23
Der Emipir, den Saiph geschickt hatte, wartete draußen vor dem Zelt auf sie. Als Talitha ihn, nach ihrer Rückkehr aus Bemotha, erblickte, verspürte sie einen Stich im Herzen. Zwei Tage lang war sie, von nur wenigen Pausen unterbrochen, auf dem Drachen zurückgeflogen, und in dieser kurzen Zeit verbreitete sich die Kunde von ihren Taten schon wie ein Lauffeuer in allen vier Reichen.
Sie löste die Nachricht von der Klaue des winzigen Drachen und nahm ihn mit ins Zelt, für den Fall, dass sie ihm sofort eine Antwort für Saiph mitgeben musste.
»Was macht der denn hier?«, fragte Melkise, während er sich erschöpft auf sein Lager warf, ohne auch nur die Stiefel auszuziehen.
Talitha biss sich auf die Lippen, unentschlossen, ob sie ihm die Wahrheit erzählen sollte. Sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte, aber sie hatte Gerner versprochen, Stillschweigen zu wahren.
Schließlich rang sie sich durch, ihm alles zu erzählen: Seite an Seite hatte sie mit ihm gekämpft, ihn anzulügen wäre nicht richtig gewesen.
»Du glaubst also tatsächlich diese ganze Geschichte von Cetus und dass er uns alle verbrennen wird und so weiter?«, fragte Melkise, nachdem er ihr so zugehört hatte, als gehe ihn das alles nichts an.
»Du merkst doch selbst, dass sich das Klima schon verändert hat: dieser Regen, die Temperaturen … Das ist nicht normal.«
»Das heißt aber nicht, dass es noch schlimmer werden muss.«
»Meine Schwester war aber von alldem, was ich dir gerade erzählt habe, so sehr überzeugt, dass sie dafür mit dem Leben bezahlt hat. Deswegen kommt es darauf an, dass die Suche weitergeht. Verba muss uns verraten, wie wir die Katastrophe aufhalten können.«
»Und warum hast du dann nur Saiph losgeschickt, um diesen Mann zu finden, während du selbst es vorziehst, an der Seite der Femtiten in den Kampf zu ziehen?«, entgegnete Melkise mit einem provozierenden Lächeln.
»Die Sache der Femtiten ist gerecht, und jetzt ist es der richtige Zeitpunkt, sich für sie einzusetzen. Ich dachte eigentlich, du würdest das genauso sehen.«
»Du musst dich nicht gleich so ereifern«, beruhigte er sie. »Aber eigentlich bin ich nur hier, weil mir so viel an Grif liegt. Du hingegen hast deinen besten Freund ziehen lassen.«
»Einer musste Verbas Spuren folgen«, erwiderte Talitha gekränkt, »und Saiph mag nicht kämpfen, obwohl ihn alle für einen großen Helden halten.«
Schon während sie dies sagte, wurde ihr bewusst, dass sie Saiph gegen Vorwürfe in Schutz nahm, die sie ihm in seiner Anwesenheit selbst gemacht hatte.
Besorgt drehte sie das schmale Pergamentblatt um und las, was er ihr geschrieben hatte.
Ich muss mit dir reden. In drei Tagen in der kleinen Höhle am Seeufer.
Talitha wusste gleich, welche Höhle er meinte, und schrieb ihm die Antwort auf die Rückseite des Blattes.
In Ordnung.
Dann rollte sie es zusammen, band es dem Emipir an die Klaue und ließ ihn frei.
»Und?«, fragte Melkise.
Talitha zuckte mit den Achseln. »Er will mich sehen.«
»Und wo?«
»Ist doch nicht so wichtig. Aber wenn Gerner dahinterkommt, dass er sich in der Nähe aufhält, wird er alles daran setzen, ihn ins Lager zurückzuholen. Und wenn er ihn dafür in Ketten legen müsste. Ich muss vorsichtig sein.«
Sie unterhielten sich noch ein wenig über die Schlacht, die sie geschlagen hatten. Aber bald überkam Talitha, nach all den Strapazen, eine große Müdigkeit. Sie legte sich nieder und ließ Melkise allein zu den anderen gehen, die den großen Sieg feierten. Aber sie fand keinen Schlaf. Ihre Gedanken kreisten um die Ereignisse auf dem Schlachtfeld, was sie dort über sich herausgefunden hatte, die Gesetze des Krieges, Melkise … Verglichen mit all diesen überwältigenden Eindrücken kam ihr Saiphs Botschaft ganz seltsam vor: Wie aus einer lange zurückliegenden, mittlerweile abgeschlossenen Phase ihres Lebens schien sie zu kommen. Und es war, als wende sich Saiph an eine andere Talitha, die mit der Frau, die sie jetzt war, nicht mehr viel zu tun hatte. Beklommen sah sie ihrem bevorstehenden Treffen entgegen, fast mit Angst, und niemals hätte sie sich vorstellen können, dass sie dieses Gefühl einmal Saiph gegenüber empfinden würde, der ihr ein Leben lang nahe gewesen war.
Sie öffnete ein Auge und sah zu Melkises leerem Lager hinüber. Er fehlte ihr. So sehr hatte sie sich schon an seine Gegenwart in der Hütte gewöhnt: an sein leises Atmen, wenn sie in der Dunkelheit nebeneinander lagen, die Atemzüge eines Mannes, der nie wirklich schlief, sondern jederzeit bereit war aufzuspringen. Wer hätte das gedacht, als sie damals seine Gefangene war?
Das Leben birgt wirklich viele Überraschungen, sagte sie sich und gähnte. Es war ihr letzter Gedanke, bevor sie in einem traumlosen Schlaf versank.
Als Ausrede sagte sie, dass sie nach den Feldern sehen wollte, die an den Ufern des kleinen Sees angelegt worden waren. Die Rebellen ernährten sich von den Früchten, die dort von den Frauen des Dorfes, den kampfunfähigen Alten und den noch nicht kampftauglichen Jungen angebaut wurden. Dazu zählte Grif, und ihn wollte sie begleiten.
Gemeinsam überquerten sie den See mit dem ätzenden Wasser, bevor sie sich trennten und sie alleine zu der Grotte weiterlief, die am Ufer lag.
Von außen hätte man sie auch für den Bau eines wilden Tieres halten können: Der Durchlass war eng, aber der Innenraum erwies sich als überraschend geräumig. Verstreut am Boden lagen abgenagte Knochen und zeugten davon, dass die Höhle genutzt worden war.
Saiph stand vor der hinteren Höhlenwand, das Gesicht noch vermummt, die Arme hingen herunter. Seine Gestalt war unverwechselbar, und ein eigenartig wehmütiges Gefühl überkam Talitha, das man empfindet, wenn man nach langer Abwesenheit an einen vertrauten Ort zurückkehrt. Und doch hinderte sie etwas, eine Art Furcht, noch näher auf ihn zuzutreten. In einigem Abstand blieb sie stehen und rührte sich nicht.
Er nahm Schal und Turban ab. Saiph war noch ein wenig blasser geworden und auffallend abgemagert, aber sein Lächeln war so wie eh und je, offen und aufrichtig, und Talitha fühlte sich gewärmt davon.
»Talitha«, murmelte er.
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören riss jede Barriere nieder. Sie lief zu ihm, schlang ihm die Arme um den Hals und drückte ihn an sich. Warm und gut fühlte sich die Berührung an.
»Verdammt … hab ich dich vermisst«, gab sie mit einem schüchternen Lächeln zu.
»Ich dich auch … sehr sogar«, antwortete Saiph.
»Wie ist es dir ergangen? Wie weit bist du gekommen? Und was ist mit Verba?« Wie frisches Quellwasser sprudelten die Fragen hervor.
»Immer noch die gleiche ungestüme Talitha«, bemerkte Saiph, bevor er antwortete. »Na ja, die Reise war schwierig, aber nicht ganz umsonst.«
Er griff zu dem Quersack, der an der Grottenwand lag, und holte ein Pergamentblatt hervor.
»Das hat Verba geschrieben, in seiner Sprache … aber hör mal, was er mir zu sagen hat.«
Gib endlich auf. Ich führe dich nur in den Tod. Da dich auch dieser verfluchte Wald nicht aufhalten konnte, ziehe ich weiter, dorthin, wo du mich niemals finden wirst. Kehre zurück zu deiner Herrin. In der Wüste überlebt nur, wer so ist wie ich.
Verba
»Dann hat er sich also wieder mal aus dem Staub gemacht.« Talitha war enttäuscht. »Und du hast völlig umsonst dein Leben aufs Spiel gesetzt, um ihn zu finden.«
»Nein, so stimmt das nicht. Er hat sich von allem losgesagt, vom Krieg, von unserer Welt … Aber im Grunde seines Herzens weiß er, dass diese Haltung falsch ist. Irgendwie will er uns helfen. Sonst hätte er mir diese Nachricht nicht dagelassen.«
»Willst du damit sagen, er will, dass wir ihm folgen?«
»Ja, genau. In die Wüste, an den Namenlosen Ort.«
Talitha blickte Saiph lange verwundert an. »Die Wüste hat noch niemand überlebt.«
»Wenn Verba dort leben kann, können wir es auch.«
»Vielleicht weiß er, wie das geht, wir aber nicht: Dort gibt es keinen Luftkristall, keine Talareths, noch nicht einmal Wasser gibt es dort«, entgegnete Talitha. Etwas schwach klangen diese Argumente, selbst in ihren Ohren. Aber die Vorstellung, dorthin aufbrechen zu müssen, erschütterte sie.
»Das sind die Dinge, die man sich über die Wüste erzählt. Aber kennst du jemanden, der tatsächlich dort gewesen ist?«, fragte Saiph geduldig.
»Nein, niemanden. Aber das nicht ohne Grund.«
»Wir kannten auch niemanden, der vor uns den Himmel gesehen hat. Trotzdem haben wir es geschafft, und wir haben überlebt.«
»Das ist etwas anderes.«
»Vielleicht. Aber wer sagt überhaupt, dass dort tatsächlich nur Wüste ist? Vielleicht dienen all diese Geschichten nur dazu, uns von der Wahrheit fernzuhalten. Du hast es ja selbst erlebt: Auch in den Himmel zu schauen war nicht tödlich für uns. Es wurde uns nur immer erzählt, damit niemand die Macht der Priesterkaste infrage stellt.«
»Und wenn das Ganze eine Falle ist?«
»Wenn Verba darauf aus wäre, hätte er uns schon hundertmal vorher umbringen können. Nein, das ergibt keinen Sinn.«
»Vielleicht hast du Recht«, sagte Talitha, ohne ihn anzuschauen.
Saiph seufzte. »Was ist eigentlich los mit dir? Dir scheint gar nichts daran zu liegen. Dabei läufst du doch sonst nicht vor Gefahren davon. Ganz im Gegenteil. Abenteuer und das Unbekannte haben dich immer gelockt. Aber plötzlich willst du hierbleiben und mit den Rebellen kämpfen.«
»Darüber haben wir doch schon ausführlich gesprochen. Was ich tue …«
»… ist sehr wichtig, ich weiß, ich weiß. Du willst den Femtiten helfen, weil es ein gerechter Kampf ist.«
»Ja. Und es ist auch dein Kampf.«
»Du meinst, weil ich Femtit bin? Mag sein. Aber ich finde, dass ich das Recht habe …«, Saiph hob die Stimme, »… selbst zu entscheiden, welchen Kampf ich führen will, ganz unabhängig davon, welcher Rasse ich angehöre. Es ist wichtiger, für das Überleben Nashiras zu kämpfen, als die Frage zu klären, wer in Talaria zu befehlen und wer zu gehorchen hat. Wärest du nicht so verblendet vom Zorn und noch in der Lage, deinen Kopf zu gebrauchen, würdest du mir recht geben.«
Er schwieg, und Talitha spürte die Last seiner Worte: Es stimmte, sie wollte nicht mehr mit ihm ins Unbekannte aufbrechen. Sie hatte vom Krieg gekostet und kam von dem Geschmack nicht mehr los. Sie würde bleiben, sie würde diesen Kampf an der Seite der Rebellen weiterführen. Dafür war sie bereit, alles andere zu opfern.
Da ergriff Saiph ihre Hand. »Komm, lass uns gemeinsam aufbrechen«, bat er sie. »Jetzt sofort.«
Talitha zuckte zusammen. Ein Teil von ihr hätte gern Ja gesagt, doch sie konnte nicht. »Das ist unmöglich«, antwortete sie. »Es gib zu vieles hier, was ich vorher noch erledigen muss.«
Saiph lächelte traurig. »Dann willst du wieder ins Lager zurück?«
»Komm doch mit«, schlug sie vor und zwang sich zu Fröhlichkeit. »Es gibt ein Fest, um die Befreiung der Minensklaven zu feiern, und außerdem passt es mir nicht, wenn du hier alleine bleibst.«
»Wenn Gerner sieht, dass ich wieder da bin, lässt er mich nicht mehr fort.«
»Ach, nach dem letzten Kampf haben sich uns so viele neue Rebellen angeschlossen, die jetzt im Dorf leben. Du mischst dich einfach unter sie. Mit Turban und Schal wird niemand dich erkennen. Ich sage Grif, er soll noch ein paar Tage bei der Feldarbeit am Seeufer bleiben, dann kannst du erst einmal seinen Platz in der Hütte haben. So fällst du noch weniger auf.«
Saiph begriff, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er nickte. Als sie mit dem Boot wieder zur Insel übersetzten, erzählte ihm Talitha, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Von der Schlacht, von Melkises Auftauchen … Vor allem dies beunruhigte Saiph. Dieser Mann war einmal ihr Feind gewesen, und jetzt erzählte sie ganz begeistert von ihm. Saiph spürte, wie sich ein eisiger Stachel einen Weg in sein Herz bahnte, der noch tiefer eindrang, als er sah, wie vertraulich sie ihn am Ufer begrüßte.
Nachdem sie ihm erzählt hatte, dass Saiph erst einmal Grifs Platz einnehmen würde, musterte er Saiph einige Augenblicke, lächelte dann und schlug ihm kräftig auf die Schultern. »Ich freue mich, dass du wohlbehalten zurück bist. Wirklich schön, dich wiedersehen. Ob du es glaubst oder nicht, du hast mir immer schon gefallen.« Und er bekräftigte seine Worte mit einem leutseligen Lachen. »Nun, hast du den Ketzer gefunden?«
»Ich war kurz davor«, antwortete Saiph zurückhaltend.
Talitha und Melkise brachten ihn in die Hütte. Sie beschlossen, dass es sicherer wäre, wenn er sich dort bis zum Einbruch der Dunkelheit versteckt halten und erst dann herauskommen sollte. Dann griffen die beiden zu ihren Schwertern und traten auf den Platz vor der Baracke, um ein wenig zu trainieren. Durch einen Schlitz zwischen den Brettern sah Saiph ihnen zu. Talitha schien glücklich, lachte. Die beiden kommunizierten so eingespielt und harmonisch mit ihren Klingen, als führten sie eine geistreiche Unterhaltung. Und er fühlte sich vollkommen ausgeschlossen. Als er mit ihr zusammen gewesen war, hatte er sie nie so ausgelassen lachen hören.
Nach Sonnenuntergang wurde auf dem Platz in der Dorfmitte ein großes Feuer entzündet, und alle Rebellen versammelten sich fröhlich darum herum. Das Essen war besser und sorgfältiger zubereitet, als sie es gewohnt waren, und irgendwann holte jemand eine Laute hervor und begann, Lieder in der Femtitensprache vorzutragen. Talitha hatte gerade erst begonnen, diese Sprache zu erlernen, konnte aber immerhin schon den Sinn der Texte erfassen. Bald stimmten alle ein und klatschten dazu im Takt. Dann stießen sie mit Purpursaft in den verschiedensten Zubereitungen an und tranken, bis alle ein wenig berauscht waren. Auch Talitha hatte vom Alkohol gerötete Wangen, während Melkise einen Kelch nach dem anderen hinunterkippte, ohne dass man es ihm irgendwie angemerkt hätte.
Weil bald schon alle vor Trunkenheit nicht mehr würden zuhören können, erhob sich Eshar irgendwann und bat um Ruhe. Er sprach im Namen des Rebellenkommandos: »Dieses Fest habt ihr euch redlich verdient. Ich weiß, dass ihr euch amüsieren wollt, und ich werde euch auch tanzen lassen, so lange euch die Füße noch tragen. Aber zuvor habe ich euch im Namen des Kommandos noch folgende Mitteilung zu machen.« Nach dem ungeheuren Erfolg der Befreiung der Minen habe man beschlossen, sich von der Welle der Begeisterung tragen zu lassen, um gleich den nächsten großen Sieg zu erringen. Dazu sei es jedoch notwendig, landeinwärts Richtung Talaria zu ziehen. »Im Reich des Winters regiert das Chaos. Die Mine, die wir befreit haben, ist nunmehr verlassen. Dort werden wir uns einrichten und von dort die nächsten Schläge führen und das Reich des Winters angreifen. Unser Ziel heißt Galata.«
Die Rebellen applaudierten und pfiffen.
»Die Hauptstadt?«, rief Melkise erstaunt.
Talitha nickte. »Stell dir mal vor, welche Wirkung das auf die Moral der Talariten haben wird, wenn es uns gelingen sollte, eine so wichtige Stadt einzunehmen … Das würde das Gesicht dieses Krieges völlig verändern.«
Saiph, der sich mit vermummtem Gesicht, unerkannt unter den feiernden Rebellen, etwas abseits hielt, trat zu Talitha. »Ich muss mit dir reden«, sagte er.
»Muss das jetzt sein?«, fragte sie genervt.
»Ja, das muss es.«
Sie entfernten sich einige Schritte. »Du hast doch hoffentlich nicht vor, dich auch noch diesem Unternehmen anzuschließen, oder?«, sagte Saiph, als er sicher war, dass niemand ihre Unterhaltung hören würde.
Talitha starrte auf ihre Hände. »So lange wird das nicht dauern. Vielleicht nur ein paar Tage. Ein großer Angriff … Die Wüste läuft uns schon nicht davon. Und Verba auch nicht.«
»Aber die Zeit drängt … Die heftigen Regenfälle treten immer öfter auf, und hier im Norden hat es früher überhaupt nie geregnet.«
»Nur ein paar Tage, Saiph.«
»Um eine ganze Stadt zu erobern? Und wenn ihr sie in Schutt und Asche legt, weißt du, wen ihr damit treffen werdet? Zivilisten. Frauen und Kinder«, erwiderte er aufgebracht.
Talitha biss die Zähne zusammen, und ganz kurz und flüchtig funkelte etwas in ihrem Blick auf: der Anflug eines Zweifels, Angst vielleicht auch, genau das, was Saiph in all den Jahren so an ihr geliebt hatte. Doch dann stieß sie hervor: »Wir sind Rebellen, keine Schlächter! Aber sollte der ein oder andere Zivilist zwischen die Fronten geraten und dabei draufgehen … so ist nun mal der Krieg.«
Saiph erstarrte angesichts ihrer eiskalten Miene. »Nein … das kann nicht dein Ernst sein. Das glaube ich einfach nicht.«
Talitha schnaubte. »Genau das ist dein Problem: Du glaubst nicht. Du glaubst nicht an diese Leute, glaubst nicht an ihren Kampf, aber vor allem glaubst du nicht an mich. Du denkst immer noch, ich wüsste nicht, was ich wirklich will, und dass ich nicht in der Lage bin, eine Entscheidung für mich zu treffen. Aber ich bin reifer geworden, ich habe große Kämpfe ausgetragen, und das hat mich verändert.«
»Ja, das stimmt, du bist anders geworden. Die Talitha, die ich kannte, hätte niemals solche Dinge gesagt. Du willst mir also weismachen, das Töten hätte deinen Charakter verbessert. Das ist doch verrückt. Erinnerst du dich nicht mehr, wie du dich gefühlt hast, als du zum ersten Mal getötet hast, diesen Soldaten damals, zu Beginn unserer Flucht? Doch, bestimmt erinnerst du dich, und im Grunde bist du immer noch dieses Mädchen von damals, so vehement du das auch leugnen magst. Aber du wirst dir nur selbst wehtun, wenn du diesen Teil von dir unterdrückst. Ich weiß es, ich kenne dich so gut. Zehn Jahre bin ich schon an deiner Seite.«
»Vielleicht hat die lange Zeit dennoch nicht gereicht, um mich richtig kennenzulernen. Seit noch nicht einmal einem Monat lebt Melkise an meiner Seite, aber er hat bereits erkannt, wer ich bin und was ich wirklich will.«
Wieder bohrte sich dieser eiskalte Stachel in Saiphs Herz, und diesmal blieb er stecken. »Tut mir leid, dass ich dich nicht mehr verstehe«, sagte er schroff. »Aber wenn wir diese Welt retten wollen, müssen wir Verba suchen. Also, bist du bereit, mit mir zum Namenlosen Ort zu reisen oder nicht?«
Talitha schaute Saiph fest in die Augen: »Erst nach der nächsten Schlacht.«
Saiph antwortete nicht. Aber sein enttäuschter, verbitterter Blick sagte alles.
»Gut, dann ist das ja geklärt«, beendete Talitha das Gespräch. »Wenn du erlaubst, werde ich jetzt mit den anderen den Sieg in der Schlacht feiern, an der du nicht teilgenommen hast.«
Und damit entfernte sie sich, tauchte ein in die Menge, die Musik, den fröhlichen Trubel. Während Saiph ihr nachschaute, wie sie im Wirbel der Tänze verschwand, begriff er, dass er sie verlor.