Siebzehntes Kapitel
Der Rabe folgte den Al-Arynaar aus dem Turmkomplex nach draußen, während die Xeteskianer noch dabei waren, sich zu organisieren. Die Elfenkrieger und Magier teilten sich auf und eilten zu den Kaltraum-Magiern. Der Unbekannte ließ den Raben auf der Treppe anhalten, um die Lage zu sondieren.
Im Hof herrschte das Chaos, aber der Grund für das Gebrüll, das sie in Dystrans Turm gehört hatten, war hoch über dem Kolleg zu finden. Aus dem Riss im dunkelblauen Himmel wallten weiße Wolken und schossen nach Balaia herein. Es war Mana, das mit stark erhöhter Geschwindigkeit eindrang. Die ohnehin schon niedrige Temperatur fiel bis fast auf den Gefrierpunkt, und es bestand kein Zweifel, dass die Wolke aus Eiskristallen bestand. Sie erwärmten sich gerade weit genug, um als kalter Regen über den Kämpfenden niederzugehen.
Unten am Boden sahen sich Wesmen und Al-Arynaar einem vernichtenden Angriff ausgesetzt. Seelenfresser waren in den Kaltraum vorgestoßen, und ein Schwarm von Drohnen begleitete sie. Karron hämmerten an vielen Stellen gegen die Wände und versuchten auch, durch die gesicherten Tore einzudringen. Bisher konnten sich die zweitausend Wesmen-Krieger gut behaupten, auch wenn sie viele Tote zu beklagen hatten. Hirad, nach dem erschreckenden Kontakt mit Ilkar noch etwas benommen, konnte sich nicht erklären, warum ihm die Szenerie so seltsam vorkam.
»Bilde ich es mir nur ein, oder sind die Seelenfresser stärker und schneller geworden?«, fragte er.
»Ganz sicher«, bestätigte Rebraal. »Sage mir, was Ilkar dir mitgeteilt hat.«
»Er sagte, sie seien in die Dimension der Geister durchgebrochen. Es gebe zwar Gegenwehr, aber sie hätten nur ihren Glauben und ihre Verbindungen zu uns, um sich zu halten, sich zu verteidigen und Kraft zu schöpfen. Wir müssen hinüber und die Kraftquelle der Dämonen sofort abstellen, sonst werden sie überwältigt.«
Hirad wollte die Treppe hinunter.
»Hirad, warte«, rief der Unbekannte. »Es tut mir leid, aber ich kann den Zusammenhang nicht erkennen.«
»Wie sind sie überhaupt durchgebrochen?«, wollte Erienne wissen. »Ich dachte, das sei nur möglich, wenn sie entweder die Elfen oder die Wesmen besiegt haben.«
Hirad drehte sich zu ihnen um, eine heiße Wut stieg in ihm auf. »Glaubt ihr etwa, wir hätten Zeit, darüber zu debattieren? Seht euch doch um. Die Dämonen greifen an wie nie zuvor. Ist nicht offensichtlich, was passiert ist? Wir müssen gehen, sonst ist Ilkar verloren, und wir dazu.«
»Hirad, warte«, sagte der Unbekannte. »Wir müssen klug vorgehen, wenn wir uns an Tessaya wenden, und genau wissen, was wir wollen. Wir wollen ein zentrales Element seiner Religion einsetzen. Er wird uns nicht fröhlich zusehen und zum Abschied freundlich winken.«
»Warum eigentlich nicht? Wir retten ja auch seine Toten. Bei den ertrinkenden Göttern, warum seid ihr alle so vorsichtig? Seht doch nur!«
Er deutete zum Himmel. Seelenfresser stießen auf die Wesmen und Al-Arynaar herab. Die erschöpften Krieger wehrten sich, so gut sie konnten. Aus den Lücken zwischen den Abschnitten des Kaltraums schossen Elfenmagier Eiswind in den Himmel. Der Barbar kam zum Raben zurück. Bisher hatte niemand auf sie geachtet, aber das würde sich bald ändern. Über ihnen schwebten die Meister und dirigierten die Schlacht. Der Lärm nahm sogar noch zu, die Mauern ächzten unter den Schlägen der Karron. Auf einmal gab ein fünfzig Schritt breiter Abschnitt nach und fiel mitsamt der Brustwehr in sich zusammen.
Die Karron stürmten herein. Oder vielmehr, sie begannen in der Gestalt von Karron. Anscheinend unbehindert vom Mangel an Mana im Kaltraum, marschierten sie herbei und wurden mit jedem Schritt größer. Sieben oder acht Fuß maßen sie auf einmal, und das Wachstum nahm kein Ende. Neue Muskeln bauten sich auf, die Hämmer und Stacheln verlängerten sich, neue Waffen entwickelten sich. Auf halber Höhe ihrer Oberkörper sprossen unter den Armen weitere Gliedmaßen, biegsam, lang und mit scharfen Spitzen und Scheren. Wahre Ungeheuer, denen sich die Wesmen trotzig und mutig singend stellten. Unerschütterlich im Angesicht einer tödlichen Gefahr.
»Bei den brennenden Göttern«, keuchte der Unbekannte.
»Glaubt ihr wirklich, wir hätten jetzt noch Zeit für ein Schwätzchen?«, fragte Hirad. »Darrick ist gestorben, damit wir hierher gelangen konnten. Lasst uns nicht vergeuden, was er uns geschenkt hat.«
»Das ist richtig«, stimmte der Unbekannte zu. »Rebraal, Auum, wir brauchen ihren obersten Schamanen. Und suche Eilaan. Der Rabe, wir gehen zu Tessaya. Wir treffen uns dann an den Quartieren, wo ihr Schrein steht. Los jetzt.«
Der Rabe eilte zum Kampfgetümmel hinab. Sie formierten sich wie gewohnt als Fünfstern, aber nun kämpfte Thraun an Hirads rechter Seite, da Darrick nicht mehr da war. Der Unbekannte und Ark besetzten rechts vorn die Spitze. Hinter ihnen hatten auch Denser und Erienne die Klingen gezogen. Al-Arynaar verstärkten ihre Flanken und boten ihnen etwas Schutz.
»Tessaya!«, rief Hirad. »Wir müssen mit Tessaya reden!«
An vorderster Front, wo die verstärkten Karron die Wesmen attackierten, flatterte das Banner der Paleonstämme im Wind. Einige Krieger drehten sich zum Raben um. Befehle wurden gerufen, und vor ihnen öffnete sich widerstrebend eine Gasse.
Seelenfresser landeten vor dem Raben, Drohnen sammelten sich droben und schossen herab.
»Der Rabe, in Bewegung bleiben!«, rief der Unbekannte.
»Kein Problem«, bestätigte Hirad.
Die Klinge mit beiden Händen haltend, rannte er weiter. Der erste Seelenfresser wurde von zahlreichen Äxten der Wesmen zerhackt, aber weitere folgten sofort nach. Als Hirad nach oben blickte, sah er mindestens drei.
»Oben, Unbekannter!«
Hirad machte noch einen Schritt, drehte sich auf der Hacke um sich selbst und ließ das Schwert über dem Kopf kreisen. Die Klinge traf die Füße eines Seelenfressers und durchtrennte Krallen und Knochen. Der Dämon kreischte und wollte wieder aufsteigen, verlor jedoch an Höhe und sank weiter herab. Thrauns Klinge zerfetzte seinen linken Flügel, und er stürzte zu Boden.
Links hatte der Unbekannte auf Hirads Warnung reagiert, drosch mit dem Streitkolben auf einen Seelenfresser ein und schnitt ihm mit dem Schwert den Schwanz ab. Das Wesen verlor das Gleichgewicht und stürzte, worauf Ark ihm den Schädel einschlug. Der dritte Dämon flog in einem flachen Bogen und wollte die Magier angreifen. Hirad überließ es Thraun, den ersten Gegner zu erledigen, und beeilte sich.
»Erienne, runter!«
Sie ging in die Hocke. Hirads Klinge fegte über sie hinweg und schnitt den Rumpf des Seelenfressers bis zur Wirbelsäule auf. Sein Blut spritzte heraus, der Seelenfresser flatterte noch einige Male und stürzte zwischen die Wesmen.
»Der Rabe, weiter!« Der Befehl des Unbekannten stellte die Ordnung wieder her.
Drohnen regneten förmlich auf sie herab. Sie waren hartnäckiger als zuvor, stellten aber im Grunde keine große Gefahr dar. Hirad hielt das Schwert oben und nach vorn gerichtet und achtete vor allem auf Seelenfresser. Die freie Hand hielt er sich vors Gesicht, um die Drohnen abzuwehren, die ihm die Augen auskratzen wollten. Die Reihen der Al-Arynaar und Wesmen schlossen sich um sie. Das Banner der Paleonstämme war jetzt nicht mehr weit entfernt.
Nur wenige Schritte voraus waren die neuen Karron an der lang gestreckten Front weit vorgedrungen. Mit erschreckender Geschwindigkeit rannten sie gegen die tapfere Abwehr der Wesmen an. Lord Tessayas Stimme übertönte den Lärm und gab den Kämpfern Kraft. Äxte hoben sich und kamen herab, Krieger schrien. Karron starben.
Durch das Gedränge konnte Hirad beobachten, wie stark die Karron geworden waren. Eine Wesmen-Axt traf das Gesicht eines Karron. Der Dämon stürzte, aber sofort war der nächste zur Stelle und suchte mit seinem Schlangenarm das Handgelenk des Kriegers. Dann drosch das Wesen mit seinem Stachelarm auf den ungeschützten Krieger ein und schleuderte den Leichnam zur Seite.
»Halt!«, rief der Unbekannte.
Der Rabe blieb stehen und nahm eine Verteidigungsformation an. Tessaya rief unterdessen weitere Befehle und trennte einem Gegner mit der Axt den Kopf vom Rumpf. Weitere Wesmen stürmten vor und geboten dem Ansturm der Karron Einhalt. Hirad konnte die Wildheit der Krieger fast körperlich spüren. Er riss sich eine Drohne von der Schulter und zerquetschte sie mit der Hacke. Als er aufschaute, stand Tessaya vor ihm.
»Wollt ihr gemeinsam mit den Wesmen kämpfen?«, fragte er.
Sein Gesicht war voller blutender Kratzer, aber in seinen Augen funkelten die alte Entschlossenheit und Tatkraft. Die Krieger pflückten rings um ihn die Drohnen aus der Luft, wie es die Al-Arynaar für den Raben taten.
»Nein«, erwiderte Hirad. »Wir müssen anderswo kämpfen, aber wir brauchen deine Hilfe und die deines Schamanen.«
Tessaya runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Wir können es erklären, aber nicht hier. Bitte komm mit uns zu den Quartieren, wo dein Schamane wartet.«
»Ich kann die Schlacht gegen die Ul-Karron nicht verlassen«, sagte er. »Ich muss hier stehen und neben meinen Kriegern kämpfen.«
Der Anführer hob trotzig die Schultern, er hatte kaum eine Sekunde den Kampf zu seiner Rechten aus den Augen gelassen.
»Nur für einige Augenblicke«, sagte der Unbekannte. »Es geht um unser aller Zukunft.«
Tessaya musterte sie. Hirad fühlte sich, als steckte er in einer Blase. Der Kampf ringsum war ihm bewusst, die Sprüche, die hin und wieder über den Kaltraum hinwegflogen, die Schreie der Seelenfresser, die Attacken der Drohnen. Die Gesänge der Wesmen, die hart gegen die Ul-Karron vorstießen. Irgendwie schien das alles aber weit entfernt zu sein. Fast unwichtig verglichen mit den Gedankengängen des Mannes, der vor ihnen stand.
Tessaya wandte sich um und sprach rasch mit seinem Leutnant, dann nickte er Hirad zu.
»Ihr habt meine Aufmerksamkeit«, sagte er. »Verschwendet sie nicht.«
Al-Arynaar und Wesmen begleiteten sie zu den Quartieren. Den Meisterdämonen droben blieb die Bewegung nicht verborgen, und sofort verlagerte sich der Angriff der Seelenfresser. Dies nahm etwas Druck von den Wesmen in der vordersten Linie, stellte die Verbündeten aber vor neue Schwierigkeiten. Schon wurden die Reserven der Wesmen für die Sicherung der Quartiere eingeteilt, während Rebraal, der in der Tür stand, seine eigenen Leute beaufsichtigte, die an den Wänden emporkletterten, um das Flachdach zu besetzen.
Sie wurden ins Offiziersquartier geschoben. Arnoan war schon dort, bei ihm standen Auum, Evunn, Pheone, Dystran und Vuldaroq. Eilaan wartete, sichtlich nervös, etwas abseits in einer Ecke. Als der Rabe, Rebraal und Tessaya die Versammlung vervollständigt hatten, wurde es zwischen den Weihrauchschwaden stickig und warm. Hirad empfand eine starke Erregung wie immer, wenn etwas Wichtiges geschehen sollte. In diesem Raum waren die Männer, Frauen und Elfen versammelt, von denen das Schicksal ganzer Dimensionen abhing.
Tessaya, zweifellos der Anführer mit der stärksten Ausstrahlung im Raum, legte seine Axt auf einen Tisch neben der Tür und schritt geradewegs auf Arnoan zu. Er betrachtete die Versammlung und war offensichtlich beeindruckt.
»Wir müssen da draußen eine Schlacht gewinnen«, sagte er in der Sprache des Ostens, damit alle ihn verstanden. »Erklärt mir, was ihr vorzuschlagen habt.«
Arnoan wirkte gehetzt und schien der Panik nahe. Seine Hände zitterten, sein Gesicht war grau vor Erschöpfung. Tessaya fasste ihn an den Schultern, und der alte Mann kam halbwegs wieder zu sich.
»Mein Schamane, beruhige dich«, sagte er. »Mir ist klar, dass wir noch andere Probleme haben als jene, die uns da draußen beschäftigen. Was ist passiert?«
»Ich wollte gerade zu dir, Mylord«, sagte Arnoan. »Die Dämonen sind in den Ruheplatz der Geister eingedrungen. Sie kämpfen, obwohl sie eigentlich keine Waffen besitzen. Der Angriff wird von den Elfen bestätigt. Wir müssen handeln, sonst sind unsere Ahnen verloren. Das dürfen wir nicht zulassen.«
»Wie kann so etwas geschehen?«, fragte Tessaya. »Die Geister sind unverletzlich.«
»Der Durchbruch ist noch klein, aber er wird wachsen«, erklärte Arnoan. »Ich fürchte, die Dämonen haben einen unserer Schamanen genommen.«
»Dann müssen wir ihn finden und retten. Den Bruch versiegeln und den Kampf gegen die Feinde unter günstigeren Bedingungen fortsetzen.«
»Das ist nicht möglich«, widersprach Dystran. »Xetesk ist eine große Stadt. Die Dämonen kontrollieren den Ort und das Umland. Ihr könnt nicht hoffen, ihn zu finden.«
»Es gibt allerdings noch einen anderen Weg«, warf Hirad ein. »Der Weg des Raben.«
»Der einzige Weg«, bekräftigte der Unbekannte.
Tessaya drehte sich zum Raben um. »Sprecht«, sagte er.
Hirad nickte Denser zu, der es am besten erklären konnte.
»Lord Tessaya, die Dämonen greifen auf mehreren Ebenen an. Uns ist schon lange klar, was wir tun müssen, aber jetzt müssen wir eher handeln, als uns lieb ist. Die einzige Möglichkeit, den Feind aufzuhalten, besteht darin, den Riss am Himmel über dem Kolleg zu schließen. Wir müssen den Zustrom von Mana und den Weg in diese Dimension unterbinden, ehe die Manadichte und die Zahl der Feinde uns überwältigen. Nach dem Durchbruch der Dämonen in die Dimension der Geister ist dieser Zeitpunkt viel näher gerückt. Ihr seht jetzt schon, wie stark die Dämonen auf einmal geworden sind, und ihre Stärke wird weiter zunehmen. Wir müssen in die sterbende Heimat der Dämonen reisen, den Zustrom sperren und die Lücke schließen. Das wird den Dämonen die Niederlage bereiten. Bisher dachten wir, das xeteskianische Wissen um die Dimensionsmagie würde ausreichen, um uns dorthin zu bringen, aber wir haben uns geirrt. Ihr könnt es jedoch vollbringen. Eure Religion und die Kraft Eurer Schamanen können es uns erlauben, ins Herz des Dämonenlandes zu reisen. Ihr müsst einwilligen, uns dorthin zu schicken. Ihr müsst es tun, denn sonst werden wir angesichts der Macht unserer Feinde alle untergehen.«
Tessayas Miene waren seine Zweifel deutlich anzusehen, und seine Worte brachten sie zum Ausdruck. »Das ist grotesk«, sagte er. »Die Zeremonie, von der Ihr sprecht, ist die strengste Bestrafung, die wir einem Krieger auferlegen können. Es ist die Verbannung und Verdammung ohne jede Möglichkeit, bei den Geistern Ruhe zu finden.« Er zuckte mit den Achseln. »Es ist der Tod, aber ohne jede Hoffnung auf Rettung.«
»Dennoch müsst Ihr zustimmen«, fuhr Denser fort. »Es ist ein Risiko, aber eines, das wir eingehen müssen. Es ist das Einzige, was uns jetzt noch retten kann.«
»Und um diese große Tat zu vollbringen, sollen wir ein paar erschöpfte Leute aus dem Osten hinüberschicken? Wenn es so wichtig ist, werden die Wesmen es selbst in die Hand nehmen. Warum wenige schicken, wenn draußen ein Heer zur Verfügung steht?«
»Mylord, wenn Euer Heer sich auf diese Reise begibt, hat Xetesk keine Verteidigung mehr und wird überrannt werden. Julatsa ist verlassen, Dordover gefallen und Lystern steht sicher kurz davor. Wenn die balaianische Magie stirbt, dann spielt es keine Rolle mehr, ob wir den Riss schließen oder nicht. Die Dämonen werden über Balaia herrschen.«
»Die Wesmen werden sich den Dämonen niemals beugen.«
»Verdammt, Tessaya, das erinnert mich an meinen eigenen Dickschädel«, knurrte Hirad. »Wenn die Magie nicht mehr da ist, nützen Eure Waffen überhaupt nichts. Ihr könnt die Dämonen ohne Magie nicht töten, das wisst Ihr doch. Hört mit dem Getue auf und entscheidet Euch für das, was richtig ist.«
Tessaya fuhr herum. »Sprecht nie wieder so mit mir, Rabenmann. Ich bin Tessaya, der Lord aller Wesmen.«
»Ich weiß«, sagte Hirad, »und ich bewundere und achte Euch. Aber Ihr werdet der Herr eines versklavten Volks sein, wenn Ihr es uns nicht versuchen lasst.«
»Was habt Ihr schon zu verlieren?«, ergänzte Erienne. »Wenn Ihr uns nicht glaubt, na schön, aber hindert uns nicht daran, das zu tun, was wir für richtig halten. Hört auf Euren Schamanen, Lord Tessaya. Gebt den Befehl.«
»Arnoan? Sprich.«
»Mylord, ich kann nicht sagen, ob sie Erfolg haben werden, aber ich weiß wie du, wohin sie reisen werden. Kein Wesmen-Krieger geht gern dorthin, und wenn sie gezwungen werden, sind sie geschwächt. Wir können es uns nicht erlauben, ein Heer zu schicken. Wir müssen die Verteidigung übernehmen, während sie es versuchen. Ich würde sagen, lasse sie gehen. Und falls sie nicht zurückkehren, sind wir immer noch hier und können kämpfen. Die Wesmen werden siegen.«
Tessaya dachte noch einmal nach. Über ihnen auf dem Dach kämpften die Al-Arynaar gegen die Seelenfresser, die ihre Beute schlagen wollten. Eine Dämonenfaust schlug ein Loch ins Dach, dass die Dachziegel und der Putz nur so davonflogen.
Hirad zeigte auf die Decke. »Die Dämonen wissen, dass wir eine Gefahr darstellen. Ihnen mag nicht klar sein, was wir vorhaben, aber sie wollen unsere Seelen haben. Solange wir leben, können sie nicht siegen, weil der Wille unseres Landes nicht gebrochen werden kann.«
Tessaya kicherte. »Eure Überheblichkeit kommt der meinen gleich«, sagte er. »Aber Ihr bittet mich, einem Vorhaben zuzustimmen, in dem ich keinen Vorteil erkenne. Ich stimme Euch zu, dass die Dämonen Euch für gefährlich halten. Gerade deshalb solltet Ihr an meiner Seite kämpfen und den Feinden und Verbündeten zeigen, dass unser Mut ungebrochen ist.«
»Nicht dieses Mal«, widersprach der Unbekannte. »Der Rabe muss einen anderen Weg einschlagen. Ihr glaubt nicht, dass er nützlich ist. Dann müsst Ihr das Kolleg bewachen und die Magie am Leben halten.«
Dieses Mal lachte Tessaya lauthals. »Das retten, was ich verachte. Dass ich hier stehe und gezwungen bin, in einen solchen Vorschlag einzuwilligen.« Er wurde wieder ernst. »Ihr glaubt also wirklich, dies sei unsere einzige Hoffnung?«
Hirad nickte. »Wir werden nicht allein sein. Zwar haben wir kein Heer der Wesmen hinter uns, was ich sehr begrüßt hätte, aber es gibt Verbündete, die durch die Dimensionen reisen und uns beschützen werden. Die Drachen, Lord Tessaya. Ihr kennt ihre Macht und seid nur dreien begegnet. Dieses Mal kann ich tausende rufen.«
»Ein mächtiger Verbündeter. Vielleicht sollten sie hier bei uns kämpfen.«
»Das tun sie nicht, weil ihnen klar ist, was wir vollbringen müssen. Ihr Kampf wird nicht hier ausgefochten.«
Tessaya wandte sich von Hirad ab und richtete seine nächste Frage an die vier Elfen. »Was meint Ihr?«
Auum neigte den Kopf. »Es gibt nur eine Lösung. Ich reise mit ihnen.«
Schließlich fiel sein Blick auf Dystran. »Und Ihr, Mylord Dystran. Wie steht Ihr zu dieser Tollheit?«
Dystran lächelte. »Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass der Rabe sich selten irrt und immer siegt. Ich kann nicht behaupten, die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten zu verstehen, so faszinierend ich dies auch finde. Es soll zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden. Jetzt aber liegt mir vor allem daran, dass ich überhaupt noch lange genug lebe, um eine Welt zu genießen, in der es keine Dämonen mehr gibt. Wenn der Rabe glaubt, es müsse geschehen, dann werde ich ihn nicht davon abhalten.«
Tessaya nickte. »Nun gut. Reist mit der Hilfe meines Schamanen, wohin ihr wollt. Ihr habt meinen Segen, und meine Hoffnungen reisen mit Euch, auch wenn ich glaube, dass Ihr dem Tod entgegengeht. Es ist eine vergeudete Gelegenheit. Ich hätte Euch gern an meiner Seite kämpfen sehen.«
»Wir hätten es gern getan«, sagte Hirad. Die Erleichterung über Tessayas Zustimmung wärmte ihn.
»Wenn Ihr zurückkehrt, mag dazu vielleicht noch Zeit sein«, fuhr Tessaya fort.
»Nein.« Zum ersten Mal meldete sich Thraun zu Wort und erinnerte alle daran, was ihre Entscheidung bedeutete. »Wir wissen, dass Euer Schamane uns in die Dimension der Dämonen schicken kann. Er kann uns jedoch nicht zurückholen.«
Es gab eine Pause. Keiner sah den anderen an, aber ihre Entschlossenheit war ungebrochen.
»Der Rabe?«, fragte Hirad. »Unbekannter, du hast eine Familie.«
»Genau deshalb bin ich hier«, sagte der Unbekannte.
»Keiner von uns wird zurückkehren«, bekräftigte Denser. »Das letzte Abenteuer des Raben.«
»Wir gehen hin«, fügte Hirad ohne jede Furcht hinzu, »und kehren nicht zurück.«
»Dann erstreckt sich meine Trauer um den Verlust von General Darrick auch auf Euch. Mögen die Geister Euch alle willkommen heißen.« Tessaya nahm seine Axt wieder an sich. »Ich muss nun eine Schlacht gewinnen, weil sonst, wie ich es verstehe, Euer Opfer sinnlos wäre. Und das wäre unverzeihlich.«