KAPITEL 15
Das andere Ende des Dachbodens
Oma weigerte sich zu reden, während sie durch die Schlucht zurückgingen. Sie trug eine griesgrämige, nachdenkliche Miene zur Schau und verbat sich jedweden Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen. Kendra wartete, bis sie wieder bei der überdachten Brücke waren, bis sie es erneut versuchte.
»Oma ...«, begann Kendra.
»Nicht hier«, ermahnte Oma sie. »Wir dürfen unsere Lage nicht draußen im Freien besprechen.« Sie bedeutete ihnen, näher heranzurücken, und fuhr mit gedämpfter Stimme fort. »Lassen wir es bei Folgendem bewenden. Wir müssen heute noch zu eurem Opa gehen. Morgen könnte es bereits zu spät sein. Wir werden unverzüglich zum Haus zurückkehren, uns die nötige Ausrüstung holen und zu dem Ort gehen, an dem er festgehalten wird. Ich werde euch seinen genauen Aufenthaltsort sagen, sobald wir im Haus sind. Muriel weiß vielleicht noch nicht, wo er ist, und selbst wenn sie es weiß, soll sie nicht erfahren, dass wir es ebenfalls wissen.«
Oma hörte auf zu flüstern und scheuchte sie den Weg entlang. »Tut mir leid, wenn ich etwas ungesellig bin, seit wir Neros Höhle verlassen haben«, sagte sie, nachdem sie einige Minuten schweigend nebeneinander hergegangen waren. »Ich muss mir einen Plan zurechtlegen. Ihr beiden habt wirklich vorzügliche Arbeit geleistet. Niemand sollte einen Nachmittag damit verbringen müssen, die Füße eines Trolls zu kneten. Seth, du warst ein Held auf den Baumstämmen, und Kendra, du hast während den Verhandlungen genau zur richtigen Zeit gut geblufft. Ihr habt beide meine Erwartungen bei weitem übertroffen.««
»Ich wusste gar nicht, dass du Masseuse bist«, sagte Kendra.
»Ich habe es von Lena gelernt. Sie hat rund um den Globus Erfahrungen gesammelt. Wenn ihr jemals eine Chance bekommt, euch von ihr massieren zu lassen, dann lasst sie euch nicht entgehen.« Oma schob sich einige zerzauste Haarsträhnen hinters Ohr. Einen Augenblick später war sie wieder reserviert, schürzte die Lippen und blickte in die Ferne, während sie weiterging. »Ich habe einige Fragen an euch beide, Dinge, über die wir im Freien reden können. Seid ihr einem Mann namens Warren begegnet?«
»Warren?«, wiederholte Seth.
»Gut aussehend und still? Weißes Haar und weiße Haut? Dales Bruder.«
»Nein«, antwortete Kendra.
»Sie könnten ihn am Mittsommerabend ins Haus geholt haben«, hakte Oma nach.
»Wir waren bis nach Sonnenuntergang mit Opa, Dale und Lena zusammen, aber jemand anderen haben wir nicht gesehen«, sagte Seth.
»Ich habe noch nicht einmal von ihm gehört«, fügte Kendra hinzu.
»Ich auch nicht«, bestätigte Seth.
Oma nickte. »Dann muss er in der Hütte geblieben sein. Habt ihr Hugo kennengelernt?«
»Ja!«, sagte Seth. »Er ist toll. Ich frage mich, wo er hingegangen ist.«
Oma sah Seth zögernd an. »Er hat sicher seine Arbeiten in der Scheune erledigt.«
»Ich glaube nicht«, sagte Kendra. »Wir mussten gestern die Kuh melken.«
»Ihr habt Viola gemolken?«, fragte Oma, völlig erstaunt. »Wie?«
Kendra erzählte, wie sie die Leitern aufgestellt hatten und an den Zitzen heruntergerutscht waren. Seth steuerte Einzelheiten darüber bei, wie verschmiert sie anschließend gewesen waren.
»Was für schlaue Kinder ihr seid!«, rief Oma. »Stan hatte euch nichts von ihr erzählt?«
»Wir haben sie gefunden, weil sie so laut gemuht hat«, erklärte Seth. »Die ganze Scheune hat gezittert.«
»Es sah aus, als würde ihr Euter gleich explodieren«, ergänzte Kendra.
»Viola ist unsere Milchkuh«, erklärte Oma. »Jedes Reservat hat ein solches Tier, obwohl es nicht immer Rinder sind. Sie ist älter als das Reservat selbst, das im Jahr 1711 gegründet wurde. Zu jener Zeit hat man sie mit dem Schiff von Europa hierhergebracht. Sie war der Abkömmling einer Milchkuh in einem Reservat in den Pyrenäen und ungefähr hundert Jahre alt, als sie die Reise hierher antrat, und sie war schon damals größer als ein Elefant. Seither ist sie hier und wird mit jedem Jahr noch ein Stückchen größer.«
»Dann wird sie wohl bald nicht mehr in die Scheune passen«, bemerkte Seth.
»Ihr Wachstum hat sich im Laufe der Jahre verlangsamt. Aber, ja, sie könnte eines Tages zu groß sein für ihr gegenwärtiges Zuhause.«
»Von ihr stammt die Milch, die die Feen trinken«, sagte Kendra.
»Nicht nur die Feen trinken ihre Milch. Alle Geschöpfe des Feenreichs verehren diese uralte Rinderrasse und hegen und pflegen sie. Sie belegen ihr Futter täglich mit Zaubern und bringen ihr geheime Opfer dar, um sie zu ehren und zu nähren. Im Gegenzug wirkt die Milch dieser Rasse wie ein göttlicher Trank, der unabdingbar für das Überleben der Feen ist. Es ist kein Wunder, dass Kühe an manchen Orten der Welt immer noch als heilig angesehen werden.«
»Sie muss tonnenweise Dung produzieren«, meinte Seth.
»Ein weiterer Segen. Ihr Mist ist der beste Dünger der Welt und lässt Pflanzen schneller wachsen als gewöhnlich; manchmal erreichen sie dadurch unglaubliche Ausmaße. Durch die Kraft ihres Dungs können wir mehrere Ernten pro Jahr einfahren, und viele tropische Pflanzen in diesem Reservat würden ohne Violas Mist eingehen. Habt ihr Milch für die Feen nach draußen gestellt?«
»Nein«, sagte Seth. »Wir haben alles in den Abfluss gegossen. Wir wollten vor allem die Kuh beruhigen.«
»Ist nicht so wichtig. Wenn keine Milch da ist, werden die Feen zwar ein wenig übellaunig, aber sie werden darüber hinwegkommen. Wir werden dafür sorgen, dass sie spätestens morgen etwas bekommen.«
»Also wird Viola normalerweise von Hugo gemolken«, schlussfolgerte Kendra.
»Richtig. Das gehört zu seinen festen Aufgaben. Daher muss es einen Grund geben, warum er sie während der vergangenen zwei Tage nicht ausgeführt hat. Ihr habt ihn seit der Mittsommernacht nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
»Er hat wahrscheinlich den Auftrag bekommen, über Warren und die Hütte zu wachen, bis er einen anderen Befehl erhält. Er müsste kommen, wenn wir nach ihm rufen.«
»Könnte ihm etwas zugestoßen sein?«, wollte Seth wissen.
»Ein Golem mag als kaum mehr erscheinen als belebte Materie mit rudimentärer Intelligenz. Aber die meisten Geschöpfe in diesem Reservat fürchten Hugo. Nur wenige könnten ihm etwas antun, selbst wenn sie es versuchten. Er wird unser wichtigster Verbündeter bei der Rettung eures Großvaters sein.«
»Was ist mit Warren?«, fragte Kendra. »Wird er uns auch helfen?«
Oma legte die Stirn in Falten. »Ihr seid ihm deshalb nicht begegnet, weil sein Geist zerstört wurde. Dale ist vor allem in diesem Reservat geblieben, um für ihn zu sorgen. Warren ist in eine katatonische Starre verfallen. Fabelheim hat viele Geschichten. Seine Geschichte ist die Tragödie eines Menschen, der sich in Bereiche gewagt hat, in denen er nichts zu suchen hatte. Warren wird uns keine Hilfe sein.«
»Ist sonst noch jemand da?«, fragte Seth. »Die Satyre vielleicht?«
»Satyre?«, rief Oma aus. »Wann habt ihr mit Satyren zu tun gehabt? Ich werde wohl ein Wörtchen mit eurem Großvater reden müssen, wenn wir ihn finden.«
»Wir sind ihnen zufällig im Wald begegnet«, beschwichtigte Kendra. »Wir haben Eintopf aus etwas genommen, das aussah wie ein Brunnen, und sie haben uns erklärt, dass wir in Wirklichkeit eine Ogerin bestehlen.«
»Diese Schurken wollten eher ihre niederträchtigen Absichten schützen als euch«, schnaubte Oma. »Sie stehlen schon seit Jahren den Eintopf der Ogerin. Die Tunichtgute wollten nicht, dass sie ihre Diebstahlvorrichtung neu bauen müssen – das hätte ihnen wahrscheinlich zu sehr nach Arbeit gerochen. Die Satyre verbringen ihr Leben im Leichtsinn. Freunde sind sie nur in guten Tagen. Euer Großvater und ich bringen einigen Wesen in diesem Reservat großen Respekt entgegen, und sie uns, dennoch gibt es hier nicht viel mehr Loyalität, als man sie auch in freier Wildbahn finden würde. Die Herde sieht ungerührt zu, wenn kranke oder verletzte Geschöpfe von Raubtieren erlegt werden. Wenn euer Großvater gerettet werden soll, müssen wir schnell handeln, und niemand außer Hugo wird uns dabei helfen.«
Es war später Nachmittag, als sie den Garten erreichten. Oma stand da, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ließ den Anblick auf sich wirken. Das zerstörte Baumhaus, die geschändeten Möbelstücke, die überall im Garten verstreut lagen, und die glaslosen Fensterrahmen.
»Ich habe Angst, hineinzugehen«, murmelte sie.
»Erinnerst du dich nicht daran, wie schlimm es ist?«, fragte Kendra.
»Sie war ein Huhn, weißt du noch?«, erwiderte Seth. »Wir haben ihre Eier gegessen.«
Auf Omas Stirn erschienen Falten. »Es fühlt sich an wie ruchloser Verrat, das eigene Heim so verwüstet zu sehen«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass finstere Kreaturen in den Wäldern hausen, aber so weit sind sie noch nie gegangen.«
Kendra und Seth folgten Oma durch den Garten und die Verandastufen hinauf. Oma bückte sich und hob eine kupferne Triangel auf. Früher hatte sie – daran erinnerte Kendra sich noch – zwischen den Windspielen gehangen. An einer Perlenkette baumelte ein kurzer Kupferstab, und Oma schlug damit die Triangel an. »Das sollte Hugo herbeiholen«, erklärte sie. Oma blieb noch einmal in der Tür stehen, bevor sie hineinging. »Es sieht so aus, als wären wir ausgebombt worden«, murmelte sie. »Was für ein sinnloser Vandalismus!«
Sie durchstreifte das ausgeweidete Haus mit düsterer, geistesabwesender Miene und hielt gelegentlich inne, um einen zersplitterten Bilderrahmen aufzuheben und das zerrissene Foto darin zu betrachten oder mit der Hand über die Überreste eines geliebten Möbelstücks zu streichen. Dann ging sie die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Kendra und Seth beobachteten, wie sie den Kleiderschrank durchstöberte und schließlich eine metallene Lunchbox hervorholte.
»Wenigstens die ist heil geblieben«, sagte Oma.
»Hast du solchen Hunger?«, fragte Seth.
Kendra schlug ihm mit der Hand auf den Rücken. »Was ist das, Oma?«
»Folgt mir.«
Unten in der Küche öffnete Oma die Lunchbox. Sie nahm eine Hand voll Fotografien heraus. »Helft mir, sie richtig hinzulegen.«
Es waren Fotos vom Haus. Jeder Raum wurde aus verschiedenen Winkeln gezeigt. Auch die Fassade war aus vielen Perspektiven abgebildet. Insgesamt waren es mehr als hundert Fotos. Oma und die Kinder machten sich daran, sie auf dem Küchenboden auszubreiten.
»Wir haben diese Bilder gemacht, für den Fall, dass das Unvorstellbare jemals geschehen sollte«, sagte Oma.
Kendra begriff plötzlich. »Für die Wichtel?«
»Kluges Mädchen«, erwiderte Oma. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie der Aufgabe gewachsen sind, wenn man das Ausmaß des Schadens bedenkt. Aber sie haben schon öfter wahre Wunder gewirkt. Es tut mir leid, dass uns dieses Unglück ausgerechnet während eures Aufenthalts hier widerfahren ist.«
»Es braucht dir nicht leid zu tun«, sagte Seth. »Das ist alles nur meinetwegen passiert.«
»Du darfst dir nicht allein die Schuld geben«, entgegnete Oma.
»Was können wir sonst noch tun?«, fragte Kendra. »Wir haben das Ganze verursacht.«
»Kendra hat nichts gemacht«, erklärte Seth. »Sie hat versucht, mich aufzuhalten. Was geschehen ist, ist allein meine Schuld.«
Oma musterte Seth nachdenklich. »Du hattest nicht die Absicht, Opa Schaden zuzufügen. Aber du hast ihn durch deinen Ungehorsam angreifbar gemacht. Wenn ich recht verstehe, hattet ihr die Anweisung, nicht aus dem Fenster zu schauen. Hättest du dem Befehl Folge geleistet, wärst du nicht versucht gewesen, das Fenster zu öffnen, und sie hätten deinen Großvater nicht geholt. Du musst dich dieser Tatsache stellen und daraus lernen. Aber wir können dir nicht die ganze Verantwortung für unsere missliche Lage in die Schuhe schieben. Dein Großvater und ich sind die Verwalter dieses Besitzes. Wir sind verantwortlich für die Taten jener, die wir hierherbringen, insbesondere wenn es sich um Kinder handelt. Stan hat euch erlaubt, herzukommen, um euren Eltern einen Gefallen zu tun, aber auch deshalb, weil wir anfangen müssen, unser Geheimnis an unsere Nachfahren weiterzugeben. Wir werden nicht für immer da sein. Auch wir wurden einst eingeweiht, und es kam der Tag, da uns die Verantwortung für dieses magische Refugium übertragen wurde. Eines Tages werden wir die Verantwortung an andere weitergeben müssen.«
Sie fasste Seth und Kendra an den Händen und sah sie liebevoll an. »Ich weiß, dass deine Fehler nicht aus Vorsatz oder Bosheit entstanden sind. Dein Großvater und ich haben selbst viele Fehler gemacht, genau wie alle Menschen, die je hier gelebt haben, ganz gleich, wie weise oder vorsichtig sie waren. Dein Großvater trägt einen Teil der Verantwortung, weil er euch in diese Situation gebracht hat. Ihr habt das Fenster mit den besten Absichten geöffnet. Und in jedem Fall trifft die Ungeheuer, die ihn entführt haben, die größte Schuld.«
Kendra und Seth schwiegen. Seth verzog das Gesicht. »Wenn ich nicht gewesen wäre, würde es Opa jetzt gut gehen«, sagte er und gab sich alle Mühe, nicht zu weinen.
»Und ich wäre immer noch ein Huhn in einem Käfig«, erwiderte Oma. »Denken wir darüber nach, wie wir das Problem lösen können, statt Schuldzuweisungen zu machen. Verzweifelt nicht. Ich weiß, dass wir die Dinge in Ordnung bringen können. Führt mich jetzt zu Dale.«
Seth nickte, schniefte und fuhr sich mit dem Unterarm über die Nase. Dann ging er voran über die hintere Veranda und durch den Garten zu der umgestürzten Statue.
»Es sind wirklich nicht viele Feen da«, stellte Oma fest. »Ich habe den Garten noch nie so verlassen gesehen.«
»Seit dem Angriff auf Seth waren es viel weniger«, erklärte Kendra. »Und seit Opa verschwunden ist, sind fast gar keine mehr da.«
Als sie vor der bemalten, lebensgroßen Statue standen, schüttelte Oma den Kopf. »Diesen speziellen Zauber habe ich noch nie gesehen, aber das ist ganz eindeutig Dale.«
»Kannst du ihm helfen?«, fragte Kendra.
»Vielleicht, wenn ich genügend Zeit habe. Um einen Zauber aufheben zu können, muss man wissen, wer ihn auf welche Weise gewirkt hat.«
»Wir haben Spuren gefunden«, sagte Seth. Er zeigte Oma den Abdruck in dem Blumenbeet. Obwohl er mittlerweile ein wenig verwischt war, war er immer noch zu erkennen.
Oma runzelte die Stirn. »Dieser Abdruck kommt mir nicht bekannt vor. In Festnächten laufen viele Geschöpfe frei herum, denen wir ansonsten nie begegnen – was auch der Grund ist, warum wir im Haus Zuflucht suchen. Der Abdruck hat vielleicht gar keine so große Bedeutung. Er könnte von dem Übeltäter stammen oder von seinem Reittier, vielleicht ist das Wesen aber auch nur rein zufällig irgendwann während der Nacht hiergewesen.«
»Also ignorieren wir Dale für den Augenblick einfach?« , fragte Kendra.
»Ich fürchte, wir haben keine andere Möglichkeit. Die Zeit ist knapp. Wir können nur hoffen, dass euer Großvater Licht in die Angelegenheit bringen kann. Vielleicht finden wir dann einen Weg, den Fluch wieder aufzuheben. Kommt mit.«
Sie kehrten ins Haus zurück. Oma sprach über die Schulter gewandt weiter, während sie die Treppe zum ersten Stock hinaufgingen. »Es gibt innerhalb des Hauses mehrere speziell geschützte Orte. Einer davon ist der Raum, in dem ihr gewohnt habt. Doch es gibt noch einen zweiten Raum auf der anderen Seite des Dachbodens.«
»Ich wusste es!«, rief Kendra. »Ich konnte von draußen sehen, dass da noch mehr auf dem Dachboden sein muss. Aber ich habe nie einen Eingang gefunden.«
»Du hast wahrscheinlich am falschen Ort gesucht«, sagte Oma und führte sie durch den Flur in ihr Zimmer. »Die beiden Hälften des Dachbodens sind nicht miteinander verbunden. Sobald wir oben sind, werde ich euch in meine Strategie einweihen.« Oma hockte sich hin und durchsuchte einen zerschmetterten Nachttisch. Sie nahm ein paar Haarnadeln heraus und band ihr Haar zu einem matronenhaften Dutt zusammen. Sie suchte noch eine Weile weiter und hielt schließlich einen Schlüssel in der Hand. Dann gingen sie ins Hauptbadezimmer, wo Oma mit dem Schlüssel eine Schranktür aufsperrte.
Statt Handtüchern oder dergleichen kam eine zweite Tür zum Vorschein. Sie war aus Stahl und hatte ein großes Kombinationsschloss in der Mitte. Eine Tresortür. Oma begann an dem Rad zu drehen. »Vier Drehungen nach rechts auf II, drei nach links auf 28, drei nach rechts auf 3, eine nach links auf 31, und eine halbe Umdrehung nach rechts auf 18.«
Sie zog an einem Hebel, und die schwere Tür schwang auf. Eine mit Teppich ausgelegte Treppe führte zu einer weiteren Tür hinauf. Oma ging voraus. Seth und Kendra folgten ihr auf den Dachboden.
Oma legte einen Schalter um, und mehrere Lampen verscheuchten die Dunkelheit. Der Raum war noch größer als das Spielzimmer. An einem Ende stand eine große Werkbank, über der jede Menge Werkzeuge hingen. Die Wände wurden von hübschen Holzschränkchen gesäumt. Außerdem befanden sich in dem Raum verschiedene ungewöhnliche Gegenstände – ein Vogelkäfig, ein Grammophon, eine Streitaxt, eine Balkenwaage, eine Schaufensterpuppe und ein Globus mit über einem Meter Durchmesser. Truhen und Kisten waren in Reihen auf dem Boden geordnet und ließen gerade genug Platz, um zwischen ihnen hindurchzugehen. Schwere Vorhänge verdeckten die Fenster.
Oma bedeutete ihnen, zu der Werkbank hinüberzugehen, wo sie sich auf einen Hocker setzten. »Was ist in all den Kisten?«, erkundigte sich Seth.
»Viele Dinge, die meisten davon gefährlich. Dies ist der Ort, an dem wir unsere kostbarsten Waffen und Utensilien aufbewahren. Zauberbücher, Zutaten für Tränke, all die guten Sachen.«
»Kannst du uns jetzt mehr über Opa erzählen?«, fragte Kendra.
»Ja. Ihr habt gehört, wie Nero gesagt hat, dass Stan und Lena in der Vergessenen Kapelle festgehalten werden. Wir müssen einen kurzen Ausflug in die Geschichte unternehmen, damit ihr versteht, was es damit auf sich hat. Vor langer Zeit wurde dieses Land von einem mächtigen Dämon namens Bahumat heimgesucht. Jahrhundertelang hat er die Bewohner dieser Region terrorisiert. Sie lernten, gewisse Bereiche zu meiden, doch selbst mit diesen Vorsichtsmaßnahmen war kein Ort hier wirklich sicher. Die Menschen brachten dem Dämon alle Opfer dar, die er nur verlangen mochte, und dennoch lebten sie in Furcht. Schließlich boten ein paar Europäer an, den Dämon zu stürzen, wenn sie dafür das bisher von ihm heimgesuchte Land erhielten, und die Anführer der Ureinwohner erklärten sich einverstanden. Mit der Hilfe von mächtigen Verbündeten und kraftvoller Magie gelang es den Europäern, den Dämon zu bezwingen und einzukerkern. Einige Jahre später gründeten sie Fabelheim auf dem Land, das sie Bahumat abgerungen hatten. Jahre verstrichen. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich auf diesem Land eine Gemeinschaft gebildet, die größtenteils aus einem einzigen Familienclan bestand. Sie errichteten rund um das ursprüngliche Herrenhaus eine Anzahl weiterer, kleinerer Häuser. Damals gab es dieses Haus und Violas große Scheune noch nicht. Das alte Herrenhaus steht noch, tief in diesem Besitz verborgen, aber die meisten der kleineren Bauten sind dem Zahn der Zeit und den Elementen zum Opfer gefallen. Nur ein weiteres Bauwerk aus dieser Epoche hat hier die Zeiten überdauert – eine Kirche. Im Jahr 1826 wäre Bahumat dank menschlicher Unfähigkeit und Torheit beinahe entkommen, und um ein Haar hätte es eine Katastrophe gegeben, denn keiner von denen, die in diesem Reservat verblieben waren, besaß die Mittel oder die Kenntnisse, mit einem Wesen von seiner Macht fertigzuwerden. Obwohl Bahumats Ausbruch verhindert werden konnte, war der Vorfall für die meisten, die hier lebten, zu beunruhigend, und der größte Teil der Menschen verließ das Land. Außerdem war das Gefängnis des Dämons beschädigt, und Bahumat wurde mit Hilfe von außen in ein neues Verlies im Keller der Kirche verlegt. Einige Monate danach wurden die Gottesdienste dort eingestellt, und seither hat sich für die Kirche der Name ›Vergessene Kapelle‹ eingebürgert.«
»Also ist Bahumat noch dort?«, fragte Kendra nach.
»Glaub mir, wir hätten es gemerkt, wenn Bahumat befreit worden wäre. Ich bezweifle, dass irgendjemand auf der Welt dieses Ungeheuer wieder einfangen kann, sollte er sich tatsächlich befreien. Seinesgleichen ist schon zu lange von der Bildfläche verschwunden, eingekerkert oder vernichtet. Jene, die wussten, wie man einen solchen Feind besiegt, sind tot, und niemand ist an ihre Stelle getreten – was mich zu meiner größten Sorge bringt: Dass Muriel versuchen könnte, Bahumat zu befreien.«
»Würde sie etwas so Dummes tun?«, rief Seth.
»Muriel ist eine Adeptin des Bösen. Sie wurde eingekerkert, weil sie sich mit diesen Dingen beschäftigt hat. Wenn sie die Vergessene Kapelle vor uns erreicht, was durchaus bereits geschehen sein könnte, falls ihre Kobolde sie über die Situation in Kenntnis gesetzt haben, werden wir sie ausschalten müssen, um euren Großvater zu retten. Wenn es ihr gelingt, Bahumat zu befreien, sind wir alle auf Rettung angewiesen. Und deshalb muss ich unverzüglich versuchen, sie aufzuhalten.«
»Nicht nur du«, sagte Seth.
»Hugo und ich werden das übernehmen. Ihr habt bereits genug getan.«
»Was?«, rief Seth. »Auf keinen Fall!«
»Es sollte nicht allzu schwierig sein, euren Großvater zu retten. Aber wenn es zum Schlimmsten kommt und ich scheitere, könnte Fabelheim fallen. Bahumat hat dem Vertrag, der dieses Reservat schützt, nie zugestimmt. Keiner von Seinesgleichen hat das getan. Er erhebt Anspruch auf dieses Land und verfügt über ausreichende Macht, um sich über den Vertrag hinwegzusetzen und das Reservat in eine endlose Dunkelheit zu stürzen. Jeder Tag würde so werden wie diese schrecklichen Festnächte, und niemand würde mehr hier leben können – außer den Mächten der Finsternis. Jeder Sterbliche, der hier gefangen wäre, würde Greueln zum Opfer fallen, die zu schrecklich sind, um sie sich auszumalen.«
»Könnte das wirklich geschehen?«, fragte Kendra leise.
»Es wäre nicht das erste Mal«, antwortete Oma. »Seit dem Tag ihrer Gründung sind immer wieder Reservate gefallen. Die Gründe sind mannigfaltig, und meistens rühren sie von menschlicher Torheit. Einige Reservate wurden zurückerobert. Andere waren nicht mehr zu retten. Im Moment gibt es auf der Welt mindestens dreißig gefallene Reservate. Aber am beunruhigendsten sind vielleicht die jüngsten Gerüchte über die Gesellschaft des Abendsterns.«
»Maddox hat uns davon erzählt«, meinte Seth.
»Opa hat einen Brief bekommen, in dem er gewarnt wurde, auf der Hut zu sein«, fügte Kendra hinzu.
»Der Fall eines Reservats war immer ein eher ungewöhnliches Ereignis. Es fielen vielleicht ein oder zwei pro Jahrhundert. Vor etwa zehn Jahren begannen Gerüchte die Runde zu machen, dass die Gesellschaft des Abendsterns wieder etwas im Schilde führte. Ungefähr zur gleichen Zeit begannen Reservate in erschreckendem Tempo zu fallen. Allein während der letzten fünf Jahre waren es vier.«
»Wie kann jemand ein Interesse an so was haben?«, fragte Kendra.
»Es haben schon viele nach einer Antwort auf diese Frage gesucht«, erklärte Oma. »Um Reichtümer zu erwerben? Macht? Wir, die wir die Reservate hüten, sind im Grunde genommen Naturschützer. Wir wollen nicht, dass die prachtvollen magischen Geschöpfe dieser Welt aussterben. Wir versuchen, nicht voreingenommen zu sein gegen Kreaturen der Finsternis – wir wollen, dass sie ebenfalls überleben. Aber wir isolieren sie, wenn nötig. Die Mitglieder der Gesellschaft des Abendsterns verdunkeln ihre wahren Absichten mit hehren Worten und behaupten, dass wir die Geschöpfe der Finsternis unberechtigterweise gefangen halten.«
»Tut ihr das?«, fragte Seth.
»Die gewalttätigsten und bösartigsten Dämonen sind eingekerkert, ja, aber das dient dem Schutz der Menschenwelt. Auf ihrem brutalen Feldzug zur Errichtung eines Reichs des Chaos sind sie schon früh mit guten Menschen und Geschöpfen des Lichts aneinandergeraten, und sie bezahlen einen hohen Preis für ihre Niederlage. Viele andere finstere Wesen wurden nur unter der Bedingung in den Reservaten aufgenommen, dass sie sich gewissen Beschränkungen unterwerfen; diese Übereinkünfte sind sie aus freien Stücken eingegangen. Eine der Auflagen besagt, dass es ihnen nicht gestattet ist, das Reservat zu verlassen. Deshalb betrachtet die Gesellschaft des Abendsterns viele dieser Geschöpfe ebenfalls als eingekerkert. Sie argumentiert, dass die Gründungsvereinbarungen der Reservate künstliche Regeln aufstellen, die gegen die natürliche Ordnung der Dinge verstoßen. Sie betrachten den größten Teil der Menschheit als entbehrlich. Chaos und Blutvergießen sind ihnen lieber als Vorschriften. Wir sind anderer Meinung.«
»Denkst du, dass die Abendsternleute etwas mit Opas Entführung zu tun haben?«, fragte Kendra.
Oma zuckte die Achseln. »Möglich. Ich hoffe es nicht. Wenn ja, haben sie es mit großer Raffinesse eingefädelt. Wer nicht hierher gehört, muss enorme Hindernisse überwinden, um in das Reservat einzudringen, und das unsere kennen nur die Wenigsten.«
Oma öffnete eine Schublade und nahm eine Pergamentrolle heraus. Es war eine Weltkarte. Nur die allergrößten Städte waren eingezeichnet, außerdem noch ein paar dicke Punkte und Kreise.
»Die Kreise markieren gefallene Reservate«, erklärte Oma, »und die Punkte aktive Reservate.«
»Fabelheim ist nicht markiert«, meinte Kendra.
»Gut erkannt«, sagte Oma. »Auf der Karte sind siebenunddreißig aktive Reservate vermerkt. Fünf sind nicht markiert, und Fabelheim ist eins davon. Selbst von den Mitgliedern unserer Gemeinschaft, die das größte Vertrauen genießen, wissen nur sehr wenige über die unmarkierten Reservate Bescheid. Niemand kennt sie alle.«
»Warum?«, fragte Seth.
»In diesen fünf Reservaten sind besondere Artefakte von großer Macht verborgen.«
»Was für Artefakte?«, fragte Seth aufgeregt.
»Das kann ich nicht sagen. Die meisten Einzelheiten kenne nicht einmal ich selbst. Das Artefakt hier in Fabelheim befindet sich nicht in unserem Besitz. Es wird an einer geheimen Stelle auf dem Grundstück bewacht. Tunichtgute, insbesondere die Gesellschaft des Abendsterns, würden sich über nichts mehr freuen als über eine Gelegenheit, sich der Artefakte aus den verborgenen Reservaten zu bemächtigen.«
»Also gibt es viele Gründe, warum Fabelheim geschützt werden muss«, sagte Kendra.
Oma nickte. »Dein Großvater und ich sind bereit, wenn nötig unser Leben dafür zu geben.«
»Vielleicht sollten wir Opa nicht selbst suchen«, meinte Kendra. »Können wir nicht Hilfe holen?«
»Es gibt Menschen, die uns zu Hilfe kommen würden, wenn wir sie rufen, aber ich muss Muriel heute noch aufhalten und deinen Großvater finden. Niemand könnte uns schnell genug erreichen. Fabelheim wird vor allem auch durch Geheimhaltung geschützt. In Zeiten wie diesen kann das zum Problem werden. Ich weiß nicht, welche Zauber Bahumat fesseln, aber ich bin davon überzeugt, dass Muriel sie aufheben kann, wenn sie genügend Zeit dafür hat. Ich muss sofort handeln.«
Oma stand auf und holte aus einer Truhe eine kunstvoll mit Blumenranken verzierte Schatulle. Darin befand sich eine kleine Armbrust, nicht viel größer als eine Pistole, und ein kurzer Pfeil mit schwarzen Federn, Elfenbeinschaft und einer Spitze aus Silber.
»Cool«, rief Seth. »Ich will auch so eine!«
»Wenn er die richtige Stelle trifft, tötet dieser Pfeil jedes Wesen, das einmal sterblich war, einschließlich der Verzauberten und Untoten.«
»Welche Stelle ist denn die richtige?«, fragte Kendra.
»Das Herz und das Gehirn sind am sichersten. Bei Hexen weiß man das nie ganz genau, aber dies ist der einzige Zauber, von dem ich sicher bin, dass er Muriel töten wird.«
»Du wirst sie töten?«, flüsterte Kendra.
»Nur als letzte Option. Zuerst werde ich versuchen, sie von Hugo fangen zu lassen. Aber das Risiko ist zu hoch, als dass wir ohne einen Notfallplan vorgehen könnten. Wenn der Golem unerwarteterweise versagen sollte, kann ich Muriel nicht allein bezwingen. Glaub mir, das Letzte, was ich will, ist ihr Blut an meinen Händen. Einen Sterblichen zu töten, ist kein gar so schweres Verbrechen wie das Töten eines magischen Wesens, aber es würde dennoch den Schutz annullieren, den mir der Vertrag gewährt. Ich würde mich wahrscheinlich selbst aus dem Reservat verbannen müssen.«
»Aber sie versucht, das ganze Reservat zu vernichten!«, warf Seth ein.
»Aber nicht, indem sie selbst jemanden tötet«, erwiderte Oma. »Die Kapelle ist neutraler Boden. Wenn ich dort hingehe und sie töte, werde ich nie wieder den Schutz des Vertrages genießen, selbst wenn ich die Tat rechtfertigen kann.«
»In der Nacht, in der die Kreaturen durch unser Fenster kamen, habe ich gehört, wie Dale eine Schrotflinte und andere Waffen abgefeuert hat«, wandte Kendra ein.
»Die Kreaturen sind auf unser Territorium vorgedrungen«, erklärte Oma. »Ungeachtet des Grundes verwirken sie, indem sie in dieses Haus kommen, all ihre Rechte. Unter diesen Umständen konnte Dale sie ohne Furcht vor Vergeltung töten, was bedeutet, dass sein Status unter dem Vertrag gesichert blieb. Dasselbe Prinzip würde gegen euch zur Anwendung kommen, wenn ihr euch in verbotene Bereiche von Fabelheim wagen solltet. Wenn ihr euch auf diese Weise über den Vertrag hinwegsetzen würdet, wäre die Jagdsaison auf Kendra und Seth eröffnet – was auch genau der Grund ist, warum diese Gebiete verboten sind.«
»Ich kapiere nicht, wer dich bestrafen sollte, wenn du Muriel tötest«, sagte Seth.
»Die magischen Barrieren, die mich schützen, würden aufgehoben, und die Vergeltung würde auf dem Fuße folgen. Versteht ihr, als Sterbliche können wir die Regeln aus freiem Willen brechen. Die magischen Geschöpfe, die hier Asyl suchen, haben diesen Luxus nicht. Viele würden die Regeln brechen, wenn sie könnten, aber sie sind gebunden. Solange ich den Regeln gehorche, bin ich in Sicherheit. Aber sobald ich den Schutz des Vertrages verliere, bin ich verwundbar.«
»Bedeutet das also, dass Opa mit Sicherheit noch lebt?«, fragte Kendra mit angespannter Stimme. »Sie können ihn nicht töten oder so was?«
»Stan hat die Regeln, die für Blutvergießen gelten, nie gebrochen. Deshalb waren die dunklen Kreaturen dieses Reservates selbst in ihrer Festnacht nicht in der Lage, ihn zu töten. Ebenso wenig können sie ihn dazu zwingen, an einen Ort zu gehen, der es ihnen möglich machen würde, ihn zu töten. Eingekerkert, gefoltert, in den Wahnsinn getrieben, in Blei verwandelt – vielleicht. Aber er ist mit Sicherheit am Leben. Und ich muss ihn finden.«
»Und ich muss mit dir kommen«, erklärte Seth. »Du brauchst Verstärkung.«
»Hugo ist meine Verstärkung.«
Seth verzog das Gesicht und kämpfte mit den Tränen. »Ich will euch nicht verlieren, erst recht nicht, wenn es meine Schuld ist.«
Oma Sørensen umarmte Seth. »Mein lieber Seth, ich weiß deinen Mut zu schätzen, aber ich werde es nicht riskieren, ein Enkelkind zu verlieren.«
»Wären wir hier nicht in genauso großer Gefahr wie bei dir?«, fragte Kendra. »Wenn der Dämon befreit wird, sind wir alle geliefert.«
»Ich habe die Absicht, euch wegzuschicken, fort aus dem Reservat«, erwiderte Oma.
Kendra verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir warten also draußen vor dem Tor, bis unsere Eltern zurückkommen, erzählen ihnen, dass ihr von einem Dämon umgebracht wurdet, und bestehen darauf, dass wir nicht ins Haus gehen können, weil das hier in Wirklichkeit ein gefallenes magisches Reservat ist?«
»Eure Eltern kennen die wahre Natur dieses Ortes nicht«, sagte Oma. »Und sie würden es auch nicht glauben, ohne es gesehen zu haben.«
»Genau!«, antwortete Kendra. »Wenn du scheiterst, wird Dad als Erstes in euer Haus gehen und Nachforschungen anstellen. Nichts, was wir sagen könnten, würde ihn aufhalten. Und er wird wahrscheinlich die Polizei rufen, und die ganze Welt wird von diesem Ort erfahren.«
»Sie würden nichts Ungewöhnliches sehen«, entgegnete Oma. »Aber viele Menschen würden auf unerklärliche Weise sterben. Sie würden höchstens die Kuh entdecken, denn Viola ist trotz ihrer magischen Milch ein sterbliches Wesen.«
»Bei dem Troll haben wir dir doch auch geholfen«, beharrte Seth. »Und ganz gleich, was du sagst, ich werde dir sowieso folgen.«
Oma warf die Hände in die Luft. »Im Ernst, Kinder, ich denke, es wird alles gut gehen. Ich weiß, das Szenario, das ich beschrieben habe, klingt schrecklich. Aber Dinge wie diese geschehen ab und zu in Reservaten, und normalerweise bekommen wir sie immer in den Griff. Ich sehe keinen Grund, warum es diesmal anders sein sollte. Hugo wird alles ohne ernsthafte Zwischenfälle wieder in Ordnung bringen, und wenn es so weit kommen sollte, bin ich eine verdammt gute Schützin mit der Armbrust. Wartet gleich hinter den Toren auf mich, und ich werde euch schon bald holen kommen.«
»Aber ich will sehen, wie Hugo Muriel fertigmacht«, beharrte Seth.
»Wenn wir diesen Ort eines Tages erben sollten, wirst du uns auch nicht länger beschützen können«, warf Kendra ein. »Wäre es nicht eine gute Erfahrung für uns, zu sehen, wie Hugo die Situation handhabt? Vielleicht könnten wir sogar helfen?«
»Eine Exkursion!«, rief Seth.
Oma sah sie liebevoll an. »Ihr werdet so schnell groß«, seufzte sie.