, machte die Daunenjacke auf und lugte wieder um die Ecke.
Jetzt befestigten Alessias Mutter und Dobosz’ Vater die Ski auf dem Dach des Mercedes. Der Sumerer tänzelte herum und tat so, als wolle er mit Fäusten auf Dobosz losgehen. Alessia und Oscar Tommasi sprachen in ihre Handys.
Sie brauchten lange, bis sie fertig waren, Alessias Mutter schimpfte mit ihrer Tochter, weil sie ihr nicht half, der Sumerer kletterte aufs Dach des Geländewagens, um die Ski zu kontrollieren.
Und schließlich fuhren sie los.
Während der Fahrt in der Straßenbahn kam ich mir wie ein Idiot vor. Mit den Ski und den Skistiefeln eingezwängt zwischen Angestellten in Jackett und Krawatte, Müttern und Kindern, die zur Schule fuhren.
Wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl, in der Seilbahn zu sein. Zwischen Alessia, Oscar Tommasi, Dobosz und dem Sumerer. Ich konnte den Duft von Kakaobutter und Sonnencreme riechen. Beim Aussteigen aus der Kabine würden wir uns schubsen und lachen, ohne jede Rücksicht auf die anderen Leute, uns benehmen wie solche, die meine Mutter und mein Vater Höhlenmenschen nannten. Ich könnte Sprüche klopfen und die anderen zum Lachen bringen, während sie sich die Ski anschnallten. Leute imitieren, Witze erzählen. Mir fielen nie Witze ein, wenn ich mit anderen zusammen war. Um in der Öffentlichkeit Witze zu machen, muss man sehr selbstbewusst sein.
»Ohne Humor ist das Leben traurig«, sagte ich.
»Weise Worte …«, antwortete eine Frau neben mir.
Diese Sache mit dem Humor, die hatte mein Vater gesagt, als ich von meinem Vetter Vittorio bei einem Spaziergang auf dem Land mit Kuhscheiße beworfen worden war. Vor Wut hatte ich einen dicken Stein genommen und gegen einen Baum geschleudert, während dieser Spasti sich vor Lachen auf dem Boden wälzte. Sogar mein Vater und meine Mutter hatten gelacht.
Ich packte mir die Ski auf die Schultern und stieg aus der Straßenbahn.
Ich sah auf die Uhr. Zehn vor acht.
Zu früh, um nach Hause zurückzukehren. Bestimmt würde ich Papa begegnen, der sich auf den Weg zur Arbeit machte.
Ich ging Richtung Villa Borghese, zu dem hügeligen Gelände neben dem Zoo, wo die Hunde frei laufen dürfen. Ich setzte mich auf eine Bank, zog aus dem Rucksack eine kleine Flasche Coca-Cola und trank einen Schluck.
In meiner Tasche klingelte das Handy.
Ich wartete einen Augenblick, bevor ich mich meldete.
»Mama …«
»Alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Seid ihr losgefahren?«
»Ja.«
»Viel Verkehr?«
Ein Dalmatiner flitzte an mir vorbei. »Geht so …«
»Kannst du mir Alessias Mutter geben?«
Ich senkte die Stimme. »Geht nicht. Sie fährt.«
»Dann telefonieren wir heute Abend, damit ich mich bedanken kann.«
Der Dalmatiner begann sein Frauchen anzubellen, weil er einen Stock geworfen haben wollte.
Ich hielt das Telefon mit der Hand zu und rannte zur Straße.
»In Ordnung.«
»Bis später.«
»In Ordnung, Mama, bis später … Wo bist du denn? Was machst du gerade?«
»Nichts. Ich liege im Bett. Ich möchte noch ein bisschen schlafen.«
»Und was machst du dann?«
»Später gehe ich zu Nonna.«
»Und Papa?«
»Ist gerade aus dem Haus.«
»Ah … Klar. Mach’s gut. Ciao.«
»Ciao.«
Perfekt.
Da war er, der Cercopithecus, und fegte die Blätter auf dem Hof zusammen.
So nannte ich Franchino, den Portier des Palazzo, in dem ich wohnte. Er sah einfach genauso aus wie eine Meerkatze, diese Affenart, die im Kongo lebt. Er hatte einen runden Kopf mit einem Streifen silberner Haare, der seinen Nacken bekränzte, über die Ohren und dann den Kiefer hinunterging, um sich auf dem Kinn zu schließen. Eine einzige dunkle Augenbraue lief über seine Stirn. Auch sein Gang war eigenartig. Er hielt sich dabei ein wenig gebückt und ließ die langen Arme baumeln, drehte die Handflächen nach vorn und wackelte mit dem Kopf.
Er stammte aus Soverato in Kalabrien, wo seine Familie lebte. Doch er arbeitete schon immer in unserem Haus. Ich mochte ihn. Meine Mutter und mein Vater konnten ihn nicht leiden, weil sie meinten, er nähme sich zu viel heraus.
Jetzt war das Problem, ins Haus zu kommen, ohne von ihm gesehen zu werden.
Franchino war wahnsinnig langsam, und wenn er angefangen hatte, den Hof zu fegen, fand er kein Ende.
Versteckt hinter einem parkenden Lastwagen auf der anderen Straßenseite, zog ich mein Handy heraus und rief seine Festnetznummer an.
Das Telefon im Souterrain fing an zu klingeln. Der Cercopithecus brauchte eine Weile, bis er es hörte. Endlich ließ er den Besen los und ging mit seinem schaukelnden Gang auf die Portiersloge zu. Ich sah ihn auf der Treppe zu seiner Wohnung verschwinden.
Ich packte die Ski und die Skistiefel und überquerte die Straße. Fast hätte mich ein Auto erwischt. Der Fahrer hupte, die folgenden Autos mussten scharf bremsen, und alle schimpften laut hinter mir her.
Die Zähne zusammengebissen, mit den Ski, die mir runterrutschten, und dem Rucksack, der mir in die Schultern einschnitt, machte ich das Handy aus und ging durch das Tor. Ich kam am bemoosten Brunnen mit den Goldfischen vorbei und am englischen Rasen mit den Marmorbänken, auf die man sich nicht setzen durfte. Das Auto meiner Mutter parkte neben dem überdachten Eingang unter der Palme, die sie vom Roten Rüsselkäfer hatte kurieren lassen.
Ich betete, auf niemanden zu stoßen, der aus dem Haus kam, schlüpfte in die Eingangshalle und lief über den roten Teppich, kam am Aufzug vorbei und stürzte die Treppe hinunter, die zu den Kellern führte.
Als ich unten ankam, war ich außer Atem. Ich tastete die Wand ab und fand den Lichtschalter. Zwei lange, halb defekte Neonröhren flackerten auf und erleuchteten einen schmalen Gang ohne Fenster. Auf der einen Seite verliefen die Wasserrohre, auf der anderen waren verschlossene Türen. Vor der dritten angekommen, steckte ich meine Hand in die Tasche und zog einen langen Schlüssel heraus, den ich im Schloss drehte.
Die Tür öffnete sich zu einem großen rechteckigen Raum. Oben ließen zwei verschmierte kleine Fenster einen matten Lichtschein durchsickern, der auf mit Tüchern verhangene Möbel fiel, auf Kartons voller Bücher, Töpfe und Kleider, auf wurmstichige Rahmen, Tische und Türen aus Holz, kalkverkrustete Waschbecken und gestapelte Korbstühle. Wo immer ich hinsah, lag haufenweise Zeug. Ein Sofa mit blauem Blumenmuster. Ein Stapel stockfleckige Wollmatratzen. Eine mottenzerfressene Sammlung Reader’s Digest. Alte Platten. Lampen mit schiefen Lampenschirmen. Das gusseiserne Kopfende von einem Bett. In Zeitungen eingerollte Teppiche. Eine große Bulldogge aus Keramik mit einer abgebrochenen Pfote.
Eine Wohnung aus den Fünfzigerjahren, die man in einen Keller gezwängt hatte.
Doch auf einer Seite lag eine Matratze mit Decken und einem Kissen. Ordentlich aufgereiht auf einem niedrigen Tisch standen zehn Dosen Simmenthal-Rindfleisch in Aspik, zwanzig Dosen Thunfisch, drei Packungen Dosenbrot, sechs Gläser mit Eingelegtem in Öl, zwölf Flaschen Ferrarelle-Mineralwasser, Fruchtsäfte und Coca-Cola, ein Glas Nutella, zwei Tuben Mayonnaise, Kekse, Süßigkeiten und zwei Tafeln Milchschokolade. Auf einer Kiste standen ein kleiner Fernseher, die Playstation, drei Romane von Stephen King und ein paar Marvel-Comics.
Ich schloss die Tür.
Das waren meine Skiferien.