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Sie stellten am Haus der Riders am French River Wachposten ab: zwei heftig von Kriebelmücken geplagte Fischer in einem kleinen Boot und zwei Telefontechniker auf einem Mast, die es noch schlimmer erwischte. Sie hielten vier Stunden Ausschau und sahen niemanden das Haus betreten oder verlassen. Es waren keine Motorräder oder Autos davor geparkt.
Dennoch waren sie gewappnet. Vier Wagen, die Spurensuche nicht eingeschlossen, und alle mit Gewehren und kugelsicheren Westen. Sie schwitzten wie die Schweine. Nachdem sie die Tür aufgebrochen hatten, vergewisserten sie sich, dass das Haus leer war. Als sie fertig waren, standen sie noch eine Weile in der wie von Profis perfekt geputzten Küche. Geräte, Spülstein und Arbeitsplatten waren blitzblank.
»Die Jungs dürfen jederzeit meine Hausarbeit übernehmen«, sagte Delorme. »Solange ich selbst nicht da bin.«
Das Haus wurde offensichtlich nicht bewohnt, nicht einmal vorübergehend. Es gab drei Schlafzimmer, spärlich und billig eingerichtet und mit Feldbetten bestückt, die aus ausrangierten Armeebeständen stammen mochten. Kleider- und Geschirrschränke waren leer und stanken nach Putzmittel. Die Parkettböden hatten Kerben und Schrammen, die schwere Stiefel hinterlassen hatten. Nach eingehender Prüfung stellten sie fest, dass die Gläser, Becher und Dosen, die sie im Kühlschrank fanden, tatsächlich nichts anderes als Marmelade, Joghurt und Currypaste enthielten.
Cardinal ging in den Keller. Er roch den See und den Fluss, als ob ihm die Kraft des klaren, blauen Wassers und der schäumenden weißen Wellen entgegenschlüge, durchsetzt mit dem Geruch nach Zement und Abflussrohren. Er schaute unter die Treppe wie auch unter und in die verstaubten Geräte, die Waschmaschine und den Trockner. Ein Terrain aus Moder, Spinnweben und Staub.
Die einzige Ausbeute in einer Ikea-Kommode war ein einsames dunkelblaues T-Shirt, auf dessen Rückseite die Großbuchstaben NYPD – New York Police Department – prangten.
»Die haben zumindest Sinn für Humor«, sagte Delorme.
»Fragt sich doch«, sagte Cardinal, »wieso eine Gruppe heißblütiger Kanadier wie die Viking Riders ein so hübsch gelegenes Cottage wie das hier haben und es nicht benutzen.«
»Vielleicht mögen sie keine Kriebelmücken«, sagte Delorme. »Ich für meinen Teil hab sowieso nie verstanden, was die Leute an Cottages finden. Du fährst zu deinem Cottage raus und hast es da lauter als in der Main Street.«
»Ich weiß«, sagte Cardinal. Die Ruhe seines eigenen Hauses wurde seit einigen Jahren von Schneemobilen, Motorbooten, Wasserscootern und jeder denkbaren anderen Variante des Verbrennungsmotors gestört.
»Es ist so sauber, dass es fast aussieht, als hätten sie mit einer Razzia gerechnet.«
»Ja, hab ich auch schon gedacht«, sagte Cardinal. »Oder sie sind einfach nur auf der Hut. Immerhin ist einer ihrer Brüder ermordet worden.«
Er hob ein Exemplar des Algonquin Lode hoch. Auf der Titelseite war eine wochenalte Geschichte von einem Mann, der den diesjährigen Wettbewerb gewonnen hatte, ein Preisausschreiben mit der Frage, wann wohl das Eis auf dem Lake Nipissing schmelzen würde.
»Andererseits«, sagte Cardinal, »benutzen sie das Haus vielleicht nur nicht, weil ihnen hier der Boden zu heiß unter den Füßen geworden ist. Ich meine, wenn sie hier Drogen durchschleusen, ist sicher keiner von ihnen scharf drauf, hier zu wohnen. Wer länger bliebe, würde die ganzen Prügel beziehen, wenn der Laden hochgeht.«
In dem Moment hallte Arsenaults Stimme durchs leere Haus. Er rief ihre Namen.
Sie fanden ihn auf Händen und Knien vor einem Wandschrank, den er inspizierte. Er hatte eine Fußleiste abgenommen.
»Ich hab hier hinten einiges an weißem Pulver gefunden. Genug jedenfalls, um es zu analysieren. Das Zeug stäubt überall hin, egal, wie gründlich sie sauber machen. Ich nehme mal an, sie haben hier so einiges gebunkert. Und sicher ziemlich oft.«
»Dann wissen wir also mit Sicherheit, dass sie hier Heroin umgeschlagen haben«, sagte Delorme. »Da bin ich aber schockiert. Schockiert.«
»Sie haben die Charge hier gelassen und nur Wombat abgestellt. Das sagt uns was?«
»Dass es Routine war. Sie haben eine Menge umgeschlagen.«
»Stimmt. Sie fühlten sich vollkommen sicher. Und dann kommt plötzlich jemand daher und beklaut sie nicht nur, sondern tötet Wombat und schneidet ihn in Stücke. Wer kommt für so was in Frage?«
»Vielleicht eine rivalisierende Bande?«
»Aber was für eine? Die nächsten Biker-Banden gibt es erst wieder in Toronto, und falls eine von denen in der Stadt gewesen wäre, hätten wir es erfahren. Hey, Szelagy!«, rief Cardinal Richtung Wohnzimmer. »Was haben wir von der Verbunddatenbank zu Wombat bekommen?«
Szelagys bullige Gestalt füllte den Türrahmen aus. »Negativ. Keine Verbindung zu gar nix.«
»Nicht mal zu irgendwelchen ungelösten Fällen?«
»Gelöst, ungelöst, die hatten nichts.«
»Haben Sie es ohne die Hieroglyphen durchlaufen lassen?«
»Klar hab ich das.« Szelagy schien verletzt. »Ich hab sie gebeten, es sowohl als auch zu machen. Ich hab den Bericht heute früh zu Ihrer eingehenden Post gelegt.«
»Ich kann einfach nicht fassen, dass die nichts gefunden haben«, sagte Delorme. »Bei einem derart ungewöhnlichen Modus Operandi.«
»Konzentrieren wir uns auf die Waffe«, sagte Cardinal. »Wir wissen, dass Wombat sie vor einigen Wochen gestohlen hat.«
»Aber er kann nicht Toofs Mörder sein, da war er selbst schon tot.«
»Stimmt. Demnach hat derjenige, der Wombat getötet hat, sich auch die Freiheit genommen, seinen Revolver einzustecken. Er hat anschließend damit auf Terri Tait und dann Toof geschossen. Alle, die darin verwickelt sind, haben auf die eine oder andere Weise mit Drogenhandel zu tun – Terri durch ihren Bruder. Aber abgesehen von den Kugeln, haben wir nichts in der Hand, um sie mit Toof und Wombat in Verbindung zu bringen.«
Delorme legte nachdenklich die Stirn in Falten.
»Was ist?«, sagte Cardinal. »Was überlegst du?«
»Wenn wir mal annehmen, die Riders sagen die Wahrheit – jemand anders hätte sie beklaut, und sie hätten Wombat nicht umgebracht –, dann hätten wir es wohl mit richtigen Schwerverbrechern zu tun, meinst du nicht? Also keinesfalls mit jemandem, dem Terri Tait oder sogar Toof normalerweise über den Weg laufen würde. Der Kerl hat in kurzem Abstand zwei Menschen getötet, versucht hat er’s dreimal. Das ist extrem gewalttätig, selbst fürs Dealermilieu – fast so, als suchte er nach Gelegenheiten zum Töten.«
»Ich weiß. Und das heißt vermutlich, dass er immer noch auf der Suche ist.«