13. Dezember 1931

 

»So, jetzt habe ich Dich, Du Schwein!«, murmelte Warren Boyle und bemerkte den argwöhnischen Blick des Taxifahrers im Rückspiegel.

»Halten Sie hinter dem Taxi da vorne«, beeilte er sich zu sagen.

»Das macht drei Dollar fünfundsiebzig«, sagte der Fahrer, stoppte den Taxameter und hielt auf der linken Seite neben dem Mittelstreifen der Fifth Avenue.

»Stimmt so.« Der Fahrgast hielt ihm eine Fünfdollarnote hin.

»Vielen Dank! Seien Sie vorsichtig, wenn Sie die Straße überqueren!«

Warren Boyle antwortete nicht. Grußlos verließ er das Cab, denn auch der Fahrgast im Taxi vor ihm war bereits ausgestiegen und begab sich entlang des Mittelstreifens zum nächsten Übergang zwischen der sechsundsiebzigsten und siebenundsiebzigsten Straße. Warren Boyle umklammerte das Messer in seiner Tasche, während er seinen Schritt beschleunigte, um den Abstand zu seinem Opfer zu verringern.

Morgens um halb elf herrschte für die damalige Zeit dichter Verkehr auf der Fifth Avenue in New York. Die Situation war günstig – um nicht zu sagen, sie war perfekt. Auf einem Bürgersteig hätten andere Passanten ihn festhalten können. Hier auf dem Mittelstreifen war niemand außer dem Jäger und seinem Opfer. Warrens Herz schlug schneller. Nur noch drei Meter! Gleich würde das Opfer den Übergang erreichen.

»Das ist für meinen Bruder!«, würde er sagen, während er dem Mann von hinten das Messer zwischen die Rippen stoßen würde. Langsam verbluten sollte er! In dieser ihm verbleibenden Zeit sollte er nachdenken über die Schuld, die er auf sich geladen hatte!

Als Warren nur noch anderthalb Meter von seinem Opfer entfernt war, drehte sich dieses plötzlich um und bemerkte den Verfolger.

»Was wollen Sie?«, fragte der korpulente Mann mit der Stirnglatze.

Warren sah, wie sein Opfer schwitzte, obwohl die Temperatur an diesem Dezembermorgen unter dem Gefrierpunkt lag. Angstschweiß!

»Das ist für meinen Bruder!«, rief Warren und zog das Messer aus seiner Tasche.

Irritiert blickte der Mann zuerst auf das Messer, dann in das Gesicht des Jägers, um anschließend unvermittelt und panisch die Fahrbahn zu betreten. Instinktiv machte Warren einen Schritt nach links, als er direkt neben sich Reifen quietschen hörte. Ein dumpfer Schlag und das Klirren der Scheibe des linken Scheinwerfers übertönten das Kreischen einer Frau, die von der anderen Straßenseite aus Zeugin des Unfalls wurde.

Warren Boyle überlegte kurz, ob er sich unter die Schaulustigen mischen sollte, um sich daran zu ergötzen, wie das Opfer in einem Sarg abtransportiert würde. Aber als er die ersten Polizeisirenen hörte, warf er das Messer weg und hatte es eilig, den Schauplatz des Unfalls zu verlassen.

 

»Sie können gehen, Cantasano!« Der Officer hielt dem jungen Italo-Amerikaner seine Papiere hin.

»Was ist mit dem Mann?«, fragte dieser ängstlich.

»Er wird es überleben. Er ist Engländer. Er hat ausgesagt, er hätte für einen Augenblick vergessen, dass in Amerika die Autos rechts fahren. Er befand sich auf dem Mittelstreifen der Fifth Avenue und hat einer alten Gewohnheit folgend nach links anstatt nach rechts geschaut. Den Rest kennen Sie. Ferner hat er sich bereit erklärt, Ihnen den Schaden an Ihrem Wagen zu ersetzen.«

»Aber da war noch ein zweiter Mann«, beharrte Edward Cantasano.

»Ein zweiter Mann? Davon hat er nichts gesagt!«, wunderte sich der Officer.

»Kann ich mit dem Mann sprechen? In welchem Krankenhaus liegt er?«

»Er liegt im Lennox Hill Hospital, aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

»Doch, ich möchte ihn sprechen. Es geht mir nicht um den Schaden. Ich möchte wissen, ob es ihm gut geht.«

»Na gut«, seufzte der Officer, »ich weiß nur nicht, ob er Sie sehen will. In seiner Heimat soll er eine Berühmtheit sein - ein ehemaliger Minister oder so. Sein Name ist Churchill – Winston Churchill.«