Mit dem Kleinflugzeug hatten Daniel Slatkin und Martin Frazer Mexiko erreicht, wo die gefälschten britische Reisepässe schon bereit lagen. Slatkins Kopf war kahl rasiert, Frazer hatte sich einen blondgefärbten Bürstenhaarschnitt verpasst, was dem Bild auf seinem neuen Reisepass recht nahekam. Die Schwellungen in seinem Gesicht waren abgeklungen.
In Mexico City buchten zwei unauffällig gekleidete Männer getrennt voneinander ein Economy-Ticket für eine Linienmaschine nach Paris. Für EU-Bürger stellte die Einreise nach Frankreich kein Problem dar, für den Weiterflug mit einer kleinen Maschine nach Cork brauchten sie nicht einmal die Zollkontrolle zu passieren. Mit einem Leihwagen konnten sie sich unauffällig entlang der irischen Südküste bewegen, bis sie schließlich Kinsale erreichten.
Unweit des Leuchtturms, der vor hundert Jahren so vielen Schiffbrüchigen den rettenden Weg an die Küste wies, war eine Gedenktafel angebracht, die an die Lusitania-Katastrophe erinnerte.
Martin Frazer bekam eine Gänsehaut. Was würde sein Großvater sagen, wenn er das noch erlebt hätte? Niemand aus der Familie war Leonard so nah gekommen. Wenn die Unterlagen, die der ehemalige US-Präsident Coolidge an Churchill übergeben hatte, stimmten, dann musste Leonard unmittelbar hinter dem Gedenkstein anonym begraben worden sein. Der Pastor von Poulmounty hatte sich geweigert, einem deutschen Agenten ein christliches Begräbnis zuteil werden zu lassen.
»So verscharrt man einen Hund, aber keinen Menschen!«, dachte Martin, als sie sich unauffällig unter die wenigen Touristen mischten, die an diesem regnerischen Frühlingstag den Weg zum Leuchtturm gefunden hatten. Unauffällig warfen sie einen Blick hinter den Gedenkstein. Gepflegter englischer Rasen!
»Was hast Du erwartet?«, fragte Daniel, der Martins Gedanken zu erraten schien. »Was soll man nach hundert Jahren noch erkennen?«
Martin hatte nicht vor, darauf zu antworten.
»Starre nicht dauernd dahin! Das fällt auf!« Daniel hatte den Eindruck, dass die Frau, die gelangweilt im Türrahmen des kleinen Souvenirladens lehnte, zu ihnen herüberschaute.
Martin sah hinauf zur Plattform des Leuchtturmes. Das Leuchtfeuer wurde heutzutage automatisch betrieben, der Andenkenladen hatte nur bis sechs Uhr geöffnet. Hier gab es nichts zu bewachen. Nachts würden sie hier ungestört sein. Zwei Spaten und zwei LED-Stirnleuchten hatten sie in verschiedenen Baumärkten am Stadtrand von Cork bar bezahlt und im Kofferraum des Leihwagens verstaut.
»Was meinst Du, wie tief haben sie ihn begraben?«, fragte Martin.
»Heute Nacht werden wir es wissen«, antwortete Daniel lakonisch. »Besonders tief wird es nicht sein. Der Boden auf dem Felsen ist flachgründig.«
Leonard Boyle lag in fast einem Meter Tiefe! Nach einem kurzen »Verzeihung, Onkel!« hatten Martin und Daniel im kalten Schein der Stirnlampen mit dem Graben begonnen. Vorher hatten sie sorgfältig quadratische Stücke des Rasens ausgestochen und beiseite gelegt. Morgen früh sollte niemand etwas von der nächtlichen Aktion mitbekommen – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Eine Viertelstunde hatten sie für die Grabung veranschlagt, jetzt war schon fast eine Stunde vergangen. Der Erdhügel neben dem Loch wurde höher und höher. Sie waren schon kurz davor aufzugeben, als Daniels Spaten auf einen Knochen stieß.
»Vorsicht!«, raunte Martin.
»Tut nicht weh! Nicht mehr!«, scherzte Daniel, als er mit der Hand einen menschlichen Oberschenkelknochen freilegte. »Leg den Spaten weg. Wir graben mit den Händen weiter.«
Eine halbe Stunde später hatten sie das Skelett freigelegt. Der saure, torfhaltige Boden hatte die Knochen dunkel verfärbt. Gezielt tasteten Daniels Hände den Bereich um den Beckenknochen ab.
»Da haben wir es ja!« Triumphierend hielt er einen kleinen, spitz zulaufenden Glaskolben in die Höhe.
»Das ist Pandora?«, fragte Martin erstaunt und ungläubig zugleich.
»Ja! Und das Glas ist nicht beschädigt.«
»Warum haben sie ihm das bei der Durchsuchung der Taschen nicht abgenommen?« Martin wunderte sich darüber, dass er sich nicht schon viel früher diese Frage gestellt hatte.
»Weil er es nicht in seinen Taschen hatte«, entgegnete Daniel und grinste. »Schau Dir diese Form an. Wo würdest Du Dir das gute Stück reinstecken, wenn Du ganz sicher sein willst, dass es bei Dir nicht gefunden wird? Alter Agententrick!«
»Mein Großonkel war kein Agent!«, empörte sich Martin und warf einen letzten Blick auf die sterblichen Überreste. »Lass uns hier verschwinden. Wir lassen den Inhalt analysieren und haben dann endlich den Beweis, dass unsere Regierung die letzten hundert Jahre gelogen hat. Und dann möchte ich, dass Leonard rehabilitiert und würdig bestattet wird.«
»Martin, ich fürchte, so läuft das nicht!«
Als dieser sich erstaunt zu Daniel umdrehte, sah er gerade noch, wie die scharfe Seitenkante des Spatens auf ihn zuraste. Sein linker Backenknochen und sein Mittelohr schmerzten höllisch, ein Lichtblitz durchfuhr seine Sehnerven und seine Zunge nahm den metallischen Geschmack frischen Blutes wahr, ehe er das Bewusstsein verlor.
Eilig schaufelte Daniel Erde über Martin Frazer, der von nun an mit den Überresten seines Großonkels das anonyme Grab teilte. Mit seinen Füßen verdichtete er die Erde und setzte sorgfältig die ausgestochenen Rasenstücke wieder ein. Das unauffällige Verteilen des überschüssigen Aushubs in der Umgebung kostete Daniel fast eine Stunde. Jetzt fing es an zu regnen. Nur jemand, der morgen früh genauer hinter dem Gedenkschein nachschaute, würde entdecken, dass hier letzte Nacht gegraben worden war.
Neben seinem Wagen entledigte er sich seiner verdreckten und blutverschmierten Kleidung. Für einige Minuten stand er nackt im kalten, strömenden Regen und reinigte den Glaskolben von den letzten Erdresten, bevor er die Ersatzkleidung aus dem Koffer nahm und sich wieder anzog. Seine alten Kleidungsstücke hatte er vorher genau abgezählt. Zu groß war die Gefahr, dass im Dunkeln ein Socken unter dem Auto liegenbleiben würde. Ein Stück nach dem anderen warf er in einen Müllsack, bevor er sich in den Wagen setzte und davonfuhr.
Erst fünfzig Kilometer entfernt hielt er an, übergoss den Müllsack mit Benzin und zündete ihn an. Die Spaten und Stirnlampen flogen in hohem Bogen über eine Klippe. Den Rückflug würde er von Shannon aus in einem Billigflieger nach Deutschland antreten. Tauche niemals an zwei Tagen hintereinander am selben Flughafen auf! Das war seine Devise!
***
'San Francisco Pier 39 morgen zehn Uhr.' Die Schmeißfliege war wie elektrisiert. Seit über einer Woche hatte sie Tag für Tag Punkt zwölf das Handy angeschaltet – immer vergeblich. Während sie heute Mittag den PIN gelangweilt eingegeben hatte, war es für sie eigentlich nur noch eine hoffnungslose Routine gewesen. Die Vibration, die die ankommende Nachricht signalisierte, hatte ihren ganzen Körper in Schwingungen versetzt.
Nun saß sie im Redaktionsbüro und las die Nachricht wieder und immer wieder. Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass dieser Daniel Slatkin sie nach Strich und Faden verarscht hatte. Und jetzt das! In zweiundzwanzig Stunden würde es soweit sein! Die geniale Reporterin Paula Webber zur rechten Zeit am rechten Ort! Wenn er doch nur Genaueres geschrieben hätte! Wo genau sollte sie mit der Kamera draufhalten? Was würde passieren? Eine Explosion? Dann würde sie womöglich selbst ein Opfer des Anschlags! Ein Amokläufer, ein Messerstecher, eine neue Geiselnahme? In Paulas krankem Hirn kreisten die wildesten Fantasien. Egal! Hauptsache sie war dabei!
Hatte Georgina, dieses schwarze Teufelsweib, die Nachricht ebenfalls gelesen? Noch in der zweiten Nacht hatte sie nach einem längeren Telefonat eilig ihre Sachen gepackt, ihre ganze Computerausstattung in ihr Auto verladen und war davongefahren. Endlich war sie diesen ungebetenen Besuch los.
»Ich behalte Dich im Auge!«, hatte sie zum Abschied gesagt.
Ganz bestimmt hatte sie die Nachricht auch gelesen! Auch sie würde morgen am Pier 39 sein, soviel war klar. In den ersten beiden Nächten nach Georginas Besuch hatte sie fast gar nicht geschlafen. Beim leisesten Geräusch schreckte sie auf. Immer wieder stand sie auf und kontrollierte die Verriegelungen der Außentüren. Die Folter, die Demütigungen, alles kam ständig in ihr hoch. Und jetzt, wo sie sich damit abgefunden und geglaubt hatte, das Erlebte aus ihren Albträumen verbannen zu können, war zusammen mit dieser SMS alles wieder gegenwärtig.
»Reiß Dich zusammen, Paula«, zwang sie sich zur Ruhe, »Du arbeitest als Reporterin und nicht als Schuhverkäuferin. Du hast es Dir so ausgesucht!«
Mit dieser Einstellung betrat sie selbstbewusst das Büro ihres Vorgesetzten.
»Jon, ich brauche für morgen ein Kamerateam. Wir fahren gleich morgen früh nach San Francisco.«
»Paula, was gibt es da so Wichtiges? Das können doch unsere Kollegen vor Ort machen.«
Jetzt war das Miststück in der Zwickmühle.
»Ach Jon, weißt Du, Daniel Slatkin hat mir eine SMS geschickt. Er plant morgen dort einen Anschlag!« Das konnte sie ihm unmöglich sagen. »Ich bin hinter einer ganz großen Story her!«, sagte sie stattdessen.
»Das bist Du schon, seit ich Dich kenne«, konterte Jon verdrießlich, »geht es vielleicht etwas genauer? Hat es immer noch mit Five-O-Seven zu tun?«
»Ja, genau Jon. Du kennst mich – jede Faser meines Körpers«, hauchte das verlogene Stück Dreck und rückte ihrem Boss auf die Pelle. »Vertraust Du mir etwa nicht mehr?«
Mit einem tiefen Atemzug inhalierte Jon die penetrante Parfümwolke, die von seiner Mitarbeiterin ausging. Ja, er hatte mir ihr geschlafen und sie hatte sich auf diese Weise die eine oder andere Vergünstigung erschlichen. Aber damit war jetzt Schluss!
»Natürlich vertraue ich Dir. Aber schau mal hier! Das kam heute von unserem Finanz-Controler.« Der hielt ihr ein Blatt Papier hin.
Paula überflog das Schreiben nur flüchtig. Es war die Rechnung von John Edwards, dem Staranwalt aus San Francisco, der für seine Bemühungen höflichst um die Begleichung seiner Unkosten in Höhe von siebentausend-fünfhundert Dollar zuzüglich Steuern bat.
»Dafür, dass ich unter dem alten Sack meine Beine breit gemacht habe, hätte er uns ruhig einen Rabatt gewähren können!«, dachte Paula.
»Unser Budget für diesen Monat ist sowieso schon überschritten«, seufzte Jon.
»Gute Journalistenarbeit hat eben ihren Preis!«
»Paula, es geht nicht!« Jons Tonfall und Körpersprache waren eindeutig. »Five-O-Seven lockt niemanden mehr hinter dem Ofen vor. Unsere Welt ist schnelllebig und vergisst. Das hast Du selbst oft genug betont.«
»Gut«, rief Paula trotzig, »dann nehme ich morgen einen Tag Urlaub. Eine Kamera kann ich auch alleine halten. Die Aufnahmen bekommt der Meistbietende!«
Wütend verließ die Verschmähte das Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Irgendwann würde Jon schon angekrochen kommen. Da war sie sich ganz sicher.
***
Etwa um die gleiche Zeit war Stephen Morris in seinem Dienstwagen in Oakland unterwegs, als sein Telefon klingelte. Er meldete sich über die Freisprechanlage.
»San Francisco Pier 39 morgen zehn Uhr.« Kommentarlos las Georgina ihm die Nachricht vor.
»Wieder ein Touristenziel! Noch belebter als Hearst Castle«, seufzte Stephen.
»Und wir wissen nicht, was er vorhat.«
»Georgina, es hilft nichts, Du musst Dich stellen und aussagen, was Du weißt«, redete er ihr ins Gewissen.
»Nachdem bereits ein Anschlag auf mich verübt wurde«, ergänzte Georgina.
»Am Pier 39 herrscht um die Zeit Hochbetrieb. Touristen schlendern an den Souvenirshops vorbei oder stehen Schlange, um nach Alcatraz zu fahren.«
»Stephen, ich bin nicht blöd! Ich war auch schon am Pier 39!«, entgegnete sie gereizt. »Wenn dort jemand eine Bombe zündet, sterben zig unschuldige Leute und hunderte werden verletzt.«
»Genau! Und deshalb musst Du aussagen, was Du von dieser Paula Webber weißt. Egal, wie Du an diese Informationen herangekommen bist. Da steht Aussage gegen Aussage. Mir glaubt hier niemand, dass noch ein weiterer Anschlag bevorsteht. Slatkin und Frazer haben ihre Ziele nach Five-O-Seven nicht erreicht und sind auf der Flucht. Das ist die offizielle Version. Ich renne hier gegen Betonwände!« Verärgert schlug er mit der flachen Hand gegen das Lenkrad.
»Gut! Ich bin in drei Stunden in der FBI-Zentrale.« Georginas Stimme klang resigniert. »Stelle bitte sicher, dass die Jungs mich nicht gleich am Eingang erschießen.«
Verärgert legte Georgina auf. Irgendwie hatte Stephen ja recht! Aber Kleinbeigeben stand noch nie auf ihrer Agenda. Sich stellen hieß für sie, ihren Handlungsspielraum einengen. Sie befand sich an einer Tankstelle außerhalb von Fresno. Zur Sicherheit hatte sie von einem der wenigen noch existierenden Münzfernsprecher angerufen. Dieser hing an der Seitenwand des Gebäudes zwischen dem Zugang zu den Toiletten und einem Geräteschuppen. Ihr Wagen stand um die Ecke auf einem der ausgewiesenen Parkplätze neben dem Shop. Auf dem Weg dorthin musste sie sich zwischen der Wand und einem geparkten Van hindurchzwängen. Georgina hatte den Van nicht kommen hören, war sich aber sicher, dass der Wagen noch nicht da stand, als sie den Fernsprecher aufsuchte. Sie bekam noch mit, wie die seitliche Schiebetür aufging, bevor ihr ein Sack über den Kopf gestülpt wurde.
Seit drei Stunden war Georgina überfällig. Mittags hatte sie bei Stephen angerufen, um drei Uhr wollte sie in San Francisco sein. Jetzt war es sechs Uhr abends. Sie war seit ihrem Verschwinden zur Fahndung ausgeschrieben und er hatte sie überzeugt, sich zu stellen. Hatte sie es sich anders überlegt? Die Zeit drängte. Morgen Vormittag war am belebten Pier 39 ein Anschlag geplant! An der Echtheit dieser Information zweifelte er keine Sekunde. Aber nur mit Hilfe von Georginas Aussage wäre es möglich, Einsatzkräfte zu mobilisieren und den Pier sperren zu lassen.
»Ethan, ich brauche Deine Hilfe!« Es hatte Stephen Einiges an Überwindung gekostet, diesen Anruf zu tätigen.
»Neues zu Five-O-Seven?«, fragte Ethan.
»Slatkin hat sich bei der Reporterin gemeldet. Dieser Paula Webber. Ich hatte Dir neulich davon erzählt.«
»Ja, ich erinnere mich. Woher weißt Du das?«
»Georgina hat das Handy überwacht.«
»Ha, dachte ich es mir!«
»Slatkin plant morgen früh einen Anschlag am Pier 39. Was genau wissen wir nicht.«
»Okay, wo ist das Problem? Bringt eine Spezialeinheit dort in Stellung und wenn der Bastard auftaucht, dann nehmt Ihr ihn fest – oder knallt ihn gleich ab.«
»Ja, Ethan, Letzteres wäre wohl das Beste!«, lachte Stephen etwas gequält, »das Problem ist nur, dass Georgina hier gegen drei Uhr eintreffen sollte, um eine Aussage zu machen, aber immer noch nicht hier ist. Sie muss aussagen, woher sie diese Informationen hat, ansonsten läuft hier gar nichts. «
»Heißt dies, dass das FBI in San Francisco eine heiße Spur zu Five-O-Seven einfach ignoriert?«
»Genau das heißt es!«, entgegnete Stephen wütend, »ich habe schon bei Direktorin Bolt vorgesprochen. Sie hat mir eine Liste vorgelegt mit Hinweisen bezüglich Slatkin in der Bay Area. Es waren dreihunderteinundvierzig – und das nur in den letzten vierundzwanzig Stunden. Sie braucht konkrete Hinweise. Ferner glaubt sie nicht, dass ein Topterrorist wie Slatkin einer Lokalreporterin eine SMS schickt, bevor er einen Anschlag plant. Sie meint, die will sich nur wichtig machen.«
»Ja, das kommt mir bekannt vor. Director Crain hätte genauso argumentiert, glaub es mir! Soll ich ihn ansprechen?«
»Nein, lass das bitte!« Stephen erinnerte sich, wie eindringlich Georgina ihn vor Director Crain gewarnt hatte. »Ich weiß eigentlich auch nicht, warum ich Dich angerufen habe. Aber ich bin ehrlich gesagt mit der Sache etwas überfordert.«
»Wow, Stephen! Seit wann stehst Du zu Deinen Schwächen! Muss ich mir Sorgen machen? Aber wie es der Zufall will, bin ich nicht in L.A. sondern in Oakland. Ich kann also kurz über die Bay Bridge zu Dir rüberkommen und Händchen halten.«
»Sehr witzig, Einstein!« Stephen war drauf und dran, das Gespräch zu beenden.
Und Ethan schien das zu bemerken. »Schon gut! Lass uns morgen früh den Pier 39 inspizieren – bevor die Läden und Restaurants dort öffnen. Vier Augen sehen mehr als zwei. Und zwei Cops in zivil sind unauffälliger als eine ganze Hundertschaft.«
»Gut, ich werde um halb acht dort sein. Danke Ethan, Du hast etwas gut bei mir.«
»Keine Ursache! Ach übrigens ….«
»Ja?« Stephen Morris wollte gerade das Gespräch beenden.
»…. weiß Georgina mittlerweile, was 'Pandora' ist?«
»Äh nein«, antwortete Stephen, »jedenfalls hat sie heute Mittag nichts davon erwähnt. Wenn sie etwas darüber herausgefunden hätte, sie hätte es mir bestimmt sofort mitgeteilt.«
»Na gut! Sollten wir diesen Slatkin morgen erwischen, werden wir es aus ihm herausquetschen.«
»Worauf Du einen lassen kannst«, flachste Stephen.
***
Das Miststück wollte nichts dem Zufall überlassen. Gleich nach ihrem dramatischen Abgang bei ihrem Boss hatte sie sich ins Auto gesetzt und war nach San Francisco gefahren. Alle Unwägbarkeiten mussten hundertprozentig ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall wollte sie mehr als rechtzeitig am Pier 39 sein. Eine Autopanne oder gar ein Unfall wäre die Katastrophe schlechthin gewesen. Das hätte sie sich nie verziehen!
Sie war bereits auf dem Highway 101 in Richtung Norden unterwegs, als sich über ihre Freisprechanlage ein 'unbekannter Anrufer' ankündigte und sie kurz darauf Daniel Slatkins Stimme vernahm.
»San Francisco, Pier 70. Ich habe eine Überraschung für Dich«
»Pier 70? Ich dachte Pier 39!«
»Komm zu Pier 70 und zwar jetzt!«
»Ich bin schon unterwegs«, trällerte sie aufgeregt in das kleine Mikrophon neben der Sonnenblende, aber da hatte Daniel schon wieder aufgelegt.
Woher hatte er diese Nummer? Er könnte sie über die Redaktion in Erfahrung gebracht haben. Beschattete er sie etwa? Wusste er, dass sie schon unterwegs war? Reflexartig blickte sie in den Rückspiegel. Der Verkehr war dicht, aber er verlief zügig auf drei Spuren. Keiner der Fahrzeuge kam ihr verdächtig vor. Und was für eine Überraschung hatte er sich ausgedacht? Eine aufregende Liebesnacht vor dem geplanten Anschlag? Hoffentlich war dieser komische Martin Frazer nicht dabei! Sie wollte die Nacht alleine mit Daniel verbringen.
Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch, während sie versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren und gleichzeitig die angegebene Adresse in ihr Navi einzugeben. Sie kannte dieses Gefühl. Diese Schmetterlinge, als sie die Katze in den Käfig einschloss, als sie den Unfall auf dem Highway verursachte, als sie den Draht über die Brücke spannte, der für Matthew bestimmt war. Aber diesmal schien es noch stärker zu sein. Diesmal schienen Myriaden von Monarchfaltern in ihrem Bauch ihr Unwesen zu treiben. Diesmal war sie nicht allein. War Daniel Slatkin so etwas wie ihr Seelenverwandter? Das, was sie morgen Vormittag mit ihrer Kamera festhalten würde, sollte der Höhepunkt in ihrer Karriere werden, wenn nicht das absolute Highlight in ihrem Leben schlechthin.
Als sie gegen Abend die angegebene Adresse im Hafengebiet von San Francisco erreichte, glaubte sie, Daniel am Telefon falsch verstanden zu haben. Pier 70 war das krasse Gegenteil von Pier 39. Er hatte sie in ein schmuddeliges und heruntergekommenes Hafengebiet im Süden San Franciscos gelotst. Bald würde es dunkel sein. Sie fuhr im Schritttempo vorbei an alten Fabrik- und Lagerhallen mit eingeworfenen Fensterscheiben und Wänden, die so verdreckt waren, dass man die Graffitis kaum noch erkennen konnte. Selbst Sprayer schienen dieses Gebiet zu meiden. Angst? Mittlerweile hatten die Monarchfalter solche Mengen an Glückshormonen in ihr freigesetzt, dass in ihrem kranken Hirn für andere Gefühlsregungen und Gedanken gar kein Platz mehr war.
»Sie haben Ihren Bestimmungsort erreicht«, ertönte die Stimme aus dem Navi, als der Wagen an einem der vielen Lagerhäuser vorbeifuhr.
»'Bestimmungsort' – genau das ist es«, dachte sie, als sie den Wagen genau vor einer Einfahrt zum Stehen brachte. Das Tor stand einladend offen. Sollte sie aussteigen? Sie verriegelte ihren Wagen von innen und ließ den Wagen in den Innenhof rollen. Im Rückspiegel sah sie, wie das schwere Rolltor hinter ihr geschlossen wurde. Wenn das eine Falle war – jetzt saß sie drin!
Eine Gestalt näherte sich von hinten dem Wagen und erst als diese vor ihrem Seitenfenster in die Hocke ging, erkannte sie Daniel. Wortlos gab er ihr per Handzeichen zu verstehen, dass sie ihren Wagen durch ein weiteres Tor in eine Halle zu fahren hatte. Paula gehorchte.
»Aha, falls ein Polizeihubschrauber über das Gelände fliegt«, dachte sie. »Er denkt an alles.«
Kaum stand der Wagen in der Halle, gab es für Paula kein Halten mehr. Sie riss die Tür auf, fiel Daniel um den Hals und steckte ihre Zunge in seinen halb geöffneten Mund.
»Was stinkt hier so?«, war ihre erste Frage, nachdem Daniel ihr durch eine schiebende Handbewegung zu verstehen gegeben hatte, dass es fürs Erste genug sei.
»Dies war früher eine Abdeckerei. Hier wurden die Kadaver entsorgt, die den Transport im Frachtschiff nicht überlebt hatten. Der Verwesungsgeruch hat sich im Holz und im Verputz eingenistet.«
»Igitt, das ist ja grauenhaft«, stammelte das Miststück.
»Du gewöhnst Dich dran. In zehn Minuten riechst Du das nicht mehr.«
»Aber in meinen Haaren und Kleidern wird sich der Geruch festsetzen«, wollte sie entgegnen, beschränkte sich dann aber doch auf das Wesentliche. »Was ist denn nun mit der Überraschung?«
»Abwarten!«
Irritiert blickte sie sich um. Die verlassene, düstere Halle war schummrig beleuchtet. Hatte Daniel die Hauptsicherung überbrückt? Was man bei diesem Licht sah, war bröckelnder Putz, verrostete Stahlträger und verstaubte Spinnweben. Von der Decke hingen eiserne Haken an Flaschenzügen, in einer Ecke stand eine verstaubte Maschine, deren Funktion sich ihr nicht erschloss. Sie hatte nicht den Eindruck, dass sie sich an den Geruch gewöhnte. Im Gegenteil – er wurde immer penetranter. Hier konnte sie unmöglich die Nacht verbringen! Das war schon äußerst grenzwertig, was man ihr da zumutete!
Jetzt nahm Daniel sie an der Hand und führte sie zu einer Seitentür. Dahinter lag ein stockdunkler Raum. Für einen Moment dachte Paula, er würde sie dort einsperren. Doch anstatt ihr einen Schubs zu geben und die Tür hinter ihr wieder zu verschließen, schaltete er das Licht ein.
Was sie nun sah, ließ sie schlagartig alle Widrigkeiten dieses unwirtlichen Gebäudes vergessen. Von der Decke hing an einem Flaschenzug ein Haken – ähnlich wie die in der großen Halle. Und daran hing ihre Erzfeindin, die sie letzte Woche so brutal gefoltert hatte, mit zusammengebundenen, nach oben gestreckten Armen. Auch ihre Füße waren zusammengebunden. Ihre Zehen berührten gerade noch den Boden. Das Miststück war sprachlos.
»Na, zu viel versprochen?«
Paula gluckste und geriet völlig aus dem Häuschen. In dem engen Raum vollführte sie Luftsprünge und fiel Daniel erneut um den Hals, wie eine Frau, die von ihrem Geliebten gerade ein Paar Tausenddollarschuhe geschenkt bekommen hatte. Sie ging auf Georgina zu.
»Eine Abdeckerei! Das passt zu einer Schmeißfliege wie Dir!« Hasserfüllt und ungeachtet ihrer ausweglosen Situation schleuderte Georgina ihr diese Worte entgegen.
Am liebsten hätte Paula ihr ins Gesicht geschlagen, aber da waren die Arme im Weg. Stattdessen kroch ihre Hand unter Georginas Bluse und strich über ihre schwarze, verschwitzte Haut.
»Na, wie fühlt sich das an, so wehrlos und gefesselt zu sein?« Paulas heisere Stimme überschlug sich und vibrierte vor Aufregung, als sie sich an Daniel wandte: »Ich will sie nackt sehen! Los, lass sie uns ausziehen! Bitte!«
»Das geht nicht. Du siehst doch, dass sie gefesselt ist.«
»Wir können ihr die Klamotten vom Leib schneiden«, schlug das Miststück vor. »Gib mir eine Schere! Ich brauche eine Schere!«
»Lass den Quatsch!«, herrschte Daniel sie an, »wir brauchen sie noch!«
»Dann lass mich wenigstens ein paar Fotos machen!« Diesmal wartete sie Daniels Antwort nicht ab, zückte ihre Digitalkamera und lichtete das gequälte Opfer von allen Seiten ab.
Daniel ließ sie gewähren, auch als sie Georginas Bluse aufriss. Ein wenig nackte Haut – das musste schon sein.
»Wir lassen sie hier hängen und suchen uns ein gemütliches Hotel für die Nacht«, schlug sie vor, nachdem sie mindestens zwanzig Fotos geschossen hatte.
»Du vergisst, dass ich der meistgesuchte Topterrorist Amerikas bin. Es war schon schwierig genug, wieder in die Vereinigten Staaten einzureisen.«
»Du warst im Ausland?«, fragte Paula neugierig.
»Ja«, antwortete Daniel knapp und in einem Tonfall, der signalisierte, dass er nicht vorhatte, darauf genauer einzugehen.
»Was ist das hier?«, fragte sie neugierig und deutete auf eine gusseiserne Klappe, die in der Wand eingelassen war.
»Das ist die Heizung«, grinste Daniel, öffnete die Klappe und betätigte einen daneben angebrachten Hebel.
Augenblicklich zischte Gas aus der geöffneten Leitung und ein Zündfunke ließ eine ganze Batterie von fauchenden Flammen in der Kammer hinter der Klappe entstehen.
»Ein Krematorium?« Das Miststück blickte zu Daniel und danach zu Georgina. »Zuerst quälen wir sie und danach verbrennen wir sie! Ja genau, so machen wir es!«
»Was hast Du an dem Satz 'wir brauchen sie noch' nicht verstanden?«, herrschte er sie an, während er die Gaszufuhr wieder abstellte. »Pass auf, dass Du nicht in dem Ofen landest!«
»Willst Du mich gleich hier nehmen? So wie neulich in der Wüste?« Die Resthitze aus dem Ofen steigerte die Paarungsbereitschaft der Schmeißfliege ins Unermessliche.
»Nachher«, entgegnete Daniel. »Ich muss etwas holen. Wenn ich wiederkomme, will ich, dass unsere Gefangene unversehrt ist. Verstanden?«
Paula grinste. »Ich werde mich zurückhalten!«
Georgina hatte eine böse Vorahnung, als Daniel den Raum verließ. Eigentümlicherweise fühlte sie sich in seiner Gegenwart sicherer als so hilflos mit dieser Wahnsinnigen in einem Raum zu sein. Ihr Gefühl täuschte sie nicht, denn kaum hatte Daniel den Raum verlassen, schweiften Paulas Blicke suchend durch den Raum.
In einer Ecke lag eine verstaubte und verdreckte Plastiktüte. Wie lange lag sie schon da? Was war einmal darin eingepackt gewesen? Georgina wollte es gar nicht wissen. Kurz entschlossen aber vorsichtig mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger hob das Miststück die Tüte auf und stülpte sie Georgina über den Kopf.
»Ersticken kannst Du auch ohne Wasser«, höhnte sie.
Georgina würgte, so ekelig stank die alte Tüte. Paula delektierte sich daran, wie sich in rhythmischen Abständen Georginas Mund und Nase durch das Plastik abzeichneten, während sie verzweifelt versuchte einzuatmen.
»Was habe ich gesagt, Du blöde Kuh!«, schrie Daniel, als er zurückkam. Er hatte sich beeilt, denn er kannte seine psychopathische Freundin nur zu gut.
Eilig riss er Georgina die Tüte vom Kopf und schlug Paula ins Gesicht. Diese flog quer durch den Raum und blieb in der Ecke liegen, während Georgina keuchend nach Luft schnappte. Paula hielt sich die Backe und ihr Knie, das aus einer Schürfwunde blutete.
»Was ist das?« Sie deutete auf das, was Daniel mitgebracht hatte.
»Wonach sieht es denn aus?« Jetzt entfaltete er den Gegenstand, den er in den Händen hielt. Es war eine Weste bestückt mit Sprengsätzen, Kabeln und mehreren Glasröhrchen.
»Wow, Daniel! Wie geil ist das denn?« Das sadistische Stück Dreck stellte sich bereits vor, wie sie am Pier 39 in sicherem Abstand das Teleobjektiv ausrichtete. Ihre Kamera verfügte über eine Highspeed-Kamerafunktion. In Zeitlupe würde sie aufnehmen, wie sich Georginas blutiges Fleisch, ihre zersplitterten Knochen und ihre glitschigen Eingeweide mit einem lauten Knall gleichmäßig über den Pier verteilen und ahnungslose Passanten mit in den Tod reißen würden.
Die Glasscherben und Metallteile würden sich wie Geschosse in die Körper der Umstehenden bohren und diese niederstrecken. Zur falschen Zeit am falschen Ort! Tja, so war das nun mal. Hauptsache sie war ganz zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort! In ihrem kranken Gehirn formte sich bereits der Text, den sie in ihrer Reportage mit gespielt betroffener Miene aufsagen würde, während die Videosequenz in einer Dauerschleife hinter ihr ablaufen würde.
»Los, hilf mir, sie abzuhängen!«, unterbrach Daniel ihre sadistischen Gedankenspielchen. »Sie soll sich schon mal an die Weste gewöhnen.«
»Genau«, jauchzte Paula, »dann können wir ihr die Bluse ausziehen! Sie ist sowieso schon zerrissen.«
»Die Bluse bleibt an!«, entschied Daniel, während er Georginas Hüften umfasste und sie anhob, sodass ihre Handgelenksfesseln sich vom Haken lösten.
»Dann sieht doch jeder gleich die Sprengstoffweste!«, entgegnete Paula.
»Das wird man nicht«, antwortete Daniel ohne weitere Erklärung und befreite Georginas Handgelenke, nur um unverzüglich die eine Hand an einem der Ringe, die an der Wand angeschraubt waren, wieder festzubinden. Als er ihr an der Tankstelle bei Fresno den Sack über den Kopf gestülpt hatte, hatte er gemerkt, wie wehrhaft und durchtrainiert diese hochgewachsene Schwarze war. Nachdem er sie gefesselt und im Laderaum des Vans abgelegt hatte, hatte er wie ein Jäger seine Beute inspiziert und war genüsslich mit seiner Hand über die harten Muskelpartien ihres Körpers gestrichen. Ja, ihm war klar, dass er diese Frau niemals unterschätzen durfte. Sie sollte nicht den Hauch einer Chance auf Gegenwehr haben. Ihren freien Arm führte er durch die entsprechende Öffnung der Weste und fixierte dieses Handgelenk, bevor er das andere löste. Anschließend wurde Georgina auf einem Stuhl aus verschweißten Stahlstreben festgebunden.
»Festgebunden auf einem Stuhl! Na, kommt Dir das bekannt vor?«, höhnte Paula. Georgina spie dem Miststück ins Gesicht, worauf diese endlich zu der Ohrfeige ausholen konnte, die sie ihr schon vorhin verpassen wollte.
Im letzten Moment hielt Daniel sie zurück. »Aufhören!«, schrie er, »sofort aufhören!«
»Dieses schwarze Stück Dreck hat mich angespuckt!«, keifte Paula und wischte sich den Schleim von ihrer großen Nase.
»Entspann Dich!« Mit diesen Worten zog Daniel ein Plastiktütchen mit einem weißen Pulver aus der Hemdtasche.
»Ist es das, was ich glaube?«, frohlockte Paula und fuchtelte aufgeregt mit den Armen.
Wortlos klappte Daniel ein mit einem Scharnier an der Wand befestigtes Brett herunter und lies das Pulver darauf rieseln. Verzückt blickte Paula auf den weißen Streifen und auf den Geldschein, den Daniel gerade zu einem Röhrchen rollte.
»Bitte sehr! Für Dich!«
Mit einem kräftigen Atemzug inhalierte das Miststück das Pulver bis auf das letzte Krümelchen.
»Boah! Guter Stoff! Wo hast Du den her?« Sie spürte bereits, wie das Kokain durch ihre Nasenschleimhäute kroch, um in ihrem Blutkreislauf Achterbahn zu fahren.
»Für Dich nur das Beste!«, schmeichelte Daniel und umfasste Paulas Hüften von hinten.
»Willst Du, dass sie zuschaut?«, hauchte Paula, während sie mit dem Kopf in Richtung Georgina nickte.
»Willst Du es denn?«
»Ja, sie soll vor Neid zerplatzen, bevor sie morgen durch Deine Bombe zerfetzt wird! Sie kann doch nicht vorzeitig explodieren, oder?«
»Keine Sorge, sie wird über ein Handy ferngezündet«, murmelte Daniel ihr ins Ohr, während er ihr Hemd nach oben zog. »Wir werden jetzt aber trotzdem nach nebenan gehen.« Damit führte er sie aus dem Raum, schaltete das Licht aus und ließ Georgina allein zurück.
Die Fesseln schnitten in ihr Fleisch und stauten das Blut in ihren Händen und Füßen. Sobald sie versuchte, die Finger zu bewegen, brannte das Seil wie Feuer auf ihrer Haut. Die eng um ihren Brustkorb verschnürte Weste erlaubte ihr nur flache Atemzüge. Die Hitze und der Gestank waren unerträglich. Sie schwitzte aus allen Poren.
Das war es dann also! Sie war als unfreiwillige Selbstmordattentäterin an einem der belebtesten Orte San Franciscos auserkoren worden. Wie würde es sein, wenn der Zünder ausgelöst wurde? Spürte man noch etwas, wenn die rundum angebrachten Sprengladungen zeitgleich explodierten, glühende Metallsplitter durch Herz, Lunge und Eingeweide zischten, sich mit dem verkohlten Gewebe vermischten und aus der gegenüberliegenden Seite wieder austraten?
In einem Lehrgang, den sie zur Beförderung zum Special Agent besuchen musste, waren Bilder gezeigt worden. Bilder, die kein Nachrichtensender zeigte. Bilder nach Selbstmordanschlägen im Mittleren Osten. Woran erkannte man, dass sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte? Georgina erinnerte sich an das Bild eines Unterleibes, an dem zwei unnatürlich verdrehte Beine hingen. Auf der anderen Seite hatte sich blutiges, mit Scheiße gefülltes Gedärm auf dem Asphalt verteilt. Georgina erinnerte sich an die Bemerkung eines anderen Kursteilnehmers mit besonders schrägem Humor. Ihn erinnerte das an einen umgestürzten Kelch, aus dem Schokoladeneis mit Kirschsoße ausgelaufen war.
Was mit dem Kopf passierte, war nicht vorhersagbar. In einigen Fällen war der Kopf einfach zu Boden gefallen, nachdem sich von einer Sekunde auf die andere unterhalb des Halses nichts mehr befand, das ihn halten konnte. In anderen Fällen war der Kopf wie ein Geschoss davongeflogen. In Jerusalem war der Schädel eines elfjährigen Mädchens nicht von herumfliegenden Splittern durchsiebt, sondern vom Kopf des Attentäters regelrecht eingedrückt worden.
Heute Morgen hatte sich Georgina nach der Dusche nackt im Spiegel betrachtet. Sie hatte an Mike denken müssen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie begonnen, an ihrer weiblichen Attraktivität zu zweifeln und nach Anzeichen eines fortschreitenden Alterungsprozesses zu suchen. Erste Fältchen unter den Augen, Brüste, die leicht nach unten hingen, leichter Speckansatz an den Hüften. Und das alles sollte morgen einfach auf Knopfdruck weggesprengt werden?
In dem Nebenraum, in den sich die beiden zurückgezogen hatten, musste sich ein altes, knarrendes Bettgestell mit einer quietschenden Matratze befinden. Georgina vernahm ein rhythmisches Ächzen untermalt von einer heiseren Frauenstimme, die ihren Besteiger zur Höchstform anstachelte. Das vom Kokain zugedröhnte Miststück schien absichtlich besonders laut zu stöhnen, um sicher zu sein, dass ihre Gefangene alles mitbekam.
***
Seit Five-O-Seven war Austin Harvey ein gefragter Mann und gern gesehener Gast auf Banketten und Dinnerparties in Washington. An diesem Abend musste er sogar eine Rede halten. Sein Thema 'Die Gefahr durch den Islamismus für die innere Sicherheit der Vereinigten Staaten und die Aufgaben der Homeland Security' sorgte für kontroverse Diskussionen, zumal sich Diplomaten aus islamischen Ländern sowie Vertreter muslimischer Verbände unter den Gästen befanden. Daher war er froh, als sein Mobiltelefon klingelte und ihm einen Vorwand verschaffte, sich aus der Debatte auszuklinken.
»Wir wissen jetzt, wo Pandora ist.« ER hatte wie immer seine Stimme verzerrt.
»Ausgezeichnet!« Harvey seufzte erleichtert. »Ich dachte, wir finden das verdammte Zeug nie! Wo ist es? Ich lasse es sicherstellen!«
»Das brauchen Sie nicht. Darum kümmern wir uns. Ihre Aufgabe besteht einzig und allein darin, zu verhindern, dass morgen Vormittag ein bestimmter Ort frei von Einsatzkräften gehalten wird. Keine Homeland Security, kein FBI, kein CIA, nicht mal einen Streifenpolizisten.«
»Kein Problem, wenn ich erfahren dürfte, um welchen Ort es sich handelt.«
»Pier 39 in San Francisco.«
»San Francisco? Ich dachte Slatkin ist irgendwo an der Ostküste. Warum treibt er sich immer noch in Kalifornien herum?«
»Es genügt, dass sie den Ort wissen, Harvey«, krächzte ER. »Wir kümmern uns um den Rest.«
Grußlos beendete ER das Gespräch – wie üblich. Für Harvey war dieser Abend gelaufen. Als ob diese pseudopolitischen Diskussionen mit den notorischen Gutmenschen und selbsternannten Weltverbesserern nicht schon lästig genug waren. Nun hatte ER ihm ein weiteres Mal zu verstehen gegeben, dass er keineswegs eine leitende Position bei Amerikas oberster Sicherheitsbehörde innehatte, wie es den Anschein hatte. In Wahrheit war er nur eine seelenlose, billige Marionette, die unkoordiniert mit den Beinen zappelte, aufgeregt mit den Armen winkte oder stereotyp den Unterkiefer nach unten klappte, je nachdem welchen Faden man zog. Er hatte genug für heute und wählte Barbaras Nummer.
»Ich dachte, Du bist heute Abend ausgebucht!«, meldete sie sich mit einer Stimme, die freudige Erwartung ausdrückte.
»Ich muss Dich sehen!« Das klang schon mehr nach Sucht als nach unbändigem Verlangen.
»Lust auf Haue?«, fragte Barbara schnippisch.
»Nein, heute wäre es mir lieber, wenn Du die Rolle der Untergebenen übernehmen könntest.«
»Na gut – aber sei nicht zu streng mit mir.«
***
Special Agent Stephen Morris war zutiefst beunruhigt. Nicht nur, dass seine Kollegin Georgina nun schon seit mehr als zwölf Stunden überfällig war, es war ihm sogar ausdrücklich untersagt worden, sich an Pier 39 aufzuhalten. 'Dienstanweisung von ganz oben', hieß es lapidar, als er morgens um halb sieben Direktorin Alissa Bolt bei der Morgentoilette gestört hatte, um in letzter Minute doch noch dringend um Verstärkung für einen Einsatz an Pier 39 zu bitten.
Das konnte nicht wahr sein! Er hatte konkrete Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag und alle blockten ab. So allmählich verstand Morris all jene Verschwörungstheoretiker, die nicht müde wurden zu behaupten, dass Schlampigkeit der Behörden – wenn nicht gar böse Absicht – die Anschläge des elften September erst ermöglicht hätten.
Jeder dienstbeflissene Special Agent wäre dem Tagesbefehl gefolgt und hätte sich von Pier 39 ferngehalten. Nicht so Stephen Morris. Das Verbot bestärkte ihn geradezu, nun erst recht diesen Ort aufzusuchen. So früh am morgen war der Pier noch verwaist und jeder, der hier wie zufällig entlang schlenderte, musste auffallen. Er zog es daher vor, sich auf der oberen Etage des auf der anderen Straßenseite gelegenen Parkhauses mit einem Feldstecher auf die Lauer zu legen.
Die ersten Ladenbesitzer betraten ihre Geschäfte, um Vorbereitungen für den bevorstehenden Tag zu treffen. Ein Mitarbeiter der Stadtreinigung leerte die Abfalleimer und nahm mit einer Zange achtlos weggeworfenen Abfall auf. Die Sonne stand über dem Osten der Bay und es versprach ein herrlicher Frühsommertag zu werden. Eine Handvoll Touristen waren bereits auf den Beinen. Es mussten jene sein, die erst gestern von der Ostküste oder aus Europa eingereist waren und mit dem Jetlag zu kämpfen hatten. Einige machten Fotos von den Seelöwen, andere schossen Selfies mit Alcatraz im Hintergrund.
»Allesamt arglose, unschuldige Leute«, dachte Stephen.
Immer noch hielt er nach Georgina Ausschau. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass auch sie weit vor dem kritischen Zeitpunkt vor Ort sein würde. Dass sie es nicht war, konnte nur eines bedeuten: sie war verhaftet worden oder ihr war etwas zugestoßen. Er hatte nur einen Anhaltspunkt und das war Paula Webber. Slatkin war im Begriff, sie für seine Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Was war schon ein Anschlag, von dem nur Bilder von Tod und Verwüstung existierten? Ein Video während es passierte – das war das, wonach die digitalen Voyeure heutzutage gierten. Und es musste High Definition sein, kein verwackeltes, unterbelichtetes Video aufgenommen mit einem Smartphone oder ein ruckeliges, verpixeltes Filmchen aus einer Überwachungskamera!
Einer der Touristen, der gerade am äußeren Ende des Piers ein Selfie geschossen hatte, schlenderte nun durch die Einkaufspassage und blickte interessiert auf die Auslagen in den Schaufenstern. Jeans, ausgeleiertes T-Shirt, Sportschuhe, Cap – Stephen erkannte Ethan kaum wieder. Nur die Sonnenbrille so früh am Morgen war vielleicht einen Tick zu auffällig.
»Hi Einstein, ich sehe Dich!«, begrüßte Stephen seinen ehemaligen Kollegen, nachdem er über den Feldstecher beobachtet hatte, wie er sein Smartphone zückte und den Anruf entgegennahm.
»Wo bist Du?«
»Das verrate ich Dir, wenn Du versprichst, keine auffällige Kopfbewegung zu machen.«
»Ich bin kein Anfänger, Stephen!«
Fünf Minuten, nachdem Stephen ihm seinen Standort verraten hatte, stand Ethan neben ihm.
»Hast Du auch mitbekommen, dass Pier 39 zur No-Go-Area für alle Einsatzkräfte erklärt wurde?«
»Nein. Aber warum bist Du dann hier?«, wollte Ethan wissen.
»Aus dem gleichen Grund wie Du. Weil ich jetzt erst recht wissen will warum«, antwortete Stephen lapidar.
»Stephen, heißt das, dass Du Dich mal wieder nicht an die Vorschriften hältst?«
»Siehst Du die Frau da unten vor dem Zeitschriftenkiosk?« Morris hielt Crawford den Feldstecher hin.
»Ja, wer soll das sein?«
»Das ist Paula Webber, unsere kleine Starreporterin.«
»Das also ist das verfluchte Miststück«, murmelte Ethan. Bisher kannte er dieses Subjekt nur von Fotos und aus dem Fernsehen. »Sie scheint alleine zu sein.«
»Oder das Kamerateam kommt später.«
»Dann würde sie kaum ihre Digitalkamera auf einem Stativ aufstellen.«
»Das könnte bedeuten, dass der Anschlag unmittelbar bevorsteht.«
»Dazu sind noch zu wenig Leute hier. Die meisten Geschäfte machen erst um neun Uhr auf.«
»Die meisten! Aber die Ticketschalter für die Überfahrt nach Alcatraz öffnen gleich. Dort bilden sich schon die ersten Warteschlangen. Am liebsten würde ich die Schlampe sofort festnehmen«, raunte Stephen.
»Dann war alles umsonst.«
»Das weiß ich auch!« Morris war gereizt. Belehrungen und Besserwisserei waren das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. »Aber hier oben bleibe ich nicht. Wir sollten vor Ort sein, wenn es los geht.«
»Genau! Aber wir laufen nicht nebeneinander her.« Der ehemalige Musterschüler war drauf und dran, Stephen gehörig auf die Nerven zu gehen.
Auf dem Gelände von Pier 39 angekommen, teilten Ethan und Stephen sich auf. Da Paula Stephen kannte, mied er den Bereich um den Kiosk, wo das Miststück mit ihrer Kamera Position bezogen hatte und auf irgendetwas zu warten schien. Ethan hingegen näherte sich wie zufällig der Kamera und versuchte herauszufinden, worauf genau sie gerichtet war. Der Telezoom war voll ausgefahren.
Minus fünf Minuten! Gleich war es so weit! Das Miststück musste husten. Husten im Sommer! Das fehlte ihr noch! Sie bekam doch nicht etwa genau jetzt eine Erkältung? Oder eine Sommergrippe? Egal! Sie würde Medikamente schlucken – nachher, nach dem großen Knall. Bevor die Nachrichtensender aller Welt auf Knien vor ihr kriechen würden, um ihr Bildmaterial senden zu dürfen. Eigentlich war es vorteilhaft, dass Jon ihr das Kamerateam verweigert hatte. So war sie nicht als Reporterin von Channel Six vor Ort, sondern quasi als Privatperson. Damit hatte sie allein alle Rechte an den Bildern. Sie hustete erneut und spuckte etwas von dem gelbweißen Schleim auf ihr Taschentuch.
Ein Tourist mit Kappe und Sonnenbrille, der gerade an ihr vorbeilief, schien sie nicht zu beachten. Stattdessen warf er einen kurzen, aber neugierigen Blick auf ihre Spiegelreflexkamera. Für einen Moment hatte sie Angst, der Mann könnte das Stativ mit der teuren Kamera schnappen und davonrennen. Aber er ging weiter. Jetzt öffnete der Andenkenladen schräg gegenüber seine Pforten und der Tourist war heute der erste Kunde.
»Ms. Webber!«
Paula drehte sich um und erblickte eine Frau mit auffallend kurzen Haaren. Sie kam ihr bekannt vor. Aber bevor sie darüber nachdenken konnte, woher sie sie kannte, bemerkte sie die Pistole in der rechten Hand der Frau.
»Das ist für meinen Mann und meine Tochter!«
Danach dröhnte ein Knall in Paulas Ohren und ein stechender Schmerz schien einen der rechten Rippenbögen zu zerbersten. Sie verlor die Kontrolle über ihre Beine und stolperte nach hinten. Obwohl sie mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt aufschlug, blieb sie bei Bewusstsein. Die Frau zielte ein zweites Mal – diesmal auf ihren Kopf. Jetzt erkannte das Miststück die Frau: Annie Patterson!
»Du blöde Kuh! Du versaust mir gerade die Reportage meines Lebens!«, wollte sie der Angreiferin ins Gesicht schleudern, als zwei Männer Annie von hinten packten und zu Boden warfen. Einer der Männer war der Tourist, der gerade an ihr vorbeigelaufen war.
Aufgeschreckt durch den Schuss stoben die Menschen hysterisch auseinander. Nur Ethan Crawford hatte sich reflexartig umgedreht und war zur Attentäterin geeilt. Stephen hatte auf seinem Rundgang Annie Patterson erkannt. Als er sah, wie sie gezielt auf Paula Webber zuging, ahnte er, was passieren würde und war ihr nachgeeilt.
Nun klickten hinter Annie Pattersons Rücken die Handschellen. An den Tagesbefehl, den Pier 39 heute Vormittag zu meiden, schienen sich nun auch die Kollegen vom SFPD nicht mehr zu halten. Zwei heulende Streifenwagen kamen mit quietschenden Reifen am Westeingang des Piers zum Stehen. Morris hielt den vier herbeieilenden Cops seine Dienstmarke entgegen. Gerade wollte er damit beginnen, den Polizisten Instruktionen zu geben, als er sah, wie Ethan auf den Kiosk deutete.
»Stephen! Achtung!«
Eine Werbefläche, die einen Teil der Wand des kleinen Verschlages bildete, hatte sich wie ferngesteuert zur Seite geschoben. Dahinter war ein kleiner Hohlraum, aus dem eine Frau ins Freie trat. Sie trug ein langes Gewand und ihr Kopf und ihre Schultern waren mit einem Hijab verhüllt. Dennoch sah Stephen genug von ihrem Gesicht, um sie zu erkennen – Georgina!
»Nicht schießen!«, schrie er in Richtung der Cops, die bereits ihre Dienstwaffen auf Georgina gerichtet hatten.
Georgina schien nach einem längeren Aufenthalt in dem dunklen Versteck von der Sonne geblendet zu sein. Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren, blickte aber in die Richtung, aus der sie Stephens vertraute Stimme vernommen hatte.
»Stephen, erinnere Dich, wie ich am Hearst Castle einen 'Silent Spring' vorgeschlagen habe! Alle Mobilfunkverbindungen müssen gekappt werden! Schnell!«, rief sie ihm zu.
Ohne zu zögern, griff Morris zu seinem Handy, wählte eine eingespeicherte Nummer und brüllte: »Special Agent Stephen Morris, Authorisierungscode Gamma Nordpol Alpha Neun Eins Drei, ich brauche einen Silent Spring am Standort dieses Telefons!«
Nachdem er die Bestätigung abgewartet hatte, versuchte er Georgina zu beruhigen. »Gleich haben wir es!«
Abwechselnd schaute er zu seiner Kollegin und auf das Display seines Smartphones. Was Georgina unter dem Gewand trug, konnte er nur erahnen. So hatte er seine Kollegin noch nie gesehen. Die blanke Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Noch zeigte sein Display einen Netzempfang an. Verflucht, wie lange dauerte das!
»Stephen, hau ab! Mach, dass Du hier wegkommst!« Mit langsamen Schritten kam Georgina auf ihn zu.
Die vier Cops hatten die Gefahr erkannt und waren dabei, in sicherem Abstand ein Absperrband zu ziehen. Dahinter sammelten sich die ersten Schaulustigen. Ethan hatte sich neben den beiden Frauen auf den Boden geworfen.
»Ich verlange, hier weggebracht zu werden!«, kreischte das Miststück, die zwischen Crawford und Annie Patterson lag und erkannte, wie Georgina immer näher kam. So schlimm schien die Schussverletzung demnach nicht zu sein.
»Was wollten Sie hier!«, schrie Morris. »Wollten Sie Sensationsfotos machen, wie eine Frau in Stücke gerissen wird?«
»Sie steckt mit Slatkin unter einer Decke!«, rief Georgina mit gehetzter Stimme. Alles, was sie wusste, wollte sie in die Welt hinausschreien, bevor der Zünder aktiviert wurde. »Er versteckt sich in der alten Abdeckerei am Pier 70. Sie haben mich heute Nacht hierher gebracht.«
Stephen nahm das zur Kenntnis, während er immer noch auf sein Display starrte. Immer noch Empfang! So wie er Slatkin einschätzte, hatte er nicht nur dieses Versteck im Kiosk präpariert, sondern hatte über eine Kamera die Szenerie auf seinem Bildschirm. Dann wusste er, dass Paula angeschossen worden war und daher aus den Sensationsfotos nichts wurde. Was sollte ihn also davon abhalten, die Sprengstoffweste sofort zu zünden?
Er blickte wieder zu Georgina. Sie hatte Tränen in den Augen, zitterte am ganzen Körper und schüttelte langsam den Kopf. Wie niederschmetternd! Nur Paulas fortwährendes Husten durchbrach die Stille.
»Stephen, ich bin eingepackt in Sprengstoff«, fuhr Georgina fort. »Aber das ist noch nicht alles. An der Weste hängen Glasbehälter mit einem weißen Pulver. Ich habe das noch nie gesehen, aber ich glaube, es ist ein biologischer Kampfstoff!«
Stephen blickte sie entsetzt an.
»Ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich hat das Miststück etwas davon zusammen mit Koks inhaliert. Slatkin hat es ihr gegeben!«
»Ist das Pandora?«, fragte Stephen ungläubig.
Georgina nickte langsam und bedächtig. Ihre Lippen bebten. Sie drohte zu kollabieren.
Als Stephen ein Handysignal vernahm, dass er noch nie gehört hatte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Woher kam das Signal? War das der Zünder? Wurde seine Kollegin in dieser Millisekunde vor seinen Augen in Stücke gerissen? Er blickte auf sein Handy - 'Kein Empfang!'
»Los, Ethan, hilf mir!«, schrie Stephen, während er auf Georgina losstürmte.
Für Georgina war dies das Signal, dass die Mobilfunknetze nun abgeschaltet waren. Sie streifte sich den verhassten Hijab vom Kopf und zerriss das schwarze Gewand. Nun war der Sprengstoffgürtel für jedermann sichtbar. Hinter der Absperrung ertönten Entsetzensschreie. An der Front der Weste war ein Mobiltelefon älterer Bauart befestigt.
»Wir müssen den Akku herausnehmen!«, rief Ethan.
»Geht die Bombe dann nicht hoch?«, fragte Stephen besorgt.
»Nicht, wenn wir die Drähte dort lassen, wo sie sind. Du darfst das Handy nur leicht zur Seite drehen.«
»Na großartig!«, kommentierte Stephen diesen Ratschlag. Erst neulich hätte er um ein Haar sein eigenes Smartphone geschnetzelt, als er versucht hatte, die hintere Abdeckung zu entfernen und erst unter Zuhilfenahme eines Küchenmessers erfolgreich gewesen war. Bei diesem Handy ließ sich der Deckel überraschend leicht nach hinten wegschieben.
Georgina hatte sich niedergekniet. »Ihr sollt verschwinden, habe ich gesagt! Ihr werdet das verfluchte Ding nicht entschärft bekommen! In viereinhalb Minuten ist das Handynetz wieder aktiv.«
»Das reicht! Aber wir können nicht auf das Bombenräumkommando warten«, meinte Ethan und wandte sich an die Cops an der Absperrung. »Ich brauche eine Brechschere! Und zwar sofort!«
Einer der Polizisten reagierte sofort, öffnete den Kofferraum seines Einsatzwagens und holte das geforderte Gerät, das zur Standardausrüstung jedes Streifenwagens gehörte.
»Wir schneiden die Weste am Rücken auf, dann kann Georgina sie abstreifen«, schlug Ethan vor.
»Sind dort keine Drähte?« Stephen schien nicht so ganz von der Vorgehensweise überzeugt zu sein.
»Jedenfalls nicht sichtbar. Und falls doch, dann merken wir es zuerst.«
Georgina zuckte jedes Mal zusammen, als sich die Schere durch eines der sieben Bänder fraß, die die Weste am Rücken zusammenhielt.
»Stephen, nimm die Glaskapseln ab und leg sie vorsichtig ab!« Ethan deutete auf die fünf länglichen Glasröhrchen, die in elastischen Laschen direkt neben den Sprengsätzen angebracht waren.
»Wieso?«
»Tu es einfach!«, herrschte Ethan ihn an.
Georgina atmete erleichtert auf, als sie spürte, wie die Weste von ihren Schultern rutschte, nachdem das letzte Band durchschnitten worden war. Sie erhob sich und sank in Stephens Arme. Bei Ethan konnte sie sich vorerst nicht bedanken, denn dieser war aufgesprungen, rannte mit der Weste zum Rand des Piers und warf sie ins Wasser. Georgina löste sich wieder aus Stephens Umarmung und ging wutentbrannt auf das immer noch am Boden liegende Miststück zu.
»Hoffentlich tut es höllisch weh!« Sie versetzte ihr einen Tritt gegen die Seite genau an der Stelle, an der die Kugel eingetreten war.
»Ma'am, unterlassen Sie das!«, trat ihr der Cop, der die Brechschere gebracht hatte, entgegen.
»Sie gehört zu uns!«, mischte sich Stephen ein, »sie ist meine Kollegin. Ich brauche Ihren Streifenwagen!«
»Ihr Feds habt Eure eigenen Wagen!«, konterte der Cop.
»Officer Henderson«, Stephen schielte auf sein Namensschild, »dies ist ein Notfall und ich brauche einen Wagen und zwar jetzt!«
»Was hast Du vor?«, fragte Ethan, der zur Gruppe zurückgekehrt war.
»Das Miststück wird uns zu Slatkin führen«, sagte Morris bestimmt. »Wir drei nehmen sie mit.«
Eilig sammelte Ethan die Glasröhrchen, die immer noch am Boden lagen, ein, und wickelte sie in das Gewand, das sich Georgina vom Leib gerissen hatte.
»Transportiert man so Kampfmittel?«, fragte Stephen.
»Bessere Idee?«
Inzwischen hatte Georgina das Kopftuch aufgehoben und wickelte es um Paulas Mund, sodass sie nur durch die Nase atmen konnte.
»Was soll das?«, fragte Ethan.
»Den Husten hatte sie gestern noch nicht. Wenn es das ist, was ich glaube, will ich nicht damit angesteckt werden.« Sie stellte Paula auf die Beine, die ihr Gesicht vor Schmerzen verzerrte.
»Diese Frau gehört in ein Krankenhaus!«, insistierte erneut Officer Henderson.
»Diese Frau gehört in die Gaskammer!«, schrie Morris. »Wir nehmen sie jetzt mit. Sie kümmern sich um die andere Frau.« Dabei deutete er auf Annie Patterson, die zitternd und heulend mit hinter dem Rücken fixierten Händen am Boden auf der Seite lag. »Sie ist zwar verhaftet, aber gehen Sie behutsam mit ihr um. Sie hat nur getan, was getan werden musste.«
Henderson kratzte sich unter der Mütze am Kopf. Er verstand überhaupt nichts mehr.
»Und sagen Sie dem Bombenräumkommando, sie sollen die Weste aus dem Hafenbecken fischen!«, ergänzte Ethan.
Mit diesen Worten schleiften Georgina und Stephen das Miststück zum Streifenwagen. Ethan folgte ihnen. Stephen setzte sich ans Steuer, Ethan nahm auf dem Beifahrersitz Platz, die beiden Frauen saßen auf der Rückbank. Ohne Rücksicht auf Verluste bahnte sich der Wagen eine Gasse durch die Menge der Schaulustigen.
»Ich bin angeschossen … worden!«, hüstelte Paula, »Sie haben kein Recht, mich … zu verschleppen. Ich will meinen Anwalt … sprechen!« Das Reden fiel ihr zunehmend schwerer.
Keiner der anderen Insassen ging auch nur mit einem Wort auf die wimmernde Schmeißfliege ein. Mit eingeschaltetem Rot-Blau-Licht dauerte die Fahrt zum Pier 70 keine fünf Minuten.
»Hier!« Georgina deutete auf die offene Toreinfahrt.
Der Streifenwagen ging rasant in die Kurve und hielt mit quietschenden Reifen vor der Halle. Hatte die Ratte ihr Versteck bereits verlassen?
»Georgina, bleib mit ihr im Wagen!« Stephen Morris übernahm die Initiative, zog seine Waffe aus dem Holster und gab Ethan ein Zeichen, ihm durch das Tor in die Abdeckerei zu folgen.
»Ich kenne mich in dem Gebäude aus«, entgegnete Georgina, »und ferner habe ich keine Lust, mich bei diesem Stück Scheiße anzustecken!«
»Gut! Wir sichern den Eingangsbereich und dann kommst Du mit ihr hinterher.« Irgendwo hatte Georgina ja recht. Morris musste das einsehen.
Die Tür des Nebeneinganges war nur angelehnt. Mit dem rechten Fuß stieß Morris dagegen, bevor er mit der Waffe im Anschlag hinter dem Türrahmen in Deckung ging. Ethan tat es ihm gleich. Wie in alten Zeiten auf dem Trainingsgelände der Akademie! Aber das war keine Übung. Hier ging es um Leben und Tod. Das alte Gebäude war dunkel, verwinkelt und unübersichtlich. Ein unerträglicher Verwesungsgeruch waberte ihnen entgegen.
Für den Bruchteil einer Sekunde wagte sich Stephen aus der Deckung, um einen kurzen Blick in das Innere des Gebäudes zu werfen. Hinter der Tür lag die Halle, in der seit gestern Abend Paulas Wagen stand. Die verdreckten, mit Spinnweben überzogenen Oberlichter beleuchteten die Halle nur unzureichend. Hinter dem Wagen, in den an die Halle angrenzenden Räumen sowie auf einer Empore unter dem Dachgebälk – überall konnte Daniel Slatkin sie ins Visier nehmen und wie die Hasen abknallen.
»Wir sollten Verstärkung holen«, schlug Stephen vor. Auch wenn er als Draufgänger galt, wollte er dennoch nicht auf die nötige Eigensicherung verzichten. Und dies schien ihm angesichts der unübersichtlichen Gegebenheiten mehr als angebracht.
»Warte noch!«, meinte Ethan.
»Worauf?«
Noch bevor Ethan antworten konnte, bemerkten die Männer, wie der Streifenwagen, mit dem sie gekommen waren, langsam durch die Toreinfahrt rollte. Am Steuer saß Georgina.
»Sorry, Jungs, aber das dauert mir zu lange. Keine Sekunde bleibe ich mit dieser Schleimschleuder in einem Wagen sitzen.«
Ethan öffnete die hintere Seitentür. In der Tat hatte sich Paulas Zustand in den wenigen Minuten seit ihrer Ankunft weiter verschlechtert. Obwohl sie gefesselt war, hatte sie es geschafft, den Hijab von ihrem Kopf abzuschütteln. Aus ihrem Mund quoll blutiger, schleimiger Schaum, den sie bei jedem Hustenanfall im Wageninneren versprühte.
»Helfen … Sie mir! Ich … glaube, ich … sterbe!«
»Das glaube ich auch«, sagte Ethan, hielt ihr seine Pistole an die Schläfe und drückte ab. Mehrfach reflektiere das alte Gemäuer den Schuss, bis er schließlich verhallte.
Stephen war nicht der Typ, den etwas so schnell aus der Fassung brachte. Aber diese Aktion seinen ehemaligen Kumpels von der Polizeiakademie kam für ihn so überraschend, dass er ihn nur noch mit offenem Mund anstarren konnte.
Georgina ging es nicht anders. Klar, dass sie einen Hass auf das Miststück hatte, wenn sie an die vergangene Nacht und den heutigen Vormittag dachte. Aber das war schon heftig! So streckte man mit einem Bolzenschussgerät ein Stück Vieh nieder.
»Was?«, durchbrach Ethan die Stille, die durch das abrupte Aussetzen des Hustens und das Verhallen des Schusses entstanden war.
»Du hast sie einfach erschossen!« Fassungslos deutete Georgina auf den zerborstenen, blutigen Klumpen, der einmal Paulas Schädel war.
»Ich habe sie erlöst. Ihr war sowieso nicht mehr zu helfen. In fünf Minuten wäre sie so oder so gestorben.«
»Woher willst Du das wissen?«
»Du hast selbst erzählt, dass sie sich das Zeug zusammen mit Koks reingezogen hat. Weißt Du das nicht mehr?«
»'Wahrscheinlich' habe ich gesagt«, entrüstete sich Georgina. »Ich stand zwar enorm unter Stress – wegen des Sprengstoffgürtels – aber ich weiß noch genau, was ich gesagt habe.«
»Anstatt hier zu diskutieren, sollten wir sie so schnell wie möglich verbrennen«, schlug Ethan vor. »Sie ist hoch infektiös!«
»Beweise willst Du vernichten, so wie Crain, Dein Boss!«, brüllte Georgina.
»Ich gehe mal davon aus«, antwortete Ethan in ruhigem, abgebrühtem Ton, »dass die internen Ermittler in San Francisco genauso arbeiten wie in Los Angeles. Richtig? Willst Du denen erklären, woher Du von dem bevorstehenden Anschlag an Pier 39 erfahren hast? Wie Du ohne Durchsuchungsbeschluss in ihr Haus eingedrungen bist und welche Verhörmethoden Du an ihr ausprobiert hast? Willst Du das?«
»Und wie erklären wir dann die Sauerei hier im Streifenwagen?«, mischte sich Stephen ein.
»Lass das meine Sorge sein«, wiegelte Ethan ab. »Jede Abdeckerei verfügt über einen Verbrennungsofen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der noch funktioniert«, sagte Stephen.
»Als Du heute Nacht hier gefangen warst, hattet ihr da Licht?«
»Ja. Irgendwie muss es Slatkin geschafft haben, den Strom einzuschalten.«
»Dann bekommen wir auch Gas.« Da war Ethan sich sicher. »Die meisten alten Betriebsgebäude im Hafengebiet wurden von der Stadt betrieben. Es gibt nur einen Haupthahn an der Gasleitung und den müssen wir finden.«
»In dem Raum, wo ich gefangen gehalten wurde, war ein solcher Hebel«, erinnerte sich Georgina, während sie im Handschuhfach des Streifenwagens nach einer Dienstpistole suchte und fündig wurde. »Und daneben war die Klappe zur Verbrennungskammer. Slatkin hat sie diesem Miststück sogar vorgeführt.«
»Pass auf, dass Du nicht in dem Ofen landest!« Jetzt erinnerte sie sich wieder an die Drohung, die Slatkin Paula gegenüber ausgestoßen hatte.
Ethan und Georgina sicherten mit ihren Waffen die Halle, während Stephen sich zu dem Raum vorarbeitete, den sie ihm beschrieben hatte. Ihre Vermutung bestätigte sich. Slatkin hatte bereits das Weite gesucht.
»Georgina, wie hast Du es nur in diesem Gestank ausgehalten?«, fragte Stephen, nachdem sie endlich den Vorraum des Verbrennungsofens erreicht hatten.
»Dumme Frage! Hatte ich eine Wahl?«
Sie gingen zurück zum Streifenwagen, holten einen Leichensack, der ebenfalls zur Standardausrüstung gehörte, aus dem Kofferraum und verpackten Paulas sterbliche Überreste darin. Stephen schulterte den unförmigen Sack.
»Moment!«, sagte Georgina, als sie erneut den Vorraum erreicht hatten. Sie hob die alte Plastiktüte auf, unter der sie am letzten Abend fast erstickt wäre, und stülpte sie über das Kopfende des Leichensackes.
»Was soll das denn?«, fragte Ethan.
»Paula weiß es. Das reicht.«
Ohne eine weitere Ansprache wurde die verhinderte Starreporterin Paula Webber wie ein verendetes Stück Vieh, aus dem man nicht einmal mehr Tierfutter herstellen konnte, den Flammen übergeben. Der beißende Geruch, hervorgerufen durch den verbrennenden Leichensack wurde abgelöst vom Gestank verkohlten Fleisches und versengter Haare. Stephen schloss die Klappe erst, als nicht mehr zu erkennen war, dass hier ein Mensch eingeäschert worden war.
»Ethan, ich habe mich noch gar nicht bei Dir bedankt«, brach Georgina das Schweigen.
»Kein Thema!«, grinste Ethan, »wir haben der Menschheit einen Gefallen getan.«
»Das meine ich nicht. Du hast die Weste von mir losgeschnitten. Ohne Dich hätten mich die Tatortreiniger am Pier 39 wegwischen können.«
»Na, das wäre doch schade gewesen!« Ethan musterte sie von oben bis unten.
Zum ersten Mal an diesem Tag begann sich Georgina etwas zu entspannen, setzte ein Lächeln auf und gab Ethan einen Kuss.
»Ich möchte Euch diesen romantischen Moment nicht vermiesen«, meinte Stephen, »aber wenn wir schon dabei sind, lästige Kreaturen zu verbrennen, dann sollten wir mit dem Kampfstoff weitermachen. Du hast die Gläser immer noch in Deiner Jackentasche.«
»Das sind Beweismittel«, entgegnete Ethan, dem es sichtlich schwer fiel, seine Lippen von Georgina zu lösen.
»Beweismittel für was?«, fragte Stephen.
»Was für eine Frage, Stephen! Noch ist Daniel Slatkin flüchtig. Wir haben zwar genug Beweise gegen ihn in der Hand, aber wenn jetzt noch der Angriff mit einer biologischen Waffe hinzukommt, dann ist ihm ein Platz in der Todeszelle sicher. Aber dazu müssen wir analysieren, um welchen Stoff es sich handelt.«
»Ich glaube, Du weißt genau, um was es sich handelt.«
Georgina schaute ihren Kollegen verwundert an. Erst jetzt bemerkte sie, dass Stephen seine Pistole gezückt und auf Ethan gerichtet hatte.
»Gestern Abend habe ich Dich angerufen und Dir gesagt, dass Georgina nicht wie verabredet in der FBI-Zentrale erschienen ist. Weißt Du noch, was Du am Ende des Telefonats gefragt hast?«
»Natürlich erinnere ich mich«, antwortete Ethan selbstbewusst und ohne einen Anflug von Irritation. »Ich habe Dich gefragt, ob Georgina herausbekommen hat, was es mit 'Pandora' auf sich hat.«
»Genau! Das Problem ist nur, dass ich Dir gegenüber das Wort 'Pandora' kein einziges Mal erwähnt habe.«
Während Georgina zwei Schritte zurückwich, ließ sich Ethan Crawford nicht aus der Ruhe bringen.
»Lass es, Stephen! Das hier ist ein paar Nummern zu groß für Dich!«
»Gib mir die Proben mit dem Kampfstoff!« Fordernd streckte Stephen die freie Hand aus.
»Stephen, da draußen steht ein Streifenwagen mit Blutspuren. Ich kann dafür sorgen, dass er beseitigt wird.«
»…. mit den Spuren einer Frau, die Du erschossen hast«, ergänzte Morris.
»…. und die Ihr beide zusammen mit mir beseitigt habt. Ihr steckt da mit drin, ob Ihr wollt oder nicht.«
»So läuft das nicht, Ethan! Du kennst mich. So wie ich die Dienstvorschriften auslege, bekomme ich fast jeden Monat Besuch von der Dienstaufsicht. Scheiß drauf! Georgina und ich machen mit denen einen Deal. Wir bezeugen, dass Du Paula Webber erschossen hast und sind raus aus der Nummer.«
Ethan schüttelte nur den Kopf und rang sich ein müdes Lachen ab. »Wie naiv seid Ihr eigentlich?«
»Ich weiß, dass Dein Boss Director Crain und Austin Harvey von der Homeland Security dahinter stecken«, mischte sich Georgina ein. »Sie werden stolz auf Dich sein.«
»Nichts wisst Ihr! Gar nichts!«, sagte Ethan ruhig und emotionslos. »Ihr wollt mich doch nicht etwa foltern!«
»Der Gedanke ist mir bereits gekommen«, gestand Stephen.
»Na, wir wollen doch nicht in die Barbarei abgleiten! Ihr kennt den Film 'Matrix'?«
Georgina und Stephen nickten. Was kam jetzt?
»Dann erinnert Ihr Euch an die Schlüsselszene, in der Morpheus seinem Schüler Neo eine rote und eine blaue Pille anbietet. Nimmt er die rote Pille, wird er mit der Realität konfrontiert, nimmt er die blaue, kann er sein Leben als kleiner Angestellter in einer Traumwelt fortsetzen. Auf Euch übertragen heißt das Folgendes: Ihr geht jetzt einfach durch diese Tür und lasst mich hier zurück. Ich werde dafür sorgen, dass Euch nichts passiert. Bleibt Ihr hier und zwingt mich, Euch mit der Wahrheit zu konfrontieren, dann garantiere ich für nichts.«
»Geht es uns dann so wie Mike!«, schrie Georgina. »Ihr habt ihn in unserem Schlafzimmer erschossen. Und ich habe mein Leben nur dem Zufall zu verdanken, dass seine neue Flamme mir so ähnlich sah!« Auch sie hatte jetzt die Waffe gezückt.
»Ethan«, sagte Stephen, »Du kennst mich lange genug, um zu wissen, dass ich jetzt nicht einfach hier heraus spaziere und so tue, als wäre nichts gewesen. Ich nehme die rote Pille. Also raus mit der Sprache!«
»Gut«, begann Ethan, »Ihr habt es nicht anders gewollt. 'Pandora' ist der Name einer Geheimoperation aus dem ersten Weltkrieg. Der Plan war, die britische Armee mit Anthrax-Sporen, mit Milzbranderregern, auszurüsten, die sie gegen die Deutschen einsetzen sollten. Die Entwicklung solcher biologischen Waffen steckte damals noch in den Kinderschuhen. Ein Agent namens Leonard Boyle sollte den Kampfstoff auf einem Passagierschiff namens 'Lusitania' nach Europa schmuggeln. Winston Churchill, der spätere Premierminister, war damals Marineminister. Ihm wurde später vorgeworfen, er hätte die 'Lusitania' absichtlich vor die Torpedorohre eines deutschen U-Bootes lotsen lassen, um Amerika zum Eingreifen in den Ersten Weltkrieg zu bewegen. In Wirklichkeit ging es ihm darum, den Einsatz von 'Pandora' zu vermeiden.«
»Über tausend Menschenleben hat der Untergang der Lusitania gekostet – und das alles wegen einer Probe mit Milzbranderregern?« Georgina war sprachlos.
»Es war ein extrem aggressiver Anthrax-Stamm. Wäre er eingesetzt worden, hätte es viel mehr Opfer gegeben und zwar auf beiden Seiten. So ist das eben in der Politik – damals wie heute.«
»Und Leonard Boyle war der Großonkel von Martin Frazer«, ergänzte Georgina.
»Richtig. Du warst so nahe dran.« Ethan lächelte anerkennend.
»Und dann ist Leonard Boyle zu den Deutschen übergelaufen«, sagte Georgina.
»Nein, in diesem Punkt liegst Du falsch. Der amerikanische Geheimdienst hatte einen zweiten Agenten namens Richard geschickt, der Leonard beschatten sollte. Beide konnten sich an Land retten. Aber an Bord des Rettungsbootes war ein deutscher Agent. Wir müssen annehmen, dass er die beiden liquidiert und dem toten Leonard Boyle seine Armeepistole in die Hand gedrückt hat.«
»Und dieser Agent hat Pandora an sich genommen?«, fragte Morris.
»Nein, das hat er nicht. In diesem Fall hätten die Deutschen den ersten Weltkrieg sicherlich gewonnen und im Weißen Haus würde heute der Deutsche Kaiser residieren. Gängige Praxis war es damals, Schmuggelware in runden, spitz zulaufenden Glaskolben zu transportieren. Diese konnte man sich in den Enddarm hinter den Schließmuskel schieben. Die irischen Polizisten, die Boyles Leiche bargen, hatten den Glaskolben nicht entdeckt. Boyle wurde mit dem Glaskolben im Anus begraben. Wir wussten bloß nicht wo.«
»Warum ist diese Probe nach hundert Jahren noch so interessant?«, fragte Georgina dazwischen.
»Milzbrand wird durch Anthrax-Bakterien verursacht. Die Übertragung erfolgt durch Sporen, die Jahrhunderte überdauern können. Es gibt fünfzehn verschiedene Stämme, für vierzehn davon gibt es heute dank der Gentechnik wirksame Gegenmittel. Pandora ist der fünfzehnte Stamm. Und dieser war seit 1915 verschollen.«
»Und Leonards Bruder Warren hat sich auf die Suche danach begeben?«
»Wieder falsch!« Ethan genoss es, Georgina erneut berichtigen zu können. »Warren Boyle ging es einzig und allein darum, seinen Bruder zu rehabilitieren, da alle in ihm nur den Agenten sahen, der zu den Deutschen übergelaufen war. Er schrieb Briefe an Präsident Wilson und der Zufall wollte es, dass er in San Francisco Wilsons Nachfolger Harding begegnete. Präsident Harding starb wenige Stunden nach dieser Begegnung. Die Todesursache konnte nie eindeutig geklärt werden. Warren Boyle wurde dafür nie belangt, aber manche Leute sind der Ansicht, er hätte ihn auf dem Gewissen.«
»Warren Boyle ein Attentäter?«, fragte Georgina ungläubig.
»Wäre möglich – tut aber nichts zur Sache. Präsidenten sind nur Werbeikonen oder Schauspieler – ganz wie Ihr wollt. Die Leute müssen ihn mögen und das Gefühl haben, von ihm gut regiert zu werden. Die Verantwortung für eine Weltmacht kann man nicht einer einzelnen Person überlassen. Der Präsident ist eine Marionette. Die Strippen im Hintergrund ziehen andere.«
»Und einer davon bist Du!«, ergänzte Stephen. »Der schlaue 'Einstein' von der Polizeiakademie!«
Ethan fühlte sich sichtlich geschmeichelt, kommentierte dies aber nicht weiter, sondern fuhr fort: »Einige Jahre später war Warren Boyle Angestellter am Hearst Castle. Zu dieser Zeit war das Schloss Hearsts illustren Gästen vorbehalten – Schauspieler, Wirtschaftsbosse, aber auch Politiker. Warren Boyle belauschte ein Gespräch zwischen Winston Churchill und Hardings Nachfolger Coolidge. Dabei ging es um die Lusitania und Coolidge überreichte Churchill die Kopie eines Geheimpapiers, das der damalige Präsident Wilson unter Verschluss halten wollte. Irgendwie muss es Boyle gelungen sein, dieses Papier zu entwenden. Er konnte aber mit der verschlüsselten Information nicht viel anfangen. Er versteckte das Papier in einem der Bücher in der Bibliothek.«
»Und das war es, wonach Frazer gesucht hat?«, wunderte sich Georgina.
»Genau! Warren Boyle hatte seinen Enkel Martin mit seiner fixen Idee, seinen Bruder zu rehabilitieren, geradezu angesteckt. Aber die Information, wo genau das Dokument versteckt war, ging verloren. Frazer brauchte Zeit, um das Dokument zu suchen.«
»Und deswegen die inszenierte Geiselnahme mit all den Toten?« Georgina war einfach nur noch fassungslos.
»Frazer und Slatkin kannten sich vom Studium. Der Historiker und der Mikrobiologe – beide frustriert und mit einer gehörigen Portion Hass auf die Staatsmacht.«
»Und Slatkin hatte für seine Doktorarbeit ein Stipendiat der US-Army«, ergänzte Georgina. »Die Armee hat seine Forschungsergebnisse unter Verschluss gehalten.«
»Gehören die beiden auch zu Eurem Geheimbund?«, wollte Stephen wissen.
»Nein, die beiden wissen gar nichts. Sie sind nur unsere Marionetten. Erst waren wir beeindruckt, wie gut Slatkin die Rolle des Fanatikers spielte, der angeblich zum Islam konvertiert war. So war es für ihn ein Leichtes, Helfershelfer für die Aktion auf Hearst Castle zu rekrutieren. So bekamen wir einen zweiten 'elften September'. Das war auch dringend notwendig, da der Rückhalt für Amerikas Nahostpolitik von Monat zu Monat schrumpfte. Rückblickend war Slatkin eine schlechte Wahl. Er verselbstständigte sich. Erst bandelte er über das Internet mit einem Teenager an. Das arme Mädchen warf er seinen Leuten quasi zum Fraß vor – die Jungfrau nicht erst im Paradies, sondern gleich hier. Und danach kam er auf die wahnwitzige Idee, eine aufdringliche Reporterin für seine Zwecke einzuspannen. Wie das ausgegangen ist, seht Ihr ja.«
Er blickte auf die dünne Rauchfahne, die immer noch aus dem Ofen kroch.
»Und so wie es aussieht, habt Ihr Pandora gefunden«, ergänzte Georgina.
»Slatkin und Frazer sind persönlich nach Irland gereist«, fuhr Ethan fort. »Ganz schön riskant, die zwei meist gesuchten Verbrecher um die halbe Welt reisen zu lassen. Aber wir haben dafür gesorgt, dass sie an den Grenzen nicht kontrolliert wurden. Bis zum Schluss glaubte Frazer, es ginge nur darum, seinen Großonkel zu rehabilitieren.«
»Zum Schluss?«, fragte Stephen.
»Ja, der arme Kerl ist auf der Reise leider verstorben.« Ethan unterstrich diesen Sarkasmus mit einem Grinsen.
»Und wer ist in meine Wohnung eingedrungen und hat Mike erschossen?« Für Georgina war das die alles entscheidende Frage. Sie konnte Ethans dummes Geschwätz nicht mehr hören.
»Georgina, Du musst mir glauben, ich weiß es nicht. Und wir werden es auch nie erfahren. Unser Geheimbund basiert auf einer Art Schwarmintelligenz. Je weniger jeder Einzelne weiß umso besser.«
»Und Du glaubst, dass ich mich damit abfinde? Ich will wissen, wer meinen Tod wollte. Und ich will wissen, wie es Slatkin gelingen konnte, mich aufzuspüren. Ich hatte an einer Tankstelle von einem öffentlichen Fernsprecher aus telefoniert, als ich überrumpelt wurde. Gib mir Dein Handy! Los!«
»Georgina, das kann ich nicht zulassen.« Ethan glaubte immer noch, er könne seine beiden Kollegen mit seiner ruhigen Stimme beeindrucken.
»Sag mir einen Grund, warum ich Dich nicht erschießen und ebenfalls in den Ofen schieben sollte!« Georgina war mittlerweile zu einer Furie mutiert.
»Ethan, ich würde tun, was sie sagt«, war Stephens gutgemeinter Ratschlag.
»Gut, aber ich habe Euch gewarnt.« Mit diesen Worten übergab Ethan Georgina sein Mobiltelefon.
»Hinsetzen!« Sie deutete auf den Stuhl, auf dem sie gestern Abend angebunden worden war, und rückte diesen an die Wand.
Ethan erkannte, dass Georgina es ernst meinte und leistete keinen Widerstand.
»Stephen, ich brauche Deine Handschellen.«
»Tut mir leid, Einstein«. Stephen strotzte vor Ironie, als er Georgina seine Handschellen übergab. Damit fixierte sie Ethans Handgelenk an einem Ring, der neben dem Stuhl an der Wand festgeschraubt war.
Danach wurde es dunkel um Ethan Crawford. Wortlos verließen Georgina und Stephen den Raum, schalteten das Licht aus und verriegelten von außen die Tür.
»Und was jetzt?« Es kam ja nicht oft vor, aber jetzt war Stephen ratlos.
»Ich nehme Paulas Wagen«, sagte Georgina. »Ich werde erneut untertauchen und Ethans Handy genauer untersuchen. Ich will wissen, wo sich dieser Bastard in den letzten Tagen aufgehalten hat. Gib mir eine Stunde Vorsprung. Danach kannst Du ein Einsatzkommando hierher schicken, das diesen Möchtegern-Einstein abholt.«
»Soll ich nicht lieber mitkommen?«
»Nein, zu zweit fallen wir nur auf. Du kannst mehr für mich tun, wenn Du in der FBI-Zentrale bist. Entscheidend ist, dass Ethan in Haft bleibt. Joan soll seine Hände auf Schmauchspuren untersuchen. Paulas DNA ist im Streifenwagen verteilt und die Kugel aus Ethans Waffe muss noch im Ofen liegen. Und dann hat er immer noch die Glasröhrchen mit dem Anthrax in der Tasche. «
»Das dürfte für dreimal lebenslänglich reichen, wenn nicht für die Todesstrafe«, grinste Stephen. »Ich muss mir nur noch eine Geschichte ausdenken, warum ich Dich nicht verhaftet habe.«
»Dir wird bestimmt was einfallen«, sagte Georgina, während sie sich in Paulas Wagen setzte und mit Freuden feststellte, dass der Zündschlüssel steckte. »Machst Du mir bitte das Tor auf?«
***
In Harveys Büro lief ständig CNN auf einem Großbildfernseher. Normalerweise war der Ton abgeschaltet und Harvey warf nur gelegentlich einen Blick darauf und las die sich ständig wiederholenden Nachrichten auf dem Laufband am unteren Bildschirmrand.
Aber an diesem Tag war nichts normal. Eine schwarze Muslimin hatte versucht, sich in San Francisco am belebten Pier 39 in die Luft zu sprengen. Nicht auszudenken, wenn ihr das gelungen wäre! Das war das Topthema in den News. Die Nachrichten überschlugen sich. Anfangs hieß es, die Attentäterin sei von der Polizei erschossen worden. Später kam die Meldung, eine Reporterin sei angeschossen worden. Zwei FBI-Beamte hätten sie und die Attentäterin verhaftet und abgeführt. Warum wurde die Reporterin verhaftet? Wie stand es um die Pressefreiheit in diesem Lande? Die Spekulationen blühten.
Das Klingeln seines Smartphones lenkte Harveys Aufmerksamkeit weg vom Bildschirm.
»ER, Ich habe schon auf Ihren Anruf gewartet«, meldete er sich etwas kleinlaut.
»Die Sache in San Francisco ist schief gegangen.« ER hatte wie immer seine Stimme verzerrt.
»Haben wir Pandora sicherstellen können?«
»Ja, das haben wir. Die Polizei geht von einem versuchten Selbstmordattentat mit Sprengstoff aus.«
»Gut!«, sagte Harvey. »Wo ist Slatkin?«
»Das wollte ich eigentlich Sie fragen.«
»Ja, ich weiß.« Das Thema war Harvey unangenehm. »Die Homeland Security war auf ihn angesetzt, aber er ist uns entwischt.«
»Das hätte nicht passieren dürfen! Ich kann nur hoffen, dass er nichts von Pandora mehr bei sich hat.« Trotz der Verzerrung kam ERs Stimme schneidend durch den Lautsprecher.
»Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Unwahrscheinlich oder unmöglich?«
»So viel hatte Leonard Boyle nicht bei sich. Wenn Slatkin etwas zurückbehalten hat, dann sind es nur kleine Mengen«, beteuerte Harvey.
»Für einen studierten Mikrobiologen gibt es keine kleinen Mengen. Er kann die Sporen kultivieren und so viel herstellen, wie er will.«
»Dafür hat er gar nicht die technischen Möglichkeiten.«
»Ich diskutiere das jetzt nicht am Telefon. Sie setzen sich in Ihren Jet und kommen nach Los Angeles – und zwar heute noch!«
Wie immer beendete ER das Gespräch grußlos. Harvey atmete tief durch, bevor er Barbaras Nummer wählte.
»Ich muss Dich sprechen. Sofort!«
***
Mit seiner Vermutung, dass Slatkin den Ablauf des geplanten Attentats an Pier 39 über eine Überwachungskamera verfolgte, hatte Stephen Morris genau richtig gelegen. Auf dem Bildschirm hatte er verfolgt, wie Paula Webber, die das Attentat in allen Einzelheiten dokumentieren sollte, plötzlich zu Boden fiel. Auf den nächsten Bildern erkannte er auch die Verursacherin – Annie Patterson, die Mutter von Linda Howard. Im selben Moment wurde sie von zwei Männern überwältigt und aus dem Sichtbereich der Kamera gezogen. Aber die Art und Weise, wie diese Männer vorgingen, machten Slatkin klar, dass es sich dabei um Polizisten in Zivil handeln musste. Wieso waren sie vor Ort? Zufall? Oder waren sie über den geplanten Anschlag informiert?
Kurzentschlossen öffnete er über einen Befehl mit seinem Mobiltelefon die präparierte Seitenwand des Kiosks und sah, wie Georgina ins Freie trat. Sollte er die Sprengsätze sofort zünden? Durch den Zwischenfall mit Annie Patterson war der Platz um den Kiosk wie leergefegt. Jetzt ging einer der Männer, die Annie überwältigt hatten, auf Georgina zu und schien mit ihr zu sprechen. Würde er jetzt den Zünder aktivieren, wären nur zwei Menschen betroffen. Zu wenige!
Einer wie Daniel Slatkin wusste, wann ein Anschlagsplan gescheitert war. Nur er wusste, dass die Sprengsätze viel zu schwach waren, um die Trägerin der Weste zu zerfetzen. Die Schwarze hätte höchstens ein paar Prellungen und Brandwunden davongetragen. Der Plan war, dass die Glasröhrchen platzen und sich eine Wolke aus Anthrax-Sporen über dem Pier verteilen sollte. Zuviel Sprengstoff hätte eine Hitze erzeugt, die Sporen abgetötet hätte. Umstehende Passanten hätten geschrien, in Panik ihre Atmung verstärkt und die Sporen eingeatmet. Aber da waren keine Passanten mehr!
Dass die Proben in den Glasröhrchen nun unversehrt in die Hände der Behörden fallen würden, war empfand er im ersten Moment als ärgerlich. Aber je länger er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu der Überzeugung, dass es ihm sogar ganz gelegen kam, wenn das FBI erkannte, was da über Pier 39 verteilt werden sollte. Schließlich hatte er noch einen Plan B!
Eilig packte er seine Sachen zusammen und floh aus der Abdeckerei. Er musste davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die durchgeknallte Reporterin oder die schwarze Schnüfflerin ein Sondereinsatzkommando hierher führen würde.
***
Bereits auf der Fahrt zur FBI-Zentrale hatte Stephen Morris per Funk eine Einheit zur Abdeckerei beordert, um Ethan Crawford festnehmen zu lassen. Als er in der Zentrale ankam, wurde er bereits erwartet.
»Wo ist Georgina?«, begrüßte ihn die Direktorin Alissa Bolt.
»Georgina?«, tat er überrascht, »ist sie noch nicht hier? Sie wollte mit ihrem eigenen Wagen fahren. Ist Ethan Crawford schon in Gewahrsam?«
Mit ernster Miene schloss die Direktorin die Tür, bevor sie sich setzte und die Nase rümpfte. »Stephen, Sie riechen etwas streng!«
Morris nahm den Gestank aus der Abdeckerei, der sich in seiner Kleidung festgesetzt hatte, gar nicht mehr wahr. Aber jetzt, wo die Tür geschlossen war, übertrumpfte der Verwesungsgeruch die aufdringliche Parfümwolke der Direktorin und belästigten ihre empfindlichen Geruchsnerven. Insgeheim hoffte Stephen, dass dieser Umstand das Gespräch abkürzen würde. Er machte sich darauf gefasst, für sein eigenmächtiges Handeln an Pier 39 von Alissa Bolt einen gehörigen Anschiss zu kassieren.
»Hier steht das Telefon nicht still!«, seufzte sie stattdessen. »CIA, die Seuchenschutzbehörde, das Bombenräumkommando, nur um einige zu nennen. Gerade eben erhielt ich einen Anruf von der Homeland Security. Sie werden sich um Crawford kümmern.«
»Nein, ich möchte, dass das unsere Abteilung übernimmt!« Morris' Tonfall wirkte trotzig.
»Stephen, Sie wissen wie das läuft! Wenn der Heimatschutz mitmischt, sitzen wir auf der Ersatzbank. Vor allem, wenn es sich um jemanden aus unseren eigenen Reihen handelt. Und mit Georgina und Ihnen möchten die Kollegen ebenfalls sprechen.«
Morris lächelte gequält. »Mit Verlaub, die Homeland Security wird gar nichts unternehmen. Sie werden den Fall vertuschen.«
»Stephen, sind Sie unter die Verschwörungstheoretiker gegangen?«
»Ist die Sprengstoffweste schon aus dem Hafenbecken gefischt worden?« Morris schien absichtlich von der Frage abzulenken. Jetzt hätte er sich in den Arsch beißen können, dass er die Proben mit dem Kampfstoff bei Ethan belassen und nicht an sich genommen hatte. Seine Absicht war es gewesen, dass andere diese belastende Beweisstücke bei ihm finden würden.
»Ja. Die Weste wurde geborgen und ebenfalls der Homeland Security übergeben.«
Verärgert klopfte Stephen sich auf die Schenkel. Das, was Ethan ihnen in der Kammer vor dem Verbrennungsofen offenbart hatte, war nur die halbe Wahrheit. Dahinter steckte ein Filz aus Verschwörung und Korruption. Es war zum Verzweifeln!
»Warum hat die Seuchenschutzbehörde hier angerufen?«, fragte er schließlich.
»An der Weste sind Spuren von biologischen Kampfstoffen gefunden worden«, erklärte Alissa Bolt.
»War zu diesem Zeitpunkt die Weste schon geborgen worden?«, wollte Stephen wissen.
»Ich glaube schon.« Die Direktorin war sichtlich verunsichert. »Heute Vormittag überschlugen sich die Ereignisse.«
Stephen hielt nun die Zeit für gekommen, seine Vorgesetzte über die bisherigen Befunde in Kenntnis zu setzen: »An der Weste hingen Glasröhrchen, die Ethan Crawford an sich genommen hatte. Er wusste, um was es sich handelte. Nach seinen Angaben handelte es sich um Milzbranderreger. Nicht auszuschließen, dass sich Spuren auch an dem Rest der Weste befanden – vielleicht auch noch, nachdem sie mit Salzwasser in Berührung gekommen waren. Aber das können die Kollegen vom Center of Disease Control unmöglich so schnell herausgefunden haben.«
Die ansonsten so routiniert und selbstsicher auftretende Direktorin war irritiert, fing sich aber schnell wieder. »Vorausgesetzt, hier wurde tatsächlich versucht, Anthrax freizusetzen, kann es sein, dass Slatkin noch mehr Material besitzt?«
»Davon würde ich ausgehen.«
»Ich denke, Sie sollten das der CIA oder der Homeland Security mitteilen. Wir sind hier für die Verbrechensbekämpfung zuständig.«
»Die wissen das doch schon längst!«, fiel Morris seiner Chefin ins Wort. »Slatkin ist uns erneut entwischt. Darum müssen wir uns kümmern.«
»Ach übrigens,« rief die Direktorin Stephen hinterher, der schon im Begriff war, das Büro zu verlassen. »Im Vernehmungszimmer sitzt Annie Patterson. Die Kollegen vom SFPD haben sie an uns überstellt. Sie soll die Reporterin Paula Webber durch einen Schuss verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft braucht Ms. Webber als Zeugin der Anklage. Angeblich sollen Sie die Reporterin gegen ihren Willen mitgenommen haben. Stephen, sagen Sie mir bitte, dass das nicht stimmt!«
»Das entspricht den Tatsachen,« erwiderte Morris, nachdem er sich umgedreht hatte, und schob eilig als Erklärung hinterher. »Sie war die einzige, die Slatkins Versteck kannte. Ferner hatte Slatkin sie mit Anthrax-Sporen infiziert. Sie war eine Gefahr für die Allgemeinheit.«
»Wieso 'war'? Wo ist sie jetzt?«
»Sie ist tot. Ethan Crawford hat sie erschossen und wir haben sie anschließend gleich an Ort und Stelle in einer Abdeckerei verbrannt. Von ihr geht kein Infektionsrisiko mehr aus.«
Alissa Bolt verschlug es die Sprache.
***
Am späten Nachmittag befand sich der Jet mit Austin Harvey und Barbara Watts an Bord bereits im Landeanflug auf LAX, den internationalen Flughafen von Los Angeles, als ER erneut anrief.
»Leiten Sie die Maschine nach Santa Monica um!«
»Ich fürchte, das ist zu spät. Wir sind bereits im Anflug auf L.A.«
»Wir treffen uns in einer Stunde auf dem Vergnügungs-Pier von Santa Monica.«
»Wir treffen uns von Angesicht zu Angesicht?«, wunderte sich Harvey.
»Was gibt es daran nicht zu verstehen?«, krächzte die verzerrte Stimme durch den Lautsprecher.
»Wenn wir in L.A. landen müssen, schaffen wir das nicht! Wir sind mitten in der Rushhour! Alle Highways sind verstopft!«
»Deswegen sollen Sie die Maschine nach Santa Monica umleiten!«
Und wieder war das Gespräch beendet. Harvey beeilte sich, den Piloten von der Planänderung zu unterrichten. Dieser brach den Landeanflug ab, zog die Maschine nach rechts und flog in eine Warteschleife über dem Pazifik, bevor er neue Instruktionen von der Flugsicherung einholte.
Der Jet wurde vorrangig durch den überfüllten Luftraum gelotst und zwanzig Minuten später setzte er auf dem kleinen Regionalflughafen von Santa Monica auf. Mit einem Taxi ließen sich die beiden zum Pier bringen. Sie waren pünktlich! Wartete ER schon auf sie?
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, raunte Barbara ihm zu, während sie langsam den Pier entlang gingen.
»Geht mir nicht anders. Nach all den Jahren ist es das erste Mal, dass ich ihn persönlich treffen werde.«
»Irgendeine Idee, wie ER aussieht?«
»Nicht den blassesten Schimmer. Aber ER wird uns ansprechen.«
Wie ein verliebtes Paar schlenderten die beiden Arm in Arm über die alten verwitterten Holzplanken vorbei an den diversen Attraktionen, die wie jeden Tag viele Besucher an diesen Ort lockten. Eigentlich ein idealer Ort für ein konspiratives Treffen! Als sie das Ende dieses überdimensionalen Anglersteges erreicht hatten, blickten sie auf den Pazifik und in die bereits tief stehende Sonne.
»Lass uns hier fünf Minuten warten. Danach gehen wir langsam wieder zurück«, schlug Harvey vor und blickte auf sein Mobiltelefon. Hatte er einen Anruf verpasst? Nein.
»Wahrscheinlich beobachtet ER uns.« Barbara lächelte und gab ihrem Boss einen Kuss, den er nur flüchtig erwiderte. Austin Harvey war viel zu nervös und mit den Gedanken ganz woanders.
Als die fünf Minuten verstrichen waren, machten sie sich langsam auf den Rückweg.
»Was machen wir, wenn wir wieder vorne beim Parkplatz sind und ER sich immer noch nicht gemeldet hat?«, wollte Barbara wissen.
»Ich fürchte, dann müssen wir noch einmal in den Sonnenuntergang spazieren.«
Beide lächelten, bis Austin Harvey eine Frau wahrnahm, die etwa zwanzig Meter entfernt lässig am Geländer lehnte und zu ihnen hinübersah. Jetzt bemerkte Barbara sie auch.
»Verdammt! Das ist die schwarze Datenanalystin!«
»Einfach weitergehen!«, raunte Harvey. »Das kann nur Zufall sein, dass sie auch hier ist.«
»Zufall? Das glaubst Du doch selbst nicht! Sie hat das Gespräch abgehört.«
»Unmöglich! Das Netz ist dreifach gesichert.«
Jetzt waren sie nur noch zehn Meter von Georgina entfernt. Sie richteten ihre Blicke auf andere Personen und als sie keinen halben Meter an ihr vorbeigingen, schauten sie scheinbar interessiert zu einem Stand mit Süßigkeiten auf der anderen Seite. Noch zwei Schritte und sie würden an ihr vorbeigegangen sein.
»Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie alleine kommen, Harvey«, sagte Georgina mit ernster Stimme.
»Sie?« Mit gespielter Überraschung fuhr Harvey herum.
»So sieht man sich wieder! Was für eine Überraschung!« Barbara strahlte über das ganze Gesicht.
»Lassen wir das Theater!«, entgegnete Georgina schroff
»Sie sind ER?«, fragte Harvey. Diesmal war die Überraschung nicht gespielt.
»Wen haben Sie erwartet?«, fragte Georgina selbstbewusst.
Harveys verdutzte Reaktion bestätigte sie darin, dass ihr Plan aufgegangen war. Sie hatte ihr ganzes Können einsetzen müssen, um den Code von Ethans Mobiltelefon zu knacken. Das interessanteste Fundstück darauf war eine App, mit der die eigene Sprache bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden konnte. Im Speicher war nur eine einzige Nummer und als Georgina sie gewählt hatte, war Harvey am anderen Ende der Leitung gewesen und hatte sie mit ER angesprochen. Jetzt musste sie mit Bedacht vorgehen. Wenn sie ihre Worte genau abwägte, könnte es ihr gelingen, Harvey wichtige Geheimnisse zu entlocken.
»Die verzerrte Stimme ….«, stotterte Harvey, »... ich habe all die Jahre geglaubt, Sie wären ein Mann.« Er lächelte verlegen.
»Tarnung ist alles«, entgegnete Georgina überlegen.
»Aber Sie sind eine hochintelligente Frau«, begann Harvey zu schleimen, »das haben Sie am Hearst Castle bewiesen. Ich hätte es mir denken können, dass Sie zum Gremium gehören!«
'Gremium' also! So nannte sich der Verein! Georgina verzog keine Miene. Aber jetzt wurde ihr klar, dass sich in diesem Geheimbund superintelligente Menschen zusammengeschlossen hatten. 'Einstein' hatte Stephen seinen ehemaligen Kameraden aus der Polizeiakademie genannt. Dieses Gremium war demnach kein Club alter, ergrauter Eminenzen. Alter spielte keine Rolle. Auf überdurchschnittliche Intelligenz kam es an. So konnte selbst der junge Ethan dem alten Abteilungsleiter der Homeland Security Befehle erteilen, die dieser bedingungslos ausführte. Warum also nicht auch sie?
»Die Sache mit Slatkin ist ja gründlich daneben gegangen!« Gespannt wartete Georgina nun, wie ihr Gegenüber auf diesen Satz reagieren würde.
»Mit Verlaub gesagt … « Harvey nahm eine devote, leicht gebückte Haltung an, »…. der Anschlag auf Hearst Castle war Ihre Idee. Aber es war wirklich genial, wie Sie vor Ort die Rolle der Datenanalystin gespielt haben!«
Bingo! Georgina hätte am liebsten einen Luftsprung vollführt. Ethan Crawford war also der Maulwurf. Er hatte Five-O-Seven von Anfang an geplant. Sie konnte davon ausgehen, dass er Slatkin vor der bevorstehenden Stürmung gewarnt hatte. Nicht Crain sondern Ethan war es gewesen, der die Spezialeinheiten nur westlich des Castles aufgestellt hatte, um Slatkin und Frazer den Fluchtweg nach Osten offen zu lassen.
»Sie wissen, was es bedeutet, wenn wir Slatkin nicht finden?«, fragte Georgina als nächstes.
»Pandora konnte bei Ethan Crawford sichergestellt werden. So, wie es aussieht, hatte er den gesamten Stoff dabei.«
»Woher wollen Sie das wissen? Ich sagte Ihnen bereits am Telefon, dass ein Mikrobiologe wie Slatkin aus der kleinsten Restmenge neue Sporen herstellen kann. Wir müssen ihn finden - und zwar schnell!«
»Gehört Crawford eigentlich auch zum Gremium?«, fragte Barbara.
»Wie kommen Sie denn darauf?« Georgina imitierte ein amüsiertes Lachen, als wäre das die dümmste Frage, die dieser Frau einfallen konnte.
Die Erkenntnis, die sie aus dieser Frage gewann, war, dass es in diesem Gremium Hierarchien gab und bei weitem nicht jeder jeden kannte. Andernfalls wäre sie sofort aufgeflogen.
»Behalten Sie Ethan Crawford in Gewahrsam!«, fuhr sie fort. »Und versuchen Sie, aus ihm herauszubekommen, wo sich Slatkin aufhält!«
»Und was machen wir, wenn er nicht redet?«, fragte Harvey.
»Fragen Sie ihre Kollegin!«, antwortete Georgina und deutete mit dem Kopf auf Barbara. »Sie hat am Hearst Castle gezeigt, was in solchen Fällen zu tun ist.«
Mit diesem Satz spielte Georgina auf Gina Hines an, die Barbara Watts' Verhörmethoden nicht überlebt hatte. Sie war gespannt, wie die Angesprochene reagieren würde.
Diese fuhr sich mit der Hand durch die vom frischen Seewind zerzausten Haare und lächelte überlegen. »Waren Sie es nicht, die mich bei Director Crain deswegen angeschwärzt hatte?«
»Alles nur Tarnung!«, grinste Georgina, »aber etwas vorsichtiger hätten Sie schon sein können! Ein Todesfall in der Untersuchungshaft ist immer verdächtig.«
»War es auch Tarnung, dass Sie angeordnet haben, sich selbst aus dem Weg zu räumen?«, fragte Harvey.
Nun spürte Georgina eine unbändige Nervosität. Sie musste sich größte Mühe geben, jetzt cool, abgeklärt und ruhig zu bleiben. Die ganze Zeit hatte sie sich überlegt, wie sie das Thema auf den Mordanschlag lenken sollte, der ihr gegolten hatte und dem Mike und seine Geliebte zum Opfer gefallen waren. Und nun sprach Harvey dies direkt an. Ethan Crawford steckte also auch hinter diesem Attentat.
»Ich musste dafür sorgen, dass ich eine Weile für tot gehalten wurde. Nur so konnte ich ungestört meine Arbeit machen.«
Harvey nickte anerkennend und stellte die nächste Frage: »Ethan Crawford ist von meinen Mitarbeitern in unsere Außenstelle nach Sacramento gebracht worden. Sollen wir ihn nach Washington überführen oder nach Camp Webster bringen?«
»Nach Camp Webster, natürlich!«, sagte Georgina ganz spontan, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, wo dieses Camp Webster überhaupt lag.
»Gut! Dann werde ich meinen Leuten entsprechende Anweisung geben«, sagte Harvey und zog sein Mobiltelefon aus der Innentasche seiner Jacke. »Wir sollten auch dorthin fahren«, schlug er vor, »dort können wir ihn ganz in Ruhe und ausführlich verhören.«
Georgina bemerkte ein hämisches Grinsen in Barbaras Gesichtsausdruck, während sie selbst innerlich jauchzte. So würde sie einen der geheimen Rückzugsorte des Gremiums kennenlernen und die Möglichkeit bekommen, sich an Ethan zu rächen. Vorher würde sie aus ihm heraus prügeln, wer in seinem Auftrag in ihre Wohnung eingedrungen und zwei Tote hinterlassen hatte.
***
»Wie geht es Ihrer Tochter?« Stephen versuchte es zu Beginn des Verhörs mit einer einfühlsamen Frage. Dabei war Morris bekannt dafür, Verdächtige nicht mit Samthandschuhen anzufassen. Dieser Verhörraum hatte ihn schon anders erlebt.
»Wie soll es ihr schon gehen?«, antwortete Annie Patterson zornig. »Sie haben Linda doch selbst gesehen! Sie wird überleben, aber sie wird ein Leben lang ein Pflegefall bleiben.« Den letzten Satz brachte sie nur noch schluchzend hervor.
»Ms. Patterson, ich kann nachvollziehen, dass Sie Rachegefühle gegen Ms. Webber hegten.«
»So, können Sie das!«
»Ich habe auch eine Tochter.« Nur in Ausnahmefällen offenbarte Morris im Dienst etwas aus seinem Privatleben. In diesem Moment hielt er es für angebracht.
»Seit … meiner Scheidung war Linda ein … schwieriges Kind«, sagte Annie mit unterdrückter Stimme. »Ich … hatte sie kaum noch unter Kontrolle.«
»Über Paula Webbers Reportage über Ihre Familie waren wir auch geschockt, das können Sie mir glauben. So jemand gehört nicht vor die Kamera! Aber das wird sie auch nicht mehr - sie ist tot.«
Annie blickte auf. »Tot? Ich habe ihr nur einen Streifschuss verpasst – leider!«
»Nein, Ms. Patterson, sie ist nicht an den Folgen der Schussverletzung verstorben. Sie erinnern sich bestimmt, dass wir sie vom Pier 39 mitgenommen haben. Danach hatten wir einen Polizeieinsatz. Dabei ist sie ums Leben gekommen. Einzelheiten dazu darf ich Ihnen nicht mitteilen.«
Annie Patterson schwieg, aber Morris glaubte in ihrem Gesicht aufkeimenden Triumph zu erkennen.
»Wir sind noch dabei, alle Fakten über Ms. Webber zusammenzutragen«, fuhr Stephen fort. »Wir werden das alles der Anklage vorlegen. Der Bezirksstaatsanwalt hat bereits angedeutet, dass er nicht auf Mord plädieren wird. Sie können mir glauben, ich werde alles daran setzen, dass Sie um eine Haftstrafe herumkommen. Ihre Tochter braucht sie.«
Annie saß wie versteinert auf dem Stuhl im Verhörraum. Sie zitterte und schniefte in ihr Taschentuch.
Stephen Morris war nicht gerade für sein Einfühlungsvermögen bekannt und so wechselte er unvermittelt das Thema, ohne auf die Gefühlslage der Untersuchungsgefangenen Rücksicht zu nehmen.
»Wir haben nicht nur Ms. Webbers Vergangenheit durchleuchtet. Meine Kollegin Georgina May hat die Chatprotokolle von Linda gelesen. Ich möchte, dass Sie das Folgende nun von mir erfahren und nicht erst bei einer Gerichtsverhandlung.«
Annie horchte auf und sah Morris fragend an.
»Ihre Tochter hatte bereits vor der Geiselnahme Kontakt mit Daniel Slatkin. Er hat sie im Chat kontaktiert und sich erst später als ein älterer Mann zu erkennen gegeben.«
»Ein Pädophiler?«, fragte Annie entsetzt.
»Wer kam auf die Idee, am siebten Mai einen Ausflug zum Hearst Castle zu machen?«, fragte Stephen.
»Linda! Es war eine ganz spontaner Vorschlag. Sie sollte eine Hausarbeit über das Schloss schreiben.«
»Falsch! Das haben wir nachgeprüft. Ihr Geschichtslehrer hat das verneint.«
»Sie meinen, Linda hat von der geplanten Geiselnahme gewusst?«
»Das wohl nicht. Aber Slatkin hat ihr damit imponiert, dass er, wie er sich ausdrückte, 'auf dem Schloss eine Aktion geplant habe'.«
Annie schlug entsetzt die Hände vors Gesicht.
»Sie hat ihm auch geschrieben, dass sie ihren Stiefvater mit einem anderen Mann in einem Park in Santa Barbara gesehen hätte.«
»Das ist Unsinn?«, empörte sich Annie. »Ron war nicht schwul.«
»Aber die Islamisten glaubten das. Und Linda ist sich der Tragweite dieses Satzes im Chat nicht bewusst gewesen. Slatkin hat ihre Tochter manipuliert.«
»Wurde sie von den Terroristen missbraucht? Die Ärzte haben sich geweigert, mir darüber etwas zu erzählen.«
»Auf Grund ihres Zustandes konnten keine eingehenden gerichtsmedizinischen Untersuchungen an Linda durchgeführt werden, aber es wurden keine Hinweise gefunden, dass sie vergewaltigt wurde. Wir müssen vielmehr annehmen, dass Slatkin ihre Tochter seinen Helfern als Jungfrau nach Five-O-Seven versprochen hat.«
»Wie ekelhaft!« Angewidert schüttelte Annie den Kopf. »Ich möchte jetzt gehen!«
»Der Termin beim Haftrichter ist morgen. Ich fürchte, diese Nacht werden Sie in einer Zelle verbringen müssen. Aber Sie können sicher sein, dass das Personal Sie mit Respekt behandelt. Normalerweise bin ich kein besonderer Freund von Anwälten, aber in Ihrem Fall hoffe ich, dass es ihrem Anwalt gelingt, Haftverschonung zu erwirken.«
»Bei Selbstjustiz kennen die Richter keine Gnade – meinte jedenfalls mein Anwalt«, sagte Annie tonlos.
»Weil diese Sesselfurzer zu wenig Arsch in der Hose haben, um sich die eigenen Schwächen ihres Rechtssystems einzugestehen.«
Annie erhob sich. Eine Polizistin kam herein und wollte die Gefangene in ihre Zelle führen.
»Eine Frage habe ich noch, Ms. Patterson. Woher wussten Sie, dass Paula Webber heute morgen an Pier 39 sein würde. Ich glaube kaum, dass Sie ihr zufällig dort begegnet sind.«
»Ihr Kollege vom FBI in Los Angeles hat mich angerufen. Ich hatte mit ihm nach der Befreiung aus der Geiselhaft zu tun. Crawford hieß er – glaube ich.«
»Ethan Crawford? Sind Sie sicher?« Morris gab der Polizistin ein Zeichen, noch einen Moment zu warten.
»Ja genau – Ethan Crawford, so hieß er.«
»Wann war das?«
»Gestern Nachmittag. Ich war bei Linda in der Klinik.«
»Wann genau?«
»Schauen Sie doch auf meinem Handy nach«, antwortete Annie etwas ungehalten. »Ihre Leute haben es konfisziert. Er wurde als unbekannter Anrufer angezeigt. Ich bekam gestern Nachmittag nur diesen einen Anruf.«
»Was genau hat er gesagt? Versuchen Sie sich an den genauen Wortlaut zu erinnern!«, drängte Morris.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich war so überrascht über den Anruf. Und dann schrie Linda dazwischen. Ich konnte ihn kaum verstehen. Aber er sprach von der Reporterin und meinte, sie würde morgen früh am Pier 39 sein.«
»Und es kam Ihnen nicht merkwürdig vor, dass ein FBI-Beamter solche Informationen an Sie weitergibt?«
»Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich wollte nur, dass dieses Weib bestraft wird für das, was sie meiner Familie angetan hat.«
»Danke, Ms. Patterson, das war's. Sie haben mir sehr geholfen.«
Von Georgina hatte Stephen gelernt, dass er sich den Weg in die Asservatenkammer sparen konnte. Der gesamte Datenbestand aus Annie Pattersons Mobiltelefon war bereits auf den FBI-Server übertragen worden. Schnell wurde er fündig. Wie von Annie Patterson ausgesagt, war auf ihrem Telefon nachmittags zwölf Minuten nach drei ein Anruf eingegangen.
Jetzt überprüfte Stephen sein eigenes Smartphone. Georgina hatte ihn um zwölf Uhr acht angerufen. Aber erst abends kurz nach sechs hatte er Ethan angerufen, ihm von dem geplanten Anschlag auf Pier 39 erzählt und ihn um Unterstützung gebeten.
Das Telefon riss ihn aus seinen Überlegungen. Direktorin Bolt meldete sich.
»Stephen, ich habe hier meinen Amtskollegen Crain aus L.A. in der Leitung. Er ist sehr aufgebracht. Ich stelle ihn durch.«
Stephen hatte gar keine Zeit, die Augen zu verdrehen.
»Morris, verdammt nochmal, Sie haben Crawford verhaftet! Was haben Sie sich dabei gedacht?«
»Über laufende Ermittlungen kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben«, entgegnete dieser süffisant. »Haben Sie ihn nach San Francisco geschickt?«
»Nein, das habe ich nicht. Und jetzt beantworten Sie gefälligst meine Frage!«
Stephen dachte gar nicht daran und machte ungeachtet des weit höheren Dienstgrades unbeirrt weiter: »Heißt das, dass Sie keine Kontrolle darüber haben, wo Ihre Leute operieren? Woran arbeitete Crawford? Wissen Sie das überhaupt?«
»Wir sind hier kein Kindergarten, verdammt nochmal! Meine Leute arbeiten selbstständig! Ich habe von Ms. Bolt nur gehört, dass Crawford der Homeland Security überstellt wurde.« Im Vergleich zu den vorigen Sätzen kamen diese letzten Worte schon fast kleinlaut durch die Leitung.
»Das trifft zu.« Einen Moment überlegte Stephen, ob er Crain mit den neuesten Erkenntnissen, die er aus dem Vergleich der Anruflisten gewonnen hatte, konfrontieren sollte. Er beließ es dann aber doch bei einem »Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
»Morris, wenn gegen einen meiner Männer etwas vorliegt, dann muss ich das wissen!«, sagte Crain schon fast beschwörend. »Sie kennen ihn doch noch von früher aus der Akademie!«
»Warum fragen Sie nicht Austin Harvey?«
»Den habe ich auch schon versucht zu erreichen. Man sagte mir, er sei am Mittag ganz unerwartet nach Los Angeles geflogen.«
»Na, dann können Sie ihn ja direkt fragen. Ich beende jetzt das Gespräch. Einen schönen Abend noch, Mr. Crain!«
»Arschgeige!«, murmelte er, nachdem er aufgelegt hatte.
Er brauchte einen Moment, bis er seine Gedanken wieder sortiert hatte. Wenn Annie Patterson die Wahrheit gesagt hatte, – und Stephen hatte keinen Grund daran zu zweifeln – dann wusste Ethan Crawford nicht erst durch ihn von dem Anschlag. Er wusste auch, dass diese nervige Reporterin vor Ort sein würde. Das konnte er nur von Daniel Slatkin wissen. Aber warum hatte er Annie Patterson auf sie gehetzt? Wollte er sie dazu benutzen, Paula Webber zu beseitigen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen? Vielleicht beabsichtigte er, dass auch Annie ein Anschlagsopfer sein würde. Aber warum? Schließlich gab es noch die Möglichkeit, dass Ethan Crawford dachte, den Anschlag verhindern zu können, wenn auf dem belebten Pier Schüsse fielen. Diese neuen Erkenntnisse musste er unbedingt Georgina mitteilen!
***
Ein kurzer Anruf hatte Austin Harvey genügt, um über das Büro der Homeland Security in Los Angeles innerhalb einer halben Stunde einen Dienstwagen zum Santa Monica Pier zu beordern. Den Chauffeur schickte er weg. Er selbst setzte sich ans Steuer des Chevrolet, der im Straßenverkehr nicht sehr auffällig war. Neben ihm saß Georgina, Barbara nahm auf der Rückbank Platz. Sie lehnte sich weit nach vorne, sodass Georgina ständig ihren heißen Atem in ihrem Nacken spürte.
Während sich der Wagen in den Feierabendverkehr auf der Interstate 405 in Richtung Norden einfädelte, wusste Georgina nicht, was sie als bedrohlicher empfand. Die Psychologin hinter ihr, der sie alles zutraute, oder die Gefahr, dass Harvey sie jeden Moment nach dem Weg zu Camp Webster fragen könnte.
Das Klingeln eines Mobiltelefons unterbrach das Schweigen der Insassen. Erschrocken stellte Georgina fest, dass es ihres war. »Ja!« Sie meldete sich kurz und schroff, so wie ER es auch tun würde.
»Georgina?« Die Stimme klang verunsichert.
»Ja!«
»Kannst Du sprechen?«
»Ja! Schießen Sie los, was gibt es!«
Wortwahl und Tonfall signalisierten Stephen, dass Georgina sich in einer Situation befand, in der sie nicht offen sprechen konnte. Daher fasste er sich kurz.
»Crawford war in die Anschlagspläne eingeweiht. Er war es, der Annie Patterson den Tipp gegeben hat, dass Paula Webber am Pier sein würde.«
»Danke für die Information!«, sagte Georgina und legte auf.
Ihre beiden Mitfahrer schienen von dem Gespräch keine Notiz genommen zu haben. Als sie das Getty-Museum passierten, wurde Georgina bewusst, dass die Fahrt sie in die einsame Berglandschaft nördlich der Metropole führen würde, wo sie auf sich allein gestellt sein würde. Umso überraschter war sie, als Harvey die Abfahrt zum Mulholland Drive nahm. Diese kurvenreiche Straße führte sie westwärts über den Grat einer Bergkette, die Beverly Hills im Süden von Burbank im Norden trennte. Von der Straße aus, waren meist nur die Einfahrten zu den Grundstücken zu erkennen, während die mondänen Villen hinter Eichen- und Eukalyptus-Wäldchen verborgen lagen. Gut vorstellbar, dass eines dieser Anwesen dem Gremium als geheimer Unterschlupf diente.
»Hier irgendwo muss es sein«, murmelte Harvey, während er die Fahrt unvermittelt verlangsamte. »Wissen Sie, wo ich abbiegen muss?«
Das hatte Georgina während der ganzen Fahrt befürchtet.
»Ich bin nur einmal hier gewesen.« Ihre Stimme klang fest und überzeugend.
»Na also! Wer sagt's denn?« Harvey setzte den Blinker nach rechts. »Franklin Canyon Drive!«
Georgina gelang es, ihre Erleichterung zu verbergen. Die schmale Nebenstraße führte steil bergab in den Franklin Canyon Park, eine bewaldete, dünn besiedelte Schlucht in den Hollywood Hills.
»Nicht schlecht! So nah an L.A. und doch so einsam«, dachte Georgina.
Nach wenigen Minuten auf der holprigen Strecke stoppte Harvey den Wagen vor einer unscheinbaren Einfahrt mit einem alten, gusseisernen Tor. Erneut übermannte Georgina ein mulmiges Gefühl. Das Tor vor ihnen war verschlossen. Gab es einen Schlüssel? Oder einen geheimen Zahlencode oder ein Kennwort? Was wurde jetzt von ihr erwartet? Hörbar atmete sie aus, was Harvey als Ungeduld interpretierte.
»Es geht gleich weiter«, sagte er.
»Das will ich hoffen!« Verärgert ließ Georgina das Seitenfenster herunter. Die frische Abendluft empfand sie als angenehmer als die trockene Kaltluft, die den Lüftungsschlitzen des Chevrolets entströmte.
Und tatsächlich erschien nun ein Mann in der Uniform eines privaten Sicherheitsdienstes am Tor, hantierte mit einem Schlüssel am Vorhängeschloss und gab Harvey per Handzeichen zu verstehen, dass er einfahren könnte. Keine Kontrolle – Georgina wunderte sich über die Sicherheitsmaßnahmen.
»Ist das Paket schon eingetroffen?«, fragte Harvey den Uniformierten im Vorbeifahren.
»Ja, Mr. Harvey.«
»Sehr gut«, sagte dieser an Georgina gewandt, »dann können wir Crawford sofort vernehmen.«
»Ich kann es kaum erwarten«, antwortete Georgina, was durchaus ehrlich gemeint war. So schnell hatte sie Crawford nicht hier erwartet. Harveys Leute mussten ihn unmittelbar nach seinem Anruf mit einem Flugzeug von Sacramento hier her gebracht haben.
Im Schritttempo näherte sich der Chevrolet dem am Hang gelegenen Anwesen. Der Eingangsbereich war schlicht und ließ kaum Rückschlüsse auf Größe und Ausstattung der Villa zu. Der gepflasterte Vorplatz grenzte außerdem an ein Nebengebäude errichtet im Stil eines Blockhauses. Ein zweiter Bediensteter öffnete die Haustür. Der junge, hagere Mann – ein südländischer Typ – wirkte wenig Respekt einflößend, eher untypisch für einen Sicherheitsdienst. Georgina hätte hier eher einen tätowierten Bodybuilder erwartet, der auch als Türsteher vor einem Nachtclub einen respekteinflößenden Eindruck hinterlassen würde. Was wussten diese Männer vom Gremium?
Georgina hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie waren ausgestiegen und wurden durch den Eingang und den Vorraum in das geräumige Wohnzimmer geführt. Die holzgetäfelten Wände hingen voll mit Geweihen, Fellen und anderen Jagdtrophäen, darunter einem ausgestopften Nashornkopf.
»Wer hängt sich so etwas ins Wohnzimmer?«, dachte Georgina. Dann fiel ihr Blick auf die riesige Glasfront, hinter der sich eine Veranda erstreckte, von der man das tiefer gelegene Grundstück überblicken konnte. Die Grenze schien auf dem gegenüberliegenden Abhang zu verlaufen. Jedenfalls war weit und breit kein anderes Gebäude zu sehen. Niemand hatte Einblick in das, was in diesem Haus vor sich ging.
»Wo ist das Paket?«, fragte Harvey den jungen Mann, der sie in den Raum geführt hatte.
»Kommt sofort«, beeilte sich dieser zu erwidern.
Er eilte zu einer Seitentür, verschwand kurz im angrenzenden Zimmer und schob gleich darauf einen Rollstuhl vor sich her. Auf diesem saß fixiert mit mehreren Lagen Panzerband Ethan Crawford.
»Sieh an, sieh an!«, sagte dieser spöttisch, als er Georgina in Begleitung mit Austin Harvey und Barbara Watts erblickte. »Du hast es also tatsächlich geschafft, den Code von meinem Mobiltelefon zu knacken und Dich für ER auszugeben! Praktisch so ein Stimmenverzerrer, nicht?«
»Damit kommst Du nicht durch, Ethan!«, erwiderte Georgina unbeirrt. »Wo ist Slatkin?«
Die Frage entlockte Ethan nur ein hämisches Grinsen.
»Das haben wir gleich«, meinte Barbara und zog ein kleines Etui aus ihrer Jackentasche.
»Das gleiche Zeug, dass Sie bei Gina Hines verwendet haben?«, fragte Georgina und deutete auf das Spritzbesteck, das Barbara aus dem Etui entnahm.
Jetzt erinnerte sie sich wieder an die leere Spritze und die Probe, die sie aus der Leiche der Sicherheitsbeauftragten des Hearst Castles entnommen hatte. Als sie untergetaucht war, hatte sie Joan Cohen angerufen, aber diese war nicht in der Lage gewesen, die Substanzen zu analysieren. »Es ist ein Cocktail aus verschiedenen Stoffen, die als Psychopharmaka und Neurotoxine wirken«, hatte sie ihr erst vor wenigen Tagen am Telefon erklärt, »aber ich kann die Zusammensetzung nur herausfinden, wenn ich bekannte Referenzsubstanzen habe.« Offensichtlich hatte die Homeland Security Zugang zu Substanzen, die nicht auf dem Markt erhältlich waren und zu denen keine klinischen Tests vorlagen.
»Keine Sorge, es wird ihn schon nicht umbringen«, zerstreute Barbara Georginas Bedenken. »Ms. Hines muss auf das Zeug allergisch reagiert haben. So etwas passiert gelegentlich.«
»Ich möchte nicht, dass sich so etwas wiederholt!«, stellte Georgina klar.
»Das wird es nicht!« Jetzt hatte Barbara mit der Nadel den Deckel eines Röhrchens durchstochen und füllte die Spritze mit einer klaren, farblosen Flüssigkeit. »Es tut auch überhaupt nicht weh.«
Georgina konnte nicht schnell genug reagieren, als der schräg hinter ihr stehende Mann, der eben noch Ethan auf dem Rollstuhl hereingefahren hatte, plötzlich ihre Haare packte und ihren Oberkörper auf die Tischplatte drückte. Nun spürte sie, wie jemand ihre Bluse aus dem Hosenbund riss und ihr einen schmerzhaften Stich in der hinteren Lendengegend versetzte.
»Subcutan wirkt das 'Zeug', wie Sie es genannt haben, langsamer als intravenös – aber es wirkt!«
Noch war Georgina bei klarem Verstand. Sie verspürte einen brennenden Schmerz rund um die Einstichstelle.
»Wissen Sie, was Sie verraten hat?«, fragte Harvey, während er Georgina immer noch fest im Griff hatte.
Georgina begann zu röcheln.
»Camp Webster existiert überhaupt nicht. Dieser Ort hier hat einen anderen Namen, aber den brauchen Sie nicht zu wissen.«
Die letzten Worte hämmerten mit unerträglicher Intensität auf ihr Trommelfell. Auch der Geruchssinn schien ihr einen Streich zu spielen. Harveys fauliger Atem roch jetzt penetrant nach Verwesung und Tod.
»Nimm ihr das Mobiltelefon ab und entferne den Akku!«, dröhnte Ethans Stimme in ihren Ohren.
Jemand wühlte in ihren Taschen.
»Sie hat keines«, hörte sie Barbara Watts sagen.
»Sie muss eines haben! Sie hat es auf der Fahrt hierher benutzt«, brüllte Harvey.
Während ihr schwarz vor Augen wurde, kamen alle Erinnerungen an die letzte Nacht wieder hoch. Es kam ihr so vor, als ob sie wieder in der Abdeckerei wehrlos am Haken hängen würde. Es kam ihr so vor, als erlebte sie alles ein zweites Mal. Aber an Stelle von Slatkin und der Schmeißfliege standen nun Harvey und seine irre Psycho-Freundin vor ihr. Diesmal war sie nackt und er fingerte an ihren Brüsten herum.
»Setz' ihr noch eine Spritze!«
»Wohin?«
»Direkt ins Auge«, hörte sie Ethan sagen, bevor sie das Bewusstsein verlor.
***
»Danke für die Information!«
Die Art, wie Georgina grußlos das Telefonat beendet hatte, ging Stephen Morris nicht aus dem Kopf. Und was war das für ein arroganter Ton, den sie da angeschlagen hatte? War sie nicht allein? Musste sie sich verstellen? Oh wie er diese Alleingänge seiner Kollegin hasste!
Immerhin war es ihm gelungen, Georginas Handy orten zu lassen. Zu seiner großen Überraschung hatte sie seinen Anruf auf der Interstate 405 nördlich von Santa Monica entgegen genommen. Was zum Teufel machte sie da? Von San Francisco aus waren das knappe sechs Stunden Fahrzeit. Sie musste mit Paula Webbers Sportflitzer unter Missachtung aller Tempolimits auf dem Highway 101 gen Süden gebrettert sein. Und jetzt kam ihm wieder der Anruf von Director Crain in den Sinn. Was hatte er gesagt? Austin Harvey sei mittags ganz plötzlich nach Los Angeles aufgebrochen? Das konnte kein Zufall sein!
Nun klingelte sein Telefon erneut. Das Display zeigte Georgina als Anruferin an.
»Georgina! Gut, dass Du zurückrufst! … Georgina?«
Stephen hörte ein leises Knacken.
»Georgina?«
Stephen lauschte angestrengt. Da war das Geräusch eines laufenden Motors. Rasselte da eine Kette? Jetzt entfernte sich der Wagen. Das Motorengeräusch entfernte sich. Wieder ein klackendes Geräusch – Metall auf Metall. Dann war da wieder die Kette. Ein Tor, das verschlossen wurde? Da stimmte was nicht!
»Ich brauche sofort eine Handyortung!«, rief Stephen in den Hörer eines zweiten Telefons in seinem Büro. »Die selbe Nummer wie vorhin. … Ja, die Verbindung steht noch!«
Die Tatsache, dass die Verbindung noch nicht unterbrochen war, erleichterte die Ortung. Keine zwei Minuten später hatte Stephen das Ergebnis. Georginas Mobiltelefon sendete kontinuierlich von genau der selben Stelle – einem Punkt südlich des Mulholland Drive in einem weitgehend unbebauten Gelände, dem Franklin Canyon Park.
Stephen überlegte. So viel stand fest: Georgina war nicht so schusselig, ihr Handy anzulassen und es dann auch noch zu verlieren. Das sah eher nach einem digitalen Brotkrumen aus. Auf so eine Idee konnte nur Georgina kommen. So, wie sie sich am Telefon verstellt hatte, war sie nicht allein. Hatte sie sich mit Austin Harvey in Los Angeles getroffen? Stephen war sich sicher: Georgina hatte absichtlich seine Nummer gewählt, um ihm ihren Aufenthaltsort zu signalisieren.
Wenn das, was Ethan Crawford ihnen in der Abdeckerei offenbart hatte, auch nur annähernd der Wahrheit entsprach, dann hatte sich Georgina auf ihrem privaten Rachefeldzug gegen Mikes Mörder einem übermächtigen Gegner ausgeliefert und war in größter Gefahr. Erneut griff er zum Hörer des Telefons, das immer noch die Verbindung zu Georginas Smartphone hatte. Stimmen, ein Geräusch, irgend etwas! Stattdessen vernahm er nun ein Signalton. Die Verbindung war unterbrochen worden!
Von San Francisco aus konnte er wenig ausrichten. Der einzige, der ihm jetzt helfen konnte, war FBI-Direktor Crain. Aber steckte der nicht mit Crawford und Harvey unter einer Decke? So wie er sich im Einsatzzentrum während Five-O-Seven verhalten hatte, hatten Georgina und er das stark vermutet. Es half nichts! Er musste ihn aus der Reserve locken.
»Morris, haben Sie es sich anders überlegt?«, meldete sich Crain.
»Geben Sie mir Harvey. Ich weiß, dass er bei Ihnen ist.« Stephen setzte alles auf eine Karte.
»Wie kommen Sie darauf? Ich habe selbst schon versucht, ihn zu erreichen. Ich muss wissen, warum er Ethan in Gewahrsam genommen hat.«
»Na gut!« Stephen atmete tief durch. »Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie stecken in der Sache ganz tief mit drin oder Sie haben tatsächlich keine Ahnung.«
»Ich darf doch sehr bitten! Welche Sache?«
»Das weiß ich selbst nicht genau. Aber Georgina May ist in Gefahr. Schicken Sie eine Spezialeinheit in den Franklin Canyon Park. Die genauen Koordinaten sende ich Ihnen noch. Dort wurde Georginas Handy geortet.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil Sie dort Harvey finden und ihn fragen können, was er über Five-O-Seven wirklich weiß.«
»Einer der führenden Köpfe der Homeland Security ist verwickelt in eine islamistische Geiselnahme! Welcher Verschwörungstheorie sind Sie denn da auf den Leim gegangen?« Crain lachte mitleidig.
»Der Einzige, dem ich auf den Leim gegangen bin, ist Ethan Crawford«, erwiderte Stephen. »Und nicht nur ich – auch Sie!«
»Unsinn!«, schrie Crain in den Hörer, »Sie und Ihre schwarze Datenanalystin sind mir schon am Hearst Castle auf den Sack gegangen. Sie hätten gar nicht dort sein dürfen! Ständig haben Sie beide Ihre Kompetenzen überschritten! Und was zum Teufel hat Ms. May überhaupt in Los Angeles zu suchen?«
Ungeachtet Crains rüdem Tonfall versuchte Stephen sachlich zu bleiben: »Sie haben sich bei unserem letzten Gespräch selbst darüber gewundert, warum Harvey so überstürzt nach L.A. geflogen ist. Warum ist er nicht nach San Francisco gekommen, wo heute Morgen ein Anschlag in letzter Minute verhindert wurde. Das hätte wenigstens Sinn ergeben. Director Crain, ich bitte Sie jetzt noch einmal dringend um Amtshilfe!«
»Selbst, wenn ich das wollte, Morris ….« Crains Stimme klang auf einmal verunsichert. »Sagten Sie Franklin Canyon Park?«
»Ja!«
»Ich bekomme hier gerade die Meldung herein, dass im Franklin Canyon Park ein Buschfeuer ausgebrochen ist. Das ganze Tal steht in Flammen und zahlreiche Villen sind vom Feuer bedroht.«
»Verdammt!«, schrie Morris.
War das Feuer der Grund, warum die Verbindung zu Georginas Handy abgebrochen war? Wurde das Feuer gelegt, um Spuren zu beseitigen? War Georgina in den Flammen umgekommen?
Director Crain schien nun geneigt zu sein, Stephen zu glauben: »Morris, ich weiß nicht, was da läuft. Aber vielleicht haben Sie ja recht.«
»Na endlich! Der Alte kommt doch noch zur Vernunft«, dachte Morris und sagte: »Die Flugsicherung muss Aufzeichnungen haben, auf welchem Flughafen Harvey gelandet ist. Sie müssen ihn abfangen, bevor er wieder abfliegt.«
»Das dürfte kein Problem sein«, versicherte Crain.
***
»Bist Du oft hier?«, fragte Barbara und schlürfte an ihrem viel zu heißen Kaffee.
»Das ist mein Lieblingscafé!« Georgina strahlte über das ganze Gesicht. Vor der gleißenden Sonne nahm sie ihr Gegenüber nur als Silhouette wahr.
»Du hast Geschmack!«
»Danke!«
»Du wolltest mir noch etwas erzählen.«
»Was?«, fragte Georgina verwundert.
»Na das, was Dir Paula erzählt hat«, kicherte Barbara. »Stimmt es, dass sie mit Daniel ein Verhältnis hatte?«
»Daniel? Wer ist Daniel?«
Georgina hob den Becher Pepsi und schüttete sich den gesamten Inhalt in ihren weit geöffneten Mund. Das meiste der klebrigen Brühe lief über ihr Gesicht und ihren Hals. Sie blickte an sich herunter, um im nächsten Moment das Gleichgewicht zu verlieren und mit ihrem Stuhl nach hinten umzukippen.
»Wir verlieren Sie!«, rief jemand.
»Tun wir nicht!« War das Barbara?
Ein schwerer Gegenstand fiel ihr auf die Brust. Verflucht tat das weh! Mindestens eine ihrer Rippen war gebrochen. Diesen Schmerz kannte sie.
»Mike, pass auf!« Jetzt saß sie im Auto. Neben Mike!
Bremsen quietschten, der Wagen drohte auszubrechen, als das Heck des vor ihnen fahrenden Wagens immer näher kam. Mike hatte ein Stauende auf der Interstate 5 übersehen und einen Auffahrunfall verursacht.
»Scheiße, Mike!«, hörte sich Georgina noch sagen.
Die Feuerwehr hatte sie aus dem Wrack herausschneiden müssen. Zwei Rippen waren gebrochen. Das war vor zwei Jahren! Wieso spürte sie immer noch das Metall auf ihrer Brust?
»Weg! Eins – zwei – drei!«
Georgina zuckte zusammen.
»Nochmal! Eins – zwei – drei!«
Diesmal durchfuhr sie ein Blitz. Sie atmete tief ein und riss die Augen auf.
»Wir haben Sie! Gut, dass wir den Defibrillator an Bord haben!« Ethan klang erleichtert.
»Das war das letzte Mal, dass Du jemandem dieses Zeug spritzt!«, rief Harvey vorwurfsvoll. »Los, schnallt sie fest. Wir müssen endlich starten.«
Nebelschleier waberten vor Georginas Augen. Aber sie erkannte, dass sie eben noch in einem engen Gang zwischen Ledersitzen gelegen hatte und nun nach oben gezerrt und in einen der Sitze gepresst wurde. Gerade hatte sie die Pepsi in sich hineingeschüttet und Mikes Auffahrunfall ein zweites Mal erlebt. Sie schaute an sich herunter. Jemand hatte ihre Bluse geöffnet. Es war ihr egal. Aber ihre Rippen schmerzten höllisch – das war ihr nicht egal.
»Los! Worauf warten Sie!«, schrie Harvey.
»Ich muss auf die Startfreigabe warten«, ertönte eine Stimme durch den Bordlautsprecher.
»Was machen wir mit ihr?«, fragte Barbara.
»Na was wohl? Wir werden sie in Washington verhören – und zwar auf meine Art. Und dann lassen wir sie verschwinden. Offiziell ist sie heute Abend bei einem verheerenden Buschfeuer in den Hollywood Hills ums Leben gekommen. Ihre Überreste konnten nicht gefunden werden.«
Georgina hörte Harveys hämisches Lachen, während sie teilnahmslos aus dem Fenster neben seinem Sitz starrte. Draußen war es bereits dunkel. Auf den fernen Hügeln weit hinter den Gebäuden des Santa Monica Airports glaubte sie am Horizont einen hellen Feuerschein zu erkennen. Sie hörte, wie die Treppe eingezogen und die Kabinentür verschlossen wurde. Sie saß in der Falle, aber sie zu sehr unter dem Einfluss dessen, was Barbara ihr gespritzt hatte, um sich darüber Gedanken zu machen.
Als sich die Maschine in Bewegung setzte, empfand sie das rhythmische Schaukeln als angenehm. Sie war dabei, erneut wegzutreten, als ganz andere Lichter vor ihrem Fenster erschienen. Rot-blaue Blinklichter von mehreren Einsatzwagen. Bremsen quietschten. Was war das jetzt wieder für ein Traum?
»Uns wurde die Starterlaubnis entzogen«, verkündete der Pilot und schaltete die bereits laufenden Triebwerke ab.
»Verdammt!«, fluchte Harvey, »was bilden die sich ein?«
Jetzt erstürmten die ersten Einsatzkräfte über die wieder ausgeklappte Treppe den Jet. Fast schon beschwörend wedelte Austin Harvey mit seinem Dienstausweis vor dem Visier des vordersten Polizisten herum. Trotz ihres Zustandes lächelte Georgina triumphierend. Als sie vor dem Tor zur Villa unbemerkt Stephens Nummer gewählt und anschließend ihr Handy aus dem Seitenfenster ins Gebüsch geworfen hatte, hatte sie gewusst, dass sie sich auf ihn verlassen konnte.
»Das wird Ihnen noch leid tun!«, schimpfte Harvey, als die Handschellen hinter seinem Rücken klickten. »Ich genieße Immunität! Sie dürfen mich nicht festnehmen!«
Im Gegensatz zu Harvey ließ sich Barbara Watts widerstandslos festnehmen. Georgina warf sie einen verächtlichen Blick zu, bevor sie aus dem Flugzeug geführt wurde.
Georgina verließ die Maschine gestützt auf zwei Einsatzkräfte, nachdem ein Notarztwagen vorgefahren war. Unverzüglich wurde sie auf eine Bahre gelegt, an Messgeräte angeschlossen und bekam eine Infusion.
»Rippenbruch nach erfolgreicher Wiederbelebung«, war die erste Diagnose des Notarztes. »Haben Sie Alkohol, Drogen oder Medikamente zu sich genommen?«
»Fragen Sie die Bitch, die gerade verhaftet wurde!«, brachte sie mühsam hervor.
»Ist Ms. May da drin?« Georgina glaubte die Stimme zu erkennen, die durch die offene Tür zu ihr drang. »Ich muss sie sofort sprechen!«
»Mr. Crain?«, sagte sie, als sich eine Gestalt über sie beugte.
»Ja, Ms. May. Ich habe hier Ihren Kollegen Morris in der Leitung.« Er hielt ihr das Mobiltelefon hin.
»Stephen?«
»Georgina, Du hörst Dich nicht gerade fit an!«, klang es aus dem Lautsprecher.
»Nein! Diese Barbara Watts hat mir dasselbe Zeug gespritzt, das sie Gina Hines verabreicht hat. Ich wäre beinahe drauf gegangen. Ich weiß nicht, was ich ihr alles erzählt habe, während ich weggetreten war.«
»Sie wird es uns erzählen,« antwortete Stephen selbstbewusst.
»Du hast mein Handy geortet?«
»Stell Dir vor!«, lachte Stephen, »es hat sich doch gelohnt, dass ich Dir manchmal über die Schulter geschaut habe.«
»Director Crain!« Jemand rief vom Rollfeld her.
»Sprechen Sie ruhig weiter«, sagte dieser zu Georgina. »Man verlangt nach mir.«
»Ich wusste, dass ich mich auf Dich verlassen kann«, fuhr Georgina fort, nachdem Crain den Ambulanzwagen verlassen hatte. » Aber woher wusstest Du, dass wir vom Santa Monica Airport abfliegen?«
»Wusste ich nicht. Aber Crain wusste, dass Harvey es heute Mittag eilig hatte, nach L.A. zu fliegen. Er hat von der Flugsicherung erfahren, auf welchem Airport seine Maschine stand. Hast Du Harvey nach Los Angeles gelockt?«
»Ja, mit Hilfe des Stimmenverzerrers auf Ethans Handy. Der Geheimbund nennt sich 'das Gremium'. Ethan scheint dort eine große Nummer zu sein. Alle tanzen nach seiner Pfeife.«
»Tja, unser 'Einstein'«, sagte Stephen spöttisch. »Aber Crain kannst Du vertrauen. Wir beide haben uns in ihm geirrt. Nicht er sondern Ethan war derjenige, der über Five-O-Seven Bescheid wusste.«
»Stehe ich eigentlich immer noch auf der Fahndungsliste wegen dem Mord an Mike?«, wollte Georgina nun wissen.
»Ähm, ich glaube schon. Aber das klären wir am besten, wenn Du wieder hier bist.«
Jetzt betrat Crain wieder den Krankenwagen. »Die beiden sind wir los.«
»Wie meinen Sie das?«, wunderte sich Georgina, während sie ihm sein Handy zurückgab.
»Die CIA hat Watts und Harvey in Gewahrsam genommen. Sie werden in den nächsten Tagen nach Washington überstellt.«
»So, werden sie das?«
»Wieso zweifeln Sie daran?«
»Mr. Crain, wenn Sie das erlebt hätten, was ich in den letzten zwei Wochen durchgemacht habe, wüssten Sie auch nicht mehr, wem Sie noch trauen könnten und wem nicht.«
Crain kommentierte das nicht weiter. Er schien sogar froh zu sein, dass nun vom Arzt ein »Wir sind dann soweit« kam. Jedenfalls hatte er es eilig, Georgina eine gute Besserung zu wünschen und sich zu verabschieden.
***
Entgegen aller ärztlichen Anweisungen erschien Georgina nach drei Tagen in San Francisco in der FBI-Zentrale, um sich wieder zum Dienst zu melden. Morris hatte bereits lange vorher dafür gesorgt, dass die Blumen von ihrem Schreibtisch und der Trauerflor von ihrem Monitor entfernt worden waren.
»Neues über den Verbleib von Slatkin?«, war ihre erste Frage.
»Negativ – wie vom Erdboden verschluckt«, entgegnete Stephen.
»Und Pandora?«
»Du meinst, das was Ethan von dem Sprengstoffgürtel abgenommen hatte? Das hat die Homeland Security. Angeblich sollen es besonders fiese Anthrax-Sporen sein. Ich kann nur hoffen, dass die Kameraden vom Center of Disease Control es vernichten, sobald sie es analysiert haben.«
»Das werden sie bestimmt nicht«, sagte Georgina. »Sie werden es einlagern und angeblich sicher verwahren. Bis der nächste Spinner kommt und es sich aneignet.«
»Da magst Du recht haben. Und hier ist noch etwas.« Stephen hielt ihr einen Plastikbeutel mit einem schwarzen, durch Hitze verformten Etwas hin.
»Ist es das was ich glaube?«
»Korrekt! Dein Handy – oder das, was davon noch übrig ist.«
»Es hat das Buschfeuer im Franklin Canyon überstanden?«, wunderte sich Georgina.
»An der Stelle, wo Du es hingeworfen hast, war nur wenig Gestrüpp. Die Feuerwalze ist einfach darüber hinweggefegt. Hohe Temperaturen in Bodennähe entstehen nur bei dichtem Unterwuchs. Aber der Grund, warum ich Dir das zeige, ist folgender ….«
Stephen öffnete den Druckverschlussbeutel und zog daraus einen kleinen Beutel, der neben dem verschmorten Handy lag. Darin befand sich eine Mini-SD-Karte.
»Diese Karte steckte im Slot neben der SIM-Karte.«
»Das kann nicht sein. Ich habe keinen zusätzlichen Datenspeicher genutzt«, beteuerte Georgina. »Du weißt, die Benutzung externer Speicherkarten in Diensthandys ist eine Verletzung der Dienstvorschriften.«
»Genau! Den Kollegen von der IT-Security ist es gelungen, die Speicherkarte auszulesen. Sie enthielt nur eine versteckte Datei. Du bist abgehört worden.«
»Fuck!«, rief Georgina. »Das kann nur passiert sein, nachdem Slatkin mich an der Tankstelle bei Fresno geschnappt hatte. Ich lege das Gerät sonst nie aus der Hand.« Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie hätte das Handy nach ihrer Befreiung am Pier 39 sofort kontrollieren müssen. Wie hatte sie nur so nachlässig sein können?
»Das erklärt aber immer noch nicht, wie es Slatkin gelingen konnte, Dich in Fresno aufzuspüren«, ergänzte Stephen.
»Stephen, seit Five-O-Seven sehe ich unsere Arbeit mit ganz anderen Augen.«
»Nicht nur Du«, pflichtete er ihr bei. »Besonders seitdem ich Ethans 'rote Pille' angenommen habe, hat sich mein Weltbild verschoben.«
»Ich frage mich immer noch, ob er uns wirklich die Wahrheit gesagt hat. Wird uns unsere Staatsform wirklich nur als heile Welt vorgegaukelt? Ist der Präsident gar nicht der wichtigste Mann im Staat? Werden die Wahlergebnisse gefälscht? Ziehen Intelligenzbestien wie Ethan alias 'Einstein' die Strippen und bestimmen, was wir erfahren dürfen?«
Gerade als Stephen darauf antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit auf den großen Flachbildschirm gelenkt, der im Büro permanent die Nachrichten von CNN, wenn auch ohne Ton, übertrug.
»Macht mal einer lauter!«, rief er.
Auf dem Bildschirm waren Bilder zu sehen, die offensichtlich aus einem Hubschrauber live übertragen wurden. Sie zeigten ein ausgebranntes Flugzeugwrack auf kargem Wüstenboden. Das allein wäre nichts Spektakuläres gewesen, hätte da nicht 'Breaking News' auf dem eingeblendeten Laufband gestanden.
Jetzt kam der Ton: » … ist heute Morgen eine halbe Stunde nach dem Start in Los Angeles über der Mojave-Wüste abgestürzt. Aus Ermittlerkreisen wurde verlautet, dass es sich bei der Maschine um ein Dienstflugzeug der CIA gehandelt haben soll, die auf dem Weg nach Washington war. Es gab keine Überlebenden. Neben mehreren CIA-Agenten und einem Mitarbeiter des FBI sollen zwei hochrangige Mitarbeiter der Homeland Security an Bord gewesen sein.«
Jetzt wurde eine Augenzeugin namens Laura Hills eingeblendet, die hysterisch und wild gestikulierend in ein Mikrophon brülle: »Es gab einen riesigen Feuerball in der Luft!«
»Wir müssen die Auswertung der Flugschreiber abwarten«, meinte nun ein Mitarbeiter der Bundesbehörde zur Flugsicherheit. »Es ist zu früh, um über einen Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete zu spekulieren.«
»Das wäre nach Hearst Castle und Pier 39 schon der dritte Anschlag innerhalb von zwei Wochen«, hakte eine Reporterin nach. »Sehen Sie da einen Zusammenhang?«
»Siehst Du, Stephen, genau das meine ich!«, rief Georgina dazwischen. »Wetten, dass Ethan Crawford, Barbara Watts und Austin Harvey in der Maschine waren?«
»Es war nur von zwei hochrangigen Mitarbeitern der Homeland Security die Rede«, versuchte Stephen sie zu beruhigen. »Fahr Deine Computer hoch und schau in der Passagierliste nach, wenn Du unbedingt willst!«
»Was macht das für einen Sinn? Entweder sollten sie aus dem Weg geräumt werden, weil wir sie enttarnt haben. Oder sie stehen zwar auf der Passagierliste, waren aber gar nicht in der Maschine.«
Stephen setzte noch eins drauf: »Ja, vielleicht ist auch gar keine Maschine abgestürzt und wir sehen hier nur alte Archivaufnahmen!«
»Alles möglich! Also warum soll ich all diese verdammten Computer hochfahren? Nur um mir gefakte Daten anzusehen?«
Georgina hatte sich so in Rage geredet, dass sie nicht bemerkt hatte, dass Alissa Bolt den Raum betreten hatte.
»Georgina, kommen Sie bitte in mein Büro!« Der imperative Ton und das Lächeln auf Alissas Gesicht passten nicht zusammen.
»Wird noch gegen mich ermittelt?«, fragte Georgina ganz direkt, nachdem sie die Tür zu Bolts Büro hinter sich geschlossen hatte.
»Nein, nein«, beruhigte sie die Direktorin, »ich habe hier etwas für Sie. Während meiner zwanzigjährigen Tätigkeit für das FBI habe ich ja schon viel erlebt. Aber das hier hat Premiere! Die Ergebnisse Ihrer letzten Prüfungen stehen zwar noch aus, aber unsere Zentrale in Washington hat entschieden, Sie mit sofortiger Wirkung zum Special Agent zu ernennen. Das kam von ganz oben. Herzlichen Glückwunsch!«
Alissa Bolt strahlte über das ganze Gesicht, als sie Georgina die Beförderungsurkunde entgegenhielt. Etwas zögerlich und mit versteinerter Miene nahm sie das Blatt entgegen.
»Glauben Sie mir nicht? Da steht es schwarz auf weiß! Sie haben ab heute den Rang eines Special Agent mit all den damit verbundenen Privilegien. Die Personalabteilung ist bereits informiert.«
»Ganz von oben kam das also!«, sagte Georgina nachdem sie ihren Blick wieder von dem Papier auf ihre Vorgesetzte richtete. »Tut mir leid! Ich kann und will diese Beförderung nicht annehmen.«
»Ms. May, seit Monaten haben Sie darauf hingearbeitet! Sie sind für die Lehrgänge freigestellt worden! Wollen Sie das alles hinschmeißen?«
»Ja! Genau das will ich!« Wütend zerriss sie die Urkunde und ließ die Fetzen vor die Füße der Direktorin rieseln. »Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen! Sie haben nicht das mitgemacht, was ich in den letzten Wochen erlebt habe.«
»Ms. May, ich verstehe, dass Sie emotionalen Extremsituationen ausgesetzt waren.« Alissa Bolt versuchte ruhig zu bleiben, obwohl sie Georginas respektloses Verhalten auf keinen Fall billigen durfte. »Wenn Sie eine Auszeit brauchen, dann ist das vollkommen okay.«
»Eine Auszeit? Ich bin einem Mordanschlag entgangen, mein Freund ist dabei umgekommen, ich wurde gefangen gehalten, mir wurde eine Sprengstoffweste umgebunden, mir wurde eine unbekannte Substanz injiziert, woran ich beinahe gestorben wäre! Und am Ende musste ich erfahren, dass nichts ist wie es scheint. Dass alles, was in diesem Land passiert, manipuliert und fremdgesteuert wird! Ich weiß nicht mehr, wem ich noch trauen kann. Unter diesen Umständen kann ich nicht mehr für das FBI arbeiten. Ja, ich brauche eine Auszeit – und zwar für den Rest meines Lebens! Entschuldigen Sie bitte die Unordnung.« Sie zeigte auf die Papierschnitzel auf dem rotbraunen Teppichboden, bevor sie das Büro verließ und die Tür laut knallend ins Schloss fallen ließ.
»Was ist passiert?«, fragte Stephen besorgt, als Georgina wieder in seinem Büro erschien. »Sag nicht, dass sie Dich gefeuert hat!«
»Stephen«, begann Georgina nach einer kurzen Pause, »habe ich Dir schon einmal erzählt, wie gerne ich einen ausgedehnten Urlaub auf den Hawaii-Inseln machen würde.«
»Bei verschiedenen Gelegenheiten hast Du davon gesprochen. Hat die Direktorin Dir Sonderurlaub gegeben? Den hast Du Dir verdient! Wenn es nach mir ginge, ich hätte Dich auch gleich noch zum Special Agent befördert.«
Georgina verzog kurz das Gesicht, bevor sie ihrem langjährigen Kollegen reinen Wein einschenkte.
»Ich werde das FBI verlassen.«
»Hast Du Dir das gut überlegt?« Stephen war fassungslos.
»IT-Experten sind in der freien Wirtschaft gesucht. Und wenn das zutrifft, was Ethan uns erzählt hat, dann kann ich hier nicht mehr arbeiten.«
Stephen atmete tief durch. »Ich weiß, dass Du nicht zu unüberlegtem, spontanem Aktionismus neigst. Aber jetzt ist keine Zeit für eine Kurzschlusshandlung!«
»Du glaubst ja gar nicht, wie viel Zeit man zum Nachdenken hat, wenn man untergetaucht ist«, entgegnete Georgina, während sie ihre Dienstmarke und ihre Pistole auf den Tisch legte. »Und danach die zwei Tage im Krankenhaus. Der Absturz in der Mojave gerade eben war das I-Tüpfelchen. Mein Entschluss steht fest. Ich brauche eine Auszeit – und zwar eine längere!«
»Ich glaub es nicht!« Stephen war der Verzweiflung nahe. »Du bist hier unersetzlich!«
»Wir sind alle nur kleine Zahnrädchen im System«, erwiderte sie. »Wir sind alle beliebig austauschbar.« Georgina kramte in den Tiefen ihrer Taschen und zog eine Plastikhandschelle hervor und hielt sie in die Höhe.
»Kann ich das hier behalten – als Andenken sozusagen?«
»Ein etwas besserer Kabelbinder. Klar doch! Denk an uns, wenn Du damit an Deiner neuen Arbeitsstelle das Kabelwirrwarr Deiner Computer bändigst.«
Ohne weiter darauf einzugehen steckte Georgina das Plastikband wieder ein. »Mach's gut, Stephen!«
Sie umarmte ihren Kollegen und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
***
»Das also ist Pandora!«, vorsichtig, fast schon ehrfürchtig hielt Rhonda die Glasampulle gegen das Licht.
»Leg das wieder hin!« Der Befehl kam von einem kahlköpfigen Mann, der behutsam mit seinen Händen Rhondas filigrane Finger mit samt der Glasampulle umschloss.
Rhonda überließ ihm das Glas, löste ihre Finger aus dem Griff und fuhr mit ihrer Hand über den kahl rasierten Schädel. »Die schwarzen Haare sahen gut an Dir aus. Ich hatte mich schon so daran gewöhnt.«
Der Mann blickte zur Seite in den Spiegel. Die Glatze brachte sein kantiges Gesicht mehr zur Geltung.
»Schon erstaunlich, wie wenig sich Leute ein Gesicht einprägen. Sie erkennen einen Menschen nur an der Haartracht.«
»Da magst Du recht haben.« Rhondas Hand strich über die glatte, unbehaarte Brust des Mannes.
In den letzten Tagen hatte er sich ganz unbehelligt in der Öffentlichkeit gezeigt und niemand hatte Abdul Sahir alias Daniel Slatkin erkannt. Mit den Bildern in den Nachrichten, den Zeitungen und auf den Fahndungsplakaten hatten mit diesem Mann nur wenig gemein. Dennoch mussten sie vorsichtig sein. Den Wohncontainer in einem Trailerpark nördlich von Oakland hatte Rhonda schon vor der Five-O-Seven angemietet und im Voraus bar bezahlt. Er nahm sich vor, den Trailer nur noch nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen.
»Zu schade, dass der Anschlag mit der schwarzen FBI-Agentin nicht geklappt hat«, meinte Rhonda und schmiegte sich an Daniel. »Zu gern hätte ich gesehen, wie sich ihre Eingeweide über dem Pier verteilten.«
»Hab Geduld! Wir bekommen eine neue Chance.« Mit der Hand fuhr er unter ihr Shirt.
»Hast Du diese schwarze Schlampe auch so berührt?«
»Und wenn es so wäre?«, scherzte Daniel.
»Dann schütte ich Dir dieses Zeug ins Essen!« Ihrem Gesichtsausdruck nach schien Rhonda das ernst zu meinen.
»Liebes, das sind Anthrax-Sporen. Die muss ich einatmen, um Lungenmilzbrand zu bekommen.«
»Aber mit dieser Paula hast Du geschlafen, stimmt's?«
»Das musste ich. Das gehörte zum Job!«, rechtfertigte sich Daniel. »Aber ich habe dabei nur an Dich gedacht, Schwesterherz.« Er erstickte jeden weiteren Widerspruch, indem er sie leidenschaftlich küsste.
Als Daniel Slatkin achtzehn Jahre alt geworden war, hatte er genug von Adele, seiner zurückgebliebenen Stiefschwester. Zuerst heimlich, später mit Wissen seiner Stiefeltern machte er sich auf die Suche nach seiner leiblichen Schwester.
»Du brichst Adele das Herz!«, warf seine Stiefmutter ihm vor. »Sie hat doch nur Dich!«
»Wo sind meine Adoptionsunterlagen?«, erwiderte Daniel trotzig.
»Die sind nicht für Dich bestimmt!«, rief Mr. Slatkin aufgebracht.
Am nächsten Tag hatte sich Daniel eine Pistole besorgt, sie an Adeles Kopf gehalten und seine Stiefeltern zur Herausgabe der Unterlagen aufgefordert. Drei Tage später kam er in der Kleinstadt an, die der ehemaligen elterlichen Farm am nächsten lag. Hier am Familiengericht waren seine Adoptionsunterlagen ausgestellt worden. Hier mussten auch die Unterlagen zu seiner Schwester zu finden sein.
»Vertrauliche Verschlusssache!« Mit diesen zwei Worten hatte die unfreundliche, ältere Dame in der Amtsstube dem Jungen eine Abfuhr erteilt.
»Wir sehen uns!«, hatte Daniel geantwortet und hatte die Behörde verlassen, nachdem er sich das Namensschild dieser Frau eingeprägt hatte. Philippa Stern hieß sie. Damals gab es noch öffentliche Fernsprecher und hier auf dem Land waren die dazugehörigen Telefonbücher nicht den Vandalen zum Opfer gefallen. In dieser Kleinstadt gab es diesen Namen nur einmal. Und so hässlich, wie dieses Weib war, konnte er davon ausgehen, dass sie allein leben würde.
Als Miss Stern an diesem Abend ihr kleines Haus betrat, merkte sie gleich, dass etwas nicht stimmte. Sie war es gewohnt, vom Bellen ihres Hundes und vom Zwitschern ihrer zwei Kanarienvögel begrüßt zu werden. Diese Stille war beängstigend. Als sie im Wohnzimmer nach dem Rechten sehen wollte, blickte sie in die Mündung einer Pistole.
»Das passiert mit Dir, wenn Du nicht tust, was ich Dir sage!«
Das war der unverschämte Junge, der erst vor wenigen Stunden ihre Schreibstube betreten hatte. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Vogelkäfig. Auf dem Boden lagen zwei kleine Kadaver mit verdrehten Hälsen.
»Keine Sorge, Dein Köter lebt noch!«
Jetzt glaubte Miss Stern, der die Tränen in die Augen geschossen waren, aus dem Schlafzimmer das Winseln eines Hundes zu vernehmen.
»Fahr zurück ins Büro und besorg' mir die Akte mit Name und Adresse meiner Schwester! Dann lasse ich Deinen Pinscher am Leben!«
»Tun Sie Lincoln nichts!«, flehte Miss Stern und beeilte sich.
Sie kam tatsächlich mit der Akte und ohne die Cops im Schlepptau zurück. Daniel ließ es wie einen Raubmord aussehen. Einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sich an der Leiche zu vergehen. Dann aber entsann er sich, etwas über eine neue, Aufsehen erregende Methode der kriminalistischen Spurensicherung gelesen zu haben – die DNA-Analyse. Auf Grund seiner sportlichen Leistungen stand er kurz davor, ein Stipendium für ein Studium zu bekommen. Bei der Wahl des Studienfachs schwanke er noch zwischen Genetik und Mikrobiologie. Seine Kenntnisse hielten ihn davon ab, einen genetischen Fingerabdruck am Tatort zu hinterlassen. Also beschränkte er sich darauf, Schubladen und Schränke nach Wertsachen zu durchwühlen und sich mit Reiseproviant aus dem Kühlschrank einzudecken. Am Ende verließ er die Stadt so unauffällig wie er gekommen war und ließ einen Pinscher sowie eine Gerichtsbedienstete in ihren Blutlachen zurück.
Eine Woche später konnte Daniel Slatkin seine Schwester Rhonda Finley in seine Arme schließen. Auch sie hatte Schreckliches durchgemacht und sich nach ihrem Bruder gesehnt. Von nun an waren sie weit mehr als nur Bruder und Schwester.
***
Zwei Wochen nach ihrer Kündigung wartete Georgina am San Francisco Airport auf ihren Abflug nach Honolulu. Seit dem Mord an Mike hatte sie die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten. Nach den Tatortreinigern waren Möbelpacker gekommen, die die Wohnung entrümpelt hatten. Nur ein Pappkarton mit Dokumenten und einigen wenigen Erinnerungsstücken waren von Georginas früherem Leben übrig geblieben. Den hatte sie bei einer Bekannten untergestellt.
Nach Five-O-Seven waren wie überall im Lande auch hier am Flughafen die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Auf keinen Fall wollte sie ihren Flug verpassen. Die zwei Stunden bis zum Einsteigen schlenderte sie durch die Geschäfte im Abflugbereich.
Sie kaufte die neueste Ausgabe von USA Today und suchte sich einen bequemen Sitzplatz am Gate. An Five-O-Seven kam in diesen Tagen und Wochen niemand vorbei. Daniel Slatkin war immer noch flüchtig. In großer Aufmachung berichtete das Blatt über den Topterroristen. Auf einer kompletten Seite war die Lebensgeschichte von Daniel Slatkin alias Abdul Sahir ausgebreitet. Angefangen von der Schwarzbrennerei seines Vaters, dem verhängnisvollen Schusswechsel mit der Polizei und wie seiner alkoholkranken und drogensüchtigen Mutter das Sorgerecht entzogen worden war. Getrennt von seiner kleinen Schwester war Daniel bei Pflegeeltern aufgewachsen. Diese hatten ihre Fürsorge mit dem Leben bezahlt.
Georgina fühlte sich angeekelt. Warum tat sie sich das an? Georgina wollte schon weiterblättern, als sie eines der Bilder näher betrachtete. Das Foto zeigte ein Portrait des jungen Daniel Slatkin. Sie war in die Fänge dieses Scheusals geraten. Sie hatte ihn als einen dunkelhaarigen Mann in Erinnerung. So sah er auch auf die Fahndungsfotos aus. Das Foto zeigte einen rothaarigen Knaben mit Sommersprossen. Georgina wusste, dass sich bei Weißen die Haarfarbe mit der Pubertät ändern konnte. Oder hatte er seine Haare gefärbt? Sie konnte den Blick nicht von dem Foto abwenden. Diese weichen Gesichtszüge kamen ihr bekannt vor. Aber woher? Das war nicht der Daniel Slatkin, dem sie begegnet war.
Georgina blätterte weiter. Den Sportteil legte sie auf die Seite. Sicher gab es einen anderen Passagier, der sich dafür interessierte. Den Rest würde sie im Flugzeug lesen. Sie faltete die Zeitung zusammen und begab sich wieder auf Shopping Tour. Die Parfümerie hatte sie noch nicht durchforstet. Sie betrachtete all diese kunstvoll verzierten Fläschchen, sprühte sich dies und das auf die Innenseite des linken Handgelenks und inhalierte die aromatischen Duftwolken. Als sie unvermittelt einen penetranten, ihr bekannt vorkommenden Lavendelgeruch wahrnahm, hielt sie abrupt inne.
»Na, Ärger zu Hause? Ich frag' ja nur, weil ich Dich hier noch nie gesehen habe. Die meisten Schwestern aus den oberen Etagen verirren sich nur hier runter, wenn sie mit ihrem Macker oder ihrem Lover Stress haben.«
Düfte wecken Erinnerungen. Georgina war für so etwas empfänglich. Sie wusste das. Der Lavendelduft hatte in ihrem Hirn einen Flash ausgelöst. Vor ihrem geistigen Auge erschien die rothaarige, mit Sommersprossen übersäte Quasselstrippe aus der Dusche im Keller der FBI-Zentrale. Von ihr hatte sie etwas von der penetrant nach Lavendel riechenden Flüssigseife bekommen.
»Ich kann es Dir auf dem Rücken verteilen, wenn Du willst.«
»Nein Danke! Nicht nötig!« Instinktiv wich Georgina einen Schritt zurück.
Um ein Haar hätte Georgina eines der Regale umgestoßen, so panisch rannte sie aus der Parfümerie. Sie suchte den Sitz, auf dem sie gerade noch gesessen hatte. Ihre Zeitung lag noch da. Hektisch blätterte sie die Seiten durch. Das konnte nicht wahr sein! Diese Ähnlichkeit war frappierend! Slatkin hatte eine kleine Schwester. Dies war ihr bekannt, aber erst durch den Bericht in USA Today hatte sie sich wieder daran erinnert. Das Foto des Jungen! Der Lavendelgeruch! Der nervtötende Rotschopf in der Gemeinschaftsdusche war Slatkins kleine Schwester!
Georginas Gedanken fuhren Karussell. War sie das Leck, wodurch Slatkin an FBI-interne Informationen kam? War sie der Grund, warum er seinen Häschern immer einen Schritt voraus war? Angestrengt versuchte sie die Situation in der Dusche so genau wie möglich zu rekapitulieren. Sie war allein in den Duschraum der Damen gegangen. Da sie keinen Spind hatte, hatte sie all ihre Kleidung auf der Holzbank im Vorraum der Gemeinschaftsdusche abgelegt – auch ihr Handy. Sie hatte ausgiebig geduscht und das Wasser war auf den gekachelten Boden geplätschert. Sie hatte die Rothaarige nicht gehört, plötzlich stand sie neben ihr. Was hatte sie vorher gemacht? Eine Micro-SD-Karte in den Slot ihres Mobiltelefons zu schieben, war eine Sache von Sekunden.
Georgina schlug die Hände vors Gesicht. Auf einmal passte alles zusammen. Nicht Harveys Leute sondern Slatkin hatte ihr Handy ausgespäht. Daher konnte er sie an der Tankstelle auf dem Highway bei Fresno abpassen.
»Georgina!«, rief Stephen Morris überrascht, als er das Gespräch entgegennahm, »ich dachte, Du bist schon auf dem Weg nach Honolulu!«
»Ich bin noch am Gate. In USA Today ist heute ein Foto des jungen Daniel Slatkin abgedruckt. Es zeigt einen etwa dreizehnjährigen rothaarigen Bub. Er hatte eine Schwester, die sieben Jahre jünger ist als er. Ist etwas über den Verbleib dieser Schwester bekannt?«
»Georgina, Du bist raus aus der Sache. Du hast Deinen Job hingeschmissen. Aber weil Du es bist: Slatkin ist getrennt von seiner Schwester Rhonda bei Adoptiveltern aufgewachsen. Warum ist das interessant?«
»Du erinnerst Dich, dass ich Dir erzählt habe, dass ich nach dem Ärger mit Mike die Gemeinschaftsdusche im Keller genutzt hatte und dort einer Rothaarigen begegnet bin.«
»Ja, ich erinnere mich. Du konntest Ihr Namensschild auf der Uniform nicht sehen, weil sie nackt war. Du hattest von ihr etwas über den Einsatz unserer Einheit bei Five-O-Seven erfahren.«
»Stephen, ich habe Grund zu der Annahme, dass es sich dabei um Slatkins Schwester Rhonda Finley handelte. Die Ähnlichkeit mit dem Jungen aus der Zeitung ist frappierend.«
»Ähnlichkeit mit einem Kinderbild? Ist das alles, Georgina?«
»Wir haben Slatkins DNA. So viele rothaarige, sommersprossige Mitarbeiterinnen hat das FBI nicht. Lass einen Abgleich machen und wir haben Gewissheit! Sie muss die SD-Karte in mein Handy geschoben haben. Sie ist die undichte Stelle!«
»Mmmh«, Stephen zögerte etwas. Immer hatte seine ehemalige Kollegin alle Erkenntnisse nüchtern analysiert. Aber diese Schlussfolgerung klang mehr als abenteuerlich. »Also gut«, sagte er schließlich. »Ruf mich in den nächsten Tagen noch einmal an! Guten Flug!«
»Stephen, ich werde nicht fliegen. Ich habe ein Flexticket. Ich werde es zurückgeben und bin in einer halben Stunde bei Dir in der Zentrale.«
»Georgina, kapierst Du es nicht? Du bist raus! Du kannst am Empfang einen Besucherausweis bekommen – mehr nicht. Du kannst hier nichts für uns tun. Genieße Deinen Urlaub! Du hast ihn mehr als verdient.«
Georginas Anruf hatte Stephen überrascht und zugleich alarmiert. Auch wenn ihm ihre Theorie, Slatkins Schwester hätte sich beim FBI eingeschlichen, reichlich absurd vorkam, war das wenigstens ein Ermittlungsansatz in einem Fall, in dem die Ermittler auf der Stelle traten.
Erschwerend kam hinzu, dass Georginas Stelle immer noch vakant war. Direktorin Bolt hatte sogar angedeutet, dass im Zuge der Sparmaßnahmen mit einer Neubesetzung erst in einem Jahr zu rechnen sei. Also ging er selbst die Datei mit allen FBI-Mitarbeitern aus San Francisco durch.
Aber was zum Teufel sollte er in die Suchmaske eingeben? Die Haarfarbe war nicht gespeichert, Sommersprossen ebenfalls nicht. Slatkin war fünfunddreißig Jahre alt. Seine Schwester war sieben Jahre jünger. Mehr stand nicht in den Akten. 'Rhonda Finley' – Kein Treffer! Das wäre ja auch zu schön gewesen! Arbeitete sie hier unter falschem Namen? Stephen filterte die Datenbank nach weiblichen Mitarbeitern zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Es waren vierunddreißig.
Stephen ging sie alle der Reihe nach durch. Das Bild des Dienstausweises war Teil des Datenblattes. Fünf waren schwarz, drei asiatischer Herkunft und die vierzehn Hispano-Amerikanerinnen hatten bestimmt keine Sommersprossen. Zwei rothaarige Kolleginnen blieben übrig: Lilly Blair und Norma Selby. Stephen klickte zwischen den beiden Einträgen hin und her. Lilly hatte in der Tat einige Sommersprossen um die Nase. Aber Georgina hatte von einer jungen Frau gesprochen, bei der die Sommersprossen über den ganzen Körper verteilt waren.
»Das ist sie nicht!«
Stephen fuhr herum. Hinter ihm stand Georgina. Um den Hals trug sie einen Besucherausweis.
»Wieso habe ich das geahnt?«
»Weil Du mich lange genug kennst. Ich hätte mich auf Hawaii nicht entspannen können, solange das nicht geklärt ist«, entgegnete Georgina. »Wir müssen die Überwachungskameras am Haupteingang auswerten.«
Behutsam drängte Georgina Stephen zur Seite.
»…. und zwar an dem Morgen, nachdem wir vom Hearst Castle zurückgekommen sind.«
Sekunden später flimmerte ein Video über den Bildschirm. Georgina war so reaktionsschnell, dass sie die Datei mit zwölffacher Geschwindigkeit abspielen konnte und jedes Mal, wenn jemand vor der digitalen Stechuhr stand, die Pausentaste klickte.
»Hier bin ich«, kommentierte sie das Foto einer übermüdet und gestresst wirkenden Georgina. Nach dem Einsatz bei Five-O-Seven hatte sie sich auf einige geruhsame Stunden zuhause gefreut und war von ihrem Lebensgefährten Mike so sehr enttäuscht worden. Das kam jetzt alles wieder in ihr hoch.
»Sieh an, sieh an!«, rief sie, nachdem sie das Video kurz hatte weiterlaufen lassen. »Das ist sie! Sie ist keine zwei Minuten nach mir gekommen.«
»Kann es sein, dass sie Dir gefolgt ist?«
»Schon möglich«, murmelte Georgina, während sie sich die eingeblendete Uhrzeit notierte und diese mit den Daten der Stechuhr verglich. »Kaitlin Robyn! Mit dieser Karte hat sie sich eingeloggt.«
»Das Bild sieht ihr aber gar nicht ähnlich«, bemerkte Stephen, als Kaitlins Personalunterlagen auf dem zweiten Bildschirm erschienen. Das Portrait zeigte eine junge Frau mit blonden, leicht gelockten, schulterlangen Haaren.
»Nein«, bestätigte Georgina, »das ist sie nicht. Entweder ist der Dienstausweis gestohlen oder gefälscht. Lass uns mal sehen, wie oft sich diese Kaitlin hier eingecheckt hat.«
»Ich glaub es nicht!«, rief sie, als sich die Tabelle mit den Ein- und Auscheckzeiten von Kaitlin Robyn auf dem Bildschirm aufbaute. »Sie ist seit zwanzig Minuten wieder im Gebäude!«
»Soll ich die Ausgänge sperren lassen?«, fragte Stephen.
»Jetzt werde ich erst einmal überprüfen, in welche Bereiche sie mit diesem Ausweis hereinkommt und dann ihren Ausweis sperren.«
Georginas schlanke schwarze Finger huschten über die Tasten.
»Sie ist im Technikbereich unter dem Dach!«
»Dort sind die Klimaanlagen!« Blankes Entsetzen stand in ihrem Gesicht geschrieben. »Sie vergiftet uns mit Pandora!«
»Kannst Du die Klimaanlage abschalten?«
»Nein! Wir müssen einen Räumungsalarm auslösen!«
»Dann ist sie gewarnt! Wir müssen sie stellen!«, drängte Stephen.
»Ich löse einen stillen Alarm aus«, schlug Georgina vor.
Sekunden später erschien auf allen Bildschirmen in der FBI-Zentrale eine entsprechende Meldung. Im Großraumbüro erhoben sich augenblicklich alle Kollegen und verließen wortlos den Raum.
»Hast Du noch eine zweite Waffe in der Schublade?«, fragte Georgina.
»Steck den Besucherausweis weg!«, entgegnete Stephen, während er die Schublade öffnete. »Nicht jedes meiner Dienstvergehen muss so offensichtlich sein.«
Rhondas Schädel brummte. Sie stand direkt neben einem der Abluftventilatoren unter dem Dach. Sie musste einen der Ansaugrohre finden, die Frischluft in das Gebäude leiteten. Der spärlich beleuchtete, mit Rohren, Schalttafeln und Kabeln vollgestopfte Raum erwies sich als Irrgarten. Der Plan, den sie auf ihrem Mobiltelefon gespeichert hatte, half ihr nicht wirklich weiter.
Schließlich entdeckte sie einen Schacht, an dessen Wandung eine Klappe angebracht war. Sie löste die Schrauben und hielt ihre Hand in das Innere. Frische Luft umwehte ihre Finger. Dies war nicht die stickige Luft aus den Tiefen der Straßenschluchten, sondern kühle, saubere Luft, die vom Pazifik her wehte. Nicht mehr lange! Dieser Anschlag sollte Polizisten töten. Polizisten waren es, die ihren Vater getötet hatten. In der Folge war sie von ihrem geliebten Bruder getrennt bei Stiefeltern aufgewachsen, die ihr das Leben zur Hölle gemacht hatten. Daniel war es nicht besser ergangen. Heute war der Tag der Abrechnung! Nur zu schade, dass diese Georgina May nicht mehr zu diesem Haufen gehörte!
Daniel hatte sie eindringlich auf die Gefahr hingewiesen, die von Pandora ausging. Er hatte ihr eine Atemschutzmaske gegeben, die sie schon vor einigen Tagen ins Gebäude geschmuggelt und in ihrem Spind deponiert hatte. Sie setzte die Maske auf und zog die Riemen hinter dem Kopf fest. Ihr Atem ging schneller, ihre Handflächen wurden feucht und ihre Finger zitterten, als sie den Schnappdeckel vom wulstigen Rand des Gläschens abzog.
»Rhonda Finley, machen Sie das Gläschen zu!«
Sie schreckte auf und blickte in die Mündung einer Pistole. Vor ihr stand ein junger Beamter in Zivil. Er kannte ihren Namen! Wie um alles in der Welt war er ihr auf die Schliche gekommen? Sie blickte wieder auf das Gläschen. Sollte sie es dem Bullen ins Gesicht werfen?
»Das würde ich lassen!« Der Mann schien ihre Gedanken erraten zu haben.
Jetzt erkannte sie ihn. Daniel hatte ihr Bilder von dem missglückten Anschlag auf Pier 39 gezeigt. Es war einer der Cops, die Georgina May im letzten Moment gerettet hatten.
»Wenn Sie schießen, lasse ich das Glas fallen!«
»Sie ergeben sich jetzt, sagen uns, wo Ihr Bruder ist, und entgehen dadurch der Todesstrafe oder ich erschieße Sie. Sie haben die Wahl!«
Blitzschnell steckte Rhonda die Hand mit dem Glas durch die Schachtöffnung. »Sie verschwinden jetzt sofort, oder ich schütte das Glas aus! Dann atmet ihr Bullenschweine das Zeug ein!«
»Das Gebäude ist bereits evakuiert«, entgegnete Stephen in ruhigem Ton.
»Na und! Mein Bruder hat noch mehr davon! Er wird Euch eine Lektion erteilen, wenn Ihr mich nicht laufen lasst!«
»Sie verlassen dieses Gebäude entweder in Handschellen oder in einem Leichensack. Es liegt einzig und allein bei Ihnen.«
»Du kannst es nicht sehen, aber ich habe gerade das Glas umgekippt!« Rhonda lachte spöttisch ohne den geringsten Anflug von Angst.
»Du kannst es nicht sehen, aber ich habe gerade die Anlage abgestellt!« Das war Georgina, die nun von der anderen Seite an Rhonda herantrat.
Irritiert blickte sie sich um. Erst jetzt bemerkte sie, dass in der Tat der Luftstrom im Frischluftschacht zum Erliegen gekommen war. Auch dieser Anschlag drohte zu misslingen. Und wieso war diese schwarze Schlampe hier? Sie hatte ihren Job doch hingeschmissen!
»Versuchter Massenmord mit terroristischem Hintergrund«, sagte Georgina, »dafür wanderst Du in die Todeszelle!«
»Na los! Erschieß' mich doch, Schlampe!«
In diesem Moment schritt Stephen auf Rhonda zu, riss an ihrem Arm, der immer noch in der Schachtöffnung steckte, und drehte ihn auf den Rücken. Sie quiekte wie ein Schwein. Stephen beeindruckte das nicht.
Vorsichtig blickte Georgina in den Schacht. Sie konnte das offene Glas mit den Anthraxsporen sehen. Das weiße Pulver befand sich noch im Glas. Behutsam schloss Georgina die Klappe der Klimaanlage. Um die Beseitigung von Pandora würde sich ein Spezialkommando kümmern.
»Lass sie uns nach unten bringen!«, sagte Stephen.
»Mit Vergnügen!«, antwortete Georgina und hielt die Stahltür auf, die zum Treppenhaus führte. Das obere Ende des Fahrstuhlschachtes lag zehn Meter tiefer. Dorthin führte nur eine schmale Stahltreppe, die sie erst vor zehn Minuten nach oben geeilt waren. Sie mussten hintereinander gehen.
»Weißt Du eigentlich, wer Deinen Mike und sein Flittchen umgebracht hat?«, begann Rhonda.
»Georgina, lass Dich nicht provozieren!«, rief Stephen, der voran gegangen war und sich nun zu den beiden Frauen umdrehte.
Aber da war es schon zu spät. Georgina hatte Rhonda gepackt und drückte ihren Oberkörper über das Treppengeländer.
»Ich war das!« Rhonda keuchte, denn der Handlauf des Geländers drückte gegen ihren Brustkorb. »Das Flittchen sah aus wie Du – nur etwas hübscher. «
»Georgina, lass das!« Stephen ahnte, was in Georgina vorging. In vieler Hinsicht, was sie ihm sehr ähnlich.
»Na los! Schmeiß mich runter! Dann ist es vorbei!«
»Das würde viel zu schnell gehen«, entgegnete Georgina.
»Sie blufft!«, rief Stephen. »Sie weiß gar nichts!«
»Sie weiß, dass Mikes neue Freundin mir ähnlich sah. Das stand nicht in den Pressemitteilungen! Das ist Täterwissen!«, schrie Georgina.
Sie packte Rhondas roten Haarschopf und schlug ihren Kopf gegen das Geländer. Mehrere Zähne flogen quer durch das Treppenhaus. Anschließend griff Georgina in den blutenden Mund, riss mit einem Ruck an Rhondas Unterkiefer und renkte diesen mit einem lauten Knacksen aus.
Rhonda gab tierische Schmerzenslaute von sich, während sie sich auf dem Boden in ihrer eigenen Blutlache krümmte. Aber Georgina war mit ihr noch nicht fertig. Sie packte ihren Kopf mit beiden Händen und drückte mit den Daumen ihre Augäpfel ein. Rhonda strampelte unkoordiniert, aber Georgina gelang es, sie auf die Beine zu stellen, indem sie erneut an ihren Haaren zog.
»Wir schaffen sie aufs Dach«, rief sie zu Stephen, der es aufgegeben hatte, seine ehemalige Kollegin zu bändigen.
Sie schleifte Rhonda zurück in den Technikraum, der einen direkten Zugang zum Flachdach des FBI-Centers hatte. Sie öffnete die Stahltür und stieß Rhonda ins Freie.
»Jetzt kannst Du fliehen! Viel Glück!« Georgina ließ von ihr ab.
Mit dem ausgerenkten Kiefer konnte die erblindete Rhonda nur noch grunzende Laute von sich geben. Trotz ihrer Verletzungen hielt sie sich auf den Beinen und rannte panisch über das Flachdach. Einen Meter vor dem Rand stolperte sie über einen Draht, rappelte sich wieder auf, rannte weiter und stürzte in die Tiefe.
»Upps«, sagte Georgina.
Der Aufschlag des Körpers war nicht zu hören. Das Gebäude hatte siebzehn Stockwerke.
»Auf der Flucht vom Dach gestürzt«, meinte Stephen, »mal sehen, wie wir das forensisch belegen. Lass mich das mit Joan abklären.«
Georgina war außer Atem. Ihre Augen funkelten.
»Was machst Du eigentlich hier?«, meinte Stephen gespielt vorwurfsvoll. »Im Alarmfall haben sich alle Mitarbeiter und Besucher unverzüglich auf dem Sammelplatz neben dem Gebäude einzufinden!«
»Zu Befehl, Sir!« Grinsend salutierte Georgina vor ihrem ehemaligen Vorgesetzten. »Bitte um Erlaubnis, mir vorher die Hände waschen zu dürfen!«
»Erlaubnis erteilt!« Stephen grinste zurück, während sich Georgina umdrehte und zurück zur Stahltür begab.
»Georgina!«, rief Stephen hinter ihr her.
»Was?«
»Du nimmst die nächste Maschine nach Honolulu. Ich erledige hier alles. Ach ja – meine Pistole hätte ich noch gerne zurück.«
»Und was ist mit Slatkin?«, fragte Georgina, während sie ihm die Waffe aushändigte.
»Wenn er vom Tod seiner Schwester erfährt, wird er einen Fehler machen.«
Georgina schürzte die Lippen. War das ein Kuss, den sie ihm zuwarf?
***
Ein Räumungsalarm im FBI-Center würde normalerweise keinen Fünfzeiler in den Nachrichten wert sein. Aber in diesen Tagen war nichts normal. Kaum hatten sich die ersten Mitarbeiter auf dem Sammelplatz eingefunden, waren bereits die ersten Kamerateams der lokalen Sendestationen vor Ort.
'Terroralarm in San Francisco – FBI-Center evakuiert', lautete gleich darauf der Titel in den Breaking News der großen Nachrichtensender.
»Ihr könnt rennen, wohin Ihr wollt«, dachte Daniel Slatkin, »Ihr seid schon so gut wie tot.«
Rhonda hatte gute Arbeit geleistet! In wenigen Stunden würden die ersten Symptome einsetzen. Während alle Welt auf den Ort des neuen Anschlages schaute, würde er in derselben Stadt zum vernichtenden Schlag ausholen. Der Wagen, den er erst vor zwei Stunden auf dem Parkplatz vom Oakland Airport kurzgeschlossen hatte, würde erst in einigen Tagen als gestohlen gemeldet werden. Jetzt war er damit in die Parkgarage des San Francisco Airports gefahren. Dieser Flughafen war viel größer – und belebter.
Nervös blickte er auf sein Mobiltelefon. Warum meldete sich Rhonda nicht wie verabredet? Kein Empfang! Er musste sich beeilen, aus der Tiefgarage herauszukommen.
Auf der Plattform der Haltestelle des Sky Trains, der zum Terminal führte, standen zwei Cops mit Maschinenpistolen im Anschlag. Die beiden Fahndungsbilder zeigten ihn einmal mit und einmal ohne Bart, aber immer mit schwarzen Haaren. Jetzt sprießten seine rotblonden Haare als kurze Stoppeln auf dem kahlen Schädel. War diese Tarnung ausreichend genug? Jede Kamera mit automatischer Gesichtserkennung würde ihn enttarnen. Schon den ganzen Tag versuchte sich die Sonne durch den nebeligen Dunst zu kämpfen – vergeblich. Bei solchem Wetter würde eine Sonnenbrille Slatkin nur verdächtig machen.
Er tat das, was alle machten, die die Zeit bis zum Eintreffen des nächsten Sky Trains überbrücken wollten. Er starrte auf sein Handy. Der Empfang war längst wieder da – der ersehnte Anruf seiner Schwester blieb aus.
Er stand ganz am Ende des gläsernen Wagons und blickte gedankenverloren in das Innere des Wagons davor. Seine volle Aufmerksamkeit richtete er auf eine Schwarze, die mit dem Rücken zu ihm am Fenster stand und an einer der Seitenstangen Halt suchte. Hatte er schon Halluzinationen oder war das Georgina May?
»Wenn Rhonda Dich schon nicht beim FBI erwischt hat, mir entkommst Du nicht!«, dachte er.
Als der Sky Train am Terminal stoppte, blickte er beim Ausstieg unauffällig zur Seite. Die Schwarze stieg ebenfalls aus. Jetzt sah er ihr Gesichtsprofil und er war sich sicher: das war Georgina May. Im Strom der Leiber, der wie eine gigantische Raupe durch die engen Gänge zur Abfertigungshalle kroch, war es für ihn ein Leichtes, der Schwarzen unauffällig zu folgen.
Er stellte sich vor, wie er sich diese Frau griff, durch eine Tür in einen verlassenen Raum zerrte und grausame Rache an ihr nehmen würde. Rache dafür, dass diese FBI-Agentin permanent seine Pläne durchkreuzt hatte. Aber war es das wert? Zu groß war die Gefahr, entdeckt zu werden. Zu groß das Risiko, dass er das eigentliche Ziel – sein großes Ziel – damit aufs Spiel setzte.
Was wäre, wenn sie auf ihn aufmerksam würde? Wie würde sie reagieren? Würde sie laut schreien: »Das ist er! Haltet Ihn!« Wohl kaum! Dieses Weib war eine Jägerin. Sie würde versuchen, ihn auf eigene Faust zu überwältigen. Und das wäre seine Chance!
Vor ihnen kam die Raupe zum Stillstand. Die breite Tür einer Behindertentoilette wurde geöffnet und jeder versuchte, sich durch den verengten Spalt zwischen Tür und Wand hindurchzuzwängen. Nicht so Georgina! Sie hielt einer Rollstuhlfahrerin die Tür auf. Von den hinter ihm laufenden Menschen wurde er nach vorne geschoben.
Jetzt war er mit ihr auf Tuchfühlung. Er konnte sie riechen. Er rempelte sie an.
»He!«, rief Georgina ungehalten.
Ein Schubs und er hätte sie zusammen mit der Behinderten in die Toilette befördert. Aber da war er schon vorbei. Jetzt war Georgina hinter ihm. Hatte sie ihn erkannt? Wie weit war sie hinter ihm?
Vor dem nächsten Monitor blieb er stehen, als wolle er die Nummer seines Abflug-Gates herausfinden. Als er vorsichtig seinen Kopf nach rechts drehte, ging Georgina gerade an ihm vorbei. Sie kramte im Laufen gerade in ihrem Handgepäck und zog ihr Online-Ticket aus einem Seitenfach.
»Zwei Chancen«, dachte Slatkin und folgte ihr, »Du hattest jetzt zwei Chancen, mich zu erkennen. Die Toten, die es nun geben wird, hast Du auf dem Gewissen.« Er grinste diabolisch.
Keine zwei Meter trennten ihn von ihr. Die meisten Passagiere waren schneller und hatten sie überholt. Er sah sich um. Nur drei Personen waren in Sichtweite hinter ihm, zwei leicht übergewichtige Frauen und ein älterer Herr – drei unliebsame Zeugen.
Jetzt erreichten sie die belebte Schalterhalle. Georgina steuerte zielstrebig einen Schalter von United Airlines an. Er beschloss, sie im Auge zu behalten. Da sie sich in eine Warteschlange einreihen musste, nutzte er die Gelegenheit, aus sicherer Entfernung ein weiteres Mal sein Smartphone zu überprüfen. Immer noch kein Anruf! Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Irgendetwas musste schief gegangen sein! Er warf einen Blick auf Georgina. Noch immer standen fünf Passagiere vor ihr. Er öffnete den Internet-Browser und öffnete eine Seite mit aktuellen Nachrichten.
'Terroralarm in San Francisco – FBI-Center evakuiert' hatte es jetzt ganz nach oben auf der Suchliste geschafft. Wie elektrisiert öffnete Slatkin einen Livestream auf dem Internetportal eines Nachrichtensenders.
»… noch immer herrscht Unklarheit über die Identität der Frau, die während des Räumungsalarms vom Dach des FBI-Gebäudes gesprungen ist.« Zur Untermalung dieses Satzes wurde ein verwackeltes Amateurvideo eingeblendet, das den Sturz einer Gestalt von einem Hochhaus zeigte. »Anfangs lag die Vermutung nahe, eine FBI-Beamtin hätte sich aus Verzweiflung vom Dach gestürzt. Es verdichten sich aber Gerüchte, wonach es sich bei der Toten um Rhonda Finley, die Schwester von Daniel Slaktin, handelt. Sie soll einen Anschlag auf das FBI-Gebäude geplant, dann aber den Freitod gewählt haben.«
Slatkins Hände zitterten. Er musste sich beherrschen. Am liebsten hätte er das Smartphone auf dem Boden geschmettert und einen tierischen Schrei losgelassen. Rhonda war für ihn mehr als eine Schwester. Nach den vielen Jahren der Trennung hatte er sie aufgespürt und sich in sie verliebt. Sie hatte diese Liebe erwidert, ungeachtet der Blutsverwandtschaft. So vieles hatten sie gemeinsam! Und jetzt war seine geliebte Schwester tot und das war bestimmt kein Selbstmord. Im Falle eines Scheiterns sollte Rhonda sich festnehmen lassen. Daniel würde versuchen, sie freizupressen. So hatten sie es besprochen – in den langen Nächten im Trailer nördlich von Oakland. Wieder einmal war jemand aus seiner Familie von der Polizei ermordet worden. Und wieder einmal wurde die Wahrheit vertuscht.
Er blickte auf. Verdammt! Wo war die schwarze Bitch! Zulange hatte er auf das Display gestarrt. Er blickte sich um. Nach dem Einchecken gingen Passagiere normalerweise schnurstracks zur Sicherheitsschleuse. Die Warteschlange dort war besonders lang, da die Kontrollmaßnahmen auf Grund der erhöhten Terrorwarnstufe verschärft worden waren. Aber Georgina war nicht dabei!
Egal! Jetzt musste er sich auf seine Mission konzentrieren, auch wenn er in seinen Gedanken bei Rhonda war. Er ging zu einer Behindertentoilette im Check-in-Bereich, die er schon Tage zuvor ausgekundschaftet hatte. Hierhin kamen nur wenige Passagiere und hier führte entlang der Decke ein Belüftungsrohr. Als er den geräumigen Toilettenraum betrat, war er allein. Keine der drei Kabinen war besetzt. Er wählte die mittlere Kabine und verschloss die Tür, bevor er sich auf die Klobrille stellte, um eine Serviceklappe zu öffnen. Von hier aus sollte Pandora ihre teuflische Wirkung verbreiten!
Bevor er das Gläschen öffnete, legte er eine Atemschutzmaske an, die sein Gesichtsfeld deutlich einschränkte. Aber Sicherheit ging vor! Er richtete die an seinem Hinterkopf verdrehten Gummibänder und zog sie fester zu. Anschließend streifte er sich Gummihandschuhe über. Mit der rechten Hand drückte er auf die Ansaugöffnung des Filters und atmete tief ein. Sofort spürte er den Druck des Gummis auf seinem Gesicht. Die Maske war dicht. Erst jetzt zog er aus der Jackentasche ein Schnappdeckelgläschen mit dem todbringenden Inhalt. Etwas unbeholfen hantierte er vor den Sehschlitzen der Maske am Deckel des Gläschens.
Slatkin war so sehr mit der vorsichtigen Öffnung des kleinen Behälters beschäftigt, dass er den Druck auf seinen Schultern im ersten Moment nicht wahrnahm. Jemand hatte eine Schlinge um seinen Hals gelegt, die sich unaufhaltsam zuzog und ihm den Atem raubte. Panisch ließ er das Gläschen los und versuchte, seine Finger zwischen die Schlinge und seinen Hals zu zwängen.
»Hast Du gedacht, ich erkenne Dich nicht, wenn Du Deine gefärbten schwarzen Haare abrasierst?«
Er drehte seinen Kopf so weit er konnte und erkannte durch das Sichtfenster seiner Maske, dass Georgina May hinter ihm stand. Zu einer Lautäußerung war er nicht mehr im Stande.
»Das ist eine Plastikhandschelle, Du Arschloch! Ein Erinnerungsstück an meine Zeit beim FBI! Die Dinger funktionieren wie ein Kabelbinder. Der einzige Unterschied ist der Stift, der die Bindung arretiert. Der Stift besteht nicht aus Plastik, sondern aus Metall. Durchschneiden kann man die Dinger nur mit Spezialwerkzeug. Du hast noch maximal dreißig Sekunden zu leben.«
Georgina fischte das Gläschen aus der Kloschüssel. Es war noch verschlossen. Slatkin röchelte. Seine Bewegungen wurden zittrig und zunehmend unkoordiniert. Seine Füße hämmerten gegen die Trennwand der Kabine, während er vergeblich versuchte, seine Finger zwischen seinen Hals und das dünne Plastikband zu bekommen.
»Damit Du es weißt: ich habe Deiner Schwester die Augäpfel eingedrückt, bevor sie vom Dach gesprungen ist. Fahr zur Hölle!«
Nun entriss Georgina ihm die Atemmaske und blickte triumphierend in seine Augen, in denen die anfangs punktförmigen Einblutungen immer größer wurden. Das letzte, was Slatkin sah, war, wie die Frau, die in den letzten Wochen alle seine teuflischen Pläne durchkreuzt hatte, sich seine Atemmaske überzog, bevor sie die todbringenden Anthrax-Sporen in die Kloschüssel rieseln ließ und die Spülung betätigte.
Die Tritte gegen die Kabinenwand hatten aufgehört. Nachdem der Spülkasten wieder mit Wasser gefüllt war, hörte Georgina nichts außer dem Gewirr von Stimmen und Lautsprecherdurchsagen aus der Schalterhalle.
Sie schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde begann das Einchecken am Gate ihres Fliegers. Sie versuchte Slatkins Puls zu fühlen und erst nachdem sie sich sicher war, dass Amerikas meistgesuchter Topterrorist tot zu ihren Füßen lag, verließ sie die Kabine. Sie warf die Atemschutzmaske auf die Leiche, schloss die Tür von außen und drehte mit der Spitze ihrer Nagelfeile die Scheibe im Sichtfenster von weiß auf rot. Sie hörte, wie auf der anderen Seite der Riegel ins Schloss fiel. Auf diese Weise hatte sie, von Slatkin unbemerkt, die Kabinentür geöffnet und so stellte sie nun sicher, dass seine Leiche erst von der nächsten Putzfrau gefunden würde. Ihr war bewusst, dass der gesamte Flughafen nach diesem Fund sofort evakuiert werden würde. Vielleicht hatte sie ja Glück und war zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg nach Hawaii.