III.

Die keltischen Allobroger leben zwischen zwei Flüssen. Der eine heißt Rhodanus, der andere Isara. Die Allobroger wurden vor rund fünfzig Jahren gemeinsam mit den keltischen Arvernern von Rom unterworfen. Ihr Gebiet ist heute römische Provinz. Die Römer nennen sie Gallia Narbonensis. Ihre äußerste Grenzstadt ist Genava. Sie grenzt direkt an das Gebiet der Helvetier. Eine Brücke über den Rhodanus verbindet das Land der freien Kelten mit der römischen Provinz. Ende März standen Wanda, Lucia und ich auf dieser Brücke. Von weitem schon sah man die drei Meter hohe Schutzgöttin der Allobroger. Es war eine Eichenholzfigur, die einen riesigen Torques aus Gold trug. Die Helvetier saßen bereits zu Tausenden am nördlichen Ufer des Rhodanus und warteten auf keltischem Boden die Versammlung der Stammesfürsten ab, die heute nacht stattfinden würde. Auf dieser Versammlung, zu der mich niemand eingeladen hatte, sollten nochmals alle Details besprochen und bekräftigt werden. Man wollte friedlich durch das Gebiet der von Rom unterworfenen Allobroger ziehen und in wenigen Monaten das Land der Santonen an der Küste des Atlanticus erreichen. Wir würden nochmals jene Gegend durchqueren, die der ruhmreiche Divico vor rund fünfzig Jahren zum Schandfleck der römischen Legionen gemacht hatte.

Als wir vor drei Jahren die Auswanderung beschlossen – damals war der reiche Orgetorix noch unser Führer –, hatten sich die Allobroger erneut gegen Rom erhoben und uns die Erlaubnis für den Durchzug erteilt. Doch der Aufstand war einmal mehr niedergeschlagen worden. Ihr Wort war nichts mehr wert. Jetzt zählte das Wort des neuen Prokonsuls, das Wort von Gaius Julius Cäsar. Wir wollten ihn offiziell um Erlaubnis bitten. Sollte er unsere Bitte abschlagen, würden wir das hinnehmen, die römische Provinz umgehen und den beschwerlichen Weg durch die Schluchten zwischen Rhodanus und Jura wählen und dann durch das Gebiet der ebenfalls mit uns befreundeten keltischen Sequaner und Häduer nach Westen ziehen. Dieser Umweg wäre sehr beschwerlich, aber wir würden ihn akzeptieren. Dem Frieden zuliebe.

Zusammen mit Wanda und Lucia überquerte ich also die Holzbrücke und betrat auf der anderen Seite das Oppidum der keltischen Allobroger. Nein, ich betrat die römische Provinz Gallia Narbonensis. Am anderen Ende der Brücke versperrten mir sechs römische Legionäre den Weg. Zollbeamte. Sie trugen eine bronzene Ausgabe unseres keltischen Helmes mit Wangenklappen, einen keltischen Kettenpanzer, der aus dreißigtausend kleinen Metallringen bestand, ein spanisches Schwert und einen Pilum. Dank Onkel Celtillus waren mir die gebräuchlichsten Waffen rund ums Mittelmeer vertraut. Aber ein bißchen enttäuscht war ich schon. Wie konnte jemand, der nicht mal eigene Waffen und Rüstungen erfinden konnte, das gesamte Mittelmeer beherrschen? Einige Legionäre waren auf ihre hohen ovalen Schilde gestützt. Die Schilde waren bunt bemalt.

»Atticen quaerat assibus sedecim«, scherzte ein Legionär, was soviel bedeutet wie: Attica macht's für 16 As. Offenbar tauschten sie gerade Berichte von der erotischen Front aus. Als ein Mann aus der Holzbaracke neben der Brücke trat, standen sie sofort stramm, als habe man ihnen ein Pilum durch den Rachen gebohrt. Der Kerl schien ein Offizier zu sein. Er trug einen Muskelpanzer nach griechischem Vorbild, versilberte Beinschienen und einen etruskisch-korinthischen Helm mit Federn. Er erinnerte mich stark an ein gepanzertes Huhn. Merkwürdigerweise roch er aufdringlich nach süßem Blütenstaub. Er fragte mich auf lateinisch, was ich hier wolle. Freundlich antwortete ich in fließendem Latein, daß ich Kontakt zu römischen Händlern suche. Er war offenbar überrascht, daß ich in seiner Sprache sprechen konnte. Auch die anderen Legionäre starrten mich verblüfft an. Anscheinend dachte man in Rom, Barbaren würden lediglich Grunzlaute von sich geben. Irgend etwas in der Art von ›bar-bar‹. Der Offizier gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, ich solle wieder auf die andere Seite des Flusses verschwinden. Ich zückte darauf ein paar Sesterzen, die ich für den Besuch der römischen Provinz zu opfern bereit war, und fragte: »Kann mir jemand das Quartier der Händler zeigen?«

Der Offizier nahm mir die großen Messingmünzen aus der Hand und zeigte links den Fluß hinunter.

»Dort findest du die Hyänen und Aasgeier des römischen Imperiums.« Jetzt sprach er plötzlich Keltisch! Vermutlich war er schon längere Zeit hier stationiert. Die Legionäre grölten vor Lachen und ließen uns passieren. Ich war wirklich enttäuscht. Ich hatte mir römische Soldaten größer und imposanter vorgestellt. Dabei waren sie eher von kleinem Wuchs. Nicht Zwerge, wie die Germanen behaupteten, aber doch erheblich kleiner als Kelten. Und dann diese Waffen und Rüstungen! Irgendwie alles geborgt! Nichts eigenes! Und daß man einen Offizier mit einigen Sesterzen bestechen konnte, enttäuschte mich maßlos. Bei uns Kelten wäre das eine Beleidigung gewesen, die in einem tödlichen Zweikampf geendet hätte. Aber hatte mir der Weinhändler Kretos nicht erzählt, daß in Rom alles käuflich war?

Das Lager der römischen Händler lag abseits der Wohn- und Handwerksviertel. Ich traute meinen Augen kaum. Ich hatte einen kleinen Markt erwartet, aber vor mir breitete sich eine Zeltstadt aus, die doppelt so groß war wie das eigentliche Oppidum! Das halbe Mittelmeer hatte sich vor den Toren dieser eher unbedeutenden Stadt versammelt! Es war unglaublich. Überall hatten die Händler ihre Zelte aufgeschlagen und ihre Waren ausgebreitet: farbige Stoffe, Baumwolle, roh oder verarbeitet, veredelte Häute, Pelze und Felle, Gewänder, Tuniken, Togen, Tücher, Satteldecken, Borten und Gürtel mit Metallbeschlägen, unzählige Töpferwaren, Amphoren in allen Größen und für jeden Zweck, Geschirr aus Campania und natürlich Schmuck aus Gold, Silber, Elfenbein und kostbaren Steinen: Karneol, Jaspis, Chrysopras, Onyx, Sardonyx. Ich kannte nicht alle Namen, aber ein syrischer Händler, der sich Titianos nannte und den iranischen Vornamen Mahes trug, erklärte mir bereitwillig Namen und Verwendungszweck der verschiedenen Steine. »Das ist der Rubin, der Saphir, der Turmalin, der Smaragd, das hier sind Perlen aus Indien und das ist Elfenbein. Dieser Elfenbeinzahn wiegt über 300 Librae, es gehört dem Loxodonta africana, das ist ein riesengroßes, graues Tier, das soviel wiegt wie acht Hengste zusammen.«

Ich schaute Mahes Titianos etwas skeptisch an und befühlte diesen Elfenbeinzahn. »Ich kenne all die Geschichten von Hannibal und seinen Elefanten, aber das ist schon zweihundert Jahre her. Ich frage dich deshalb: Gibt's diese Tiere wirklich, ich meine, hast du jemals so ein Tier gesehen?«

»Natürlich«, schrie Mahes Titianos, »das sind nicht bloß Geschichten! Elefanten sind nicht einfach Riesenpferde mit Riesenzähnen. Elefanten sind Elefanten. Es ist wahr, daß Hannibal mit diesen Tieren über die Alpen gezogen ist.«

Wanda und ich mußten lachen.

»Warst du dabei?« fragte Wanda. Ich schaute sie befremdet an. Es stand ihr nicht zu, sich zu äußern, ohne ausdrücklich dazu aufgefordert worden zu sein. Aber irgendwie benahm sie sich überhaupt nicht mehr wie eine Sklavin, seit wir die römische Provinz betreten hatten.

»Glaubt mir, es ist alles wahr, was ich euch erzähle. Der Loxodonta africana kann bis zu siebzig Jahre alt werden, und man kann ihn ganz einfach zähmen, wie ein Pferd.«

»Du meinst«, erwiderte ich zögernd, »ich könnte bei dir so einen Elefanten bestellen?«

»Wenn du genügend Gold hast, ganz bestimmt. Ich könnte ihn bereits in zwei Jahren liefern.«

War das nicht wundervoll? Hatte ich nicht seit Jahren davon geträumt, einmal mit Händlern aus aller Welt reden zu können? Und mit Lateinisch und Griechisch kam man offensichtlich überall durch.

»Ich weiß nicht«, versuchte ich das Thema abzuschließen. »Wenn ich mir so ein Riesenvieh mit Elfenbeinzähnen kaufe, muß ich ja ständig fürchten, daß mir jemand nachts das Elfenbein stiehlt.«

»Ich kann dir auch Papageien besorgen, Affen, Giraffen oder Nashörner. Nashörner sind auch gut, etwas eigensinnig und jähzornig, aber die römischen Aedile sind ganz verrückt danach. Wenn sie mir ihre Wunschlisten für die Spiele vorlegen, ist immer ein Nashorn dabei.«

Ich winkte ab, bedankte mich höflich und ging mit Wanda zum nächsten Stand. Ich hatte wirklich nicht vor, einen Wanderzirkus zu eröffnen. Die Gerüche trieben mich weiter. Ein Geruch zog mich magisch an. Ein Geruch, der mir nicht bekannt war. Es war weißer Nebel, der aus den schmalen, kreisförmigen Öffnungen eines geschlossenen Bronzebehälters emporstieg.

»Das ist Weihrauch«, sagte ein Mann in gebrochenem Griechisch. Ein kleiner Dicker, so um die fünfundvierzig, trat aus dem Zelt und blickte mir offen und freundlich ins Gesicht. Er hatte ein weißes Tuch um den Kopf geschlungen. Sein Gesicht konnte man kaum erkennen, da er einen wildwuchernden, pechschwarzen Bart trug, der bis unter die großen, lachenden Augen reichte, die an glückbringende Smaragde erinnerten.

»Weihrauch?« wiederholte ich.

»Ja«, lachte der Orientale, »jeder Mensch, egal ob arm oder reich, braucht diese wunderbaren Körner. Ich verkaufe dir eine Handvoll für ein As.«

»Wir Kelten brauchen keinen Weihrauch.«

»Oh«, entfuhr es dem Händler, und er schien plötzlich ernsthaft betrübt, »wie opfert ihr denn euren Göttern?«

»Wir haben keine Tempel«, lachte ich, »unsere Götter sind überall, in den Steinen, Gewässern und Bäumen.«

»Bitte, Kelte, nenne mir deinen Namen und sei mein Gast. Ich bin Niger Fabius, Sohn eines Freigelassenen. Sei mein Gast, und erzähl mir von deinem Volk.«

Ich nannte ihm meinen Namen und fragte, ob ich unsere Pferde irgendwo anbinden dürfe. Daraufhin umarmte er mich wie einen alten Freund. Offenbar freute er sich, daß ich seine Einladung angenommen hatte. Ich war im ersten Augenblick etwas verwundert, aber seine Freundlichkeit wirkte ansteckend. Ich denke, wenn man freundlich auf einen Menschen zugeht, kann er fast nicht anders, als ebenfalls freundlich zu reagieren. Niger Fabius klatschte zweimal in die Hände. Ein Sklave kam aus dem Zelt und verbeugte sich tief. Niger Fabius zeigte auf unsere Pferde. Der Sklave verbeugte sich erneut und führte unsere Pferde hinter das Zelt. Ich folgte ihm, um mich zu vergewissern, daß die Pferde gut untergebracht wurden, und blieb erstaunt stehen. Auch Wanda stutzte. Wir standen vor einem ziemlich komischen Ding, das größer war als mein Pferd und eine schwabbelnde Beule auf dem Rücken hatte.

»Das ist ein Kamel«, lachte Niger Fabius. »Es ist ein genügsames Tier und wird deinen Pferden nichts tun.«

Er erklärte mir, daß man in seiner Heimat Kamele als Lasttiere einsetzte, so wie wir für uns Esel und Maultiere arbeiten ließen. Sie hatten dort offenbar ödes Land, das die Sonne vollständig ausgebrannt hatte, und wenn sie dieses Land, das sie Wüste nennen, durchqueren, dann reiten sie auf diesen Kamelen. Denn diese Kamele können soviel Wasser speichern, daß sie wochenlang nicht mehr trinken müssen.

»Das ist doch unmöglich«, lachte ich, »aber es ist eine ziemlich komische Geschichte.«

»Nein«, rief Niger Fabius, »Kamele können wirklich Wasser speichern, in ihrem Höcker. Und wenn sie durstig sind, fließt es von dort in ihren Körper zurück.«

»Das müssen ja göttliche Tiere sein«, überlegte ich. »Kann man diese vierbeinigen Amphoren auch kaufen?«

»Was willst du denn mit einem Kamel anfangen?«

Er zog mich ein Stückchen weiter zu zwei arabischen Pferden von einer Schönheit, Kraft und Eleganz, wie ich sie mir nie hätte träumen lassen. Eine Schimmelstute und ein rabenschwarzer Hengst. Langsam näherte ich mich den beiden Pferden. Nur kurz spitzten sie die Ohren und bliesen durch die Nüstern. Ich streckte ihnen die offene Hand entgegen und gab ihnen Zeit, an mir zu schnuppern. Die Stute trat näher und leckte meine Stirn, während sie mit ihrer Oberlippe nach meinem Haar schnappte. Ich sprach leise und ruhig auf sie ein, während ich ihr sanft über die Nüstern fuhr.

»Luna mag dich, Korisios. Du sprichst die Sprache der Pferde.«

Wanda hatte offenbar am schwarzen Hengst Gefallen gefunden. Sanft rieb er seinen Kopf an ihrer Schulter.

»Wenn ich mit jemandem Geschäfte machen will, zeige ich ihm meine Pferde. Luna sagt mir sofort, ob ein Mensch gut oder schlecht ist«, lachte Niger Fabius und nahm mich nochmals herzlich in seine Arme. Als er mich losließ, verlor ich das Gleichgewicht. Wanda war mit einem Satz hinter mich gesprungen und fing mich auf. Niger Fabius schien betrübt.

»Sag mir, wieso deine Beine so schwach sind und dein Gleichgewicht so wackelig ist – vielleicht habe ich ein Kraut, das dich heilen kann.«

»Nein«, lachte ich, »ein Kraut kann Kranke heilen, vielleicht, aber ich bin nicht krank. Unsere Götter haben meinen Körper als Behausung ausgesucht, und deshalb brauche ich genausowenig Beine, wie die Esche ein Rad braucht.«

Niger Fabius zuckte leicht zusammen. »Bist du etwa Druide?«

»Ja«, entgegnete ich spontan, obwohl es nicht ganz richtig war. Aber es wäre zu umständlich gewesen, ihm Genaueres zu erzählen. Wanda schien anderer Meinung. Ihr Blick verriet mir, daß sie mich für einen kleinen, miesen Lügner und Betrüger hielt.

»Das ist meine Sklavin Wanda«, sagte ich trocken und schaute ihr dabei frech ins Gesicht. Ich wußte, daß sie mir das im Lauf des Tages wieder heimzahlen würde. Aber es war mir egal.

Niger Fabius führte uns in ein Lederzelt, das von Sklaven bewacht wurde. Es war vollgestopft mit Holzkisten, Fässern, Leinensäcken und geflochtenen Körben. Niger Fabius zeigte mir die verschiedensten Weihrauchkörner. Er gab mir Myrrhe und Balsam zum Riechen. Er reichte mir Hölzer, die eigenartig dufteten: kleine Figuren aus Sandelholz mit Augen aus blauschimmerndem Lapislazuli.

Dann öffnete er wohlriechende Lederbeutel mit exotischen Aromapflanzen und deckte große Körbe mit Schößlingen verschiedener Sträucher ab.

»Zimt benutzen die Römer gerne zum Kochen. Zimt gewinnt man aus der Rinde eines Baumes. Das hier ist Safran, Ingwer und scharfer Curcuma. Damit kann man Wollstoffe färben.«

Er drückte mir eine kleine bronzene Statue in die Hand, die einen nackten afrikanischen Sklaven in der Hocke zeigte. »Schüttle ihn«, forderte Niger Fabius mich auf, »und halte deine Hand darunter.«

Ich schüttelte die Statue, und kleine, schwarze Körner fielen auf meine offene Hand. Kaum hatte ich daran gerochen, mußte ich kräftig niesen.

»Das ist ein Pfefferstreuer. Ich habe bereits ganz Rom damit eingedeckt.« Ich reichte den Pfefferstreuer Wanda, die ihn neugierig untersuchte. Der Sklave in der Hocke hatte in den Hinterbacken kleine Löcher, aus denen die Pfefferkörner herausfielen. Ich hätte nie gedacht, daß man überhaupt auf die Idee kommen konnte, so was herzustellen. Dagegen sind unsere ausgehöhlten und mit Goldblech ausgelegten Totenschädel ziemlich humorlos. Gierig zogen wir den Duft von Muskat, Kümmel, Nelken und anderen Gewürzen in uns ein. Wie abwechslungsreich mußte doch die Küche eines reichen Römers sein. Falls ich mich jemals in Rom einmieten würde, würde ich bestimmt ein Zimmer über einer römischen Küche nehmen.

Niger Fabius brach den Verschluß von kleinen Tongefäßen auf und gab uns nun Parfüms und Öle zum Riechen. Ein Geruch erinnerte mich an den römischen Offizier. Ich war überrascht, als er uns erzählte, daß sich römische Frauen damit einrieben. Eigentlich gefiel mir Wandas Geruch, der eine Mischung aus Pferdeschweiß, nassem Hundefell und frisch geschnittenem Gras war, wesentlich besser. Aber ich behielt das selbstverständlich für mich. Niger Fabius betupfte mit dem Parfüm Wandas Handwurzel. Es war schon erstaunlich, daß ein einziger Tropfen einen derart starken Duft hinterlassen konnte. Niger Fabius schien unser nicht mehr endenwollendes Staunen zu beflügeln.

Wie ein Zauberer nahm er ein buntbesticktes Tuch aus einer abgewetzten braunen Ledertasche und reichte es mir. Das Tuch war weder aus Wolle noch aus Leinen. Es war sehr zart, und die beiden goldschimmernden Pferde darauf waren nicht gemalt und auch nicht aus Gold. Ich war begeistert. Ich hatte niemals zuvor einen derartigen Stoff in Händen gehabt. Ich reichte ihn Wanda, die verwundert auflachte.

»Das ist Seide. Der kostbarste Stoff unter dem Himmel. Die Perser benutzen Seide bereits für ihre Feldzeichen. Aber Seide ist sehr, sehr teuer. An der römischen Reichsgrenze bezahle ich dafür fünfundzwanzig Prozent Zoll. Nur der Weihrauch ist zollfrei.«

»Beleidigst du gerade das römische Volk und den Senat, Niger Fabius?« Vor uns stand der Offizier, den ich vorhin an der Brücke bestochen hatte.

Niger Fabius lachte und umarmte den römischen Soldaten.

»Das ist Silvanus«, lachte Niger Fabius. »Ohne ihn hätten mich die römischen Zölle längst ruiniert.« Silvanus lachte laut. Es war ihm einerlei, daß all die herumstehenden Menschen von seiner Bestechlichkeit erfuhren. Das war allerbeste Werbung. Für den Römer sind das keine Bestechungen. Für den Römer sind das einfach Gebühren, die nirgends festgeschrieben sind. »Und das ist mein Freund Korisios, ein keltischer Druide.«

Silvanus starrte mich an, als sei ich ein dreiköpfiger Gott. Mißtrauisch wich er einen Schritt zurück. »Nimm dich vor diesen Druiden in acht, Silvanus. Man sagt, sie können Tiere verzaubern und dich mit heiligen Versen töten. Ich hoffe für dich, du hast ihm nicht zu viele Sesterzen abgeknöpft.«

Silvanus griff blitzschnell in seinen Beutel und warf mir die Sesterzen beinahe angeekelt zu. Fürchtete er sich vor einem keltischen Druiden? Dazu lachte er laut und gekünstelt und flachste, daß er einem Freund von Niger Fabius selbstverständlich kein einziges As abverlangen würde. Doch in seinen grüngrauen Augen pulsierte die Angst und gab ihm das Aussehen eines herzkranken Frosches. Für mich war das eine interessante Entdeckung. Der Aberglaube eines Römers war offenbar so stark, daß selbst ein gehbehinderter Barbar einen durchtrainierten und bewaffneten römischen Offizier in die Knie zwingen konnte. Wenn er Druide war, wohlverstanden!

»Silvanus«, lachte Niger Fabius, »du stinkst ja wie ein ganzes Zelt voller Konkubinen. Ein einziger Tropfen Parfüm genügt!«

»Gib mir noch etwas mehr davon. Die Offiziere sind verrückt danach.«

»Und ich dachte immer, römische Legionäre müßten nach Zwiebeln und Knoblauch stinken.«

»Legionäre, aber nicht Offiziere!«

Niger Fabius bat uns zum Essen in das große Hauptzelt. Dort lagen bereits ein Dutzend Händler, die man an ihren Togen unschwer als römische Bürger identifizieren konnte, auf gepolsterten Sofas ausgestreckt. Sie ließen sich von nubischen Sklaven Wein, gekochte Eier und mit Sesam gespickte Brotfladen bringen. Nur einer der Gäste saß auf einem Stuhl. Es war kein Römer. Er trug eine ziemlich dicke, langärmlige Tunika, die mit bunten Streifen verziert war und bis zu den Knöcheln reichte. Er hatte einen zerzausten Bart und einen Wuschelkopf, der ihm ein wenig den Ausdruck eines Phantasten und Philosophen verlieh. Erst als er mich freundlich anlächelte, erkannte ich ihn wieder. Es war Mahes Titianos, der syrische Händler mit dem iranischen Vornamen. Ich lächelte ihm kurz zu und beobachtete dann wieder die beiden Sklaven, die vor dem offenen Zelt ein Schwein über der Feuerstelle brieten. Der eine Sklave arbeitete mit einem großen Pinsel aus weißem Pferdehaar, den er monoton wie ein Zeremonienmeister in ein mit Sauce gefülltes Tongefäß tunkte und anschließend den Schweinerücken einstrich, während der andere Sklave, auch er ein dunkelhäutiger Nubier, zufrieden lächelnd den Spieß drehte.

»Korisios!« hörte ich jemanden rufen. Einer der Römer sprang hoch, und ich wußte sofort, daß ich dieses abscheuliche Gekrächze schon irgendwo gehört hatte. Piso, Lucceius' Spion, Schuldeneintreiber, Provokateur und Speichellecker, trat auf mich zu und verkündete den Anwesenden lauthals, daß ich ein helvetischer Druide sei, der alle Sprachen rund ums Mittelmeer beherrschte. Das war natürlich übertrieben. Aber aus Höflichkeit wollte ich in diesem Punkt nicht widersprechen. Was die Herkunft betraf, hingegen schon.

»Ich bin vom Stamme der keltischen Rauriker«, korrigierte ich ihn, »wir wohnen dort, wo der Rhenus ein Knie bildet und das Gebiet der Kelten vom Gebiet jener Völker trennt, die ihr Germanen nennt.«

Ein Händler, der eine Nase hatte wie eine verunstaltete Baumwurzel, sagte, daß das doch alles einerlei sei, Barbaren seien Barbaren. Die Händler, die um ihn herum und hinter ihm gruppiert waren, applaudierten. Mahes Titianos erwiderte lächelnd, daß es doch erstaunlich sei, einen jungen Mann von solchem Wissen Barbar zu nennen. Ich bedankte mich mit einem Nicken. Mahes Titianos reichte mir daraufhin ein bronzenes Amulett, in das ein Auge eingraviert war.

»Das wird dir Glück bringen, es hält das Böse fern.«

»Es ist aber kein keltisches Auge«, sagte ich leise, »deshalb wird es mir kaum Glück bringen.«

Die Händler brachen in ein orkanartiges Gelächter aus. »Amulette aus Judäa bringen nur Unglück, das hast du richtig erkannt, Druide«, sagte einer von ihnen. Die Händler hatten bereits reichlich dem großzügig ausgeschenkten Rotwein zugesprochen und brachen wegen jeder Kleinigkeit in lautstarkes Gelächter aus.

Mahes schwieg. Er schien beleidigt.

»Barba non facit philosophum«, spottete Piso, was soviel hieß wie: Der Bart allein macht noch keinen Philosophen.

Ein Sklave reichte mir einen Becher Wein.

»Caecuber aus Campanien«, grinste Silvanus anerkennend und zwinkerte mir zu. Ich hatte noch nie Caecuber getrunken. Es war ein kräftiger Wein, aber sehr fruchtig und angenehm im Abgang. Der Sklave hinter mir öffnete eine neue Amphore und goß den Wein durch einen leinenen Filtriersack in einen Bronzekessel, den ein zweiter Sklave hielt. Anschließend wurde Wasser beigefügt. Niger Fabius war ein vorzüglicher Gastgeber. Jetzt ließ er das Schwein tranchieren und in kleine Stücke schneiden. Er kannte die römischen Sitten. Zum Fleisch wurden gelbe, weichgekochte Körner gebracht.

»Das ist Oryza«, sagte unser Gastgeber, »eigentlich ist sie weiß, aber wir kochen sie mit Safran. Daher die gelbe Farbe.«

»Willst du uns vergiften?« fauchte Silvanus und schnupperte skeptisch an seiner Reisschale.

Piso lachte schallend und demonstrierte damit, daß er ein Mann von Welt war. »Im Osten essen es bereits die römischen Offiziere. Und sie behaupten, die Kranken würden damit schneller wieder gesund.«

»Dann wirst du in Cäsar einen willigen Abnehmer finden«, grinste Silvanus. Die Händler lachten.

»Wenn der Preis stimmt«, johlte der Mann mit der Wurzelnase, »aber ihr Araber seid doch alle Blutsauger!«

»Dann bist du bei Cäsar gerade richtig«, krächzte Piso mit erhobenem Zeigefinger. »Verzehnfache den Preis, und Cäsar ist dein Kunde! Für ihn ist nur gut genug, was sich kein anderer leisten kann.«

Wieder lachten alle, während die Sklaven nun die Sauce schöpften. Es mußte etwas ganz Besonderes sein, denn Niger Fabius' Augen leuchteten, während er einen Gast nach dem andern aufmerksam musterte. Es war die Krönung: eine Weinsauce mit gemörserten Zwiebeln, Knoblauch, Zimt, Pfeffer und Lorbeer. Ich lächelte Niger Fabius anerkennend zu, während die andern vor Wollust wie rammlige Stiere stöhnten und die Augen verdrehten. Man hätte meinen können, die Brunftzeit sei ausgebrochen.

Doch Niger Fabius war nicht nur ein ausgezeichneter Gastgeber, sondern auch ein geschickter Geschäftsmann. Er wies die Sklaven an, Wein nachzuschenken, und hob dann ein römisches Vexillum aus roter Seide in die Höhe. Das Vexillum war das Feldzeichen der Manipel, einer römischen Heereseinheit. Es bestand aus einem Speer mit Lorbeerblattspitze und einem unter der Spitze befestigten Querholz, an dem ein rechteckiges Tuch aus roter Seide hing. Darauf waren ein goldener Stier aufgestickt und die Buchstaben LEG X. Offenbar war die zehnte Legion im Tierkreiszeichen des Stiers gegründet worden und stand nun unter dem Schutz des Iupiters, dem die Römer Stiere opfern. Am unteren Rand des roten Seidentuchs war ein Fransenband angenäht. Und an beiden Enden des Querholzes hingen bronzebeschlagene Lederstreifen. Die Gäste waren verstummt. Sie starrten alle ehrfürchtig das Vexillum der zehnten Legion an, das ein orientalischer Händler in den Händen hielt. Silvanus stand auf und prüfte mit dem Blick des Sachverständigen die Aufhängung des Querholzes. Dann befühlte er die Seide und schaute Niger Fabius verblüfft an.

»Seide«, flüsterte Niger Fabius. »Wenn die Sonne scheint, sieht man es schon von weitem, und es jagt Angst und Schrecken ein, denn von weitem sieht es aus wie eine Sonne, die auf dich zurollt.« Silvanus schwieg betreten, als stünde er dem Vertreter einer höheren Zivilisation gegenüber.

»Cäsar wird dir dafür ein Vermögen bezahlen«, sagte ein Händler, der sich bisher eher zurückgehalten hatte. Er hieß C. Fufius Cita und war ein privater Unternehmer, der den römischen Legionen folgte und diese mit Getreide versorgte. Er machte einen ruhigen, fast würdevollen Eindruck. Mir war schon aufgefallen, daß er bloß lächelte, wenn die anderen grölten.

Piso grinste. »Cäsar ist abgebrannt. Er braucht bereits neue Kredite, um seine Zinsraten bezahlen zu können.«

Der Händler mit der Wurzelnase lachte. »Hat ihn das etwa davon abgehalten, seiner geliebten Servilia eine Perle im Wert von sechs Millionen Sesterzen zu schenken? Sechs Millionen für ein paar Nächte! Das muß man sich mal vorstellen. Also wenn ihr mich fragt, der Mann ist verrückt. Er setzt alles auf einen einzigen Wurf. Alles oder nichts.«

»Was meint ihr«, fragte Mahes Titianos, »sind Cäsars Legionäre auch an Amuletten interessiert?« Die römischen Händler lachten und ließen sich Wein nachschenken. »Wenn Cäsar nach Britannien übersetzt, um die Zinngruben zu plündern«, fuhr er trotzig fort, »werden seine Legionäre etwas brauchen, das sie vor dem Sturm schützt.« Mahes Titianos reichte Piso ein Amulett. »Es kostet fast nichts und schützt dich vor manchen Gefahren.«

Piso warf Mahes das Bronzeplättchen mit dem stilisierten Auge angeekelt zurück. »Ich will mit deinen Dämonen nichts zu tun haben!«

»Mein Gott ist gütig!« rief Mahes. »Wenn du das kaufst, wirst du gerettet werden, wenn die Welt in Stücke zerrissen wird.«

»Aber gegen Pompeius konnte es offenbar nichts ausrichten. Judäa ist in römischer Hand, und Jerusalem ist gefallen!«

Piso und die andern lachten herzhaft und prosteten sich zu.

»Weißt du, Korisios«, begann Piso, »in Judäa wimmelt es nur so von Propheten, Wunderheilern, Dämonenaustreibern, Heilanden, Gottessöhnen und anderen religiösen Fanatikern und Messiassen, die als Retter und Erlöser verehrt werden. Seit hundert Jahren predigen sie schon das Ende der Welt. Pompeius hat in Judäa schon Hunderte von diesen Irren ans Kreuz schlagen lassen, aber sie wachsen wie Unkraut nach! Du findest sie an jeder Straßenecke. Ihre Reinheits- und Speisevorschriften sind eine Folter, und sie maßen sich an, Verbrecher von ihrer Schuld zu befreien, ohne Gericht, ohne Tempel, ohne Priester, ohne Sühneopfer. Das ist hundertfache Götterlästerung! Aber das verrückteste ist: Sie haben nur einen einzigen Gott!«

Piso und die anderen Römer kugelten sich vor Lachen. Eine Religion, die nur einen einzigen Gott kannte, war nun wirklich das Dümmste, was sich ein Mensch überhaupt ausdenken konnte. Wenn wir mit einem Gott zerstritten waren, konnten wir uns wenigstens an einen anderen wenden.

»Wie wollt ihr über einen Gott urteilen, wenn ihr nicht mal den Unterschied zwischen Kelten und Germanen kennt? Ihr seid doch nichts anderes als ein ungehobelter Haufen versoffener Römer«, protestierte Mahes.

Die Römer lachten noch lauter und ließen sich von den stumm hinter ihnen stehenden nubischen Sklaven ihre Weinbecher nachfüllen. Silvanus rieb sich kichernd die Tränen aus den Augen: »Sag mal, Mahes Titianos, welchem unserer Götter entspricht denn dein einsamer Gott am ehesten? Iupiter oder …«

»Unser Gott ist der größte und der einzige wirkliche Gott«, schrie Mahes Titianos aufgebracht.

»Wieso hilft er dir nicht, deine Amulette zu verkaufen?« lachte Piso und klopfte sich vergnügt auf die Schenkel. »Du solltest Merkur opfern, der würde dir helfen!«

»Laßt ihn doch ausreden«, sagte C. Fufius Cita mit ruhiger Stimme und wandte sich interessiert an Mahes Titianos. »Der römische Merkur entspricht dem griechischen Hermes, dem keltischen Thur und dem germanischen Wotan, es ist wohl stets der gleiche Gott, der bei den verschiedenen Völkern nur einen anderen Namen trägt, aber dein Gott …«

»Sein Gott der Apokalypse …«, grölte einer, und alle lachten und machten eine vernünftige Diskussion unmöglich.

»Mahes Titianos«, gluckste Silvanus, »wenn dein Geschwätz nicht derart vergnüglich wäre, hätten wir dich schon längst gepfeffert und als römisches Schwein den Barbaren verkauft.«

»Er hat recht!« sagte ein Händler, der Ventidius Bassus hieß und mit Handmühlen und Karren handelte. »Wir Römer dulden Hunderte von Göttern und machen dabei keinen Unterschied, ob es eigene oder fremde sind, aber wenn einer kommt und behauptet, es gebe nur einen einzigen Gott, dann beleidigt er alle unsere Götter! Und deshalb wirst du eines Tages wie ein Verbrecher am Kreuz enden!«

Ventidius Bassus erhielt johlenden Beifall. Die meisten waren bereits so betrunken, daß sie wegen jeder Kleinigkeit in schallendes Gelächter ausbrachen. Entsprechend derb wurden auch ihre Sprüche. Ich konnte Niger Fabius' Blicken ablesen, daß er die Gesellschaft der Römer zwar erduldete, aber sie für ihre Zügellosigkeit verachtete.

Ein weiterer Römer betrat das Zelt. Es war kaum zu fassen. Es war Kretos! Der Weinhändler Kretos! Mit seiner Hündin Athena! Welch eine Überraschung! Er brüllte meinen Namen, als müsse man ihn bis nach Massilia hinunter hören, und umarmte mich herzlich. Es war mir, als würde ich einen kleinen Teil von Onkel Celtillus umarmen. Ich war richtig glücklich, Kretos in meinen Armen zu halten. Jetzt war Massilia nur noch ein Katzensprung! Und ich war richtig stolz, daß er mich inmitten von all diesen Händlern sah. Ich war nicht mehr der kleine Rauriker am Fuße der Eiche!

»Mir scheint, du stehst sicherer auf den Beinen, Korisios.« Das sagte er jedes Mal, wenn er mich wieder traf. Ich weiß nicht, ob er mir bloß Mut machen wollte oder ob es wirklich so war. Kretos bückte sich zu Lucia hinunter und strich ihr über den Kopf. Athena beschnupperte sie und wimmerte leise. Athena war Lucias Mutter. Ihre Schnauze war grau geworden. Aber sofort hatte sie Lucia als ihr ›Junges‹ erkannt. Irritiert schaute sie zu ihrem Meister hoch und gab seltsame Töne von sich. Ich denke, wir Menschen werden wohl nie verstehen, was wir den Tieren antun.

»Du bist groß geworden, Korisios. Ist dein Onkel Celtillus auch hier?« Ich zögerte. Das reichte Kretos bereits, um alles zu verstehen. Er nahm mich nochmals in die Arme und murmelte irgend etwas, das vermutlich für seine Götter bestimmt war. Dann begrüßte er die römischen Händler. Die meisten kannte er mit Namen. Auch Piso war ihm kein Unbekannter.

»Kretos, ich hab für dich was Neues entdeckt. Im Gasthof des Syrers Ephesus arbeitet eine gewisse Julia. Die hat so einen kleinen, satten Arsch …« Einige skandierten »Julia« und hoben ihre Becher, »Julia! Julia!« Als sich die Römer endlich über Julias offenbar außerordentlichen Hintern einig geworden waren, fragte ich die Anwesenden, wieso hier so viele Händler zusammengekommen seien. Ob hier regelmäßig ein Markt stattfinde? Schallendes Gelächter war die Antwort. Silvanus kotzte vor lauter Lachen auf den Boden, was die anderen noch mehr belustigte.

»Hier findet kein Markt statt, sondern Krieg«, lachte Piso und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Haben sich die Allobroger gegen Rom erhoben?« fragte ich verwirrt.

Sie brachen erneut in Gelächter aus, doch es ebbte schnell wieder ab. Offenbar tat ich ihnen leid. Mahes Titianos schaute mich ernst an. »In Rom geht das Gerücht, die Helvetier wollten die römische Provinz überfallen.«

»Das ist eine Lüge!« schrie ich. »Wir sind ein Volk auf Wanderschaft. Wir sind keine Armee auf Kriegszug. Wir wollen nicht in die römische Provinz einfallen. Wir durchqueren sie bloß, um nach Westen an den Atlanticus zu ziehen. Die Santonen haben uns fruchtbares Land überlassen.«

Piso schaut mich mitleidig an. Ich tat ihm tatsächlich leid. Offenbar gab es da etwas, das ich nicht verstand. »Korisios, ihr Kelten seid das Volk des Goldes. Während sich alle Völker in Bergwerken für jedes Staubkorn abrackern müssen, findet ihr den Goldstaub sackweise in euren Flüssen.«

»Ich sehe den Zusammenhang nicht«, log ich.

Der Händler mit der Wurzelnase lachte laut auf und grölte: »Ihr geht auf Wanderschaft? Das Volk des Goldes geht auf Wanderschaft? Ihr habt euer gesamtes Hab und Gut dabei! Euer gesamtes Gold! Auf Wanderschaft! Und du verstehst den Zusammenhang nicht?«

»Das ist so, als würde Julia mit ihrem Arsch an Cäsar vorbeischlenkern«, ergänzte Silvanus.

Piso grinste. »Es gibt für Gaius Julius Cäsar keine bessere Gelegenheit, an Gold zu kommen. Er muß keine Städte belagern, er muß sich keiner Armee stellen, er überfällt ein Volk, das mit Weib und Kind und Ochsenkarren und seinem gesamten Gold auf Wanderschaft ist.«

C. Fufius Cita bestätigte ihn: »So ist es, Kelte. Man sagt, der Wagenzug reiche bereits von der germanischen Grenze bis hierher. Über fünfzig Meilen. Das ist ein Spaziergang, das ist wie ein Wochenende auf Capri.«

Piso ließ sich verdünnten Caecuber nachschenken und lehnte sich müde zurück. Seine Augen waren vom vielen Wein gläsern und klein geworden. Ich war leicht irritiert. An diese Möglichkeit hatte ich nie gedacht. War Rom denn nicht ein Freund des keltischen Volkes? Hatte der häduerische Fürst und Druide Diviciatus das nicht mehrmals Divico versichert?

»Nimm's Cäsar nicht übel«, murmelte Piso, »es ist nichts Persönliches. Er hat nichts gegen euch. Er hat bloß Schulden.«

Wieder lachten alle. Bis auf Wanda, Mahes Titianos und Niger Fabius. Er schien mit mir zu leiden. Kretos versuchte den Mittelweg. Bei Scherzen lachte er verhalten mit, verstummte aber gleich, wenn sich unsere Blicke trafen.

»Cäsar hat bereits wieder über dreißig Millionen Schulden. Deshalb wird es Krieg geben.«

»Dann werden wir eben nicht durch die römische Provinz ziehen«, entgegnete ich trotzig.

»Tut mir leid, Druide«, entgegnete Piso, »aber Cäsar wird ein schutzloses Volk bis ans Ende der Welt verfolgen, um dieses Gold zu kriegen. Er kämpft, wie gesagt, nicht gegen euch. Er kämpft gegen seine Schulden.«

Der Händler mit der Wurzelnase, der so unsympathisch war, daß ich mir beinahe aus Trotz seinen Namen nicht merken wollte, fragte, ob es wahr sei, daß wir Kelten tonnenweise Gold in unseren Flüssen und Seen versenken würden. Ich schwieg. Ich war wütend.

»Ihr holt den Goldstaub aus dem Bach, schmelzt ihn zu Barren, verarbeitet ihn zu Schmuck und werft ihn dann wieder in den Bach.« Der Händler hielt kurz inne, damit die römischen Händler ausgiebig kichern konnten, und fuhr dann fort: »Ich habe gehört, daß ihr selbst die Kriegsbeute euren Wassergöttern opfert, jedes Pferd, jedes Schwert, jede Sesterze.« Ja, so war es. Schließlich kämpfen wir für die Ehre, und nicht für ein Weltreich. Aber ich schwieg weiter. Jetzt saßen sie tatsächlich wie Geier und Hyänen um mich herum.

»Ist es wahr, daß nur die Druiden wissen, welche Flüsse heilig sind?«

Ich überlegte fieberhaft, wie ich hier wieder rauskommen würde. Piso kratzte sich Essensreste aus den Zahnzwischenräumen.

»Aber all dieses Gold und Silber, dieser Schmuck und diese Waffen, die bleiben doch alle auf dem Grund dieser Seen. Und wenn ihr diese Seen seit Menschengedenken als Opferstätten benutzt, dann müssen dort ja unvorstellbare Reichtümer liegen.«

Der Kerl mit der Knollennase schaute mich an und meinte, wir könnten auf dieser Basis eigentlich ins Geschäft kommen. Ob man mich als Fremdenführer mieten könne? Er sei privater Unternehmer, Altmetallhändler und Lumpensammler, er habe von der römischen Armee eine Lizenz, die Schlachtfelder zu räumen. Aber in keltischen Flüssen fischen, das würde ihm mehr Spaß machen. Alle schauten mich erwartungsvoll an. Ich schaute jeden einzelnen an, bevor ich mich zu einer Antwort entschloß.

»Römer! In unseren Flüssen werdet ihr nicht nur Gold finden, sondern auch römische Standarten und Feldzeichen, römische Schwerter und Kettenhemden und hier und da einen römischen Adler.«

Beim Wort ›Adler‹ waren alle zusammengezuckt. Es galt als größte Schande Roms, ihn zu verlieren. Selbst Piso schien vorübergehend wieder nüchtern geworden zu sein. Ich war stolz auf die Wirkung meiner Worte und fuhr gleich fort: »Wir Kelten kämpfen nicht, um uns zu bereichern …«

»Das ist wahr«, unterbrach mich Silvanus, »es ist fast unmöglich, den Kelten in unseren Hilfstruppen Disziplin beizubringen. Die betreiben den Kampf wie die Griechen das Diskuswerfen. Die denken nur an eins: Köpfe sammeln. Sieg oder Niederlage, das ist ihnen völlig egal.« Auch was Silvanus sagte, war den meisten egal. Sie wollten jetzt mehr erfahren. Über das Gold.

»Wenn die Götter uns den Sieg schenken«, fuhr ich fort, »dann gebührt die Beute ihnen. Das sind wir den Göttern schuldig. Aber damit nicht irgendein niederträchtiger Wurm auf die Idee kommt, unsere heiligen Orte zu plündern, zerstören wir die Gegenstände, bevor wir sie ins Wasser werfen.«

Der Kerl mit der Wurzelnase schüttelte verärgert den Kopf. »Sei doch vernünftig, Kelte, wem nützt denn all dieses Gold auf dem Grund der Seen und Flüsse?«

»Es gehört den Göttern! Wir verarbeiten es und geben ihnen das meiste davon wieder zurück.«

»Hör auf! Ich würde es gerne bergen und wieder einschmelzen, aber man müßte natürlich wissen, wo diese heiligen Flüsse und Weiher sind.« Er stieß auf breite Zustimmung. Und wieder waren alle Augen auf mich gerichtet. Auch Wanda schaute mich an, als wolle sie sagen: Siehst du, das kommt davon, wenn man sich als Druide ausgibt!

»Wer versucht, das zu nehmen, was den Göttern ist, findet den Tod. Es ist kein leichter Tod. Es ist der qualvollste Tod, den man sich nur denken kann«, sagte ich mit leiser, prophetischer Stimme.

Die Händler schwiegen. Verärgert griff der Altmetallhändler zu einem Stück Fleisch und ließ sich den Becher nachfüllen. Piso suchte das vertrauliche Gespräch mit C. Fufius Cita, Cäsars privatem Getreideversorger, während sich Silvanus an Ventidius Bassus wandte und sich nach den Preisen für Handmühlen erkundigte. Ich war froh, daß die Diskussion ums Gold vorläufig beendet war. Aber ich machte mir keine Illusionen. Das Thema Gold ist nie beendet. Jedes Gold, das einmal geraubt worden ist, wird wieder geraubt.

Ich setzte mich zu Kretos. »Bist du unterwegs in den Norden oder auf dem Rückweg nach Massilia?« Beim Wort ›Massilia‹ bebte meine Stimme, denn so nahe war ich meinem Ziel noch nie gekommen. Kretos lächelte. Er kannte meine Träume. »Tut mir leid, Korisios, ich bin unterwegs in den Norden. Ich werde mit Ariovist Handel treiben. Dann werde ich über Gallien nach Massilia zurückkehren.«

»Es ist seine letzte Reise in Gallien«, spottete der Kerl mit der Knollennase, »denn wenn Cäsar Gallien erobert, brauchen wir die Griechen aus Massilia nicht mehr. Dann übernimmt Rom die Handelsrouten in den Norden und zu den britischen Zinninseln.«

»Hast du denn jemals einen Germanen gesehen?« schrie Kretos. »Ich prophezeie euch, daß ihr wie kreischende Weiber auseinanderstieben werdet! Nicht wahr, Korisios?«

Die Runde war etwas stiller geworden. Alle Augen ruhten auf Wanda; sie musterten sie wie Vieh auf dem Fleischmarkt. Wanda widerstand ihren Blicken, stolz und spöttisch. Und dann sagte sie: »So reden Hühner, wenn sie über den Wolf reden.« Mahes Titianos lachte laut auf, während Piso grinste und der Kerl mit der Knollennase rot anlief.

Plötzlich stürzte ein römischer Centurio in unser Zelt und schrie: »Cäsars Vorhut ist da!« Silvanus sprang sogleich hoch und rannte hinaus.

Auch der Schrotthändler, dessen Name ich mir nicht merken wollte, eilte hinaus und nahm zum Glück all die Händler mit, die die ganze Zeit über seinen Sprüchen lauthals applaudiert hatten. Nur C. Fufius Cita bedankte sich höflich für die Gastfreundschaft, bevor er uns verließ.

Piso ließ sich Wein nachschenken und setzte sich dann mit einer versöhnlichen Geste neben mich. »Siehst du, Korisios, das sind die Hyänen Roms.« Den Spruch hatte ich schon mal gehört. »Diese Händler folgen den römischen Legionen wie die Aasfresser den Nomaden. Sie versorgen die römischen Legionäre mit allem, was sie brauchen. Und sie kaufen ihnen all den Plunder ab, den sie mit Cäsars Erlaubnis plündern. Und wenn er die Helvetier besiegt und versklavt, dürften seine Soldaten gegen hunderttausend Sklaven erhalten. Und was sollen sie damit anfangen? Die Händler werden sie ihnen abkaufen und sie mit ihren Privatarmeen nach Rom bringen.« Er grinste zu Wanda rüber. »Bei den Frauen dauert es etwas länger. Aber wie auch immer – es gibt für einen Händler kein besseres Geschäft, als einem römischen Heer zu folgen. Die Händler sind genauso wichtig wie die Nutten, die du am Rande der Zeltlager finden wirst. Alexia ist übrigens die beste. Noch besser als Julia. Sag ihr, daß ich dich geschickt habe, dann macht sie's umsonst.« Piso versuchte aufzustehen. Nach dem zweiten Anlauf gelang es ihm sogar. Wankend wie ein benommener Krieger suchte er den Ausgang. Während er seinen Blähungen einen geräuschvollen Abgang erlaubte, bahnte er sich einen Weg auf dem mit Knochen, Fischgräten, Traubenstielen, Salatblättern und anderen Speiseresten übersäten Zeltboden. Ein Festmahl für Lucia!

Kretos ließ sich nochmals Wein nachschenken und griff nach einem Stück Fleisch. »Nimm's nicht persönlich, Korisios, Geschäft ist Geschäft. Wenn du willst, nehm ich dich auf dem Rückweg nach Massilia mit. Du kannst schreiben und lesen und beherrschst viele Sprachen. Du bist gescheit und kannst rechnen. Ich könnte einen wie dich gebrauchen. Selbst gebildete griechische Sklaven können da nicht mithalten.« Er schaute wieder zu Lucia runter und schüttelte schwach den Kopf, als könne er nicht begreifen, wie man einen dreifarbig gefleckten Hund schön finden konnte. Jetzt, wo Massilia in Reichweite lag, war ich wieder unschlüssig. Etwas hilflos schaute ich Wanda an. Sie lächelte und zeigte ihre schönen Zähne. Kretos wertete mein Zögern als Desinteresse.

»Korisios, wenn du dich bewährst – und daran zweifle ich keinen Augenblick –, würde ich sogar dafür sorgen, daß du Bürger von Massilia wirst.« Ich warf ihm einen skeptischen Seitenblick zu. »Bürger von Massilia?« fragte ich.

»Ja«, sagte Kretos, »als Bürger von Massilia darfst du dir in Rom die Spiele ansehen und auf den Rängen Platz nehmen, die den römischen Senatoren vorbehalten sind. Verstehst du, was es bedeutet, Bürger von Massilia zu werden? Wir haben zwar keine großen Armeen, aber als Kaufleute werden wir von Rom genauso geachtet wie gefürchtet.«

»Wie lange werden dich deine Geschäfte mit Ariovist aufhalten?«

»Ein halbes Jahr. Bleib mit deiner Sklavin so lange in Genava. Hast du genug Geld?«

»Ja«, sagte ich stolz, »ich könnte damit sogar zwei Jahre in Rom leben.«

Er legte mir die Hand auf die Schulter und suchte nach Worten. Schließlich sagte er: »Wenn es dir in Genava langweilig ist, kannst du dich auch in Cäsars Heer um eine Anstellung bewerben. Wenn du in Cäsars Diensten stehst, werde ich auch immer wissen, wo du bist, und dich dann abholen, wenn ich aus dem Norden zurückkomme.«

Kretos sah offenbar alles aus der Sicht des Händlers. Er teilte die Welt nicht in Kelten und Römer ein, sondern in interessante und weniger interessante Märkte.

»Komm, Korisios, du solltest dir Cäsars Ankunft nicht entgehen lassen. Dann wirst du vieles besser verstehen. Ihr Kelten könnt Cäsar nicht aufhalten, dafür seid ihr viel zu zerstritten. Aber Massilia könnte es.« Er hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. Seine Augen blickten geheimnisvoll, während er wie ein allwissender Gott lächelte. Ich lächelte zurück, obwohl ich von seinen Andeutungen überhaupt nichts verstand. Wir ließen uns von den Sklaven Wasserschüsseln zum Händewaschen bringen und verließen anschließend das Zelt.

Gemeinsam ritten wir zum Südtor des allobrogischen Oppidums, in dem schon Hunderte von Menschen die Hauptstraße säumten. Römische Legionäre und Hilfstruppen drängten die Schaulustigen mit ihren Speeren und Schilden zurück und hielten die Straße frei.

Als erste passierten allobrogische Kundschafter das Südtor. Diese berittene Hilfstruppe setzte sich meist aus Einheimischen zusammen. Wenig später trafen Kohorten der zehnten Legion ein. Ihre Schilder waren nicht wie üblicherweise auf dem Marsch mit Leder überzogen und am Rücken festgemacht, sondern griffbereit. Es war eine kampfbereite Legion. Offenbar wollte Cäsar für alle Eventualitäten gewappnet sein. Die Allobroger galten als launisch und aufständisch. Die nagelbeschlagenen Caligae der Legionäre und das Aneinanderreihen von Hunderten von Metallteilen erzeugten einen seltsamen, ja bedrohlichen Klang. Die Legionäre mußten in einem Gewaltmarsch hierhergebracht worden sein. Sie wirkten aber kaum von den Strapazen gezeichnet. Sie waren Härte und Disziplin gewohnt. Dafür wurden sie bezahlt. Sie marschierten in gleichmäßigem Schritt, jeweils vier Legionäre in einer Reihe. Ihre ovalen Schilde waren leicht nach innen gewölbt und reichten vom Kinn bis zu den Knöcheln. Doch im Gegensatz zu den Schilden der Zollbeamten waren die Schilde der zehnten Legion rot bemalt. Rot ist für uns Kelten die Farbe der Anderswelt, die Farbe des Sonnenuntergangs, die Farbe des Verderbens, die Farbe des Blutes, die Farbe der totalitären Macht. Die Männer dieser zehnten Legion waren nicht zu vergleichen mit den trägen Gestalten, die ich an der Rhodanusbrücke angetroffen hatte. Es waren Männer, die es gewohnt waren, gewaltige körperliche Anstrengungen ohne jedes Murren zu akzeptieren. Es waren Männer, die ihrem Feldherrn bedingungslos gehorchten. Es waren Cäsars Männer. Nicht Roms Legionäre. Cäsar hatte ihnen reiche Beute versprochen. Über die Herkunft der Beute hatte er sich allerdings ausgeschwiegen.

»Heil dir, Cäsar!« Plötzlich erschallten außerhalb des Oppidums begeisterte Rufe: »Heil dir, Cäsar!« Ich sah, wie ein Mann auf einem Schimmel das Südtor passierte. Er ritt aufrecht und stolz. Er trug einen kunstvoll verzierten Muskelpanzer. Über den Schultern trug er einen roten Umhang. Links und rechts wurde er von berittenen Hilfstruppen flankiert. Hinter ihm folgten die Offiziere, Legaten, Tribune und Präfekten. Doch ich hatte nur noch Augen für den Mann auf dem Schimmel. Ich hätte gerne von ihm gesagt, daß er den Eindruck einer vollgefressenen Ratte machte, aber es wäre nicht wahr gewesen. Gaius Julius Cäsar war eine Erscheinung, die es in gewissem Sinne mit unserem glorreichen Divico aufnehmen konnte. Auch er verkörperte die Unerschrockenheit und den Todesmut der Kelten, auch er präsentierte sich wie eine Naturgewalt, die durch nichts aufzuhalten war. Aber er hatte nicht wie Divico die Wildheit und Freiheitsliebe des Todesmutigen in den Augen, nein, in Cäsars Zügen sah ich die Skrupellosigkeit des kühl berechnenden Zynikers. Er war hager und blaß. Abschätzig und kalt musterte er die Menschen. Aber da war auch dieses stille Schmunzeln in seinen Mundwinkeln, dieser leise Spott, der den verschwenderischen Genießer und hemmungslosen Triebmenschen charakterisierte. Während der hinterlistige Taktiker siegt, stirbt der Mutige an seinem Mut. Cäsar war kein Kelte. Er war durch und durch Römer. Ehrgeizig bis in den Tod. Lieber sterben, als der Zweite sein.

»Heil dir, Cäsar«, schrien seine Legionäre erneut und reckten dabei den rechten Arm steil in den Himmel. Cäsar quittierte es mit einem Lächeln, als hecke er gerade einen besonders boshaften Plan aus.

Ich hatte genug gesehen. Ich mußte zurück zu meinem Stamm am anderen Ufer des Rhodanus. Aber zuvor wollte ich bei Niger Fabius dieses wunderschöne seidene Halstuch mit den beiden aufgestickten Pferden kaufen. Wer weiß, ob ich jemals wieder eine römische Provinz betreten würde. Ich hatte zwar all die Jahre immer davon geträumt, nach Massilia zu ziehen und eines Tages Rom zu sehen, aber jetzt war mir die Lust vergangen. Träume sind manchmal seltsam. Sie verleihen einem eine ungeheure Kraft. Man versetzt Berge, um ihnen ein Stück näherzukommen. Und wenn sie greifbar nahe sind, wendet man sich enttäuscht von ihnen ab. Ich war durcheinander. Was trieben die Götter für ein Spiel mit mir?

Ich verabschiedete mich von Kretos und sagte ihm, ich wolle sein Angebot noch ein paar Nächte überschlafen. Kretos hatte Verständnis.

»Laß dir Zeit, Korisios, ich werde bestimmt noch zehn Tage hiersein. Ich muß herausfinden, was Cäsar im Schilde führt.«

Niger Fabius freute sich sehr, mich noch einmal zu sehen. Er wollte mich gleich bewirten, aber ich sagte ihm, daß ich es sehr eilig habe. Er bot mir das Halstuch für zwei Silberdenare an und überließ es mir schließlich für einen. Daraus lernte ich, daß man grundsätzlich nie mehr als die Hälfte bezahlen sollte. Niger Fabius umarmte mich herzlich und betonte, daß ich jederzeit willkommen sei.

Mit Wanda ritt ich zur Brücke zurück. Ein bißchen wehmütig dachte ich an meine Ankunft in Genava. Ich hatte mich so gefreut, und plötzlich waren mit Cäsar schwarze Wolken am Himmel aufgezogen. Alles, was ich bisher über ihn gehört hatte, war plötzlich real und faßbar. Und vor allem bedrohlich.

Der Weg zur Brücke war von Hunderten von Legionären versperrt. Unter den Kommandos ihrer Centurionen legten die Soldaten ihre Kettenhemden ab und ergriffen das Werkzeug, das offenbar jeder mit sich führte. Die Legionäre waren so zahlreich, daß ich nicht bis zum Fluß hinuntersehen konnte. Man hörte bloß das Hämmern der Zimmerleute, die schweren Sägen der Pioniere und das Aufsplittern der Holzplanken unter den wuchtigen Axthieben der Legionäre. Ich ritt abseits des Zollareals zum Ufer hinunter. Ich traute meinen Augen kaum. Die Brücke wurde gerade abgerissen. Cäsar hatte den Befehl gegeben, die Brücke abzureißen! Wollte er uns nur davon abhalten, seine Provinz zu betreten, oder wollte er uns provozieren? Auf der anderen Seite des Ufers ging es ziemlich laut zu. Die Stimmung in den keltischen Zeltlagern mußte miserabel sein. Die meisten Auswanderer saßen seit Tagen gelangweilt herum und tranken vermutlich bereits die letzten römischen Weinfässer leer, die eigentlich bis an die Küste hätten reichen sollen. Einige Hitzköpfe brüllten, sie würden rüberschwimmen und Legionärsköpfe einsammeln. Es bedurfte vermutlich der Kraft und Autorität aller keltischen Fürsten und Druiden, um diese Heißsporne von ihrem Vorhaben abzubringen. Denn selbst wenn die Fürsten Frieden beschlossen hatten, wurde normalerweise toleriert, daß die Jungen nachts zum Spaß auf Kopfjagd gingen. In diesem Fall wollte man aber Cäsar nicht den geringsten Vorwand liefern.

Wanda und ich verließen trotzdem Genava. Wir wollten sehen, ob es entlang des Rhodanus irgendeine Möglichkeit gab, den Fluß zu überqueren.

Was uns außerhalb des Oppidums erwartete, überstieg jedoch erneut mein gesamtes Vorstellungsvermögen. Auf freiem Gelände errichtete Cäsars zehnte Legion in Windeseile ein Militärlager von etwa einer halben Meile auf eine halbe Meile.

»Korisios!« Ich entdeckte Kretos, der zusammen mit einigen seiner Freigelassenen, allesamt ehemalige griechische Sklaven, auf einem kleinen Hügel saß und den Legionären bei der Arbeit zusah. Wir setzten uns zu ihm.

»Paß gut auf«, sagte Kretos, »ein römisches Legionärslager ist wie ein Spielzeug, das die Götter in die Wildnis fallen lassen. Jedes wird nach dem gleichen Schema errichtet. Egal wie lange die Legionäre marschiert sind, am Ende des Tages schütteln sie ein Legionärslager aus dem Ärmel ihrer Tunika.«

Bereitwillig erklärte mir Kretos die Besonderheiten eines militärischen Lagers, während ich mir ernsthaft darüber Gedanken machte, wie eine Armee, die zu derartigen Leistungen fähig war, von einem Haufen undisziplinierter Kelten besiegt werden könnte.

Nach einigen Stunden überragte das römische Militärlager bereits jedes keltische Oppidum an planerischer Intelligenz und Verteidigungskraft. Ich konnte es kaum glauben. Diese zehnte Legion war tagelang marschiert und hatte nun in wenigen Stunden eine regelrechte Stadt in die Wildnis gezaubert. Man durfte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn diese Männer den Spaten mit dem Gladius tauschen würden. So klein, unbedeutend und machtlos hatte ich mich noch nie gefühlt.

Kretos schien betrübt. Seine Augen waren still und melancholisch. »Korisios, es ist alles wahr, was man erzählt. Cäsar spricht nur noch von Gallia Aurifera. Das Gold interessiert die Legionäre bald mehr als die Mädchen.« Nach einer Weile fügte er überraschend hinzu: »Ich sollte in Gallien eine Filiale eröffnen, um die Legionäre mit den Produkten aus ihrer Heimat zu beliefern. Aber wo, Korisios? Wo wird Cäsar im Herbst sein Winterlager errichten?«

Es war offenbar nicht der Krieg, der Kretos betrübte. Er hatte nur Angst, daß ihm ein Geschäft durch die Lappen ging. Er lächelte listig. »Ich brauche jemanden, der in Cäsars Dienste tritt und mir über alle Truppenbewegungen Bericht erstattet. Jemand, der Kontakte zu örtlichen Handwerkern knüpft und mir Listen von ihren Erzeugnissen schickt. Ich müßte auch wissen, welche Waren in welchen Gebieten rar, aber sehr gefragt sind. Ich müßte die Preise kennen, die man für einheimische Waren bezahlt, und die Preise, die man für Importgüter bezahlen würde.«

Ich konnte diesen Kretos einfach nicht verstehen. Cäsar war dabei, das keltische Gebiet, das er Gallien nennt, mit einem Privatkrieg zu überziehen, und er überlegte, wie er damit Geld verdienen konnte. Was war los mit mir? Kretos schien meine Gedanken zu erraten. Er berührte mein Knie und redete eindringlich auf mich ein: »Korisios, ich bin kein Feldherr, ich bin Kretos, der Weinhändler aus Massilia. Ich habe keine Armeen. Ich kann Cäsar nicht daran hindern, etwas zu tun, was sein Ehrgeiz oder seine Schulden ihn zwingen zu tun. Ich kann nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Du kannst einen Sturm, der übers Land zieht, nicht aufhalten, Korisios, du kannst nur versuchen, ihn zu überleben.«

Na ja, jeder Mensch denkt sich im Laufe der Jahre irgend etwas aus, um seine Handlungen zu rechtfertigen. Ich lächelte Kretos versöhnlich zu. Er hatte immerhin soviel Feingefühl gehabt, meinen Zwiespalt zu erkennen und darauf einzugehen. Wir vereinbarten, in den nächsten Tagen nochmals darüber zu sprechen. Lucia mochte ihn nicht sonderlich. Sie hatte nur Augen für ihre alte Mutter Athena.

Wanda und ich ritten noch eine Weile den Rhodanus entlang, aber da es bereits dunkel wurde, beschlossen wir, es morgen nochmals zu versuchen. Allerdings hatte ich bereits so meine Zweifel, daß es irgendwo noch eine Furt gab, die nicht von Legionären besetzt war.

Auf dem Rückweg ins Lager der Händler ritten wir an der abgerissenen Rhodanusbrücke vorbei. Überall waren allobrogische und kretische Bogenschützen, balearische Schleuderer und römische Legionäre in Stellung gegangen. Es war nicht zu übersehen, daß die Allobroger zwar ihren Dienst verrichteten, aber die Römer nicht sonderlich mochten. Und die Römer mißtrauten den unterworfenen Allobrogern zu Recht. Kein vernünftiger Feldherr wäre auf den Gedanken gekommen, in einem allobrogischen Oppidum zu übernachten. Sie waren für ihre spontanen Aufstände berühmt.

In der Mitte des Flusses ragten nur noch die im Flußbett verankerten senkrechten Pfosten aus dem Wasser. Sämtliche Planken und Querverstrebungen waren bereits entfernt worden. Planke für Planke arbeiteten sich die letzten römischen Pioniertruppen ans eigene Ufer zurück, wo sich mittlerweile eine ansehnliche Zahl von Legionären in einer Reihe aufgestellt hatte, dicht nebeneinander, wie ein Palisadenzaun aus Fleisch und Blut.

Die Nacht verbrachten wir in Niger Fabius' Zelt. Er erzählte uns mehr über Judäa, das Land und die Leute, und den Gott von Mahes Titianos. Ein einziger Gott war für Kelten, Germanen, Römer oder Griechen ungefähr so attraktiv wie die Vorstellung, sich ein Leben lang von ungewürzter Hirse und eingedicktem Mulsum zu ernähren.

»Weißt du, Niger Fabius, bei uns wohnen die Götter in der Natur, in den Seen, Flüssen, Hainen, Sümpfen, in den Bäumen und Wäldern, in den schwarzen Quellen und den Steinen. Wir haben Dutzende von Göttern. Jeder sucht sich den Gott aus, mit dem er am besten kann, denn jeder Gott ist anders und hat seine Vorzüge und Nachteile. Der eine Gott trinkt gern, der andere reitet gern, der eine beschützt uns im Krieg, während uns der andere einen bösen Streich spielt. Aber Mahes' Idee von einem einzigen Gott …« Ich schüttelte den Kopf.

Niger Fabius lächelte. »Es ist in der Tat eine sehr merkwürdige Religion. Während alle anderen Völker, die ich kenne, den von ihnen unterworfenen Stämmen ihre Götter lassen, beharren die Anhänger dieser seltsamen Religion darauf, daß es nur einen einzigen Gott gibt. Stell dir vor, es wäre die Religion der Römer: Die ganze Welt läge bereits in Schutt und Asche!«

»Ja«, pflichtete ich ihm bei. »Man kann ein Volk besiegen, aber man darf es nicht seiner Götter berauben!«

Niger Fabius winkte einem Sklaven. Jetzt, wo keine Römer mehr unter seinem Zeltdach speisten, gab's noch besseren Wein zu trinken: Falerner. Ich mache mir nichts aus Marken und Papyrusetiketten, aber wer jemals Falerner getrunken hat, weiß, wie schlecht alle gepanschten Weine sind, die er bisher getrunken und überlebt hat. Ich will sogar noch weitergehen und behaupten, daß möglicherweise der Falerner mich davon abgehalten hat, Druide zu werden. Ich meine das durchaus ernst. Zweitausend heilige Verse auswendig zu können ist schön und gut – Falerner ist besser.

Im Laufe des Abends gesellte sich Kretos zu uns. Er hatte zu seinem Schutz einen Söldner mitgebracht. Er ließ ihn draußen vor dem Zelt warten.

»Du solltest Sklavenhändler werden, Korisios«, brummte Kretos, als er sich niederließ und dankbar den Becher nahm, den ihm der Sklave reichte, »die können wenigstens alleine nach Rom laufen. Amphoren haben keine Beine.«

»Aber Amphoren haben keine traurigen Gesichter«, rief ich und ließ mir noch einen Becher Falerner nachschenken. »Nie im Leben werde ich Sklavenhändler. Das schwöre ich bei Taranis, Esus und Teutates. Die Erde soll mich verschlucken, die Sonne verbrennen und der Wind aus meinen Lungen weichen, wenn ich die Unwahrheit sage«, posaunte ich mit gestenreichem Pathos.

Wanda ließ sich nichts anmerken. Aber so, wie sie gelangweilt den Sklaven beim Nachschenken zuschaute, wußte ich genau, was sie dachte – daß ich mich zum Gespött machte. Was soll's. Welcher Gott schrieb mir vor, daß ich wie eine Salzsäule hier verharren sollte? Sucellos bestimmt nicht.

Kretos schien übelgelaunt. Möglicherweise hatte er meinen Alkoholpegel noch nicht erreicht. Vielleicht hatte er auch woanders bereits zuviel getrunken und die melancholische Stufe erreicht, die kurz vor dem Katzenjammer einsetzt. Hastig schlang er einen Bissen nach dem anderen runter, schüttete den Falerner wie Flußwasser in sich hinein, und es machte ganz den Anschein, als habe dieser Weinhändler aus Massilia beschlossen, sich zu Tode zu fressen.

»Wieso sollte Korisios Sklavenhändler werden?« fragte Niger Fabius. »Gegen die Händler aus Rom und Massilia kann er doch nicht antreten. Wie sollte er ein paar tausend Sklaven irgendwohin bringen? Die Sklavenhändler haben regelrechte Armeen von bezahlten Söldnern, die sie begleiten. Die verhandeln direkt mit Cäsar und kaufen ihm auf einen Schlag zwanzig-, dreißig- oder gar fünfzigtausend Sklaven auf einmal ab.«

»Ich würde ihn anheuern«, sagte Kretos und schaute mich prüfend an, »ich habe genug Geld und Männer, um in den Sklavenhandel einzusteigen.«

»Wenn auf einen Schlag fünfzigtausend Sklaven nach Rom gebracht werden, bricht der ganze Sklavenmarkt zusammen«, lachte ich. »Ich würde lieber etwas erfinden, eine Maschine, die zum Beispiel ganze Legionen vernichtet.«

Kretos schielte mißmutig zu mir rüber. Ich glaube, daß er sich ernsthaft überlegt hatte, in den Sklavenhandel einzusteigen. Ich hatte ihn offenbar enttäuscht. Wir aßen und tranken und entwarfen feuerspuckende Streitwagen, deren Räder mit scharfen Messern bestückt waren. Wanda saß wie eine gekränkte Ehefrau in der Ecke und beobachtete mich mit unverhohlener Mißbilligung. Als ich schließlich aufstehen wollte und es alleine nicht mehr schaffte, kannte ihre stumme Verachtung kaum noch Grenzen. Ich weiß nicht mehr, wie sie mich in Niger Fabius' Gästezelt brachte. Es hieß, ich hätte spät in der Nacht Niger Fabius' Pferden noch heilige Verse vorgesungen. Es hieß auch, ich hätte seiner Stute den Lauf der Gestirne erklärt und sei dabei von ihr sanft zu Boden geschubst worden. Ich weiß auch nicht, ob es wahr ist, daß ich meine Sklavin küßte, als sie mir wieder auf die Beine half.

In den frühen Morgenstunden riß jemand unsere Zeltplane zur Seite und schrie meinen Namen. Es war Silvanus, der Zolloffizier.

»Korisios, Cäsar sucht einen Dolmetscher! Die Helvetier setzen mit einer Delegation über den Fluß.«

Ich wusch mein Gesicht in einer Schale Wasser, die mir einer von Niger Fabius' Sklaven reichte, und war sofort hellwach.

»Komm mit, Wanda. Wir müssen aufbrechen.«

Ich hatte natürlich wenig Lust, Cäsars Dolmetscher zu werden, aber es war eine gute Möglichkeit, anschließend wieder ans andere Ufer zu gelangen.

Silvanus begleitete uns zum Militärlager. Dort herrschte bereits ein lebhaftes Treiben. Vor jedem Zelt loderten die Feuer der Kochstellen. Die Burschen der Legionäre versorgten die Maultiere, reinigten die Waffen, mahlten Getreide oder buken bereits Brotfladen in der Asche. Einige Legionäre hatten ihren freien Tag. Im Viertel der Handwerker wurde emsig gearbeitet. Legionäre, die ihren Centurio nicht ausreichend hatten bestechen können, reinigten die Latrinen. Hier und da sahen wir berittene Hilfstruppen der Allobroger, die sich offenbar frei im Lager bewegen konnten.

Wir ritten die Via Praetoria hinunter und blieben vor dem Praetorium, Cäsars gigantischem Feldherrenzelt, stehen. Es bestand aus mehreren voneinander getrennten Arbeits- und Privaträumen. Vor dem Zelt standen mehrere junge Männer herum. Um die Hüfte trugen sie die Schärpe, die sie als Tribunen auswies. Zu jeder Legion gehörten sechs dieser Grünschnäbel, einer stammte jeweils aus einer Senatorenfamilie, die übrigen fünf aus ritterlichen Familien. Die meisten von ihnen verrichteten hier ihren einjährigen Pflichtdienst, bevor sie in Rom die ersten Bestechungsgelder für ihre politische Karriere zahlten. Sie musterten uns abschätzig. Für sie waren wir nichts anderes als minderwertige Wilde. Zwei Prätorianer, Soldaten aus Cäsars Leibgarde, nahmen uns die Pferde ab. Darauf wurde der Eingang des Zeltes zurückgeschlagen, und ein Offizier mit verzinntem Muskelpanzer trat ins Freie.

»Ich bin Titus Labienus, Legat der zehnten Legion.« Die Legaten waren bei Abwesenheit des Feldherrn die eigentlichen Kommandanten einer Legion. Labienus musterte mich nachdenklich. Er schien enttäuscht. Er wandte sich an Silvanus: »Ist das der Mann, von dem du mir erzählt hast?«

»So ist es, Legat Labienus«, antwortete Silvanus militärisch knapp.

Labienus war um die Vierzig, hatte freundliche Augen und machte im Grunde genommen einen aufrichtigen, gradlinigen Eindruck.

»Wie heißt du, Kelte?« fragte er mich.

»Ich bin Korisios vom Stamme der keltischen Rauriker. Ich verstehe und spreche die keltischen Dialekte, ich verstehe auch das Germanische und spreche fließend Lateinisch und Griechisch.«

Labienus nickte geduldig und anerkennend. Dann lächelte er. »Und wo willst du das alles gelernt haben?«

»Er ist Druide«, sagte Silvanus leise.

Labienus' Lachen verflog.

»Ist das wahr? Du bist Druide?«

Das war es also. Sie hatten riesige Angst vor keltischen Druiden. Sie waren hier in der Wildnis und stießen auf Sitten und Bräuche, die ihnen fremd und unheimlich waren. Ich versuchte ein weises Lächeln aufzusetzen. Labienus hatte sich längst wieder gefaßt. Er schmunzelte. »Du bist noch sehr jung. Ich dachte immer, keltische Druiden tragen weiße Roben und schlohweiße Bärte und wandern mit goldenen Sicheln lautlos durch die Wälder.«

»Du suchst einen Dolmetscher«, entgegnete ich, »hier bin ich. Wenn du meine Dienste in Anspruch nehmen willst, so sag es.« Ich sprach laut und deutlich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Ich dachte, daß ich eine größere Wirkung erzielen würde, wenn ich die Frage, ob ich Druide sei, nicht beantwortete. Im übrigen würde bald die keltische Delegation hier eintreffen. Ich wollte nicht kompromittiert werden. Labienus versuchte mich immer noch irgendwie einzuschätzen. Er schien Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Schließlich sagte er auf griechisch: »Am Flußufer wartetet eine Delegation von Helvetiern auf unsere Genehmigung, den Boden unserer Provinz betreten zu dürfen. Bist du bereit, für uns zu übersetzen? Wir bezahlen dir dafür einen Silberdenar.«

»Ich bin gerne bereit, als Dolmetscher für dieses eine Treffen zu dienen«, entgegnete ich vorsichtig, ebenfalls auf griechisch, »aber meine Dienste kosten zwei Denare, Legat Labienus.«

Labienus lächelte kurz. Schließlich nickte er und gab Silvanus, der immer noch hoch zu Roß saß, ein Zeichen. Darauf preßte Silvanus die Schenkel in die Flanken seines Braunen und galoppierte die Via Praetoria hinunter.

»Wer ist diese Frau?« fragte Labienus freundlich und musterte sie noch eindringlicher, als er mich gemustert hatte. Zufrieden streiften seine Blicke ihre Brüste und ihre wohlgeformten Hüften, die sich unter der rotkarierten Tunika abzeichneten.

»Sie hat hier keinen Zutritt«, sagte er ruhig, während er sie unverhohlen anlächelte.

»Sie ist meine Sklavin«, antwortete ich wie ein stolzer Hahn, »sie ist mein linkes Bein.« Ich hakte dabei beide Daumen links und rechts in meinen Gurt. Jetzt sah Labienus endlich die blonde Mähne an meinem Gurt. Er schaute kurz hoch, direkt in meine Augen: »Germanenhaar? Gekauft?«

»Nein, Legat Labienus. Das Haar gehörte einem germanischen Fürsten, den ich im Zweikampf getötet habe. Seine Seele gehört jetzt mir und somit auch sein Haar.«

Labienus schien überrascht. Traute er mir den siegreichen Zweikampf gegen einen Germanen nicht zu, oder erstaunte ihn die Logik eines Kelten?

»Nun gut«, erwiderte Labienus, »Cäsars Dolmetscher soll zwei Beine haben. Wartet hier«, sagte er und kehrte ins Zelt zurück.

Wir standen nun vor dem kniehohen Wall, der Cäsars Feldherrenzelt umgab, und warteten. Die jungen Tribune tuschelten. Offenbar hatten sie noch nie eine Germanin gesehen. Jetzt verließ ein weiterer Offizier Cäsars Zelt. Er stellte sich als Primipilus vor, als ranghöchster Centurio der zehnten Legion. Im Gegensatz zu den Legionären trug er kein Kettenhemd, sondern einen verzinkten Schuppenpanzer, der in der Sonne wie Silber glänzte. In der Hand hielt er einen knorrigen Rebstock, die berüchtigte Vitis, die ihm erlaubte, über Leben und Tod eines Legionärs zu entscheiden. Er strotzte nur so vor Energie und Tatendrang. Er war ein typischer Vertreter jener Sonderlinge, die sich nur in abgeschotteten Männergesellschaften so richtig wohl fühlen und dann ganz unerwartet viel Herz und Fürsorge zeigen. Er strahlte mich an wie ein stolzer Vater. »Du solltest in Cäsars Schreibkanzlei eintreten, Kelte. Bedenke, daß du als Dolmetscher und Schreiber in römischen Diensten den Sold eines Unteroffiziers erhalten würdest. Wenn du unterschreibst, kriegst du ein Handgeld von dreihundert Sesterzen und danach dreihundert im Jahr. Das ist anderthalb mal mehr, als ein römischer Infanterist verdient.«

»Wie hoch ist der Sold eines Reiters? Ich kann nämlich auch reiten«, scherzte ich.

Der Primipilus lachte und musterte abschätzig die jungen Tribunen, die naserümpfend vor Cäsars Zelt ausharrten. Ein Primipilus ist ein Mann, der sich von ganz unten emporgearbeitet hat. Und zwar auf dem Schlachtfeld. Er stammt weder aus dem Ritter- noch aus dem Senatorenstand. Für eine berufliche Karriere steht ihm nur das Militär offen. Er hat verständlicherweise nichts übrig für diese eingebildeten jungen Spunde mit ihren gereckten Hälsen und bunten Schärpen. Der Primipilus hieß Lucius Speratus Ursulus. Er war kleiner, als es Römer eh schon sind. Aber seine Schultern waren breit und kräftig, und auch das Becken war viel breiter als bei den Menschen im Norden, so daß er den Eindruck eines gepanzerten Würfels machte.

»Überlege es dir gut, Kelte. Du findest nirgends unter der Sonne so gute Kameraden wie in der Legion. Und das Essen ist ausgezeichnet!«

Es war offensichtlich, daß mich dieser Lucius Speratus Ursulus ins Herz geschlossen hatte. Ich sagte ja schon mal, daß die größten Muskelprotze in meiner Nähe seltsame Beschützerinstinkte entwickeln. Ich kann gehen, wohin ich will. Stets taucht ein bärenstarker Kerl auf, der sich meiner annimmt.

Der Primipilus verabschiedete sich freundlich und ging die Lagerstraße hinunter. Wenig später hörten wir ihn wütend auf einen Legionär einschlagen, weil er offenbar seine Tuba nicht ordentlich gereinigt hatte. Als sein Stock brach, eilte ein Sklave mit einer neuen Vitis herbei, und der Primipilus, dem ich soeben rührende Beschützerinstinkte attestiert hatte, ergriff den neuen Stock und schlug dem armen Kerl, der winselnd zu seinen Füßen lag, eine blutige Schramme über die Stirn. Dann schaute er kurz zu mir rüber, lächelnd wie ein warmherziger, besorgter, stolzer Vater, so, als hätte er mir damit demonstrieren wollen, wozu er fähig wäre, wenn mir jemand in Zukunft auch nur ein Haar krümmen sollte. Anschließend schritt er energisch die Straße hinunter und inspizierte die Ehrengarde, die die Standarten, Adler und Vexilla bewachte.

Ich unterhielt mich ein bißchen mit Wanda auf germanisch. Das heißt, wir machten uns über die jungen Tribunen lustig, die unsere Sprache nicht verstanden.

Plötzlich ertönte eine Tuba. Sie klang wie das Stöhnen eines hemmungslos kopulierenden Stieres. Die ganze Via Praetoria füllte sich mit Legionären, die, angeführt von löwenfellbehangenen Standartenträgern, auf das Praetorium zumarschierten. Sie hielten vor dem kniehohen Wall, der Cäsars großes Feldherrenzelt umgab, an und bildeten eine Gasse. Darauf folgten verschiedene Offiziere und Verwaltungsbeamte, die vom Lagerpräfekten angeführt wurden. Sie blieben vor dem Praetorium stehen und stellten sich am Rand der Straße auf. So verteilten sich die Legionäre nach links und rechts, bis wir am Ende der Straße endlich die keltische Delegation sahen.

Sie wurde vom Fürsten Nammejus und dem vornehmen Druiden Verucloetius angeführt. Sie trugen prächtig versilberte Kettenhemden, kunstvoll verzierte Eisenhelme mit versilberten Wangenklappen und einem bronzenen Falken obenauf. Diese Falken hatten ausgestreckte, versilberte Schwingen, die bei jeder Bewegung auf und ab schwangen und den Helmträger noch größer und bedrohlicher erscheinen ließen. Es waren die Helme unserer Vorfahren. Sie waren uralt und wurden nur bei besonderen Gelegenheiten getragen. Beide Männer trugen protzigen, schweren Goldschmuck. Während sie aufrecht und stolz die Legionärsallee hinunterritten, ruhte die rechte Hand auf dem goldenen Knauf des langen Eisenschwertes. In der Linken hielten sie einen mannshohen goldenen Schild mit hervorstehenden Tiergestalten und Ornamenten, die von außergewöhnlicher Kunstfertigkeit waren. In ihrer Gefolgschaft fanden sich weitere Adlige, die nicht minder protzig herausgeputzt waren. Sogar die Druiden beteiligten sich an dieser kuriosen Hahnenschau. Sie trugen aufwendig bestickte weiße Roben und wurden von halbnackten germanischen Sklaven in kurzen Felltuniken begleitet. Man hatte ohne Zweifel die größten, breitschultrigsten und kräftigsten Germanen ausgesucht, denn ich selbst hatte noch nie derartige Männer gesehen. Man kann schon sagen, daß unsere Delegation einen imposanten Eindruck machte. Besonders mit diesen hünenhaften Sklaven, die die römischen Legionäre um zwei Köpfe überragten und so wild und ungezähmt dreinschauten, als könnten sie einen jederzeit anspringen und mit ihren schaufelartigen Pranken zerquetschen. Amüsiert registrierte ich den Schrecken, der sich auf den bleichen Gesichtern der Tribunen breitmachte. So was hatten die noch nie gesehen. Die keltischen Fürsten genossen das stumme Erschauern der kleingewachsenen Römer. In diesem Augenblick war ich richtig stolz, ein Kelte zu sein. Aber über das viele Gold, das die keltische Delegation zur Schau stellte, freute und ärgerte ich mich gleichermaßen. Bestätigten sie damit nicht das Gerücht, wonach wir das Volk des Goldes waren? Hatte Cäsar seinen Legionären nicht reiche Beute in ›Gallia Aurifera‹ versprochen?

Die Delegation kam vor Cäsars Zelt zum Stehen. Prätorianer nahmen die Zügel ihrer Pferde und führten sie hinters Zelt. Cäsar ließ sich Zeit. Er ließ sich Zeit, obwohl ich aufgrund des Schattens erkannte, daß er bereits hinter dem Zeltvorhang stand. Dann trat er in Begleitung seines Legaten Labienus und seiner zwölf in blutrote Togen gekleideten prokonsularischen Liktoren ins Freie. Wie Pfeile schossen die Arme der Legionäre steil in den Himmel empor. »Heil dir, Cäsar!« erscholl es von überallher. Der Adler wurde stoßweise in den Himmel gereckt. Die Legionäre schlugen mit den Gladien auf ihre blutrot bemalten Schilde. Das Spektakel der sechstausend Legionäre war beeindruckend. Es klang wie das Aufheulen einer gigantischen Kriegsmaschine. Cäsar genoß den Empfang und blickte die keltische Delegation respektlos an. Zu Fuß war Cäsar eher enttäuschend. Dünn und schmächtig. Ja, er wirkte fast zerbrechlich. Er war kein Krieger, der imponieren konnte. Unheimlich war nur dieses Lächeln, das um seine Lippen spielte. Es war das Lächeln eines Mannes, der sich seiner geistigen Fähigkeiten bewußt war und unbeirrt und unerschrocken seine egoistischen und ehrgeizigen Ziele verfolgte. Seine lebhaften schwarzen Augen strahlten eine Unbeugsamkeit und Rücksichtslosigkeit aus, die schlicht beängstigend war. Das war kein Mann, der das Gespräch oder den Konsens suchte. Dieser Mann suchte den Erfolg um jeden Preis. Er suchte den totalen Sieg.

»Ich bin Gaius Julius Cäsar, Prokonsul der Provinz Gallia Narbonensis. Meine Tante Julia stammt mütterlicherseits von den Königen ab, knüpft väterlicherseits an die unsterblichen Götter an. Denn von Ancius Marcius, dem vierten König Roms, stammen die Marcier mit dem Beinamen Rex, und so hieß meine Mutter. Von der Venus hingegen stammen die Julier, und zu dieser Sippe gehört meine Familie. Also lebt in meinem Geschlecht die Majestät der Könige, die unter den Menschen am mächtigsten sind, und die Heiligkeit der Götter, in deren Gewalt selbst die Könige stehen.«

Mit weitausholenden, theatralischen Gesten hatte Cäsar seine Abstammung kundgetan.

Cäsar schaute kurz zu Labienus hinüber. Der Legat nickte mir zu. Ich begann nun, meine zwei Silberdenare zu verdienen. Die keltische Delegation hörte meiner Übersetzung unbeeindruckt zu. Als ich fertig war, nickte ich Labienus zu, und Cäsar fuhr fort:

»Kelten! Sprecht! Rom hört.«

Ich übersetzte gleich, ohne Labienus vorher einen Blick zuzuwerfen.

Nammejus ergriff das Wort. Im Gegensatz zu Cäsar schaute er mich jeweils kurz an, wenn er wünschte, daß ich mit der Übersetzung fortfuhr. Auch er konnte es natürlich nicht lassen, seine edle Abstammung hervorzuheben, genauso wie die heldenhaften Taten all unserer Vorfahren. Obwohl ich keinerlei Sympathie für diesen römischen Prokonsul empfand, lag mir doch einiges daran, ihn zu beeindrucken. Vielleicht war es auch bloß mein keltisches Blut, das nach Ruhm, Ehre und öffentlicher Anerkennung lechzte. Aber ich stellte zu meiner eigenen Überraschung fest, daß ich nicht der keltischen Delegation, sondern diesem Gaius Julius Cäsar imponieren wollte.

Endlich kam Nammejus zur Sache: »Ich bin Nammejus, Fürst der Helvetier, und beauftragt, für sie zu sprechen. Vor drei Jahren beschloß unser Volk die Auswanderung ins Gebiet der mit uns befreundeten Santonen an den Atlanticus. Die Allobroger gaben uns damals die Erlaubnis, ihr Gebiet zu durchqueren. Dieses Gebiet ist heute römische Provinz. Prokonsul, wir sind willens, deine Provinz ohne Feindseligkeiten zu durchqueren. Wir haben keine andere Möglichkeit, das Gebiet der Santonen zu erreichen. Wir bitten dich hiermit um die Erlaubnis, durch deine Provinz marschieren zu dürfen. Wir haben genügend Proviant, um niemandem zur Last zu fallen. Und wir bieten große Mengen Gold als Pfand an.«

Cäsar nickte knapp und setzte einen gelangweilten Gesichtsausdruck auf. Er schaute kurz zu mir, musterte mich emotionslos und begann dann zu sprechen.

»Fürst Nammejus, ich habe das Anliegen deines Volkes zur Kenntnis genommen. Ich muß mir euer Vorhaben überlegen. Trage dein Anliegen an den Iden erneut vor. Dann werde ich dir meine Antwort geben. Es ist die Antwort des römischen Senats und des Volkes von Rom.«

Mit diesen Worten verschwand Cäsar wieder in seinem Zelt, und das Gestöhn des verendenden Ochsen, das die Römer als musikalisches Signal ihrer Tuba betrachten, erschallte über das gesamte Lager.

»Nammejus«, fragte ich den Fürsten, »darf ich mit euch zurückkehren?« Ich sprach in helvetischem Dialekt, so daß es kein Römer verstehen konnte. Anstelle von Nammejus antwortete der Druide Verucloetius.

»Korisios, in diesem Zelt wirst du deinem Volk von größerem Nutzen sein. Bleib hier, bis wir wiederkommen. Hab Geduld, Korisios, denn die Taten der Götter sind oft unergründlich, und erst spät offenbart sich der göttliche Plan, der ihnen zugrunde liegt.«

Ich nickte dem Druiden zu. Ich war bereit, acht Tage hier auszuharren.

Die Prätorianer brachten die Pferde wieder, und die keltische Delegation verließ das Lager.

Labienus trat zu mir und reichte mir zwei Silberdenare. »Komm morgen wieder, zu Beginn der siebten Stunde.« Das war so um die Mittagszeit.

»Braucht ihr morgen einen Dolmetscher?« fragte ich erstaunt, bereits ein Komplott witternd.

»Aulus Hirtius will dich sehen.«

»Aulus Hirtius?«

»Er leitet den Schriftverkehr des Prokonsuls in dessen Schreibkanzlei.«

Labienus reichte mir eine versiegelte Pergamentrolle und schmunzelte. »Das ist für einen Kelten die einzige Möglichkeit, lebend ein römisches Lager zu betreten. Also, trag es bei dir, wenn du morgen vor der Porta praetoria stehst.«

Ich kehrte mit Wanda zu Niger Fabius zurück und erzählte ihm, was ich soeben gesehen und gehört hatte. Ich wollte gerade diesen Aulus Hirtius erwähnen, als der Centurio Silvanus das Zelt betrat. Draußen standen ein paar Legionäre rum.

»Niger Fabius, kaufst du meinen Männern ungemahlenes Korn ab? Jeder hat zwei Librae …«

»Und wieviel seid ihr?« lächelte Niger Fabius.

»Wir sind fünfzehn.«

»Wofür brauchen deine Männer Geld?« lachte Niger Fabius.

»Du wirst es nicht glauben, Niger Fabius, aber damit kaufen sie gebackenes Brot. Sie sind zu faul, um ihre Kornration zu mahlen. Statt Korn zu mahlen, wollen sie auf den Feldern Barbarinnen vögeln.«

Ich muß gestehen, daß ich die derbe Sprache der Legionäre nie gemocht habe. Und für diesen parfümierten Zolloffizier Silvanus hatte ich ohnehin nie etwas übriggehabt. Er hatte mir heute Arbeit verschafft, sicher, aber nicht, um mir zu helfen, sondern um sich beim Lagerpräfekten einzuschmeicheln.

»Silvanus«, sagte ich, »wieso lassen sich die Legionäre auf ein derart schlechtes Tauschgeschäft ein? Ein fertiges Brot kostet soviel wie zwei Tagesrationen Weizen!«

Silvanus winkte ab. »Im Lager ist das Goldfieber ausgebrochen. Alle reden vom Krieg und von der bevorstehenden Beute. Sie haben Kopf und Verstand verloren und beginnen sich zu verschulden. Jeder rechnet mit zwei bis drei Sklaven und einer Handvoll Gold. Jeder sieht sich schon als Crassus im Kettenhemd!«

Die Soldaten, die draußen vor dem Zelt standen, brachten den Weizen in Säcken herein. Niger Fabius bezahlte. Mit einem Teil des Erlöses kaufte Silvanus Reis und Safran. Offenbar hatte ihm das Reisgericht geschmeckt.

»Wo bleiben eigentlich die Legionäre der zehnten Legion?« fragte Niger Fabius. »Die würden in einer Stunde all meine Vorräte aufkaufen.«

Silvanus grinste übers ganze Gesicht.

»Sie bauen am Flußufer einen Damm mit vorgelagertem Graben. Neunzehn Meilen lang und sechzehn Fuß hoch. Von Genava hinüber zum Jura.«

»Das kann ja ein Lebenswerk werden«, spottete ich, bemüht, nicht die Fassung zu verlieren.

»Cäsar hat bereits zusätzliche Männer rekrutieren lassen. Sie roden Bäume und errichten in regelmäßigen Abständen feste Türme.«

»Glaubt Cäsar denn wirklich, daß wir ohne seine Einwilligung den Fluß durchqueren?« Ich war richtig wütend. Dieser schmächtige Zwerg von Prokonsul rüstete unverdrossen zum Krieg, obwohl keiner mit ihm kämpfen wollte.

»Wenn ihr versuchen würdet, den Fluß zu überqueren, würdet ihr Cäsar einen großen Gefallen tun«, grinste ein Legionär, der mechanisch ein Lorbeerblatt zwischen den Zähnen kaute. »Wenn ihr es nicht tut, werden wir uns am Schluß noch als Kelten verkleiden müssen, damit es ein bißchen Krach gibt und die in Rom zusätzliche Legionen bewilligen.«

Am nächsten Morgen saß ich mit Wanda am Ufer und schaute zu, wie ein paar tausend Legionäre unter präziser Anleitung ihrer Centurionen routiniert und diszipliniert einen Graben aushoben. Den Aushub verwendeten sie gleich für den dahinterliegenden Damm. Es grenzte einmal mehr an Zauberei. Ich verstehe, wieso manchmal Händler erzählen, daß Rom die Welt mit dem Spaten erobert. Eine römische Legion besteht nicht aus Individualisten, sondern aus einem gesichtslosen, monumentalen metallenen Bauwerk, das wie eine Lawine durch die Wildnis rollt und alles platt macht, was sich ihm in den Weg stellt.

Der Primipilus hatte sich inzwischen zu uns gesellt, und zusammen kommentierten wir den Fortgang der Arbeiten.

Lucius Speratus gab mir einen freundlichen Klaps auf die Schulter und zeigte dann in die Ferne: »Schau mal Korisios, der Turm steht bereits.«

Es war wirklich unfaßbar. Am Ufer war ein hölzerner Turm mit drei Stockwerken errichtet worden. Eigenartig gekleidete Bogenschützen kletterten flink die Leiter hinauf und gingen auf dem obersten Stockwerk in Stellung.

»Das sind kretische Bogenschützen. In wenigen Tagen wird das linke Rhodanusufer auf einer Länge von neunzehn Meilen verschanzt sein, und es werden ein Dutzend Befestigungstürme stehen.«

»Neunzehn Meilen?« Ich war schockiert.

»Ja, neunzehn Meilen. Aber an einigen Stellen ist das Ufer so steil, daß uns die Natur die Arbeit abgenommen hat.«

Es war erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit diese Wehrtürme hochgezogen wurden.

»Das ist das Verdienst des Ritters Mamurra! Er ist der genialste Ingenieur unter der Sonne. Aber geh ihm aus dem Weg. Er ist ein übler Hurenbock!«

Ursulus überblickte stolz das linke Rodanusufer. Dann schaute er mich an und meinte, ich hätte Glück, am linken Ufer zu sitzen.

»Ursulus, eure Götter müssen sich wirklich noch was ausdenken, wenn sechstausend Legionäre ein keltisches Heer von neunzigtausend aufhalten wollen.« Ich hatte die Zahl der waffenfähigen Krieger, nach römischer Art, kurz verdoppelt.

»Wir haben Zeit«, brummte Ursulus. »Cäsar läßt in der Umgebung bereits neue Truppen ausheben. Wir müssen nur Zeit gewinnen. Wir müssen nicht kämpfen. Denn häufiger vernichtet die Not ein Heer. Der Hunger ist schrecklicher als das Eisen. Wie wollt ihr ein ganzes Volk ernähren, das über Wochen an einem Ufer festklebt? Ihr werdet eure Pferde schlachten. Wir werden euch besiegen, ohne einen einzigen Pfeil abgeschossen zu haben.«

»Wenn Cäsar uns den Durchmarsch verweigert, werden wir halt einen anderen Weg suchen. Aber wir werden die Grenzen der römischen Provinz achten. Wir wollen an den Atlanticus, nicht in die Anderswelt.«

»Tritt in Cäsars Dienste, Korisios. In Cäsars Diensten bist du der stärkste Kelte!« sagte Ursulus, während er Lucia sanft über den Rücken strich.

»Meinst du?« fragte ich und rümpfte theatralisch die Nase.

Ursulus erhob sich vielsagend lächelnd und schritt stolz erhobenen Hauptes das Ufer hinunter. Hier und da rief er einem Optio oder Legionären etwas zu oder packte selber mit an. Er war der Primipilus, von seinen Männern vergöttert. Heute hatte er sogar seinen gefürchteten Rebstock vergessen.

Ich ritt mit Wanda das Ufer entlang und legte mich an einer Stelle, die noch keine römische Nagelsandale zertrampelt hatte, ins Gras. Ich konnte schließlich nicht den ganzen Tag zuschauen, wie ein Turm nach dem anderen hochgezogen wurde. Schweigend lagen wir da, Wanda und ich. Lucia lag unten beim Fluß auf der Lauer. Ich glaube, es war ein ganz banales Mauseloch. Meine Gedanken schweiften ziellos umher. Massilia, Kretos, Cäsars Schreibkanzlei, Basilus, die Insel Mona, Wein, Wanda. Die Stunden vergingen.

»Was hast du eigentlich vor, Herr?«

Ich schaute Wanda überrascht an. Sie spielte mit Lucia, die ohne Erfolg von ihrer Mäusejagd zurückgekehrt war.

»Jaja«, spottete sie, »es steht einer Sklavin nicht zu, ihren Herrn über seine Pläne auszufragen. Von mir aus kannst du dir vorstellen, daß dein Ledergurt soeben zu dir gesprochen hat.«

So kannte ich Wanda gar nicht. Sie legte plötzlich einen eigenartigen Humor an den Tag. Und dann dieser Blick! Ich wurde richtig verlegen und wußte nicht mehr, wohin mit meinen Augen und Händen. Ich zog das seidene Tuch mit den goldenen Pferden unter meinem Gurt hervor und befühlte die zarte Seide. Lucia schnupperte daran und wollte damit spielen, aber dafür war es wirklich zu kostbar.

»Willst du mir das schenken?« fragte Wanda.

Jetzt wurde sie auch noch frech. Kein Mensch schenkt einer Sklavin ein Seidentuch.

»Gefällt es dir?«

»Oh ja«, lachte sie.

»Es gehört sich nicht, eine germanische Sklavin zu beschenken, aber an deinem Hals ist es besser aufgehoben als an meinem Gurt.«

Wanda glaubte mir kein Wort. Amüsiert reckte sie ihren Hals, damit ich ihr das seidene Halstuch umbinden konnte. Ihr Mund kam mir dabei so nah, daß ich ihren Atem riechen konnte. Und plötzlich hörte ich mich sagen: »Weißt du eigentlich, daß du viel besser riechst als all die Parfüme und Öle von diesem arabischen Händler?«

Ich ließ mir Zeit mit dem Umbinden.

»Und deine Augen sind schöner als all die kostbaren Smaragde, Rubine und Lapislazuli, die ich gestern gesehen habe, Korisios.«

Sie schloß die Augen und suchte meine Lippen. Ich nahm sie sanft in meine Arme und hielt sie fest. Wild und stürmisch, zuckend wie eine Schlange, drängte ihre Zunge in meinen Mund, während sie mit flinken Handbewegungen mein Glied freimachte und sich rittlings auf mich setzte. Sie warf den Kopf zurück und kreuzte die Hände im Nacken. Mit rhythmischen, stummen Bewegungen stieß sie ihr Becken immer rascher nach vorn, während mein Glied immer härter und tiefer in sie eindrang. Ich preßte sie an mich, liebkoste mit den Lippen ihre Brüste, die spitz und hart waren, und ich spürte, wie sich ihre Fingernägel in meine Schulterblätter gruben, während ihr Atem laut und gehetzt wurde und ich wie ein aufheulender Wolf ihren Namen in die Nacht hinausschrie: Wanda!

Erst in den frühen Morgenstunden fielen wir erschöpft und satt in den verdienten Schlaf. Ich fühlte mich leer und ausgepumpt. Es war eine friedliche Leere, die Leere der Liebenden, in der es weder Nächte noch Tage gibt, die Leere, in der keine Stunden mehr gezählt werden und Vergangenheit und Zukunft zerrinnen, als hätte die Welt den Atem angehalten.

Als die Sonne im Osten aufstieg, lagen wir immer noch erschöpft nebeneinander, und aus jeder Pore drang der Geruch von Schweiß und Liebe. Mein Glied brannte. An einer Stelle war es etwas geschwollen. Lucia beobachtete mich, hob kurz den Kopf und ließ ihn dann wieder mit einem Seufzer auf ihre ausgestreckten Vorderläufe gleiten. Es schien so, als wolle sie mir mitteilen, daß man auch in der längsten Nacht nicht alles nachholen kann, was man in den letzten Jahren versäumt hat.

Wir wuschen uns in einem nahen Bach und befühlten liebevoll und zärtlich die Wunden, die wir uns letzte Nacht in unserer wilden Leidenschaft zugefügt hatten.

»Sind die germanischen Frauen alle so wild?« flüsterte ich.

»Und die keltischen Männer?« lächelte Wanda.

»Na ja«, sinnierte ich, während wir uns auf die großen Steine im Bachbett setzten. »Onkel Celtillus hat mir erzählt, daß die Frauen sehr unterschiedlich seien. Es gebe solche, bei denen man einschliefe, aber auch solche, die einen in einen Vulkan verwandeln. Und bei den Männern soll es ähnlich sein.«

Lucia wartete ungeduldig am Ufer und bellte uns an. Ich spritzte sie an, doch sie wich nur kurz zurück, schüttelte sich und kam wieder näher ans Wasser, um weiter zu bellen. Ich setzte mich rittlings hinter Wanda auf den flachen Stein und nahm ihr das seidene Halstuch ab. Ich griff nach einem kleinen, von der Strömung kugelrund geschliffenen Kiesel und umwickelte ihn mit dem Halstuch. Ich band die vier Enden so fest, daß er nicht mehr herausfallen konnte. Dann warf ich den mit dem kostbaren Seidentuch umwickelten Stein in den Bach.

»Ein ganzer Silberdenar, nicht wahr«, murmelte Wanda vorwurfsvoll. Ich zog sie näher an mich heran, so daß ich ihren Nacken liebkosen konnte.

»Die Götter haben mir deine Liebe geschenkt. Es wäre nicht gut, wenn ich mich dafür nicht bedanken würde.«

»Ich lag in deinen Armen, Herr, nicht deine Götter.«

Ich knabberte an ihrem linken Ohr und flüsterte, daß Onkel Celtillus hier sei. Er lebe zwar in der Schattenwelt, aber die Anderswelt der Toten und unsere Welt seien eins. Und ich spüre ganz deutlich, daß Onkel Celtillus jetzt am Flußufer säße. Denn Lucia wimmerte leise. Sie schien bewegt, beunruhigt, aber nicht beängstigt. Sie wich nicht von der Stelle. Onkel Celtillus hatte mir nicht nur eine Sklavin geschenkt, er hatte mir offenbar auch die Liebe dieser Sklavin geschenkt.

Mein Glied brannte, als ich von hinten in Wanda eindrang, doch jetzt, wo ich Onkel Celtillus am Ufer wußte, konnte mir nichts mehr passieren. Ich spürte, daß er seine Freude daran hatte.

»Druide«, flüsterte Wanda, während die Brustwarzen ihrer Brüste, die ich von hinten fest umklammert hielt, hart wurden wie die Spitzen eines Pfeiles, »Druide, sollten wir nicht warten, bis unsere Schürfungen geheilt sind?«

»Unverdünnter Wein wird unsere Wunden reinigen, und der Honig wird die Wunden verschließen«, keuchte ich, während ich ihr erklärte, wie man mit Baldrian und Myrrhe Wundbrand verhinderte, und ihr die wichtigsten Kräuterezepturen erklärte, die auf Basis von Harz- und Fettbeimischungen erstellt wurden. Und bald wußten wir beide nicht mehr, ob der Schmerz oder die Lust größer waren, und laut, besessen und hemmungslos erreichten wir den Höhepunkt, und es hätte mich nicht gewundert, wenn wir dadurch die zehnte Legion angelockt hätten.

Gegen Mittag ritten wir zum römischen Lager zurück. Immer wieder suchten wir den verliebten Blick des andern und begriffen nicht so recht, wie uns geschehen war. Als wir uns der Porta praetoria auf hundert Schritte genähert hatten, sahen wir eine Einheit von syrischen Bogenschützen mit spitzen Helmen. Ihre Kleidung war orientalisch: lange, dunkelgrüne Tuniken, die bis zur Ferse reichten, darüber ein überlanges Kettenhemd mit zackenartigem Abschluß. Sie spannten ihre kurzen Reflexbögen und legten Pfeile auf. Ich reichte dem leitenden Wachposten die Papyrusrolle, die Labienus mir gestern gegeben hatte. Der Posten zog einen Offizier zu Rate, der mich aufmerksam musterte. Dann gab er einem keltischen Reiter den Befehl, uns zur Kanzlei zu bringen. Der Kelte hieß Cuningunullus und war Häduer. Obwohl in römischen Diensten, trug er immer noch die karierte keltische Wollhose, die an den Knöcheln mit einem Lederriemen zugeschnürt war. Auch Schwert und Lanze waren keltisch. Selbst in römischen Diensten war er noch stolz darauf, ein Kelte zu sein, und wenn er unter römischen Standarten gegen Kelten kämpfte, würde er vermutlich als stolzer Kelte kämpfen, wie mein Vater damals in römischen Diensten als stolzer Kelte gekämpft hätte, wenn nicht diese unsägliche Geschichte mit der Muschel gewesen wäre, an der er sich einen Zahn ausgebissen hatte.

»Ich habe gehört, du bist Druide«, sagte Cuningunullus. Ich nickte. Dieses würdevolle Schweigen war mir mittlerweile zur Gewohnheit geworden.

»Gibt es ein Kraut, das den Augen hilft, die Berge wieder klar zu sehen?«

»Nein«, entgegnete ich knapp.

»Aber die Römer kennen Hunderte von Salben …«, gab er ungeduldig zurück.

»Die Römer kennen deshalb Hunderte von Salben, weil keine davon etwas taugt.« Cuningunullus grinste übers ganze Gesicht. Offenbar leuchtete ihm meine Antwort ein.

»Siehst du die Berge hinter einem Schleier, oder siehst du Zwillinge?« fragte ich Cuningunullus.

»Verschleierte Zwillinge«, brummte der Häduer zögernd.

»In deinen Augen leuchtet die gelbe Farbe. Es ist nicht das Gelb der Sonne, sondern das Gelb eines stinkenden Eis. Du solltest weniger saufen, Cuningunullus.«

Der Häduer blickte mich verwirrt an. Offenbar hatte er es nicht für möglich gehalten, daß jemand ihn auf den ersten Blick als notorischen Säufer entlarvte. Er grinste. »Ich werd's versuchen, Druide. Als Dank möchte ich dir dafür einen Rat geben. Ich habe gehört, daß du das Gespräch zwischen der helvetischen Delegation und dem Prokonsul übersetzt hast und daß dich Aulus Hirtius, der Leiter von Cäsars Schreibkanzlei, gerne verpflichten würde. Ich rate dir, dieses Angebot anzunehmen. Unsere Väter konnten bloß als Söldner anheuern. Aber wir können als Auxiliareinheiten in Cäsars Dienste treten. Wir haben immer genug zu essen, wir werden großzügig entlohnt, und nach Abschluß unserer Dienstzeit erhalten wir sogar das römische Bürgerrecht. Deine Nachkommen werden römische Bürger sein! Denk an deine Kinder, und nimm das Angebot an, Druide.«

»Ich weiß«, gab ich eher gelangweilt zurück, denn es konnte ja nicht sein, daß ein gewöhnlicher Kelte einem Druiden etwas beibringen konnte, »einige Söldner kriegen sogar Muscheln zu essen.«

Cuningunullus schüttelte unwirsch den Kopf. Es ärgerte ihn, daß er den Sinn meiner Worte nicht verstand.

»Na ja«, brummte er, »wenn du in Cäsars Dienste trittst, kann dir kein Kelte mehr auf den Kopf scheißen. Seit wir Häduer uns mit Rom verbündet haben, werden wir in ganz Gallien geachtet.«

Ich schmunzelte und sagte: »Ich denke nicht, daß Cäsar lange hierbleiben wird. Somit wäre meine Anstellung von sehr kurzer Dauer.«

»Cäsar hat Boten nach Aquileia geschickt. Dort überwintern die siebte, achte und neunte Legion. Das sind achtzehntausend Mann. In einem Gewaltmarsch läßt er sie über die Alpen kommen.«

Ich versuchte krampfhaft mein Lächeln zu behalten, aber es schien mir einzufrieren und sich zu einem zitronensauren Schmollmund zu verzerren. Somit würde Cäsar in wenigen Wochen bereits vier Legionen haben, also rund vierundzwanzigtausend Legionäre.

Cuningunullus hielt vor einem großen Offizierszelt und meldete mich bei der Wache an. Ich wurde bereits erwartet. Die Wache schob die linke Zeltplane beiseite und bat mich einzutreten. Es war ein großes Zelt, das auf einem mit Holz verschalten einstufigen Podest ruhte. So hatte man auch bei Regen stets trockene Füße. An den Wänden standen stabile hölzerne Gestelle, in denen Pergamentrollen aufbewahrt wurden. In der Mitte waren vier große Arbeitstische zu einem Viereck angeordnet. Im Hintergrund waren Liegesofas und ein runder Tisch mit Früchten, Wasserschalen, Weinkrügen und Bechern. Ein älterer Mann um die Fünfzig kam freundlich auf mich zu. Er trug eine schlichte, ärmellose Tunika aus dickem, rotem Wollstoff mit Fischgrätenmuster. Um die Taille trug er einen Ledergurt mit kunstvoll emaillierten Rosetten und einer goldenen Schnalle. Obwohl er seine Tunika über dem Gurt bauschig hochgezogen hatte, reichte sie immer noch bis zu den Waden. Nur Offiziere trugen die Tuniken so lang. Einem einfachen Legionär wäre diese Länge beim Marschieren hinderlich gewesen.

»Ich bin Gaius Oppius, römischer Ritter und Offizier in Cäsars Stab. Ich bin für das Nachrichtenwesen verantwortlich.«

»Wie bescheiden!« lachte ein bärtiger Mann, der tief über eine Pergamentrolle gebeugt war und mit ruhiger Hand eine Abschrift verfaßte. »Gaius Oppius ist Cäsars Geheimdienstchef. Er hat mehr Augen und Ohren …«

Gaius Oppius nickte dem bärtigen Schreiber ungeduldig zu und unterbrach ihn: »Das ist Aulus Hirtius, Offizier und für Cäsars Korrespondenz zuständig.«

Aulus Hirtius machte seinem Namen alle Ehren, denn ›Hirtius‹ heißt ›borstig‹ oder ›zottig‹. Und es schien so, als hätte er seinen Bart entsprechend wuchern lassen. Das war schon erstaunlich, daß ich hier einen Römer mit Bart antraf. Denn Bärte und Schambehaarung galten allgemein als tierische Attribute der minderwertigen, wilden Barbaren. Ich mochte diesen Aulus Hirtius sofort. Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu und schaute ihm über die Schulter. In schönen griechischen Buchstaben übertrug er einen Text, der auf einer Wachstafel eingraviert war, auf Pergamentpapier.

»Aulus Hirtius braucht dringend eine zusätzliche Schreibkraft, um den zunehmenden Schriftverkehr zu bewältigen«, sagte Gaius Oppius und musterte mich von Kopf bis Fuß. Nach einer Weile sagte er: »Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen. Was nützt ein Sieg, den man nicht kundtun kann? Ich bestimme, wie viele Kopien angefertigt und an welche Nachrichtenagenten und Verbündeten in Rom sie geschickt werden.«

Aulus Hirtius schmunzelte. »Und er bestimmt auch, ob es in Gallien schneit oder regnet.«

Ich wußte nicht genau, was das zu bedeuten hat, aber ich nehme mal an, daß er damit sagen wollte, daß Gaius Oppius Nachrichten auswertete und entsprechend dem gewünschten Nutzen umschrieb. Ich nickte, ohne mir Zustimmung oder Ablehnung anmerken zu lassen. Gaius Oppius registrierte es mit Wohlwollen.

»Man behauptet, du seist Druide«, sagte er freundlich. Ich nickte wieder, so, wie ich es bei unseren aristokratischen Druiden gesehen hatte.

Gaius Oppius klatschte dreimal in die Hände. Sofort erschien ein schwarzgelockter Jüngling und verneigte sich vor Gaius Oppius. Vermutlich ein Grieche.

»Olus, bring uns heißen Wein mit Zimt und Muskat.«

Der Jüngling verneigte sich wieder und verschwand. Offenbar mußte der arme Kerl stundenlang im hinteren Teil des Zeltes warten, bis Gaius Oppius in die Hände klatschte.

Wenig später kam er mit einem Bronzekessel heißen Wassers zurück und schüttete einen Teil davon in eine Kanne. Er fügte unverdünnten römischen Wein hinzu, Muskat und Zimt, und verrührte dann alles mit einer Holzkelle. Nachdem er jedem von uns – Wanda, der Sklavin, natürlich nicht – einen Silberbecher gereicht hatte, schickte Gaius Oppius ihn mit einer Handbewegung fort. Wir erhoben unsere Becher, und während Gaius Oppius und Aulus Hirtius ihr »Ave Cäsar« skandierten, begnügte ich mich mit einem schlichten »Carpe diem«, was Gaius Oppius zu einer Frage veranlaßte: »Ist es wahr, daß ihr Druiden die lebendigen Bücher der Kelten seid?«

»Factus est«, erwiderte ich in perfektem Latein, was soviel heißt wie ›so ist es‹ und erneut den Beweis lieferte, daß ich selbst mit römischen Redewendungen vertraut war. Zugegeben, das war Prahlerei. Jetzt lächelte auch Gaius Oppius. Offenbar wirkten Barbaren, die römische Kultur demonstrieren wollten, etwas komisch. Aber Gaius Oppius nahm meine Anpassungsversuche eher als Kompliment. Ich war überhaupt erstaunt über die Atmosphäre, die in diesem Zelt herrschte. Ich hatte mich auf die Begegnung mit eingebildeten, arroganten Römern eingestellt und war nun einigermaßen verblüfft, einem Gelehrten wie Aulus Hirtius gegenüberzustehen. Er legte keinen großen Wert auf äußere Zeichen seines Ranges. Sein ganzer Habitus war der des neugierigen Gelehrten. Es schien fast so, als würde er die Welt nicht in Römer und Nichtrömer unterteilen, sondern in Wissende und Nichtwissende.

»Setz dich doch, Korisios«, bat Aulus Hirtius, als wolle er mich etwas näher betrachten.

Ich reichte Wanda meinen Becher und setzte mich an den Tisch ihm gegenüber. Gaius Oppius blieb wie ein Zeremonienmeister seitlich von uns stehen. Mit sichtbarem Befremden sah er, daß Wanda offenbar hinter meinem Rücken einen Schluck aus meinem Becher trank. Tja, das war mir ziemlich peinlich. »Sie ist meine Vorkosterin«, entgegnete ich halb im Scherz.

»Dann solltest du ihr beibringen, daß sie vor und nicht nach dir kostet«, grinste Gaius Oppius.

»Vielleicht wollen sie im Ernstfall gemeinsam sterben?« schmunzelte Aulus Hirtius. Sie hatten anscheinend längst bemerkt, daß Wanda meine Geliebte war.

»Ich werde sie nachher dafür auspeitschen lassen«, gab ich knapp zurück.

Gaius Oppius lachte. »Hast du denn kein Mitleid? Sie zittert ja schon wie Espenlaub.« Ich drehte mich nicht um, denn ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie Wanda dastand, meinen Weinbecher in der Hand, mit einem stolzen und ironischen Gesichtsausdruck.

»Frauen haben keinen Zutritt zu den Offizierszelten«, sagte Gaius Oppius mit leisem Bedauern in der Stimme.

»Sie ist mein linkes Bein«, sagte ich, »ich brauche sie auf Schritt und Tritt.«

Gaius Oppius nickte. »Vielleicht sollten wir eine Ausnahme machen. Ich glaube nicht, daß Cäsar einen einbeinigen Schreiber wünscht.«

Aulus Hirtius nahm einen weiteren Schluck und stellte seinen Becher auf dem Tisch ab. Er wollte zur Sache kommen.

»Korisios, unser Prokonsul Gaius Julius Cäsar hat beschlossen, dem Senat und dem Volk von Rom in periodisch erscheinenden Berichten Rechenschaft über seine Tätigkeit in Gallien abzulegen. Jeden Herbst soll ein Bericht erstellt und nach Rom geschickt werden. Nach Abschluß seines Prokonsulats sollen diese gesammelten Bulletins in Buchform erscheinen, so daß sie auch der Nachwelt erhalten bleiben. Wir wollen in diesen Büchern berichten über das Land jener Stämme, die wir Gallier, ihr aber Kelten nennt. Wir wollen Bericht erstatten über eure Berge und Flüsse, wir wollen Bericht erstatten über eure Sitten und Gebräuche, über eure Götter … Wir wollen Bericht erstatten über die Art und Weise, wie ihr Land bebaut, wie ihr Tiere zähmt, wie ihr Kinder großzieht und unterrichtet …«

Gaius Oppius, dem Aulus Hirtius offenbar unterstellt war, unterbrach ihn und präzisierte: »Wir werden kein wissenschaftliches Werk für die Bibliothek von Alexandria verfassen, sondern einen Rechenschaftsbericht für den römischen Senat. Zu diesem Zweck haben wir dich rufen lassen, Kelte. Du sollst dem Legaten Aulus Hirtius, der für diese Aufgabe freigestellt worden ist, dein Wissen zur Verfügung stellen und ihm bei der Erstellung der Berichte behilflich sein.«

»Wird es Krieg geben in Gallien?« fragte ich.

»Es wird Krieg geben«, antwortete Gaius Oppius sachlich, »so wie es immer Krieg gibt, wenn fremde Stämme an die neuen römischen Provinzgrenzen stoßen.«

»Wenn ihr zur Sicherung euer Provinzgrenzen ständig die Nachbarvölker unterwerfen wollt, dann müßt ihr die ganze Welt unterwerfen, bis Rom an Rom grenzt«, entgegnete ich trocken.

»Eine römische Welt mit römischem Recht wäre nicht die schlechteste von allen«, entgegnete Aulus Hirtius. »Wir vernichten keine Völker und Kulturen, sondern schaffen eine neue Ordnung. Wo die Legion ist, herrscht Frieden, wo die Lex Romana gilt, blüht der Handel. Als Schreiber in Cäsars Schreibkanzlei hast du Anrecht auf ein eigenes Zelt und einen eigenen Burschen. Das Essen mußt du dir nicht selber zubereiten. In den Winterlagern wirst du eine geheizte Unterkunft aus Holz haben.«

»Und ich darf meine Sklavin behalten und stets bei mir haben?«

»Ja«, erwiderte Gaius Oppius, »aber sie soll sich auch wie eine Sklavin benehmen. Sonst ist es den Legionären gegenüber ungerecht. Ihre Konkubinen und unehelichen Kinder leben außerhalb des Lagers.«

Ich schaute kurz zu Wanda rüber, die wieder an meinem Becher nippte. Gaius Oppius und Aulus Hirtius schmunzelten. Offenbar hatte es so ausgesehen, als hätte ich mich nach Wanda umgedreht, um ihre Zustimmung einzuholen.

»Nun gut, Druide, bist du bereit, in Cäsars Schreibkanzlei zu arbeiten?« fragte mich Gaius Oppius. Ich zögerte.

»Ich würde mich freuen, dich in meiner Schreibkanzlei aufzunehmen«, fügte Aulus Hirtius hinzu und lächelte mich freundlich an. Er meinte es aufrichtig. Ich wollte gerade antworten, als wir draußen jemand brüllen hörten.

»Wo gibt's hier Glühwein?« schrie jemand vor dem Zelt. Kaum hatten wir uns umgedreht, stand der Kerl schon im Zelt. Er trug die vornehme weiße Tunika eines Offiziers mit vergoldeten Fransen und lila Schärpe.

»Mamurra! Wir sind mitten in einer Besprechung«, entfuhr es Gaius Oppius. Doch Mamurra hatte nur noch Augen für den Glühwein. Er ging zum Tisch, griff nach dem Krug und trank.

»Das ist Mamurra, Cäsars Praefectus fabrum, er ist Cäsars Schatzmeister«, sagte Aulus Hirtius.

»Aber er versteht nicht nur was von raffinierten Finanzgebilden, er ist auch für die Konstruktion der Holztürme verantwortlich«, fügte Gaius Oppius anerkennend hinzu.

»Genug, genug!« lachte Mamurra und entledigte sich flink seiner vom Schmutz verspritzten Lederstiefel: »Wo ist meine Frau? Sie soll mir ein Bad richten!«

Gaius Oppius klatschte dreimal in die Hände. Olus trat in das Zelt und strahlte wie ein Feuerwerk. Mamurra zwinkerte ihm zu. »Du sollst mir ein Bad herrichten. Und wenn es zu heiß ist, reiß ich dir die Eier ab und schick dich an den Eunuchenhof von Alexandria.«

Olus grinste und verschwand.

Gaius Oppius nahm einen Becher und füllte ihn mit Wein. Dann reichte er ihn Mamurra. Mamurra stürzte ihn hinunter und musterte dabei aufmerksam Wanda. »Wo hast du die gekauft?«

Gaius Oppius: »Das ist die Sklavin des Kelten.«

»Kelten?« grinste Mamurra. »Ist das eine neue Gewürzmischung?«

»Für weniger gebildete Menschen wie dich, Mamurra, ist es ein Gallier.«

Mamurra nickte theatralisch. »Und er will dir die Germanin verkaufen.«

»Nein, Mamurra! Der Kelte heißt Korisios und ist Druide. Er wird unter Aulus Hirtius in Cäsars Schreibkanzlei arbeiten.«

Jetzt musterte Mamurra auch mich, und ich konnte an der Art und Weise, wie er meinen Körper mit seinen Augen abtastete, unschwer erkennen, daß er Männer und Frauen gleichermaßen begehrte. Hatte mich nicht Ursulus, der Primipilus, vor einem Mamurra gewarnt?

»Druide!« strahlte Mamurra. »Das hab ich mir schon lange gewünscht. Einem richtigen gallischen Druiden zu begegnen. Ich kenne euer Bier und eure behaarten Weiber, aber einen richtigen Druiden … Sag mal, Druide, gibt es tatsächlich ein Kraut, das dir die Kraft eines Vulkans verleiht und dein Geschlecht so steif macht wie ein römisches Pilum?«

Gaius Oppius und Aulus Hirtius lachten. Offenbar waren sie seine erotischen Phantastereien gewohnt.

»Ja«, antwortete ich, »ich habe davon gehört. Ich denke, es ließe sich machen. Laß mich darüber nachdenken.«

»Wenn du das Mittel findest, Druide, mach ich dich zum Statthalter von Gades!«

Mamurra stürzte den Wein nur so runter. Offenbar hatte er ein enormes Nachholbedürfnis. »Wenn meine Legionäre so flink wären wie ich mit dem Stilus, wir hätten bereits ganz Gallien mit einer Befestigungsanlage umzingelt.«

»Es sind immer noch Cäsars Legionäre, Mamurra«, grinste Gaius Oppius.

»Ach, Cäsar«, stöhnte Mamurra, während er sich erneut einen Becher einschenkte, »stellt euch vor, unser Prokonsul hat in Italien zwei neue Legionen ausheben lassen, die elfte und die zwölfte. Er will sie in Aquileia mit den drei Legionen aus dem Winterlager zusammenführen und mit allen fünf über die Alpen kommen … Der Kerl ist verrückt geworden! Und ich behaupte …«

»Der Senat hat ihm nicht erlaubt, neue Legionen auszuheben«, unterbrach ihn Gaius Oppius. »Damit bricht er schon wieder römisches Gesetz. In welches Amt soll er sich denn nach seinem Prokonsulat in Gallien noch flüchten, um seine Immunität zu bewahren?«

Mamurra zuckte die Schultern und zeigte mit einer Kopfbewegung auf Aulus Hirtius. »Das ist deine Arbeit, Gaius Oppius. Es liegt an euch, Rom klarzumachen, daß die Grenze der römischen Provinz Narbonensis bedroht ist. Und wie ich dich kenne, Gaius Oppius, wirst du es sogar schaffen, daß Cäsar am Schluß als Retter Roms einen zehntägigen Triumphzug erhält.«

Mamurra sprang hoch und goß sich erneut Wein nach. Er war ein quirliger Kerl mit schier unerschöpflicher Energie. Und großer Trinkfestigkeit.

»Fünf Legionen …«, murmelte Aulus Hirtius anerkennend.

»Zusammen mit der zehnten, die er hier stationiert hat, stehen ihm bereits sechs Legionen zur Verfügung«, entgegnete Mamurra, »aber zwei davon muß er selbst finanzieren! Also ich sag euch, es ist einfacher, eine Holzbrücke nach Britannien zu schlagen, als Cäsars Finanzen zu verwalten. Wie soll ich zwei Legionen finanzieren, wo ich doch kaum Geld habe, um seine Schuldzinsen zu begleichen?«

Sechs Legionen! Das waren über dreißigtausend Soldaten. Dazu kamen noch zehntausend Mann keltische Hilfstruppen und ein paar tausend keltische Reiter. Um die Helvetier am Übergang des Rhodanus zu hindern, brauchte man keine fünfzigtausend Soldaten! Während also die keltischen Stämme am anderen Flußufer auf Cäsars Antwort warteten, rüstete der Prokonsul bereits zum Krieg. Und zwar ohne Einwilligung des römischen Senats!

Ich hatte nur noch einen einzigen Gedanken: So schnell wie möglich raus hier! Ich mußte um jeden Preis ans andere Flußufer und mein Volk warnen. Dieser Cäsar plante einen Privatkrieg und wartete nur auf einen Vorwand, um ihn endlich führen zu können. Nur so würde er nachträglich die ohne Einwilligung des Senats ausgehobenen Legionen rechtfertigen können.

Cäsar hatte vier Gründe, gegen die Gallier Krieg zu führen: Er sehnte sich nach unsterblichem Ruhm, wie jeder anständige Patrizier, er brauchte militärische Macht, um seine Position in Rom zu festigen, er mußte dringendst seine Schulden begleichen, und jetzt mußte er auch noch die gesetzwidrige Aushebung der beiden Legionen rechtfertigen.

Der Sklave Olus steckte den Kopf in die Schreibstube und nickte Mamurra zu. Dieser sprang auf, schlug sich mit der Faust gegen die Brust und grölte: »Ave Cäsar.« Dann griff er seinem Lustknaben grob an den Hintern und verschwand mit ihm.

»Seine Umgangsformen sind nicht sehr gepflegt …«, sagte Aulus Hirtius verlegen.

»Deshalb haben wir ihn auch nicht in Cäsars Schreibkanzlei angestellt«, scherzte Gaius Oppius, »aber er ist sehr zuverlässig und absolut loyal. Er braucht einfach jeden Abend einen griechischen Lustknaben, dann baut er am nächsten Tag die verrücktesten Sachen – und wer weiß, vielleicht wird er eines Tages sogar Cäsars Finanzen sanieren.«

»Aber wenn Mamurra weiter so über Cäsar spricht«, orakelte Gaius Oppius, »wird Cäsar ihn in seiner Badewanne ersäufen lassen.«

»Noch schlimmer«, erwiderte Aulus Hirtius, »er wird seinen Lustknaben Olus verführen …« Das war eine der immer wiederkehrenden Anspielungen auf die homoerotische Beziehung, die Cäsar vor Jahren mit Nikomedes, dem König von Bithynien, unterhalten haben soll, als er Offizier unter Thermus war. Obwohl diese Sache schon lange zurücklag, war sie immer noch Gegenstand der Spottverse, die Soldaten bei Triumphzügen ungestraft singen durften. Ich war ziemlich überrascht, daß Offiziere derart offen über ihren Feldherrn sprachen. Aber was kümmerte mich dieses ganze Geschwätz? In meinem Kopf jagten sich die Gedanken, und immer drängender wurde der Wunsch, von hier zu verschwinden und die Kelten auf der anderen Seite des Flusses zu warnen. Ich hörte gar nicht mehr, wie viele Silberdenare, zusätzliche Vergünstigungen und Privilegien Gaius Oppius mir versprach, nein, ich war wie erstarrt beim Gedanken an diesen heuchlerischen Plan, den sich Mars nicht boshafter hätte ausdenken können, diese niederträchtige List, die Cäsar wie eine Schlinge ausgelegt hatte und die sich jetzt unaufhaltsam zusammenzog, weil die keltischen Auswanderer noch nicht wußten, daß sie in der Falle saßen. Ahnungslos warteten sie am anderen Ufer des Flusses, Hunderttausende von Männern, Frauen und Kindern mit all ihrem Hab und Gut, und sie wußten nicht, daß sie bereits Morituri waren: Todgeweihte auf der Schlachtbank.

»Nun gut«, sagte Gaius Oppius gerade, »du mußt dich nicht heute entscheiden, Druide, du kannst dir ruhig Zeit lassen.«

»Ich werde mich in sieben Tagen entscheiden.«

So lange würde es nämlich dauern, bis die keltische Delegation zur vereinbarten zweiten Unterredung erscheinen würde. »Falls ihr in der Zwischenzeit aber meine Dienste braucht, bin ich gerne bereit, euch behilflich zu sein.«

Gaius Oppius und Aulus Hirtius nahmen meine Antwort mit Genugtuung zur Kenntnis. In diesem Augenblick wurde die Zeltplane beim Eingang zurückgeworfen, und ein völlig verdreckter Mann in einem trichterförmigen, ärmellosen Mantel aus grobem, schwarzem Wollstoff und hohen Lederstiefeln betrat das Zelt. Er hatte eine laute Stimme und sprach mit einem starken iberischen Akzent: »Baibus grüßt Cäsars Dichter!«

»Balbus!« entfuhr es Gaius Oppius und Aulus Hirtius fast gleichzeitig. Mit offenen Armen gingen sie auf ihn zu und umarmten ihn herzlich. Erschöpft ließ sich Balbus auf das Liegesofa fallen und atmete erleichtert auf. »Endlich! Die Händler werden es uns danken, wenn wir in Gallien anständige Straßen bauen.« Gaius Oppius ließ sofort einen Sklaven kommen. Der zog Balbus die Stiefel aus und reichte ihm frisches Wasser, damit er Hände und Gesicht waschen konnte.

Aulus Hirtius warf mir einen kurzen Blick zu. »Das ist Balbus, Lucius Cornelius Balbus, Gaditaner, er war in Spanien Cäsars Praefectus fabrum. Und heute ist er …«

»Cäsars Geheimagent in Rom«, posaunte Balbus stolz und trank genüßlich den Glühwein, den ihm Gaius Oppius reichte.

»Das ist Korisios, ein keltischer Druide vom Stamme der Rauriker. Er wird uns vermutlich beim Erfassen der Jahresberichte helfen«, sagte Gaius Oppius.

»Wir dürfen hoffen, nicht wahr, Korisios?« fragte Aulus Hirtius.

Ich nickte.

»War die Reise anstrengend?« erkundigte sich Oppius.

»Er kommt direkt aus Rom«, erklärte mir Hirtius.

Balbus griff nach einer Traube und zupfte eine Beere ab, die er dann genießerisch zum Mund führte. »Was heißt hier anstrengend? Seit ich nicht mehr Cäsars privater Schatzmeister bin, empfinde ich selbst den verrücktesten Ritt durch die barbarische Wildnis als Spaziergang. Wie geht's denn meinem Nachfolger? Hat er sich bereits erhängt?«

»Mamurra vergnügt sich gerade mit Olus in der Wanne«, lachte Aulus Hirtius. Ich suchte nach einem günstigen Augenblick, um mich zu verabschieden, aber Gaius Oppius und Aulus Hirtius wollten mich noch nicht gehen lassen.

»Balbus ist die Verbindung zwischen unserem Heerlager und Rom«, erklärte Gaius Oppius.

Balbus nickte. »Durch mich weiß mein Freund Gaius Julius Cäsar jederzeit, ob Pompeius ihn lieber erdolchen oder vergiften lassen möchte und ob Crassus bereits einem thrakischen Gladiator die Freiheit versprochen hat, wenn er ihm Cäsars Kopf bringt. Roms Ehemännern wäre Cäsars Schwanz allerdings lieber.« Balbus lachte laut.

»Erinnert ihr euch an die dunkelhaarige Serena? Die hat doch so einen kleinen, schwarzhaarigen Mann, gehört zu Cäsars Klienten. Die hat eine Tochter geboren … Und die hat blondes Haar! Dabei hat sie Cäsar nur ganz kurz in einer Grundstücksangelegenheit aufgesucht.«

Jetzt lachten auch Gaius Oppius und Aulus Hirtius.

»Jaja«, sinnierte Balbus, »es ist schon tragisch, Pompeius hat im Osten ein Weltreich erobert, Crassus hat die halbe Republik aufgekauft, und unser Cäsar macht nur mit seinem Schwanz Furore. Aber das werden wir ändern, denn Cäsar ist aus anderem Holz geschnitzt.« Dann fügte er etwas ernster hinzu: »Ja, mit dem Gold der Helvetier hätte er genügend Geld, um mit Crassus gleichzuziehen und sich eigene Legionen zu kaufen. Er könnte im Westen ein Weltreich erobern, das Pompeius' Taten verblassen läßt und ihn zum uneingeschränkten Herrscher Roms macht. Das einzige, was zählt, sind Legionen. Und wer zehn Legionen aus der eigenen Tasche finanzieren kann, ist wahrlich der mächtigste Mann Roms.«

Oppius und Hirtius nickten zustimmend. Ich nutzte den kurzen Augenblick der Stille, um mich zu verabschieden.

»Ihr findet mich im Zelt des Niger Fabius, wenn ihr mich sucht.«

Ich suchte sofort Kretos auf. Er saß mit anderen Händlern aus Massilia in seinem Zelt und verfluchte das römische Imperium. Wenn Rom sich in Gallien breitmachte, würden sie ihre lukrativen Handelsrouten zu den britannischen Zinninseln und zu den Germanen verlieren. Kretos sprach deshalb eindringlich auf seine Kollegen ein und riet ihnen, die Angst der Römer vor den Barbaren zu schüren. Doch die meisten Händler hörten ihm schon nicht mehr zu. Das Gerücht, Cäsar werde bald über sechs Legionen verfügen, hatte sich bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Und die Preise in die Höhe getrieben. Überall waren Freigelassene unterwegs, um im Auftrag ihrer Herren Waren zu kaufen. Kretos hatte sogar einige seiner Burschen nach Massilia zurückgeschickt, um Nachschub zu besorgen. Denn sechs Legionen, das waren fünfzigtausend Kunden. In den umliegenden Höfen war bereits alles aufgekauft. Selbst die Ernte, die noch gar nicht gesät war. C. Fufius Cita, Cäsars privater Getreideaufkäufer, war allen zuvorgekommen. Wer auch nur einen kleinen Wissensvorsprung hatte, machte das große Geschäft. Die andern hatten das Nachsehen. Den allobrogischen Bauern war es völlig egal, wem sie ihre Ernte verkauften.

Als Kretos mich sah, stand er auf und nahm mich beiseite. »Korisios, du mußt unbedingt in Cäsars Schreibkanzlei eintreten! Ich brauche einen Informanten in Cäsars Heer!«

»Und ich brauche ein Faß Wein, Kretos! Und vier Burschen, die mich ans andere Ufer begleiten!«

Kretos winkte ab. »Dann kannst du dein Geld auch gleich in den Fluß werfen.«

»Nein«, protestierte ich, »ich werde den Zolloffizier Silvanus bestechen!«

»Korisios«, flüsterte Kretos mit heiserer Stimme, »dann nimm gleich zehn Fässer mit.«

»Nein«, widersprach ich, »ich hab Silvanus ja noch nicht gefragt. Und ich brauche den Wein nur zur Tarnung. Damit niemand Verdacht schöpft, wenn ich ans andere Ufer gehe. Ich will nur ein einziges Faß, und wenn der Wein dir zu schade ist, dann füll mir das Faß mit Wasser. Aber gib mir vier Männer dazu.«

»Wieso soll mir der Wein zu schade sein, Korisios? Ich hoffe doch sehr, daß du ihn bezahlen wirst. Ich bin hier, um Geschäfte zu machen. Und wenn du deinen Silvanus noch nicht bestochen hast, dann ist mir dieser Transport zu riskant. Ich kann dir nicht mal ein leeres Faß geben. Wenn du in Cäsars Dienste eintreten und für mich als Informant arbeiten würdest, sähe die Sache anders aus.«

Wir einigten uns schließlich auf ein kleines Faß billigen Landwein, das mir Kretos zu einem Wucherpreis verkaufte. Eher unwillig überließ er mir zwei Sklaven, beharrte aber darauf, daß ich sie ihm bei Verlust bezahlen müsse. Sogar einen Vertrag mußte ich deswegen unterschreiben. Kretos wollte bei Verlust neunhundert Sesterzen pro Sklaven. Das war ziemlich genau der Jahressold eines römischen Legionärs. Also wenn's ums Geld geht, lernt man sogar seine vermeintlichen Freunde kennen. Ich protestierte, denn auf dem Markt gab's ja bereits Maultiere für fünfhundertzwanzig Sesterzen. Aber Kretos antwortete lakonisch, es stehe mir frei, mir irgendwo anders Sklaven zu leihen. Aber hier sei alles in Aufruhr. Jeder Sklave, jede Sesterze werde gebraucht. Ich muß ihn mit sehr großem Befremden angeschaut haben, denn plötzlich wurde er ruhig und legte mir freundlich den Arm um die Schulter.

»Korisios, ich habe doch deinem Onkel Celtillus versprochen, daß ich ein Auge auf dich haben werde. Also, mein Freund, schlag dir diese Idee aus dem Kopf. Ich bitte dich, wozu willst du die Helvetier warnen? Meinst du wirklich, die wüßten noch nicht Bescheid? Wenn du ein großer Händler werden willst, mußt du lernen, die Risiken abzuwägen. Was du heute nacht vorhast, bringt nichts. Du kannst nur verlieren. Tritt in Cäsars Schreibkanzlei ein, und werde mein Informant. Unser Handelshaus in Massilia muß Cäsars Umfeld kennen, um den Markt richtig einschätzen zu können. Wissen ist alles. Du mußt uns ja keine militärischen Geheimnisse verraten. Ich will nur wissen, was auf den gallischen Märkten fehlt. Und was Cäsar vorhat. Damit wir vor den anderen Händlern dort sind. Vielleicht eröffnen wir in Vesontio oder an der Küste eine Filiale … Ich würde dich zum Filialleiter machen.«

Stirnrunzelnd überflog ich den Vertrag.

»Du brauchst diesen Vertrag nicht zu unterschreiben, wenn du in Cäsars Schreibkanzlei eintrittst und mein Informant wirst, Korisios! Die beiden Sklaven leihe ich dir gerne, kostenlos. Das bin ich Celtillus schuldig. Und ich liebe dich wie meinen eigenen Sohn.«

Ich ließ ihn reden und gestikulieren und erinnerte die Götter, die sich zu meinen Gunsten zusammengeschlossen hatten, an ihre Pflichten. Und unterschrieb den Vertrag.

Ich fand Silvanus in der Holzbaracke neben der abgerissenen Brücke. Er war von meiner Idee, am anderen Ufer ein Faß Wein zu verkaufen, überhaupt nicht begeistert. Als ich ihm einen Silberdenar gab, hielt er die Idee für überlegenswert, aber erst als ich ihm einen zweiten Silberdenar gab, machte er mir den Vorschlag, ihn an diesem Geschäft zu beteiligen. Aber er wollte den Gewinn im voraus. So gab ich ihm einen dritten Silberdenar. Den vierten Silberdenar gab ich ihm, damit er auch den Centurio bestechen konnte, der die schmale Furt bewachte, die wir benutzten wollten. Den fünften Silberdenar kassierte er, damit er endlich seinen Hintern hochbrachte und mich zusammen mit den beiden Sklaven zu der schmalen Furt begleitete.

Doch unten am Fluß hielt kein Centurio mit seinen Legionären Wache, sondern eine Auxiliareinheit von allobrogischen Kelten. Silvanus gab ihnen den Befehl, mich ans andere Ufer zu lassen. Der Führer der allobrogischen Auxiliarwache fand die Idee großartig. Er machte deshalb den Vorschlag, ihm und seinen Männern das Faß als Geschenk zu überlassen.

Die Idee hingegen fand Silvanus nicht besonders gut. Wozu sollte ich dann noch ans andere Ufer? Ich wollte ja angeblich rübergehen, um mit einem Faß Wein Geld zu machen.

Der allobrogische Auxiliarführer grinste übers ganze Gesicht. »Er soll doch einfach rübergehen und Bestellungen entgegennehmen. Wir liefern nächste Nacht. Wenn das kein Geschäft ist!«

So wurde ich also fünf Silberdenare und ein 100-Liter-Weinfaß los. Ich winkte Kretos' Sklaven herbei. Im Schutze der Dunkelheit begleiteten sie mich über die schmale Furt ans andere Ufer.

Kaum hatten wir das andere Ufer erreicht, lösten sich dunkle Gestalten aus dem Gestrüpp und kamen lautlos auf uns zu.

»Ich muß zu Divico«, flüsterte ich. Doch da hörte ich bereits das Summen einer Schwertklinge in der Luft. Mit einem sauberen Hieb wurde einem Sklaven der Kopf vom Rumpf getrennt. »Ich bin Korisios, der Rauriker!« schrie ich.

»Was willst du hier? Wir hielten dich für einen Allobroger!« Ich war von jungen helvetischen Kriegern umzingelt. An meinem Dialekt hatten sie erkannt, daß ich kein Allobroger war.

»Ich war in Cäsars Schreibkanzlei. Ich bin Druide und bringe Neuigkeiten für Divico.«

Der eine Helvetier erinnerte sich an mich. »Du warst bei Divico zu Gast, nicht wahr?«

»Ja«, sagte ich, während ich meinen Blick vom abgetrennten Kopf des Sklaven losriß.

»Dann bist du der Mann mit der dreifarbigen Hündin, der den germanischen Fürsten erledigt hat!«

»Ja, aber bringt mich jetzt zu Divico!«

»Dann bist du der Freund von Basilus!« schrie einer.

»Ja, aber bringt mich endlich zu Divico!«

Sie wollten unbedingt trinken, mich zum Essen einladen und nochmals meine abenteuerliche Geschichte hören. Aber ich bin sicher, daß Basilus sie mittlerweile derart ausgeschmückt erzählte, daß ich alle enttäuscht hätte.

Ich befahl dem Sklaven, am Ufer auf mich zu warten, und ließ mich von den andern zu Divico führen. Entlang des Ufers waren Tausende von Zelten aufgeschlagen. Sie reichten bis tief ins Landesinnere. Überall saßen Menschen an Lagerfeuern. Sie tranken, aßen und unterhielten sich lautstark. In der Dunkelheit hörte man vereinzelt das Klagen und Stöhnen der Kranken und Alten. Ein penetranter Geruch von Kot und Urin hing in der Luft. Irgendwo wurde heftig gestritten. Man hörte, wie Männer mit den Fäusten aufeinander losgingen. Divicos Zelt lag ungefähr eine Meile vom Ufer entfernt. Er war alleine mit seinen Sklaven und Familienangehörigen. Der alte Mann saß erschöpft auf einem hölzernen Schemel. Die Strapazen der langen Reise hatten ihn sichtlich mitgenommen. Im flackernden Licht der Öllampen sah ich den fiebrigen Schweiß auf seiner Stirn. Sein Atem ging flach. Nachdem er mir die Erlaubnis zu sprechen gegeben hatte, erzählte ich ihm, was ich in Cäsars Schreibkanzlei gehört hatte. Doch zu meiner Verblüffung kannte Divico bereits jedes Detail.

»Worauf wartet ihr dann noch? Wieso nehmt ihr nicht den Weg durch die Schluchten?«

Nammejus trat aus dem Dunkeln hervor. Er wollte mich zurechtweisen, weil es nicht Sache eines siebzehnjährigen Raurikers war, dem großen Divico Ratschläge zu erteilen. Doch Divico gab Nammejus ein Zeichen, still zu sein.

»Korisios«, begann Divico mit schleppender Stimme, »ich verstehe durchaus, daß Cäsar die Helvetier fürchtet. Deshalb hat er zusätzliche Legionen ausgehoben. Aber wenn er uns die Durchreise durch seine Provinz verbietet, werden wir seinen Entschluß hinnehmen und einen anderen Weg wählen. Es ist seine Provinz.«

»Er wird euch auch außerhalb der Provinz verfolgen.«

»Ich weiß, Korisios, das erzählen auch die Sklaven, die jede Nacht über den Fluß zu uns fliehen. Sollte Cäsar uns tatsächlich angreifen, wird ein weiterer Fluß den Namen einer römischen Schmach tragen. Wir werden dem Kampf nicht ausweichen. Wir sind es gewohnt, dem Feind die offene Feldschlacht anzubieten. Wir kämpfen lieber gegen sechs römische Legionen als gegen zwei. Denn dieser Sieg ist größer und ehrenhafter.«

Ich war fassungslos. Ich hatte fünf Silberdenare und ein 100-Liter-Weinfaß in den Sand gesetzt. Für nichts. Das Angebot für Speis und Trank lehnte ich dankend ab. Niemand bedankte sich dafür, daß ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Wozu auch? Es war ja absolut überflüssig gewesen. Ich versuchte meine Enttäuschung so gut es ging zu verbergen. Verärgert verließ ich Divicos Zelt.

Draußen erwartete mich bereits Basilus. Wir strahlten uns an wie zwei himmlische Kometen. Er begleitete mich zum Fluß zurück. Unterwegs erzählte ich ihm all die Geschichten mit Mamurra, Balbus, Gaius Oppius und Aulus Hirtius. Und welchen Eindruck ich von Cäsar hatte.

Als ich mit dem Sklaven wieder in den kalten Fluß watete, rief mir Basilus zu: »Korisios! Sehen wir uns wieder?«

»Ja«, flüsterte ich, »wir sehen uns wieder. In dieser Welt!«

Erneut überquerten wir im Schutze der Dunkelheit die schmale Furt. Am anderen Ufer ging es bereits recht laut zu. Es klang nach allobrogischen Heldenversen. Oder sagen wir mal: nach fünfzig Litern Landwein. Mein Sklave hatte es plötzlich eilig. Ich wollte mich gerade aufrichten, um den Allobrogern unsere Rückkehr zu melden, als ein Pfeilhagel Kretos' Sklaven niederstreckte.

»Ihr verfluchten Hurensöhne«, brüllte ich so laut ich konnte, »ich bin's, Korisios …«

Doch zu meiner Überraschung klatschten erneut Dutzende von Pfeilen in meiner Umgebung ins Wasser.

»Ich bin Cäsars Druide!«

Ich lag nun flach auf dem Bauch und suchte robbend Schutz hinter dem toten Sklaven.

»Taranis!« brüllte ich. »Verbanne den nächsten, der einen Pfeil auf mich abschießt, in die Tiefen des Meeres und laß seine Nachkommen bis ins dritte Glied verflucht sein! Versperr ihnen die Anderswelt auf alle Ewigkeit …«

»Hör auf, Druide!« hörte ich jemanden rufen.

»Holt den Druiden ans Ufer«, rief ein anderer. Es war der Anführer der allobrogischen Wachmannschaft: »Beruhige dich, Druide, es war ein Versehen!«

»Wo ist Silvanus?« fragte ich.

Der Allobroger starrte mich ängstlich an. »Bist du wirklich Druide?«

»Ja!« schrie ich. »Wo ist Silvanus?«

»Er hat sich aus dem Staub gemacht.«

»Hilf mir die Böschung hinauf«, befahl ich dem Allobroger. Er nahm sanft meinen Arm und half mir, während er ununterbrochen auf mich einredete: »Nimm den Bann von uns, Druide, es war nicht Absicht, ich schwöre es …«

»Unterlaß das gefälligst«, herrschte ich ihn an, »deinen Nachkommen zuliebe!«

»Aber Druide, verzeih uns bitte …«

»Ich kann dir verzeihen«, zischte ich, »aber wird Taranis, unter dessen Schutz ich stehe, dir verzeihen können?«

»Sollen wir ein Opfer bringen?« fragte der Allobroger verzweifelt.

»Bring mich ins Lager der Händler. Aber mit einem Pferd!«

Am liebsten hätte ich mein Geld zurückverlangt, aber ich wußte, daß Taranis das nicht gutgeheißen hätte. Ein Druide durfte nie mit den Göttern drohen, um sich zu bereichern. Also ließ ich mich von ihm ins Lager der Händler zurückbringen und trug ihm auf, den Flußgöttern den restlichen Wein zu opfern. Und drei Soldatenköpfe. Erleichtert sank der Allobroger vor mir auf die Knie und bedankte sich. Ich schickte ihn unwirsch weg. Denn so, wie er meine Knie umarmte, brachte er mich beinahe zu Fall.

Müde ließ ich mich in Niger Fabius' Zelt nieder. Wanda und der Araber hatten mich bereits sehnsüchtig erwartet. Kaum hatte ich das Zelt betreten, gab Niger Fabius seinen Sklaven ein Zeichen, das Essen aufzutragen. Er ließ über dem Feuer gebratene Fische bringen, deren Bäuche mit Koriander und Rosinen gefüllt waren. Dazu gab es eine scharfe Sauce, eine Mischung aus Honigwein, Essig, Öl, gewürzt mit Pfeffer, Liebstöckel, geröstetem Kümmel, Zwiebeln und entsteinten Damaszenerpflaumen. Ich erzählte meine haarsträubende Geschichte und schlang das Essen trotzig hinunter. Ich war deprimiert. Ich hatte mein Leben aufs Spiel gesetzt, um meinem Volk zu helfen. Und was taten sie? Nichts!

Niger Fabius hatte längst bemerkt, daß sich zwischen Wanda und mir etwas verändert hatte. Stillschweigend schenkte er fortan Wanda die gleiche Aufmerksamkeit und ließ sie als erste einen gelblichen Weißwein aus Korfu kosten, der zur Haltbarkeit mit Harz versetzt worden war. Als ich meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, schaute ich zum ersten Mal von meinem Essen auf. Ich sah, daß Niger Fabius und Wanda übers ganze Gesicht grinsten.

»Siehst du«, sagte Niger Fabius, »um dich zu beschützen, ist ein Gott allein zuwenig.«

Er hatte wohl recht. Ich nahm Wanda in meine Arme und küßte sie leidenschaftlich. Ich war so glücklich, wieder bei ihr zu sein. Wanda waren meine Liebkosungen in Anwesenheit von Niger Fabius fast ein wenig peinlich. Obwohl sie sich auch schon nach mir gesehnt hatte, war sie dennoch darauf bedacht, mein Ansehen nicht zu beschädigen. Ein keltischer Druide durfte öffentlich keine Sklavin küssen. Aber Niger Fabius war unser väterlicher Freund. Sogar Lucia hatte sich angewöhnt, zu seinen Füßen zu liegen.

»Du hast heute keine Gäste, Niger Fabius?«

»Nein, mein Freund, jetzt haben alle viel zu tun. Fünfzigtausend Legionäre sind im Anmarsch. Das ist kein Heer mehr, das ist eine lebendige Stadt. Und wenn sie länger als einen Monat irgendwo kampieren, findest du im Umkreis von hundert Meilen weder Hirsch noch Hase, weder Korn noch Fisch. Und wenn sie einen weiteren Monat bleiben, schießen rund um das Militärlager herum Häuser, Märkte und Proviantdepots wie Unkraut aus dem Boden. Wenn die Armee weiter zieht, hinterläßt sie eine funktionierende Stadt, die langsam wieder schrumpft. Deshalb, mein junger Freund, habe ich heute keine Gäste.«

Am nächsten Morgen gab ich Wanda Geld, damit sie Lebensmittel und zwei frische Pferde kaufen konnte. Ich bat sie auch, ihr Haar mit einer Vitta, einer roten Wollbinde, zusammenzubinden.

»Wieso, Herr?«

»Dann lassen dich die Römer in Ruhe.«

»Wegen einer roten Wollbinde?«

»Na ja«, entgegnete ich ungeduldig, »nimm Lucia auch mit. Das wird auch ein bißchen nützen.« Ich wollte ihr nicht sagen, daß verheiratete Römerinnen rote Wollbinden tragen.

Als Wanda gegangen war, bat ich Niger Fabius um sauberes Wasser und die Erlaubnis, es selber kochen zu dürfen. Er willigte ungern ein, denn es ist nicht gut, wenn Sklaven sehen, daß Herren solche Arbeiten verrichten. Dennoch ließ mich Niger Fabius gewähren und verscheuchte seine neugierigen Sklaven, damit ich in Ruhe arbeiten konnte.

»Übrigens«, sagte er noch, »Kretos hat nach dir gefragt, er sucht seine beiden Sklaven. Er war ziemlich wütend …«

Ich hatte keine Zeit für Kretos. Ich kaufte bei einem römischen Händler einen Mörser, eine Reibschale mit Ausgießer und einen unbenutzten Trinkschlauch. Dann kehrte ich in das Zelt von Fabius Niger zurück. Mit den vorsichtigen Bewegungen eines Anfängers begann ich ein Kraut nach dem andern mit dem Mörser in der rauhen Schale zu bearbeiten, während vor mir das Wasser kochte. Nur das Bilsenkraut ließ ich ungestampft. Meine Freunde und Verwandten wären stolz auf mich gewesen. Ich hoffte inbrünstig, sie würden irgendwo dabeisein und mir zusehen. Ich konzentrierte mich auf meinen Körper, so, wie es mir Santonix beigebracht hatte, und spürte allmählich die Wärme in meinen Muskeln, ohne daß dabei jedoch die Aufmerksamkeit für die Zubereitung der Mixtur vermindert worden wäre.

Als ich die Kräuter im heißen Wasser aufgekocht hatte, ließ ich den Sud erkalten und füllte ihn dann in einen neuen Trinkschlauch. Am nächsten Morgen wollte ich hinausreiten, Richtung Massilia, und an einem heiligen Ort mit den Göttern in Verbindung treten. Sie sollten mir den Weg weisen. Da ich eine kultische Handlung vorbereitete, durfte ich die Nacht nicht mit Wanda verbringen. Ich wollte es ihr in dem kleinen Zelt, das uns Niger Fabius zur Verfügung gestellt hatte, erklären, doch als ich vor ihr kniete und ihr erklärte, wieso man zwischen der Zubereitung einer geheimen Mixtur und der Anrufung der Götter keiner Frau beiwohnen durfte, strich sie mir verständnisvoll über die Schenkel, bis ich so erregt war, daß sie mich mühelos auf ihr Schlaffell ziehen konnte. Ich muß gestehen, daß mich kein schlechtes Gewissen plagte. Wenn Wanda mich ansah, hing ich wie ein Fisch am Köder, erregt zappelnd und nur noch von dem Wunsch besessen, in sie einzudringen. Jede ihrer Berührungen fesselte mich, und ihre Stimme machte mich heiter und glücklich, wie ein gutgelagerter Falerner. Und wenn das den Göttern nicht paßte, dann hätten sie uns halt anders machen sollen. Gegen Morgen schliefen wir ein, erschöpft und ineinander verschlungen.

Ich ritt alleine südwärts. Lucia hatte ich zu Wandas Schutz zurückgelassen. Wir Kelten haben zahlreiche heilige Orte. Einige sind regelrechte Wallfahrtsorte, die von der ganzen Bevölkerung gekannt, geschätzt und besucht werden, andere wiederum kennen nur die Druiden. Aber im Grunde genommen wohnen die Götter überall. Man spürt sie, wenn man die Wälder betritt. Ich versuchte mich auf den bevorstehenden heiligen Akt zu konzentrieren, aber immer wieder hörte ich Wandas Stimme, roch den Duft ihres Haares, und mir war, als seien meine Hände noch feucht von ihren Schenkeln. Ich weiß nicht, ob ich mit meinen Gedanken die Geduld der Götter auf eine harte Probe stellte, aber Wanda war wie ein Geist, der sich in mir eingenistet hatte und heranwuchs wie ein Kind, das man sich sehnlichst gewünscht hatte. Es war der Geist der Liebe.

Ich mußte über mich lachen, wenn ich an den naiven Jüngling dachte, der auf dem raurikischen Hof unter der Eiche gesessen und davon geträumt hatte, das größte und dickste und angesehenste Buch der Kelten zu werden. Mit Wanda zu schlafen machte bedeutend mehr Spaß! Sicher, die Gestirne mit Hilfe astronomischer Berechnungen zu erforschen war ohne Zweifel interessant. Aber war es nicht bezaubernder, den Körper einer Frau mit Liebkosungen zu erforschen? Ich versuchte aufrichtig, diese übermütigen Gedanken loszuwerden, damit kein übelgelaunter und gelangweilter Gott sich darüber ärgern mußte, aber es gelang mir nicht wirklich.

Nach einigen Stunden Ritt erreichte ich einen kleinen Bergsee. Die Sonne stand senkrecht über uns, und das Wasser glitzerte wie kleine Bronzespiegel in der Sonne. Das Wasser war glasklar und sauber. Auf dem Grund des Sees schimmerten metallene Gegenstände. Ohne Zweifel war hier in der Vergangenheit schon mehrfach geopfert worden. Ich zog meine Lederschuhe aus und wusch meine Füße. Danach reinigte ich meine Hände. Einen Augenblick war ich irritiert, denn ich dachte, ich hätte den richtigen Vers vergessen. Hatte mich Santonix nicht vor den Gefahren des Weines gewarnt? War es nicht so, daß der Wein das Gedächtnis beschädigte, wie ein Feuer, das Löcher ins Pergament brennt?

Ich kniete nieder und streckte beide Arme zum Himmel.

»Oh Götter, oh Taranis, Esus und Teutates, als ich erschaffen wurde, formte mein Schöpfer mich, aus der Frucht der Früchte, aus den Stockrosen und den Blumen der Hügel, aus den Blüten der Bäume und Sträucher, aus den Blüten der Nessel, ich war verzaubert von der Weisheit der Götter und ihren Kindern.«

Ich setzte ehrfürchtig den Trinkschlauch an und trank – und es verschlug mir den Atem. Ich weiß nicht, ob ich den falschen Vers aufgesagt oder den Trank falsch zubereitet hatte. Auf jeden Fall fühlte ich sogleich, wie die Götter in mich eindrangen, mein Herz aus der Verankerung rissen und weit wegschleuderten. Ich wurde mitgerissen, schwebte in hohem Bogen über die Felder, die immer bunter und ungestümer unter mir davonflogen, und ich hörte Onkel Celtillus lachen, so laut, daß das Wild aus den Wäldern floh und die Vögel in Panik davonstoben.

Ich hatte die Götter befragen wollen. Ich wollte, daß sie mir einen Blick auf das Schicksal meines Volkes gestatteten. Doch statt dessen verwandelten sich die Hügel zu prallen Brüsten, die Bäume glichen erigierten Penissen und das entlegene Waldstück, auf das ich zuflog, der pulsierenden Scham einer Barbarin, die sich langsam, gleich einer Knospe, öffnete. Zu spät realisierte ich, daß die Erdkruste unter mir aufbrach, und ich stürzte in eine enge Schlucht, deren Granitwände so eng waren, daß ich während des Falls geschält wurde wie eine Zwiebel.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich ratlos mit dem Kopf in meinem eigenen Erbrochenen. Das erste, was mir in den Sinn kam, waren Zwiebeln und Kretos' wütendes Gesicht. Mir war so übel, daß ich die Götter anflehte, mich sterben zu lassen. Mir war so elend. Immer wieder mußte ich mich übergeben. Mein Magen war längst leer. Ich erbrach bereits Galle, und die Götter hatten immer noch nicht genug. Was bei Epona hatte ich denn falsch gemacht?

»Ich weiß es nicht, Druide«, antwortete eine fremde Stimme. Ich öffnete die Augen und sah verschwommen die Gesichter, die wolkenartig über mir schwebten. Hatte ich bereits die Anderswelt betreten? War die Anderswelt unserer Welt so ähnlich?

»Celtillus?« fragte ich mißtrauisch.

»Was ist mit Celtillus?« fragte der Fremde ruhig.

»Celtillus ist tot«, murmelte ich.

Für einen kurzen Augenblick sah ich den Fremden sehr deutlich. Er trug keinen Schnurrbart, wie es die Kelten tun. Sein Haar war gelockt, aber kurz geschnitten. Doch an seinem Hals trug er den goldenen Torques eines Adligen. Auch die Fibel, die seinen Reiterumhang zusammenhielt, war sehr kostbar.

»Haben die Römer Celtillus getötet?« fragte der Fremde. Ich verstand nicht ganz, woher sein Interesse an meinem Onkel rührte.

»Nein«, sagte ich gequält, »du weißt ganz genau, daß kein Römer Celtillus umgebracht hat. Wir Barbaren bringen uns selber um.«

Ich versuchte die Augen offenzuhalten und klar zu sehen. Aber es gelang mir jeweils nur für ganz kurze Zeit. Zu groß waren die Schmerzen, die meine Schläfen durchbohrten. In mir tobte ein Gewitter. Es war mir, als würde ich gleich in Stücke gerissen.

Der Fremde mit dem gelockten Haar erinnerte mich an einen adligen Kelten in römischen Diensten. Stolz stand er da, umringt von anderen Kelten, die ihm offenbar untergeordnet waren. Er war bestimmt keine fünfundzwanzig Jahre alt, aber er hatte bereits die Autorität eines Führers. Groß war das Ansehen, das er bei seinen Begleitern genoß. Als Kelte mußte er sich dieses Ansehen auf dem Schlachtfeld verdient haben. Er beugte sich zu mir herunter.

»Sag mir, Druide, mußte mein Vater Celtillus sterben, weil er König der Arverner werden wollte? Oder weil mein Onkel Gobannitio es so wollte?«

Ich begriff überhaupt nichts mehr. Der Fremde war offenbar vom keltischen Stamme der Arverner. Offenbar hatte sein Vater den gleichen Namen wie mein Onkel. Bei Taranis, ich war wirklich nicht in der Stimmung, ihm dies zu erklären. Geschweige denn in der Lage.

»Im Land, das die Römer Gallien nennen, muß jeder Kelte sterben, der König seines Volkes werden will«, antwortete ich mit letzter Kraftanstrengung.

»Was ist mit meinem Onkel Gobannitio?! Bitte, Druide, sag es mir! Gobannitio haßt mich. Er hat mich aus Gergovia verbannt. Ohne ihn wäre ich nie im Leben in die römische Legion eingetreten. Werde ich Gergovia jemals wiedersehen?«

»Ja«, stöhnte ich, von Schmerzen geplagt. Dann fingen die Krämpfe wieder an. Wie ein verletzter Wurm krümmte ich mich, bis die Knie beinahe meine Stirn berührten, und kotzte erneut gelbe Galle. Ich spürte, wie ich wieder das Bewußtsein verlor. Es war mir, als würde mein Kopf auf etwas aufschlagen, wie ein Ei auf dem Rand eines Bronzekessels. Ich stürzte in etwas Gelbes, das wie eine heiße Quelle blubberte. Ich schrie um Hilfe. Ich spürte, wie das Gelb langsam fester und härter wurde. Und dann sah ich riesengroß über mir Kretos' Mund, und er fragte mich tatsächlich nach dem Verbleib seiner beiden Sklaven. Er war wütend. Er nahm diesen komischen Pfefferstreuer, der einen Sklaven in der Hocke darstellt, und schüttelte ihn zornig über dem Bronzekessel. Wie gehärtetes Lavagestein schlugen die schwarzen Körner auf meinem Kopf auf.

»Korisios!« hörte ich eine Stimme verzweifelt rufen. Es war nicht Kretos' Stimme. Bestimmt nicht. Ich riß die Augen auf.

»Lucia hat dich gefunden«, hörte ich jemand sagen. Ich versuchte die Person zu sehen, aber mein Kopf schmerzte immer noch, als würden fünfzig Schmiede meinen Schädel auf einem glühenden Amboß bearbeiten. Ich schloß wieder die Augen.

»Erkennst du mich, Herr?«

Bei Canturix und der ganzen göttlichen Vereinigung, die sich in diesem Augenblick über mich lustig machte, es war Wanda, die da vor mir kniete und mir mit Blättern und Grasbüscheln das Erbrochene aus dem Gesicht wischte.

»Als es dunkel wurde, haben wir uns Sorgen gemacht. Lucia hat dich gefunden, Herr. Du warst in Begleitung von Reitern.«

»Reitern?« fragte ich verblüfft. Ich konnte mich sehr wohl an das Gespräch mit diesem jungen Arverner erinnern. Aber ich konnte mich ebensogut an die prallen Brüste in der Landschaft und das brutzelnde Eigelb erinnern.

»Reiter?« wiederholte ich. »Arverner?«

»Ja«, sagte Wanda ungeduldig, »aber komm jetzt, wir müssen zurück.«

»Ich kann nicht«, stöhnte ich wie ein sterbender Krieger auf dem Schlachtfeld, »laß mich bitte liegen. Nicht anfassen.«

»Aber es wird kalt, Herr, wir müssen zurück, bevor es ganz dunkel ist. Bald werden die ersten römischen Patrouillen hier aufkreuzen. Sie werden dich für einen feindlichen Kelten halten.«

Sie hatte recht. Ich rollte mich zur Seite. Dann winkelte ich die Beine an und drehte mich auf den Bauch. Ich atmete tief durch und hob den Oberkörper, während mir Lucia stürmisch das Gesicht leckte. Immerhin, jetzt war ich schon auf allen vieren. Ich spürte etwas in meiner Faust. Ich öffnete sie und blickte auf eine kleine goldene Statuette. Es war ein Mann ohne Arme und Beine. Er trug einen Torques, und auf seinem Bauch erkannte ich ein Wildschwein.

»Was ist das, Wanda?«

Wanda nahm mir die goldene Statuette aus der Hand und steckte sie ein.

»Ich weiß nicht – beeil dich!«

Mir wurde wieder schwarz vor Augen.

»Wanda, in meiner Ledertasche sind Misteln. Falls ich … ein einziges Blatt … hörst du? Auf die Zunge …« Langsam streckte ich den Oberkörper zurück, und plötzlich spürte ich eine Hand, die gleich einer glühenden Kralle in meinen Gedärmen herumwühlte. Ich verlor das Bewußtsein und fiel mit dem Gesicht ins Gras.

»Du hast drei Tage geschlafen«, sagte Wanda, als ich das linke Auge etwas öffnete und gleich wieder erschöpft zumachte. Ich hörte ihre Stimme, aber ich hatte nicht die Kraft, zu antworten oder die Augen zu öffnen. Willenlos ließ ich sie meinen Kopf hochheben. Ich atmete schwer, mit halboffenem Mund. Jetzt spürte ich etwas Nasses an meinen Lippen. Kaltes, frisches, sauberes Wasser. Als ich kurz darauf die Augen öffnete, trank Wanda Wasser aus einer hölzernen Schale. Sie beugte sich wieder über mich und suchte meine Lippen. Wie ein feines Rinnsal floß das Wasser über ihre Lippen in meinen Mund.

»Was macht unser Zauberlehrling?« lachte Niger Fabius. Er stand vor mir mit seinen freundlich leuchtenden Augen. Ohne Turban sah er mit seiner rabenschwarzen Mähne und dem Vollbart noch wilder und exotischer aus. Er klatschte in die Hände. Schmerzverzerrt verzog ich das Gesicht. Jedes Geräusch war eine Tortur.

»Mein liebster Freund, es gibt gebratene Aprikosen mit zerstampftem Pfeffer, Minze, Honig und Weinessig.«

Bei dem Wort Wein zuckte ich leicht zusammen.

»Danach gibt es gebratene Eier, Hühnerbeine und Schweineleber in Zwiebelbrühe, gekochten Fisch mit Jerichodatteln und zur Krönung einen mit geröstetem Kümmel bestreuten Wildschweinbraten in einer salzig-pfeffrigen Weinsauce mit Pinienkernen, Senf und Liquamen. Dein Körper braucht Salz!«

Ich nickte.

»Bei uns im Orient sind Heilkunst und Kochkunst fast dasselbe. Du bist, was du ißt.«

Ich nickte müde. »Und du kotzt, was du gegessen hast.«

Auf ein Zeichen von Niger Fabius hoben mich die beiden Sklaven hoch, aber ich muß plötzlich weißer als Kalkstein geworden sein, denn sie setzten mich sofort wieder ab.

»Bringt ihm das Essen hier ins Zelt«, ordnete Niger Fabius an. Und so geschah es auch. Die Sklaven brachten Wasserschalen und Tücher, um mir die Hände zu reinigen, und trugen anschließend ein königliches Mahl auf.

Zaghaft und zögernd nahm ich kleine Bissen zu mir, führte vorsichtig den Becher Wasser zum Mund, genoß das kalte Naß in meinem ausgetrockneten und überhitzten Körper, der unter den Augen von Niger Fabius und Wanda allmählich wieder zu neuem Leben erwachte. Plötzlich fiel mein Blick auf eine kleine goldene Statuette, die auf dem Tisch lag. Ich erinnerte mich schwach.

»Die hattest du in der Hand, als ich dich fand«, sagte Wanda.

»Du meinst, die haben mir die Götter geschenkt?« fragte ich ungläubig. Das hätte mich allerdings sehr überrascht. Die Götter waren unersättlich wie die Flüsse und Seen, in denen wir ihnen opferten. Und daß ein Gott jemals etwas zurückgegeben hätte, das hatte ich noch nie gehört. Ich nahm die kleine Statuette in die Hand und betrachtete sie sorgfältig. Sie hatte ein Loch im Hals, damit man einen Lederriemen durchziehen und sie um den Hals hängen konnte.

»Ich glaube, das ist eine Gottheit der Arverner. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber sie heißt Euffigneix oder so, es ist ein wilder Gott …«

»Den hat dir vermutlich dieser junge Arverner in die Hand gedrückt. Ich erinnere mich, daß er beim Abschied deine Hand zu einer Faust schloß.«

»Du hast diesen jungen Arverner auch gesehen?« fragte ich überrascht.

»Ja«, antwortete Wanda, »er war mit seinen Kriegern bei dir, als Lucia dich fand. Er war begeistert, weil du den Tod seines Vaters Celtillus gesehen und ihm die Rückkehr nach Gergovia prophezeit hast.«

Ich fuhr mir langsam übers Haar und massierte meinen steifen Nacken. Jetzt erinnerte ich mich wieder. Ich war diesem Arverner also tatsächlich begegnet. Ich hatte von Onkel Celtillus gesprochen, und da der Vater des Arverners ebenfalls Celtillus hieß, hatte er mich völlig mißverstanden.

»Und als du dann gekommen bist, sind die Arverner weitergeritten?«

»Ja, Herr. Sie waren unterwegs zu ihrer Einheit. Ihr Anführer dient als Reiteroffizier in der römischen Legion.«

»Hat er noch etwas gesagt?«

»Nein, ich rief ihm noch nach: Nenne mir deinen Namen, Arverner …«

»Und?« fragte ich neugierig.

»Vercingetorix. Der junge Mann hieß Vercingetorix.«

Ich hatte den Namen noch nie gehört.

Plötzlich kam mir Kretos in den Sinn.

»Hat sich ein Weinhändler aus Massilia nach mir erkundigt?« fragte ich zaghaft. Niger Fabius nickte gewichtig mit dem Kopf. »Ja, Druide. Mir schien, als würde er sich tatsächlich um deine Gesundheit sorgen.«

»Ist das alles?«

»Nein …, er war auch … auf der Suche nach zwei neuen Sklaven. Er sagte, er habe seine zwei besten Sklaven verloren.«

»Jaja«, murmelte ich, »die Toten sind im nachhinein immer die besten. Sie waren bestimmt dreisprachig, die besten Wagenlenker Roms und konnten Sand in Gold verwandeln.«

»Woher weißt du das?« scherzte Niger Fabius.

Ich winkte ungeduldig ab. »Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Bei Verlust kriegt er für jeden Sklaven neunhundert Sesterzen!«

»Vierhundertfünfzig Silberdenare!« empörte sich Niger Fabius.

»Na ja«, murmelte ich zähneknirschend, »ich habe wirklich einen Haufen Geld in den Sand gesetzt. Ich frage mich, ob mein Götterrudel da oben geschlafen hat.«

Wanda zog ein langes Gesicht. Sie war mein einziger Besitz. Aber ich bezweifle, daß Kretos sie mir für neunhundert Sesterzen abgekauft hätte. Wenn ich nirgends einen Kredit aufnehmen konnte, konnte ich mich auch gleich in die Sklaverei verkaufen. Ich war Kretos ausgeliefert. Ich war richtig sauer auf meine Götter.

»Sag mal, wie viele Tage habe ich eigentlich geschlafen? War die keltische Delegation bereits wieder hier?«

»Du hast sechs Tage geschlafen, Herr«, antwortete Wanda. Ihre Stimme klang traurig.

»Das bedeutet, daß die Helvetier morgen wieder vorsprechen. Falls Cäsar Wort hält.«

»Ja«, entgegnete Niger Fabius, »morgen muß Cäsar Farbe bekennen. Ich bin gespannt, wie er sich aus der Affäre ziehen wird.«

»Mit rund fünfzigtausend Soldaten dürfte das kein Problem sein.«

»Sie sind in Eilmärschen unterwegs«, brummte Niger Fabius, während er einen Hühnerknochen abnagte. Lucia stand bereits neben ihm. Sie hatte ihre triefende Schnauze auf sein Knie gelegt und wartete geduldig, daß er sich ihrer erbarmte. Offenbar hatte er sie in den letzten Tagen verwöhnt.

»Sie ist nicht von deiner Seite gewichen, Korisios. Erst als du nach drei Tagen zum ersten Mal getrunken hast, hat sie auch uns wieder wahrgenommen. Da wußten wir, daß du gesund wirst.«

Wanda lächelte gequält. Mir wurde bewußt, daß sie die ganze Zeit über schwer gelitten hatte. Und jetzt haderte sie wohl mit dem Schicksal, weil sie befürchtete, in die Sklaverei verkauft zu werden. Ich lächelte, als wollte ich ihr sagen, daß alles in Ordnung sei.

»Lucia ist ein göttlicher Hund«, sagte Wanda stolz, »deshalb wußte sie, daß die Götter entschieden hatten, Korisios leben zu lassen.«

Niger Fabius lächelte höflich. Er wollte nicht widersprechen. Für ihn zählte nur, daß ich überlebt hatte. Es war offenbar einfacher, sich als Druide auszugeben, als einer zu sein.

Silvanus betrat das Zelt. »Seid gegrüßt, Barbaren«, scherzte er und nahm meine Anwesenheit erfreut zur Kenntnis. »Wie ich sehe, hat dich die Totenwelt wieder ausgespuckt.«

»Ja, Silvanus, sie baten mich, später wieder mal vorbeizuschauen. Ich habe dich übrigens neulich nachts am Flußufer vermißt. Ich wurde mit einem Pfeilhagel empfangen.«

»Ach, diese Allobroger«, schimpfte Silvanus etwas gekünstelt, »man kann sie keinen Augenblick aus den Augen lassen. Stell dir vor, vor ein paar Tagen fanden wir drei abgetrennte Köpfe der vierten Kohorte am Ufer. Sie waren auf Pfählen aufgespießt, die jemand ins Flußufer gerammt hatte.«

»Sieht nach einem Götteropfer aus«, sagte ich scheinheilig.

»Wenn du mich fragst, waren das die Allobroger!«

Ich zuckte die Schulter. Insgeheim genoß ich das Gefühl, diesen Allobrogerführer derart eingeschüchtert zu haben, daß er meinem Befehl gefolgt war. Wenn Cäsar Gallien erobern wollte, mußte er wohl zuerst alle Druiden aufhängen.

»Aber wegen dieser Geschichte bin ich nicht hier. Aulus Hirtius und Gaius Oppius haben sich Sorgen um dich gemacht. Sie scheinen dich zu mögen. Ich soll dich fragen, ob du morgen für die keltische Delegation dolmetschen willst?«

»Ja, Silvanus, ich werde dasein.«

Plötzlich kam mir ein Gedanke, fast wie eine Erleuchtung. Hatten mich etwa die Götter aus einem ganz bestimmten Grund außer Gefecht gesetzt? Na ja, ein Grund fiel mir nicht ein, aber so ist das nun mal mit den Göttern. Sie denken sich was aus, und wir zerbrechen uns den Kopf darüber, was sie damit wohl gemeint haben könnten. Die einfachste Lösung war natürlich die, daß ich nicht zum Druiden taugte. Aber diese Deutung überzeugte mich nicht.

»Nun zu dir, Niger Fabius …«, sagte Silvanus.

»Setz dich, Silvanus, sei mein Gast …«