19
In den letzten Wochen vor Weihnachten war bei Kowalski’s so viel los, wie ich es noch nie erlebt hatte. Unsere vier Aushilfen erwiesen sich nicht nur als hilfreich, sondern als absolut unerlässlich, zumal Ed und ich uns jetzt ganz auf das letzte, doch größte Ereignis des Jahres konzentrieren mussten – Mimi Suttons Großer Winterball. Wir sahen der Herausforderung mit gemischten Gefühlen entgegen und hatten sehr viel Zeit und Mühe auf die Vorbereitungen verwandt, um schon so viel wie möglich im Voraus zu schaffen.
Der große Tag kam dann schneller, als uns lieb war. Morgens um sieben hatten Ed und ich den Lieferwagen gepackt und machten uns auf den Weg zum The Illustrian. Die blasse Wintersonne erhellte noch kaum den Horizont, als wir vom Broadway abbogen und am Hintereingang des großen Hotels vorfuhren. Die Besitzer hatten kürzlich erst den großen viktorianischen Ballsaal renovieren lassen und so das prunkvolle Setting für Mimi Suttons Coup des Jahres geschaffen. Der Saal erstreckte sich über zwei Ebenen, verbunden durch eine imposante Marmortreppe.
Unsere Schritte hallten auf dem polierten Marmorboden wider, als wir, mit schweren Kisten beladen, durch den Saal eilten. Mir fiel es schwer, mich von Größe und Prunk der Räume nicht einschüchtern zu lassen. Ed entging mein Lampenfieber nicht.
»Hey Boss, das wird schon«, munterte er mich auf. »Das wird ganz fantastisch.«
Ich lachte nervös. »Ja, ich weiß. Wir schaffen das schon.«
Um halb neun trafen Marnie und unsere Aushilfen ein. Auf einmal war die ehrfürchtige Stille des Saals erfüllt von angespannter Vorfreude und begeisterten Ausrufen angesichts dessen, was Ed und ich in der kurzen Zeit schon geschafft hatten. Die Treppe verschwand fast unter dem festlichen Grün der Girlanden, in die wir weiße Rosen, Nelken und hell funkelnde Lichterketten eingearbeitet hatten. Zugegeben: Es sah wirklich wunderschön aus, und als Blickfang des Saals war es atemberaubend. Nachdem ich mein Team mit Arbeit eingedeckt hatte, schnappte ich mir meine Kamera und begann Bilder von der Treppe zu machen. Als ich mich umdrehte, um auch die Säulen am Eingang zu fotografieren, die Ed mit geschickt arrangiertem Blattwerk in kleine Meisterwerke verwandelt hatte, sah ich eine vertraute Gestalt auf mich zukommen.
»Hey, Rosie.«
»Hi, Nate – lange nicht gesehen, was?«, erwiderte Ed, der unversehens neben mir aufgetaucht war. »Wir wollten dich schon als vermisst melden.«
Nate rieb sich den Nacken und schien sichtlich verlegen. »Na ja, könnte man fast so sagen.«
Aber Ed war noch nicht fertig. »Und jetzt dachtest du dir, schaue ich doch mal kurz vorbei und sage Hallo, was?«
»Ed«, unterbrach ich ihn rasch, »könntest du bitte mal schauen, was Jocelyn und Jack da hinten mit dem Fensterschmuck machen? Ich habe das Gefühl, die beiden übertreiben es ein bisschen mit dem Grün.«
Er bedachte mich mit einem seiner analytischen Blicke. »Klar«, meinte er dann, nickte Nate kurz zu und ging.
Nate runzelte die Stirn, als er Ed hinterherschaute. »Er ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen, was?«
Betont unbekümmert schüttelte ich den Kopf und lächelte. »Das hat nichts mit dir zu tun – er ist nur gerade etwas gereizt wegen dem großen Tag und allem.«
»Er scheint ziemlich besorgt um dich zu sein.«
»Ja, das ist er. Wir bei Kowalski’s sind wie eine große Familie und passen alle ein bisschen aufeinander auf. Guter Teamgeist sozusagen – und den können wir heute wirklich gebrauchen.«
Nate nickte bedächtig und sah sich um. »Wirklich eine tolle Location«, meinte er lächelnd. »Wie geschaffen, um eure Arbeit zu präsentieren.«
»Ja, es ist wirklich etwas Besonderes«, stimmte ich zu.
»Ich hätte längst vorbeikommen sollen«, platzte er auf einmal heraus, richtete seinen Blick wieder auf mich und wartete gespannt auf meine Reaktion. »Es tut mir leid, Rosie. Könnten wir … ähm, irgendwo reden? Vielleicht kurz auf einen Kaffee gehen?«
Plötzlich wurde mir ganz warm, und das Herz schlug mir bis zum Hals. »Wir haben hier noch ziemlich viel zu tun … und ich glaube nicht, dass mein Team begeistert wäre, wenn ich jetzt Kaffeetrinken gehe.« Ich schaute zu Ed, Marnie und unseren vier Aushilfen hinüber und ertappte Ed dabei, wie er uns beobachtete.
Nate dachte kurz nach, dann meinte er: »Warte hier, okay? Bin gleich wieder da.«
Fragend sah ich ihm nach, wie er hinüber zu den anderen marschierte und kurz mit Ed sprach. Marnie fing meinen Blick auf. Ed und Nate standen jetzt etwas abseits und schienen tief in ein Gespräch versunken. Ich wollte die beiden nicht zu offensichtlich beobachten und eigentlich auch gar nicht wissen, worüber sie redeten, also versuchte ich, meine Aufmerksamkeit stattdessen auf mein Team zu richten, auf den Raumschmuck, auf die Decke – nur nicht auf meine beiden Freunde, die über mich redeten, wie ich vermutete …
Gerade als ich mal wieder einen Blick wagen wollte, schnitt eine laute Stimme durch die relative Stille des Saals und zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Von einem bunten Wirbel aus Seide und Chiffon umgeben, kam Mimi Sutton hereingerauscht.
»Da ist sie ja – die Frau, über die alle reden!«
Zielstrebig steuerte sie auf mich zu, und ich lächelte verhalten. Bei Mimi war ich mir nie sicher, wie ihre Worte gemeint waren. Sie bedachte mich mit einem wohlwollenden Lächeln und reichte mir ihre makellos manikürte Hand mit so großer Geste, als wäre es eine Ehre, die keineswegs jedem zuteilwurde.
»Das ist perfekt«, schwärmte sie und ließ ihren Blick so schnell und flüchtig durch den Saal schweifen, dass sie damit gerade noch ihr Interesse kundtat. »Ich wusste, dass ich auf Sie zählen kann, Rosie.« Dann entdeckte sie Nate, der noch immer in seine Unterhaltung mit Ed vertieft war, und das Lächeln gefror ihr im Gesicht. Sie schaute mich an und hob die Brauen. »Dürfte ich wohl ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit stehlen? Es gäbe noch ein, zwei Dinge, die ich vor dem heutigen Abend geklärt haben möchte. Kleinigkeiten, meine Liebe – nichts, was Sie beunruhigen müsste.«
Dennoch ließ ihr Ton mich aufhorchen. »Natürlich. Möchten Sie vorher noch kurz mein Team kennenlernen?«
»Vielleicht später. Erst möchte ich mir die Treppe mal genauer ansehen«, sagte sie, nahm mich etwas zu entschieden beim Arm und beförderte mich zügigen Schrittes quer durch den Saal.
Bei der Treppe angekommen, ließ sie mich los und inspizierte die Blumen und Blätter mit spitzen knallrot lackierten Fingernägeln. »Ausgezeichnet. Ganz ausgezeichnet.«
»Ich bin mit dem Ergebnis auch sehr zufrieden«, sagte ich so ruhig wie möglich und versuchte mein wachsendes Unbehagen zu verbergen. »In dieser Größenordnung hat Kowalski’s noch nie …«
»Warum ist er hier?«, fiel Mimi mir ins Wort, den Blick dabei noch immer auf die Girlanden gerichtet, ihre Miene der Inbegriff freundlicher Gelassenheit.
»Wie bitte … wer?«
»Nathaniel.«
»Ich … ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«
»Tun Sie doch nicht so unschuldig, Ms Duncan«, gab Mimi scharf, doch unvermindert lächelnd zurück. »Für wie dumm halten Sie mich?«
»Mimi, ich weiß wirklich nicht, warum er hier ist«, erwiderte ich gereizt, denn ihr Ton ärgerte mich. »Er ist eben erst gekommen – und wie es aussieht, wollte er mit meinem Co-Designer reden.«
»Unsinn. Er ist Ihretwegen gekommen, und das wissen Sie ganz genau. Ich weiß ja nicht, wie seine Beziehung zu Ihnen ist, aber ich weiß, wie seine Beziehung zu meiner Tochter ist.«
»Bei allem Respekt, aber ich weiß wirklich nicht, was meine Beziehung zu Nate damit zu tun …«
»Es hat sehr viel damit zu tun, Ms Duncan. Es hat nur damit zu tun. Ich bin einzig am Wohl meiner Tochter interessiert. Ich möchte, dass sie glücklich ist. Und Sie bringen dieses Glück in Gefahr.«
»Wie bitte?«
Mimi riss sich von den Girlanden los und funkelte mich an. »Nathaniel Amie wird niemals eine eigene Entscheidung treffen. Er hat eine sehr entspannte Einstellung zum Leben und nimmt die Dinge gern, wie sie kommen. Caitlin kann – und wird – aber nicht ewig auf ihn warten. Gerade waren wir so weit, dass es den Anschein hatte, als hätte Nathaniel sich endlich zu einer Entscheidung bequemt – und dann tauchten Sie auf.«
Das Blut pochte mir in den Schläfen, und ich musste mich wirklich sehr beherrschen. »Nate ist ein guter Freund, Mimi. Mehr nicht.«
»Seit er Sie kennengelernt hat, Ms Duncan, ist er Caitlin gegenüber weniger aufmerksam, er ist streitlustig und unkooperativ und neigt dazu, noch länger aufzuschieben, was von Anfang an abgemachte Sache war«, zischte Mimi. »Caitlin hat ihm mittlerweile verboten, Ihren Namen in ihrer Gegenwart auch nur zu erwähnen, weil er stets Anlass für Auseinandersetzungen ist.«
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten sollte. Nates Beziehung zu seiner Verlobten war mir schon immer ein Rätsel gewesen, und das blieb sie auch trotz unserer vielen Gespräche. Aber zu erfahren, dass die beiden sich meinetwegen stritten, war ja wirklich spannend … »Entschuldigen Sie, aber was soll ich dazu sagen?«
»Ganz einfach: Sie sollen mir zusagen, dass Sie sich künftig von Nathaniel fernhalten.«
»Nur damit wir uns richtig verstehen, Mimi: Ich habe ihm nicht nachgestellt«, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und es war nicht meine Absicht, dass die beiden meinetwegen streiten. Aber wenn Nate aus freien Stücken in meinen Laden kommt – um Blumen für Ihre Tochter zu bestellen, wie ich betonen möchte –, können Sie dafür wohl kaum mir die Schuld geben.«
Mimis Blick bohrte sich in meine Augen. »Seien Sie vorsichtig, Rosie. Mischen Sie sich nicht in Sachen ein, die Ihren Horizont definitiv übersteigen.«
»Na, Mimi, wie gefällt es dir bis jetzt?«, fragte Nate, der plötzlich neben uns aufgetaucht war. Mimis Lächeln kehrte schlagartig zurück. Sie umarmte ihn drei theatralische Luftküsse lang.
»Nathaniel, welch eine Überraschung. Hast du mich gesucht? «
»Obwohl es mir immer eine Freude ist, dich zu sehen, Mimi«, erwiderte Nate charmant, »bin ich rein geschäftlich hier.«
Mimis Lächeln verblasste. »Oh. Geht es um die Ergänzungen zu meinem Buch, Darling? Das ist leider gerade ganz ungünstig – du kannst dir gewiss denken, dass ich heute anderes im Kopf habe.« Sie deutete mit großer Geste in den festlich geschmückten Saal.
Nate schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf mich zu. »Es würde mir nicht im Traum einfallen, dich heute damit zu behelligen«, meinte er vergnügt. »Ich wollte mit Rosie sprechen.«
Mimi lächelte bemüht. »Ms Duncan dürfte alle Hände voll mit ihrem Meisterwerk zu tun haben. Kann das nicht warten?«
»Leider nein. Ich will sie nämlich dazu überreden, ein Buch zu schreiben.«
»Und dazu kannst du sie nicht noch, sagen wir … nächste Woche überreden?«
»Bedauerlicherweise nein. Wie du ja weißt, fahre ich über die Feiertage zu meinen Eltern, und vorher will ich alle neuen Verträge unter Dach und Fach bringen. Dauert nur eine halbe, allerhöchstens eine Stunde. Ich habe eben mit Mr Steinmann geredet, und er hat mir versichert, dass ihr Team sie so lange entbehren kann.«
Ich schaute kurz zu Ed hinüber und fing seinen Blick auf. Fragend hob er die Brauen und deutete ein knappes Lächeln an. Wahrscheinlich war er ebenso gespannt, worüber Nate mit mir reden wollte wie ich.
»Wollen wir, Rosie?«
»Ich kann sie aber nicht entbehren!«, platzte da auf einmal Mimi heraus, um deren Selbstbeherrschung es nun endgültig geschehen war. »Wir haben noch Einiges zu besprechen. «
Nate legte mir die Hand auf den Rücken und wandte sich zum Gehen. »Besprich es doch mit Ed«, meinte er leichthin. »Bis später, Mimi.«
Und damit beschleunigte er seine Schritte, und wir liefen zügig durch den Saal, durch die Lobby und hinaus auf die Straße.
Ich konnte gar nicht anders, als Nate anzulächeln – einerseits, weil ich so überrascht war, andererseits, weil seine Hand noch immer warm auf meinem Rücken lag. Vergeblich versuchte ich, aus seiner Miene schlau zu werden, hätte aber nicht sagen können, ob er die kleine Konfrontation mit Mimi amüsant, ärgerlich oder … was auch immer gefunden hatte. Ein paar Häuser weiter fanden wir ein kleines Café und setzten uns an einen der hinteren Tische. Nate grinste mich noch immer vergnügt an, doch ich merkte, dass ihn etwas beschäftigte, das definitiv nicht besagtes Buch war, das ich schreiben sollte. Gedankenverloren fuhr er sich über die Stirn und nahm dann die Speisekarte zur Hand, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
»Ein Buch?«, fragte ich schließlich. »Was für ein Buch?«
»Blumen und ihre Bedeutung für das moderne Großstadtleben«, erwiderte Nate, ohne mit der Wimper zu zucken. »Darüber reden wir doch seit Monaten.«
»Ah, deine Besuche in meinem Laden waren also nichts weiter als …«
»Geschäftlich«, schloss er lächelnd, als eine junge osteuropäische Kellnerin an unseren Tisch kam. »Für mich einen Americano. Rosie?«
»Einen großen Latte – mit fettarmer Milch und ohne Koffein, bitte.«
Die Kellnerin verschwand wieder. Ein kleines irritiertes Fragezeichen blieb in meinem Kopf zurück. Benutzt er dich nur, Rosie Duncan? Ich beschloss, es rundheraus anzusprechen – unnötige Gefühlsverwirrungen hatten mir heute gerade noch gefehlt. »Das sollte wohl gerade ein Scherz sein, oder? Das mit dem Buch, meine ich.«
»Hey, warum die besorgte Miene?«
Plötzlich war mir meine Frage peinlich, und ich sah beiseite. »Egal. Vergiss es.«
»Glaubst du allen Ernstes, ich würde an den nächsten Bestseller denken, wenn ich mit dir rede? Oh, Rosie – natürlich war das ein Scherz! Aber irgendetwas musste ich mir ja einfallen lassen, sonst hätte Mimi dich nie gehen lassen.« Nate griff nach meiner Hand. »Ich wollte einfach nur eine Gelegenheit, dir alles zu erklären.«
»Du musst mir nichts erklären«, versicherte ich ihm.
»Doch«, erwiderte er. »Ich habe so ein schlechtes Gewissen wegen dieser Sache mit David. Aber du musst mir glauben, Rosie – ich hatte wirklich keine Ahnung, dass ihr beiden euch kennt.«
»Natürlich. Woher hättest du es auch wissen sollen? Außerdem ist es nicht weiter wichtig. Ich habe danach nochmal mit ihm gesprochen, und ihm ganz klar gesagt, was Sache ist.«
»Ja, ich auch«, gab Nate verlegen zu.
»Ich weiß.«
Mit großen Augen sah er mich an. »Er hat dir erzählt, dass ich ihm eine reingehauen habe?«
Ich nickte. »Aber ich wusste es schon vorher. Wozu ist meine beste Freundin schließlich Journalistin?«
Nate lachte und schüttelte den Kopf. »Ich hätte es mir denken können!«
»Mach dir wegen der Sache mit David keine Vorwürfe, Nate. Es war ja nicht deine Schuld, was damals passiert ist.« Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Vielmehr hoffe ich, dir und Caitlin keine Probleme bereitet zu haben.«
Fragend hob er die Brauen und zog seine Hand zurück. »Was soll das denn heißen?«
»Mimi deutete eben so etwas an.«
Sofort merkte ich, dass ich das besser für mich behalten hätte. Ein Blick in Nates Augen genügte. Rasch versuchte ich vom Thema abzulenken und machte eine Bemerkung über etwas, das auf der Speisekarte stand, aber Nate war in Gedanken anderswo. Als unser Kaffee kam, hatte er noch immer nichts gesagt. Ich beschloss, einfach abzuwarten.
»Was hat sie gesagt?«, fragte er schließlich.
Ich holte tief Luft. »Dass du und Caitlin euch gestritten hättet. Sie glaubt, es hätte damit zu tun, dass wir befreundet sind.«
Nate seufzte schwer. »Da liegt sie total daneben.«
Ich wollte es nicht noch komplizierter für ihn machen. »Hör zu, Nate, das ist schon okay. Du und Caitlin solltet jetzt an eure Beziehung denken. Ich will nicht, dass unsere Freundschaft für Streit zwischen euch sorgt. Ihr seid verlobt und …«
»Caitlin ist nicht meine Verlobte.«
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Hatten die beiden sich getrennt?
»Wie bitte?«
»Sollte sie zumindest nicht sein, wenn es nach mir ginge. Herrgott, was habe ich mir da nur eingebrockt!«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Aber als ich sah, wie nahe ihm das alles ging, hatte ich das Gefühl, irgend etwas sagen zu müssen. »Das verstehe ich nicht, Nate. Hast du Caitlin nun einen Antrag gemacht oder nicht?«
Er sah nicht auf, als er antwortete. »Ja, habe ich. Sozusagen. Aber nur, weil ich praktisch dazu gedrängt worden bin. Als ich ihr den Antrag machte, fühlte es sich so … falsch an, aber was hätte ich denn tun sollen? Die ganze Stadt hat ja schon davon geredet.«
»Nate, ich …«
Er schaute mich wieder an. »Die Sache ist die, dass ich eigentlich immer noch nicht weiß, was ich für sie empfinde, Rosie. Ich brauche mehr Zeit … Ich bin noch nicht bereit zu heiraten – zumindest nicht Caitlin. Ach, keine Ahnung, Rosie. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich in den letzten Wochen ein ganz anderer Mensch geworden – als wäre ich schizophren oder so was. Eben noch bin ich glücklich und zufrieden, und dann bin ich auf einmal mit Caitlin zusammen und erkenne den Mann an ihrer Seite nicht wieder. Ich will der sein, der ich bin, wenn ich hier bin – so wie jetzt, mit dir.«
In meinem Kopf schrillten Alarmglocken. Ich sprang auf. »Nate, ich muss jetzt wirklich zurück …«
»Einen Moment noch, bitte!«, flehte er mich an, und in seinen Augen entdeckte ich auf einmal Gefühle, die ich nie zuvor bei ihm bemerkt hatte. »Wenn ich es dir jetzt nicht sage, werde ich es vielleicht nie sagen.«
Etwas unschlüssig und wider besseres Wissen setzte ich mich wieder.
»Rosie, seit ich dich kenne, habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, mich selbst zu verstehen. Du bringst das Beste in mir zum Vorschein – den Nate, der ich schon immer sein wollte. Und dadurch wurde mir erst bewusst, wie sehr ich mich in Caitlins Gegenwart von mir entfremde. Caitlin ist eine wunderbare Frau, sie ist ehrgeizig, unabhängig, umwerfend. Sie ist alles, was die Frau sein sollte, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will – oder verbringen sollte. Sollte man zumindest meinen. Denn irgendetwas fehlt, wie bei einem Puzzle, wenn das letzte Teil fehlt, das alles zu einem stimmigen Bild zusammenfügen würde. Ich liebe sie, aber nicht so, wie ich sie lieben sollte. Wahrscheinlich liegt es an mir: Vielleicht sehe ich in der Heirat auch nur einen weiteren Vertragsabschluss. Und natürlich hat Mimi absolut Recht, dass es für uns einfach naheliegt zu heiraten. Wir verkehren in denselben Kreisen, kommen aus guten New Yorker Familien. Unsere Leben sind sich jetzt schon sehr ähnlich. Aber die Wahrheit ist, dass du den Nagel haargenau auf den Kopf getroffen hast, als du ganz am Anfang zu mir meintest, dass ich auf dich nicht den Eindruck eines verliebten Mannes machen würde.«
»Nate, damit wollte ich nicht …«
»Und du, Rosie – du hast keine Angst davor zu sagen, was du denkst. Du hast mich dazu gebracht, mich mit anderen Augen zu sehen, und ich möchte besser sein als das, was ich gesehen habe. Du bist so stark und so schön, und seit ich mit dir befreundet bin, fühle ich mich so … lebendig …«
Mehr wollte ich nicht hören. Ob es an seinem ergriffenen Ton lag oder daran, wie er »befreundet« gesagt hatte – ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins: Ich musste weg hier, und zwar schnell. »Ich … ich muss los«, stammelte ich und stand ein zweites Mal auf. Diesmal erhob sich auch Nate und griff nach meiner Hand.
»Ich wollte dich nicht erschrecken, Rosie. Mir war nur wichtig, dass du weißt, was mir gerade alles durch den Kopf geht. Du bist zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden, und ich werde mich nicht anderen zuliebe von dir trennen – weder für Mimi, noch für Caitlin. Auch nicht für Ed. Bitte sag mir, dass du verstehst, was ich meine. Bitte.«
Einen Moment lang stand ich wie gebannt, konnte ihn nur anschauen, bemerkte die anderen Gäste nicht, die uns mittlerweile alle interessiert beobachteten. Ich war mir immer noch nicht sicher, was Nate mir eigentlich sagen wollte. Was hatte ich mit all dem zu tun? Und darüber, was ich tatsächlich für ihn empfand, wollte ich mir lieber keine Gedanken machen, denn wer wusste, was da zum Vorschein käme. Seine Freundschaft wollte ich aber auch nicht verlieren.
»Okay, pass auf«, sagte ich ruhig. »Ich weiß nicht, was zwischen dir und Caitlin los ist – und vielleicht will ich es ja auch gar nicht wissen. Ich mag dich als Freund und bin sehr gern mit dir zusammen. Aber ich möchte nicht Anlass für Konflikte zwischen euch sein. Und was deine Verlobung angeht, kann ich dir auch keinen Rat geben – nur du allein weißt, was du fühlst. Nur solltest du dich bald entscheiden, was du wirklich willst, um andere nicht unnötig zu verletzen.«
»Es wäre mir unerträglich, dich zu verletzen, Rosie.«
Ich merkte, wie ich rot wurde. »Ich meinte auch nicht mich, Nate.«
»Aber ich.«
Mir stockte der Atem.
»Du bedeutest mir so viel, Rosie. Vielleicht mehr als wir beide wissen.«
Ich schaute ihm in die Augen und sah, dass er die Wahrheit sagte.
»Du solltest mit Caitlin reden«, erwiderte ich und merkte zu spät, dass meine Worte auch auf eine Weise verstanden werden konnten, an die ich derzeit kaum zu denken wagte.
»Ja.« Er nickte. »Ja, das sollte ich.«