Frei wie ein Vogel in der Luft
Irgendwann fasste ich den Entschluss, in Leipzig-Mitte ein kleines Lädchen zu mieten. Währenddessen ich um ein halbwegs günstiges Mietverhältnis warb, scheiterte ich am Mietwucher in der Stadt und natürlich auch an meiner Ungeduld. Viel zu voreilig inserierte ich nach einer Verkäuferin, die nach Möglichkeit nicht zu jung war. Es meldete sich allerlei junges Gemüse, doch dann hatte ich Glück: Eines Abends klingelte bei mir das Telefon. »Ja, bitte?!«, mehr gab ich nicht von mir. Inzwischen hatte ich meine Telefonnummer ändern lassen. Eine Dame rief an, um mir mitzuteilen, dass sie an meinem Angebot interessiert sei. »Und, gibst einen Namen?«, fragte ich barsch, außerdem kam mir die Stimme bekannt vor. »Um Gottes Willen, mein Name ist Kaminski, Kaminski – Tschuldigung!« Ich war sprachlos, obwohl ich diesen Zustand nie kannte. »So ganz nebenbei, ich hab ‘nen interessanten Schreibsekretär anzubieten, ‘n Erbstück sozusagen. Die Dame am anderen Ende der Strippe klang feiner als früher. »Wenn Se sich den anschauen wolln?«, fragte Irma jetzt. Möglicherweise hatte sie vor, sich bei mir oder bei ihrem künftigen Brötchengeber, einzukaufen. Ich fand, dass dies ein guter Zug war und gedachte, anzubeißen. Es war abends zwanzig Uhr. »Und wann schlagen Sie vor?«, war meine Frage. »Och, wenn Se wolln, sofort!«, war die Antwort. Im Hintergrund vernahm ich leise Musik. Dann ließ ich die Katze aus dem Sack und gab zu verstehen, dass im Moment keine Festanstellung möglich sei. Jetzt trat eine längere Pause ein. »Wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben würden – also ich melde mich bestimmt! Wissen Sie heute Abend … also ich rufe zurück, gleich in den nächsten Tagen!«, entgegnete ich. Dabei ist es geblieben.
Ein Jahr verging. Hin und wieder dachte ich an Irma und grübelte darüber nach, ob sie solo geblieben war oder nicht – ich hätte es liebend gern erforscht! Wenige Tage darauf stand Irma tatsächlich vor meiner Tür, wie aus heiterem Himmel. Zu meinem Erstaunen setzte sie mich davon in Kenntnis, dass sie ungebunden geblieben war. »Ich komm ungelegen, klar!«, mehr sagte Irma nicht. Sie schien ganz sie selbst zu sein und nicht mehr so zickig wie früher. »Hab seit längerem ‘nen guten Job!«, sagte sie, dann bewegte sie sich zum Ausgang. »Und ich bin ‚fliegender Händler’ geblieben«, sagte ich, »zzt. als Pendler zwischen Leipzig, Berlin und München, trotz aller Unbequemlichkeiten! Außerdem bin ich ganz auf mich allein gestellt, ohne Netz und doppelten Boden. Mackenrodt hat sich ja damals wieder nach Berlin abgesetzt, aber ich komme einigermaßen zurecht! Na ja, aber die Freiheit – sie bedeutete mir schon viel, denn ich bin frei wie ein Vogel in der Luft! Am kommenden Wochenende habe ich sogar einen wichtigen Termin in Innsbruck zu erledigen.« Das entsprach natürlich der Wahrheit. Außerdem fuhr ich einmal im Monat dorthin, weil sich ein Händler besonders für bestimmte Kategorien Altglas interessierte. Natürlich wollte ich Irma auch imponieren – zugegeben! Sie blieb an der Haustür stehen und sah mich an. Vielleicht bedauerte sie mich wegen meines so unbequemen Jobs. Dann legte sie die rechte Hand auf die Türklinke – es hatte den Anschein, als wollte sie gehen. »Bloß das nicht!«, sagte ich mir. »Wenn du Hilfe brauchst, dann … also …«
Sie hat ihren Satz nicht zu Ende gesprochen, aber ich war froh, dass sie den Anfang gemacht hat! »Nimmst du mich mit?«, fragte sie. Sie ließ die Türklinke los, kam ein paar Schritte auf mich zu und sagte nichts – ich wusste, dass es der Anfang für eine schöne Zeit war!
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