Langsam kaute ich Brot und nahm ab und zu einen kleinen Schluck aus meinem Holzbecher. Es war auffallend, wie stark sich Cäsar verändert hatte. Keine Spur von Pomp oder Verschwendung. Er war durch und durch Soldat geworden. Er machte den Eindruck eines Mannes, der sich verpflichtet fühlte, mehr zu leisten als jeder andere Mensch, wohl wissend, daß sich niemand dafür bei ihm bedanken würde, sondern daß jeder nur auf sein Scheitern wartete, um ihm den Dolch zwischen die Rippen zu stoßen. Cäsar war einsam geworden. Ich war es auch. Und dennoch hatten wir uns nichts mehr zu sagen.
»Sag mir, Druide, weißt du, wie der Wettstreit zwischen mir und Pompeius ausgehen wird?«
»Du weißt es doch selbst, Cäsar. Wozu brauchst du einen keltischen Seher? Erzwingst du nicht mit der Waffe, was dir verwehrt wird?«
»Das ist keine Prophezeiung, Druide. Du sagtest einmal, ich würde durch die Hand eines Römers sterben. Dann sag mir jetzt, wird es Pompeius sein?«
»Nein«, lachte ich, »Pompeius ist Soldat. Und Soldaten brauchst du nicht zu fürchten, Cäsar. Selbst wenn du die Schlacht verlierst, den Krieg gewinnst du.«
Ich sah die Genugtuung ins Cäsars Gesicht. Hatte er mich nur gerufen, um neue Prophezeiungen zu hören? Ich hatte Cäsar durchaus die Wahrheit gesagt. Es gab Dinge, von denen ich wußte, daß sie eines Tages geschehen würden. Ich weiß nicht, wieso es so war. Aber es war so. Nur Dinge, die mich selbst betrafen, blieben stets im dunkeln. Ich machte keine Anstalten, Cäsar näherzukommen. Er wäre bereit gewesen, meine Hand zu ergreifen. Wie damals. Aber ich ließ es nicht zu. Ich ließ auch den Wein stehen, den er mir nachschenken ließ. Mittlerweile trank ich den Wein lieber allein. Mit Lucia und meinen Gedanken an meine geliebte Wanda.
»Hast du einen Wunsch, Druide«, fragte Cäsar, als ich mich zum Gehen erhob.
»Nein«, antwortete ich. »Du hast mir Wanda genommen, und du wirst sie mir nicht mehr zurückgeben. Wieso soll ich dich darum bitten?«
»Was würdest du denn tun, wenn dir eine Sklavin nach dem Leben trachten würde?«
»Ich würde nie ein Volk ausrotten, nur weil es vor den Sueben geflohen ist«, antwortete ich und verließ das Zelt.
Im darauffolgenden Jahr hatte Cäsar bereits zehn Legionen mit über fünfzigtausend Soldaten in Gallien stationiert. Unermüdlich marschierte er von einem Ort zum andern und unterwarf Stämme, die er bereits Jahre zuvor unterworfen hatte. Plündernd und marodierend durchstreiften seine Legionäre die Stammesgebiete und setzten alles in Brand, was sie nicht mitnehmen konnten. Jeder Fluß, jedes Heiligtum wurde entehrt und ausgeraubt. Gegen Ende des Sommers schien es so, als habe Cäsar Gallien zum zweiten Mal befriedet. Während Cäsar wie üblich in seine cisalpinische Provinz zurückkehrte, um Gerichtstage zu halten, überwinterte ich im mittlerweile ausgebauten Handelshaus des Fufius Cita, wo ich eher unbedeutende römische Korrespondenzen kopierte. Manchmal verbrachte ich die Nächte mit einer Carnutin, die uns tagsüber mit Essen und Getränken aus dem nahen Gasthof versorgte. Aber sie verstärkte bloß die Sehnsucht nach Wanda.
Obwohl Wandas Bild im Lauf der Jahre etwas verblaßt war, war die Sehnsucht nach ihr stärker denn je. Es war ein Teil von mir, den man mir entrissen hatte. Und ich meine, es war der bessere Teil. Manchmal, wenn ich nachts wach auf meinem Fell lag, dachte ich an Wanda und versuchte ihr Gesicht zu sehen. Doch sie war weit weg und die Konturen wurden verwaschener, wie ein Kiesel, den die Jahre im Wasser rund geschliffen hatten. Manchmal glaubte ich Wanda auf irgendeinem Markt zu sehen. Wie von Sinnen drängte ich mich zwischen den Menschen hindurch, hob den Arm, rief ihren Namen, und einmal, als ich hinter ihr stand und sie sich umdrehte, sah ich, daß es eine alte Frau war, zahnlos und zerknittert. Hatten mir die Götter etwas mitteilen wollen?
Es ist viel einfacher, anderen Menschen Ratschläge zu erteilen, als sich selbst daran zu halten. Ich dachte oft an die Ratschläge unserer Druiden. Besonders nachts, wenn ich nicht schlafen konnte und Lucia beneidete, die zusammengerollt neben mir lag und schnarchte. Die Druiden sagen, daß man den Verlust eines geliebten Menschen schneller verkrafte, wenn man den Verlust hinnahm. Aber ich wollte und konnte mich mit Wandas Abwesenheit nicht abfinden. Meine einzige Hoffnung war, eines Tages nach Massilia zu gehen und Wanda zu suchen. Daß ein Sklavenhändler aus Massilia sie gekauft hatte, das war mein einziger Anhaltspunkt. Natürlich konnte er sie unterwegs irgendwo verkauft haben. Aber ich dachte, daß man eine derart hübsche germanische Sklavin bis nach Massilia bringen würde. In Genava gab es genügend Germaninnen, die andere hübsch fanden. Massilia. Dafür lebte ich. Dafür nahm ich auch das Angebot von Fufius Cita an, geographische Karten zu kopieren. Es war eigenartig, für einen Römer Karten über mein eigenes Land anzufertigen. Obwohl Fufius Cita die Karten für die Errichtung der neuen Proviantlager brauchte, waren sie von hohem militärischem Wert. Aber Fufius Cita vertraute mir, weil auch Cäsar mir vertraute. Ich zeichnete gerne Karten. Ich liebe es, Flüsse, Wälder und Städte einzuzeichnen. Es war abwechslungsreich und brachte mir zusätzliches Geld. Und die stille Anerkennung von Fufius Cita. Er machte keine großen Worte. Er war ein anständiger Römer, stets freundlich und korrekt. Aber wir kamen uns nie wirklich näher.