Die ersten Anschläge auf meine Person

Eigentlich wollte ich mit Antiquitäten handeln, weil ich diese Tätigkeit höchst attraktiv fand. Bevor ich damit begann, mogelten sich viele unvorhersehbare Ereignisse dazwischen. Da gab es z.B. eine Reihe von Jobs, um nicht zu sagen Berufe, die Gewinne versprachen oder aber in finanzieller Hinsicht lukrativ zu sein schienen. Die meisten der Tätigkeiten mit denen ich mich versuchte, waren keine Berufe an sich, sondern ich träumte einfach nur vom ,schnellen Geld’, wie man neuerdings zu sagen pflegte.

Deutschland ist eins geworden und die Straßen ab 1990 turbulenter und unsicherer. Was tun in diesem neuen Zeitalter? »Wichtig ist immer ein guter Start! Als Allrounder steht einem heutzutage die Welt offen!«, habe ich mir gesagt. Meine Großmutter meinte aber: »Jeder Mann an sein Fach, der Dachdecker aufs Dach!« Allerdings wäre ich nie auf Dächer gestiegen, weil ich zuweilen unter Höhenangst litt! Aus diesem Grund habe ich diesen Spruch ignoriert. Da heißt es: »Immer schön auf dem Teppich bleiben, das ist viel bequemer!« Apropos Teppich: Windige Gestalten haben mich dazu animiert, Teppiche zu verkaufen. Dazu habe ich mich verführen lassen und es versucht. Da ich nicht skrupellos und gerissen genug war, bin ich dabei jämmerlich auf den verlängerten Rücken gefallen, im wahrsten Sinn des Wortes! Ich sah Teppichverkäufer verschiedener Nationalitäten mit ihren Nobelkarossen unterm Hintern durch Leipziger Straßen rollen. Davon habe ich als ehemaliger Trabi- und Wartburgfahrer immer geträumt! Ganz nebenbei: Das Teppicheverkaufen ist ja eigentlich kein Beruf, doch man kann sich damit gut über Wasser halten, solange die Leute einen Scheuerlappen nicht von einem echten Perser unterscheiden können. So lange sie nur auf falschen Teppichen herumtrampeln, geht es ihnen immer noch besser als denen, die Hunger haben und sich nachts auf kühlen Rinnsteinen Hämorrhoiden holen! Um aber moralisch sauber zu bleiben, sollte man immer versuchen, einen Millionär zu bescheißen, obwohl, da verstößt man wieder gegen die guten Sitten bzw. gegen das Gesetz! Und weil es in der DDR kaum Millionäre gab, war auch die Kriminalität gering.

Wie gesagt, ich bin gescheitert, weil ich aufs Ganze gegangen bin und den Bürger X gleich mit einem Teppich von 4 x 6 Metern in dessen eigene Wohnung schob und mit dem anderen Textilende eine herrliche Delfter Vase vom Fensterbrett stieß. Selbstkritisch gesehen fand ich mich unverschämt und im Jargon eines Flegels gesprochen, verfressen. Postwendend hat man mich samt der Ware wieder hinausgeschoben. Hinten hat man bekanntlich keine Augen und da gab es diesen ominösen Treppensturz, der mit einer Bruchlandung auf dem Steißbein endete. Seit dieser Zeit hatte ich einen Gehfehler. Ich hoffte nun, dass mich mein orthopädischer Hausarzt bald wieder auf Vordermann bringen würde. Man hat mich darüber aufgeklärt, dass es besser sei, erst einmal mit kleinen Persern bzw. Brücken aus irgendwelchen Synthetics »ins Rennen« zu gehen. Von betrügerischem Tun war da nie die Rede. Naiv wie ich war, ging ich die Sache ohne jeglichen Argwohn an. Türkische Mitbürger haben mir zum Beispiel vorgeschlagen, das Ausrollen solcher Artikel erst einmal zu üben. Das habe ich getan und bin ins erste Obergeschoss eines Leipziger Altbaus in der Waldstraße gestiegen. Ich bot nun mein Falsifikat von »Perser« wie Sauerbier an. Anschließend fragte man mich, wo dieser Artikel herstamme. Ich habe erst einmal um den heißen Brei geredet und erklärt, dass das alte Persien geschichtlich etwas mit dem heutigen Iran zu tun habe. Anschließend wurde ich, also wie im ersten Fall, die Treppe hinunter gestoßen. Dabei betragen die Deckenhöhen nobler Gründerzeit-Altbauten mitunter 3,50 m. Daraus resultiert, dass die Treppen in den Treppenhäusern ewig lang und steil sind. Da lag ich nun deprimiert auf dem mittleren Treppenpodest und dachte erst über mich und dann über Nächstenliebe und Demokratie in unserer neuen Bundesrepublik nach. Auf Grund meines atemberaubenden Schmerzes habe ich den brutalen »Teppichkunden« beinahe vergessen und die Tatsache, dass dieser seine Korridortür noch während meines Kobolzes nach unten hinter sich zuknallte, ohne sich um mich zu kümmern. Außerdem hatte ich mir eine Schürfwunde im rechten Jochbeinbereich zugezogen und vor allem die erneute Prellung meines Steißbeines an der gleichen Stelle. Mein Selbstwertgefühl war dahin, ein für alle Mal! Es kam noch dicker: Eine im Parterre wohnende alte Frau stieg die Treppe hoch, trat neben mich hin, vielleicht um mich zu bedauern. »Nein, nein«, sagte ich, »bin nur über den Abtreter gestolpert!« Für mich interessierte sich die Frau weniger, eher aber für das Preisschild der »Perser-Brücke« von Aldi. Diese noch wenig bekannte Ladenkette existierte erst kurze Zeit in unserer Stadt. Die alte Frau schob ihre Brille ganz runter auf die Nasenspitze und schielte über die Gläser: »Is das awwer ‘ne scheene Brügge! Wo ham Se’n die her?« »Ach wissen Sie«, log ich, »die hab ich mir besorgt und weil ...« »weil se zu groß für Ihre Wohnung is, deswäschen gönn Se se nisch gebrauchen’, no?«, fuhr mir die alte Dame ironisch ins Wort. »So ist es!«, entgegnete ich und erschrak über meine eigene Dummheit – hatte ich doch vergessen, das verräterische Preisschild von dieser doofen Brücke zu entfernen. »Was soll mit eusch Obdachlose in diesen neien Staat bloß wern!«, meinte sie und warf mir mitleidsvoll zwei DM in kleinen Münzen auf die Brust, also das Fünftel des Einkaufspreises meiner Brücke. Die Frau meinte, dass sie von »wäschens dor kleen’ Rente«, über die sie verfüge, nichts zu verschenken habe. Ich zog mich empört am Treppengeländer hoch. Da stand ich nun neben der Alten und überragte sie um drei Köpfe. In ihren Augen war ich eine asoziale und obdachlose Null. Was bedeutet schon körperliche Größe allein? Jedenfalls war alles zu spät! Sie ließ mich im Treppenhaus stehen und verschwand mit meiner »Perser-Brücke« unterm Arm einfach in ihrer Wohnung. Depressionen machten sich jetzt in mir breit, zumal ich weder obdachlos noch asozial war. Immer noch mutig genug, stieg ich wieder in die I. Etage und wollte meinem »Teppichkunden« eine »gerade Rechte« verpassen und vor allem meine Reisetasche an mich nehmen. Sie stand noch oben und enthielt neben einem kleinen orientalischen Bettvorleger noch einige persönliche Utensilien bzw. Papiere und eine Datenbank, in der ich viele nach meinem Dafürhalten wichtige Adressen eingespeichert hatte. Ich klingelte erneut. Der Typ stand mit karierten Filzpantinen vor mir und gab ganz absichtlich eine erbärmlich-doofe Figur ab. Dabei beteuert er höflich, dass er mich und meine Reisetasche im Leben nie gesehen habe, jetzt sehr in Eile wäre und eigentlich schon verschwunden sei. Da knarrte die schwere, eichene Haustür, zwei Beamte traten in den Hausflur und riefen nach oben, ob ich derjenige sei, welcher. Ich erklärte mit Nachdruck, dass ich nie und nimmer im Treppenhaus gelegen hätte, um dort zu nächtigen. Da ging unten auch schon wieder die Korridortür auf und die Bewohnerin vom Parterre plärrte genau das Gegenteil von dem, was ich gerade von mir gab. Sie behauptete sogar, dass ich als »Brückenschläfer« tagsüber mein Unwesen in diesem Mietshaus treiben würde. Dabei richtete sie ihren Krückstock auf die obere Etage. Die Beamten rasten zu mir nach oben, nahmen mich ins Kreuzfeuer und führten mich wie einen Schwerverbrecher ab. Leider Gottes hatte ich außer den beiden lumpigen DM und einem Paket Tempotaschentücher nicht einmal Papiere »am Mann«.

Inzwischen hat mich der ganze Polizeiapparat nebst einem für 1990 sehr seltenen Computer als einigermaßen unbescholtenen Bürger identifiziert. Den Innenminister habe ich allerdings nicht zu Gesicht bekommen. Dann hat mich das Revier Leipzig-Ritterstraße wieder »ausgespuckt«. Ewig und drei Tage habe ich in dieser blöden Dienststelle zugebracht, während sich die Polizei eben einen Überblick über meine Identität verschafft hat:

Name: Drehwolke

Alter: siehe Kartei!

Größe: 1,82 m

Augenfarbe: braun-grün

Gewicht: 75 kg

(Gesichtsfarbe: auf Grund des letzten Ärgernisses auffällig blass!)

Besondere Kennzeichen: keine, bis auf die Schürfwunde am rechten Jochbein!

Da stand ein Schreibtisch vor mir, auf dem sich Kästen mit Karteikarten türmten. Ich erfuhr später, dass alle meine Kenndaten, welche bisher in den polizeilichen Karteien vorhanden waren, irgendwann einmal auf eine Festplatte gespeichert würden und dass dies künftig alle Bürgerinnen und Bürger über sich ergehen lassen müssten. Weil diese Information ein wenig dramatisch klang, horchte ich auf. Eine Beamtin beobachtete mich und meinte, ich könnte ganz beruhigt sein, denn dieser Speichervorgang sei völlig schmerzfrei. Diese Art der Registratur ließ ich mir trotzdem erklären. Da diese Technik noch nicht zum Polizei-Standard gehörte, dauerte dieser Akt bis zum Abend. Eine ganze Kompanie Polizistinnen und Polizisten hämmerte nun auf der Tastatur des Computers herum, doch letzten Endes landete der Holzkasten mit meiner Blockschrift-Kartei wieder in einem versiegelten Stahlschrank.

Die Polizei hat dokumentiert, dass sie mich wegen Mangels an Beweisen aus dem Polizeirevier entlassen müsste. Gegen diese Formulierung protestierte ich entschieden, trug ich als Bürger doch eine weiße Weste. »Das is nu ma‘s Amtsdeitsch in diesen neien Rechtsschtaat, weil mor nüscht gegen Sie in dor Hand hamm! Odder woll’n Se ‘ne Aussache machen?« – so eine junge Nachwuchspolizistin. Sofort dachte ich an das dubiose Teppicheverkaufen oder zumindest an den Versuch und machte mich augenblicklich aus dem Staub. Die Leute auf der Straße haben mich kritisch angegafft, als ich den »Hauptausgang« des Polizeireviers passierte. Danach verschwand ich in Richtung Brühl.