V.

Am Tor wartete bereits Cuningunullus. Er hatte einen allobrogischen Krieger bei sich. Etwas abseits wartete der junge, ritterliche Tribun, dem Cäsar eine Lektion erteilen wollte. Er war sichtlich verärgert und schikanierte den Sklaven, der uns mit frischen Reservepferden begleiten würde. Die Leitung hatte ein römischer Offizier. Er hatte den Auftrag, mich zum Oppidum der Häduer zu bringen.

Als wir wenige Stunden später durch die Schluchten des Juras trabten, ritt Wanda an meiner Seite. Sie hatte die Nacht zuvor schlecht geträumt, und eine innere Stimme hatte ihr gesagt, daß sie nicht allein in Genava bleiben solle. Die Zeiten waren so unsicher, daß man nie wußte, ob man jemals zurückkehrte oder ob die Reise einen nicht in eine völlig andere Richtung verschlagen würde. Gegenüber den Göttern waren wir so machtlos wie ein Stück Treibholz im Ozean. Lucia war etwas erschöpft. Nachdem sie über Wochen die stark gewürzten Essensreste in Niger Fabius' Zelten gefressen hatte, war ihr Magen ziemlich verdorben. Deshalb hatte ich sie bäuchlings über meinen Sattel gelegt, nachdem sie ausgiebig Gras gefressen hatte, um endlich den letzten Rest arabischer Kochkunst auszukotzen.

Wir ritten meist schweigend, vorne Cuningunullus mit einem seiner Männer, der sich Dico nannte, in der Mitte ich und Wanda und hinter uns die beiden Römer. Der führende römische Offizier war ein erfahrener Mann aus Cäsars Stab. Er war für das planvolle Vorgehen bei der Ausbeutung der sogenannten barbarischen Wildnis zuständig. Seine sorgfältige und genaue Erfassung der Ressourcen ermöglichte den Beschaffungstrupps das Einholen von Getreide, Grünfutter, Wasser, Brennholz und anderen Gütern. Wir waren eine bunt gemischte Reisegesellschaft. Während in der vordersten Reihe keltisch gesprochen wurde, unterhielt ich mich mit Wanda in germanischer Sprache, und die wortkargen Römer hinter uns sprachen lateinisch. Der Sklave mit den frischen Pferden wurde von niemandem wahrgenommen. Er war nicht mehr als ein intelligentes und gehorsames Gepäckstück.

An einer Furt überquerten wir den Rhodanus und folgten dann dem rechten Ufer. Wir ritten durch die gespenstischen Schluchten, deren steile Felswände in der anbrechenden Dämmerung immer bedrohlicher wirkten. In dem üppig wuchernden Wurzelwerk, das sich wie endlose Arme aus dem Gestein reckte, glaubten wir manchmal Augen zu erkennen, die uns langsam folgten. Es war, als hätten wir die Anderswelt betreten. Unsere Stimmen wurden wie Schneeflocken weggetragen, widerhallten an den Wänden, kamen zurück und stürzten dann die Schlucht hinunter, bis sie wie entfernte Hilferufe klangen, die niemand mehr erhören mochte.

Unseren beiden Römern wurde das ganze Schauspiel zunehmend unheimlich, aber sie versuchten Würde und Mut zu zeigen. Daß der junge Tribun ständig pinkeln mußte, erheiterte uns natürlich sehr.

Abends saßen wir um ein Lagerfeuer. Der Sklave mahlte Getreide, stellte Brotteig her und buk dann kleine Stücke auf Kohle. Dieses Brot nannten sie Panis militaris. Dazu gab es gallischen Käse, Speck und Posea, eine durstlöschende Mischung aus saurem Wein und Wasser. Den beiden Offizieren schmeckte das Brot überhaupt nicht, und wahrscheinlich hätten sie auch lieber verdünnten Wein als dieses bittere Gesöff getrunken.

»Fuscinus«, herrschte der junge Tribun den Sklaven an, »dein Brot ist zum Kotzen!«

»Panis militaris immer schwarz, Herr«, entgegnete Fuscinus, »so gelernt, Herr.« Fuscinus war ein älterer Bursche, der vermutlich in sehr jungen Jahren in die Sklaverei geraten war. Er hatte die Unterwürfigkeit des Sklaven völlig verinnerlicht. Sein Name ›Fuscinus‹ war die Verkleinerungsform von ›der Dunkelhäutige‹. Hätte man auf dem Forum Romanum in Rom ›Fuscinus‹ gebrüllt, wären bestimmt Hunderte von Sklaven herbeigestürmt. Er hatte den abgeklärten Blick eines Menschen, der viel erlebt und mittlerweile sein Schicksal akzeptiert hatte. Obwohl er eine unheimlich kräftige Statur hatte, war er gehorsam und unterwürfig wie ein mit äußerster Härte dressierter Hund. Es gibt nämlich sowohl Menschen als auch Hunde, die aus purer Angst gehorchen. Ich weiß nicht, ob Fuscinus jemals in einer Armee gekämpft hat, aber ich wollte ihn nicht danach fragen, denn irgendwie fühlte ich, daß dieser Mensch viel durchlitten hatte.

Der junge Tribun kehrte bei jeder Gelegenheit den stinkreichen Patrizier edelster Abstammung heraus, der nur feinste Speisen gewöhnt war. Obwohl er bloß Ritter war. Ritter konnte in Rom jeder römische Bürger werden, der ein Vermögen von mindestens vierhunderttausend Sesterzen nachweisen konnte.

»Von einem Fuscinus kann man wohl kein Weißbrot erwarten«, spottete der junge Tribun. Der Offizier lächelte müde. Er war schon gegen vierzig und die Flausen der jungen Tribunen gewohnt. Was wußten die schon vom Leben?

»Weißbrot nicht gut, Herr, Schwarzbrot gut für Verdauung …«

»Hört, hört, was dieser kleine iberische Kacker uns zu erzählen hat. Willst du damit sagen, daß sich ganz Rom falsch ernährt?«

»Seit wann besteht Rom nur noch aus Rittern und Patriziern?« fragte der Offizier lustlos.

Die beiden Häduer lachten laut. Offenbar hatten sie den Scherz verstanden. Cuningunullus kramte ein Stück Brot aus seinem Lederbeutel und warf es dem Tribun zu. »Das ist gallisches Brot. Weißbrot. Die Hefe dafür gewinnen wir aus dem Gärschaum des Biers. Deshalb wird das Brot so luftig und hell.«

Der junge Tribun nahm es, naserümpfend und skeptisch, und biß dann leicht angewidert ein Stück ab, als gelte es, einer verwesten Ratte den Kopf abzureißen. Alle beobachteten ihn. Nach einer Weile gab er das Brot an den Offizier weiter. »Das sollten wir für unsere Soldaten einkaufen. Das würde ihnen besser schmecken.«

Der Offizier steckte das Brot in den Mund. »Sehr gut«, sagte er anerkennend und nickte Cuningunullus freundlich zu, »aber unsere Legionäre brauchen das Panis militaris, sonst funktioniert die Verdauung nicht.«

Der Offizier teilte die Wachen ein und legte sich dann in einer dicken Wolldecke schlafen. Der junge Tribun machte es sich in seiner Nähe bequem und sabberte noch viel dummes Zeug, das niemanden interessierte. Ich blieb mit den beiden Häduern, Wanda und dem Sklaven noch einige Stunden am Feuer sitzen.

»Bist du jetzt endlich in Cäsars Dienste eingetreten?« fragte mich Cuningunullus, nachdem er den Weinschlauch weitergereicht hatte.

»Ja, ich werde Cäsar folgen und nicht an den Atlanticus gehen.«

Cuningunullus winkte ab. »Die Helvetier werden nie den Atlanticus erreichen. Überlege doch mal, Druide. Cäsar hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sechs Legionen zusammenzukriegen, und wenn er die nicht bald einsetzt, werden die sich totlachen in Rom oder ihn beschuldigen, die Republik stürzen zu wollen. Der Mann bringt sich immer selber in Zugzwang, er läßt sich kein Hintertürchen offen. Er ist ein Spieler. Alles oder nichts.«

Ich zuckte bloß die Schultern.

»Was hast du denn gegen Cäsar, Druide?« entgegnete der andere Häduer. »Man darf Cäsar nicht bekämpfen, man muß ihn zum Verbündeten haben. Schau mal, Druide, Cuningunullus und ich waren mittellose Fürstensöhne, niemand nahm uns ernst, in einigen Jahren wären wir so verschuldet gewesen, daß wir uns in die Sklaverei hätten verkaufen müssen.«

»Das ist wahr«, pflichtete Cuningunullus bei. »Bei Cäsar hab ich ein eigenes Kommando, einen anständigen Sold, wir sind an allen Plünderungen beteiligt, und wenn wir unsere Dienstzeit beendet haben, werden wir das römische Bürgerrecht erhalten, und Cäsar wird uns an die Spitze unserer Stämme setzen. Ich frag dich, Druide, sind wir Cäsars Sklaven oder Handlanger? Nein, wir benutzen ihn, um in unserem Volk die Achtung zurückzukriegen, die wir verdienen.«

»Was hätten wir auch davon, uns gegen Cäsar zu stellen?« fragte Dico, der andere Häduer. »Was ist mit den Allobrogern passiert? Sie werden von der römischen Steuerlast schier erdrückt. Sie müssen Hilfstruppen stellen und selber ihren Sold bezahlen. Sie müssen einen großen Teil ihres Getreides abliefern. Sie müssen die römischen Straßen in ihrem Gebiet instand halten, und wer nicht bezahlt, kommt in die Sklaverei. Wir Häduer kennen all diese Nöte nicht. Wenn die Allobroger nur einen einzigen romfreundlichen Kelten hätten, würde Cäsar ihn noch heute zum König machen. Aber die Allobroger sind stur und dumm.«

In den nächsten Tagen ritten wir weiter Richtung Nordwesten. Wir durchquerten das Gebiet der Sequaner. Es sah ein bißchen aus, wie es eben aussieht, wenn ein paar Tage zuvor eine Viertelmillion Menschen mit Vieh und Karren durchgezogen sind. Ziemlich niedergetrampelt. Von einer Anhöhe aus sahen wir die bewaffnete Nachhut des helvetischen Zuges. Sie hatten bereits das Gebiet der Häduer erreicht und näherten sich jetzt dem Arar. Der Fluß würde sie vermutlich eine ganze Weile aufhalten. Sie hatten keinen Mamurra in ihren Reihen.

Wir lagerten auf der Anhöhe und schauten dem entfernten Treiben der Helvetier zu, während Fuscinus eine Mahlzeit zubereitete. Er kochte Getreideschrot mit Wasser und fügte ein bißchen Salz, Zwiebeln, Knoblauch, Kräuter und Gemüse hinzu. Den Brei gab es wenig später mit Feldbohnen und Speck. Die Eier waren unterwegs kaputtgegangen. Lucia durfte den mit Stroh ausgelegten ledernen Eiersack auslecken.

In der Dämmerung wiederholten sich die Gespräche der letzten Abende. Der junge Tribun motzte, der Offizier hörte gelangweilt zu, während die beiden Häduer nicht aufhören konnten, von ihrem glücklichen Alltag in römischen Diensten zu erzählen. Doch immer öfter schielten sie zu Wanda rüber. Mir schienen ihre Blicke immer unverhohlener und begieriger. Es war, als würden sie ihr die Kleider vom Leib reißen. Ich befahl ihr, nicht mehr von meiner Seite zu weichen. Die Zeit vertrieb ich mir mit Bogenschießen, ohne die andern dabei aus den Augen zu lassen. Insgeheim wollte ich die Männer wohl ein bißchen beeindrucken und sie von unbedachten Handlungen abhalten. Das gelang mir auch. Teilweise. Wenigstens an jenem Abend. Auch die beiden Römer und die beiden Häduer wollten ihr Glück mit dem Bogen versuchen. Cuningunullus war erstaunlich gut, aber ich war der Beste. Mein einziger Nachteil war nur, daß ich nicht im Laufen schießen konnte. Ich brauchte dafür einen festen Stand.

Am nächsten Morgen sagte der junge Tribun plötzlich, daß er die Nase voll habe von diesem eintönigen Militärleben, ob es hier in der Nähe nicht eine Stadt gebe, wo man sich ein bißchen amüsieren könne. Er sehne sich nach Thermen, Weibern und Wein.

»In der Wildnis mußt du dir angewöhnen, davon zu träumen, Tribun«, sagte der Offizier.

»Verkaufst du mir deine Sklavin, Druide?« fragte der Tribun ziemlich forsch. Ich schüttelte lächelnd den Kopf.

»Und wenn ich es dir befehle?«

Ich schüttelte erneut den Kopf. »Du kannst es mir nicht befehlen, Tribun.«

»Und ob ich das kann«, schrie der Grünschnabel und baute sich vor mir auf. Ich blieb ruhig sitzen.

»Komm her, Sklavin! Wir gehen in den Wald!«

Wanda war verwirrt. Der junge Tribun ließ mir keine Wahl. Ich schaute ihm gelassen in die Augen. »Tribun, es gibt etwas, das noch besser ist als eine germanische Sklavin!«

»Was denn, Druide?«

»Ich kann dir etwas zubereiten, das dich mehr befriedigt als alle Frauen Galliens zusammen. Es ist der Rausch der Götter.«

»Stimmt«, entfuhr es dem Offizier, »Mamurra hat mir davon erzählt. Der Druide kann dir ein Wässerchen mixen, das dich so scharf macht, daß du den Schwanz eines Esels kriegst.«

»Ist das wahr, Druide?«

»Ja, so ist es.«

»Dann fang damit an!« johlte der junge Tribun.

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

»Was ist, Druide? Wieso fängst du nicht an?«

»Ich brauche dafür heißes Wasser …«

Der junge Tribun gab dem Sklaven einen Wink.

»… und ich brauche dafür gewisse … Kräuter …«

»Was willst du damit sagen?«

»Ich bin in einer Stunde zurück. Dann werde ich haben, was ich brauche.«

»Du weißt, was auf Desertion steht, Druide!« grinste der junge Tribun.

»Ich bin Cäsars Druide«, antwortete ich. »Meinst du im Ernst, ich würde das Weite suchen, nur weil einer wie du meine Sklavin begehrt?« Ich machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Wenn ich wollte, wärst du längst tot! Aber ich habe einen Auftrag aufzuführen. Und den werde ich auch ausführen!«

Ich gab Wanda einen Wink, mir zu folgen. Mit gemischten Gefühlen beobachteten die Männer, wie ich den Lagerplatz verließ. Ich hatte unterwegs häufig Haselsträucher gesehen. Davon würde ich eine Menge brauchen. Die Haselnuß erhöht den Druck des Blutes in den Adern. Aber ich brauchte noch mehr. Kleine rote Beeren. Ihr Saft ist gefährlich. Wenn man sie pflückt, muß man das eine Auge schließen und sie mit der linken Hand abreißen.

»Bist du sicher, daß es funktioniert?« fragte Wanda.

Sie saß auf einem Baumstumpf und beobachtete mich mit tiefen Falten auf der Stirn.

»Klar«, gab ich selbstbewußt zurück, »ich hab's schon mal ausprobiert, das heißt, etwas Ähnliches, nicht ganz vergleichbar, aber doch in der Art …«

Wanda schaute mich sehr skeptisch an.

»Korisios! Wann hast du das ausprobiert? Und mit wem?«

»Sei still, ich muß mich konzentrieren.«

Wanda kraulte Lucia, die sich an ihr Bein schmiegte.

»Siehst du den Felsen dort drüben?«

Wanda nickte.

»Ich werde nachher alleine ins Lager zurückreiten. Eine Stunde später werde ich dann wieder hiersein. Warte hinter diesem Felsen auf mich.«

»Wie du meinst, Herr«, murmelte Wanda. Ihre Zweifel standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Als ich alleine ins Lager zurückritt, waren die Männer sichtlich enttäuscht. Ich tröstete sie damit, daß der Sud besser sei als alles, was sie jemals in ihrem Leben erlebt hätten. Ich schickte die Männer fort, damit ich in Ruhe über der offenen Feuerstelle die geheime Mixtur zubereiten konnte.

Als das Wasser kochte, fügte ich die Zutaten bei, während ich fieberhaft überlegte, ob ich auch die richtige Menge Wasser hatte. Die Druiden hatten es ja leicht. Die hatten immer ihre heiligen Bronzekessel und wußten ganz genau, bis zu welcher Markierung sie Wasser einfüllen mußten, um diese oder jene Rezeptur herzustellen. Aber ich benutzte einen ziemlich verbeulten Römerkessel, in dem kurz zuvor noch Bohnen gekocht worden waren.

Ich rief die Männer herbei und lieh mir den Pugio des jungen Tribuns. Ich steckte den Dolch in die Mitte des Kessels und sagte: »Wenn soviel Wasser verdampft ist, daß die Wasserlinie die Klinge erreicht, nehmt ihr den Kessel vom Feuer und laßt ihn erkalten. Aber nicht vorher. Trinkt davon, soviel ihr wollt. Bei Beginn der Dämmerung wird die Wirkung nachlassen, und auch der Sud, der dann noch im Kessel ist, wird seinen Zauber verloren haben.«

»Und wo gehst du hin?« fragte der junge Tribun streitsüchtig.

»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Tribun.«

»Druide«, sagte der Offizier in strengem Ton, »wir sind hier, weil wir einen Auftrag haben. Ich erwarte, daß bei Anbruch der Dämmerung alle wieder einsatzbereit sind. Ich kann keine Wachen brauchen, die vor sich hindösen.«

Ich nickte ihm zu. »Mach dir keine Sorgen. Wenn ihr euch an meine Anweisungen haltet, werdet ihr nicht enttäuscht sein. Ich werde mich jetzt zurückziehen und die Götter bitten, euch zu verwöhnen. Kurz vor Anbruch der Dämmerung werde ich wieder hier sein.«

»Und du bist ganz sicher, daß wir keine Frau begehren werden?« fragte Dico.

»So ist es«, sagte ich.

Dico hatte Mühe, sich das vorzustellen. Er zeigte auf eine Rauchwolke, die von einem sehr kleinen Gehöft kam.

»Im Notfall reiten wir da runter«, lachte Cuningunullus. »Egal was wir tun, man wird es ohnehin den Helvetiern zuschieben.«

Ich ließ mir vom Sklaven aufs Pferd helfen und trabte davon. Ich schaute nicht zurück. Als ich mich eine Meile vom Lager entfernt hatte, drückte ich meinem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte los. So schnell ich nur konnte.

Den Kessel hatten sie längst vom Feuer genommen. Einmal mehr tunkte der junge Tribun seinen Finger in den Sud. Dann grinste er breit und schöpfte mit seinem Feldbecher von der seltsam riechenden Flüssigkeit. Der Offizier tat das gleiche, dann folgten die beiden Häduer. Und vermutlich waren alle überrascht, wie plötzlich das Feuer in ihre Lenden schoß. Als alle sich bereits stöhnend das Geschlecht rieben und nicht so recht wußten, ob sie die paar Schritte zu ihren Pferden noch schaffen würden, formte der Sklave Fuscinus mit beiden Händen eine Schale, tunkte sie in den Kessel und schlürfte gierig die Flüssigkeit, während er ängstlich das Treiben der anderen beobachtete. Der Offizier rannte stöhnend in den Wald, wo er sich mit dem linken Arm an einer Rotbuche festklammerte, während er sich mit der anderen Hand hastig befriedigte. Die beiden Häduer rannten schweratmend auf ihre Pferde zu. Während Cuningunullus bereits davongaloppierte, sprang Dico mit hochrotem Kopf auf sein Pferd und stürzte auf der anderen Seite wieder hinunter. Er hielt sich schreiend vor Schmerz den Unterleib. Zur selben Zeit packte der Sklave Fuscinus den jungen Tribun von hinten am Nacken. Seine Pranke umschloß ihn wie eine eiserne Halsfessel. Fuscinus drückte den jungen Tribun zu Boden, auf die Knie und stieß ihm von hinten sein Glied in den After. Der junge Tribun schrie wie von Sinnen um Hilfe, schlug wild um sich und erflehte den Beistand diverser Götter. Doch Fuscinus packte die Arme des Tribuns und drückte sie ihm fest auf den Rücken. Der Römer hatte keine Chance, seinem Peiniger zu entkommen. Sein Kopf war nach vorne in die Erde gedrückt. Er konnte sich nicht mehr von der Stelle rühren. Hilflos war er den wuchtigen Rammstößen des kräftigen Sklaven Fuscinus ausgeliefert. Der Tribun weinte hemmungslos. Doch Fuscinus zeigte keine Regung. Es war nicht dieser junge Tribun, den er da schändete, nein, es war die römische Republik, die er erniedrigen wollte. Der Sud hatte ihn in ein wildes Tier verwandelt. Der Offizier kam keuchend aus dem Wald zurück. Er zog den Gladius und wollte damit auf den Sklaven losgehen, doch erneut ging er gequält in die Knie und rieb wie von Sinnen an seinem Geschlecht, um sich von dieser schmerzhaft quälenden Erregung zu befreien. Dico lag regungslos auf dem Rücken, Schaum vor dem Mund. Die Hose hatte er bis zu den Knien hinuntergeschoben. Zwischen seinen Lenden ragte sein erigierter Penis empor wie der Stab eines Centurio. Dico war tot.

Ja, ich war schon sehr unruhig. Zusammen mit Wanda stand ich hinter dem Felsen am Wegrand und wartete. Die Staubwolke, die sich auf uns zubewegte, konnte nichts Gutes bedeuten. Ich bat Wanda, mir auf den Felsen hinaufzuhelfen und mir dann Pfeil und Bogen nachzureichen. Ich bat sie, die Pferde anzubinden.

»Druuuiiiiide!!« Das mußte Cuningunullus sein. Er ritt wie auf Flügeln und näherte sich in mörderischem Galopp. Welch ein Anblick! Cuningunullus war nackt und sein Körper so rot, als leide er unter einem exotischen Ausschlag. Grob riß er die Zügel herum und sprang vom Pferd. Torkelnd kam er auf mich zu, während er in einem fort an seinem Geschlecht rieb.

»Druiiide, wo ist deine Sklavin!!«

Ich bewegte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Spalt weit auseinander. Die Sehne schnellte zurück. Der Pfeil schoß durch die Luft und durchbohrte Cuningunullus' Brust nur ein paar Finger unter seinem Torques. Cuningunullus gab keinen Laut von sich. Überrascht griff er mit beiden Händen nach dem Pfeil, der in seinem Körper steckte, und schaute dann hoch. Er sah den Schützen. Er sah mir gerade in die Augen. Er sah gerade noch, wie ein zweiter Pfeil abgeschossen wurde und ihm die linke Hand durchbohrte, die den ersten Pfeil umklammert hielt. Der zweite Pfeil durchbohrte die linke Hand und drang tief in die Brust des Häduers ein. Ich hatte mich kaum bewegt. Ruhig und mit höchster Konzentration legte ich einen dritten Pfeil auf.

»Meinst du nicht, daß es genügt?« fragte Wanda mit überlauter Stimme, als wolle sie die Anspannung von sich abschütteln. Ich ließ die Sehne zurückschnellen. Der dritte Pfeil durchbohrte die rechte Hand des Kelten und heftete auch diese an seinem Brustkorb fest. Cuningunullus fiel auf die Knie, der Kopf kreiste in langsamen Bewegungen, dann kippte er nach vorne und schlug auf dem Boden auf.

»Wieso war der Kerl so rot?«

»Er verträgt das Klima nicht …«

»Korisios!«

»Was weiß ich«, gab ich unwirsch zurück. »Er hatte eine gesteigerte Durchblutung, irgendeine Hitze, die sein Herz in einen Vulkan verwandelte. Der Druide sagte mir, daß diese Mixtur in den Blutadern einen Sturm auslösen würde. Aber was soll diese Fragerei?!«

Wir harrten noch einige Stunden hinter unserem Felsen aus. Dann entschied ich, zu unserem Lagerplatz zurückzukehren. Zuvor rissen wir dem toten Häduer noch die Pfeile aus der Brust und vergruben sie in der Nähe. Auch den Torques nahm ich ihm ab. Ich wollte ihn später den Wassergöttern opfern.

»Was meinst du?« fragte ich Wanda. »Laufen die immer noch mit hochroten Köpfen rum?«

»Wenn's nur der Kopf wäre«, murmelte Wanda. »Aber wer ist hier eigentlich Druide? Du oder ich?«

»Wir sollten jetzt wissen, was sich im Lager abgespielt hat.«

»Du willst doch nicht wirklich in das Lager zurückreiten?«

»Ich muß wissen, was passiert ist!«

»Das kann ich dir sagen!« schrie Wanda. »Die sind wie Wölfe übereinander hergefallen. Und wenigstens einer hat überlebt, der den Römern erzählen wird, daß du ein Mörder und Verräter bist. Siehst du? Du hättest mich gescheiter verkauft und wärst nach Massilia! Jetzt kannst du Kretos deine Schulden nicht mehr zurückbezahlen. Er wird dich suchen. Und die Römer werden dich auch suchen.«

Wanda hatte absolut recht. Ich war noch ein gutes Stück tiefer gesunken! Aber was hätte ich denn tun sollen? Ich bin sicher, daß sie noch in dieser Nacht über Wanda hergefallen wären. Und ich hätte es nicht verhindern können. Keiner hätte mir geholfen!

»Unterhalb unseres Lagerplatzes ist doch eine Schlucht. Wenn wir jetzt auf die andere Seite reiten, können wir von dort aus alles sehen, ohne uns irgendeiner Gefahr auszusetzen. Ich möchte einfach wissen, wie die Stimmung ist. Vielleicht …«

»Du meinst, man könnte es vielleicht den Helvetiern in die Schuhe schieben?«

»Was heißt hier, in die Schuhe schieben? Es ist durchaus möglich, daß die Römer so was denken.«

Wir ritten also um die Schlucht herum und waren stets darauf gefaßt, daß sich irgendein rot angelaufener Halbnackter mit erigiertem Penis aus den Baumkronen auf uns stürzen würde.

Nach einer Weile fragte mich Wanda: »Korisios, was hast du den Männern eigentlich zusammengebraut?«

»Ich bin noch in der Ausbildung, Wanda«, versuchte ich mich zu verteidigen.

»Aber hast du diese Mixtur schon mal ausprobiert?«

»Ja, schon … an einem Esel.«

»An einem Esel?!« entfuhr es Wanda.

»Ja, wir nehmen manchmal Tiere. Und da uns Hühner, Hunde und Pferde zu sehr am Herzen liegen, bleiben unter den Vierbeinern eigentlich nur noch die Esel.«

»Und was ist mit dem Esel passiert?«

»Also geschmeckt hat ihm die Tinktur, denn er hat die ganze Tränke leer gesoffen. Sein Glied schwoll ungeheuer an, und das arme Tier wurde immer wilder und heftiger. Rasend vor Wut besprang es die weiblichen Maultiere, bis sie sich mit Tritten und Bissen wehrten. Schließlich mußten wir das arme Tier mit Pfeilen niederstrecken. Ein zu Hilfe gerufener Bauer tötete es mit einem gezielten Axthieb auf die Halsschlagader. Das Blut spritzte nur so in die Höhe. Das war kein Vergleich mit den weißen Ochsen, die wir manchmal opfern. Da gibt's bloß einen kurzen Schwall, und das Tier bricht zusammen. Aber in den Adern dieses Esels tobte ein furchtbares Gewitter, und aus seinem Maul quoll weißer Schaum.«

Wanda schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Und dieses Gebräu hast du den Männern zubereitet?«

»Es gibt nichts Langweiligeres für einen Flötenspieler, als Melodien zu spielen, die andere komponiert haben. Ähnlich ergeht es mir, Wanda. Ich habe versucht, die Kräuter, die das männliche Tier im Mann verstärken, etwas anders zu dosieren.«

»Was heißt das?«

»Das wissen vermutlich nur die Götter. Sie lenken die Hände des Druiden!«

Wanda schenkte mir einen ratlosen Blick. »Ich weiß nicht, was ich hoffen soll. Daß sie alle noch leben oder alle tot sind.«

»Was hätte ich denn tun sollen? Das hab ich für dich getan, Wanda!«

»Du meinst, ich wäre gescheiter in Genava geblieben!«

»Ja, Wanda! Jetzt brauche ich die Hilfe sämtlicher Götter! Wenn sie überleben und zu Cäsar zurückkehren, wird mich der Prokonsul jagen wie einen weißen Tiger und im Zirkus den Bären zum Fraß vorwerfen.«

»Wolltest du nicht ohnehin mal nach Rom?«

»Ja, aber nicht als Tierfutter.«

Als wir die Anhöhe auf der anderen Seite der Schlucht erreicht hatten, war es noch hell. Auf unserem Rastplatz herrschte eine merkwürdige Stille. Für meinen Geschmack war es eher zu ruhig. Der junge Tribun lag auf dem Bauch. Vielleicht war er eingeschlafen. Der Offizier lehnte an einem Baum. Auch er schien vor sich hinzudösen. Plötzlich sah ich, wie sich etwas im Wald bewegte. Es war der Sklave Fuscinus. Er schleppte etwas hinter sich her. Es war Curio, der Häduer. Er zog ihn an einem Bein über den Lagerplatz. Vor dem jungen Tribun ließ er das Bein des Kelten zu Boden fallen, griff ihm unter die Arme und hievte ihn auf den Rücken des Römers. Dann verwischte er mit einem Reitermantel die Schleifspuren. Plötzlich hielt er inne und lauschte. Er war sehr nervös. Er griff nach dem Schwert des toten Kelten und wich langsam in den Wald zurück. Als er auf gleicher Höhe mit dem Offizier war, der gegen den Baum lehnte, schlug er ihm blitzschnell den Kopf ab. Jetzt erst sah ich die Pferde am Waldrand. Sie waren bereits bepackt.

Wanda und ich hatten genug gesehen. Nur der Sklave Fuscinus hatte überlebt. Wir mußten uns dringend eine Geschichte einfallen lassen.

»Das ist doch deine Spezialität«, zischte Wanda und wandte sich herausfordernd von mir ab.

»Wir waren im Wald, Beeren sammeln. Als wir zurückkamen, waren alle tot und der Sklave verschwunden. Das klingt doch plausibel.«

»Und dann?« fragte Wanda skeptisch.

»Na ja, dann sind wir weitergeritten, nach Bibracte. Wir haben schließlich einen Auftrag zu erfüllen.«

»Das klingt zwar alles einleuchtend«, sagte Wanda bedächtig, »aber mit dir, Korisios, wird es bestimmt schiefgehen. Ich glaube langsam … Also ich weiß nicht, ob in dir die Götter wohnen. Manchmal denk ich, du bist lediglich ihr Zeitvertreib.«

Wir ritten also weiter, Richtung Nordwesten. Unser Ziel war Bibracte, die befestigte Hauptstadt der keltischen Häduer. Unterwegs opferte ich Schmuck und Waffen des toten Cuningunullus den Wassergöttern. Und damit es nicht so aussah, als würde ich mich im Grunde genommen nur der kompromittierenden Gegenstände entledigen, warf ich auch noch ein paar Sesterzen dazu. Ungern, muß ich zugeben, aber ich hab's getan. Eigentlich schade, daß man nicht auch seine Schulden opfern kann.

Das Oppidum der Häduer war von beeindruckender Größe. Ähnlich wie beim Oppidum der Tiguriner waren auch hier die Handwerksbetriebe von den Wohnvierteln getrennt. Im Handwerkerviertel hatte man zudem die feuergefährlichen Betriebe an den äußersten Rand verlegt. Die Torwache ließ uns sofort zu Diviciatus bringen. Sein Langhaus lag am Rande des Wohnviertels. Gegenüber befanden sich bereits die Werkstätten der Emailleure und Metallstecher. Auffallend waren die zahlreichen römischen Händler, die sich im Oppidum aufhielten. Einen von ihnen hatte ich bereits in Genava kennengelernt. Es war der römische Ritter Ventidius Bassus, der sich auf den Verkauf von Karren und Getreidemühlen spezialisiert hatte. Er verhandelte gerade mit einer Gruppe von Häduern über den Verkauf eines Karrens und wehrte dabei ständig die zahlreichen Kinderhände ab, die nach irgend etwas grabschen wollten, das in den Ledertaschen seiner schwerbeladenen Lasttiere war. Hunde und kleine Schweine streunten umher, doch Lucia zeigte keinerlei Interesse an ihnen.

Diviciatus war nicht zu Hause. Sein Sklave sagte uns, er sei bei seinem Bruder Dumnorix. Es war ein keltischer Sklave. Vermutlich irgendein armer Tropf, der sich hoffnungslos verschuldet hatte. Bei Schulden hört bei den meisten Menschen der Spaß auf. Nicht nur bei Kretos. Wir ritten durch die Wohnquartiere zurück und nahmen den breiten Weg den Hügel hinauf. Hier oben waren die prächtigsten Langhäuser. Hier wohnte der Romgegner Dumnorix. Vor dem Haus des Dumnorix war eine größere Menschenansammlung, und wie immer, wenn mindestens zwei Kelten beieinanderstanden, wurde heftig gestritten. Unter den Zuschauern erkannte ich auch den römischen Ritter Fufius Cita, Cäsars Getreidelieferant. Er hatte offenbar Cäsars Bitte um Bereitstellung von Getreide vorgetragen und wollte nun über den Preis reden, doch die Häduer waren sich uneins, ob man Cäsar überhaupt Getreide verkaufen sollte. Mitten in diese Diskussion platzten wir herein.

»Fürst Diviciatus! Cäsar schickt dir einen Boten!« schrie der Reiter, der uns vom Tor ab begleitet hatte.

Die Menschenmenge wich etwas auseinander, so daß wir in das Innere des Kreises vorstoßen konnten. Hier stiegen wir ab. Vor dem einen Langhaus stand ein stolzer Kelte, breitbeinig und protzig, mit stolzem Schnurrbart und dickem Torques, aber mit einem freundlichen Schalk im Gesicht. Ihm gegenüber stand Diviciatus, lang und hager, mit tiefen Furchen um den Mund, die Bitterkeit und Schmach verrieten. Ich bemerkte, daß er mich erkannte, aber es ziemte sich für einen Druiden fürstlicher Abstammung nicht, einen gewöhnlichen Kelten zu erkennen. So göttlich unsere Druiden auch sein mögen, in dieser Beziehung sind sie sehr menschlich. Aber was heißt hier menschlich? Gibt es einen Gott, der frei ist von Standesdünkel, Neid und Mißgunst?

»Jetzt schreibt ihm Cäsar sogar Briefe!« spottete der stolze Kelte und baute sich vor Diviciatus auf, während der Druide die Papyrusrolle entrollte. »Ich würde mich schämen, in den Arsch eines Römers zu kriechen …« Die Umstehenden lachten und applaudierten, indem sie sich mit der flachen Hand auf die Schenkel klopften.

»Häduer!« rief Diviciatus in die Runde. »Wer hat den Arvernern die Vorherrschaft über Gallien wieder entrissen? Mein Bruder Dumnorix oder Rom? – Häduer! Wer hat die Anzahl unserer Klientenstämme innerhalb weniger Jahre verdreifacht? Mein Bruder Dumnorix oder Rom? – Bezahlen wir deswegen Tribute wie die Allobroger? Müssen wir uns deswegen einen römischen Statthalter gefallen lassen, der über unsere Sitten und Bräuche entscheidet? Wir sind das angesehenste keltische Volk, und deshalb sucht Cäsar unsere Freundschaft. Es ist die Freundschaft unter gleichen. – Mein Bruder Dumnorix hingegen suchte stets die Freundschaft zu den Helvetiern. Aber was tun die Helvetier? Sie fliehen wie aufgescheuchte Hühner vor den vorrückenden Horden des Suebenfürsten Ariovist. Sag uns, Dumnorix, sind das deine Freunde?«

Dumnorix war wütend, denn er spürte, daß die Rede seines Bruders ihre Wirkung nicht verfehlte.

»Die Helvetier sind Kelten und opfern denselben Göttern …«

»Auch die Arverner sind Kelten … und trachten uns nach dem Leben. Auch die Sequaner sind Kelten und brennen unsere Dörfer nieder!«

»Hat dir Cäsar die Königswürde versprochen?« schrie Dumnorix bebend vor Wut.

»Du wolltest doch König werden, Dumnorix, nicht ich, du und deine Freunde bei den Helvetiern und Sequanern. Was haben uns denn die Helvetier und Sequaner gebracht? – Hört, Häduer, wir haben mit Rom das mächtigste Volk mit den mächtigsten Legionen zum Verbündeten. Mit Rom an unserer Seite wird uns kein Nachbar irgendwelche Zölle oder Dienstbarkeiten streitig machen. Wieso sollen wir uns also Rom zum Feind machen?«

Diviciatus hob triumphierend die Papyrusrolle in die Höhe und schrie: »Cäsar fragt mich, Diviciatus, ob die Helvetier unser Land verwüsten. Wenn ich mich beklage, wird er die Helvetier bestrafen und vernichten. Es liegt in meiner Macht, über das Schicksal der Helvetier zu entscheiden. Ich krieche Rom nicht in den Arsch, Dumnorix – Cäsar bietet mir seine Dienste an! Denn Cäsar nimmt seine Freundschaftspflichten ernst!«

»Die Helvetier sind unsere Freunde, Diviciatus«, erwiderte Dumnorix mit finsterer Miene, »sie haben uns ihre edelsten Kinder, Frauen und Männer als Geiseln gestellt, um ihre friedlichen Absichten zu untermauern. Deshalb wird kein Helvetier unser Land verwüsten. Diviciatus, wenn du also der Meinung bist, daß die Helvetier plündernd durch unser Land ziehen, dann schicke ihnen die abgeschlagenen Köpfe ihrer Geiseln zurück, aber bevor du das tust, Bruder, zeige uns die zerstörten Felder, die gebrandschatzten Höfe und Dörfer, lasse geschändete Frauen ihr Leid klagen! Oder schweige für immer!«

Diviciatus schwieg. Gebannt starrten die Menschen auf den hageren Mann, der in der Mitte des Kreises stand.

»Den Häduern«, begann Diviciatus zögernd, »gebührt die Vorherrschaft unter den Kelten. Jeder Stamm, der geschwächt wird, stärkt unsere Macht. Wenn die Helvetier erst den Atlanticus erreichen, werden sie dort früher oder später die Seevölker unterwerfen und den Handel mit den Britischen Inseln an sich reißen. Nein, Häduer, der Welpe, den ihr heute schützt, ist der Wolf, der morgen eure Schafe reißt.«

Die beiden Brüder stritten noch bis in die frühen Morgenstunden. Sklaven brieten Wildschweine am Spieß, die Fürsten ließen Bier und Wein bringen. Die Argumente wurden immer lauter vorgetragen und notfalls auch mal mit einem Faustschlag untermauert. Und als Dumnorix plötzlich die törichte Idee hatte, jemand habe seine helvetische Frau beleidigt, artete die Diskussion in eine Massenschlägerei aus. Wahrlich ein keltisches Volksfest.

Die Gastfreundschaft des Druiden Diviciatus war nicht gerade legendär. Wir übernachteten deshalb im Gästehaus eines Händlerkonsortiums. Zu später Stunde trafen dort auch Fufius Cita und Ventidius Bassus ein. Sie waren von den widerspenstigen Häduern derart zermürbt, daß sie den Wein gleich unverdünnt tranken. Ihre Sklaven und Troßknechte übernachteten draußen in den Wagen. So hatten sie hier ihre Ruhe, und die Waren waren auch nachts geschützt. Für Fufius Cita war Cäsars Auftrag, seine Legionen in Gallien mit Getreide zu versorgen, natürlich das Geschäft seines Lebens. Jeder Händler, der mit den Legionen Geschäfte machen konnte, kehrte als steinreicher Mann nach Rom zurück. Die beiden Römer tranken Wein und sprachen über Handelsmargen, Zölle, Handelsverbindungen und Schiffsrouten, und jeder hätte genügend Ideen gehabt, um ganz Gallien über Nacht in einen riesigen Marktplatz zu verwandeln. Fufius Cita schwärmte immerfort von Cenabum. Das lag weiter oben im Norden, im Herzen Galliens.

»Glaubst du denn, daß Cäsar sich auf ein derart großes Abenteuer in Gallien einlassen wird?« fragte Bassus hellhörig.

»So wie Cäsar plant, wird es kein kurzes Abenteuer sein. Cäsar ist dabei, Gallien zu erobern. Nur hat das noch keiner bemerkt. Wenn Cäsar mir sagt, wo er in zwei Monaten Getreide brauchen wird, dann weiß ich, wo die Legionen die nächsten Schlachten schlagen werden. Cenabum liegt im Nordwesten, auf halbem Weg zu den Britischen Inseln. Wer dort eine Handelsstelle eröffnet, wird ein zweiter Crassus.«

»Aber nimm dich vor den Händlern aus Massilia in acht!« warnte Ventidius Bassus. »Überall wo man Geschäfte machen kann, triffst du einen Händler aus Massilia. Diese elenden Griechen! Man hätte ihnen niemals Massilia überlassen dürfen!«

»Wenn Cäsar sich in Gallien behauptet, gehört der gesamte gallische Markt den römischen Händlern. Massilia weiß das. Man munkelt, sie würden sogar Ariovist bestechen, damit er Cäsar aus Gallien rauswirft.«

Wanda war in meinen Armen eingeschlafen. Ich hatte meine Augen geschlossen und fühlte, wie mein Körper schwerer und schwerer wurde. Und irgendwann schlief ich ein, während sich die beiden Händler vermutlich noch bis in die frühen Morgenstunden Schauermärchen über Ariovist und Massilia erzählten. Ja, ich habe gehört, wie einer sagte, daß die Bürger von Massilia nach dem Sieg des Marius ihre Felder mit den Leichen der Germanen und Kelten gedüngt hätten. Und deshalb sei der Wein aus Massilia noch heute so rot wie das Blut ihrer Feinde.

Bibracte war kein angenehmer Fleck. Die erbitterte Feindschaft zwischen den romfeindlichen und romfreundlichen Kräften schien selbst die Flechtwerkmauern und Eichenpfosten zu durchdringen. Die romfreundlichen Häduer kauften ihre Töpferware selbstverständlich nur bei einem romfreundlichen Töpfer, während der romfeindliche Häduer sein Faß nur beim romfeindlichen Böttcher kaufte. Lag am Morgen ein Schwein mit aufgeschlitzter Gurgel in seinem Blut, konnte man davon ausgehen, daß in der nächsten Nacht ein Langhaus der Gegenseite in Flammen aufgehen würde. Entsprechend parteiisch war auch die Rechtsprechung. Einzelne Sippen zogen es mit der Zeit vor, Bibracte zu verlassen. So auch Wanda und ich. Diviciatus diktierte mir seine Antwort an Cäsar in keltischer Sprache auf eine Papyrusrolle und signierte den Text mit seinem Rollsiegel. Der Papyrus wurde zusammengerollt und mit rotem Siegellack verschlossen. Auf dem Markt kauften wir luftiges Weißbrot, geräucherte Schweinswürste und einen Schlauch Wein. Bei einem Glasverarbeiter sahen wir einen verlockend schönen Armreif aus blauem Glas, das in unregelmäßigen Abständen leuchtende Kreise aufwies. Er gefiel mir sehr, aber es hätte bestimmt kein Glück gebracht. Der Handwerker erklärte uns, daß er die Leuchtfarben mit dem Einschluß von oxidierten Metallen erreiche. Kobalt ergab Blau, Kupfer Grün, Blei Gelb und Eisen Rotbraun. Als ich nach dem Preis fragte, wollte der Handwerker wissen, ob ich bei Dumnorix oder Diviciatus übernachtet hätte. Offenbar würde das den Preis bestimmen. Von diesem Augenblick an hatte ich überhaupt keine Lust mehr, in diesem Oppidum irgend etwas zu kaufen. Konnte irgend etwas Glück bringen, das auf diesem Boden hergestellt worden war?

Wir ritten wieder zurück, südwärts, und machten jeweils ausgiebig Rast, wenn wir hungrig waren oder einen schönen Flecken entdeckten, der von der Frühlingssonne erwärmt wurde und Liebende dazu einlud, sich dort niederzulassen und in die Arme zu nehmen.

Am übernächsten Tag erblickten wir in der Ferne eine Staubwolke, die auf ungefähr ein Dutzend Reiter schließen ließ. Wir verließen sofort die Straße und versteckten uns abseits des Weges. Ein Dutzend Reiter bedeutete meist Ärger. Man traf in dieser Gegend überall auf Krieger, die von ihren Stämmen verstoßen worden waren und nun in kleinen Gruppen Reisende und abgelegene Gehöfte überfielen. Dieser Arvernerfürst Vercingetorix soll auch mal dazugehört haben. Doch diesmal waren es Helvetier, die johlend über die Ebene preschten, während sie von römischen Kundschaftern verfolgt wurden. Kurz vor der Stelle, an der wir die Straße verlassen hatten, teilten sich die helvetischen Reiter in drei Gruppen. Während die eine Gruppe etwas verlangsamt weiterritt, bogen die anderen beiden mit einer scharfen Wendung nach links und rechts und preschten plötzlich in die Flanken der siegessicheren Verfolger. Nun kehrte auch die vordere Gruppe um und ritt frontal auf die verwirrten römischen Reiter zu, die plötzlich von drei Seiten angegriffen und niedergehauen wurden. Im Kampf Reiter gegen Reiter hatten die Römer nicht die geringste Chance. Ihre Köpfe flogen weich wie Kürbisse von den Schultern. Die jungen keltischen Reiter sprangen von ihren Pferden, traten die Reiterhelme von den abgetrennten Köpfen und versuchten diese an ihren Pferden festzubinden. Doch die meisten Legionäre trugen das Haar zu kurz. Erzürnt warfen die jungen Kelten die Köpfe in einen Leinensack, fledderten die Leichen und verschwanden johlend und kreischend, wie sie gekommen waren, mit den erbeuteten Pferden.

Wenn Cäsar seine Meldereiter bereits so weit in den Norden hinaufschickte, konnte dies nur bedeuten, daß er plante, bis hierher vorzustoßen. Daß die Helvetier jemals den Atlanticus erreichen würden, hielt ich mittlerweile für ausgeschlossen. Nach dem Besuch in Bibracte gab es für mich nicht mehr den geringsten Zweifel. Denn so wie in Bibracte sah es im Grunde genommen in allen keltischen Oppida aus. Zerstrittene Grüppchen von rivalisierenden und intrigierenden Adligen, denen die Niederlage des keltischen Widersachers in den eigenen Reihen wichtiger war als der Sieg des ganzen Volkes. Jeder kämpfte gegen jeden. Gegen diese bestens organisierte Militärmaschine von durchtrainierten Berufssoldaten, die dank hervorragender Planung und Versorgung über Jahre permanent Krieg führen konnten, hatten wir keltischen Saisonniers nicht die geringste Chance. Hatten die Helvetier drei Jahre gebraucht, um den Auszug an den Atlanticus vorzubereiten, genügten Cäsar bereits wenige Wochen, um die Versorgung seiner rasch anrückenden Legionäre sicherzustellen. Und in jedem keltischen Stamm würde Cäsar einen willigen Adligen finden, der ihn bereitwillig unterstützte, wenn Cäsar ihm nur seine Legionen lieh, damit er seinem Bruder, Rivalen oder Nachbarn eins auswischen konnte.

»Was willst du also tun, Herr?« fragte Wanda, nachdem sie sich meine ausführlichen Überlegungen angehört hatte.

»Frag lieber die Götter«, gab ich ratlos zurück.

»Deshalb frag ich dich ja. Die Götter wohnen doch in dir.«

Wanda hatte so eine trockene Art, Gehörtes ad absurdum zu führen. Sie machte sich selten über etwas lustig. Nein, sie nahm es ernst und führte es ad absurdum.

»Jaja«, sagte ich, »die Götter wohnen in mir, aber sie gönnen sich gerade eine Pause.«

»Ich denke nicht, daß sich die römischen Spähtrupps auch eine Pause gönnen werden. Ich bin überzeugt, daß es hier nur so von Römern wimmelt.«

»Wir reiten zu Cäsar«, sagte ich. »Ich halte die Antwort von Diviciatus in Händen und reite damit zu Cäsar.«

»Sie werden dich ans Kreuz schlagen!«

»Wieso?« gab ich scheinheilig zurück. »Meinst du im Ernst, ich würde zu Cäsar zurückreiten, wenn ich auch nur das geringste mit diesem bedauerlichen Zwischenfall auf dem Rastplatz zu tun hätte? Daß ich Diviciatus' Antwort zurückbringe, beweist doch nur meine Treue.«

»Das leuchtet allerdings ein«, schmunzelte Wanda. »Mir scheint, die Götter in dir sind wieder aufgewacht.«

Wir ritten also weiter, Richtung Süden.

Als wir nach einigen Tagen an den Arar gelangten, sahen wir, daß auch die Helvetier mittlerweile die Gegend erreicht hatten. Mit all ihren Karren und Ochsen kamen sie nur langsam voran. Der beschwerliche Umweg hatte große Opfer gekostet; viele zertrümmerte Wagen und zerfetzte Lasttiere waren in den Schluchten zurückgeblieben, die sie endlich hinter sich gelassen hatten. Da die Dämmerung anbrach, befahlen die Adligen das Überqueren des Flusses einzustellen und hier ein Lager aufzuschlagen. Drei Viertel der Helvetier waren bereits am anderen Ufer des Arar. Diesseits des Ufers waren nur noch Tiguriner, rund achtzehntausend Männer, Frauen, Kinder und Alte. Sie wollten morgen früh mit Flößen und zusammengebundenen Kähnen übersetzen. Trotz der Verzögerung in Genava und dem anstrengenden Umweg waren die Tiguriner frohen Mutes. Da sie sich Cäsars Verbot, die römische Provinz zu durchqueren, gefügt hatten, mußten sie nicht mehr mit weiteren Schwierigkeiten rechnen. Geschweige denn mit Krieg. Wie wir im Lager erfuhren, hatten die Helvetier mit den Sequanern und Häduern tatsächlich Geiseln für die Dauer ihres Durchzuges ausgetauscht. Es verstand sich von selbst, daß kein Helvetier das Leben einer helvetischen Geisel gefährden würde, indem er plünderte, irgendwelche Güter verwüstete oder sich in einer anderen Art rüde verhielt. Aber es ist wohl jedem klar, daß eine Völkerwanderung andere Spuren hinterläßt als eine Horde Wildschweine. Ich erkundigte mich nach Divico, Nammejus und Verucloetius, doch sie waren alle bereits am anderen Ufer. Die Tiguriner richteten sich für die Nacht ein. Es wurden praktisch keine Wachen aufgestellt. Weit und breit war keine römische Legion, und man wollte ja bereits in den frühen Morgenstunden über den Fluß setzen. Doch während der vierten Nachtwache, es wurde bereits hell, hörte ich plötzlich vereinzelte laute Rufe. Ich richtete mich auf und horchte. Ich überlegte gerade, ob sich ein paar Betrunkene in die Haare geraten waren, als ich plötzlich, ganz leise, das metallische Scheuern von Kettenhemden hörte, zuerst nur schwach, mal hier, mal dort, doch plötzlich fügten sich die einzelnen Geräusche zu einer mächtigen Klangmauer zusammen, die unaufhörlich auf uns zumarschierte.

»Wanda!« schrie ich. »Die Legionen kommen! Hol die Pferde!«

Wanda sprang sofort hoch und eilte zu den Pferden. Das Lager war jetzt hellwach. Flöße wurden plätschernd ins Wasser gestoßen, übermüdete Kinder stänkerten lauthals und trotzten ihren zu Tode erschrockenen Müttern, die in aller Eile Decken und Geschirr auf die Ochsenkarren luden. Wanda half mir auf das Pferd, das nervös zu tänzeln begann. Im Licht der aufgehenden Sonne erkannten wir allmählich die endlosen Reihen römischer Legionäre, die sich über die Hügel unserem Lager näherten. Es schien so, als hätte ein Gott den kahlen Hügel plötzlich mit einem silbernen Pelz überzogen. Doch jedes einzelne Haar war ein Pilum, und jedes einzelne Pilum wurde von einem römischen Legionär getragen. Im Laufschritt kamen sie in geordneten Reihen auf uns zugerannt. »Pila deorsum!!« hörten wir rauhe Männerstimmen brüllen, und die Legionäre in den vordersten Reihen schleuderten ihre Pila auf uns, während sich die heranstürmenden römischen Linien beim Erschallen von kräftigen Tubenklängen zu verwirrenden Rechtecken und Keilen formten. Pila bohrten ihre biegsamen Spitzen in die Erde, durchbohrten Leiber von fliehenden Frauen, kreischenden Kindern, trotzig am Boden verharrenden Alten und Kriegern, die sich mit halbnacktem Körper dem Feind entgegenstellten. Flucht war sinnlos. Wir waren bereits eingekesselt. In rechteckigen Formationen walzten uns die römischen Legionäre nieder. Dort wo keltische Krieger Schild an Schild standen, verwandelten sich die römischen Formationen mit spielerischer Eleganz in einen spitzen Keil, der gleich einem Rammbock unsere Schildewand aufbrach. Wer der Umkreisung entfliehen konnte, wurde sogleich von der römischen Reiterei verfolgt und von hinten niedergehauen. Es waren kleine berittene Auxiliartruppen, meist keltische Allobroger, Arverner und Häduer, die speziell für diese Aufgabe abkommandiert worden waren. Sie kämpften für Cäsar. Man brauchte nicht den Flug der Elster zu deuten, um zu wissen, daß Cäsar die vollständige Vernichtung angeordnet hatte. Es ging nicht darum, jemanden aufzuhalten oder zu besiegen, nein, Cäsar wollte alle diese achtzehntausend Tiguriner niedermetzeln. »Accelerate! Accelerate!« Von überall her schallte der anspornende Ruf der Centurionen über das Schlachtfeld.

Plötzlich ergriff ich das goldene Rad unseres Sonnengottes Taranis, das an meinem Hals hing, und schrie, so laut ich konnte: »Onkel Celtillus!!!« Wanda nickte mir ungeduldig zu. Wir gaben unseren Pferden die Fersen und ritten so schnell wir konnten das Ufer hinauf, während uns Pila und steinerne Fluggeschosse um die Ohren flogen. Parallel zu uns ritten ein Dutzend Auxiliarreiter. Sie verfolgten ein paar Tiguriner, die sich in den Wald retten wollten. Das war unser Glück. Nein, das hätte unser Glück sein können. Denn plötzlich lösten sich vier Reiter aus der Staffel und kamen direkt auf uns zu. Zwei ließen sich leicht zurückfallen, vermutlich allobrogische Kelten, und ritten nun dicht hinter uns, während die anderen beiden versuchten, uns den Weg abzuschneiden und uns zum Fluß hinunterzutreiben. Ich weiß nicht, was in mich fuhr, aber plötzlich zog ich die versiegelte Papyrusrolle, die ich unter meiner Tunika trug, hervor und schwenkte sie wie wild. »Ave Cäsar«, brüllte ich, so laut ich konnte. Ich weiß, es ist peinlich, und noch beschämender, wenn man es erzählt, aber ich brüllte tatsächlich: »Ave Cäsar!«

Der eine Reiter, der nun fast auf gleicher Höhe war mit mir, schrie: »Wer bist du?« Es war der junge Arverner Vercingetorix. Er ritt zusammen mit seinen ebenfalls verstoßenen Stammesangehörigen für Cäsar. Ich zeigte ihm das goldene Amulett mit dem Ebergott, das an meinem Gurt baumelte.

»Ich bin Korisios, Cäsars Druide, ich bin ein Freund von Labienus und ein Freund des Primipilus der zehnten und ein Freund …«

»Dann halte deinen Gaul an, Druide!« lachte Vercingetorix. Er hatte mich endlich erkannt. Zögernd nahm ich das Pferd etwas zurück und ließ die Reiter hinter mir aufschließen. Von der Seite nahte leichte numidische Kavallerie.

»Bringt mich sofort zu Cäsar«, herrschte ich die Arverner wütend an. Ich hatte die Erfahrung gemacht, daß die meisten Leute bedingungslos gehorchen, wenn man sie nur ordentlich anfährt.

»Bist du nicht der Druide, der mit Cuningunullus und Dico geritten ist?« fragte einer von Vercingetorix' Männern.

Ich nickte. Der Arverner schwieg, aber es war deutlich zu sehen, daß er irgend etwas über den Verbleib von Cuningunullus und Dico wußte. Mir wurde kotzübel vor Angst. Ich spürte wieder das unsichtbare Kettenhemd, das meine Muskeln steif und hart werden ließ. An eine Flucht war nicht mehr zu denken. Die Reiter eskortierten mich und Wanda. In einem riesigen Bogen ritten wir um das Lager der Tiguriner herum, während unten am Fluß alles niedergemacht wurde. Wenigstens hatte ich überlebt. Aber hatte ich überlebt, um am Kreuz zu enden?

Ich warf Vercingetorix einen kurzen Blick zu. Er schien das Kriegshandwerk gewohnt. Amüsiert beobachtete er das Vorgehen der römischen Legionen. Zwischendurch schaute er immer wieder zu mir rüber.

»Wieso kämpfst du für Cäsar, Vercingetorix?« fragte ich den Arverner, um das quälende Schweigen zu brechen.

Vercingetorix grinste. »Es gefällt mir und meinen Männern nicht schlecht in Cäsars Kavallerie. Vorher waren wir Straßenräuber, Ausgestoßene – jetzt werden wir dafür bezahlt.«

Er und seine Männer lachten laut.

»Aber ich wollte dich was fragen, Druide: Du hast mir damals prophezeit, daß ich eines Tages nach Gergovia zurückkehren werde. Aber du hast mir nicht gesagt, wann.« Vercingetorix lachte. »Weißt du, ich und meine Männer, wir können es kaum erwarten, nach Gergovia zurückzukehren und meinem Onkel Gobannitio zu fragen, wieso mein Vater so früh in die Anderswelt mußte.«

Ich erinnerte mich schwach an die Begegnung mit dem großgewachsenen Arverner. Ich hatte damals ein etwas größeres Problem gehabt.

»Was hat dir Cäsar versprochen? Die Königskrone der Arverner?«

»Was kümmert einen König, wer ihn dazu gemacht hat?« schrie einer der Arverner. Sie waren jung und unbekümmert, liebten die Gefahr und den Kampf.

»Druide«, hakte Vercingetorix nochmals nach, »du beantwortest meine Frage nicht?«

»Du hörst die Antwort nicht, Vercingetorix, das ist alles.«

Vercingetorix übergab mich einer Gruppe von Römern und Allobrogern und ritt mit seinen Männern wieder zum Fluß hinunter.

Cäsars Zelt war auf einer Anhöhe aufgeschlagen worden. Von hier aus konnte man das ganze Schlachtfeld überblicken. Ständig kamen und gingen Meldereiter und übermittelten die momentanen Standorte der einzelnen Truppenteile. Wir standen einen Steinwurf weit entfernt und warteten darauf, daß einer unserer Eskorte bei Cäsar vorsprechen konnte.

Plötzlich hörte ich eine schwache Stimme meinen Namen rufen. »Druide …«

Meine allobrogische und römische Eskorte starrte gebannt auf das Schlachtfeld.

»Druide …« Die Stimme klang leidend, ja flehend. Das konnte nicht die Stimme der Götter sein. Wanda hatte sich umgedreht und blickte mich nun mit offenem Mund an. Der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich drehte mich ebenfalls um. Hinter mir war ein mächtiges Kreuz in die Erde gerammt. Und an dieses Kreuz war ein dunkelhäutiger, nackter Mann genagelt: Fuscinus.

Auch das noch. »Was macht Fuscinus da oben?« fragte ich etwas ungeschickt. Es war wirklich nicht meine Absicht, etwas Komisches zu sagen. Doch der Allobroger muß es mißverstanden haben.

»Fuscinus bewundert den Sternenhimmel«, antwortete er trocken.

Die nächsten Augenblicke verstrichen zähflüssig wie tropfendes Harz. Was sollte ich erzählen? Der chronologische Ablauf war mir entfallen. Das ist das Problem von allen Lügenkonstruktionen. Fuscinus röchelte wieder sein flehentliches »Druiiide …«

Von allen Todesarten ist die Kreuzigung wohl eine der gräßlichsten. Deshalb bleibt sie entflohenen Sklaven und Verbrechern vorbehalten. Ich konnte nur hoffen, daß man mich enthaupten würde. Und Wanda und Lucia? Wanda würde man natürlich kreuzigen. Und Lucia wohl ersäufen. Tief bewegt griff ich erneut nach dem goldenen Rad an meiner Halskette. Ich schwor den Göttern, nie mehr in meinem Leben von meinen bescheidenen druidischen Kenntnissen Gebrauch zu machen. Ich begehrte auch nicht mehr die Aufnahme in die erlesene Gemeinschaft der Druiden. Ich versprach, das Göttliche nie mehr mit meinen Experimenten zu beschmutzen. »Taranis, Gott der Sonne, gib mir Kraft und Erleuchtung«, flehte ich mit zusammengepreßten Lippen, »Belenus, Gott und Heiler, Herrscher über das Licht, zeige mir einen Ausweg, Artio, Göttin des Waldes …« Von mir aus konnte sie als Bärin erscheinen und mich entführen. »Camulus, Gott des Krieges, laß die Tiguriner wieder auferstehen und dieses römische Heerlager dem Erdboden gleichmachen, Cernunnos, Herr der Tiere, verleihe meinem Pferd Flügel, Epona …« Nein, nicht schon wieder die Göttin Epona. »Sucellus, schleudere deinen Hammer auf diese römischen Legionen, und beim Teutates, regt euch endlich und tut eure Arbeit!« In meiner Verzweiflung griff ich sogar zu der goldenen Eberfigur, die an meinem Gurt baumelte. Ich brauchte jede erdenkliche Hilfe. Und zwar dringend.

»Korisios!« Aulus Hirtius trat aus dem Zelt und bat mich freundlich herein. Ich und Wanda stiegen von unseren Pferden und folgten Aulus Hirtius. Im Zelt standen bereits Gaius Oppius und Julius Cäsar über eine Karte gebeugt. Beide blickten hoch und musterten mich kühl. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich reichte Cäsar sofort die Papyrusrolle, die mir Diviciatus diktiert und übergeben hatte.

»Hier, Prokonsul, die Antwort des Druiden Diviciatus. Wir sind so schnell geritten, wie wir konnten. Aber die Gegend ist gefährlich, ich mußte oft marodierenden Banden ausweichen.«

Alle schienen über meine hastig vorgetragenen Worte überrascht zu sein. Nur Aulus Hirtius lächelte breit. Er schien sich darüber zu freuen.

»Hab ich euch nicht gesagt, daß wir Korisios trauen können?« Aulus Hirtius wandte sich an mich: »Wir haben den Sklaven Fuscinus auf der Flucht erwischt. Er hat uns erzählt, daß ihr von marodierenden helvetischen Reitern überfallen worden seid. Wir dachten, ihr seid alle tot.«

»Das ist wahr«, log ich. »Wir wurden von einer Handvoll junger Reiter überfallen. Aber wieso habt ihr Fuscinus gekreuzigt?«

Gaius Oppius grinste breit. »Er ritt in die falsche Richtung.«

»Mit dem Pugio des jungen Tribuns«, fügte Aulus Hirtius hinzu.

»Fuscinus ist vermutlich während des Überfalls geflohen, genau wie ich«, versuchte ich Fuscinus zu helfen.

»Und wie kommt ein Sklave an einen Offiziersdolch?«

»Ich weiß es nicht. Hat denn keiner überlebt?« fragte ich so gelassen wie möglich.

Cäsar und die anderen beiden wechselten einen kurzen Blick. Gaius Oppius ergriff das Wort: »Sie lagen alle nackt in einer Schlucht. Der Legionsarzt sagt, daß der junge Tribun zuvor noch aufs grausamste geschändet worden sei.«

»Der frühe Tod erspart mancher Familie große Schande«, bemerkte Cäsar kühl. »Ich denke nicht, daß der junge Tribun zu etwas taugte. Er war parfümiert wie eine Hure und dachte nur ans Fressen. Um den Offizier des Beschaffungstrupps tut es mir allerdings leid. Er dachte auch nur ans Fressen. Aber das war seine Aufgabe.« Cäsar hielt die Papyrusrolle von Diviciatus lächelnd in der Hand und überflog zufrieden den Text. Dann reichte er die Rolle Aulus Hirtius. »Ich will fünfzig Abschriften davon. Boten sollen sie morgen früh nach Rom bringen. Die ganze Republik soll erfahren, daß unser Bündnispartner Rom um Hilfe gebeten hat!« Er wandte sich an mich und zeigte mit dem Finger auf einen Stuhl. Ich sollte offenbar weiterschreiben, obwohl die Schlacht gar noch nicht beendet war. Aber in Gedanken hatte er sie bereits gewonnen und den nächsten Schachzug geplant. Cäsar diktierte:

»Kapitel 12. Als nun Cäsar durch seine Kundschafter erfuhr, daß drei Viertel der helvetischen Scharen den Fluß bereits überschritten hätten, ungefähr der vierte Teil sich aber noch auf dem diesseitigen Ufer befände, brach er während der dritten Nachtwache (Mitternacht) mit drei Legionen aus dem Lager auf und gelangte zu dem Teil, der noch nicht über den Fluß gegangen war. Diesen nun griff er an, da sie kampfunfähig und ahnungslos waren, und hieb einen großen Teil nieder.«

Cäsar hielt einen Augenblick inne und wandte sich dann an Aulus Hirtius.

»Davor fügen wir nun ein Kapitel 11 ein, das das Hilfegesuch der Häduer betrifft.« Aulus Hirtius nickte kurz und setzte die Feder an. Cäsar blieb hinter seinem Rücken stehen und diktierte:

»Kapitel 11. Die Helvetier hatten ihre Scharen bereits durch den Engpaß und das Gebiet der Sequaner geführt, waren in das Land der Häduer gekommen und verheerten nun deren Felder.«

Aulus Hirtius hielt kurz inne: »Cäsar, aber auf den Feldern wächst noch kein Getreide …«

»Ja und?« entgegnete Cäsar unwirsch. »Hab ich dich darum gebeten, ein genaues Datum zu nennen oder auf diesen Umstand aufmerksam zu machen? Wen kümmert das in Rom? Schreib, was ich dir diktiere, Aulus Hirtius.« Und Cäsar diktierte weiter:

»… waren in das Land der Häduer gekommen und verheerten nun deren Felder. Die Häduer, nicht in der Lage, sich und ihre Habe gegen sie zu verteidigen, schickten Gesandte an Cäsar und baten um Hilfe. Sie hatten sich jederzeit um das römische Volk so große Verdienste erworben, daß man wahrlich nicht ruhig zusehen sollte, wenn beinahe vor den Augen unseres Heeres ihre Äcker verwüstet, ihre Kinder in die Sklaverei geführt, ihre Städte erobert würden.«

Wir hörten, daß sich Reiter in strengem Galopp näherten. Vor dem Zelt hielten sie an und sprangen von den Pferden. Ein Meldereiter betrat das Zelt und reckte die ausgestreckte Hand in die Höhe: »Heil dir, Cäsar! Unsere siegreichen Soldaten haben die Tiguriner vernichtet. Einigen wenigen ist die Flucht in den nahen Wald gelungen. Die Soldaten fragen ihre Centurionen, ob du ihnen die Plünderung erlaubst.«

»Durchkämmt die Wälder. Kein Tiguriner soll diesen Tag überleben. Danach sollen die Centurionen ihren Männern die Plünderung erlauben.«

Der Meldereiter verneigte sich kurz vor Cäsar. »So sei es, Cäsar.« Eilig verließ er das Zelt, und wir hörten, wie er davongaloppierte. Cäsar zeigte kurz auf mich und fuhr mit dem Diktat fort: »Fortsetzung Kapitel 12: Die übrigen suchten ihr Heil in der Flucht und verbargen sich in den nächsten Wäldern. Es waren dies die Bewohner des Tigurinergaues, denn das ganze helvetische Volk …«

Cäsar unterbrach und sprach mich direkt an: »Wie viele Gaue haben die Helvetier?«

»Vier«, antwortete ich.

»Also«, fuhr Cäsar fort, »denn das ganze helvetische Volk ist in vier Gaue geteilt. Gerade dieser Stamm hatte zur Zeit unserer Väter seine Heimat verlassen, den Konsul Lucius Crassus getötet und dessen Heer unter das Joch geschickt. So sollte denn, sei es durch Zufall oder nach dem Ratschluß der unsterblichen Götter, gerade jener Teil des helvetischen Volkes, der den Römern einst eine so empfindliche Niederlage beigebracht hatte, zuerst dafür seine Strafe empfangen. Dabei rächte Cäsar eine Unbill, die nicht allein den Staat, sondern auch seine Person berührte, da die Tiguriner den Legaten Lucius Piso, den Großvater seines Schwiegervaters Lucius Piso, in derselben Schlacht, in der Cassius fiel, getötet hatten.«

Cäsar schaute kurz in die Runde, ernst und nachdenklich. Wir erwiderten achtungsvoll seinen Blick. Plötzlich hellte sich seine Miene auf, und er grinste entspannt über das ganze Gesicht.

»Sag mir, Druide, wieso bist du eigentlich zu mir zurückgekehrt?«

»Wieso hätte ich das nicht tun sollen?« antwortete ich scheinheilig. »Hast du die Kelten schon gezählt, die jeden Tag für dich ausreiten und wieder zurückkehren?«

Cäsar lächelte. »Du bist anders, Druide, und du weißt das. Wozu soll ich dich also mit anderen Kelten vergleichen?«

Er fixierte mich dabei eindringlich, nicht böse, aber auch nicht sonderlich freundlich, einfach so, als wolle er in meinen Augen lesen oder prüfen, ob ich seinem Blick standhalten konnte. Das war natürlich lächerlich. Ich stellte mir einfach vor, daß Onkel Celtillus im Zelt war und die Prüfung beobachtete. Und ich bestand sie. Cäsar quittierte es mit einem freundlichen Lächeln.

»Kannst du auch Träume deuten, Druide?« fragte er ruhig.

»Manchmal.«

»Kannst du die Zukunft vorhersagen?«

»Ich weiß, daß kein Helvetier jemals den Atlanticus sehen wird.«

Cäsar schien überrascht. Er mußte über alle Maßen abergläubisch sein. Aber Herkunft und Stellung verbaten ihm, den Aussagen eines jungen Kelten, der nicht einmal adliger Abstammung war, irgendwelche Bedeutung beizumessen. Oder es gar zu zeigen. Andererseits hatte ich ihm etwas prophezeit, was er in seinem Innersten erhoffte. Und selbst Menschen, die sich nichts aus Prophezeiungen machen, hören gerne, wenn man ihnen Gutes prophezeit. Sie kommen dann immer wieder und wollen mehr hören, obwohl sie weiterhin beteuern, sich nichts aus Prophezeiungen zu machen. Cäsar befand sich mit einem römischen Heer in der Wildnis. Er hatte keine Ahnung, was ihn hier wirklich erwartete, wie stark die keltischen Truppen tatsächlich waren. Daß nun ein Kelte, der Land und Leute genau kannte, diese Prophezeiung machte, erfüllte ihn mit Zuversicht. Denn selbst wenn diese Prophezeiung jeglicher göttlichen Eingebung entbehrt hätte, so war sie doch zumindest die Einschätzung eines Druiden. Cäsar wandte sich an Aulus Hirtius: »Erstelle eine Liste aller umliegenden Stämme, und nimm sie in Kapitel elf auf. Auch sie sollen Cäsar um Hilfe gebeten haben. Es sind die gallischen Stämme, die Cäsar herbeirufen und ihn zum Richter machen.«

Dann wandte er sich an mich: »Druide, wir werden jetzt eine Brücke über den Arar schlagen und die Helvetier einholen. Wie werden sie sich verhalten?«

»Sie werden Gesandte zu dir schicken, Cäsar.«

Cäsar nickte. »Du sollst das Gespräch mit den Gesandten übersetzen und anschließend das dreizehnte Kapitel schreiben. Ruh dich jetzt aus.«

Als ich mit Wanda gehen wollte, fragte er mich, ob ich noch einen Wunsch habe.

»Ja«, entgegnete ich, »schenk mir das Leben des Sklaven Fuscinus.«

»Fuscinus?«

Ich nickte.

»Wieso willst du ausgerechnet den Kopf von Fuscinus retten?«

»Wenn Fuscinus mir das Leben verdankt, wird er mir ewig treu sein.«

Cäsar überlegte kurz, dann gab er den Befehl, den Sklaven Fuscinus sofort zu töten. »Merke dir, Druide, du solltest dich nie für jemanden einsetzen, der sich gegen Cäsar gewandt hat.«

Als ich Cäsars Zelt verließ, hing Fuscinus immer noch am Kreuz. Aber er schwieg. Drei Pilen hatten seine Brust durchbohrt.

Einer von Cäsars Burschen führte uns zu unserem Zelt, das die Sklaven der Schreibkanzlei bereits aufgeschlagen und hergerichtet hatten. Der Boden war mit sauberem Stroh und Fellen ausgelegt. Erschöpft legten wir uns nieder. Lucia beschnupperte das Inventar.

»Jetzt sind wir wieder zu Hause«, lächelte ich verlegen und legte meinen Arm um Wandas Hüfte.

»Ja, Herr«, schmunzelte Wanda.

Vor unserem Zelt tauchte plötzlich die Silhouette eines großen Menschen auf. Während das lederne Dach lichtundurchlässig war, waren die Wände eines Offizierszeltes aus hellem Leinen, welches Licht durchließ. Aber wer war der Kerl, der da um unser Zelt herumschlich und die Figur eines germanischen Gladiators hatte. Plötzlich hörten wir ihn rufen: »Druide Korisios, ich muß dich sprechen.«

Ich löste mich von Wanda und richtete mich auf. »Komm rein!« rief ich.

Ein Turm von Mensch trat in unser Zelt. Er trug die einfache Tunika eines Sklaven. Er war so groß, daß er gebückt stehen mußte, um mit dem Kopf nicht an das Lederdach zu stoßen.

»Ich bin Krixos, Sklave der zehnten Legion und persönlicher Besitz des Prokonsuls. Ich bin ein Geschenk an dich. Der Prokonsul will sich damit für deine Dienste bedanken.«

Er platzte beinahe vor Stolz. Wanda und ich wechselten erstaunte Blicke.

»Wo sollen wir dich denn unterbringen?« war mein erster Gedanke. Es verging schließlich keine Nacht, in der Wanda und ich uns nicht leidenschaftlich liebten.

»Keine Sorge«, lächelte Krixos freundlich, »ich werde uns ein größeres Zelt besorgen. Der Lagerpräfekt hat uns eines in Aussicht gestellt. Bis dahin werde ich draußen schlafen.«

»Sag uns, was du kannst, Krixos!«

»Ich reinige regelmäßig das Zelt und die Kleider, ich besorge das Essen und bereite es zu. Ich koche übrigens vorzüglich, Herr, und wenn dich jemand belästigt, breche ich ihm sämtliche Knochen.«

»Kannst du noch mehr?« fragte ich skeptisch.

»Aber sicher, Herr. Ich kann geräuschlos Wachen erwürgen, griechische Verse aufsagen und eigentlich alles beschaffen, was man mit Geld bezahlen kann.«

Ich nickte ihm anerkennend zu. »Krixos heißt du also, wie der berühmte Mitstreiter des Spartacus.«

Crassus, Roms reichster Mann, hatte Spartacus vor rund dreizehn Jahren vernichtend geschlagen. Mein Onkel Celtillus hatte damals als Söldner in Crassus' Heer gedient. Aber der Senat hatte nicht Crassus den begehrten Triumphzug gestattet, sondern Pompeius, der auf dem Nachhauseweg noch ein paar Sklaven niedergemetzelt und das Gerücht verbreitet hatte, er, Pompeius, habe in Wirklichkeit den Sklavenaufstand beendet. Ja, Cäsar hatte durchaus recht. Was nützt ein Sieg auf dem Schlachtfeld, wenn man ihn nicht publik machen kann? Ich denke, daß man die Bedeutung von Cäsars Kriegsberichten gar nicht hoch genug einschätzen kann. Und ich war einer seiner Schreiber. Und ich schlief in einem Offizierszelt, hatte eine Geliebte, einen bärenstarken und gebildeten Sklaven und einen Sold, der mir erlaubte, meine Schulden zurückzuzahlen. Irgendwie hatten meine Götter meine Hilferufe erhört.

»Hast du einen Wunsch, Druide?«

»Ja, Krixos, bring uns heißen Würzwein und Brot.«

Krixos verneigte sich freundlich und verließ das Zelt.

»Was sagst du dazu?« fragte ich Wanda.

Sie nickte anerkennend. »Deine Götter legen sich mächtig ins Zeug! Hast du ihnen etwa gedroht?«

»Kommt ihnen doch zugute, wenn sie meinen Körper als Wohnung benutzen«, grinste ich.

Draußen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, und die vielen Silhouetten, die an unserem Zelt vorbeihuschten, nahmen uns die Lust, weiter im Zelt zu bleiben. Wir gingen wieder hinaus und setzten uns an die Feuerstelle, die Cäsars berittene Prätorianergarde vor ihren Zelten errichtet hatte. Schweigend stocherten sie mit Ästen in der Asche herum. Sie hatten Fladenbrotteig mit Mohnsamen gespickt und in die Asche gelegt. Sklaven brachten wahlweise stark verdünnten Wein oder frisches Wasser. Es war schon erstaunlich: Egal wo Cäsar sich gerade aufhielt, egal wie lange seine Soldaten in der Nacht zuvor marschiert waren, es gab stets ausreichend zu essen und frisches Wasser.

Cäsars Beschaffungstrupps waren von unermeßlicher Wichtigkeit. Wir Kelten haben lange nicht begriffen, daß man allein mit der Vernichtung dieser Beschaffungstrupps riesige Heere zum Stillstand bringen konnte. Wenig später brachte Krixos den Würzwein. Ich bat ihn, auch die übrigen Soldaten am Lagerfeuer damit zu versorgen.

Unten am Fluß brannten einzelne Karren. Die Legionäre fledderten die Leichen. Gold war am begehrtesten. Es war klein und handlich und hatte überall einen beachtlichen Gegenwert. Auch Silber, Schmuck und Waffen waren gefragt. Die Nahrungsmittel wurden vom legionseigenen Frumentator sichergestellt. Auch die Pferde wurden den Legionsbeständen zugeteilt. Nur die Ochsen, Schafe, Ziegen und Schweine überließ man den Plünderern. Die Tiere waren auf dem Marsch zu langsam, und sie brauchten Futter, das man ebenfalls mitführen mußte. Also überließ man das lebendige Fleisch den Plünderern, die es gleich den Händlern weiterverkauften. Die Hyänen der römischen Republik, die den drei Legionen in sicherem Abstand gefolgt waren, hatten bereits ihre Stände aufgestellt und gaben lauthals ihre Angebote ab. Sie bezahlten die Legionäre stets in bar. Schon deshalb brauchte jede handeltreibende Hyäne eine Privatarmee zur eigenen Sicherheit.

Wenig später meldeten Kundschafter, daß die Helvetier ihren Zug fortgesetzt hätten und keine Anstalten machten, erneut über den Arar zu setzen. Sie mieden den Kampf und setzten ihre Wanderung unbeirrt fort. Cäsar befahl Mamurra, sofort mit dem Bau der Brücke über den Arar zu beginnen. Obwohl Cäsar keinen Befehl gegeben hatte, die Plünderungen einzustellen, meldeten sich genügend Freiwillige für den Brückenbau. Die einen wollten damit ihre Centurionen beeindrucken, die anderen erhofften sich dadurch bei der nächsten Schlacht gegen die Helvetier eine bessere Ausgangslage. Denn jedem römischen Soldaten war klar, daß sie diesseits des Flusses zwar Gold gefunden hatten, aber noch lange nicht den legendären Goldschatz der Helvetier. Wenig später trafen drei weitere Legionen mit dem schweren Gepäck ein. Somit hatte Cäsar wiederum seine sechs Legionen vereint.

Ich hatte bereits gesehen, wie Mamurra in Genava die mehrstöckigen Holztürme hochgezogen hatte. Aber die Art und Weise, wie dieser verkommene Lebemann die Brücke über den Arar schlagen ließ, stellte alles Bisherige in den Schatten. Wir Kelten hatten viele Tage gebraucht, um über den Fluß zu setzen. Mamurra schaffte es an einem einzigen. Als die Brücke gegen Abend fertiggestellt war, erschienen am gegenüberliegenden Ufer helvetische Unterhändler und baten Cäsar um die Erlaubnis, eine Delegation ans andere Ufer zu schicken. Sie waren bestürzt und sprachen von Zauberei. Aber ich habe bei anderer Gelegenheit schon mal erwähnt, daß Rom die Welt nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Spaten erobert hat. Dieser Brückenbauer Mamurra war derart genial, daß Cäsar ihn in seinen Berichten kaum erwähnte. Er wäre ihm wohl zu sehr in der Sonne gestanden.

Cäsar ließ den Unterhändlern ausrichten, daß er morgen zu einem Empfang bereit sei. Er befahl, große Gruben auszuheben, um alle Leichen darin zu verscharren. Er hatte mittlerweile die Plünderungen untersagt. Es gab auch nicht mehr viel zu holen. Die vertraglich berechtigten Händler, darunter auch der Kerl mit der Knollennase, klapperten nun das Schlachtfeld mit ihren Privatsoldaten nach brauchbaren Stoff- und Metallresten ab, und wie immer waren sie verärgert, wenn die Legionäre sie verscheuchten.

Am nächsten Morgen ließ Cäsar sein Zelt unten am Ufer aufstellen und diktierte weitere Briefe nach Rom. An jenem Tag war ein neues Gesicht in Cäsars Zelt. Valerius Procillus, ein Prinz vom Stamme der Helvier.

Dieser Stamm liegt zwischen dem Gebiet der Allobroger im Norden und dem Gebiet der Vocontier im Süden. Der Vater des Prinzen hatte vom damaligen Gouverneur, Valerius Flaccus, das römische Bürgerrecht erhalten und sich fortan, entsprechend der traditionellen Namengebung, Valerius Caburu genannt. Auch als Marionette Roms hatte er Geiseln stellen müssen. Unter anderem seinen Sohn. Dieser war als Geisel nach Rom gebracht worden und hatte dort seine gesamte Kindheit verbracht und seine Ausbildung erhalten. So war Valerius Procillus eine dieser seltsamen geistigen Chimären, halb Römer, halb Kelte, und zahlreiche Gelehrte wollten an Wesen wie ihm deutlich machen, daß die Erziehung wichtiger war als die Abstammung. Heute gehörte das Gebiet der Helvier auf jeden Fall zum Hoheitsgebiet von Massilia. Procillus war vielleicht zehn Jahre älter als ich. Er stand hoch in Cäsars Gunst. Er diente ihm als Dolmetscher, und wer weiß, vielleicht hatte ihn Cäsar deshalb nachkommen lassen, weil er mir immer noch nicht traute. Vielleicht hatte er mittlerweile auch den Plan gefaßt, in Gallien verschiedene Kriegsschauplätze zu eröffnen. Dafür hätte er natürlich ebenfalls mehrere Dolmetscher benötigt.

Gegen Mittag erschien Divico mit einer adligen Delegation und bewaffneten Helvetiern am anderen Ende der Brücke. Cäsar schickte Valerius Procillus über die Brücke, um den Helvetiern mitzuteilen, daß er bereit war, sie zu empfangen. Langsam und würdevoll stapfte Divico über die knarrenden Querbalken der hölzernen Brücke. Die Delegierten folgten mit vier Schritt Abstand. Cäsar erwartete ihn, flankiert von seinen Liktoren, am anderen Ende. Auch er war zu Fuß. Divico blieb eine Pferdelänge vor Cäsar stehen. Unwirsch fegte er sich mit einer Handbewegung die weißen Strähnen aus dem Gesicht und schrie zornig: »Wir sind gemäß deinen Weisungen der römischen Provinz ausgewichen und haben einen anderen Weg gewählt! Wieso suchst du nun außerhalb der römischen Provinz den Krieg? Hast nicht du selbst, Cäsar, als Konsul in Rom, das Gesetz eingebracht, wonach ein Prokonsul außerhalb seiner Provinzgrenzen keinen Krieg führen darf? Du weißt genau, wieso wir unsere Heimat verlassen haben. Wir Helvetier wünschen den Frieden. Wenn das römische Volk mit den Helvetiern Frieden schließt, sind wir bereit, in jedes Land zu ziehen, das du uns zuweist, und uns dort niederzulassen. Sage uns, wo wir uns ansiedeln sollen, aber höre auf, uns außerhalb der römischen Provinz zu verfolgen. Falls du aber auf einer Fortsetzung des Krieges beharrst, so gedenke der früheren Niederlage des römischen Volkes und der Tapferkeit der Helvetier. Wenn du gestern hinterrücks einen unserer Stämme angegriffen hast, weil die übrigen, welche den Fluß bereits überschritten hatten, ihnen nicht mehr zu Hilfe eilen konnten, so sollst du dir deswegen nichts auf deine Tapferkeit einbilden. Wir Helvetier haben von unseren Vätern und Vorvätern gelernt, im Kampf zu siegen. Wir suchen unser Heil nicht in der List. Nimm dich deshalb in acht, Cäsar«, polterte Divico und reckte die geballte Faust in den Himmel, »nimm dich in acht! Nur zu leicht kann dein jetziger Lagerplatz von der Niederlage des römischen Volkes und der Vernichtung deines Heeres künden.« Ich weiß nicht, wieso ausgerechnet Divico diese Unterredung führte. Er wirkte kränklich, und das Feuer in seinen Augen war gänzlich erloschen. Die Götter hatten ihn entzaubert. Er war nichts als ein Greis, dem das Leben zerrann. Seine Rede hatte ihn erschöpft. Schwer atmend stand er nun da und wartete.

Als Procillus die letzten Sätze übersetzt hatte und Divico keine Anstalten mehr machte, weiterzusprechen, ergriff Cäsar mit ungerührter Miene das Wort: »Ich habe das, was ihr unseren Vorfahren angetan habt, mitnichten vergessen.« Umständlich erzählte Cäsar nochmals diese uralte Geschichte, vermied es aber, erneut Lucius Piso, den Großvater seines Schwiegervaters, zu erwähnen. Er redete und redete, und es schien fast so, als hätte er nicht einen einzigen Grund, mit dem er Divico seinen heimtückischen Überfall außerhalb der römischen Provinz erklären könnte.

»Gesetzt den Fall«, fuhr er fort, »ich wollte jene alte Schmach vergessen, wie könnte ich jemals euren Versuch, einen gewaltsamen Durchzug durch meine Provinz zu erzwingen, vergessen?«

»Wir sind hier im freien Gallien, Cäsar!« unterbrach ihn Divico. »Wenn wir die Absicht gehabt hätten, durch die römische Provinz zu ziehen, hätten wir es auch getan. Aber wir wollen Frieden mit dem römischen Volk und haben deshalb diesen beschwerlichen Umweg gewählt. Wieso hast du uns in Genava nicht gesagt, daß du uns so oder so verfolgen würdest? Was willst du von uns, Cäsar? Was hast du hier verloren? Wieso dringst du überhaupt in Gallien ein?«

»Unsere treuen Freunde, die Häduer, haben das römische Volk um Hilfe gebeten. Auch die Allobroger und Ambarrer haben sich über euch beklagt.«

»Wer gibt dir das Recht, dich hier als Richter aufzuspielen? Wir Kelten brauchen keine fremden Richter! Und unsere Freiheitsliebe hat schon manchem Heer Tod und Verderben gebracht!«

Cäsar saß trotz seines legendären Mundwerks in der Klemme. In Anwesenheit all seiner Liktoren, Tribune, Legaten, Centurionen und Tausender von Legionären mußte er hier öffentlich plausible Gründe angeben, die seinen Überfall erklärten und ihm das Recht gaben, die Helvetier weiterhin außerhalb der Provinz zu verfolgen. Er setzte deshalb gezielt auf eine Eskalation der Unterredung: »Ihr prahlt mit euren Siegen und wundert euch gleichzeitig, daß ihr trotz der damaligen Ungerechtigkeiten ungestraft davongekommen seid. Das zeigt ganz deutlich eure Gesinnung. Aber bedenke, Divico, die unsterblichen Götter gewähren manchmal jenen Menschen, die sie für ihre Ruchlosigkeit bestrafen wollen, größeres Glück und längere Straflosigkeit, damit sie den jähen Wechsel ihres Schicksals um so härter empfinden.«

Wie ein Kleinkrämer hackte Cäsar mangels Argumenten auf dieser uralten Geschichte herum. Er konnte ja nicht schweigen. Cäsar mußte antworten, reden. Im Grunde genommen sprachen sie beide aneinander vorbei, weil der eine Frieden suchte und der andere endlich zum nächsten Angriff übergehen wollte. Cäsar blickte kurz zu mir herüber und musterte dann seine Männer. Er wußte, daß er keine gute Figur abgab und daß man ihn in Rom der gesetzwidrigen Kriegstreiberei bezichtigen würde. Das bestellte Hilfegesuch der Häduer war zu durchsichtig. Also mußte Cäsar den Frieden anbieten und gleichzeitig Bedingungen stellen, die für Divico unannehmbar waren: »Trotz allem bin ich bereit, mit euch Frieden zu schließen«, sagte er völlig überraschend, »wenn ihr euch mit Geiseln für die Erfüllung meiner Forderung verbürgt und den Häduern Schadensersatz leistet.«

»Wir haben mit den Häduern für den Zeitraum des Durchmarschs Geiseln ausgetauscht. Hätten wir irgendwelchen Schaden angerichtet, hätten sie uns unsere Geiseln schon längst um einen Kopf kürzer zurückgeschickt. Dies aber ist nicht geschehen. Und es wird auch nicht geschehen.«

»Dann stellt auch dem römischen Volk Geiseln«, beharrte Cäsar.

»Wir Helvetier haben von jeher von Fremden Geiseln genommen, niemals aber ihnen welche gestellt.«

Divico entfernte sich, ohne Cäsars Antwort abzuwarten. Er hatte längst bemerkt, daß die ganze Unterredung pure Heuchelei war. Sie hatte stattfinden müssen, damit man in Rom berichten konnte, Cäsar habe sich um Frieden bemüht. Er war sichtlich zufrieden, als der greise Divico ihm endlich den Rücken kehrte.

Cäsar versammelte sogleich seine Tribune, Legaten und Centurionen in seinem Zelt.

»Wie ist die Stimmung unter den Soldaten?« fragte er als erstes.

Alle blickten auf Lucius Speratus Ursulus. Er kannte die Nöte seiner Männer aus nächster Nähe. »Nachdem man ihnen die Tapferkeit der Helvetier in allen Farben geschildert hat, sind sie überrascht über den leicht errungenen Sieg. Das Niedermetzeln von schlaftrunkenen Männern, Frauen und Kindern hat sie nicht sonderlich gefordert.«

»Sind sie wenigstens mit der Beute zufrieden?« fragte Cäsar.

Der Primipilus zögerte, schließlich sagte er mit gesenktem Haupt: »Nein, Cäsar, sie sagen, sie hätten Bauern ausgeraubt.«

Cäsar legte die Stirn in Falten und überlegte.

»Darf ich sprechen, Cäsar?« fragte ich laut.

Cäsar drehte sich um, als hätte eine Maus gequietscht. Er musterte mich mißtrauisch. »Sprich, Druide, aber faß dich kurz.«

»Cäsar«, begann ich, »wenn du den Soldaten sagst, sie hätten den ganzen Stamm der Tiguriner vernichtet, dann suchen sie zu Recht nach deren Fürsten und deren Gold. Ist Divico nicht auch ein Tiguriner? Wieso befinden er und seine Fürsten sich nicht unter den Toten?«

Cäsar begriff sofort, daß er sich mit seinen Lügengeschichten selber ein Bein gestellt hatte. Aber er schien nicht verärgert, daß ich ihn darüber öffentlich aufklärte, nein, er grinste, als gefiele es ihm, daß ein keltischer Druide sein vielschichtiges Netz von Taktiken, Lügen und Intrigen weiterzuspinnen versuchte.

»Du hast recht, Druide«, erwiderte Cäsar, »wo Bauern sind, ist kein Gold, wo Gold ist, sind keine Bauern, denn das Gold ist bei den Stammesadligen. Und wenn unter den Toten keine Fürsten sind, dann waren sie bereits auf der anderen Seite des Flusses. Und wenn sie bereits auf der anderen Seite des Flusses waren, dann ist auch das Gold bereits auf der anderen Seite des Flusses.«

»Und was soll ich nun den Männern sagen?« fragte der Primipilus.

»Sag ihnen, daß sie töricht sind, wenn sie wirklich glaubten, die Kelten würden eine Armee zurücklassen, um Schafe und Ziegen zu beschützen. Die keltischen Krieger sind auf der anderen Seite des Flusses. Dort befindet sich auch das Gold der Helvetier. Und, Lucius Speratus Ursulus, erinnere die Männer an den römischen Feldherrn Caepio, der vor fünfzig Jahren in Tolosa über fünfzig Tonnen Gold und Silber in den heiligen Tempeln und Seen der Kelten gefunden hat. Erzähle das den Legionären! Und erlaube ihnen, Briefe nach Hause zu schreiben.«

Er wandte sich nun an die Legaten: »Schickt unsere gesamte Reiterei über den Fluß. Sie sollen den Helvetiern auf den Fersen bleiben und uns zu jeder Tag- und Nachtwache über den neusten Stand unterrichten. Aber untersagt ihnen jede Kampfhandlung.«

Als die Männer gegangen waren, diktierte er mir mit Procillus' Gedächtnishilfe die Unterredung mit Divico. Er gab sie im großen und ganzen authentisch wieder, unterschlug jedoch Divicos Entgegnung, daß die Helvetier gar nicht in die römische Provinz eingefallen waren. Er erwähnte auch nicht, daß die Helvetier mit den Häduern Geiseln ausgetauscht hatten. Denn jeder vernünftige Mensch würde sich fragen: Wo bleiben da die wütenden Häduer, die aus Rache die Geiseln der Helvetier töten? Also ließ er dieses Detail bei der Wiedergabe von Divicos Antwort einfach weg. Er vergaß aber, daß er in einem früheren Bericht die Geiselstellung der Helvetier an die Häduer bereits einmal erwähnt hatte. Ich unterließ es, Cäsar darauf aufmerksam zu machen. Die Nachwelt sollte ruhig erfahren, daß Cäsars Berichte nicht besonders wahrheitsgetreu waren. Über weite Strecken waren sie durchaus korrekt, weil Cäsar angesichts der zahlreichen Augenzeugen nichts Gegenteiliges behaupten konnte. Aber wer von den Händlern und Soldaten konnte überprüfen, ob die Häduer Rom tatsächlich um Hilfe gebeten hatten? Und wie viele Augen haben das nachträglich eingetroffene Hilfegesuch des Diviciatus gesehen? Hier konnte Cäsar diktieren, was ihm nützte. Er konnte nicht behaupten, daß die Häduer aus Rache helvetische Geiseln geköpft hatten, wenn es nicht wahr war. Denn dieser Akt hätte nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden können. Ohne geköpfte Geiseln war aber Cäsars Behauptung, daß sich die Häduer über die Helvetier beklagten, ziemlich unglaubwürdig. Cäsar entschied sich für die einfachste Lösung: Er erwähnte, was ihn bloßstellen konnte, mit keinem Wort und hoffte auf die Hilfe der allmächtigen Götter.

»Cäsar«, fragte Aulus Hirtius, »sollten wir nicht noch eine Angabe über die Heeresstärke einbringen?«

Cäsar überlegte. Der Vorschlag war nicht von der Hand zu weisen. Procillus rechnete vor: »Wir hatten drei Legionen zu je sechstausend Mann und viertausend Reiter. Also achtzehntausend Legionäre und viertausend Reiter.« Nun blickten alle in meine Richtung.

»Wie groß ist der Stamm der Tiguriner?« fragte Aulus Hirtius.

»Achtzehntausend Männer, Frauen und Kinder, davon sind ungefähr ein Viertel waffenfähig. Das würde bedeuten, daß achtzehntausend Legionäre und viertausend Reiter gegen viertausendfünfhundert Tiguriner gekämpft haben. Da aber Divico nicht der einzige Tiguriner ist, der bereits auf der anderen Seite des Flusses gewesen ist, kann man annehmen …«

»Du hast uns überzeugt, Druide«, sagte Cäsar, »wir werden erst Zahlen nennen, wenn ich es für richtig halte. Wenn hundert Menschen ein Wildschwein essen, ist dies nichts Besonderes. Wenn hingegen hundert Menschen zehntausend Wildschweine essen, hält die Welt den Atem an. Das Geheimnis ist, daß wir dafür ausreichend Zeit haben. Und genauso wie wir uns das Essen in kleinen Häppchen mundgerecht bringen lassen, werden wir uns auch in Gallien stets kleine Einheiten vornehmen. Deswegen werden wir erst Zahlen nennen, wenn wir berichten können, daß hundert Römer zehntausend Wildschweine verspeist haben.«