X.
Massilia, die griechische Handelskolonie im Süden Galliens, war die Drehscheibe des Mittelmeers. Von dort kamen all jene Tauschwaren, die wir Kelten so schätzen: römischer Wein, farbiges Glas und Metallgefäße. Im Gegenzug lieferte Gallien Massilia nicht nur Salz, Kupfer, Bernstein, Zinn, Felle, Leder, Gold, Harz, Pech, Kienholz, Wachs, Käse und Honig, sondern auch die charakteristischen roten Wollstoffe, um die uns die ganze römische Republik beneidete. Deshalb – und auch weil wir neben der Sense das Holzfaß erfunden haben – verbreiten die Römer immer noch das Gerücht, wir würden nur um des Weines willen Tauschhandel treiben. Weil wir trunksüchtig seien. Deshalb hätten wir auch das Faß erfunden. Und deshalb würden wir zwei junge Sklaven gegen eine einzige Amphore Wein eintauschen. Als wäre die Beschaffung von Sklaven schwierig. Aber gegen römische Verleumdungen ist eben kein Kraut gewachsen. Denn was Römer behaupten, wird schriftlich für die Nachwelt festgehalten. Was wir entgegnen, hören bloß die Götter. Wenn sie wollen.
Es war schön, an Basilus' Seite reiten zu können. Wir erzählten uns, was wir in den Jahren erlebt hatten, erzählten es wieder und wieder und schmückten es in immer prächtigeren Farben aus. Abends setzten wir uns an die Lagerfeuer der Händler, brieten Fleisch und tranken Wein (Ziegenmilch ist unterwegs Mangelware) und lästerten vergnügt über das römische Imperium. Es war nicht Neid oder Mißgunst, nein, wir Kelten haben eine eher sportliche Einstellung zum Leben und zum Tod. Dabeisein ist wichtiger als überleben. Was uns an Rom aber stets gestört hat, ist diese unerträgliche Überheblichkeit, mit der sie Nichtrömern ihren Willen aufzwingen.
Als wir eines Tages die turmreichen Mauern Massilias erblickten, war ich mit den Nerven bereits ziemlich am Ende. Das mögliche Wiedersehen mit Wanda hatte mich in den letzten Nächten um den Schlaf gebracht, je näher ich Massilia gekommen war, desto größer war die Angst geworden, Massilia zu erreichen, aber Wanda ewig fern zu bleiben. Was, wenn Kretos sie mittlerweile weiterverkauft hatte? Wanda konnte ja ziemlich störrisch sein. Vielleicht hatte Wanda auch versucht, Kretos umzubringen. Die südwärts ziehenden Händler hatten erzählt, daß in Massilia merkwürdige Gesetze herrschten. Massilia lag zwar in der römischen Provinz Gallia Narbonensis. Aber Massilia war ganz und gar autonom! Nachdem Rom die Stadt seinerzeit vor den Kelten geschützt hatte, war der Mittelmeermetropole der lange Küstenstreifen von Nicaea bis zum Rhodanus, mit allen Klientenstaaten, zugesprochen worden. Als Gegenleistung hatte Massilia den Unterhalt der Via Domitia übernommen und die Überwachung des Fossae Marianae, eines Seitenkanals des Rhodanus. Die Kanalzölle machten Massilia, das seine Felder seinerzeit angeblich mit den bei Aquae Sextiae gefallenen Teutonen gedüngt hatte, reich, mächtig und selbstbewußt. Somit konnten sie sich eine eigene Rechtsprechung erlauben, den Frauen den Weinkonsum verbieten, für den Selbstmord eine staatliche Genehmigung vorschreiben und andere exotische und skurrile Gesetze erlassen. Trotzdem war und blieb Massilia für jeden adligen Kelten das große griechische Bildungszentrum, in dem er gerne seine Söhne ausbilden ließ. Für einen Kelten war Massilia der Nabel der Welt, das Zentrum von Kultur und Wissen. Und nicht Rom. Es war auch mein Traum gewesen.
Massilia liegt auf einer vorspringenden Halbinsel, nördlich des windgeschützten alten Hafens Lakydon, dessen enge Einfahrt zwischen Felsen gut zu verteidigen ist. Massilias Stärke war seine Flotte. Am Hafen unten reihten sich riesige Werften an Lagerhäuser und Büros. Wir erkundigten uns als erstes nach dem Weinhändler Kretos. Er war in der Stadt kein Unbekannter. Es hieß, er hätte im Hafen Lagerhallen mit Eisen, Zinn und Silber. Aber seine Villa sei hinter der Akropolis, dort, wo die bedeutenden Männer Massilias residierten.
Ich wollte keine Zeit verlieren. Ich hatte mit Basilus schon alle möglichen Szenarien besprochen. Ich wollte Wanda einfach loskaufen. Wenn nötig, würde ich ihm mein ganzes Gold geben. An einer offenen Straßenbude besorgten wir uns etwas zu essen und zu trinken. Hier im Zentrum gab es unzählige Garküchen, Weinhandlungen, Backstuben, Kleidergeschäfte und Töpfereien, die alle zur Straße hin offen waren. In der Nähe des Forums reihten sich die vornehmeren Geschäfte aneinander, Läden, die feine Kleider, Möbel, Parfüm und Bücher verkauften. Hier kleideten wir uns neu ein. Alles war schön bunt und sauber. Selbst die Sklaven stanken nach Parfüm. Wir wuschen uns an einem Brunnen und zogen uns saubere Kleider an. Grinsend und scherzend stiegen wir wie römische Bürger die Stufen zur Akropolis hoch. Überall herrschte ein reges Treiben, weit entfernt von der Trägheit oder dem Chaos eines keltischen Oppidums. Die Bürger trugen weiße Togen, die Frauen ärmellose Tuniken mit einer römischen, saumbestickten Stola als Übergewand. Einige hatten trotz der milden Temperaturen eine Palla übergeworfen. Auffallend war auch der viele Schmuck, den die Leute trugen. Einige Frauen hatten sich die Haare rötlich oder blond gefärbt, so, als wollten sie das Aussehen der Barbarinnen im Norden vortäuschen. Ich hatte den Eindruck, daß diese Frauen bei den vorbeigehenden Männern einen ganz besonderen Eindruck hinterließen.
Zwischen den Tempeln der Artemis und des Apollo setzten wir uns auf eine Treppe und berieten nochmals unser Vorgehen. Basilus gab einmal mehr seine düsteren Visionen zum besten. Irgendwie fiel ihm stets eine noch verflixtere Variante ein, wie wir an Kretos scheitern könnten. Ich zappelte bereits wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jede Sklavin erregte meine Aufmerksamkeit. Unzählige gingen in ihren schlichten einfarbigen Tuniken die Treppen rauf und runter. Wie sehr würde sich Wanda verändert haben?
Kretos besaß mehr als ein einfaches Stadthaus. Es war eine riesige zweistöckige Villa. Der Garten war kaum zu überblicken. Er mußte Dutzende von Sklaven beschäftigen, die Tag und Nacht jeden einzelnen Strauch verstümmelten. Denn alles in seinem Garten war mit der Schere verhunzt worden. Eckige Hecken, runde Büsche, geometrisch angeordnet, inmitten von Springbrunnen und Wasserbecken. Es sah aus wie das Werk eines Geistesgestörten. Ich bin sicher, daß sich die Götter in einem kegelförmig verstümmelten Busch nicht wohl fühlen! Und all diese Statuen! Kretos hatte sich tatsächlich Abbilder von seinen Göttern erstellen lassen! Purer Unsinn. Schön waren eigentlich nur die Mosaiken im griechischen Stil, die den breiten Eingang zur Villa zierten. Aber sie stellten Tierhetzen da, Löwen, die Hirsche zerrissen. Basilus und ich lästerten den ganzen Weg durch den Park bis vor Kretos' Tor. Dann verstummten wir plötzlich. Ich kriegte kaum noch Luft.
Ein allobrogischer Sklave tauchte zwischen den säulenartig geschnittenen Hecken links und rechts des Hauptportals auf und fragte nach unseren Wünschen.
»Wir wollen die germanische Sklavin Wanda sprechen«, platzte ich heraus. Der Sklave schien überrascht. Er bat uns zu warten. Er würde sie holen. O Götter, dachte ich, ich werde euch ganze Schiffsladungen opfern, wenn Wanda in wenigen Augenblicken tatsächlich vor mir erscheint! Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, sofort mit ihr wegzulaufen. Aber was war mit den seltsamen Gesetzen in Massilia? Ich mußte Wanda freikaufen. Ich mußte ein korrektes Geschäft abwickeln. Ich verlor schier den Verstand, wenn ich daran dachte, daß ich womöglich in Wandas Gegenwart ihren Preis aushandeln mußte – und Kretos würde mir süffisant lächelnd mitteilen, daß mein Geld nicht reichte!
»Ich habe dich erwartet, Korisios.«
Ich verlor vor Schreck beinahe das Gleichgewicht.
Kretos stand vor mir, kleiner und runder, als ich ihn in Erinnerung hatte. Seelenruhig betrachtete er mich mit seinen vom Wein geröteten Augen. »Lange hat es gedauert, aber ich wußte, daß du eines Tages kommen würdest.«
Kretos' Gelassenheit hatte etwas Beunruhigendes. Etwas Bedrohliches. Dann kam er langsam auf mich zu und umarmte mich. Es war kein Gefühl dabei. Ich bereute zutiefst, daß ich Basilus nicht allein geschickt hatte.
Er bat mich und Basilus in seine Villa. Unauffällig folgte uns ein kräftiger Sklave. Er war jung und groß, vermutlich ein Illyrier. Am Gurt trug er den gebogenen Dolch der Wagenlenker. Er dient zum Durchschneiden der um den Körper geschlungenen Zügel, wenn der Wagen bricht und der Athlet von den durchgehenden Pferden über den rauhen Sand geschleift wird. Kretos bat uns, im Atrium Platz zu nehmen. Die hohe Eingangshalle war angenehm kühl. Die kunstvoll bemalten Wände zeigten Szenen von Gladiatorenkämpfen, Wagenrennen und Tierhetzen. Auch die Mosaike am Boden zeigten ähnliche Szenen. Offenbar war Kretos ein großer Bewunderer der öffentlichen Spiele, und ich zweifle nicht, daß er die Möglichkeit wahrnahm, als Bürger von Massilia an den Spielen in Rom teilzunehmen.
»Nun«, begann Kretos nuschelnd, während zwei nubische Sklavinnen schneegekühlten griechischen Weißwein und gallisches Brot brachten, »was kann ich für dich tun, Korisios?«
»Ich bin hier, um dir ein Angebot zu machen«, begann ich etwas schwerfällig, »schließlich bist du ja Geschäftsmann, Kretos.« Irgendwie wollte ich die alten Zeiten heraufbeschwören, ihn moralisch in die Pflicht nehmen, aber das einzige Bild aus alten Zeiten, das mir noch in den Sinn kam, war der gedemütigte Kretos, der wie ein geprügelter Hund im Morgengrauen das römische Lager verläßt.
Kretos kam mir in keiner Weise entgegen. Er wußte doch ganz genau, weshalb ich hier war und daß ich es kaum aushalten konnte, im Atrium zu sitzen, während ich wußte, daß irgendwo in den Räumen dieser Villa Wanda war. Meine Wanda!
»Ich bin hier, um dir die Sklavin Wanda abzukaufen«, sagte ich endlich.
Kretos nickte bedächtig und spitzte die Lippen. Verdammt noch mal, er hätte mir endlich bestätigen können, daß Wanda lebte, daß sie hier war. Aber er nickte bloß und griff nach seinem Weinbecher. Er tunkte zwei Finger hinein und verspritzte ein paar Tropfen in der Luft, um den Göttern zu danken. Ich tat es ihm gleich und bat insgeheim das ganze Rudel da oben, sich mal richtig in die Ruder zu legen.
»Wanda ist eine hervorragende Sklavin. Sie ist lieb …«
Kretos lächelte breit. Am liebsten hätte ich ihm ein Messer in die Brust gestoßen. Ich sah, daß Kretos mittlerweile weitere Zähne verloren hatte. Er rieb sich nachdenklich die Wange und murmelte dann: »Ich habe sehr viel in ihre Ausbildung gesteckt.«
Ungeduldig griff ich in meinen Lederbeutel und legte fünf Goldstücke auf das Silbertablett, das auf einem dreifüßigen Eisengestell montiert war.
»Ich will Wanda nicht verkaufen«, lachte Kretos, »ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich diese germanische Sklavin schätze. Sie hat wunderschöne feste Brüste, wußtest du das?«
Wütend schmiß ich Kretos meinen gesamten Geldbeutel über den Tisch. Blitzschnell fuhr seine Rechte durch die Luft und fing die schwere Lederbörse.
»Du weißt, daß ich Wanda liebe! Ich bin hier, um sie dir abzukaufen. Du kannst verlangen, was du willst. Du wirst es kriegen! Aber höre auf mit diesem grausamen Spiel!«
Kretos' Miene verfinsterte sich. Er warf mir den Geldbeutel zurück. »Geld hab ich genug, Korisios.«
»Dann nimm mich!« schrie Basilus und sprang hoch. So schnell, daß auch der illyrische Sklave schützend vor seinen Herrn sprang.
»Ich bin ein Krieger. Ich kann als Gladiator kämpfen und dir zahlreiche Siege erringen. Ich kann auch reiten und deine Pferde in Rom zum Triumph führen. Ich bringe dir nicht nur Geld, ich bringe dir mehr, ich bringe dir Ruhm!«
Kretos grinste müde und schüttelte den Kopf. »Auch davon habe ich genug. Ich will den Druiden«, sagte Kretos. Er schaute mich dabei nicht an. Er hatte sich betont von uns abgewendet. Nur sein Zeigefinger zeigte auf meine Stirn. »Ich will den Sklaven Korisios in meinen Lagerhäusern für mich schuften sehen!«
Ich weiß, man sollte aus seinen Fehlern lernen. Aber nicht immer hat man die Möglichkeit dazu. Weil die Verhältnisse, die damals zum Fehler führten, wieder die gleichen sind.
Kretos schnaubte vor Genugtuung und bleckte die paar Zähne, die ihm die Götter noch gelassen hatten. Ich wünschte ihm den sofortigen Tod. Doch nichts geschah. Statt dessen gab er seinem illyrischen Leibwächter einen Wink, und der Muskelmann eilte in den Innenhof hinaus. Kretos stand auf und bedeutete uns, ihm zu folgen.
In der Mitte des Innenhofs befand sich ein mit hellem Marmor verkleidetes Regenbecken. Rundherum war ein farbiger Säulengang mit viel Grün. Hinter jeder dritten Säule war eine Mauernische, in der eine bronzene Gottheit stand.
Und dann sah ich sie kommen, Wanda! In einer hellblauen Tunika betrat sie vom Garten her das Peristylium und blieb für einen Augenblick wie angewurzelt stehen. Sie war noch schöner geworden. Ich weiß, das sagt man so. Aber auch Basilus ist es aufgefallen. Wie eine Sklavin schaute sie immer noch nicht aus. Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, wir seien uns fremd geworden, Wanda und ich. Vielleicht waren es zu viele Jahre gewesen. Vielleicht hatte Wanda in all jenen einsamen Nächten nicht nur den Schmerz überwunden, sondern auch mich. Unsere Liebe. Doch im selben Augenblick verlor sie all ihre Würde und diesen Stolz, den sie gerade noch zur Schau gestellt hatte, und rannte wie ein junges Mädchen auf mich zu. Ich wollte es ihr gleichtun, aber Basilus hielt mich am Arm fest, damit ich auf dem nassen Boden nicht ausglitt und ins Wasserbecken fiel. Wanda rannte direkt in meine Arme. Nie zuvor in meinem Leben hat mich ein größeres Glücksgefühl durchströmt. Ich küßte sie leidenschaftlich, wich etwas zurück und umfaßte ihre Schultern, damit ich sie besser sehen konnte, ihre Augen, ihr Lächeln, ihren Mund, dann fielen wir uns erneut in die Arme und preßten uns aneinander, während wir leise unsere Namen flüsterten. Wanda wußte noch nichts. Einmal schaute sie über meine Schulter zu Kretos hinüber.
»Danke!« rief sie ihm zu. »Danke, Kretos!«
Doch er schien ungerührt und murmelte, sie müsse sich nicht bei ihm bedanken, sondern bei mir. Das war der Augenblick, in dem Wanda verstand, daß etwas faul war. Daß ich mein Leben für das ihrige gegeben hatte. Daß ich mich in die Knechtschaft begeben hatte, um sie zu befreien. Ich mag die nachfolgenden Szenen eigentlich nicht beschreiben. Schon der Gedanke daran schnürt mir die Kehle zu. Es war, als hätte Wanda mit dem unverhofften Wiedersehen das höchste Glück erfahren, um wenig später in um so tiefere Verzweiflung zu stürzen.
»Verschwinde, Wanda«, rief Kretos plötzlich. »Ich werde nach dem Richter und einem Zeugen rufen lassen. Wir werden einen Vertrag aufsetzen.«
Wanda schaute ihn flehend an, doch Kretos schrie: »Noch bist du meine Sklavin!«
Kretos mußte mittlerweile ein ziemlich bedeutender Mann geworden sein. Bereits wenige Stunden später stand ein dicker Mann im Speisezimmer, dessen Richterrobe sich über einem derart riesigen Bauch wölbte, daß man ständig wieder hinschauen mußte, weil man ein solches Mastergebnis für absolut unmöglich hielt. Er war um die vierzig, Sohn eines Allobrogers, und wie alle Neuen gab er sich massilianischer als jeder Einheimische. Zwei Gerichtsdiener blieben wie stumme Statuen neben dem Eingang zum Triklinium, einem geräumigen Speisezimmer mit sechs Liegesofas, stehen. Die Wände waren mit erotischen Motiven verziert. Der Richter begrüßte Kretos wie einen alten Freund. Offenbar war er oft hier zu Gast. Er erkundigte sich gleich nach einer bestimmten Sklavin, und Kretos antwortete, er habe das blaue Zimmer bereits herrichten lassen. Es stehe ihm anschließend zur Verfügung.
»Worum geht's denn, Kretos?«
Der Richter machte es sich auf einer Liege bequem und griff nach einer Traube, die eine Sklavin hereinbrachte. Mir war der Hunger vergangen. Obwohl ich lieber sitzend esse, legte ich mich ebenfalls auf eine Liege. Basilus, der ja unbedingt mein Sklave hatte sein wollen, blieb hinter meiner Liege stehen. Kretos legte sich auf das Sofa gegenüber und zeigte lächelnd auf mich. »Dieser junge Mann begibt sich freiwillig in die Sklaverei, um mit dem Erlös meine germanische Sklavin Wanda freizukaufen.«
Der Richter lachte amüsiert. »Ist das tatsächlich dein Wunsch, Gallier?«
Es paßte zu diesem Neumassilianer, daß er mich ›Gallier‹ und nicht ›Kelte‹ nannte. Dieser Richter war im Grunde genommen der lebende Beweis für Roms genialen Umgang mit der Bevölkerung in den eroberten Gebieten. Es genügte, die einheimischen Adligen mit wichtigen politischen Posten zu beschenken, um aus ihnen feurige Neupatrioten zu machen. Die meisten Völker haben das nie begriffen und ihre annektierten Gebiete und fernen Kolonien deshalb wieder verloren. Ich suchte den Blickkontakt zu Kretos' Gast. Ich wollte kämpfen. Vielleicht konnte er Kretos umstimmen.
»Ja, Richter, ich hätte Kretos lieber in Gold bezahlt, aber er besteht darauf, daß ich sein Sklave werde.«
»Oh, ich dachte, du bist Geschäftsmann, Kretos«, lächelte der Richter und schaute seinen Gastgeber amüsiert an.
Kretos reagierte unwirsch. »Ich habe mir damals, als ich auf einem struppigen Maulesel durch Gallien ritt, geschworen, daß ich diesen kleinen Druiden eines Tages als Sklaven in meiner Schreibkanzlei haben werde. Ich habe auf diesen Tag gewartet!«
»Wie du meinst«, sagte der Richter, während er geräuschvoll die duftenden Bratenstücke beschnupperte, die Sklavinnen auf Silbertabletts servierten. »Soll der Gallier die Möglichkeit haben, sich jemals wieder freizukaufen?«
»Ja«, erwiderte Kretos, »zum fünfzigfachen Preis eines schreib- und sprachkundigen Galliers.«
Der Richter verzog das Gesicht, als wolle er andeuten, daß er die Bedingungen etwas hart fand.
»Das scheint mir ein ganz besonderer Gallier zu sein«, dröhnte eine sonore Stimme hinter uns. Wir drehten uns um. Zwischen den beiden Liktoren, die immer noch den Eingang zum Speisesaal bewachten, war ein großgewachsener Mann erschienen. Der Fremde trug eine kurzärmelige weiße Tunika mit veredeltem Saum. Die von Öl glänzenden, muskulösen Oberarme hätten jeden Bildhauer begeistert. Er hatte nicht den Körper eines Schwerarbeiters, sondern den Körper eines Athleten. Auch der rote Reiterumhang ließ an einen Wagenlenker denken. Sein Schritt war leicht und federnd. An den Füßen trugen er hohe Lederstiefel. Ein Waffengurt mit silberner Schnalle betonte seine sportliche Figur. Er trug den römischen Gladius links. Wie die hohen Offiziere.
»Milo!« rief Kretos erfreut und hob seinen Becher. »Setz dich zu uns.«
Milo löste den Halbmond an seiner Brust, eine Fibel aus massivem Gold, und warf seinen roten Umhang nach hinten, wo ihn ein plötzlich aufgetauchter Sklave auffing. Theatralisch breitete der neue Gast die Arme aus. Er sprühte nur so vor Unternehmungslust. »Ich höre, mein lieber Freund Kretos braucht für seine Bosheiten wieder mal einen Zeugen.«
Milo gefiel mir. Er hatte einen offenen, freundlichen Blick und sprach offensichtlich aus, was er dachte.
»Ich bezweifle, daß Roms Totschläger in Massilia Zeuge werden kann«, stichelte der Richter.
Ich horchte auf. Milo, ein Totschläger? Ich war irritiert.
»Massilia hat mir Asyl gewährt«, grinste Milo und nickte freundlich Kretos zu, der den Dank mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, »und wenn mir Massilia Asyl gewährt, werde ich hier wohl als Zeuge auftreten können. Ich bin schließlich römischer Bürger!«
»Nun gut, dann sollst du Zeuge sein.« Der Richter stopfte sich ein Stück Fleisch in den Mund und spülte mit verdünntem Wein nach. »Aber ich warne dich, Milo! Wenn du in Massilia noch weitere Gladiatoren anwirbst, wird dich der Rat der Stadt vor die Tore setzen.«
Milo lachte. »Seid froh, daß ich ein bißchen Leben und Unterhaltung in dieses verschlafene Nest bringe. In Rom habe ich die prächtigsten Spiele gegeben, die jemals ein Privatmann spendiert hat. Wenn ich hier die ersten Spiele veranstalte, wird mir die ganze Küste zu Füßen liegen …«
»Bist du etwa Annius Milo?« fragte ich ungläubig.
»Ja. Überrascht?«
»Aber sicher. Ich war Schreiber in Cäsars Schreibkanzlei in Gallien. Ich habe die ersten sechs Bücher über den gallischen Krieg mitverfaßt. Und natürlich alle Korrespondenz aus Rom gelesen.«
Milo fühlte sich geschmeichelt. »Dann hat man also auch im fernen Gallien über mich gesprochen?«
»Ja! Du sollst im Januar auf der Via Appia Cäsars Kettenhund Clodius erschlagen haben.«
Milo nickte. »Hätte ich Cäsar erschlagen, Pompeius hätte mir ein fünfhunderttägiges Dankfest versprochen. Aber ich denke, Clodius war schon ein guter Anfang.«
»Ich möchte Wagenlenker werden!« platzte Basilus plötzlich heraus.
Der Richter schaute nicht mal hoch. Kretos rümpfte die Nase und fragte: »Ist das wirklich dein Sklave?«
»Nein!« schrie ich und starrte Basilus wütend an. »Und ich wäre froh, wenn du das endlich kapieren würdest, Basilus! In einer Stunde werde ICH Sklave sein! Willst du der Sklave eines Sklaven sein?«
Basilus schwieg. Ich wandte mich an Milo. Er war meine letzte Hoffnung. »Kretos will mir meine Sklavin Wanda nicht verkaufen. Er läßt sie frei, wenn ich mich selbst in die Sklaverei verkaufe!« Ich mußte es versuchen. Vielleicht konnte Milo das Blatt noch wenden.
»Was ist denn so Besonderes an dieser germanischen Sklavin?« fragte mich Milo. »Ist sie eine begnadete Schneiderin oder Köchin …«
»Ich liebe sie!« sagte ich trotzig. »Und Kretos weiß das!«
Kretos lief vor Zorn rot an. »Du sitzt nicht an meinem Tisch, um meine Gäste gegen mich aufzuhetzen, Druide! Milo ist als Zeuge hier, nicht als dein Anwalt!«
»Druide?« lachte Milo erstaunt. »Kannst du auch in die Zukunft sehen?«
»Ja«, sagte ich ruhig und mit beinahe düsterer Stimme. »Cäsar habe ich oft prophezeit, was sich in Gallien erfüllen und in Rom vollenden würde.«
Plötzlich waren alle still, verblüfft. Auch Milo machte nun ein ernstes Gesicht. Er wandte sich an Kretos. »Wieso verkaufst du mir nicht diese germanische Sklavin?«
»Du bist doch bis über beide Ohren verschuldet!« spottete Kretos.
»Glaubst du?« ereiferte sich Milo. »Wie oft war denn Cäsar verschuldet? Du vergißt, daß ich der Schwiegersohn des Diktators Sulla bin! Ich mag Schulden haben wie jeder anständige römische Bürger, der Rom große Spiele schenkt, aber ich bin nicht verschuldet. Noch ist es für jeden eine Ehre, mir Geld zu leihen! Wenn ich einen Boten zu Pompeius schicke, laufen in einigen Wochen vollbeladene Schiffe in eurem Hafen ein.«
Kretos hatte Milo verärgert. Der Grieche klatschte zweimal in die Hände. Halbnackte nubische Sklavinnen eilten ins Speisezimmer und tänzelten, begleitet von orientalischem Flötenspiel, um unsere Liegen herum. Um die Hüften trugen sie einen breiten Gurt aus Leopardenfell, an dem kleine Metallplättchen hingen, die bei jeder Bewegung klirrten. Die Brüste hatten sie mit einer tiefausgeschnittenen, ärmellosen Tunika aus weißer Seide bedeckt, die bereits über dem Bauchnabel endete. Auch an den Handgelenken, die sie kreisförmig hin und her bewegten, trugen sie Metallspangen mit kleinen Amuletten. Doch ihr Anblick erregte mich nicht. Jedes Mal, wenn der Schatten eines Sklaven draußen in der Vorhalle vorbeihuschte, zuckte ich zusammen. Ich hoffte sehnlichst, Wanda zu sehen. Aber diese Hoffnung war töricht. Selbstverständlich hatte Kretos dafür gesorgt, daß ich sie nicht mehr sehen würde, bis der Vertrag unterzeichnet war.
Ein Gericht nach dem andern wurde aufgetragen. Ich hatte weder Augen für die Speisen noch für die erotisch wippenden Becken der Nubierinnen. Der Richter kitzelte sich mit einer Straußenfeder den Gaumen und erbrach in eine Schüssel, die ihm ein Sklave geduldig hinhielt. Dann spülte er den Mund mit einem Becher Wein, spukte aus und fraß weiter.
Kretos wollte endlich zum Geschäftlichen kommen. »Freunde«, begann er, »dieser Vertrag soll beinhalten, daß sich der Druide Korisios freiwillig in die Sklaverei begibt und mein Eigentum wird, und ich dafür der germanischen Sklavin Wanda die Freiheit schenke. Keine der Vertragsparteien soll der anderen danach noch etwas schuldig sein.«
Der Richter nickte. »Soll der Druide die Möglichkeit haben, sich nach Ablauf einer Frist wieder freizukaufen?«
»Für vierhunderttausend Sesterzen, aber frühestens nach sieben Jahren!«
Milos Heiterkeit verflog. Er schaute Kretos entgeistert an. Dieser wich seinem Blick aus. Er schaute zu mir rüber und sagte kalt: »Nimm mein Angebot an, oder lehne es ab.«
»Ich würd es ablehnen, mein Freund«, sagte Milo. Er verzog dabei das Gesicht, als wolle er mir sein Beileid aussprechen. »Weißt du, Druide, selbst wenn diese germanische Sklavin die beste Wagenlenkerin der Republik wäre, müßte sie zwölf Rennen gewinnen, um diese Summe einzufahren!«
»Ich werde es schaffen, Korisios!« brach es plötzlich wieder aus Basilus heraus. Er konnte nicht mehr stillstehen. Eindringlich bat er Milo, ihn zum Wagenlenker auszubilden. »Ich habe in Bibracte gegen Cäsar gekämpft und in Alesia, ich war der beste Reiter in unserem Stamm …« Basilus zögerte. Doch gleich sprudelte er weiter: »Ich habe im Norden Galliens sämtliche Wagenrennen gewonnen …« Das war etwas übertrieben. Seit wann gab es im Norden Galliens Wagenrennen? Milo nickte schmunzelnd.
»Ich würde auch als Gladiator kämpfen, um diese Summe aufzubringen!«
Milo schüttelte den Kopf. »Eure Anderswelt muß ja prächtig sein, wenn du derart bemüht bist, sie so schnell wie möglich zu betreten!«
Plötzlich schrie Kretos wie von Sinnen und sprang von seiner Liege. Schreiend hielt er sich die Backe und schrie nach dem Koch, während er zornig das Triklinium verließ. Wir hörten ihn fluchen. Er befahl, den Koch auszupeitschen. Offenbar hatte er sich an einem Kieselstein einen Zahn gespalten oder ausgebissen. Die Stimmung wurde immer ungemütlicher. Auch die Gäste wollten zu einem Ende kommen. Der Richter wusch sich die Hände in einer Wasserschale und verlangte nach seinem Schreiber. Milo war einverstanden, Basilus in seiner Sportschule aufzunehmen. Basilus und Wanda. Kretos kam in den Speisesaal zurück und bat uns, in seine Bibliothek zu kommen.
Die Wände von Kretos' Schreibkanzlei zierte eine prächtige Weltkarte, in der alle mir bekannten Länder rund ums Mittelmeer eingetragen waren. Sogar Teile Afrikas! Und kleine Inseln jenseits der Säulen des Herakles! Doch ich war nicht hier, um die Wälder im Osten, das Nordmeer oder die britannische Zinninsel zu bewundern, ich war hier, um mein Schicksal zu besiegeln.
Ich unterschrieb. Es waren drei Vertragsexemplare. Fieberhaft jagte ein Gedanke den andern. Noch konnte ich alles hinschmeißen und Massilia für immer verlassen. Als ich auch das dritte Dokument signiert hatte, nickte Kretos kaum merklich, als bedanke er sich bei den Göttern für meine Torheit.
»Korisios«, sagte er leise. »Diese Nacht soll dir und Wanda gehören, aber morgen, wenn die Sonne hinter den Weinbergen emporsteigt, wirst du mein Sklave sein. Solange du lebst.«
Der Verputz an der Decke war mit Marmorstaub und roter Farbe gemischt worden. An den Ecken ägyptisch-blau, ein Gemisch aus Kupfer und Sand. Unwichtigeres fiel mir nicht ein. Wie erschlagen lag ich auf Kretos' Liebesbett, Wanda in meinen Armen. Ich starrte an die Decke und dachte, daß ich in den Morgenstunden Wanda für immer verlieren würde. Wir hielten uns fest und schwiegen. Es war so, als fürchte sich jeder, noch etwas zu sagen. Etwas, das der andere in der Erinnerung falsch gewichten könnte. So starrte ich an diese verfluchte Decke und überlegte angestrengt, ob der Verputz mit der Farbe aufgetragen worden war. Ich hätte ihr gerne noch gesagt, wie sehr ich sie liebe. Aber ich wollte es nicht noch schwerer machen. Ich schloß die Augen. Diese Nacht würde unsere letzte Erinnerung aneinander sein. Wanda weinte lautlos. Schließlich setzte sie sich auf und schaute mich an.
»Korisios«, sagte sie mit bebenden Lippen, »ich will ein Kind von dir. Es soll in mir wachsen und als freier Mensch geboren werden. Mein geliebter Druide, so wird ein Teil von dir stets bei mir sein. Und frei sein.«
Kurz bevor die Sonne hinter den Weinbergen aufging, wurde mir klar, wieso uns Kretos diese Nacht geschenkt hatte. Der Abschied sollte mir das Herz brechen. Diese Nacht sollte ich nie mehr vergessen. Ich saß mit Wanda auf dem Balkon und sah zu, wie die ersten Sonnenstrahlen sich langsam über den Mosaikboden legten. Ich weinte nicht. Der Haß, der in mir aufstieg, sollte mich am Leben halten. Und ich hatte die Genugtuung, daß Kretos mich wohl vernichten konnte; mich, aber nicht mein Geschlecht. In Wandas Schoß würde es weiterleben. Das war ich meinem Vater, dem Schmied Korisios, schuldig.
Als wir Schritte hörten, umarmten wir uns ein letztes Mal. »Wir werden uns wiedersehen, Korisios«, flüsterte Wanda.
»Bist du etwa Seherin?« fragte ich traurig.
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte sie mit fester Stimme. Sie nahm meine Hand und legte sie auf ihren Unterleib. »Ich werde allen sagen, daß er der Sohn des Druiden Korisios ist. Ein Kelte vom Stamm der Rauriker.«
»Vielleicht wird es ein Mädchen«, lächelte ich.
»Nein, Korisios. Wenn wir uns wiedersehen, wirst du wissen, daß ich recht habe!«
Stolz trat sie beiseite. Sie gönnte Kretos nicht die Genugtuung einer herzzerreißenden Abschiedsszene. Als Kretos' bewaffnete Sklaven die Tür aufstießen, stand Wanda draußen auf dem Balkon. Die Sklaven umringten mich. Dann betrat Kretos das Schlafgemach. Wortlos warf er mir eine braune Tunika vor die Füße.
Wenig später saß ich zusammen mit anderen Sklaven auf einem ratternden Ochsenkarren. Es war kaum zu fassen. Ich war, wie ich es mir stets erträumt hatte, endlich in Massilia. Ich hatte mit angesehenen und reichen Bürgern gespeist. Aber in meinem Traum hatte ich nie bemerkt, daß ich nicht Herr, sondern Sklave war. Kretos' Sklave. Ich glaube, so boshaft können nur Götter sein.
Das Leben im Hafen war hart. Ich war für die Lagerbuchhaltung zuständig. Ich mußte die Formalitäten mit den Zollbehörden regeln, Fracht- und Schiffspapiere aufsetzen und Buch führen über die Wareneingänge und Verkäufe. Ich schlief zusammen mit Dutzenden von Packsklaven in einer muffigen Lagerhalle, in der es nach Fisch, Urin und Moder stank. Bei Regen klatschten die Tropfen durch die morschen Dachbalken auf unsere stinkenden Decken. Einige, die schon länger hier hausten, litten unter einem bellenden Husten. Etliche waren krank und starben. Jeden Tag hoffte ich, irgendein Zeichen von Wanda oder Basilus zu erhalten, doch sie blieben fern und unsichtbar. Ich begann wieder mit den Göttern zu hadern. Wieso mußte ausgerechnet ich dieses Schicksal erdulden? Wieso war Kretos ein reicher und angesehener Bürger Massilias und ich ein Häufchen Elend? Jeden Tag führte ich Buch über Kretos' Einnahmen und wurde Zeuge, wie sein Vermögen sich über Nacht vermehrte! Das war eine zusätzliche Strafe. Täglich sah ich, was es hieß, sich gegen ihn gestellt zu haben. Was heißt hier: gegen ihn? Ich hatte um Wanda gekämpft. Um eine germanische Sklavin. Hatte mich Onkel Celtillus nicht oft genug gewarnt? Hatte er mir nicht erzählt, daß germanische Sklavinnen ihre Herren um den Finger wickelten und ihnen mit der Zeit vorschrieben, was sie ihnen befehlen durften? Hatte ich mich im Grunde genommen nicht zu Wandas Sklaven gemacht? Sie lebte vermutlich mit Basilus in Milos Stadthaus. Sie war nun eine Freigelassene. Vielleicht würde Milo sie sogar adoptieren und zur römischen Bürgerin machen! Vielleicht würde sie nach Rom ziehen und dort einen römischen Milliardär heiraten und eine Kohorte kleiner Patrizier auf die Welt bringen, während ich hier in diesem rattenverseuchten Lagerhaus darbte!
Eines Morgens fragte ich den Sklavenaufseher, ob ich einen Hund haben dürfte. Wenigstens einen Hund. Der Aufseher schüttelte den Kopf. Er hatte von Kretos die Anweisung, mir jede Art von Vergünstigung abzuschlagen. Ich wollte nicht darauf beharren. Kretos' Aufseher war ja selber Sklave.
An einem regnerischen Nachmittag schaute ich den Packern zu, wie sie eines von Kretos' Schiffen beluden. Wir waren fast fertig, als ich hörte, daß wir noch auf Passagiere warten würden. Sie kamen etwas verspätet, ein junger Mann und eine junge Frau. Sie trugen feine Kapuzenmäntel aus gefärbtem Wollstoff. Ich spürte gleich, daß sie mir auswichen. Das erregte meine Aufmerksamkeit. Ich sah nur die Augen der Frau. Sie hatte die breite Kapuze ihres Mantels über dem Kinn zusammengezogen. Es war Wanda. Leise flüsterte sie meinen Namen. Sie wollte noch etwas sagen, aber Tränen erstickten ihre Stimme. Fast ängstlich schaute sie ihren Begleiter an. Basilus! Er sagte, sie würden nach Rom gehen. Er wolle dort ein großer Wagenlenker werden, um mich eines Tages freizukaufen.
»In sieben Jahren«, murmelte ich. Von all den Packern gab es keinen, der zehn Jahre in diesem Lagerschuppen überlebt hatte. Es gab so vieles, das ich Wanda gerne gesagt hätte. Aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Basilus und Wanda, wieso verhielten sie sich so seltsam? War etwas zwischen den beiden?
Ein Peitschenhieb brachte mich zu Fall. Sofort sprang Basilus dazwischen und schlug den Aufseher mit einem kräftigen Faustschlag zu Boden, ich bat Basilus, sofort mit Wanda aufs Schiff zu gehen. Bevor die Miliz kam. Verzweifelt humpelte ich zum Schuppen hinüber. Ich wollte niemandem mehr einen Vorwand liefern. Ich verdrückte mich hinter meinen Schreibtisch und kopierte Frachtbriefe. Bis in die frühen Morgenstunden. Ein Faß Weizenbier wäre nicht schlecht gewesen. Aber es gab nur dieses faulig riechende Wasser am Abend. Tagsüber ein bißchen Wein, so stark verdünnt, daß er nach abgestandenem Waschwasser schmeckte. Ja, hier in Massilia mußte man zu allem Übel auch noch nüchtern bleiben.
Noch lieber als Wein wäre mir allerdings Lucia gewesen. Mit einem Hund war das Schicksal leichter zu ertragen. Ich weiß nicht, wieso. Hunde sprechen einem nicht Mut zu, sie verdienen kein Geld und geben auch keine guten Ratschläge. Sie sind einfach da. Vielleicht ist es das. Sie sind einfach da. Und in jener Nacht wurde mir bewußt, daß ich nun allein war. Sogar die Götter hatten mich verlassen.
Eines Tages ließ mich Kretos in sein Stadthaus bringen. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß er sich eine neue Bosheit ausgedacht hatte. Es war mir einerlei. Inzwischen schien mir der Tod eine freundliche Alternative. Ich freute mich auf ein Wiedersehen mit Onkel Celtillus. Vielleicht würde mein Tod Kretos so richtig ärgern.
»Du stinkst«, zischte Kretos mißmutig, als man mich in sein Arbeitszimmer brachte. Er saß hinter einem Stapel Papyrusrollen und hatte den Kopf in seiner linken Hand aufgestützt.
»Alle deine Sklaven stinken«, gab ich kühl zurück.
»Soll ich dich auspeitschen lassen«, fauchte Kretos, doch im selben Augenblick schrie er laut auf und verzog das Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse. Sein illyrischer Leibwächter eilte herbei. Kretos schickte ihn mit einer unwirschen Handbewegung wieder hinaus. Dabei sah ich, daß Kretos' Backe geschwollen war.
»Du hast mir doch mal so eine scheußliche Flüssigkeit gebraut, weißt du noch, als wir von Cenabum zurückritten …«
Ich schwieg. Ich hatte keine Lust, mich zu erinnern. Keine Lust zu plaudern. Kretos sollte mich ruhig auspeitschen oder hinrichten lassen. Lieber hinrichten.
»Ich habe dich gefragt, ob du dich daran erinnern kannst«, herrschte mich Kretos an.
»Ich bin ein keltischer Druide«, sagte ich unbeeindruckt, »und hause in einem Rattenloch. Wenn du den Rat eines Druiden willst, dann behandle mich wie einen Druiden. Und wenn du Hilfe von einem Druiden willst, dann bitte ihn gefälligst darum!«
Kretos verschlug es die Sprache. Er schaute blitzschnell zum Eingang, als hänge sein weiteres Vorgehen davon ab, ob jemand meine Unverschämtheiten gehört hatte. Ich drehte mich ebenfalls um. Es war niemand zu sehen. Ich grinste Kretos frech ins Gesicht. Ich gebe zu, ich wollte ihn provozieren. Ich wollte eine Entscheidung. Ich wollte siegen oder sterben! Ich wollte es Cäsar gleichtun.
»Bist du eigentlich von Sinnen?« zischte Kretos leise. »Du verkennst deine Lage. Ich kann dich töten lassen.«
»Ich fürchte den Tod nicht, Kretos. Ich bin Kelte. Aber du, Kretos, du fürchtest bereits die Schmerzen …«
»Befreie mich von diesen Schmerzen«, unterbrach mich Kretos wütend, »dann reden wir weiter.«
»Nein, Kretos! Bring mich zu den Ratten zurück.«
»Was willst du von mir?« zischte Kretos wütend.
»Ich will gar nichts. Aber wenn du die Hilfe eines Druiden willst, dann behandle mich wie einen Druiden«, wiederholte ich ruhig.
»Ich habe weiter oben an der Küste ein Weingut … Ich könnte … ich könnte mir durchaus vorstellen, ich meine … ich könnte einen tüchtigen Gutsverwalter gebrauchen. Der jetzige ist bloß hinter den Sklavinnen her!«
»Du kannst es dir in Ruhe überlegen, Kretos, und mich dann wieder rufen lassen«, sagte ich desinteressiert und wandte mich dem Eingang zu.
»Sklave!« fauchte Kretos mit heiserer Stimme. »Ich habe dir soeben den Posten des Gutsverwalters versprochen, und wenn dir das noch nicht genügt, dann laß ich dich …«
»Nicht weiterreden, Kretos«, grinste ich. »Man sollte nie Drohungen aussprechen, die man nicht wahrmachen kann. Ich werde deine Schmerzen lindern, aber wenn ich morgen nicht als neuer Verwalter dein Weingut an der Küste betrete, soll dir nie mehr geholfen werden!«
»Halt jetzt den Mund, Sklave, und beeile dich!«
»Ich muß die heiligen Wälder unserer Götter aufsuchen, Kretos. Und bevor ich diese betreten darf, muß ich meinen Körper reinigen.«
Kretos hätte mich am liebsten eigenhändig umgebracht. Die Schmerzen hatten ihn bereits völlig zermürbt. Er rief nach seinem Leibwächter und befahl ihm, meine Wünsche zu erfüllen und mich anschließend in den Wald zu begleiten. »Und stich ihn einfach nieder, wenn er fliehen will. Aber hindere ihn nicht an seiner Arbeit!«
Zugegeben, ich ließ mir Zeit. Wann hatte ich das letzte Mal in einer Holzwanne gelegen? Das Badewasser war angenehm warm. Und die nubischen Sklavinnen, die anschließend meinen Körper mit wohlriechenden Ölen einrieben, kicherten in einem fort. Und verwöhnten mich.
Kretos' illyrischer Leibwächter begleitete mich in den Wald. Ich befahl ihm, am Waldrand auf mich zu warten. Der arme Kerl wußte nicht, was er tun sollte. Aber ich sprach zu ihm wie ein Herr zu seinem Sklaven. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wirksam diese Methode ist und wie klein mancher Mann wird, dem die Götter den Körper eines Helden verliehen haben.
Allein humpelte ich in den Wald hinein. Noch immer hatte ich das heitere Lachen der nubischen Sklavinnen in den Ohren und genoß es, einen reinen Körper zu haben. Ich fand die gesuchten Pflanzen sehr schnell. Ich hatte nichts verlernt. Ich hielt es für ein gutes Zeichen, daß ich um diese Jahreszeit auch das Eisenkraut fand. Ich stolperte beinahe darüber. Das Eisenkraut ist sehr mächtig. Verucloetius hatte mir auf der Reise nach Genava eine Menge darüber erzählt. Das Eisenkraut ist so mächtig, daß es schon manchen Druiden zum Sklaven gemacht hat. Ich pflückte auch die Selago. Mit nackten Füßen. Und mit der rechten Hand. Denn nur so bleiben die geheimnisvollen Kräfte der Selago erhalten. Pflückt man sie mit der linken, wählt man die Mysterien und die Schattenwelten, die die Anderswelt umgibt. Aber plötzlich warf ich die Blätter wieder fort, die ich mit der rechten Hand gepflückt hatte, und riß erneut die Blätter der Selago vom Stengel. Aber mit der linken Hand.
Bevor Kretos den Sud trank, gab er seinem illyrischen Muskelprotz den Befehl, mich zu töten, falls er an diesem Sud zugrunde gehen sollte. Darüber mußte ich lachen, denn ich hatte tatsächlich im Sinn, Verwalter eines Weinguts zu werden.
Kretos' Weingut lag an der Küste Richtung Hispania. Die Winde, die vom Meer her wehen, sind frisch und kühl, das Klima meint es gut mit den Menschen, und der Boden ist gesund und sehr fruchtbar. Kretos' Hof lag inmitten von Weinbergen. Schier endlose weiße Mauern mit rötlichen Lehmziegeln umschlossen die Anlage, seine persönliche Villa, das Haus des Verwalters und der Arbeiter, die Keller und Lagerhäuser. Es war Herbst. Sklaven zerstampften in einem großen Steintrog barfüßig die frisch gepflückten Trauben, um den Saft auszupressen.
Das Leben auf dem Land war wesentlich angenehmer. Die Leute waren gesünder und zufriedener. Es wurde mehr gelacht. Kretos mochte seinen Gutsverwalter nicht entlassen. Vielleicht war der Vorwurf, er stelle den Sklavinnen nach, auch nicht wahr. Auf jeden Fall schlug Kretos vor, mich zur rechten Hand des Gutsverwalters zu machen. Zuerst solle ich den Betrieb etwas kennenlernen. Den Gutsverwalter lobte er öffentlich für seine bisherige Arbeit und sagte, er habe es redlich verdient, Entlastung zu erhalten. Für den finanziellen und administrativen Bereich sei ich in Zukunft zuständig. Der Gutsverwalter könne sich somit vermehrt den praktischen Seiten des Betriebes widmen. Ich glaube, einige kicherten bei diesen Worten.
Im Konsulatsjahr des Marcus Claudius Marcellus hörte ich von einem fahrenden Händler, daß in Rom Cäsars sieben Bücher über den gallischen Krieg erschienen waren. In Rom waren alle begeistert. Oder fast alle. Cato erklärte den gallischen Krieg für beendet und forderte die Entlassung des siegreichen Heeres. Einige forderten die Entlassung Cäsars. Etliche erinnerten daran, daß es nun an der Zeit sei, Cäsars Vergehen vor Beginn des gallischen Abenteuers zu untersuchen. Und jene, die von Cäsars Privatkrieg zuwenig profitiert hatten, verlangten, man möge auch seine Verbrechen in Gallien zur Sprache bringen. Man wollte ihm also seine Truppen wegnehmen, seine Immunität aufheben und ihm dann den Prozeß machen. Man wollte den Julier dem politischen Untergang preisgeben. Als ich diese Geschichten hörte, war mir sofort klar, daß Cäsar sich das nie gefallen lassen würde. Er würde neues Unrecht begehen, um den Strafen für altes Unrecht entgehen zu können. Selbst wenn die römische Republik daran zugrunde gehen sollte.
Im Frühling des darauffolgenden Jahres hatte Kretos wieder Zahnschmerzen. Er ließ mich in sein Stadthaus rufen. Ich braute ihm den Sud und erlöste ihn für kurze Zeit von den Schmerzen. Aber mir schien, als habe sich unter dem Zahnfleisch Eiter gebildet. Das war gefährlich. Ich gab ihm darauf noch mehr von diesem Sud. Mit einem im Feuer gehärteten Skalpell schnitt ich die prallgefüllten Eitertaschen auf und erlöste ihn schließlich nach tagelanger Behandlung von seinen Schmerzen. Es dauerte knapp zwei Wochen, bis Kretos schmerzfrei war. Im Grunde genommen mußte ich einfach die Schmerzen betäuben, bis der Zahn abgestorben war. Es war mir egal, ob er seine Zähne oder sein Leben bei der Behandlung verlor. Einsamkeit und Entbehrungen hatten mich abgehärtet und verbittert. Noch verging kaum eine Nacht, in der ich im Traum nicht jenem Handelsschiff nachsah, das im Hafen von Massilia den Anker lichtete und an der Küste entlang nach Ostia fuhr. Ich sehe noch den grau verhangenen Himmel und höre, wie der Regen in den wogenden Wellen aufschlägt.
Kaum war ich auf das Weingut zurückgekehrt, ließ Kretos mich erneut rufen. Es war in den frühen Morgenstunden, als ich wieder in Massilia ankam. Kretos lag in seinem Speisezimmer und ließ sich gerade ein üppiges Frühstück bringen. Eier in allen Variationen, frisches Brot, Käse und geräucherte Würste. Er ließ sich nicht beim Essen stören. Er dachte nicht einmal daran, mich an den Tisch zu bitten.
»Korisios, seit du dich auf meinem Weingut um die Finanzen kümmerst, wirft es mehr Gewinn ab. Ich habe die Monatszahlen mit den Erträgen vom letzten Jahr verglichen. Womit machen wir mehr Gewinne?«
»Mit mir«, grinste ich frech. »Du verdienst zwar keine einzige Sesterze mehr, aber es wird nichts mehr unterschlagen. Wenn ein Freigelassener Wein will, muß er dafür bezahlen!«
Kretos grinste und bat mich, ihm einen Sud zu brauen.
»Hast du wieder Schmerzen?« fragte ich.
»Nein, Korisios, aber ich möchte dennoch, daß du mir diesen göttlichen Sud braust.«
Mir war offen gestanden nicht ganz wohl dabei. Besonders weil er den Sud plötzlich ›göttlich‹ nannte. Aber ich wollte Kretos' Bitte nicht abschlagen.
»Schenkst du mir dafür die Freiheit?« fragte ich ohne Umschweife. Kretos hatte soeben in ein hartgekochtes Ei gebissen. Er schaute langsam hoch und schüttelte den Kopf. Dann erzählte er, wie er damals allein auf diesem struppigen Esel das römische Lager verlassen habe. Er erzählte, wie hart jener Winter und die Heimreise nach Massilia gewesen sei. Nur ein Gedanke habe ihm die Kraft gegeben, durchzuhalten. Der Gedanke an Rache!
»Ich will Wanda sehen!« sagte ich barsch. Kretos warf mit dem Ei nach mir und brüllte, ich hätte nicht zu sprechen, wenn ich nicht dazu aufgefordert worden wäre, und im übrigen solle ich jetzt diesen Sud brauen und die Schnauze halten.
Ich braute den Sud wie mir befohlen. Ich fügte allerdings noch mehr von jenen Kräutern hinzu, die Schatten werfen. Sie werfen Schatten über das, was ist, und geben frei, was nicht ist, und dann leuchten sie wie tausend Sonnen, erfreuen das Herz und bringen einen den Göttern nahe. Hat man einige Male davon genossen, hört man immer öfter den Ruf der Götter, es erneut zu versuchen. Es sind jene Kräuter, die auch den Blick in die Zukunft öffnen und manchen Druiden zu ihrem Sklaven gemacht haben. Denn was die Kräuter sichtbar machen ist stets schöner als das, was ist. Ich braute den Sud und kehrte auf das Weingut an der Küste zurück.
Am nächsten Tag erschien Kretos mit großem Gefolge auf dem Weingut. Ich war nicht wirklich überrascht. Kretos entließ den bisherigen Gutsverwalter und übertrug mir alle seine Aufgaben. Er ließ Räume für sich herrichten. Gegen Abend bat er erneut um die göttlichen Tränen, wie er meinen Sud gegen Zahnschmerzen mittlerweile nannte. Ich forderte ihn auf, dafür zu bezahlen. Wie sollte ich sonst jemals die vierhunderttausend Sesterzen für meine Freilassung aufbringen? Wütend schmiß mir Kretos einen Silberdenar vor die Füße. Obwohl ich sein Sklave war, erwartete er von mir, daß ich ihm die Zuneigung und Großzügigkeit eines Freigelassenen entgegenbrachte!
Die Tage verbrachte Kretos meist in einem der zahlreichen Gärten, die vom übrigen Gut durch hohe weiße Mauern abgegrenzt sind. Jeden Abend, kurz vor Sonnenuntergang, ließ er mich rufen. Es fiel mir auf, daß er weniger aß und sich nicht mehr viel bewegte. Selbst den Bart und das Haar ließ er sich nicht mehr stutzen. Er sprach immer öfter von Dingen, die ihm früher fremd gewesen waren.
»Was meinst du, Druide, wird unser Schicksal vom Lauf der göttlichen Gestirne beeinflußt?«
»Ich weiß nicht, Kretos. Ich denke, wenn du mir morgen die Freiheit schenken willst, so steht dies durchaus in deiner ganz persönlichen Macht.«
Kretos lächelte. Auch der Umgang mit seinen Sklaven hatte sich gewandelt. Er war freundlich und sanft. Immer öfter suchte er abends das Gespräch mit mir. Er lag dabei in seinem Garten und ließ sich vom Flötenspiel einer jungen griechischen Sklavin verzaubern. Er liebte plötzlich die Musik und schätzte es mit der Zeit, auch schon den Morgen mit den ›Tränen der Götter‹ zu beginnen und vormittags im Garten dem Flöten- oder Harfenspiel zu lauschen. Manchmal mußten ihn seine Sklaven mit den Flötenspielern auf das Meer hinausfahren, wo er dann in einer skurrilen Zeremonie meinen Sud trank. Eines Nachts gestand mir Kretos, daß er den Göttern nah sei, daß er immer öfter ihre Nähe spüre und daß ihn das Irdische langweile.
»Wie kann ein Mensch bloß sein ganzes irdisches Leben damit verbringen, den Sesterzen hinterherzujagen?«
Ich pflichtete ihm bei. Für einen Menschen, der vierhunderttausend Sesterzen für seine Freilassung aufbringen mußte, war das natürlich pure Heuchelei. Ich weiß nicht, was in Kretos vorging, aber plötzlich umarmte er mich und sagte, wir sollten unsere Fehde begraben und Freunde werden.
»Ja, Kretos«, pflichtete ich ihm bei, »das sollten wir tun. Und ich will dir ewig dienen, wie ein Sklave. Aber als freier Mann.«
Kretos antwortete nicht. Vielleicht hatte er Angst, mich zu verlieren. Auf jeden Fall verzehnfachte ich den Preis für den Sud. Wütend griff er nach einem Apfel, aber er warf weit daneben. Der Sud hatte Kretos' Augen ermüdet. Jedes Auge schaute in eine andere Richtung. Ich weiß nicht, ob sich Kretos wirklich bewußt war, was mit ihm geschah. Ich hob den Apfel auf und warf ihn zielsicher in die Früchteschale zurück. Dann wiederholte ich meine Forderung. Ich sagte ihm kühl ins Gesicht, ich sei Geschäftsmann. Das habe ich in Genava gelernt, von einem Händler, der angeblich ein Freund meines Onkel Celtillus gewesen sei.
Im Frühling des nächsten Jahres erfuhren wir von Händlern, daß Cäsar sich immer noch weigerte, sein Heer zu entlassen. Die Situation hatte sich dramatisch zugespitzt. Rom oder Cäsar. Schließlich überschritt Cäsar mit seiner Armee den Rubico und machte sich damit endgültig zum Gesetzlosen. Kein Feldherr durfte mit seiner Armee diesen Fluß überschreiten. Dieser Akt galt als Bedrohung der Hauptstadt. So gering war das Vertrauen der Römer in ihre Feldherren. Cäsar setzte wie immer alles auf eine Karte. Tod oder Sieg. Rom scharte sich um Pompeius. Der Bürgerkrieg war ausgebrochen.
Wir in Massilia waren davon nicht betroffen. Wir setzten ohnehin auf Pomepeius. Nicht von ungefähr hatte Massilia in den letzten zehn Jahren jedem Cäsar-Gegner bereitwillig Asyl gewährt. Ich verdiente Geld mit meinem Sud und führte Kretos' Geschäfte gewissenhaft weiter. Auf dem Hof hatte ich mittlerweile ein paar Freundschaften geschlossen, mit Verwaltungsbeamten, die mir unterstellt waren, aber auch mit Arbeitern und Sklavinnen. Man war nett zueinander, sprach über belangloses Zeug und legte sich dann schlafen. Manchmal schlief eine Sklavin bei mir. Mir wäre Kretos' Schreibkanzlei in der Stadt lieber gewesen. Allein wegen dieser genialen Mittelmeerkarte. Es gab in Massilia bestimmt nicht viele Bürger, die so was besaßen.
Mit Kretos wurde es allmählich schwierig. Er hatte kaum noch Lust, geschäftliche Angelegenheiten zu regeln, Entscheidungen zu treffen. Man mußte stets den richtigen Zeitpunkt für ein Gespräch erwischen. Er schwelgte nur noch in abstrusen Phantasien. Eines Nachts ließ er mich aus dem Bett holen. Es ging ihm nicht gut. Er schimpfte, daß mein Sud allmählich die Wirkung verlor. Ich sollte ihm einen stärkeren Sud brauen.
Ich war übel gelaunt, weil ich von Wanda geträumt hatte. Ohne lange nachzudenken reichte ich Kretos eine Schale Wasser und sprach: »Ich habe dir einmal versprochen, dein Diener zu sein, Kretos. Aber als freier Mann. Aus freien Stücken! Der nächste Sud kostet vierhunderttausend Sesterzen und die Freiheit!«
Kretos trank einen Schluck und spukte ihn angeekelt aus.
»Das ist ja Wasser! Du Betrüger!«
Er war wütend und drohte mit der Peitsche.
»Laß mich doch töten, Kretos«, spottete ich. »Wir Kelten fürchten den Tod nicht. Aber du, Kretos, du wirst die Zeit ohne deinen Druiden fürchten! Das ist ein Versprechen der Götter!«
Kretos brüllte, ich solle ihm nicht mehr unter die Augen kommen. Morgen würde er mich öffentlich auspeitschen lassen. Doch bereits bei Tagesanbruch ließ er mich erneut rufen. Er weinte und zitterte am ganzen Leib. Kalte Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er fror. Er sagte, er brauche dringend seinen Sud.
»Ich weiß, Kretos! Du hast die Nähe der göttlichen Sonne gespürt! Ohne sie wirst du erfrieren. Und ich bin der einzige Mensch, der dir helfen kann! Aber befreie mich, wenn ich dich von deinen Qualen befreien soll! Wenn du darauf bestehst, daß ich weiterhin dein Sklave bin, dann sollst auch du von heute an mein Sklave sein, Kretos! Den Sud gegen die Freiheit!«
»Du sollst frei sein«, flüsterte Kretos, »aber laß mich nicht im Stich!«
Ich schickte sofort Boten los und veranlaßte, daß Milo und der Richter am nächsten Tag bei uns eintrafen. Ich war es längst gewohnt, den Gutshof nach eigenem Gutdünken zu führen. Und nicht mal zum Nachteil Kretos'. Obwohl ich immer noch ein Sklave war, hatte mich die Belegschaft de facto als Herrn der Weinberge längst akzeptiert.
Kretos ging das plötzlich alles viel zu schnell. Er fühlte sich übergangen. Ich ließ ihn erneut zappeln. Ich hatte einen Vertrag aufgesetzt, in dem er mir nicht nur die Freiheit schenkte, sondern mich auch an seinen Unternehmungen beteiligte. Wir waren schließlich Partner, und jeder sollte im Todesfall den anderen beerben. Das ging Kretos entschieden zu weit.
»Du kannst darüber denken, was du willst«, sagte ich ihm, »wichtig ist nur, daß du unterschreibst.«
»Du hast dich verändert«, flüsterte Kretos. »Ich weiß noch, daß du als kleiner Junge …«
»Ich bin Geschäftsmann geworden, Kretos! Ich habe von dir gelernt. Hier mußt du unterschreiben.«
Kretos zögerte. Vielleicht ahnte er, daß es die letzte Möglichkeit war, die Zügel wieder in die Hand zu kriegen. Aber da er seit sechs Stunden keinen Sud mehr getrunken hatte, war die Bestie in ihm wieder wach geworden. Er zitterte wie ein Kind im Fieberrausch. Seine Bewegungen waren fahrig. Wie ein sterbendes Tier irrte er durch seinen Garten und verfluchte den Tag, an dem er diesen raurikischen Hof aufgesucht hatte. Schließlich kam er ins Haus zurück und unterschrieb die Freilassungsurkunde. Darauf reichte ich ihm den Sud und gab seiner Zimmersklavin den Befehl, ihm die Haare zu schneiden und den Bart zu stutzen. Kretos wurde gewaschen und neu eingekleidet. Als der Richter und Milo erschienen, war Kretos die Ruhe selbst. Er sprach vom Licht der Erkenntnis und davon, daß er sich von den glitzernden Metallen habe blenden lassen. Sein Leben solle fortan den Göttern gehören, und er wolle sich nur noch den schönen Künsten widmen.
Von diesem Tag an floh Kretos immer häufiger in seine imaginäre Welt. Von heiligen Pilzen und Kräutern berauscht, lag er Tag und Nacht in einem abgedunkelten Schlafgemach und lauschte irgendwelchen Klängen und Stimmen. Ich setzte einen tüchtigen iberischen Sklaven als neuen Verwalter ein und machte es mir in Kretos' Stadtvilla bequem. Ein Weingut zu führen ist schön und gut, aber ich wollte ein Imperium leiten. Zweimal täglich ließ ich einen Sklaven mit dem göttlichen Sud hinausreiten. Zahlreich waren die Briefe, die ich Milos Boten nach Rom mitgab. Wanda und Basilus sollten erfahren, daß ich frei war. Aber die Monate vergingen. Es wurde Winter. Und es kam keine Nachricht von Wanda.
Ich verbrachte die langen Abende damit, Karten zu zeichnen. Gallische Landkarten. Ich skizzierte den Lauf des Rhenus und zeichnete ein kleines Rechteck, dort, wo seinerzeit mein kleiner raurikischer Hof gestanden hatte. Nach und nach entrümpelte und sortierte ich Kretos' Kanzlei. Immer wieder stieß ich auf interessante Handelsverträge oder Schreiben aus fernen Ländern. Und eines Nachts entdeckte ich in den Kellergewölben, dort, wo Kretos seinen eigenen Wein gelagert hatte, eine Kiste, die meine Neugierde weckte. In dieser Kiste lag ein rotes Seidentuch – das Vexillum der zehnten Legion. Es war das Vexillum von Niger Fabius, der in Genava aufs schändlichste ermordet worden war! Und wenn dieses Vexillum hier in Massilia war, dann bedeutet dies, daß Kretos der Mörder meines Freundes Niger Fabius war!
Kretos hätte eigentlich noch ein langes Leben vor sich gehabt, denn er wurde fürsorglich betreut und bestens ernährt. Er starb am hellichten Tage auf hoher See inmitten seiner Flötenspielerinnen. Wie immer war er hinausgefahren, hatte den Sud getrunken und war schlummernd in die Anderswelt entwischt. Seine Begleiterinnen waren das längst gewohnt. Erst als sie Stunden später wieder an Land kamen und ihn hinaustrugen, stellten sie fest, daß sein Körper kalt war. Er war sanft entschlafen, nicht schäumend und zuckend, wie seinerzeit der alte Druide Fumix, sondern still und friedlich, weil ich zuvor alles, was in Kretos' Körper floß, beruhigt hatte.
Über Kretos' Tod weinten nur die bezahlten Klageweiber.
Ich beauftragte einen Libitinarius, den Leichnam einigermaßen würdevoll herzurichten und ihn so einzusalben, daß man ihn sieben Tage lang im Atrium aufbahren konnte, ohne daß gleich die Mücken tot von den Wänden fielen. Ich gab Kretos eine keltische Goldmünze in die Hand. Das römische Seidenvexillum, das ich ihm am liebsten in den Rachen gestopft hätte, legte ich auf seine Brust. Seine nubischen Sklavinnen bedeckten seinen Körper mit Laub und schmückten das Eingangstor seines Stadthauses mit Zypressen und Kränzen. Ich schickte Herolde aus, um Kretos' Tod in der Stadt bekanntzumachen. Ich schickte sogar einen Herold nach Rom! Er sollte nicht nur von Kretos' Tod berichten, sondern auch darüber, daß der keltische Druide Korisios seine Geschäfte übernommen hatte und alle Freunde Kretos' zu einem großen Gastmahl einlud.
»Korisios heredem esse iubeo«, sprach der Beamte feierlich und tat damit öffentlich kund, daß ich der rechtmäßige Alleinerbe des Weinhändlers Kretos war. Auf den Urkunden, die Kretos im Tempel hinterlegt hatte, war sein Letzter Wille niedergeschrieben. In Anwesenheit von sieben Zeugen, darunter auch Milo, wurde das Testament öffentlich verlesen. Testamente waren keine Geheimsache, im Gegenteil. Für manchen war es die erste und letzte Gelegenheit, seinem Ärger Luft zu machen. Doch Kretos beschränkte sich darauf, mich als Alleinerben einzusetzen und allen seinen Freunden, die namentlich aufgeführt waren, je ein Faß Wein zu schenken. Festgesetzt hatte er auch die Größe seines Grabsteins. Es sollte einen Weinhändler zeigen, der flußaufwärts zog.
Ein erfahrener Dissignator führte den Trauerzug vor Kretos' Stadtvilla und hielt eine rührende Rede über einen Menschen, der großen Reichtum erworben hatte. Reichtum war von solch überragender Bedeutung, daß sich einige sogar ihren Vermögensstand auf den Grabstein meißeln ließen. Flötisten und Hornbläser führten den farbenprächtigen Zug an und spielten herzzerreißende Melodien. Kretos hätte seine Freude daran gehabt. Aber ich gab das viele Geld nicht für Kretos aus. Kretos' Nachfolger mußte Größe zeigen. Ich mußte kundtun, daß ich Kretos' würdiger Erbe war. Ich hatte nicht gegeizt. Nicht nur Klageweiber hatte ich angeheuert, sondern auch Schauspieler, die Klagelieder über den Verstorbenen vortrugen und derart erschütternd weinten, daß sie jedem echten Trauernden Konkurrenz gemacht hätten. Ich glaube, daß die Darbietung dieser Schauspieler den meisten viel näher ging als der Verlust dieser massilianischen Ratte. Kretos' Sklaven trugen Tafeln, auf denen Kretos' Lebensweg aufgezeichnet war. Vier seiner illyrischen Leibwächter zogen den blumengeschmückten Wagen mit dem Leichnam des Verblichenen. Dahinter der eigentliche Trauerzug, Frauen mit aufgelöstem Haar, die sich rhythmisch auf die Brust schlugen, Männer in dunklen Tuniken und all die Gaffer und Trittbrettfahrer, die den Verkehr zum Erliegen brachten, weil sie unbedingt dem Leichenzug folgen wollten, denn wenn Reiche starben, gab's irgendwann mal ein festliches Mahl. Ich war nicht dabei. Nachdem ich alle Gäste freundlich begrüßt und dafür gesorgt hatte, daß es niemandem an Speis und Trank fehlen würde, ließ ich Proviant aufladen und zog mit einigen bewaffneten Sklaven zum Hafen hinunter. Dort, wo Kretos' Lagerarbeiter in erbärmlichen Verhältnissen hausten. In der Stunde des Triumphs galt meine Sorge den Vergessenen. Cäsar hatte auch hier in Massilia mit seiner Sklavenschwemme den Markt zerstört. Es war billiger, Sklaven wie Ratten hausen zu lassen und sie nach ein paar Jahren wieder zu ersetzen, als anständige Baracken zu bauen. Aber wenn man selbst Sklave gewesen ist, sieht man einiges anders. Ich ließ den Proviant verteilen und kündigte an, daß wir hinter den Lagerhallen schattige Schlafräume errichteten würden. Nur verstohlen zeigten sie ihre Freude. Kaum einer brachte ein Wort über die Lippen. Obwohl ich vor einem Jahr noch einer von ihnen gewesen war, zitterten sie bereits vor mir wie vor einem Herrn. Ich war eben Kretos' Erbe.
Trübsinnig ritt ich zur leeren Landebrücke und schaute in die Nacht hinaus. Hier hatte ich Wanda zum letzten Mal gesehen. Melancholisch lauschte ich den Wellen, die gleichmäßig gegen die Hafenmauern schlugen. Ich fühlte mich einsam und von den Göttern verlassen. Was hatte ich getan? Waren sie neidisch, daß nur meine Wünsche in Erfüllung gegangen waren, aber keine ihrer Prophezeiungen sich bewahrheitet hatte? Vielleicht waren sie ungehalten, weil ich mir manchmal einbildete, mir meine Wünsche selbst erfüllt zu haben. Aber war das die ganze Wahrheit? Mein einziger Wunsch war doch der, mit Wanda zusammenzusein. Sahen die Götter denn nicht, wie hilflos ich ohne sie war, daß nur sie mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen konnten? Wenigstens war ich mir absolut sicher, daß Merkur, der Gott des Handels, auf meiner Seite war. Hatte er mir nicht geholfen, all meine Wünsche zu erfüllen, die ich damals unter der dicken Eiche auf unserem Hof gehabt hatte? Ich war Händler in Massilia! – Und kein bißchen glücklich. Ja, vielleicht hatte ich das Falsche ersehnt. Aber wie hätte ich wissen sollen, daß die Liebe das Stärkste und Mächtigste ist, was ein Mensch erfahren kann? Heute würde ich mir nur noch Wandas Liebe wünschen. Ich war sogar bereit, den Göttern dafür mein Handelshaus in Massilia zu opfern! In Gedanken wiederholte ich mehrmals diese Bereitschaft. Ich weiß, daß sich Merkur gerne auf solche Tauschgeschäfte einläßt. Ich weiß auch, daß es die Götter belustigt, wenn sich ein Herr zum Sklaven seiner Sklavin macht. Aber ich war bereit, mich zum Gespött der Götter zu machen. Sollten die da oben sich ruhig ein bißchen über mein Unglück amüsieren. Wenn sie mir im Gegenzug nur die Möglichkeit gaben, meine geliebte Wanda wieder in die Arme zu schließen!
Immer wieder suchte ich das Meer nach Lichtern oder Fackeln ab, die das Nahen eines Schiffes ankündigten. Aber nachts fuhren selten Schiffe.
Meine Sklaven wurden unruhig. Sie hatten Angst. In der Dunkelheit hörten wir Reiter nahen. Es war Milo in Begleitung seiner Leibwächter. Er stieg vom Pferd und gab seinen Männern Befehl, die Gegend im Auge zu behalten. Dann kam er zu mir rüber und lehnte sich an die Hafenmauer.
»Wir haben dich überall gesucht, Korisios«, sagte Milo. »Komm mit, deine Gäste verlangen nach dir.«
»Meine Gäste?« fragte ich spöttisch. »Die sollen sich den Bauch vollschlagen und dann nach Hause gehen.«
»Mir scheint, du haderst mit den Göttern, Korisios.«
»Die Götter!« zischte ich zornig. »Ist nicht jeder selbst seines Glückes Schmied?«
Milo lachte laut auf. »Sei vorsichtig, Korisios! Fordere die unsterblichen Götter nicht heraus! Nun komm! In deinem Handelshaus servieren nubische Sklavinnen gebratenen Fisch mit harzigem Weißwein aus Athen.«
Verwirrt schaute ich Milo an. »Nubische Sklavinnen bringen gebratenen Fisch?« fragte ich ungläubig. Das war doch das Bild aus meinen früheren Tagträumen. Nubische Sklavinnen servieren gebratenen Fisch und Harzwein in meinem Handelshaus in Massilia! Ich spürte, wie sich vor Aufregung meine Muskeln verspannten.
»Ja«, lachte Milo. »Wir haben zu später Stunde noch Gäste bekommen.«
»Mir scheint, Kretos hat ganz Massilia gekannt.«
»Es sind nicht Freunde von Kretos«, sagte Milo. Mit einer kurzen Handbewegung gab er seinen Leibwächtern den Befehl, den Rückweg zu Kretos' Haus zu sichern. Ich schaute Milo fragend an. Wenn es nicht Freunde von Kretos waren, wessen Freunde waren es dann?
»Es sind Reisende. Sie sagen, Labienus hätte Cäsar verlassen und sich auf Pompeius' Seite geschlagen.«
Was kümmerte mich dieser Julier.
»Cäsar ist unterwegs nach Spanien!«
»Du meinst, er wird auch bald zu meinen Gästen gehören?« spottete ich.
»Ich zweifle nicht daran, daß Cäsar an deinen nubischen Sklavinnen Gefallen finden würde. Aber wenn Cäsar eines Tages Massilia betreten sollte, dann wird er es tun, um den Staatsschatz und die Flotte zu plündern. Und nicht wegen deines gebratenen Fisches, Korisios.«
»Dann ist es also wahr, daß Lucius Afranius und Marcus Petreius in Spanien bereits fünf Legionen gegen Cäsar aufgestellt haben?«
»Ja«, sagte Milo, ohne seine Freude zu verhehlen. »Deshalb marschiert Cäsar auf Massilia zu. Er will sich den Rücken freihalten. Aber er wird sich wundern! Bereits in wenigen Tagen trifft der neue Prokonsul der Narbonensis mit sieben Kriegsschiffen in Massilia ein.«
»Domitius Ahenobarbus?« fragte ich ungläubig.
»Ja«, entgegnete Milo und ergriff die Zügel seines Pferdes. »Die Massilianer wollen ihm sogar den Oberbefehl zur Verteidigung der Stadt übertragen!«
»Das sind Nachrichten!« rief ich und drückte meinem Pferd die Fersen in die Flanken. Während Milos Reiter vorausritten, bildeten meine Reiter die Nachhut. Um diese Nachtzeit lauerte in den dunklen Gassen von Massilias Hafenquartier der Tod.
»Woher kommen diese Reisenden?« fragte ich Milo.
»Aus Rom«, antwortete Milo. »Einer von ihnen hat mir sogar eine Abschrift von der Verteidigungsrede gebracht, die Cicero im Senat gehalten hat, um mich vom Mord an Clodius freizusprechen. Der Mann scheut keine Mühe, um in den Geschichtsbüchern Erwähnung zu finden, denn natürlich ist die Tatsache, daß ich Cäsars Kettenhund erschlagen habe, nicht ganz ohne historische Bedeutung. Ohne diese Tat wäre in Rom nicht die Anarchie ausgebrochen, und kein Mensch hätte zugelassen, daß Pompeius zum Diktator ernannt wird. Und nur ein Diktator Pompeius kann Cäsar das Handwerk legen!«
»Für mich ist kein Brief dabei?« fragte ich fast beiläufig.
Milo schaute mich verwundert an. »Mit der Reisegesellschaft sind dreißig Gladiatoren eingetroffen. Ich habe sie in Rom vor einem halben Jahr rekrutieren lassen. Weißt du, Korisios, wenn ich in Massilia auf dem Marsfeld die ersten Gladiatorenspiele und Wagenrennen veranstalte, wird mich ganz Rom darum beneiden, daß ich hier im Exil lebe.«
Ich hörte gar nicht richtig zu. Doch plötzlich sah ich dieses verschmitzte Lächeln auf Milos Lippen.
»Wirst du auch einen keltischen Wagenlenker haben?« fragte ich Milo laut. Ich schrie es fast.
Milo nickte.
»Befindet sich unter diesen Reisenden auch ein großmäuliger Kelte?« Jetzt brüllte ich wirklich. Ich war nicht mehr in der Lage, meine Stimme zu kontrollieren. Milo grinste.
Ich schlug meinem Pferd die Fersen in die Flanken und preschte die dunklen Gassen zum Forum hinauf.
Basilus stand im Garten und wusch sein Gesicht unter dem sprudelnden Wasser des Springbrunnens. In den Metallhalterungen, die an den efeuumschlungenen Säulen montiert waren, steckten brennende Fackeln. Die Trauergäste waren gegangen. Die Sklaven räumten die Tische ab und säuberten den Park. Der Duft von gebratenem Fisch drang von der Küche in die kühle Nacht hinaus. Milo griff mir unter den linken Arm, damit ich schneller gehen konnte. Als Basilus mich sah, schrie er seine Freude laut in die Nacht hinaus.
»Wo ist Wanda?!« schrie ich und hielt mich an einem Sklaven fest.
»Es geht ihr gut, Korisios. Sie ist in Rom und wartet ungeduldig auf den Vater ihres Sohnes!«
Ich erschrak fürchterlich und strauchelte. Basilus fing mich auf und nahm mich in seine Arme. »Mein Sohn?« flüsterte ich skeptisch.
»Ja«, hauchte mir Basilus ins Ohr, »es ist dein Sohn, Korisios. Er ist schon zwei Jahre alt.«
Ich schloß die Augen und vergrub mein Gesicht in Basilus' Haar. »Kann er laufen?« fragte ich leise.
»Ja.«
Tränen schossen mir in die Augen. Ich umklammerte Basilus, so fest ich konnte. »Hat er auch einen Hund?« flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. Ich spürte, wie ich allmählich den Halt in den Beinen verlor und klammerte mich noch fester an Basilus.
»Nein«, sagte Basilus mit ruhiger Stimme, »aber Wanda ist ihm eine gute Mutter. Sie hat ein keltisches Mädchen, das ihr im Haushalt hilft. Und im nächsten Jahr will sie einen griechischen Lehrer verpflichten. Es mangelt ihr an nichts und …«
»Und es ist wirklich mein Sohn?«
»Ja, Korisios. Wenn du ihn siehst, wirst du keinen Augenblick daran zweifeln.«
»Wieso ist sie nicht mitgekommen?« fragte ich, und schon wieder übermannten mich Mißtrauen und Angst.
»Woher hätte ich wissen sollen, daß du frei bist«, lachte Basilus. »Ich bin nicht Seher, mein Druide!«
Erst jetzt fielen mir die großgewachsenen und athletischen Männer auf, die etwas abseits von übermüdeten Sklaven bewirtet wurden.
»Sind das Milos neue Gladiatoren?« fragte ich skeptisch.
Basilus grinste übers ganze Gesicht. »Ja, Korisios. Ich hab sie für Milo in Rom gekauft und hergebracht.«
Ich zwinkerte Basilus zu und fragte, ob Milo ihn auch anständig bezahlt hätte. Schließlich war es kein Geheimnis, daß er bis über beide Ohren verschuldet war.
»Bezahlt?« grinste Basilus. »Milo hat mir erlaubt, nach meiner Ankunft in Massilia drei Tage lang über sie zu verfügen. Und ich hatte vor, mit diesen Kerlen Kretos zu besuchen und dich gewaltsam zu befreien!«
In der Dunkelheit grölten einige Gladiatoren, die offenbar die ganze Zeit über zugehört hatten.
Im Morgengrauen brachten nubische Sklavinnen gebratenen Fisch und griechischen Harzwein. Ich saß mit Milo und Basilus zusammen und stieß auf meine Freiheit an, während wir dankbar nach Osten schauten, wo sich die Sonne wie eine goldene Scheibe aus dem blauen Meer erhob. Ich spürte den Atem meines Onkels Celtillus und war sicher, daß er sich freute und mir sagen wollte, daß nun alles gut würde.
»Ich brauche unbedingt einen Welpen. Einen dreifarbigen, wie Lucia!«
Basilus nickte. »Ich werde dir morgen einen besorgen.«
»Noch heute, Basilus!«
Basilus musterte mich skeptisch.
»Ich werde morgen nach Rom aufbrechen und Wanda und meinen Sohn holen«, sagte ich ernst. Milo und Basilus tauschten besorgte Blicke aus.
»Das dürfte schwierig werden«, sagte ein Gladiator und setzte sich zu uns.
»Das ist Birria«, sagte Milo. »Er hat damals Clodius die erste Verletzung zugefügt.«
»Er hat ihm mit dem Schwert die Schulter durchbohrt«, lachte einer, den sie Eudamus nannten.
»Wieso dürfte es schwierig werden, nach Rom zu reisen?«
»Seit der Bürgerkrieg ausgebrochen ist«, brummte Birria, »herrschen rauhe Sitten auf den Landstraßen. Um da zu überleben, muß man schon Gladiator sein und ein sehr schnelles Pferd haben.«
»Er hat recht«, sagte Basilus. »Rom ist in zwei Lager gespalten. Sie bekämpfen sich überall.«
Milo nickte. »Die Konsuln und die meisten Senatoren sind aus Rom geflohen. Überall sammeln sie Truppen gegen Cäsar, und irgendwann werden sie alle losmarschieren, von Ägypten, Nordafrika, Spanien und Gallien, und sie werden diesen Julier einkreisen und vernichten.«
Nervös ließ ich meinen Weinbecher mit Wasser nachfüllen.
»Ich kann eine ganze Armee bezahlen, um Wanda und meinen Sohn von Rom nach Massilia zu bringen!« rief ich zornig. »Ich kann selbst Cäsar bestechen!«
Milo lächelte mitleidig. »Gemessen an Cäsar nagst du am Hungertuch, Druide. Er hat in Rom den heiligen Saturn-Tempel geplündert und fünfzehntausend Gold- und dreißigtausend Silberbarren und über dreißig Millionen Sesterzen gestohlen!«
Milo löste den Lendenschurz einer Sklavin, die sich zum Nachschenken über den Tisch beugte, und umarmte zärtlich ihre Taille. Ihre dunkle Haut roch nach frischen Ölen. Sie ließ sich zu Milo nieder und schloß die Augen.
Eudamus wandte sich an mich. Er war von erstaunlich hohem Wuchs, und die Unerschrockenheit eines Kelten sprach aus seinem Gesicht. »Druide«, begann er mit sonorer Stimme, »du brauchst weder Gold noch Armeen. Du brauchst lediglich das römische Bürgerrecht.«
Basilus und Milo bedachten Eudamus mit einem skeptischen Blick. Birra war eingeschlafen und schnarchte unruhig vor sich hin.
»Unter den Soldaten«, fuhr Eudamus fort, »hat sich Cäsars Milde bereits herumgesprochen. Frag doch den neuen Prokonsul Domitius Ahenobarbus! Cäsar hat ihn bei Corfinium gefangengenommen und wenige Tage später ohne Bedingungen wieder freigelassen. Das ist die neue Clementia Caesaris. Es ist die Milde derjenigen, die den Göttern nahe sind. Cäsar will die Fehler von Sulla nicht wiederholen. Er will kein zerstrittenes Volk! Er sinnt nicht auf Rache! Er will nicht nur die Herrschaft über Rom, er will auch Roms Liebe und Zuneigung.«
»Und du meinst wirklich«, fragte ich skeptisch, »um Cäsars Linien zu durchbrechen, brauche ich nicht mehr als das römische Bürgerrecht?«
»So ist es, Druide.«
Ich lachte leise vor mich hin und schüttelte ungläubig den Kopf.
Milo lag mit geschlossenen Augen neben der Sklavin. Den Kopf hatte er wie ein Säugling an ihre Brust geschmiegt. Die Sklavin war froh, daß er nicht mehr von ihr wollte. Auch sie war müde. Basilus lachte leise vor sich hin. Ich mußte also römischer Bürger werden, um zu Wanda und meinem Sohn zu kommen.
»Was meinst du, Milo, was kostet das römische Bürgerrecht?«
Milo ließ sich von der nubischen Sklavin aufhelfen und machte ein bedeutungsschweres Gesicht, als wolle er andeuten, daß das römische Bürgerrecht nicht einfach so zu kaufen sei. Dann sagte er mit schwerer Zunge: »Ich habe noch nie einen keltischen Druiden adoptiert. Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Aber wenn du mir eine Million Sesterzen leihst und mich zum Teilhaber deines Handelshauses machst, könnte es durchaus meine Phantasie beflügeln.«
Melancholisch umfaßte er das Gesäß der Sklavin, die aufgestanden war und erneut Wein einschenken wollte. Er schien sich in seinen Gedanken verloren zu haben. Langsam schloß er die Augen. Die Sklavin drehte sich um und versuchte vorsichtig, Milos Griff zu lösen.
»Meinst du, es wird Cäsar ärgern, wenn ich dem Mann, der seinen Kettenhund Clodius erschlagen hat, eine Million leihe und ihn zu meinem Teilhaber mache?« fragte ich neckisch.
»Todsicher«, murmelte Milo und küßte zärtlich die enthaarte Scham der Sklavin, die sich sanft aus seiner Umarmung löste. Sie hob ihren Lendenschurz auf und streifte ihn sich wieder über. Dann schenkte sie all jenen, die ihren Becher noch in der Hand halten konnten, erneut Wein nach. Schlafende Gäste sind für Sklavinnen die angenehmsten.
»Ich bin einverstanden«, sagte ich zu Milo.
Verwirrt öffnete er die Augen und schaute mich verwundert an. Er hatte den Faden verloren. Dann huschte plötzlich ein Lächeln über sein Gesicht. Er schien sich wieder zu erinnern. Milo löste den goldenen Halbmond, der seinen nackten Knöchel zierte, und warf ihn mir zu. »Laß den Richter holen, Druide. Ich glaube, er schläft gerade im Säulengang seinen Rausch aus.«