Ich und die Welt – Detektei John Bubach

Irgendwann flatterte mir ein Brief ins Haus. Eine Detektei aus Berlin-Wilmersdorf hatte mich anvisiert, obwohl ich für diese Truppe völlig unbekannt war. Für mich war es schleierhaft, wie sie an meine Adresse kam, obwohl ja unsere Familie in keinem Telefonbuch stand. Trotzdem – mit Stolz las ich diesen Brief drei oder vier Mal. An einem der nächsten Wochenenden waren Seminare geplant, die die Voraussetzungen liefern sollten, Detektiv zu werden. Ich war fest entschlossen, diese Berufsrichtung einzuschlagen, zumal es nach dem Mauerfall bestimmt eine Menge »Brot« sogar für Anwärter in dieser Berufsrichtung geben würde. Ich stellte mir diese Tätigkeit in der Praxis vor: Zum einen sah ich in mir einen Detektiv zur Aufklärung wirtschaftlicher Verbrechen, zum anderen war ich Auftragnehmer einer stinkreichen Witwe, in deren Auftrag ich einige raffinierte und skrupellose Erbschleicher ans Messer liefern sollte. In Gedanken ließ ich mir europäischen Wind, vor allem westlicher Gefilde, um die Nase wehen und utopische Honorare in meine Taschen fließen. Die Architektur meiner Luftschlösser war der reine Wahnsinn. Dann kam ich wieder zurück auf den Boden der Realität, als ich auf den Absender des Briefes sah – es war der eines Herrn Bubach, der den Vornamen John trug. Diese Namenkombination störte mich ganz besonders. Allerdings dachte ich wieder an einen Decknamen, zugelegt natürlich aus Sicherheitsgründen! Trotzdem, mein Vorurteil war fix und fertig! Seit einiger Zeit hatte ich trainiert, das Kleingedruckte in Formularen, Angeboten und Briefen etc. aufzuspüren. Da wurde z.B. eine Teilnahmegebühr von schlappen 900 DM pro Seminar erhoben. Eine Übernachtung war am Ausbildungsort unumgänglich, besonders für die Leute, die von weit her kamen. Da bot man ein Viersterne-Hotel auf dem Hohenzollerndamm, mit Halbpension zum Preis von 220 DM, jeweils von Samstag zu Sonntag. Dieser Betrag war ebenfalls zu überweisen und zwar auf das gleiche Konto. Das musste ja eine tolle Ausbildung sein, wenn man bereits nach zehn Stunden Seminar als frischgebackener, doch gewiefter Detektiv die Ausbildungsstätte verlassen durfte. »Vielleicht haben die Wessis besondere Ausbildungssysteme«, sagte ich mir und beschloss, meine in vier Wochen geplante, ohnehin erforderliche Berlinreise auf das kommende Wochenende zu verlegen. Ich versuchte, über die Auskunft die Telefonnummer herauszubekommen – nichts! Gesagt getan, ich dampfte also nach Berlin und fuhr den Hohenzollerndamm rauf und runter. Da existierte freilich ein viersterniges Hotel, aber Seminargäste der Detektei John Bubach waren dort nicht avisiert. Dann hatte ich eine Reifenpanne, direkt vor dem Hotel. Als ich das Ersatzrad angeschraubt hatte, durfte ich mir dort wenigstens die Hände waschen. Zerknirscht fuhr ich nach Hause und versuchte, einen persönlichen Brief an Bubach zu schreiben. Drei Mal begann ich mit dem Text und jedes Mal verwarf ich ihn, weil ich mit jeder Silbe giftiger und giftiger wurde. Dann zwang mich zur Sachlichkeit und begann diesen Brief von neuem. Wenn auch nur ein toter Briefkasten existierte, würde der Empfänger meine Post garantiert in die Hände bekommen, zumal er ja an den Zaster gelackmeierter Ossis ‘rankommen wollte. Ich war mir also sicher, dass ich es mit einer Scheinfirma zu tun hatte und schrieb folgendes:

Leipzig, 10. August 1991

Sehr geehrter Herr Bubach,

wenn solch ein attraktives Unternehmen wie das Ihrige nicht mal telefonisch erreichbar ist, dann garantiert aus Gründen der Geheimhaltung! Ich habe versucht, Sie am vorigen Samstag in Berlin-Wilmersdorf aufzusuchen, doch leider ohne Erfolg! Mir lag die Beantwortung einiger meiner Fragen besonders am Herzen, das werden Sie sicher verstehen, denn 900 »Mücken« für ein Wochenendseminar sind ja schließlich kein Pappenstiel! Sieben bis acht Leute aus meinem Bekanntenkreis halten Ihr Angebot in fachlicher Hinsicht dennoch für eine besondere Attraktion und würden ebenfalls gern an diesem Seminar teilnehmen! Wie Sie wissen, ist hier im Osten die Arbeit knapp! Gesetzt den Fall, ich liefere Ihnen diese Seminarteilnehmer, würden Sie mir dann einen Rabatt zur Teilnehmergebühr gewähren?

Komisch, das von Ihnen genannte Hotel am Hohnezollerndamm, hat keine Übernachtungen für das betreffende Wochenende vorgesehen. Allerdings bin ich in der Hauptstadt Deutschlands absolut ortsunkundig und habe möglicherweise im falschen Hotel recherchiert. Ach so: Ich habe Verwandte in Berlin. Übernachtungen sind für mich ohnehin kein Problem. Falls ich das richtige Hotel doch erwischt haben sollte, dann hat mir die Hotelangestellte an der Rezeption natürlich eine falsche Auskunft erteilt ...

Ich versuchte also, den Naiven zu spielen, doch letzten Endes war’s Bubach Wurst, von wem er seinen Zaster bekam. Dann stellte ich einige Fragen zu Arbeitsschwerpunkten, die für solch eine Detektei charakteristisch wären und verfiel bewusst in ein allgemeines Blabla. In dieser Rolle fühlte ich mich sauwohl. Aus meinem Brief wäre beinahe ein Roman entstanden. Die Antwort folgte auf dem Fuß. Bubach schrieb:

Sehr geehrter Herr Drehwolke,

ich freue mich, Ihnen heute einen persönlichen Brief schreiben zu dürfen!

Unsere Firma ist im Begriff, in der ganzen Welt zu expandieren. In diesem Rahmen werden wir z.B. Filialijen(Flüchtigkeitsfehler authentisch!) in Amsterdam, London, Paris und sogar in New York und Tokio eröffnen. Dabei ergeben sich für Sie ungeahnte Karrieren in vielerlei Hinsicht. Dabei reisen Sie auf Kosten der Firma, denn Sie betreuen generell unsere Kunden, d.h., Sie müssen sie nicht erst aufspüren, wie die Heunadel im Steckhaufen! (Flüchtigkeitsfehler authentisch!) Ach übrigens – unsere Kunden nennen wir gelegentlich auch Mandanten. Sie sind namhafte Firmeninhaber und Privatpersonen aus Politik, Wirtschaft, Pharmazie, Medizin und Kultur.

Zu den utopisch hohen Spesen und Honoraren, die Sie erwarten dürfen, werde ich mich natürlich aus Gründen des Datenschutzes nicht äußern! Nur zu junger Freund – trauen Sie sich, werden Sie Detektiv, to detect – ermitteln Sie für unsere Weltfirma!

Nun zum finanziellen Ersteinsatz des jeweiligen Bewerbers: Das nächste Seminar wird in zwei Wochen durchgeführt, für nur 900 DM, die Ihnen bei erfolgreichem Abschluss Ihres Seminars selbstverständlich zurückerstattet werden! Ich verweise darauf, dass dieses Seminar mit solch einer geringen Teilnahmegebühr das Letzte sein wird und die inzwischen gestiegenen Kosten für den Lehrkörper mit genannter Summe ab 1992 nicht mehr abgefangen werden können. Greifen Sie also zu – es lohnt sich! (Dabei fragte ich mich, für wen!)

Es ist sehr bemerkenswert, dass sich aus Ihrem Bekanntenkreis acht Personen für unser attraktives Angebot interessieren! Selbstverständlich gewähre ich Ihnen gern einen Rabatt bis zu 5 % für das Vermitteln der Bewerber für uns!

Ich möchte Ihnen auch anderweitig entgegenkommen: Hören Sie Probe! Am kommenden Wochenende findet das vorletzte Seminar in diesem Jahr statt, welches natürlich schon ausgebucht war, als ich Sie das erste Mal anschrieb. Ich sorge natürlich für eine zusätzliche Einzelbestuhlung. Allerdings müssten Sie sich sofort brieflich äußern, ob Ihnen diese Variante zusagt. Sollte ich in dieser Woche nichts von Ihnen hören, werte ich diese Reaktion als Ihr Einverständnis betreffs unserer finanziellen Bedingungen. Zwei Mitarbeiter werden sich dann am Mittwoch kommender Woche gegen drei Uhr nachmittags im Eingangsbereich »Hotel Merkur« in Leipzig postieren, um die Teilnehmergebühren für die Detektei John Bubach von Ihnen, bzw. für die von Ihnen vermittelten Interessenten, gegen entsprechende Sicherheiten natürlich, zu empfangen.

Hoch verehrter Herr Drehwolke, noch einige Worte zu unseren Strategien ...

Mit freundlichen Grüßen

Ihr John Bubach

Bubach’s Unterschrift war so unleserlich, wie die Tapsen unseres Hundes auf hellem Linoleum bei Regenwetter. John Bubach gehörte also mir. Würde ich diesem Probehören zustimmen, gäbe es nie eine Rückantwort, da war ich sicher. Meist zahlten die Kunden, weil sich mit der Variante »Probehören« jegliches Misstrauen legte. Der Verfasser des Briefes hatte in seiner Korrespondenz das weltumspannende Netz einer Detektei deklariert, die gar nicht existierte. Weil ich schon immer an den Weihnachtsmann glaubte, sagte ich nunmehr die Teilnahme am Detektiv-Lehrgang für mindestens acht Personen meines Bekanntenkreises zu. Dazu verfasste ich einen erneuten Brief in Schönschrift. Darin ging ich Bubach besonders um den Bart. Trotzdem offenbarte er mir weder Adresse noch Telefonnummer seines Unternehmens. Das machte mich besonders wütend.

Mit Spannung wartete ich auf den besagten Mittwoch. An jenem Tag postierten wir uns, also einige Kumpans und ich, einige Zeit vor 15 Uhr im Eingangsportal des Hotels »Merkur«. Dieses Hotel verfügte über mehrere Konferenzräume im Erdgeschoss, in denen verschiedene Lehrgänge stattfanden. Aus diesem Grund war es für Außenstehende auch nicht auffällig, wenn Bubach das Hotel Merkur für seine Machenschaften auswählte. Kurz vor Drei betraten zwei aufgetakelte Gestalten den Eingangsbereich des Hotels und blieben in der Vorsaalmitte stehen. Ich ging auf die Leute zu und sprach sie an. Zunächst erfolgte keinerlei Reaktion auf meine Anfrage, ob sie die entsprechenden Vertreter des Bubach’schen Unternehmens seien. Dann holte ich etwas weiter aus und brachte die Teilnahme an Seminaren für die Detektei Bubach ins Spiel. »Welcher Bubach?«, war die verräterische Gegenfrage. Inzwischen waren meine Leute zur Stelle und nötigten die beiden Herren, sich in einigen in der Nähe befindlichen Stuhlreihen zu platzieren. Das funktionierte insofern reibungslos, als dass wir uns in totaler Übermacht befanden. Dann ließ ich die Katze aus dem Sack und offenbarte mich frech als der Überbringer von 8.960 DM, inklusive der Hotelkosten –Hohenzollerndamm in Berlin. Einer der beiden Strategen brannte sich eine Zigarette an und entschuldigte sich für seinen Black-out. Dann verfiel er in den Jargon Bubach’s und lobte dessen Briefkastenfirma über den Klee. Wir waren Fünf gegen Zwei und stellten Stühle und Tische auf Armlänge zusammen. Den Laufburschen der beiden Typen warfen wir achtkantig aus dem Hotel. Somit hatten wir nur einen Widersacher vor uns, der mit einem riesigen Handy bewaffnet war, so riesig, wie das für 1991 üblich war. Dann zog ich vom Leder und verlangte alle Legitimationen des Strohmannes, den uns Bubach da auf dem Präsentierteller lieferte. Die Mogelpackung »Weltdetektei John Bubach« war jedenfalls in Null Komma nichts aufgeflogen. Wir bemächtigten uns der Ausweispapiere und notierten alle darin erhaltenen Angaben. Dann kam tatsächlich ein Firmenausweis zum Vorschein, der auf den Detekteinamen Bubach ausgestellt war und dessen Existenz unser Kandidat wohl vergessen hatte. Vor uns saß kreidebleich ein gewisser Papenburg aus Berlin-Wedding. Des Weiteren kam ein leerer, speckiger Quittungsblock zum Vorschein. Dann stürzten sich meine Leute auf jenen Herren, der in höchst krimineller Mission kam und sah und verlor. Er wurde zunächst mit leichten Knuffen bearbeitet. Ich verhinderte aus Mitleid die sehr wohl verdiente Tracht Prügel, die über unseren Kandidaten aus Berlin-Wedding mit Sicherheit gekommen wäre. Ich rechnete ihm hoch an, dass er seinen Auftrag eher schlecht als recht ausgeführt hatte – so war ich nun mal! Wir zwangen unser Opfer Bubach anzurufen, um ihn darüber zu informieren, dass wir ordnungsgemäß 8.960 DM in bar übergeben würden – sehr wohl war uns an der Teilnahme des geplanten Detektivlehrganges gelegen. Bevor Papenburg loslegte, riss ich ihm den Telefonhörer aus der Hand und spielte auf Hochdeutsch die Rolle des Bubach’schen Kompagnon: »Alles nette Leute!«, schrie ich nach Berlin, »allerdings fehlt uns der Quittungsblock für die Übernahme des Zasters!« Mein Herz schlug bis zum Hals, doch Bubach biss an, das spürte ich. Ich spürte aber auch, dass er trotz meiner blendend gespielten Rolle Argwohn hegte. Bubach setzte sich tatsächlich nach Leipzig in Bewegung, um die nötigen »Formalitäten« zu erledigen. Er brauchte weniger als drei Stunden von Berlin-Wilmersdorf bis zur Leipziger Innenstadt. Ich hielt das für eine sehr gute kraftfahrerische Leistung. In der Zwischenzeit hielten wir unseren Kandidaten fest. Endlich schritt durch die Drehtür die Figur des John Bubach, dessen pomadiges Haar bis auf den Mantelkragen hing. Ich traute meinen Augen nicht, denn vor uns stand der Typ eines Zuhälters und Schlawiners. Mit langsamen Schritten ging er auf uns zu und hielt inne. Ich winkte einladend zu ihm rüber, dann bewegte sich Bubach langsam an unseren Tisch und blieb stehen. Als ich aufstand, wich er wie ein ängstliches Tier zurück. »Es sind nur einige Formalitäten erforderlich, ich meine wegen der Teilnahmegebühren ...«, stammelte ich. Der Angesprochene verstand Bahnhof. Daraus schlussfolgerte ich, dass es gar nicht Bubach war, der sich da vor uns platzierte. Kurzum – einer meiner Kumpans ergriff ihn und schob ihn zwischen unsere Tischreihen. Somit saß er in der Falle. »Gerlach mein Name!«, sagte er schnell. »Ich soll Ihnen mitteilen, dass der nächste Lehrgang aus technischen Gründen entfällt!« Ich war perplex. Mit solcher Raffinesse hatte ich nie gerechnet. Wir nahmen Gerlach buchstäblich auseinander. Dabei drehten wir all seine Taschen um und streiften die Hosenbeine nach oben. Jegliches Inventar, was er am Mann trug, wurde peinlich genau sondiert. Laut Deutschem Reisepass war Gerlach wirklich Gerlach aus Berlin-Neukölln und kein anderer. Absolut sicher waren wir unserer Sache natürlich nicht. Während der Leibesvisitation, die einer körperlichen Züchtigung ähnelte, rissen einige seiner Mantelknöpfe ab und polterten zu Boden. Gerlach stand regungslos vor uns und war sichtlich froh, so glimpflich davon gekommen zu sein. Wir gaben ihm seinen Gürtel zurück, den wir ihm provokatorisch aus dem Mantel zogen, sowie Brieftasche, Pass und Kollegmappe. Anschließend quetschten wir ihn nach Strich und Faden aus. Gerlach schien wirklich nur Bubach’s Lakai zu sein, gegen den wir nichts in der Hand hatten. Dass wir diesen Gerlach auf den Kopf stellten, war eigentlich nur die Genugtuung kleiner Leute, die sich ungerecht behandelt fühlten, mehr nicht. All das geschah unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bubach dingfest zu machen, wäre mit einem Zeugen wie Gerlach nie gelungen. Überhaupt, es schien aussichtslos, denn wir hatten keinerlei Beweismaterial. Ich war mir nun sicher, dass dieser Bubach gar nicht existierte! Wir eskortierten Gerlach zu seinem Wagen und warteten, bis er davonfuhr. Nach wenigen Metern stoppte er sein Fahrzeug, fuhr im Schritttempo weiter, kurbelte das Fenster herunter und schwor uns bittere Rache. Dabei krachte er mit dem rechten Vorderrad gegen eine Bordkante und knallte mit der Stirn von innen gegen die Windschutzscheibe. Nach einigen Sekunden setzte er seine Fahrt fort. »Das kann ja heiter werden«, dachte ich mir, »diese Scheinfirma ist im Besitz meiner Adresse!«.