19. KAPITEL
Das war ein voller Erfolg!“, schmunzelte Mable Ciaire Stunden später. Sie saßen auf der Bank und sahen zu, wie der Mond über dem See aufstieg. „Wir haben sie ja so was von überrascht! Das war ein Riesenspaß!“
„Es war perfekt“, nickte Kate. Die anderen saßen am Lagerfeuer und spielten Scharade, aber Mable Ciaire und sie setzten diese Runde aus. „Ich habe noch nie eine Überraschungsparty für jemanden veranstaltet.“
„Ich auch nicht“, gab Mable Ciaire zu. „Ich schätze, wenn man Callie ist, ist alles Gute, was einem begegnet, eine Überraschung.“
Kate lehnte sich gegen den riesigen Baumstamm, der dort seit Generationen lag. Phil hatte seine Initialen hineingeritzt und dazu das Datum: 4. Juli 1984. Eine Erinnerung an ein lange vergangenes Feuerwerk zum Unabhängigkeitstag. Sie zog ein Knie an und schlang die Arme darum. Richie war an der Reihe und versuchte verzweifelt, den Namen eines gehörnten Tieres darzustellen.
„Stier“, rief Aaron.
„Karibu, Elch, Wasserbüffel.“
„Yak“, schlug JD vor, was dazu führte, dass Richie sich dankbar auf die Knie fallen ließ und nickte.
„Yakety Yak! (Don’t Talk Back)“ war die Lösung, ein Song von The Coasters. Natürlich kam sie von Callie. Sie kannte offenbar jedes Lied, das jemals geschrieben wurde.
„Ich bin dran“, sagte Mable Ciaire und nahm ihren Platz in der Gruppe wieder ein, während Callie ein neues Wort aus dem Hut zog.
Kleine orangefarbene Funken tanzten in der Luft. Das Licht des Feuers vergoldete die Gruppe mit seinem freundlichen Schein, und der Anblick der entspannt spielenden Menschen ließ Kate ein wenig wehmütig werden. Das Bild brachte sie zurück in andere Zeiten, zu lange vergangenen Sommern, in denen die Nächte ebenfalls mit Spaß und Lachen erfüllt waren.
Aaron entfernte sich von der Gruppe; er konnte sich nicht länger auf das Spiel konzentrieren. Bevor Kate ihn zurückrufen konnte, hatte JD ihn sich geschnappt und wirbelte ihn herum, bis Aaron vor Lachen quietschte. Dann gesellten sich beide wieder zu den anderen Spielern. Kate spürte, dass sie idiotisch grinste. Sie hatte damit gerechnet, dass das der einsamste Sommer ihres Lebens werden würde. Wer hätte gedacht, dass sie hier ihr Glück finden würde?
Ein paar Minuten später setzte JD sich neben sie. „Du siehst zufrieden aus.“
„Ja, es ist ja auch eine tolle Party geworden.“
„Stimmt.“ Er griff über sie hinweg zu einem Beutel Marshmallows und steckte zwei auf einen spitzen Stock.
Ein aufregender Schauer überlief sie ob der Vertrautheit, mit der er sich in ihrer Gegenwart benahm. Wenn sie ehrlich war, fand sie alles an ihm aufregend. Sie liebte es, sich mit ihm zusammen wie ein Pärchen zu fühlen. „Weißt du, ich bin dieses Jahr mit sehr geringen Erwartungen hierhergekommen. Ich dachte, Aaron und ich würden uns ohne den Rest der Familie ganz elendig fühlen.“
Sorgfältig toastete er die Marshmallows über dem Feuer, konzentrierte sich darauf, sie von allen Seiten gleichmäßig braun zu bekommen. „Und jetzt?“
„Und jetzt ist das völlig egal. Wir haben einen wundervollen Sommer.“ Sie zeigte auf das Scharadespiel, das mit jeder Minute lauter wurde. „Das hier fühlt sich für mich wie Familie an. Niemand ist mit irgendjemandem verwandt, aber es funktioniert trotzdem.“
Immer noch die Marshmallows im Blick behaltend, drehte er den Stock langsam in seiner Hand.
„Callie sieht so glücklich aus.“ Gerade griff das Mädchen nach Lukes Arm, als er sie wegen irgendetwas aufzog. „Ich hoffe, der Junge ist lieb zu ihr.“
„Er ist fürchterlich jung“, murmelte JD.
Ein leiser Unterton in seiner Stimme weckte ihre Aufmerksamkeit. „Er ist Mable Claires Enkel, und laut ihrer Aussage kann er gar nichts falsch machen. Meinst du, er bedeutet Ärger?“
„Ich meine, dass er fürchterlich jung ist, mehr nicht.“
„Sie aber auch“, merkte Kate an.
Er hielt ihr die perfekt gerösteten Marshmallows hin. „Für Sie, Madame!“ Er klang so förmlich wie ein französischer Kellner.
„Wie machst du das? Sie überall braun zu bekommen, ohne dass sie anfangen zu brennen?“
„Ich bin ein Profi. Vertrau mir.“ Er ließ den warmen Marshmallow vor ihrer Nase schweben, und sie griff danach. Süß schmelzend zerging er auf ihrer Zunge. Den anderen überließ sie JD.
„Das weckt in mir sündige Gedanken über dich“, schnurrte sie, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ.
„Das sind die besten.“ Er warf einen Blick zu den anderen hinüber, um sicherzugehen, dass niemand herschaute. Dann beugte er sich vor, um ihr einen kurzen, aber feurig heißen Kuss auf den Mund zu geben.
Sie schmolz beinahe dahin wie das Marshmallow, aber zwang sich dann, ein Stück von ihm abzurücken. „Wow“, hauchte sie. „Es sind Minderjährige anwesend.“ Sie steckte zwei weitere Marshmallows auf den Stock.
„Was der einzige Grund ist, warum ich nicht gleich hier und jetzt über dich hergefallen bin“, erwiderte er. „Hör auf, dir Sorgen zu machen, Kate! Jeder weiß es. Und ich glaube, es schadet Aaron gar nicht, zu sehen, dass jemand verrückt nach seiner Mutter ist.“
Ihr Atem stockte, und sie kämpfte darum, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. So deutlich hatte er seinen Gefühlen für sie noch nie Ausdruck verliehen. Sie traute ihren Ohren kaum.
„Definiere verrückt“, flüsterte sie. „Meinst du verrückt wie lüstern – oder ...“ Sie hielt inne, wollte den Rest nicht aussprechen oder ihn sehen lassen, wie sehr sie sich danach sehnte, es zu hören.
„Nein. Ich meine, ich bin ständig scharf auf dich, da gibt es nichts dran zu rütteln. Aber was ich meinte, war die andere Art von verrückt.“
Kate spürte, wie der Stock ihren Fingern entglitt. Die Marshmallows flammten blau auf, dann warfen sie schwarze Blasen und verschmolzen mit der Kohle. Tief in ihr wisperte eine Stimme: Wirf es nicht weg! „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden. Hast du gerade gesagt ...“
„Kate!“ Mable Claires Stimme durchschnitt die Nacht, unterbrach die Anspannung des Moments. „Kate und JD, wir brauchen euch beide! Irgendetwas stimmt mit Callie nicht. Sie ist ohnmächtig geworden.“
Bevor Kate die Worte überhaupt verarbeitet hatte, war JD aufgesprungen und an Callies Seite geeilt. Sie lag am Strand, die anderen standen im Kreis um sie herum. Alles Lachen war verstummt.
JD war ganz in seinem Element. Er prüfte ihre Vitalzeichen, rief ihren Namen und schüttelte sie. „Ich brauche meinen Erste-Hilfe-Koffer aus dem Truck“, befahl er mit einer Autorität, die Kate noch nie an ihm gehört hatte. „Er steht in der Werkzeugkiste.“ Richie rannte los, um ihn zu holen.
„Gott sei Dank, dass wenigstens einer weiß, was zu tun ist!“, murmelte Mable Ciaire.
JD machte sich an die Arbeit. Es war erstaunlich, welche Gerätschaften er in seinem Erste-Hilfe-Koffer hatte. Immer wieder rief er Callies Namen, überprüfte ihren Puls, ihren Herzschlag. Yolanda kümmerte sich um Aaron, versicherte ihm, dass alles wieder gut würde, und schaffte es, ihn ruhig zu halten. Was zum ersten Mal nickt sckwer war. Er sckien die Ernstkaftigkeit der Situation zu versteken.
Als JD Callies Atmung und Pulsscklag überprüfte, ging Kate ins Haus, um ikre Handtascke und Scklüssel zu kolen. Als sie zurückkam, katte JD Callie sckon kockgekoben. Das Mädcken lag scklaff und regungslos in seinen Armen.
Kate umarmte Aaron kurz. „Wir müssen Callie zum Arzt bringen. Du bleibst kier bei Mrs Newman und Luke. Ick komme so scknell zurück, wie ick kann.“
„Ick kabe Angst“, raunte er.
„Ick weiß. Aber alles wird gut. Ick muss jetzt los, Sckätz-cken.“ Sie drückte ikren Sokn nock einmal und rannte dann zum Jeep. Rickie und JD legten Callie gerade auf den Rücksitz. Luke stand daneben und sak ebenso blass und verängstigt aus wie Aaron.
Kate ging davon aus, dass er darauf besteken würde, mitzufakren, aber das tat er nickt. „Sie wird wieder“, versickerte sie ikm, so wie sie es auck ikrem Sokn versickert katte. Er nickte und trat zur Seite, die Hände in den Hosentascken vergraben.
Auf der Fakrt ins Krankenkaus wurden JD und Kate ein Team. Sie fukr, wäkrend er kinten bei Callie blieb. Er katte sick eine Tasckenlampe, das Stetkoskop und die Blutdruckmansckette aus seiner Erste-Hilfe-Tascke gescknappt. Leise sprack er mit dem Mädcken, versuckte, seine Aufmerksamkeit zu wecken.
Wäkrend Kate durck die Nackt fukr, wurde Callie langsam wack. Sie protestierte sckwack gegen ikre Situation, konnte aber nur vage Antworten auf die üblicken Fragen geben – welckes Jakr gerade war oder wie der Präsident kieß. Sie mackte jedock sekr deutlick, dass sie nickt ins Krankenhaus wollte. Und JD machte genauso deutlich, dass er sich auf keine Diskussion zu diesem Thema einlassen würde.
Kaum dass sie wieder Handyempfang hatten, rief er im Krankenhaus an. Kate verstand vielleicht die Hälfte von dem, was er ins Telefon diktierte, wobei er die Informationen sehr präzise und mit eindeutiger Kompetenz vortrug. „Weiß, weiblich, achtzehn Jahre alt ... syncopale Episode ... Blutdruck 102 zu 66“, gab er an. „Puls 160, Atmung flach. Patientin zittert, Haut ist klamm, ihr ist offensichtlich schwindelig ...“ Es lag etwas ungemein Beruhigendes in seiner Art. Er war so professionell und selbstsicher. Ein ganz anderer Mensch; eine Version von JD, die sie nicht kannte.
„Voraussichtliche Ankunftszeit in zehn Minuten.“
Den Rest hörte Kate nicht mehr. Ihre Hände zitterten, aber sie zwang sich, das Lenkrad fest umklammert zu halten. Sie biss sich auf die Lippe, um sich davon abzuhalten, sein Gespräch mit dem Krankenhaus zu unterbrechen.
Kate wollte glauben, dass Callie bei ihm in Sicherheit war. Aber ein gesundes Mädchen brach nicht ohne Grund zusammen.