Tag 53,
Standardjahr 1393,
Dutiful Passage,
Im Orbit um Lytaxin

•  •  •  •  •

 

Er schnitt rennend die Biegung in die Haupthalle ab, schlitterte über den Boden und vollführte einen Überschlag, um die Kollision zu vermeiden.

Er landete an der gegenüberliegenden Wand auf seinen Füßen und erkannte erst dann, wenn er gerade beinahe umgerannt hätte.

»Captain.« Er verbeugte sich tief und merkte, wie sein Gesicht heiß wurde.

»Leider nicht mehr«, sagte Shan yos’Galan ruhig. »Aber bitte, sei nicht allzu traurig deswegen! Die Wahrheit ist, dass ich absolut zufrieden bin mit dem Rang des Meisterhändlers und damit, mich in jeder Schicht zu entspannen, während Priscilla und du euch die harte Arbeit teilt.«

Das war eine Nettigkeit, wie Ren Zel nur zu gut wusste, und er fühlte Erleichterung darüber, dass Cap… dass Meisterhändler yos’Galans Erfahrungen mit dem Krieg ihn nicht bis zur Unkenntlichkeit verändert hatten.

»Aber sag mir eines! Wohin ging es in so hoher Geschwindigkeit?«

Er biss auf seine Lippe. »Ich bin etwas spät für meine Schicht auf der Brücke.«

»Eine schreckliche Sache, das stimmt.« Die silbernen Augen betrachteten ihn und da war etwas … oder jemand …

»Ich frage mich …«, sagte Shan und unterbrach damit seinen Gedankengang. »Also, nicht dass es mich wirklich etwas angehen würde … aber was ist mit deiner Jacke passiert?«

»Mit meiner …« Er sah auf seinen Arm und blinzelte. Warum im Namen aller Götter hatte er in seiner Jacke geschlafen? »Ich …«, begann er wieder und fuhr mit der Hand vorsichtig und ungläubig den perfekten und reparierten Lederärmel hinab. Erinnerungen stiegen auf und er sah sie wieder im Sternenlicht stehen, wie sie seine Jacke nahm – ihr sei alle Ehre! – und sie schüttelte, ja ausschüttelte

Er sah auf und begegnete Shan yos’Galans Silberaugen und ihm kam unmittelbar in den Sinn, wo er derlei Augen gesehen hatte.

Ren Zel holte tief Luft. »Ich hatte … einen Traum«, sagte er, wohl wissend, dass dies nichts erklärte.

»Du hattest einen ausgesprochen faszinierenden Traum, würde ich sagen«, meinte Shan und lehnte sich nicht länger an der Wand an. Er überlegte kurz, der Ring des Meisterhändlers glühte seine violetten Feuer.

»Komm mit mir, Kind. Wir sollten das am besten klären.«

•  •  •

 

»Etwas Wein, mein Freund?«, fragte Shan yos’Galan einige Minuten später im Privatraum des Captains.

Ren Zel zögerte, dachte über die Wirkung von Wein auf einem leeren Magen nach einer Nacht zurück, in der er sich – wenn seine Erinnerung ihn nicht täuschte – körperlich stark betätigt hatte.

»Ich denke«, sagte er vorsichtig, »dass ich Tee vorziehen würde.«

»Und etwas zum Frühstück«, sagte Shan und beugte sich zur Kommunikationseinheit. Priscilla stand neben dem Sofa. Ren Zels auf mysteriöse Weise geheilte Jacke hielt sie in beiden Händen, ihre Augen fokussiert und ihr Gesicht seltsamerweise völlig entspannt.

»Danke, BillyJo«, sagte Shan in das Mikrofon. »Es ist gut, auch deine Stimme wiederzuhören.«

Priscilla blinzelte und seufzte, als wäre die Jacke ihr zu schwer. Ren Zel trat vor, um sie ihr aus den Händen zu nehmen, seine Finger erfreuten sich am schönen, neuen Gefühl des Leders.

»Nun?«, fragte Shan und lehnte sich mit seiner Hüfte an den Tisch.

»Anthora«, sagte sie. »Definitiv Anthora. Sie ist die einzige Zauberin, von der ich weiß, dass sie so etwas ohne irgendwelche Probleme bewerkstelligen kann.« Sie seufzte erneut. »Frühstück?«

»Auf dem Weg.«

»Gut.« Sie sah Ren Zel an und bewegte eine Hand, lud ihn ein, sich auf einen der beiden bequemen Stühle zu setzen, während sie auf dem Sofa Platz nahm.

»Ich denke, du solltest uns mehr von diesem … Traum erzählen.«

•  •  •

 

Das Frühstück kam an, als er den Garten mit dem großen Baum beschrieb sowie die Katze, die ihn willkommen geheißen hatte. Von dort machte er einen Umweg und beschrieb erst einmal den vorhergehenden Traum und das unmögliche Schnurrhaar in seinem Bett. Shan gab ihm einen Teller und er aß, ohne genau darauf zu achten, sein Bewusstsein auf die Erinnerung an den Traum konzentriert, auf der Suche nach jeder Nuance, jeder Beschreibung.

Sie hörten leise zu, Kapitän und Meisterhändler. Dann summte die Kom-Einheit und in stiller Übereinstimmung nahm der Meisterhändler den Anruf entgegen.

Dann war Ren Zel am Ende angelangt und er sah in die Teetasse hinab, die geleert zu haben er sich nicht erinnern konnte. Dann blickte er wieder in Priscillas schimmernde Dramliza-Augen.

»Es war ein Traum«, sagte er, wahrscheinlich zum dutzendsten Male.

»Ich glaube nicht, dass es einfach nur ein Traum war«, sagte Priscilla sanft.

»Andere Beteiligte sind ebenfalls nicht davon überzeugt«, fügte Shan hinzu, der nun neben ihr auf dem Sofa saß. »Der Anruf war ein codierter Richtspruch von Jelaza Kazone.« Er sah Ren Zel an, die Augenbrauen hochgezogen, die silbernen Augen … amüsiert?

»Meine Schwester Anthora wünscht ihren älteren Bruder und Thodelm darüber zu informieren, dass sie nunmehr die Lebenspartnerin eines Ren Zel dea’Judan sei, des ersten Maats der Dutiful Passage. Sehr angemessen von ihr, findet ihr nicht?«

    

Korvals Nemesis
titlepage.xhtml
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_000.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_001.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_002.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_003.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_004.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_005.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_006.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_007.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_008.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_009.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_010.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_011.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_012.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_013.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_014.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_015.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_016.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_017.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_018.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_019.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_020.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_021.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_022.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_023.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_024.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_025.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_026.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_027.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_028.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_029.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_030.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_031.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_032.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_033.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_034.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_035.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_036.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_037.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_038.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_039.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_040.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_041.html
CR!V7QDM8QFQN27H2A2S1WYCBRVMND6_split_042.html