Der Bauer und das liebe Vieh
Am Rande eines kleinen Dorfes im Süden des Landes lebten einst zwei Bauern, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, auf ihren Höfen dicht beieinander.
Der eine hieß Bauer von Ebershagen.
Den Zusatz „von“ hatte er sich ein paar Jahre zuvor dazu gekauft. Seine Frau hatte darauf bestanden. Es klänge ihrem Stand entsprechend angemessener, hatte sie gefunden. Dass ihr Mann nur ein Bauer war, war ihr von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen, aber wenn er schon einen so niederen Beruf ausübte, so sollte er wenigstens ein angesehener Großbauer werden. Das war ihm mit den Jahren gelungen, und das „von“ war nur der „i-Punkt“ auf ihrer beider „Krone“.
Einen Sohn hatte sie ihm geboren, so wollte es der Anstand. Lieber hätte sie darauf verzichtet: Kinder sind nur laut, machen Dreck und Arbeit, stehlen kostbare Zeit für schönere Dinge, aber das aller schlimmste ist, dass sie einem die Figur ruinieren. Aber der Bauer von Ebershagen hatte darauf bestanden. Sein Hof brauche einen Erben, hatte er ihr zu verstehen gegeben. Wozu sonst hatte er sie geheiratet.
Dass sein Sohn mehr nach seiner Mutter kommen würde, und inzwischen lieber in der Stadt Jura studierte, als beim Ausmisten zu helfen, hatte er ja nicht ahnen können.
Sie hatten sich arrangiert, oft mussten sie sich nicht begegnen in ihrem großen Haus. Er war meist in seinem, einem gigantischen Betonbunker ähnelndem Schweinestall, in dem, wenn sie ein bisschen zusammenrückten, gut 500 Schweine Platz fanden. Ausmisten musste er glücklicherweise nicht mehr, dafür hatte er Angestellte, aber da sich, so zusammengepfercht doch das eine oder andere Tier nicht wohlfühlte, oder gar verletzte, musste er doch täglich nach dem Rechten sehen. Ansonsten hatte er geschäftliche Termine.
So eilte er mit seiner schwarzen Großraum Limousine von Ort zu Ort, um sein Fleisch an den Mann zu bringen. Freilich, so einfach war das nicht mehr, gab es doch mehr Fleisch, als der Mensch essen konnte. So musste es entweder über mehrere Adressen weiterverkauft, oder aber an das Ausland verschachert werden. Manchmal, so wusste er, wurde das Fleisch, gefroren, solange weitergereicht, bis es gar nicht mehr genießbar war. Aber was kümmerte es ihn, Hauptsache er hatte genug daran verdient.
Der andere Bauer wurde Bauer Schultz genannt.
Sein Grundstück war fast ebenso groß wie das von Bauer Ebershagen, nur war seine Grundfarbe nicht grau, sondern grün.
Bauer Schultz besaß ein paar Rinder, die friedlich auf ihrer Wiese grasten, wenn sie nicht in ihrem windschiefen Stall, den Bauer Schultz zusammen mit zweien seiner vier Söhne erbaut hatte, Unterschlupf suchten.
Ein kleines Haus, Reed gedeckt, so wie es im Norden des Landes einst üblich war, stand etwa in der Mitte des Anwesens.
Ein paar Meter weiter befand sich ein kleiner Hühnerstall, der aber meist offen stand, sodass die Hühner kreuz und quer auf dem Hof herumpicken konnten.
Hinter dem Haus erstreckte sich ein weitläufiger Obstgarten, um den sich die Frau Bäuerin Schultz mit besonderer Hingabe kümmerte. Unter den Bäumen grasten ein paar Schafe, die ihrer Aufgabe als natürliche Rasenmäher nachkamen.
Ein Baumhaus gab es im Wäldchen, eine Laube, in der man häufig die zwei Töchter beim Spiel vorfinden konnte, sowie eine große, aus einem dicken Baumstamm geschnitzte Gartenbank, von wo aus man einen wunderschönen Ausblick hatte: auf die Felder, zu dem kleinen Fichtenwäldchen und dem schmalen Flüsschen, das sich durch das Gelände schlängelte.
Auf dieser Bank saßen Bauer Schultz und seine Frau abends oft nach getaner Arbeit. Sie redeten, lachten und hielten sich bei den Händen.
Einmal begegneten sich der Bauer Ebershagen und der Bauer Schultz am Gartenzaun.
Da fragte der Bauer Ebershagen den Bauer Schultz, wozu er nur so lebe, wie er lebe? Er habe ein ebenso großes Anwesen, wie er. Er solle sich nur seine drei prachtvollen Autos ansehen: ein großer schwarzer Mercedes, sein Firmenwagen, ein gelber Ferrari, den sein Sohn sich an den Wochenenden gern auslieh, und ein schnittiger silberfarbener BMW, den nahm seine Frau immer zum Shoppen.
Bauer Schultz dagegen habe nur einen alten Pick-Up.
Ja, aber der sei total praktisch, erwiderte dieser. Vorn säße er mit seiner Frau, und auf die Ladefläche würden sowohl alle sechs Kinder, als auch der Einkauf und zur Not auch eins von seinen zwei Schweinen passen.
Er erwirtschafte genug Geld, um seiner Frau und den Kindern ein angenehmes Zuhause bieten zu können. Alle seien zufrieden, selbst die Tiere. Ja, glaube er denn, so fragte er den Bauer Ebershagen, es gäbe etwas Kostbareres als Ruhe und Zufriedenheit?
Am Abend machte Bauer Ebershagen sich zum ersten Mal seit Langem wieder die Mühe, sich auf seinen modischen Chrom-Schwing-Sessel an den Pool zu setzen und nachzudenken.
Er hatte viel mehr Geld, als sein Nachbar. Es gab nichts, was er nicht besaß. Aber Bauer Schultz hatte recht. Es gab vier Dinge, die es ihm nicht gelungen war, mit Geld zu bekommen: eine Frau, die ihn liebte, einen Erben für seinen Hof, Ruhe und Zufriedenheit.
Er sah auf seinen dicken Bauch herunter. Und die Gesundheit würde er sich ohne diese Dinge sicher auch nicht mehr ewig erhalten können.
Seit diesem Tage sah man den Bauer Ebershagen des Öfteren mit Bauer Schultz auf dessen großer Bank sitzen.