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Was könnte schöner sein, als nach einem langen Tag nach Hause zu kommen! Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Ich liebe meine Arbeit, und ich liebe meinen Laden. Aber ich liebe auch dieses wunderbare Gefühl, meine Wohnungstür aufzuschließen und einfach nur zu Hause zu sein. Meine Wohnung hat diesen einzigartig heimeligen Geruch nach Holzpolitur, Kaffee und Lavendel. Für mich bedeutet dieser Geruch nur eins: Ich bin zu Hause.

Als Erstes werfe ich Old Faithfuls Schwester Hissy an (benannt nach dem lauten Zischen, mit dem sie sich an die Arbeit macht). Sie ist etwas jünger als meine geschätzte Kollegin, aber schon genauso altersstarrsinnig. Mit gurgelnden Lauten erwacht sie zum Leben und erfüllt meine vier Wände mit köstlichem Kaffeeduft. Dann, einen dampfenden Kaffeebecher in der Hand, höre ich meinen Anrufbeantworter ab.

An jenem Spätsommertag warteten drei Nachrichten auf mich – die ersten beiden waren von meiner Mutter, die mich in der ersten an den Geburtstag meines Bruders erinnern wollte und mir in der zweiten mitteilte, dass James kommende Woche geschäftlich in den Staaten sei. Mit Mums Nachrichten kann man richtige Unterhaltungen führen, weil sie immer genau da Pausen einlegt, wo man bei einem richtigen Telefongespräch »Mmmm … ja …«, »Verstehe« oder »Oh je« sagen würde.

»Es wäre wirklich schön, wenn James dich besuchen könnte, aber er meint, dass er die ganze Zeit in Washington beschäftigt sein wird …«

»Wie schade …«

»Schade, ich weiß.«

»Hmmm.«

»Ich würde dir ja gern sagen, dass er dich zumindest anruft, aber du weißt ja, wie er ist.«

»Ja, so mit sich selbst beschäftigt, dass keine Zeit für andere bleibt …«

»Er ist so sehr mit seiner Arbeit beschäftigt, dass ihm überhaupt keine Zeit für andere Dinge bleibt. Nun ja, mein Schatz, ich muss jetzt aufhören …«

»Wahrscheinlich kostet dieser Anruf ein Vermögen …«

»Dich um diese Zeit anzurufen ist wirklich ziemlich teuer.«

»Ich vermisse dich und hab dich lieb, mach’s gut!«

»Ich vermisse dich und hab dich lieb, mach’s gut!« Lächelnd schüttelte ich den Kopf und nahm einen tiefen Schluck Kaffee. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich mir, bei Mum in England zu sein.

Die dritte und letzte Nachricht war von Celia. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise hinterließ Celia immer gleich mehrere Nachrichten, die je nach ihrem Gemütszustand (sprich: wie nahe sie einem Nervenzusammenbruch zum Zeitpunkt der Anrufe war) in Länge, Lautstärke und Verständlichkeit variierten.

»Rosie, ich bin’s. Es ist Viertel vor sieben. Wo steckst du? Ruf mich sofort an, wenn du das hier abgehört hast.«

»Nur keine Aufregung«, murmelte ich und verschwand ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen.

Aber natürlich hörte Celia nicht auf mich. Kaum hatte ich meine Schuhe abgestreift, klingelte das Telefon.

»Na schön«, seufzte ich. »Dann reden wir eben zuerst.«

»Rosie! Gott sei Dank, Honey. Ich dachte schon, dir wäre etwas ganz entsetzlich Schreckliches zugestoßen.«

Ich musste lachen. »Celia, ich bin mit dem Bus zum Deli gefahren, habe ein paar Sachen eingekauft und bin dann nach Hause gelaufen. Weißt du, im August ist es um diese Zeit noch hell – was hätte mir schon passieren sollen?«

»Alles Mögliche kann passieren, Rosie! Meine Kollegin recherchiert gerade für einen sehr interessanten Artikel, und du würdest gar nicht glauben, wie viele alleinstehende junge Frauen nach der Arbeit noch was trinken gehen und dabei vermeintlich nette junge Männer kennenlernen, sie mit nach Hause nehmen, und dann am nächsten Morgen feststellen, dass ihre Wohnung ausgeplündert ist!«

»Celia, beruhige dich. Mir geht es gut, wirklich. Ich war weder was trinken noch habe ich mir einen netten jungen Mann mit nach Hause gebracht, und meine Wohnung sieht noch genauso aus wie heute Morgen, als ich sie verlassen habe.«

»Ich mache mir ja nur Sorgen und möchte nicht, dass dir etwas zustößt.« Celia klang beleidigt.

»Danke, Celia. Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen – aber was kann ich für dich tun?«

»Du müsstest morgen mal in der Redaktion vorbeikommen, wenn du es irgendwie einrichten kannst.«

»Warum?«, fragte ich vorsichtig und sah schon vor mir, wie Ed und Marnie tadelnd den Kopf schüttelten.

»Weil ich dich in meiner ›West Siders‹-Kolumne porträtieren will. Du ahnst ja gar nicht, wie viele Leute sich seit dem Autorentreffen nach dir erkundigt haben!«

Das bekam ich jetzt bereits das zweite Mal zu hören, aber irgendwie konnte ich es nicht so recht glauben. Seltsam. Eigentlich hatte ich mich an besagtem Abend doch nur an einer kurzen Unterhaltung über Lavendel beteiligt und ein bisschen belanglosen Smalltalk gemacht.

»Ja, komisch – Mimi Sutton meinte das auch schon. Wer hat sich denn nach mir erkundigt?«

»Alle, Schätzchen! Angelika, Henrik, Jane, Brent. Eben habe ich übrigens mit Brent gesprochen, und er hat mir erzählt, dass ihr euch bei Mimi über den Weg gelaufen wärt. Ich hatte den Eindruck, dass er ziemlich angetan ist von dir. Er meinte, du wärst die englische Sandra Bullock!«

»Ich sehe überhaupt nicht aus wie Sandra Bullock«, entgegnete ich.

»Natürlich tust du das, Rosie! Alle sagen das! Mimi meinte das auch auf der Party zu mir, und diesen Ed – du weißt schon, der aus deinem Laden – habe ich das auch mal sagen hören.«

»Ed hat das gesagt?«, fragte ich entgeistert. »Okay, ich habe dunkle Haare und dunkle Augen, aber da hören die Ähnlichkeiten auch schon auf. Ich meine, wenn Sandra Bullock ein paar Kilo zulegen würde, dann vielleicht …«

Aber für Celia schien das Thema erledigt. »Na ja, ist ja auch egal, Rosie – du bist auf jeden Fall ein absoluter Volltreffer ! Was habe ich dir gesagt? Also, pass auf, mein Redakteur meinte, ich solle mir was Interessantes überlegen – du weißt schon, spannende Leute von der West Side, über die ich in der neuen Kolumne schreiben könnte –, und da dachte ich mir, das wäre doch die Gelegenheit, dir endlich ein bisschen Publicity zu verschaffen! Komm morgen um eins vorbei, dann besprechen wir alles Weitere. Mach’s gut, ich muss los.«

Und schon hatte sie aufgelegt.

Langsam ließ ich den Hörer sinken und nahm mir meinen Kalender vor. Mein Verstand lief plötzlich auf Hochtouren. Warum interessierten sich seit dieser Party auf einmal alle für mich? Ich verstand es einfach nicht. Die Frage wollte mir auch dann nicht aus dem Kopf, als ich mir eine Hühnchenbrust grillte und einen großen Salat machte. Während ich aß, wanderte mein Blick immer wieder zu meinem aufgeschlagenen Terminkalender. Obwohl ich die Aussicht, in der Times porträtiert zu werden, ziemlich aufregend fand, schien mir doch eine gewisse Vorsicht geboten.

Mit Publicity ist das so eine Sache. Es kann ein durchschlagender Erfolg sein – oder aber voll nach hinten losgehen. So wie beispielsweise als meine Mutter vor ein paar Jahren eine Anzeige in der Lokalzeitung aufgegeben hatte: »Bei Eadern Blooms in der ersten Maiwoche alles zum halben Preis«. Doch irgendwo zwischen dem Fax meiner Mutter und der Drucklegung der Zeitung war aus »Eadern Blooms« dann »Eadern Bloomers« geworden, und eine ganze Woche lang rannten ihr vorwiegend ältere Herrschaften den Laden ein und suchten vergeblich Schlüpfer zum Schnäppchenpreis. Oder damals, als mein Bruder James mit seiner ersten Geschäftsidee in der Zeitung war: Das Foto zeigte ihn mit seiner Freundin, die – dem Artikel zufolge – seit drei Jahren mit ihm zusammen sei und sich freue, in naher Zukunft Mrs James Duncan zu werden. Das Problem war nur, dass vier weitere Frauen, mit denen mein Bruder auch zusammen war, den Artikel ebenfalls lasen. Plötzlich standen sie alle bei uns vor der Tür, und dann war der Teufel los. Beinahe hätte sich erfüllt, wovon James schon als kleiner Junge geträumt hatte – einmal mit Blaulicht und lautem Tatütata in einem Krankenwagen zu fahren …

Diese misslichen Begebenheiten hatte ich warnend im Hinterkopf, als ich beschloss, mich morgen wie geplant mit Celia zu treffen, ihr Angebot jedoch höflich abzulehnen. Wir konnten uns bei Kowalski’s wirklich nicht beklagen: Das Geschäft mit den Stammkunden lief gut, und dank Mimi Suttons Auftrag für den Großen Winterball sah es auch in Sachen Events bestens aus. Die Publicity aus der »West Siders«-Kolumne würde uns womöglich mit Aufträgen überschütten, die wir so kurzfristig gar nicht bewältigen konnten – und das wäre schlechte Publicity. Oder anders ausgedrückt: Lieber erst laufen lernen, bevor man losrennt. Zurzeit fand ich die Gewichtung von eher kleinteiligem Tagesgeschäft und größeren Aufträgen genau richtig. Ich sah keinen Sinn darin, größenwahnsinnig zu werden und das zu opfern, was – meiner Ansicht nach – Kowalski’s von allen anderen Floristen in New York unterschied und zu etwas ganz Besonderem machte. Nachdem ich diesen Beschluss gefasst hatte, ging ich zufrieden zu Bett und schlief sofort ein.

Doch in der Nacht träumte ich lebhaft. Mit Schallgeschwindigkeit blitzten die Bilder durch meinen Kopf – ein lächelnder Ed, Mimi Sutton in ihrem repräsentativen Büro, Brents breites Grinsen, der Zusammenstoß mit Nate Amie und Mums Anruf wegen James. Und dann plötzlich fühlte ich den Herzschlag eines Mannes, spürte seine warmen Arme um mich, seinen Atem in meinem Haar. Es war wunderbar. Ich fühlte mich so … sicher. Sicher und geborgen. Ich hob meinen Kopf von seiner Brust und wollte ihm in die Augen schauen – und erkannte ihn. Im Nu war das Gefühl der Geborgenheit verschwunden und entsetzlichem Unbehagen gewichen. Und schon tauchte ein neues Bild aus den Tiefen meines Bewusstseins auf: Ich stand in einem Garten und sah mich einer Gruppe vertrauter Gesichter gegenüber. Lächelnd schauten sie mich an. Ich hörte mich reden – mit tränenerstickter Stimme, von Gefühlen überwältigt. »Es tut mir leid … es tut mir so furchtbar leid …«

Ich schreckte aus meinem Traum auf. Durch das Schlafzimmerfenster fiel fahles Mondlicht herein. Mein Atem ging schwer, mein Gesicht war nass von Tränen und Schweiß, kerzengerade saß ich im Bett und schaute mich fassungslos um, rang um Beherrschung. Ich tastete nach der Nachttischlampe und knipste sie an. Mein Zimmer lag in warmes goldenes Licht getaucht: der alte Stuhl vom Flohmarkt, den ich weiß lasiert hatte, meine bunte Patchworkdecke, die gemalte Ansicht von Bridgnorth, die Mum bei ihrem letzten Besuch mitgebracht hatte, die dunkle Holzkommode, die Celia mir zum Einzug spendiert hatte – alles wohltuend vertraut und Trost für meine brennenden Augen. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn und versuchte tief durchzuatmen. Langsam beruhigte sich mein laut pochendes Herz. Aber das Unbehagen blieb.

»Reiß dich zusammen, Mädchen«, tadelte ich mich. »Es war nur ein Traum – es ist nicht real.«

Jetzt nicht mehr, sagte meine innere Stimme. Aber es war mal sehr real.