Rainer Wälde
Ein Nachklang
Am Beginn meines persönlichen Halljahres, als ich alle meine Freunde zu meinem 50. Geburtstag einlud, machte ich mir viele Gedanken um meine Zukunft. Statistisch gesehen habe ich eine Lebenserwartung von ca. 80 Jahren. 50 würde ich bald geschafft haben, blieben noch 30. Ganz spontan dachte ich: Ich arbeite noch 20 Jahre, und in den letzten 10 Jahren gebe ich dann meine Lebens- und Berufserfahrung an junge Menschen weiter. 50–20–10. Das hörte sich doch nach einem guten Plan an!
20 bedeutet für mich aber auch, dass ich in den nächsten 20 Jahren noch 20 Projekte machen werde. Diese 20 ist für mich wie ein Filter. Ich werde mich fragen: Was ist an diesem oder jenem Thema so spannend, dass ich dafür ein Jahr dieser 20 wertvollen Jahre investieren will? Ich weiß, dass ich viele Vorhaben dann ganz einfach aussortieren kann. Ich werde nur noch Herzensprojekte machen. Eine wunderbare Vorstellung!
50–20–10 spielte dann tatsächlich auch eine Rolle in den Geburtstagsbriefen, die ich an meine Freunde schickte. Denn ich bat sie darin um einen Gedanken, passend zu jeder Zahl. Zu den zurückliegenden 50 Jahren wünschte ich mir von meinen Freunden, dass sie mir sagen sollten, wie sie mich in der Vergangenheit wahrgenommen haben. Zur 20 bat ich sie, sich etwas von mir für die nächsten 20 Jahre unserer Beziehung zu wünschen – eine Reise vielleicht, einen Film, Zeit miteinander zu verbringen, eine Wanderung zu machen. Fehlte noch die 10 – dazu bat ich meine Freunde, mir vorzuschlagen, welche Projekte oder Vorhaben wir noch gemeinsam stemmen könnten.
Ich war sehr gespannt auf die Antworten. Meine Freunde hatten sie zu meinem Geburtstagsfest mitgebracht – das wir zwei Tage lang am Rhein feierten. In der Nähe von Kaub steht der Pfalzgrafenstein mitten im Fluss auf einem Felsen, dorthin fuhren wir mit dem Schiff, um die Anlage zu besichtigen. Und dort redeten wir darüber, was wir in den nächsten Jahren noch anpacken wollten, wie wir unsere Gesellschaft verändern, wie wir andere Menschen prägen, wie wir unser Wissen weitergeben könnten. Es waren Menschen aus allen Phasen meines Lebens dabei. Und wir hatten Zeit, miteinander zu feiern und zu lachen.
Am schönsten aber war das festliche Abendessen, das wir zusammen einnahmen. Zwischen den einzelnen Gängen standen immer wieder Freunde und Freundinnen auf und erzählten mir, was ihnen zu 50–20–10 eingefallen war. Ein Freund möchte mit mir auf den Gipfel eines Berges wandern und mir dort das Gedicht „Himmelsnähe“ von Conrad Ferdinand Meyer vortragen. Ein anderer möchte gerne noch mit mir einen Film über die Amish People drehen, wieder ein anderer mit mir gemeinsam ein gemeinnütziges Projekt in der Schweiz unterstützen. Die Vielfalt der Redebeiträge, Vorschläge und Ideen war so bunt, wie man es sich nur irgendwie vorstellen kann.
Während der Feier war nicht nur ich sehr bewegt – auch viele andere hatten Tränen in den Augen. Manchmal war es ganz still im Saal. Keiner konnte mehr sprechen, so berührt waren alle. Ich hatte das Gefühl, auf dem Gipfel meines Lebens zu stehen. Höher ging es nicht, mehr kann es nicht geben – so fühlte sich das an.
Am Ende feierten wir zusammen einen Gottesdienst. Denn über allen Plänen, über allem steht die Dankbarkeit – Dankbarkeit dafür, dass wir auf dieser Welt sind, dass wir uns haben und beistehen können, dass wir gesund sind. Und Dankbarkeit dafür, dass unsere Lebenslandkarten so gesegnet sind. Gottes Segen zu erfahren, ist das größte Glück von allen.