e9783641087067_i0013.jpg

Siebtes Kapitel

Als sich am Horizont der erste Lichtschimmer zeigte, herrschte im Lager der Verbündeten vor dem Osttor bereits reges Leben. Die Kämpfer aus Lystern und Blackthorne waren bereit, in die Schlacht zu ziehen, die Wachen wechselten, und der Aufbruch der Al-Arynaar stand unmittelbar bevor. Izack hatte bereits den größten Teil seiner Kavallerie zur Front am Nordtor geführt und nur eine Abteilung zurückgelassen, um die Fußsoldaten zu schützen. Das musste reichen.

Der Rabe nahm ein rasches Frühstück zu sich. Die Pferde, die Blackthorne ihnen überlassen hatte, standen gesattelt bereit. So wund gerieben, steif und müde sie auch waren, die Rabenkrieger waren von einer neuen Energie erfüllt, die sich immer einstellte, wenn ein Kampf bevorstand.

Denser hatte sich zu ihnen gesellt, nachdem er sich um Erienne gekümmert, sie nach der Nacht gewaschen und sich vergewissert hatte, dass Cleress noch da war. Er saß neben Hirad, der seine geflickte Rüstung inspizierte.

»Wird sie halten?«, fragte Denser.

»Sie haben das fantastisch gemacht«, erklärte Hirad. »Man kann wirklich nicht behaupten, dass diese Elfen nicht mit Nadel und Faden umzugehen wissen.«

Auf der anderen Seite des Feuers saß der Unbekannte, starrte seine Stiefel an und massierte mit einer Hand seinen Nacken.

»Es geht ihnen gut«, beruhigte ihn Denser, der ahnte, was in dem großen Krieger vorging.

»Oh, das bezweifle ich nicht«, sagte der Unbekannte. »Ich habe nur das Gefühl, es wird lange dauern, bis ich sie wiedersehe.«

»Hauptsache, du siehst sie überhaupt wieder«, sagte Denser. Er wandte sich wieder an Hirad. »Hör mal, es war ja richtig, dass du mich nicht geweckt hast, als du gestern Abend mit Sha-Kaan gesprochen hast, aber ich muss genau wissen, was er gesagt hat.«

»Ich habe es bereits Rebraal übermittelt, und er hat mit den Lysterniern gesprochen. Die Neuigkeiten haben an allen Fronten die Runde gemacht. Sie sind so gut vorbereitet, wie es nur geht – also eigentlich überhaupt nicht, weil wir nicht wissen, was Xetesk gegebenenfalls tun wird. Jedenfalls haben sie ihre vereinten Schilde aufgebaut und gebündelt. Das ist auch schon alles.«

»Erzähl schon«, drängte Denser. »Was hat er gesagt?«

Hirad seufzte. »Also gut. Er sagte, er hätte schon vor einiger Zeit etwas Ungewöhnliches gespürt. Seit die Xeteskianer mit den Informationen der Al-Drechar heimgekehrt sind. Anfangs war er froh, weil er glaubte, sie erforschten den interdimensionalen Raum, um ihn nach Hause zu schicken. Inzwischen weiß er, dass dies nicht zutrifft, und er hat den Eindruck, dass sie die Energie da draußen verändern. Den Grund kennt er nicht, aber es fühlt sich falsch an. Er hat es mit jemandem verglichen, der einen Fluss umleitet, um einen Wasserfall zu erzeugen. Im Augenblick ist die Klippe noch nicht hoch genug, aber er spürt, dass sie wächst.«

»Gut«, sagte Denser. »Hat er sonst noch etwas gesagt?«

»Ja«, fuhr Hirad fort. »Es hat ihn zugleich glücklich und zornig gemacht. Glücklich, weil er die Dimensionen wieder spüren kann, was bedeutet, dass die Xeteskianer Erfolg damit hatten, sie anzugleichen und zu orten, was auch immer das heißt. Zornig ist er, weil er sagt, diese Eingriffe, die seit gestern viel schlimmer geworden seien, hätten offenbar die Aufmerksamkeit der Dämonen erregt. Er sagte, sie lägen auf der Lauer, und Xetesk wisse nicht, was es tut. Er sagte, wir müssten sie aufhalten.«

»Das wird schwierig«, sagte Denser.

»Das sagte er auch schon.«

»Ist das alles?«

»Reicht das nicht?«

»Nun, wahrscheinlich reicht es tatsächlich.« Densers Herz sank – als ob es überhaupt noch weiter sinken könnte. »In Laryons Verteiler habe ich Papiere und Karten gesehen, die beschreiben, wie man mit vereinten Sprüchen die ungezügelte Kraft des interdimensionalen Raumes anzapfen kann. Ich konnte nicht erkennen, wie nahe sie daran waren, tatsächlich einen Spruch zu wirken. Ich glaube aber, die Verbündeten müssen auf mehr vorbereitet sein als auf die Angriffskraft, mit der sie bis jetzt rechnen. Schade, dass wir Sha-Kaan nicht dorthin schicken können. Er könnte es vermutlich unterbinden.«

»Warum können wir das nicht?«, fragte Hirad.

»Nun, er braucht hier oben ein Tor. Er kann zwar die Energieströme spüren, aber ohne Tor hat er keinen Zugang. Sobald wir ihm einen Durchgang geschaffen haben, kann er nach Hause zurückkehren. Seine Dimension wird erreichbar sein, falls er recht hat und die Ortung erfolgreich verlaufen ist.«

Der Unbekannte räusperte sich. »Das verstehe ich nicht. Was hat Xetesks Wissen über die Position der Dimensionen mit Sha-Kaans Rückkehr zu tun?«

»Ja«, sagte Denser. »Das ist eine gute Frage, und ich muss mich für mein unvollständiges Wissen entschuldigen. Im Grunde haben die Forscher aus Xetesk Informationen von den Al-Drechar gewonnen und waren danach in der Lage, die Wege im interdimensionalen Raum zu erkennen. Frage mich nicht wie, aber es gibt solche Bahnen, die mit fließendem Mana vergleichbar sind, das stets den Weg des geringsten Widerstandes sucht. Um ein vollständiges und brauchbares Bild zu gewinnen, haben sie vermutlich gezielte und gebündelte Mana-Strahlen in den Raum geschickt, die von den Hüllen der Dimensionen abgeprallt sind. Die Signatur des Rückschlags hilft Sha-Kaan, die richtige Richtung zu erkennen, weil er weiß, wie seine Dimension sich anfühlt.

Es funktioniert nur in eine ganz bestimmte Richtung, und die Signaturen anderer Dimensionen würden seine Sinne verwirren. Deshalb ist sein Weg klar, weil es der einzige Weg ist, den er überhaupt versteht. Dies habe ich durch die Gespräche mit ihm und dank meines beschränkten Wissens über die Dimensionsforschung herausgefunden. Es tut mir leid, wenn es so unbestimmt klingt.«

»Mir reicht es«, sagte der Unbekannte.

»Dir vielleicht«, wandte Hirad ein. »Nicht zum ersten Mal danke ich den Göttern, dass ich kein Magier bin.«

Er stand auf und streckte sich, indem er die Arme zurückzog und vorsichtig die Brust vorstreckte. Denser sah ihn einige Male zusammenzucken, doch insgesamt schien der Barbar überrascht darüber, wie erholt er sich fühlte.

»Geht’s dir gut?«, fragte Denser.

»Ich bin steif, aber sonst fühle ich mich nicht schlecht«, sagte Hirad. »Vielleicht kann ich sogar eher wieder kämpfen, als ich dachte. Das gilt leider nicht für den jungen General hier.«

Darrick schaufelte sich Brühe in den Mund, als sollte er nie wieder etwas zu essen bekommen. Neben ihm lag ein Stück angebissenes Brot auf dem Boden, vor seinem linken Stiefel dampfte ein Becher des köstlichen Kräutertees der Elfen. Sein Gesicht war noch bleich, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er zitterte ein wenig.

»Kannst du reiten, Darrick?«, fragte ihn der Unbekannte.

Darrick nickte. »Wir wollen ja nicht den ganzen Weg galoppieren, hoffe ich.«

»Wir werden uns bemühen. Vielleicht können wir auch Sha-Kaan überreden, dich mitzunehmen«, sagte Denser. »Wann kommt er eigentlich an?«

Hirad zuckte mit den Achseln. »Du kennst ja seinen Zustand. Er kann nicht sehr schnell fliegen. Wenn wir so schnell reiten, wie wir können, dann müssten wir ungefähr gleichzeitig in Julatsa eintreffen.«

»Das passt gut, denn vielleicht brauche ich Hilfe, wenn ich das Tor öffne. Vorausgesetzt, das Mana ist dort stark genug.«

»Gut«, sagte Hirad. »Sind wir dann alle bereit?«

Er machte einige Schritte in Richtung Xetesk. Sie hatten eine Stelle gefunden, von der aus sie durch die Bäume die Schlacht beobachten konnten. Was er gerade sah, war zweifellos die Aufstellung vor einem größeren Gefecht, das jederzeit ausbrechen konnte. Schon jetzt gingen vereinzelte Sprüche auf den vereinten Schilden nieder, während sich die Truppen sammelten und formierten.

Plötzlich wehte eine Bö durch die Bäume, zerrte an den Zweigen und riss Blätter und Blüten von den Pflanzen. Denser blickte zu Erienne, die von Thraun bewacht auf dem Boden lag. Sie runzelte kurz die Stirn, dann entspannte sie sich wieder.

»Thraun?«, fragte er.

Er schüttelte den Kopf. »Das war sie nicht. Aber sie fühlt es.«

»Denser, was, zur Hölle, ist das?«

Thraun eilte zu Hirad, und der Unbekannte und Darrick folgten seinem Beispiel. Niemand musste fragen, was Hirad gemeint hatte.

Im teilweise bewölkten Himmel klafften zwei längliche Löcher, die sich leicht bewegten wie Tang in der Dünung. Kein Zweifel, dass es sich um eine magische Waffe handelte. Eines der Löcher schwebte über dem Osttor, das zweite im Norden. Aus der Ferne konnte man nicht erkennen, wie groß sie waren, doch es mussten mehrere hundert Fuß sein.

Beide waren vom Dunkelblau der xeteskianischen Magie eingerahmt, im Innern brodelte die Dunkelheit, und gelegentlich zuckten daraus trübe rote Blitze hervor. Wieder wehte eine Bö herüber, und nun war auch ein Donnern zu hören, als die Luft von Balaia mit der ungebändigten Kraft des interdimensionalen Raumes in Berührung kam. Mit einem Krachen, das laut übers Schlachtfeld hallte, flammten die blauen Säume blendend hell auf und zogen die Löcher weiter auseinander. Die Schwärze vertiefte sich.

Unten auf dem Schlachtfeld hörten die Kämpfe auf, kaum dass sie richtig begonnen hatten. Vorsichtige Lysternier zogen sich bereits zurück, weil sie sich vor dem fürchteten, was sie da sahen. Doch die paar Schritte konnten sie nicht retten.

»Bei den Göttern, sie haben keine Chance«, sagte Denser.

Er drehte sich um und rannte zu seinem Pferd. Hirad und der Unbekannte wollten ihn aufhalten, doch er drehte sich im Laufen nur kurz um.

»Kommt schon! Sie müssen das Schlachtfeld räumen. Der Rabe, los jetzt! Steigt auf und kommt!«

»Nein, Denser!«, rief Hirad. »Du kannst dich nicht zeigen, sie werden dich schnappen.«

Denser machte kehrt, kam zurückgerannt und packte den Barbaren am Kragen. Er deutete über seine Schulter. »Siehst du die Leute da unten? Sie werden sterben. Sehr bald schon. Vielleicht können wir ein paar retten. Versteck dich nur, wenn du willst.«

Hirad brummte vor sich hin, doch seine Miene hellte sich zusehends auf. »Deshalb mag ich dich«, sagte er. »Unbekannter, wir reiten mit ihm. Thraun, Darrick, setzt die Elfen in Bewegung. Los jetzt.«

Ringsum entstand Lärm. Magier riefen, die gemeinsamen Schilde müssten verstärkt werden, Soldaten verlangten nach Befehlen. Auf dem Schlachtfeld zogen sich die Xeteskianer rasch zurück, und die Verbündeten unternahmen einen halbherzigen Vorstoß, der aber rasch zum Erliegen kam, als sich der Riss am Himmel über ihnen abermals verbreiterte und das Donnern lauter wurde. Die blauen Ränder zischten und zuckten.

Denser rannte zur behelfsmäßigen Pferdekoppel im Lager der Elfen, zog die Zügel seines Pferds vom Pfahl und stieg auf.

»Los doch!« Er versetzte seinem Pferd einen Tritt, und es rannte los und sprang übers Geländer. Elfen stoben auseinander. »Setzt euch in Bewegung! Geht sofort nach Norden!«

Er wusste nicht, ob sie ihn verstanden, aber das war ihm egal. Er galoppierte den schlammigen Weg zum Schlachtfeld hinunter und rief jedem, der ihn hören konnte, zu, er solle das Gebiet sofort räumen. Endlich war er aus dem Lager und dem Wald heraus, raste den Hang hinunter und hielt schräg auf die Position des lysternischen Kommandanten zu. Der Unbekannte und Hirad trieben ihre Pferde hinter ihm scharf an.

Der Riss, der jetzt links über ihm schwebte, war inzwischen riesengroß. Seine Ränder flackerten, und Denser konnte sich vorstellen, wie die Magier, die ihn geöffnet hatten, um den Zusammenhalt kämpften. Er betete, dass einen, nur einen, die Kräfte verließen. Das lysternische Oberkommando war in hellem Aufruhr, alle schrien durcheinander. Ein riesiger Soldat saß auf dem Pferd und brüllte seine Männer an, sich für den Angriff zu sammeln und den Vorteil zu nutzen. Ein Magier neben ihm sandte Meldegänger mit Nachrichten aus. Es würde ihnen nicht mehr helfen.

Denser zügelte sein Pferd vor ihnen.

»Räumt das Schlachtfeld!«, schrie er sie an. »Räumt es sofort, das ist eure einzige Chance. Gebt Nachricht zum Nordtor, auch sie müssen verschwinden. Tut es sofort, verdammt!«

Der Soldat deutete auf ihn und auf die anderen Rabenkrieger. »Ihr werdet gesucht.«

»Das ist mir egal, du Trottel. Deine Männer werden gleich sterben.« Er lief puterrot an. »Hört mir zu!«

»Verhaftet diese Männer«, sagte der Soldat. »Haltet sie fest.«

»Verdammt noch mal«, fauchte Denser.

Er nahm sein Pferd herum und ritt zur Front, hörte Hirad einen Fluch ausstoßen und den Unbekannten, der ihn zurückhalten wollte.

»Denser!«, rief der Unbekannte. »Bleib auf Abstand.«

»Räumt das Schlachtfeld!« So laut hatte Denser noch nie im Leben geschrien. Trotzdem war ihm klar, dass sie ihn nicht hören konnten. Das Donnern war ohrenbetäubend, die Luft schlug ihm hart ins Gesicht, und der Druck unter dem Riss nahm zu. Er raste weiter, ein Auge auf den wachsenden Riss gerichtet. Von dem, was sich dort oben zusammenbraute, wollte er nicht getroffen werden.

Er ritt direkt hinter die zersplitterten Linien, brüllte den Leuten zu, sie sollten rennen, sich verteilen und ins Lager zurückkehren, was auch immer.

Einige hörten ihn, doch sie waren unschlüssig. Die Leutnants in vorderster Front achteten auf die am Befehlsstand gehissten Flaggen und hatten Hemmungen, einfach die Befehle zu missachten. Der Mann im langen Mantel, der sie eingeholt hatte und zur Flucht drängte, war entweder verrückt oder ein Geist, der sie erlösen wollte. Sie wussten nicht, was sie von ihm halten sollten, das sah er ihren Gesichtern an.

Wieder knallte es wie ein Peitschenschlag über seinem Kopf, dass seine Ohren schmerzten. »Die Zeit wird knapp!«, rief er.

Mehr konnte er nicht tun. Ohne sich umzudrehen, wusste er, dass Hirad und der Unbekannte ihm folgten, als er sein verängstigtes Pferd herumzog und sich in gerader Linie vom Schlachtfeld entfernte. Er kauerte dicht über dem Hals des Tiers und hoffte, es sei noch nicht zu spät. Als er einige hundert Schritt entfernt war, gaben die Magier den Spruch frei.

Ein Luftstoß traf Densers Rücken. Das erschrockene Pferd bockte und warf ihn ab, war aber zu verwirrt, um sich für eine Fluchtrichtung entscheiden zu können. Er überschlug sich mehrmals, richtete sich wieder auf und musste zusehen, wie seine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit wurden.

Aus der Finsternis des interdimensionalen Raumes brachen dunkelrote, blau geränderte Lichter hervor. Blitze reiner Energie zuckten durch die Öffnung, und dann ging die ganze Konstruktion mit unglaublicher Wucht auf den Boden nieder. Flammenzunge auf Flammenzunge fuhr herab; sie explodierten beim Aufschlag, wobei Lichtfinger in alle Richtungen schossen.

Große Erdbrocken flogen hoch, Männer wurden weggeweht wie Laub. Manche wurden von den Lichtfingern direkt erfasst. Sie lösten sich einfach auf, wo sie standen, oder ihre Körper gingen in Flammen auf. Denser sah Glieder und Leiber blitzschnell verbrennen, die Körper wurden zerfetzt. Wenigstens hielten die Schreie nicht lange an.

Die gemeinsamen Schilde waren nicht für einen solchen Druck gemacht. Sie flackerten grün und konnten die erste Welle abwehren, doch unter der zweiten brachen sie zusammen. Immer noch fuhren die Explosionen des Spruchs herab. Flammende Blitze trafen den Bereich vor den Toren, wo die Lysternier gestanden hatten. Überlebende rannten davon, Tote brachen zusammen, er sah Männer mit verbrannten Gesichtern blind umhertappen. Andere waren längst zu Asche zerfallen, die der Wind, der nach den Blitzen kam, verstreute.

Blauer Sturm. Das waren die Worte, die er in Laryons Verteiler gelesen hatte. Jetzt wusste er, was sie zu bedeuten hatten. Dystran steckte hinter alledem, und Denser war überzeugt, dass es am Nordtor nicht anders aussah. Xetesk hatte seinen Gegnern einen vernichtenden Schlag beigebracht. Hirads Rufe sagten ihm, dass es sogar noch schlimmer wurde.

Der Spruch endete, mit einem mächtigen Knall schlossen sich die Risse wieder. Der Blaue Sturm war vorbei, und am Morgenhimmel blieb nur ein leichtes Glühen zurück. Rauch und Staub wehten wie Nebel übers Schlachtfeld, und es stank nach einem Blutbad.

Trotz des Nebels konnte man jedoch sehen, was als Nächstes geschah. Die Tore hatten sich geöffnet. Xeteskianer stürmten heraus, um sich ihren vorgeschobenen Truppen anzuschließen und sie zu verstärken. Im Osten und Norden griffen sie in einer Phalanx an, die auch das Lager erfassen würde. Magier flogen über die Mauern hinweg, ebenso sicher vor feindlichen Sprüchen wie die Hausgeister, die sie begleiteten. Dutzende Dämonen flatterten in alle Richtungen davon, der Wind wehte ihr schnatterndes Gelächter herüber. Unüberhörbar die Vorfreude auf ihr Vernichtungswerk.

»Denser, wir müssen hier verschwinden.«

Der Unbekannte und Hirad hatten zwei fliehende Männer auf ihre Pferde gezogen. Die Glücklichen wurden jetzt heruntergestoßen, der Unbekannte trabte herbei und gab Denser die Zügel seines Pferds, damit der Magier wieder aufsteigen konnte.

»Wir müssen zu den Elfen aufschließen«, sagte der Unbekannte. »Hier können wir nichts mehr tun.«

Die lysternischen Kräfte am Osttor waren so gut wie aufgerieben. Die drei Rabenkrieger ritten scharf durch die umherirrenden Überlebenden und die anderen, die ihnen aus dem Lager zu Hilfe kommen wollten. Die Lysternier waren geschlagen und flohen in den Schutz der Bäume und weiter. Denser betete, dass sie sich neu formieren konnten.

Der Unbekannte führte sie am Fuß des Abhangs entlang, der die Grenze des in Unordnung geratenen lysternischen Lagers bildete. Der Befehlsstand war verwaist, als sie vorbeigaloppierten, nur ein paar hundert Schritte vor den Xeteskianern, die zu Fuß vorstießen. Die feindlichen Reiter blieben vorerst hinter den Linien.

Über allem kreisten die Hausgeister und stürzten sich auf jeden Feind, den sie fanden, zerquetschten Schädel mit ihren unmenschlich starken Händen, verbissen sich im Fleisch und fügten den Opfern mit den Schwänzen schreckliche Schnittwunden zu.

Kurz bevor die sie Mauern von Xetesk erreichten, führte der Unbekannte die Rabenkrieger nach Nordosten. Vom Nordtor hallte der Schlachtenlärm herüber, Rauch und Staub hingen in der Luft und wehten übers Torhaus. Denser hörte das Donnern einer Kavallerieattacke.

Als sie um die Ecke bogen, konnten sie die Lage überblicken. Die vereinten dordovanischen und lysternischen Kräfte waren verstreut, vernichtet oder im Rückzug begriffen. Jegliche Ordnung war dahin, und die xeteskianischen Truppen trieben sie rasch weiter nach Norden, hetzten die verwundeten, langsamen und schockierten Gegner. Immer mehr Hausgeister kamen herangeflogen, Magier folgten ihnen und lenkten das Kampfgeschehen aus der Luft, doch sie trafen wenigstens auf etwas Widerstand.

Izack und seine Kavallerie schützten in ihrer Mitte die Magier, die Schilde aufbauten und die Reiter unterstützten. Sie erwiesen sich als Helden in der Niederlage. Unablässig griff Izack an und brach den xeteskianischen Ausfall, nahm sich schwächere Bereiche der leicht desorganisierten Reihen vor, zog sich zurück, ehe der Feind ihn in die Zange nehmen konnte. Einer seiner berittenen Magier schoss eine konzentrierte Feuerkugel ab, die einen Hausgeist mitten in die Brust traf. Der Dämon schrie und fiel wie ein Stein, und neben ihm stürzte sein Meister ab, die Hände an den Kopf gepresst.

Denser hätte Mitgefühl empfinden sollen, denn auch er hatte die Schmerzen erlebt, die mit dem Verlust eines Hausgeistes einhergingen. Doch er empfand nichts als Freude über den kleinen Sieg gegen das Kolleg, das er so lange als seine Heimat betrachtet hatte.

Auch Izack konnte den Ansturm nicht beliebig lange aufhalten. Hinter den Soldaten und Reitern kamen Wagen, Karren und berittene Magier. Dieser Ausbruch war gut geplant und wurde mit der typischen xeteskianischen Rücksichtslosigkeit durchgeführt. Er warf alle Pläne der Verbündeten über den Haufen, und nun war Julatsa schrecklich verwundbar. Die Elfen mussten schnell rennen, um früh genug anzukommen und das Herz zu bergen. Doch selbst wenn es ihnen gelang, spielte es noch eine Rolle? Die Xeteskianer würden sich davon nicht aufhalten lassen. Irgendwie musste man genügend Verteidigungskräfte nach Julatsa bringen, um Xetesk in Schach zu halten und schließlich sogar zurückzuwerfen. Doch Denser war nicht sicher, ob dies überhaupt noch möglich war.

Er konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag. Sie ritten ein Stück vor den Überresten der lysternischen Streitkräfte, die immer noch nach Osten und Norden flohen. Der Weg vor ihnen war frei, es ging über offene Felder in Richtung der erstbesten Deckung, die sie auf dem Weg nach Julatsa finden würden.

Nicht lange, und sie hatten das Gemetzel hinter sich gelassen. Der xeteskianische Ausfall war vorübergehend ins Stocken geraten, und die Streitmacht des dunklen Kollegs musste sich neu formieren. Nach einem so überwältigenden Sieg, nachdem die Feinde hoffnungslos zersplittert waren und nicht hoffen durften, sich bald wieder zu sammeln, konnte Xetesk sich allerdings eine kleine Verzögerung durchaus erlauben.

Eine halbe Meile vom Schlachtfeld entfernt sah er, was er erwartet hatte. Schnell, diszipliniert und gut organisiert zogen die Elfen nach Norden. Die Reiter in ihrer Mitte waren Darrick und Thraun. Der Gestaltwandler, der Erienne vor sich hielt, bemerkte ihn.

Sie hatten Späher vorausgeschickt, Krallenjägerpaare liefen an den Flanken und als Nachhut, und die TaiGethen streiften frei durchs Gelände. Die Elfen bewegten sich zielstrebig und waren nun Balaias letzte Hoffnung, Xetesk in Schach zu halten. Es war schwer zu sagen, wie viele es waren. Sie bewegten sich geschmeidig, tauchten gelegentlich auf und verschwanden gleich wieder zwischen Bäumen und in hohem Gras.

Es stand zu bezweifeln, ob sie wirklich die erforderliche Zahl von zweihundert Magiern mitbrachten. Seiner Ansicht nach waren dort weniger als vierhundert Krieger und Magier unterwegs. Doch das spielte jetzt kaum noch eine Rolle. Jetzt kam es nur noch darauf an, die Magier zu beschützen, die sie hatten. Jeder, der auf dem Weg nach Norden fiel, wäre ein Schlag, der das Überleben von Julatsa unwahrscheinlicher machen würde.

Wie Hirad und der Unbekannte, der vor ihm ritt, war auch Denser entschlossen, Ilkars Traum nicht sterben zu lassen.