Der Typ ging zur Wand, nahm zärtlich eine der Piken herunter, fuhr mit den Fingern die Spitze entlang, sagte:
»Später wurde der Pikenspitze noch seitlich ein Haken beigefügt. Dieser konnte unter anderem zum Durchreißen der Zügel eines Pferdes genutzt werden, um den Reiter zu Fall zu bringen.«
Er dröhnte weiter über die tödliche Schönheit der Waffe, ihre gefährliche Schlichtheit. Ich spürte, wie die Typen hinter mir mit den Füßen schurrten. Sie kannten das alles bereits. Ihre Schuhe, ich sah sie an, hob den Kopf, sagte:
»Diese Typen, das sind Polizisten.«
Er hob die Pike in die Luft, rief:
»Wir sind die neuen Polizisten.«
Und ließ die Pike mitten in den Holztisch krachen, sodass die Spitze fast einen Zentimeter tief eindrang. Der Stiel zitterte ob der Kraftentfaltung noch eine Weile nach. Ja, das hat mich beeindruckt, und mein Körper machte einen Satz. Ich fühlte, wie sich Zorn aufbaute, fragte:
»Haben Sie das Ding benutzt, um dem armen Schweinehund die Eier abzuschneiden? Wie viele von euch mussten ihn festhalten?«
Wieder sein Lächeln.
»Wir haben Sie beobachtet, Jack. Auf Ihre eigene bescheidene Weise haben auch Sie das Böse bekämpft, das ungesühnt begangen wurde. Auch Sie waren einst Polizist. Schließen Sie sich uns an.«
Mir fehlten die Worte, ich wollte laut loslachen, sagte:
»Ficken Sie sich ins Knie.«
Er schüttelte den Kopf – nicht aus Ärger, aus Enttäuschung –, nickte dann den Männern zu. Sie packten mich, fesselten mir die Hände auf dem Rücken, zogen mir eine Baumwollkapuze ohne Löcher für Augen oder Mund über den Kopf. Ich fragte:
»Wollt ihr mich jetzt auch kastrieren?«
Ich spürte ihn ganz nah, dann eine Hand auf meiner Schulter. Er sagte:
»Jack, Sie werden bei uns mitmachen. Als Demonstration, wie sehr wir an Sie glauben, haben wir Ihnen heute Abend einen speziellen Dienst erwiesen. Ich habe den Eindruck, Sie haben im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst, hier ist also eine kurze Zusammenfassung. Die Rebellion begann, als die verhassten Freibauern die Kirche zu Boolevogue niederbrannten. Pater Murphy, der seinen Gemeindekindern geraten hatte, die Waffen niederzulegen, befahl ihnen nun, lieber mutig zu sterben, als sich abschlachten zu lassen. Sobald die Rebellen Vinegar Hill nahmen, erhob sich das ganze Land. Die wirkungsvollste Waffe, die sie hatten, war die Pike. Ein massiv vorgetragener Angriff von Pikenträgern aus Wexford konnte nur mit schwerem Artilleriefeuer gebrochen werden.«
Dann wurde ich auf die Füße gestellt und ein paar Treppen hochgebracht, auf die Straße hinaus. Ich stolperte ein paarmal. Wenn man nichts sehen kann, fühlt man sich vollends verletzlich. Die Lieferwagentür glitt auf, und einer der Typen sagte:
»Vorsicht, Stufe, Jack.«
Seine Stimme war freundlich, leicht amüsiert. Nach etwa zehn Minuten hielten wir an, und die Fesseln um meine Hände wurden entfernt, die Tür geöffnet und ich hinausgeschubst. Ich fand mein Gleichgewicht wieder, zog die Kapuze herunter, als der Lieferwagen um eine Ecke verschwand. Ich war nah beim Hotel, und bis auf einen einsamen Studenten waren die Straßen menschenleer. Er sah so konfus aus, wie ich mich fühlte, mit Spuren von Erbrochenem auf den Jeans. Er sagte:
»Die ganze Stadt feiert, was?«
Und wanderte in Richtung Eyre Square.
Ich ging ins Bailey’s, erreichte mein Zimmer, ohne jemandem zu begegnen, und plumpste aufs Bett. Mein Kopf tat weh, aber ich glaubte nicht, dass es was Ernstes war. Jetzt konnte ich Jeff sagen, dass ich wusste, wovon er sprach, und wem noch? Wellewulst? Sie würde sagen, dass es da nichts zu verfolgen gab. Oder ich konnte ganz nach oben gehen, zum Polizeipräsidenten.
Clancy und ich waren Freunde gewesen, waren früh zusammen Streife gegangen. Meine Karriere hörte auf, und er wanderte ganz nach oben. Unsere Pfade hatten sich in den Jahren danach gelegentlich gekreuzt, und wir waren, wenn schon keine Feinde, so doch mindestens Gegner. Wann immer ich versucht hatte, ihn um Hilfe zu bitten, hatte er mir ins Gesicht gelacht. Ich ging ins Bett, ohne einen Plan formuliert zu haben. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen; der Polizeipräsident kam zu mir.
Ich war im Tiefschlaf, als ich spürte, wie ich wach gerüttelt wurde, quengelte:
»Was scheißenochmal soll das denn?«
Zwei Polizisten ragten über mir auf. Einen irren Moment lang dachte ich, es wären wieder die Pikenträger. Der erste sagte:
»Ziehen Sie sich an, Taylor.«
Ich versuchte, den Schlaf abzuschütteln, und der zweite zeigte auf mein Kopfkissen, Spuren von Blut, sagte:
»Das nehmen wir lieber mit.«
Das Zimmer war in Unordnung; sie hatten es bereits durchsucht. Während ich mir meine Klamotten anfummelte, fragte ich:
»Wollen Sie mir sagen, was zum Teufel hier abgeht?«
Es ging auf lang vergangene Zeiten zurück, dass ich einen Browning Automatik unter den Fußbodenbrettern versteckt hatte. Die Art Durchsuchung war es, dem Heiland sei Dank, nicht gewesen.
Andernfalls.
Zumindest hatte ich mir das Koksen abgewöhnt und machte keine Vorratshaltung mehr. Nicht einmal eine Flasche Schnaps gab es. Der erste Polizist beantwortete meine Frage nicht, und als ich fertig angezogen war, schnappte er:
»Gehen wir.«
Der zweite fragte:
»Legen wir ihm Handschellen an?«
Der erste und ich sahen ihn so an. Als wir an der Rezeption vorbeikamen, schüttelte ich den Kopf, und Mrs Bailey enthielt sich jeden Kommentars. Ein Polizeiauto wartete, und eine kleine Menschenmenge hatte sich versammelt. Jemand rief:
»Ist es bin Laden?«
Sie stopften mich auf den Rücksitz, und wir fuhren los. Die Polizisten schwiegen, machten grimmige Mienen. Von meiner eigenen Polizeikarriere wusste ich, dass Schweigen echten Ärger bedeutete. Bei allem Geringfügigeren hätten die Polizisten gequatscht, vielleicht nicht frei von der Leber weg, aber zumindest leise. Sie sprachen nicht, wenn sie Angst hatten, die bestehenden Verdachtsmomente zu gefährden. Ich wurde schnell in den Verhörraum gebracht, allein gelassen. Ich fragte:
»Könnte ich etwas Tee kriegen?« Keinen Tee.
Zwanzig Minuten zogen sich hin, dann ging die Tür auf, und Clancy trat ein, im vollen Ornat. Der Titel Polizeipräsident fütterte immer noch sein Ego. Seine Augen waren trüb, seine Haut war fleckig. Sein einst so furchterregender Körper war in sich zusammengeklappt. Er sagte:
»Taylor.«
Der Ton war Unheil verkündend. Ich fragte:
»Was ist los?«
Er starrte mich an, dann:
»Tim Coffey ist ermordet worden.«
»Was?«
Ann Hendersons Mann, dem ich mein Hinken zu verdanken hatte.
Clancy fragte:
»Wo warst du gestern Nacht?«
Und ich spürte, wie Erleichterung mich durchströmte, sagte:
»Ich war mit jemandem zusammen.«
Er hob eine Augenbraue, fragte:
»Uhrzeit? Name?«
Er holte ein massives schwarzes Notizbuch heraus. Dieses Ding kannte ich noch gut. Man schreibt am besten alles auf, besonders Uhrzeiten, Daten, Orte. Wenn man vor Gericht musste, konnte es passieren, dass solche Notizen die einzige Verteidigungslinie in einem wild tobenden Kreuzverhör waren. Clancy las sich durch, was ich gesagt hatte, und ging hinaus. Zwei Stunden vergingen, und ich wusste, dass es nicht so lange dauern konnte. Die Extrazeit war, um mich schmoren zu lassen. Als er irgendwann zurückkehrte, war er nicht erfreut, sagte:
»Es passt zusammen.«
»Also kann ich abhauen?«
Er zog einen Stuhl heran, drehte ihn um, nach Cowboyart, damit er die Arme auf die Lehne legen konnte: Macho-Pose.
Er sagte:
»Du könntest jemanden gemietet haben.«
Ich ließ diese Anmutung eine Weile im Raume schweben, dann:
»Das glaubst du doch selbst nicht, und auf jeden Fall weißt du, dass du es nicht beweisen kannst. Sonst würde ich in eine Zelle verfrachtet, und wir würden dies Gespräch nicht führen.«
Er rieb sich die Backe, und ich fragte:
»Wie wurde er umgebracht?«
»Mit irgendeiner Art schwerer Metallstange, der Schädel eingedellt. Ich höre, du hattest mit ihm … Zwistigkeiten, Divergenzen.«
Letzteres sprach er mit großer Sorgfalt aus, fast zartfühlend. Richtige Polizeiwörter sind das, die Ernsthaftigkeit und angestrebte grandeur vermitteln. Nicht für den täglichen Gebrauch. Wörter, die man ansparte, genoss und zum geeigneten Zeitpunkt von der Leine ließ. Ich wiederholte: »Zwistigkeiten, Divergenzen! Muss ich nachschlagen.«
Habe ich später gemacht. Das Wörterbuch meinte in beiden Fällen: »Vehemente Unstimmigkeiten«. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, sagte:
»Er hat mich nach Strich und Faden zusammengeschlagen, und zwar, ja, mit einem Hurlingschläger, aber das weißt du bereits. Deine Beamten haben ermittelt, und nun rate mal, Polizeipräsident, was dabei herausgekommen ist? Richtig, nicht die Bohne.«
Er lächelte, und ich bemerkte, dass er sich die Zähne hatte überkronen lassen. Würde zweifellos seinen Medienauftritten förderlich sein. Er malte sich die Szene aus, wie Tim Coffey bedrohlich über mir aufragte. Ich fragte:
»Würde es dich denn überhaupt interessieren, wer Coffey wirklich umgebracht hat?«
Sein Lächeln blieb, aber mit gedrosselter Wattleistung. Er sagte:
»Wegen so was kann ich dich richtig gut leiden, Jacky-Boy.«
Ich sah ihn lange an und fragte mich, weshalb wir einst so gute Freunde gewesen waren und uns so weit voneinander weg entwickelt hatten. Ich sagte:
»Die Pikenträger.«
Er lachte laut, ein schroffes Wiehern war das, wie die Essenz der Widerwärtigkeit, sagte:
»Pikenträger, so ein Kack. Die jungen Leute nennen so was ›Trivialmythen‹ oder ›urbane Legenden‹.«
Aber seine Körpersprache hatte sich verändert, statt bemüht beiläufig war er jetzt voll alarmbereit. Ich sagte:
»Urbane Legende mit Polizeischuhen.«
Er schoss vom Stuhl hoch, schnappte:
»Raus.«
Ich stand auf und dachte einen irren Moment lang, wir würden uns jetzt die Hand geben. Er riss die Tür auf, und ich war draußen. Ich stand auf den Stufen vor der Wache, und mich streifte kurz ein Sonnenstrahl. Von links näherte sich eine Frau. Ann Henderson. Bevor ich auch nur ein einziges Wort formulieren konnte, spuckte sie mir ins Gesicht, drehte sich um und ging davon.