Sechstes Kapitel
Der Rabe bemerkte die von Elfen geführte julatsanische Truppe, lange bevor sie fürs Auge sichtbar wurde. Auum hatte sie in ein Versteck südlich vom Triverne-See begleitet, wo sie den Treck erwarten konnten.
Im Grunde war die Deckung nur eine Illusion. Die Klippen erlaubten ihnen einen guten Blick und boten Schutz aus allen Richtungen, abgesehen von vorne, aber der Rabe hatte eine Signatur, die jeder Dämon gierig wittern würde, lange bevor er das Auge zu Hilfe nehmen musste. Es war ein kalkuliertes Risiko. Denser nahm an, die dicht gedrängten Magierseelen würden die Aufmerksamkeit der Dämonen lange genug fesseln, damit der Rabe den Zug erreichen konnte.
Eine Weile hatten sie zugesehen, wie die Dämonen den Zug verfolgten, ausschwärmten und zu hunderten zum Angriff herabstießen. Zur Antwort flackerten und knallten Sprüche. Die ordnenden Rufe, der Kampflärm und das Knarren der Wagen waren beständige Begleiter der Karawane. Erst jetzt aber vervollständigte sich das Bild.
Auf der Kuppe eines lang gestreckten, flachen Hügels tauchten in der Spätnachmittagssonne die ersten Wagen als dunkle Silhouetten auf. Sie waren höchstens noch eine Meile entfernt. Elfen bewachten jeden Wagen, beschützten die Segeltuchdächer und die wertvolle Fracht.
Droben sammelten sich die Dämonen am Himmel und stießen immer wieder in die schützende Hülle des Kaltraums hinab, während der Treck schwerfällig gen Xetesk rollte. Die empfindliche Konzentration der Sprüchewirker in den Wagen gab das Tempo vor. Ohne diese Magier würden die Dämonen die Verbündeten im Handumdrehen überwältigen.
Hinter der Hügelkuppe flammte gelbes Licht auf. Dämonen kreischten und verstreuten sich. Einige stürzten hilflos zu Boden, andere versuchten, die Magier anzugreifen.
»Wie machen sie das?«, fragte Hirad.
»Rebraal hat die Kalträume vermutlich aufgeteilt«, sagte Erienne, »und dazwischen Lücken geschaffen, in denen das Mana hoch konzentriert ist.«
»Faszinierend«, fügte Denser hinzu. »Das Mana läuft außen an den Hüllen entlang, und so entstehen konzentrierte Bereiche, wenn die Abstände passen.«
Hirad sah ihn an. »Darüber müssen wir uns unbedingt mal unterhalten. Ich würde das alles gern lernen.«
»Du bist ein hoffnungsloser Barbar, Coldheart«, gab Denser zurück. »Es ist eine sehr kluge Idee. Auf so was wärst du nie gekommen.«
»Aber riskant, oder?«, wollte Darrick wissen.
»Nur wenn sie sich nach dem Spruch noch lange dort herumtreiben«, meinte Erienne.
Hirad beobachtete die Kämpfe innerhalb der Abschirmungen und musste wider Willen lächeln. Aus dieser Entfernung konnte er die Gesichter nicht erkennen, aber das war auch nicht nötig. Ein Angriff der Dämonen begann, es war ein Schwarm winziger Ungeheuer, die Auum als Drohnen bezeichnete und die auch Hirad sehr gut kannte, unterstützt von mannsgroßen Seelenfressern.
Die Drohnen sollten vor allem Verwirrung stiften und stürzten sich deshalb direkt auf die Kutscher. Dort stießen sie jedoch auf Widerstand. Anmutig, zielsicher und immer in der Offensive kämpften dort die Elfen. Ihre menschlichen Begleiter, sofern sie bisher überlebt hatten, waren dagegen außer sich vor Angst, gerieten leicht in Panik und konnten sich nur zurückziehen. Deshalb brauchte Rebraal den Raben. Um den Menschen ein Ziel und neue Hoffnung zu geben.
»Wie viele Wagen sind aufgebrochen?«, fragte Hirad.
»Fünfzehn«, informierte ihn Auum.
»Bei den brennenden Göttern.«
Das Ende der Kolonne kam in Sicht. Acht Wagen waren es noch.
»Sie werden in weniger als einer halben Stunde hier sein«, überlegte Denser.
»Das weißt du ganz genau, ja?«, stichelte Hirad.
»Ich kann gut schätzen.«
»Ist aber auch egal. Wir müssen da rein und uns einmischen. Wir haben lange genug herumgehangen. Wir …«
»Hirad, was ist denn?« Erienne legte ihm eine Hand in den Nacken.
»Ich …«
Die Wut traf ihn mit voller Wucht. Er spürte, dass er stürzte, konnte sich aber nicht festhalten. Sha-Kaans Zorn durchdrang ihn mit voller Wucht, und er konnte nichts tun, außer abwarten und es über sich ergehen lassen.
»Sha-Kaan«, konnte er noch senden, »ich kann nicht …«
Der Große Kaan stand kurz davor, die Geduld zu verlieren. Seine Frustration und sein Zorn rumorten in Hirads Schädel und streckten den Rabenkrieger hilflos zu Boden. Irgendwie bemerkte er noch, dass seine Freunde mit ihm redeten und ihn berührten, aber er konnte nicht reagieren. Er nahm das bisschen Kraft zusammen, das ihm noch geblieben war, und tat das Einzige, was er konnte.
»Sha-Kaan, hör auf. Du bringst mich um.«
Abrupt brachen die Emotionen ab, die auf ihn eingeprasselt waren, aber sein Wachbewusstsein kehrte noch nicht zurück.
»Der Himmel soll sie holen, sie vernichten all unsere Hoffnungen«, sendete Sha-Kaan. Hirad spürte die Verzweiflung und Ohnmacht des Drachen.
»Wer denn?«, fragte er in die Leere hinein.
Sha-Kaan seufzte, es war ein dröhnendes Schnaufen, das traurig klang. »Dies zu erklären, würde sehr lange dauern. Da du ruhst, was ich nicht erwartet hatte, werde ich dich einladen, durch meine Augen zu sehen und wahrzunehmen, was ich empfinde.«
Auf einmal hatte Hirad das Gefühl zu fallen. Der Boden verschwand unter seinen Füßen, stattdessen hatte er den Eindruck einer gewaltigen Weite rings um sich. Kalte Luft strömte über seinen Körper, alle Nerven und Fasern schrien vor altem Schmerz und Sehnsucht.
Er hörte Flügel schlagen, spürte den Luftwiderstand und die Kraft hinter den Bewegungen. Er fing den scharfen Geruch von Holz und Öl auf, den Gestank von zerstörtem, verbranntem Fleisch. Er schmeckte etwas Bitteres, Saures im Mund. Alles drehte sich um ihn, als die Emotionen aus allen Richtungen über ihn hereinbrachen. Schließlich öffnete er die Augen und nahm auf, was am Himmel von Beshara geschah.
Der Anblick jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Sha-Kaan drehte den Kopf hin und her, um Hirad alles zu zeigen. Der Himmel war voll von blitzenden Schuppen, grellen gelben Flammenstößen und dunklem Rauch, der vom Wind der höheren Luftschichten rasch hin und her getrieben wurde. Brüllende Drachenmäuler spien Feuer, begleitet von einer Welle von Wut, die ihn erzittern ließ.
Hirad konnte nicht einmal annähernd schätzen, wie viele Drachen sich an dem Zerstörungswerk dort unten beteiligten. Einen ähnlichen Anblick hatte er in dieser Region gesehen, als der Himmelsriss offen gestanden hatte, aber das war im Vergleich zu diesem Kampf ein kleines Scharmützel gewesen.
»Fast eintausend Drachen zanken sich und fügen uns allen einen Schaden zu, von dem wir uns möglicherweise nie wieder erholen werden«, erklärte Sha-Kaan. »Die Arakhe belauern uns außerhalb unser Dimension und werden es spüren. Das starke Feuer lockt sie an, und die Drachen kommen in Versuchung, aus der Schlacht heraus in den interdimensionalen Raum zu springen, um zu fliehen. Dies könnte den Arakhe eine Tür öffnen.«
Der Lärm, der von unten heraufdrang, war unbeschreiblich. Ein Trupp Skoor, zwanzig starke, wie gelber Sand schimmernde Drachen, beschrieb einen engen Bogen und stieß durch die linke Flanke der Gegner, die gerade eine andere Gruppe von Skoor unter Druck setzte. Sie waren wie eine Kugel formiert und näherten sich blitzschnell den Gegnern. Ringsumher spien sie Feuer in alle Himmelsrichtungen. Vorn prallten die führenden Drachen mit den anderen zusammen, die ihnen den Weg versperrten.
Es war eine vernichtende Taktik, die von anderen im Kampf aufgegriffen wurde. Drachen bellten und kreischten, wenn ihre Flügel, der Bauch oder der Rücken versengt wurden. Unzählige Rauchfahnen stiegen empor, Reißzähne verbissen sich in den Hälsen der Gegner. Dutzendweise stürzten die Drachen vom Himmel, und die Skoor verloren die Schlacht.
Sie waren fünf zu eins unterlegen und konnten nicht hoffen, sich für immer ihren Feinden zu widersetzen. Doch ihr Stolz ließ nicht zu, den Kampf abzubrechen. Sie hatten schreckliche Verluste.
»An einem Tag, an dem wir zusammenarbeiten sollten, um unser aller Zukunft zu sichern, wurde eine Brut ausgelöscht und eine andere so stark dezimiert, dass sie nicht überleben wird.«
Hirad spürte den unendlichen Kummer, als wäre es sein eigener.
»In unserem Stolz dachten wir, nur andere Lebensformen wären so blind, wegen nichts und wieder nichts gegeneinander zu kämpfen, obwohl die gegenseitige Vernichtung das einzige sichere Ergebnis sein konnte. Dabei sind wir noch viel schlimmer. Unser Versagen könnte vielen anderen den Tod bringen, weil wir sie hineingezogen haben, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, sich herauszuhalten. Sage mir, dass ihr Xetesk nahe seid.«
»Weniger als ein Tagesmarsch, Großer Kaan. Aber es wird einen höllischen Kampf erfordern hineinzukommen. Die Dämonen werden uns ja nicht gerade mit einer Verbeugung hereinbitten.«
Sha-Kaan hielt inne. Drunten hüllte ein gewaltiger koordinierter Feuerstoß fünfzig oder gar hundert Drachen auf einmal ein. »Wann wird der Kampf beginnen?«
»Er hat bereits begonnen. Julatsaner und Al-Arynaar sind ständigen Angriffen ausgesetzt, während sie sich Xetesk nähern. Wir stoßen jetzt zu ihnen und werden morgen früh die Stadt erreichen.«
»Ich bringe die Kaan zu dir.«
»Nein«, widersprach Hirad. »Wir sollten nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen und ihnen vorschnell verraten, mit wem wir verbündet sind. Schone deine Kräfte, rette so viele, wie du nur kannst, und sei bereit, wenn ich dich rufe.«
Sha-Kaan grollte unwillig. »Du könntest vor den Toren fallen.«
»Wir werden nicht scheitern«, widersprach Hirad. »Wir …«
»Sag’s nicht«, fiel ihm Sha-Kaan ins Wort. »Sage es nicht.« Eine kleine ironische Bemerkung, doch die Belustigung war beim nächsten Flügelschlag schon wieder verschwunden. »Es wird Zeit zu gehen, Hirad Coldheart. Ich muss in der Asche suchen und wiederaufbauen, was ich aufbauen kann.«
»Viel Glück.«
»Möge dich der Himmel tragen, mein Freund.«
Hirad schlug die Augen auf und sah sich von besorgten Gesichtern umringt. Die Kopfschmerzen waren bereits zu einem leichten Pochen abgeklungen. Nur Thraun lächelte.
»Sha-Kaan?«, sagte er und streckte eine Hand aus.
Hirad ergriff sie und ließ sich hochziehen.
»Ja.« Er nickte. »Ich fürchte, es gibt noch mehr Schwierigkeiten. Hört mal, wir müssen sehen, dass wir schleunigst nach Xetesk kommen. Ich erzähle es euch unterwegs. Es sieht so aus, als wären mit jedem Tag, den wir vertrödeln, weniger Drachen da, die uns abschirmen können.«
Der Lärm der Dämonen, die den Treck umringten, war so stark, dass Rebraal sich kaum verständlich machen konnte. Ständig griffen sie an, und nachdem sie am vergangenen Abend zwei Magiergruppen für die Kalträume verloren hatten, waren die Krieger der Al-Arynaar einem ungeheuren Druck ausgesetzt. Die Menschen gerieten immer wieder in Panik und verloren erst den Kopf und dann die Seele, sobald sie ihre Disziplin vergaßen. Fünf der acht Wagen wurden jetzt von Elfen gelenkt, und es waren nur noch so wenige Menschen am Leben, dass Rebraal ernsthaft darüber nachdachte, sie alle einfach in die Wagen zu stecken. Trotz seiner Gereiztheit über ihre Unzulänglichkeiten konnte er jedoch nicht umhin, beeindruckt ihre ungeheure Hartnäckigkeit zur Kenntnis zu nehmen. Jedes Mal, wenn ihre Zahl weiter dezimiert worden war, fanden sie dennoch einen Grund zu lachen. Die anderen Al-Arynaar konnten nicht begreifen, wie man in einer so schlimmen Lage lachen konnte. Rebraal kannte dies schon vom Raben.
Seine größte Sorge waren jetzt die Pferde. Sie waren müde und verängstigt. Die zitternden Beine und die verdrehten Augen sprachen Bände. Seine Elfen flüsterten den Pferden ständig beruhigende Worte ein, aber irgendwann würde das nicht mehr ausreichen.
Droben rotteten sich schon wieder die Dämonen zusammen. Viel Zeit blieb ihm nicht. Rebraal rannte an der Reihe der Wagen entlang, die sie bis hierher gerettet hatten. Er hinkte jetzt stärker. Das Tuch, das er sich um den Schenkel gebunden hatte, nützte nicht viel. Beim letzten Angriff hatten ihn die Krallen der Cursyrd erwischt, und er hatte keine Gelegenheit gefunden, sich auszuruhen. Deshalb war die Blutung noch nicht gestillt. Die Wunde fühlte sich eiskalt an, sogar der Muskel war beschädigt, aber er durfte nicht anhalten. Nicht, solange Auum und der Rabe nicht zu ihnen gestoßen waren.
Wo blieben sie nur?
Der Treck fuhr inzwischen ein Stück südlich des Triverne-Sees. Bald mussten sie mit einem konzentrierten Angriff der Cursyrd aus Xetesk rechnen. So würden die Legionen, die ihnen seit Julatsa auf den Fersen waren, eine erhebliche Verstärkung bekommen.
Zwei Tage beständigen Lärms und unablässiger Angriffe, während sie pausenlos gefahren waren und nur gehalten hatten, um die Pferde zu wechseln, forderten ihren Tribut. Alle waren müde – die Magier in den Wagen, deren Konzentration jederzeit brechen konnte, die Krieger, die mit brennenden, erschöpften Muskeln neben ihnen rannten, die Offensivmagier, die in den Mana-Lücken kaum Zeit hatten, auch nur den einfachsten Spruch zu wirken, ehe die Cursyrd über sie herfielen.
Allen, die ihm begegneten, ob Mensch oder Elf, sah er die zunehmende Erschöpfung an. Der Glaube der Menschen schien zu wanken. Er rief ihnen Ermutigungen zu, ballte die Hände zu Fäusten und verlangte von ihnen, stark zu sein. Er rief Yniss und Tual an. Er murmelte mit angehaltenem Atem ein Gebet an Shorth, er möge bereit sein, sie alle gnädig aufzunehmen.
Mehr als fünfhundert Menschen und Elfen hatten Julatsa verlassen. Über einhundert hatten sie verloren, und die Überlebenden brauchten etwas, das ihnen neue Hoffnung gab. Der Rabe konnte das leisten. Der Rabe stand nie auf Seiten der Verlierer.
Er erreichte die Spitze des Trecks. Auch die beiden führenden Wagen wurden inzwischen von Elfen gelenkt. Die müden Pferde brachen fast zusammen, aber noch wollte er nicht anhalten. Wohl zum tausendsten Mal blickte er nach vorn. Der Himmel war dunkel von Cursyrd, sie lärmten lauter denn je.
»Bereit!«, rief er.
Der Befehl wurde weitergegeben. Elfen stiegen auf die Wagen oder umringten sie, Defensivmagier rannten und postierten sich in der Nähe der Mana-Lücken. Alle waren voll ängstlicher Spannung.
»Dila’heth!«
Die Anführerin der Elfenmagier antwortete sofort. Sie war außer Sicht auf der anderen Seite des Wagens. Er eilte zu ihr hinüber und unterbrach ihr Gespräch mit Pheone. Die Leiterin des Kollegs von Julatsa war noch stark, sie hatte den Mut der Menschen noch nicht verloren.
»Bei Gyals Tränen, Rebraal, du musst dich ausruhen.«
Rebraal grinste humorlos. »Das ist leider nicht möglich, wie du weißt.«
»Wo stecken sie nur?«, fragte Dila. Auch sie musste schreien, um sich im Lärm der Cursyrd verständlich zu machen.
»Nahe«, sagte er. »Es kann gar nicht anders sein.« Er fing Pheones Blick auf. »Sie werden kommen.«
Pheone lächelte. »Ganz gewiss.«
»Wo ist deine Position?«, fragte Dila.
»Ich bleibe beim zweiten Wagen und sorge dafür, dass die Pferde geradeaus laufen. Versuche, die Schutzhülle kurz zu verlassen, wenn du kannst. Alles, was sie ablenkt, ist eine Hilfe.«
Sie nickte. »Es sind so viele, obwohl wir schon hunderte getötet haben.«
»Nein, so darfst du es dir nicht vorstellen. Denke lieber daran, dass Xetesk vor Einbruch der Abenddämmerung in Sicht kommen wird, und dass wir vor morgen Mittag drinnen sein werden. Sie erwarten uns sicher schon.«
»Das will ich hoffen.«
»Yniss wacht über uns.«
»Es wäre gut, wenn er etwas mehr tun könnte.«
»Das ist wahr, Dila. Laufe schnell.«
Er wandte sich an Pheone. »Steig auf den Wagen.«
»Nein«, widersprach sie. »Ich muss mich blicken lassen.«
»Vor allem musst du überleben«, wandte Rebraal ein. »Uns stehen große Kämpfe bevor. Bitte, zwinge mich nicht, dich persönlich in den Wagen zu verfrachten.«
Pheone biss sich auf die Unterlippe, dann nickte sie. »Du hast vermutlich recht.«
Rebraal neigte den Kopf und rannte zur zweiten Wagengruppe zurück. Die Pferde waren zwischen der Eskorte der Elfen kaum zu sehen. Die menschlichen Kutscher hatten große Angst und blickten mehr nach oben als nach vorn.
Er drängte sich durch die Wächter, stieß aufmunternde Rufe aus und hörte die Antworten. Schließlich sprang er aufs Trittbrett des linken Wagens.
»Wir fahren nach vorn, nicht nach oben.« Er legte dem Kutscher eine Hand auf die Schulter.
»Ja, aber der Tod kommt von oben und nicht von vorn«, grollte Brynn, ein Mann in mittleren Jahren. Sein Gesicht war von Kratzern überzogen, die ihm die Drohnen zugefügt hatten. Sein Kopf war verbunden, aber die Augen darunter sprachen von einem unerschütterlichen Überlebenswillen. Rebraal mochte den Mann. Er war, wie Hirad in zehn Jahren sein würde.
»Lass mich den Himmel beobachten, Brynn. Du sorgst dafür, dass die Tiere geradeaus laufen.«
»Die werden sich hüten, vom Weg abzuweichen, wenn ich hinter ihnen sitze«, sagte Brynn nicht unfreundlich. »Fährst du dieses Mal mit mir? Willst du es dir mal von hier oben anschauen, wie es läuft?«
»Das will ich tun«, bestätigte Rebraal.
Dann brach die Hölle los.
Drohnen rasten zum hinteren Teil des Zuges, Seelenfresser kamen von vorn. Mit dieser Taktik hatten sie es schon einmal versucht. Offenbar wollten sie die Wagen veranlassen, hinten und vorne mit unterschiedlicher Geschwindigkeit zu fahren, damit in der Mitte Chaos entstand.
»Bleibt in der Formation!«, übertönte Rebraal den Lärm. Sein Ruf wurde aufgenommen und weitergegeben. »Haltet die Geschwindigkeit! Haltet die Geschwindigkeit!«
Wie die Heuschrecken, die über die südlichen Savannen von Calaius herfielen, schwärmten die Drohnen um die Wagen. Ein paar Augenblicke lang beobachtete Rebraal, wie die lärmende Masse niederging. Klingen blitzten im Zwielicht, ein Eiswind riss eine Lücke in die Reihen der Feinde, dann waren die Wagen wieder verdeckt.
Rebraal hatte unterdessen ganz andere Sorgen. Eine große Zahl Seelenfresser, es mussten gut über dreihundert sein, griffen von beiden Flanken und von oben die Spitze des Zuges an. Sie verhöhnten die Menschen und Elfen, lachten sie aus und tauchten in die Kalträume ein, die ihnen offenbar mit jedem Tag weniger Unannehmlichkeiten bereiteten.
»Lasst die Pferde laufen! Achtet auf die Scheuklappen!«
Die Angreifer fegten über den ersten Wagen hinweg und rasten weiter.
»Yniss möge uns schützen«, murmelte Rebraal.
Das Schwert in der rechten Hand, klopfte er noch einmal mit der linken Brynn auf die Schulter, dann waren die Feinde da.
»Aufpassen!«, rief er.
Die Cursyrd griffen den Wagen an. Mehr, als er zählen konnte. Er schob sich schützend vor Brynn, kehrte dem Ansturm den Rücken und spürte, wie die Krallen über seine Rüstung kratzten und Zähne nach seinem Kopf schnappten.
»Bin noch da«, sagte Brynn.
Die Pferde bockten, und Brynn hatte große Mühe, sie unter Kontrolle zu halten. Ringsumher hackten Al-Arynaar auf die Dämonen ein und schlugen die Seelenfresser zurück, die ihnen Augen und Kehle herausreißen wollten.
Rebraal richtete sich auf und schwang das Schwert in einem weiten Bogen. Er traf den Flügel eines Cursyrd, der kreischend und hellrot gefärbt nach oben auswich. Danach sah Rebraal sich rasch um. Die Plane des Wagens war gefährdet. Der Angriff der Cursyrd hatte drei Elfen von ihrem wackligen Hochsitz auf der Plane gerissen, sie kämpften jetzt weiter hinten im Staub und im Gras. Zwei waren noch dort. Rebraal blickte zu Brynn.
»Gheneer, du passt auf ihn auf.«
Der Al-Arynaar nickte, ohne im Kampf innezuhalten. Rebraal sprang auf die Plane, suchte nach einer Strebe und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, als der Wagen ruckte. Die Al-Arynaar kämpften schnell und hart. Ein Schwert schlitzte die Brust eines Cursyrd auf. Ein Tritt in den Bauch, und er flog vom Wagen. Ein anderer verlor durch einen nach unten geführten Hieb seinen Arm und zog sich heulend und fluchend zurück.
Rebraal musste es gleich mit dreien aufnehmen. Zwei kamen dem zu Hilfe, der schon mit den Krallen das Segeltuch zerfetzte. Der Anführer der Al-Arynaar stieg mit einem langen Schritt auf die nächste Strebe und versetzte dem Dämon einen Tritt vor den Kopf. Mit hilflos flatternden Flügeln überschlug sich das Wesen und versuchte, dem nachsetzenden Elf auszuweichen. Rebraal stellte sich über den Riss, nahm das Schwert in beide Hände und wartete.
Sie kamen von links und rechts. Lächelnd täuschte Rebraal links an und duckte sich rasch. Dann stach er gerade nach oben und trieb dem Cursyrd das Schwert zwischen den Beinen in den Leib. Er kreischte, dunkles Blut strömte aus der Wunde. Rebraal drehte die Klinge um und zog sie heraus, sprang hoch und versetzte dem zweiten Dämon in derselben Bewegung einen Tritt in den Bauch. Aus dem Gleichgewicht gebracht, konnte er die Arme nicht schnell genug vor die Brust bringen, um die Klinge des Elfenkriegers abzuwehren, ehe sie seinen Oberkörper durchbohrte.
Rebraal blieb in Bewegung und wechselte zum Heck des Wagens. Die beiden Al-Arynaar wehrten sich erbittert gegen die Feinde, die jetzt auch noch durch Drohnen verstärkt wurden. Rebraal packte einen Seelenfresser am Nacken und jagte ihm die Klinge mitten durch den Leib. Die Schneide durchtrennte die Wirbelsäule. Dann warf er den toten Dämon vom Wagen. Der Elf vor ihm nickte dankbar, drosch einem weiteren Gegner die Klinge mit einem Rückhandschlag ins Gesicht und drehte sich gleich zum nächsten um.
Über ihnen drängten sich die Seelenfresser in der Luft. Al-Arynaar stiegen von beiden Seiten auf die Wagen. Rebraal blickte ins Innere hinein, sah die nach oben gedrehten Gesichter der Wächter und die gesenkten Köpfe der Magier. Bisher war der Schutzschirm noch intakt. Doch da die Luft voller Cursyrd war und der Rabe sich nicht blicken ließ, mussten sie mit aller Kraft kämpfen, wenn sie nicht untergehen wollten.