Der Wendepunkt
Am Abend rief ich Tom an. Ich konnte es mir denken, wie ungeduldig er schon darauf wartete, mit mir über die Vorstellung sprechen zu können. Die Vorstellung. Endlich hatte ich die Zeit und Ruhe mich über meinen Erfolg zu freuen, den ich an diesem Abend erlebt hatte. Es tat gut, mit Tom darüber zu reden, er führte mir jedes Detail vor Augen, das ich durch Robins Anwesenheit viel zu schnell vergessen hatte. Auch wollte er mehr über meine Begegnung mit Max wissen, er konnte immer noch nicht verstehen, warum ich so plötzlich unsere Beziehung beendet hatte. Abgesehen davon musste ich ihn noch bitten, für mich zu lügen. Es war nicht ganz abwegig zu glauben, dass Max auch bei ihm einen Versuch unternehmen würde, um ihn über meinen geheimnisvollen Lover auszufragen.
Tom fand es albern und kindisch, Max zu sagen, ich wäre jetzt mit einem Rockstar zusammen, aber mir zuliebe war er bereit, mir den Rücken zu decken. Ich fühlte mich ganz schön mies dabei. Nicht nur, weil ich wegen Robin selber lügen musste, ich zwang noch meinen besten Freund dazu. Aber eigentlich log ich Tom nicht an, ich sagte ihm nur nicht die ganze Wahrheit.
Es war schon verrückt, wie ich mich immer tiefer in verdrehte Wahrheiten verstrickte, nur um Robin nicht zu verraten. Tom hielt das ganze für ein durchgeknalltes, post-adoleszentes Wunschdenken von mir, wie er es sagte und Max tat ihm leid, weil ich ihn wegen eines scheinbaren Liebhabers so knallhart abservierte. Er gab Robin und meiner Schwärmerei für ihn die Schuld dafür und ahnte nicht, wie recht er damit hatte! Zum Glück hatte er keinen Kontakt mit Menschen aus meiner Hochschule, die über Robin bescheid wussten. Bestimmt würde er sich langsam Sorgen um meine Verfassung machen, wenn er wüsste, dass ich sogar den Professoren von meiner imaginären Liebschaft mit Robin erzählte. Oder noch schlimmer - endlich würde ihm ein Licht aufgehen und er würde die ganze Wahrheit über unsere Affäre erraten und mich zwingen, mein Versprechen an Robin zu brechen. Dadurch wäre unser Geheimnis stark gefährdet. Tom hatte Kontakte zu einigen bekannten Leuten aus der Showbranche und gesprächig wie er war, traute ich ihm absolute Diskretion leider nicht zu. Robin würde mir niemals verzeihen, wenn ich mein Wort nicht gehalten hätte und die Öffentlichkeit von unserer Affäre erfahren würde. Es war ihm viel zu wichtig, das saubere Bild von seinem Privatleben aufrecht zu erhalten und die Familie vor unangenehmen Gerüchten in den Medien zu beschützen.
So konnte ich nur hoffen, Tom würde mich nicht durchschauen und Max würde schnell aufhören, meine Freunde auszuquetschen.
Tom reagierte erfreut und sogar erleichtert, als ich ihn bat bei seinen Eltern Weihnachten zu verbringen. Für ihn waren solche Familienfeiertage lästig und langweilig, ich wiederum genoss es, mir ein Stück verlorener Familienidylle zurückholen zu können. Toms Eltern mochten mich sehr und ich spürte, dass sie mich liebend gerne als potentielle Schwiegertochter betrachten würden. Tom und ich waren unzertrennlich, wir passten einfach zu gut zusammen und ich merkte wieder, wie sie unbewusst darauf hofften, Tom könnte wie durch ein Wunder doch noch ein Hetero werden. Das belastete Tom sehr und machte ihn den Eltern gegenüber meistens abweisend und fast aggressiv. Daher rettete meine Anwesenheit letztendlich die Atmosphäre und den Familienfrieden, wofür mir alle still dankbar waren.
Robin schaffte es nicht, mich vor Weihnachten anzurufen und das trübte anfangs ein wenig meine Stimmung. Aber bald schon lenkten mich Fürsorge und Herzlichkeit von Toms Eltern so weit ab, dass ich nicht in Schwermut verfiel, sondern drei entspannte, gemütliche Tage in der Provinz verbrachte.
Während sich Tom mit seinen alten Schulfreunden traf, ging ich alleine in den nahe gelegenen Wald spazieren. Mit fast euphorischer Begeisterung empfing ich die herrliche, beruhigende Stille, die auf dem Land herrschte. Einige Stunden am Tag wollte ich nur mit mir und meinen Gedanken an Robin verbringen, ungestört und unbeobachtet in meiner Sehnsucht und tief versunken in die Erinnerungen. Zwischen den einsamen Bäumen in dem verschneiten Wald, wo ich nur hin und wieder einem entschlossenen Läufer begegnete, fiel mir das nicht schwer. Das Knirschen vom Schnee unter meinen Füßen und das laute Krähen der hungrigen Krähen hoch über den Tannengipfeln waren die einzigen Geräusche, die ich vernahm. Diese wohltuende Ruhe, die im Wald herrschte, übte einen positiven Einfluss auf mich aus und erfüllte mich mit einem tiefen inneren Frieden.
Zurück in meiner Wohnung begrüßte mich Robins Anruf auf dem Anrufbeantworter, den ich nur um knappe drei Stunden verpasst hatte. Seine Stimme erfüllte mich mit wildem Verlangen nach ihm und gleichzeitig wärmte sie mich wie eine Umarmung aus weiter Entfernung. Robin vermisste mich und dachte viel an mich, lautete seine Nachricht, die gleich meinen postweihnachtlichen Blues aus mir vertrieb.
Zwei Tage später rief er noch mal an und wir sprachen lange miteinander. Er befand sich im sonnigen Florida, wohin er von dem nassen, kalttrüben und schneelosen Wetter der Ostküste flüchtete. So klang er auch - sonnig, gut gelaunt, strahlend, entspannt und optimistisch. Er schrieb weiter an den neuen Songs, die er schon fast fertig hatte und er konnte kaum erwarten nach dem ersten Januar mit seinen Bandkollegen ins Musikstudio zu gehen, um sie aufnahmereif einzustudieren.
Ende Januar erwartete sie in Kalifornien ihr Produzent, mit dem sie schon einige Alben produziert hatten und in seinem Musikstudio wollte die Band noch die restlichen Songs aufnehmen.
So deutlich spürte ich Begeisterung und Enthusiasmus in seiner Stimme, als er mir über seine Arbeit erzählte. Hatte er überhaupt Zeit an mich zu denken, bei all dem Arbeitseifer und seiner Familie dazu? Gab es in der Welt, in der er lebte und die so anders war als die Meine, auch ein Platz für Erinnerungen an mich? Scheinbar doch...
Wir beendeten unser Gespräch mit verliebten Albernheiten und Robin widmete sich wieder seiner Musik. Fast beneidete ich ihn um sein bis zur letzten Minute ausgefülltes und erfülltes Leben, während ich am anderen Ende der Welt mit aufsteigender Winterdepression, Einsamkeit, Ziellosigkeit und teilweise Selbstmitleid kämpfte.
Nach der vergangenen Opernaufführung fiel ich in ein kreatives Loch. Der Rausch des Erfolges verblasste, nach der Aufregung der letzten Wochen kehrte der Alltag zurück und neue Ziele sah ich vor meinen Augen noch nicht. Ich lief Gefahr, die nächsten drei Monate passiv und lustlos totschlagen zu wollen und das erlaubte ich mir auf keinen Fall. Mit strenger Selbstdisziplin zwang ich mich dazu, im kreativen Fluss zu bleiben und mich vorwärts zu bewegen. Ich meldete mich für noch übrig gebliebene Prüfungen an, die ich für meinen Diplomabschluss benötigte und studierte und übte von morgens bis abends. Auch mein Job in der Bar half mir, mich weiter als aktive Künstlerin zu fühlen, die offen und bereit für neue Möglichkeit war. So vergingen die Tage doch schneller als ich befürchtet hatte und die Hälfte des Januars lag hinter mir.
Robin rief mich weiter ein bis zweimal pro Woche an. Mit seinen Worten voller Inspiration und Zärtlichkeit belohnte er mich für mein Warten, für die anstrengenden und einsamen Tage und Nächte, die ich ohne ihn verbringen musste. Es war fast schon ein Monat vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen hatten und ich vermisste ihn immer noch schmerzhaft.
Besonders die Nächte waren oft unerträglich. Ohne seine Nähe brannte ich im Feuer der Erinnerungen an unsere heißen Umarmungen und ich verzehrte mich nach seinen Berührungen. Noch zwei lange Monate lagen zwischen uns, ehe wir uns wieder in die Arme fallen durften. Mit jedem seiner Anrufe stärkte Robin in mir das Vertrauen in diese verbotene Fernbeziehung, die nicht komplizierter sein konnte. Seine positive, lebensbejahende Art nährte meine Hoffnung und füllte mich mit Optimismus. Nur meine körperliche Sehnsucht nach ihm konnte er mit seinen Anrufen nicht stillen. Sie schürten noch mehr meine Leidenschaft, die schon so lange unerfüllt blieb, besonders wenn er mich durch den Hörer mit seinen heißen, lüsternen Worten liebkoste. Robin hatte ja Claire, die seine Bedürfnisse nach körperlicher Nähe und Sex befriedigen konnte, ich aber war allein und es hungerte mich nach Zärtlichkeit und erotischer Erfüllung.
Auch wenn ich Robin glaubte, dass er sich nach mir sehnte, ahnte ich trotzdem, wie viel einfacher es für ihn sein musste, die Zeit der Trennung zu überbrücken. Manchmal packte mich wilde, unvernünftige Eifersucht, wenn ich mir vorstellte, wie er im Bett mit Claire lag und sie auf gleiche Weise liebte, wie er es mit mir getan hatte. Diese Gedanken quälten mich und raubten mir den Schlaf, sie nagten an meinem Vertrauen in die Echtheit von Robins Gefühlen für mich und langsam, aber bedrohlich vergifteten sie mein Liebesglück.
Und schon wieder drang Robin im richtigem Augenblick in meinen beunruhigenden Zustand ein und fand einen Weg, um unser Wiedersehen zu beschleunigen und besonders mich von dem immer unerträglicher werdenden Warten zu erlösen.
Sein Anruf an diesem schicksalhaften Morgen riss mich wie so oft aus dem Schlaf und erhellte augenblicklich meinen frühen Tag. Ich meldete mich verschlafen, aber aufgeregt.
"Hi Baby, Guten Morgen", strahlte mich Robin bestens gelaunt aus dem Hörer an.
"Guten Morgen, Robbie! Oder besser gesagt, Guten Abend für dich." Robins Stimme zauberte mir gleich ein freudiges Lächeln aufs Gesicht und ich setzte mich hin.
"Diana, ich habe tolle Neuigkeiten, sie werden dir gefallen!" sprach er mit Begeisterung, die mich sofort hellhörig machte.
"Erzähl, ich kann's kaum erwarten!" Sein Enthusiasmus steckte mich sofort an und gute Neuigkeiten konnte ich gut gebrauchen.
"Also...." Robin machte eine bedeutungsvolle Pause und in meinem Magen kribbelte es dabei. "Wir sind mit dem Album fertig, jeder Song sitzt und ist ausgefeilt. Gestern haben wir die Arbeit in meinem Studio abgeschlossen und es kann losgehen, nach L.A. zu dem Produzenten."
"Das sind wirklich tolle Neuigkeiten, herzlichen Glückwunsch!" Ich identifizierte mich so sehr mit Robin und seiner Musik, dass ich mich von ganzem Herzen für ihn freute und ich erstrahlte vor aufrichtiger Freude.
"Wir sind früher fertig geworden als geplant, es lief alles wie von alleine. Die Jungs fanden die neuen Songs sofort cool und verstanden gleich, was ich von ihnen erwartete. Baby, du hast mir echt Glück gebracht!"
Robins Worte rührten mich und schmeichelten mir unbeschreiblich, so dass ich in Verlegenheit geriet. "Robin, übertreibe nicht, es ist alles dein Verdienst und es ist deine Kreativität, die das Album ermöglichte", wehrte ich mich ohne falsche Bescheidenheit.
"Doch, ich meine es ernst. Es ist meine Kreativität, das stimmt, aber du hast sie wieder erweckt und mich inspiriert", war Robin entschlossen, mich von meinem Verdienst zu überzeugen. Ich fasste es nicht ganz richtig, was das bedeutete. Am liebsten würde ich los kreischen vor diesem Glücksgefühl, das sich so prächtig anfühlte! Die Vorstellung von dem neuen Album, das in einigen Monaten auf den Markt kommen würde, mit den Songs, die beflügelt durch unsere Romanze entstanden waren, war einfach zu abgefahren und ich musste sie noch in Ruhe verdauen.
"Hör zu, Baby", fuhr Robin fort. "Gerade weil du meine Glücksbringerin bist, brauche ich dich auch weiter. Wir fliegen übermorgen nach Kalifornien, wo wir die richtigen Aufnahmen machen werden. Ich will dich während dieser wichtigen Zeit in meiner Nähe haben, wenigstens für ein, zwei Wochen. Du musst einfach nach L.A. kommen und bei mir bleiben. Was sagst du dazu?" Während Robin auf meine Antwort wartete, holte ich tief Luft. Erst dachte ich, ich hatte Robin nicht richtig verstanden, sein amerikanischer Dialekt war nicht immer leicht für mich. Ich sollte zu ihm nach Kalifornien fliegen und so lange Zeit bei ihm verbringen?? Als Robin diese Frage, die ich mir erst in meinem Geist stellte, bevor ich es mich traute sie laut auszusprechen, bejahte, überwältigte mich augenblicklich solche Aufregung, dass ich sprachlos blieb.
"Baby? Bist du noch da?" fragte Robin und ich sah ihn vor mir, wie er über seine gelungene Überraschung frech grinste.
"Ja, ich bin noch da", meldete ich mich schließlich und dann platzte schon der große Zweifel aus mir heraus: "Aber… Robbie, wie hast du dir das bloß vorgestellt? Was ist mit Claire? Und überhaupt?" Robin lachte, als er mich unterbrach und stoppte: "Hey, Hey, Baby, nur keine Panik! Ich habe alles gründlich überlegt. Es wird einfacher, als es aussieht. Claire fliegt übermorgen mit mir, aber wie ich sie kenne, wird sie es nicht länger als eine Woche aushalten. Sie langweilt sich schnell, wenn ich den ganzen Tag arbeite und sie wird bald wieder abreisen, entweder zu ihren Eltern oder zu ihrer Schwester. Bis jetzt war es immer so gewesen und sie hat mir gestern schon gesagt, dass sie nur kurz bei mir in L.A. bleibt. Tonys Frau wird diesmal auch nicht mitkommen und so wäre sie tagsüber die ganze Zeit alleine. Wenn sie weg ist, kannst du einfliegen. Ich werde in einem Strandhaus in Malibu wohnen, es gehört einem befreundeten Schauspieler, der gerade in Europa ein Film dreht und er überlässt mir das Haus sehr gerne. Wir werden die Abende und die Nächte zusammen verbringen können. Tagsüber, wenn ich im Studio bin, kannst du dich im Garten sonnen und im Pool schwimmen und den herrlichen Pazifikstrand bewundern. Es gibt auch einen privaten Strandabschnitt, der zu der Villa gehört. Ich bin überzeugt, es wird dir gefallen, es ist wunderschön dort. Und die Nachbarn sind lauter Promis, Schauspieler, Musiker und Sportler. Dort hat man sogar vor den Paparazzi einigermaßen Ruhe und man kann die Privatsphäre genießen, das Haus liegt sehr versteckt in der Bucht. Nach der Arbeit werden wir uns gemeinsam den Sonnenuntergang anschauen und ich werde nur dir gehören, bis zum Vormittag. Wie gefällt dir meine Idee?" Während Robin sprach, wechselten bunte Bilder rasend vor meinen Augen - Pazifikozean, Strandhaus, Sonne, die langen Nächte mit Robin - und sie blendeten mich geradezu mit ihren unfassbaren Versprechungen.
"Robbie, das klingt ja fantastisch! Ich bin sprachlos! Schon immer habe ich mir gewünscht, nach Kalifornien zu reisen", sprach ich leicht stotternd vor Aufregung. "Und vor allem so viel Zeit, die wir zusammen verbringen können! Ich kann es kaum fassen! Wow!" Endlich ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf und ich warf mich lachend in meinem Bett auf den Rücken. "Das heißt, wir sehen uns spätestens in zwei Wochen?"
"Richtig Baby! Wir müssen nicht bis Ende März warten. Ich will dich früher sehen, am liebsten schon am Valentinstag. Du fehlst mir. Und ich brauche dich, du weißt, dass ich ein Egoist bin und ich dich benutze", sagte Robin mit halbernster Stimme.
"O ja, benutze mich! Ich lasse mich so gerne von dir benutzen, besonders in Kalifornien und dann noch ein, zwei Wochen lang!" lachte ich laut und Robin schloss sich mir an.
"Du kannst auch länger bleiben, wenn du willst, es sei denn, du kriegst schon früher genug von mir", lachte Robin weiter.
"Sag nicht so was, ich werde niemals genug von dir kriegen", protestierte ich gleich.
"Gut, ich werde dich daran erinnern", sagte Robin ermahnend und ich seufzte laut vor Glück.
"Hoffentlich hast du Zeit im Februar?", fragte Robin plötzlich vorsichtig.
"Ja, zum Glück. Ich habe alle meine Prüfungen schon abgelegt und so kann ich ruhig die Semesterferien genießen", freute ich mich, weil sich mein büffeln in den letzten Wochen so auszahlte.
"Dann bin ich aber beruhigt. Ich werde für dich das Flugticket kaufen, sobald ich weiß, ab wann ich in L.A. alleine bin.
"Robin, du kannst es dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich darauf freue", sprach ich mit meiner ganzen Sehnsucht nach ihm. "Kalifornien ist mir überhaupt nicht wichtig, es könnte sich auch um Alaska handeln. Nur du allein bist es, warum ich so eine Freude empfinde, alles andere ist nur Nebensache."
"Ich weiß, Diana. Ich kann es auch kaum erwarten, dich wieder anfassen zu können, neben dir aufzuwachen, dich zu spüren, tief in deinem heißen Körper zu versinken..." Robin sprach mit seiner sinnlichen, dunklen Stimme, die ich so sehr liebte.
"Ich vermisse dich so sehr, besonders nachts", flüsterte ich zurück, als die Zärtlichkeit und die Leidenschaft zwischen uns trotz der Entfernung so deutlich spürbar wurden. Noch ehe er etwas erwidern konnte, merkte ich, dass die Verbindung plötzlich unterbrochen wurde. Ich legte den Hörer auf und wartete kurz, ob er noch mal anrufen würde, aber das Telefon blieb stumm. Ich machte mir nicht lange Gedanken darüber, ich war zu aufgedreht von dem Gespräch, das mich so unerwartet von meinem schon ziemlich verzweifelten Zustand erlöste. Vor lauter Aufregung konnte ich nicht weiter schlafen, ich jubelte innerlich vor Vorfreude und fühlte mich wieder mal auserwählt und vom Himmel begünstigt. Robin brauchte mich und wollte mich bei sich haben, egal was für ein Risiko das für ihn bedeutete! Er liebte mich immer noch und er sehnte sich nach mir!
In meinen Gedanken befand ich mich schon bei Robin, ich fühlte ihn so nah bei mir, als ob nicht ein ganzer Ozean und ein Kontinent uns voneinander trennen würden, sondern nur ein paar Stunden, die ich noch totschlagen musste. Geistesabwesend duschte ich und zog mich an, immer noch auf Robins weiteren Anruf wartend. Etwas unbeholfen und durch die große Aufregung völlig appetitlos stand ich in der Küche und überlegte, was ich frühstücken sollte.
Und dann klingelte das Telefon wieder! Voll Hoffnung lief ich in das Schlafzimmer. Noch während ich nach dem Telefon griff, das immer noch auf meinem Bett lag, fiel mein Blick auf die Mondsteinkette, die auf der Wäschekommode ausgebreitet kühl aufschimmerte. Ich hörte Robins Stimme, wie er die geheimnisvollen Worte der Verkäuferin wiederholte: "Schenk ihr die Kette nicht in einer Neumondnacht!" Wie von einem Geistesblitz getroffen, glaubte ich für den Bruchteil einer Sekunde einen Schatten über die Kette fallen gesehen zu haben… Trotzdem meldete ich mich mit ungetrübter Freude in meiner Stimme: "Ja? Robin?"
"Ich nehme an, ich spreche mit Diana?", fragte eine Frauenstimme in amerikanischem Englisch und ich spürte, wie mein Magen sich augenblicklich zu einem bleiernen Klumpen zusammenzog.
"Ja, Diana hier", antwortete ich mit schwacher Stimme, wie neben mir, und sank kraftlos in das Kopfkissen hinter meinem Rücken.
"Ich bin Claire, Robins Frau. Ich weiß über euch bescheid. Robin hat mir seine kleine Affäre gebeichtet, nachdem ich ihn beim telefonieren mit dir erwischt habe."
Ihre Stimme klang kontrolliert, kalt und ruhig. Als sie sprach, merkte ich, wie sich vor mir ein schwarzer Abgrund öffnete, der mich hineinzog und ich sah mich fallen, tiefer und tiefer in die erschreckende Dunkelheit, die kein Ende nahm. Das ist also das Aus. Aus der Entfernung erreichte mich wieder Claires Stimme und zwang mich die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen: "Robin hat einen dummen Fehler begangen, als er sich mit dir eingelassen hat und er bedauert das sehr. Er wird sofort jeglichen Kontakt mit dir unterlassen und das Gleiche erwarten wir auch von dir. Es ist aus und vorbei mit euch und Robin will, dass du das auch bedingungslos akzeptierst."
"Warum sagt er mir das nicht selber?" hörte ich überraschend meine eigene Stimme. Die Hand, mit der ich das Telefon hielt zitterte, als ob sie eine unerträgliche Last aushalten müsste.
"Schätzchen, Robin ist ein sehr beschäftigter Mann und hat im Augenblick Wichtigeres zu tun, als sich um eins seiner Groupies zu kümmern, das er mal flachgelegt hat." Sie sprach bewusst sarkastisch, um meinen mutigen Wiederstand zu brechen. "Du bist nicht die erste und bestimmt auch nicht die letzte, mit der er sich seinen Hormonstau während einer Tour erleichterte. Robin ist nun mal so, er hat öfter solche kleinen, belanglosen Affären. Das habe ich akzeptiert, weil ich weiß, dass er nur mich liebt und mit euch befriedigt er lediglich seine körperlichen Bedürfnisse. Bilde dir bloß nicht ein, er hat irgendwelche Gefühle für dich, du bedeutest ihm absolut nichts!"
Ihre scharfen Worte trafen mich direkt ins Herz. Erfolgreich versuchte sie unsere Liebe zu einem unbedeutenden, schmutzigen Ausrutscher zu degradieren und das war ihre perfekte Rache, die mich wie ein Blitz vom Himmel traf. Trotzdem ließ ich mich nicht sofort brechen. Dadurch, dass sie die Gefühle zwischen Robin und mir ins Dreckige zog, kriegte ich plötzlich die Kraft, um ihr zu widersprechen:
"Das glaube ich dir nicht! Ich weiß, dass ich Robin viel mehr bedeute! Er hat mich nie wie ein bedeutungsloses Groupie behandelt, er liebt mich!" Wahrscheinlich klang ich wie ein trotziges, verzweifeltes Kind und sie lachte kurz schadenfroh auf. "Ach, komm, wie naiv bist du wirklich? Robin ist ein guter Schauspieler und ein sehr großzügiger Liebhaber. Jeder Frau, die er vögelt, gibt er das Gefühl, sie sei was Besonderes, aber schon kurz danach vergisst er sie und denkt nie mehr an sie. Schlage ihn dir schnellstens aus dem Kopf und mach dir nichts vor! Du hast erreicht was du wolltest, er hat dich gefickt, also sei jetzt zufrieden und lass ihn für immer in Ruhe." Sie klang bedrohlich und einschüchternd, aber ich konnte immer noch nicht aufgeben, ich verteidigte mich mit letzten Kräften, die mir noch übrig geblieben waren. "Nicht ehe Robin selbst mit mir gesprochen hat! Ich will von ihm persönlich hören, dass ich ihm nichts bedeute. Erst dann gebe ich ihn auf", sprach ich verzweifelt und wohl ahnend, wie ich in diesem Kampf mit Claire keine Chancen hatte. Sie antwortete mit unterdrückter Wut in ihrer Stimme:
"Jetzt hör mal zu! Du hast hier gar nichts zu verlangen, was bildest du dir bloß ein? Robin gehört mir und er liebt nur mich, ich bin seine Ehefrau und Mutter seines Kindes! Du hast kein Recht auf ihn! Du bist nur ein bedauernswerter Fauxpas, den er bereut und er hat mich vorher um Verzeihung angefleht. Ich habe ihm verziehen und die Geschichte wird ab jetzt zwischen uns nicht mehr erwähnt. Du bist für Robin Vergangenheit und er hat keinen Bedarf, mit dir noch mal zu sprechen. Wenn du ihm wirklich etwas bedeutet hättest, hätte er dir schon längst erzählt, dass wir unser zweites Kind erwarten und wie sehr er sich darauf freut, wieder Vater zu werden. Das hat er dir bestimmt verschwiegen, oder?" Mit diesen letzten Worten traf sie mich wie mit einer eisernen Faust ins Gesicht und ich gab es auf. Sie war die Siegerin und ich verlor damit alles, was ich noch von Robin übrig hatte. "Nein, das hat er mir nicht gesagt", sprach ich mit leiser, gebrochener Stimme und fühlte, wie mich plötzlich eine große Schwäche überfiel.
"Dann kannst du mir jetzt endlich glauben. Robin hat dich nie geliebt, du hast dir alles nur eingebildet", sagte Claire mit vorgeheucheltem Verständnis. "Also, vergiss ihn, träum nicht weiter von ihm und behalte dein kleines Geheimnis für immer für dich. Robin ist sein Familienleben heilig und das solltest du respektieren, wenn du nur ein wenig Taktgefühl besitzt. Denk bloß nicht daran, mit deiner Affäre öffentlich anzugeben! Davon rate ich dir dringend ab, unsere Anwälte würden dich sofort ruinieren. Haben wir uns verstanden?", fragte sie noch stolz und sich ihres Sieges über mich wohl bewusst.
"Ja.", hauchte ich willenlos und resigniert.
"Gut. Das wäre dann auch schon alles, was ich zu sagen hatte." Ich hielt das Telefon immer noch in meinen Händen, obwohl die Verbindung längst schon unterbrochen war. Erst nach einigen Minuten legte ich den Hörer auf und blieb wie erstarrt sitzen. Das einzige, was ich neben dem Schmerz in meinem Magen und in der Brust wahrnahm, war das leise Klopfen an der Fensterscheibe. Der graue Himmel regnete dicke, schwere Regentropfen, vermischt mit Eis. Es war zu warm für Schnee, der sich seit Weihnachten nicht mehr blicken ließ. Ich richtete meinen leeren Blick nach draußen und ließ ihn in die trübe Ferne über den Häusern schweifen.
Noch immer hörte ich Claires Stimme, die in einem einzigen Augenblick meinen Höhenflug der letzten sieben Wochen zerstört hatte und mich auf den harten Boden der grauenvollen Realität aufprallen ließ. In meinen Gedanken ging ich immer wieder durch das kurze Gespräch zwischen uns und allmählich verstand ich, was es für mich bedeutete. Langsam erwachte ich aus meinem schockähnlichen Zustand und begriff, dass mein wunderbarer Traum von der großen Liebe damit sein befürchtetes Ende erreicht hatte.
Mir wurde plötzlich übel, ich sprang aus dem Bett und schaffte es gerade noch bis zur Toilette, wo ich mich mühsam übergab. Durch Claires verletzende Worte fühlte ich mich wie vergiftet, mein Körper versuchte sich auf diese Weise ihrer negativen, vernichtenden Energie zu entledigen und ich ließ es nur zu gerne zu. Das Schlimmste an Claires giftigem Racheakt war ihre Absicht, alles wunderbare und einmalige, was ich durch Robin erlebte, zu zerstören und zu beschmutzen. Und sie war dabei erfolgreich. Noch schlimmer aber als die Erkenntnis, dass ich Robin für immer verloren hatte, waren die Zweifel an seiner Liebe zu mir. Plötzlich wusste ich nicht mehr, ob er mich tatsächlich geliebt hat, oder ob alles nur ein Spiel war, das er mit mir gespielt hatte und ich nur eine von vielen war, wie Claire es behauptete.
Es fiel mir allmählich immer schwerer, meinen Glauben an seine Liebe zu behalten. Warum verschwieg er mir Claires Schwangerschaft? War ich ihm nicht wichtig genug? Befürchtete er, ich würde mit ihm nicht schlafen wollen, wenn ich wüsste, dass sie wieder schwanger ist? Täuschte er mir die ganze Zeit seine Gefühle vor, um alles von mir zu kriegen? Ist er tatsächlich so ein kaltblütiger Lügner und raffinierter Schauspieler? Diese Fragen quälten mich noch zusätzlich und ich krampfte mich zusammen vor Schmerzen in meinem Magen.
Plötzlich erinnerte ich mich an Gerüchte, die vor einigen Jahren durch den Fanclub kursierten. Denen zu Folge hatte Robin während Claires erster Schwangerschaft in England angeblich eine Geliebte, eins seiner treusten Groupies, mit dem er sich regelmäßig traf, immer wenn er in Europa war. Damals wollte ich das nicht glauben, aber jetzt erschien mir die Geschichte nicht mehr ganz unwahrscheinlich. Er wäre nicht der erste Ehemann, der während der Schwangerschaft seiner Frau fremd ging!
O Gott! Ich hatte ihm so grenzenlos vertraut! Hatte er mich die ganze Zeit zum Narren gehalten, als er mir den Verstand raubte und mich glauben ließ, ich sei was besonderes? War ich ihm nicht mal so viel wert, um mich persönlich anzurufen und mir sagen, dass es aus und vorbei ist? Musste er wirklich zulassen, dass Claire diese vernichtende Aufgabe mit so viel Schadenfreude und Boshaftigkeit erledigte und damit nicht nur mein Herz, sondern auch meinen Stolz und meine Würde brach? Irgendwann musste ich ja den Preis für mein verbotenes Glück bezahlen, aber doch nicht so?
Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und schleppte mich wieder zurück ins Bett. So gerne würde ich weinen, aber mein Schmerz blieb ohne Tränen. Der Regen prasselte dafür umso heftiger an mein Fenster und hörte nicht auf. Robin liebte den Regen...
Es mussten zwei, drei Stunden vergangen sein, ich lag immer noch zusammengekauert im Bett und starrte in die Leere. Das Telefon schrillte und ich zuckte nervös zusammen. Den Anruf ignorierte ich, es gab niemanden, mit dem ich in diesem Zustand sprechen wollte. Mein Anrufbeantworter schaltete sich ein und ich hörte Robins Stimme. Ein noch stärkerer Schmerz in meinem Magen durchbohrte mich, als ich seine Worte hörte: "Diana, ich bin's. Bitte, geh ran, ich weiß, dass du da bist! Ich muss mit dir sprechen. Bitte, geh ans Telefon!" Er klang müde und deprimiert. So kannte ich ihn noch nicht. Kannte ich ihn überhaupt? Wie im Trance griff ich nach dem Telefon und meldete mich langsam und nur widerwillig. "Robin?" Als ich seinen Namen leise aussprach, staunte ich. Er klang so schön, so zärtlich und gleichzeitig fremd, ganz anders als sonst. Er zerging auf meiner Zunge wie eine Schneeflocke, weich, aber kalt.
"Baby, es tut mir so schrecklich leid, so unbeschreiblich leid!". Robin sprach langsam und verzweifelt. "Ich weiß, dass Claire dich angerufen hat, sie hat es mir gesagt. Das wollte ich nicht, sie betätigte die Wahlwiederholungstaste, nachdem wir einen furchtbaren Streit hatten und ich das Haus verließ. Als ich zurück vom Strand kam, erzählte sie mir von ihrem kleinen Triumph über dich und wie sie ihren ganzen Frust an dir ausgelassen hat. Das hast du nicht verdient, du bist bei dem Ganzen die Unschuldigste. Hat sie dir sehr weh getan?"
"O ja, das tat sie. Sie war so gemein zu mir, sie sagte Sachen, die mich nicht nur verletzt, sondern auch erniedrigt haben", antwortete ich erstaunlich ruhig und emotionslos.
"Mein armes Mädchen", seufzte Robin, "ich kann es mir vorstellen. Claire kann eine richtige Furie werden, wenn sie wütend und verletzt ist. Sie hat unserem Gespräch zugehört, ich habe sie nicht rechtzeitig bemerkt. Erst als sie hinter mir stand, drehte ich mich um und legte reflexartig auf. Aber sie hatte fast alles mitbekommen, was ich zu dir gesagt habe und sie fiel sofort über mich her. Ich konnte nichts leugnen, ich erzählte ihr von uns und sie hat sich furchtbar aufgeregt, ich kriegte Angst um sie in ihrem Zustand..."
"Robin, warum hast du es mir nicht gesagt?" stellte ich ihm meine vorwurfsvolle Frage, als er auf ihre Schwangerschaft andeutete.
"Über das Baby?" fragte er niedergeschlagen.
"Ja, über das Baby."
"Ich wollte es, schon damals im Park, als ich merkte, was zwischen uns entsteht, aber ich schaffte es nicht. Ich wusste, dass dann dieser Zauber vorbei sein würde und ich wollte dich nicht verlieren, noch bevor ich dich gekriegt hatte. Nach dem Konzert versuchte ich es wieder, aber ich hatte zu viel Angst, du würdest dich zurückziehen, ich verzehrte mich schon zu sehr nach dir und ich musste dich einfach haben. Ich war so ein Egoist. Wir hatten nur wenig Zeit zur Verfügung und ich wollte sie nicht mit meinen familiären Angelegenheiten trüben. Ich dachte immer, beim nächsten Mal erzähle ich es dir, aber es wurde immer schwieriger, je länger ich es vor dir verschwieg."
"Oder hast du darauf gewartet, dass ich es aus den Medien oder dem Fanclub erfahre? Dass ich in einem Magazin ein Bild von dir und Claire sehe, wie du stolz deine Hand an ihren Babybauch hältst?", platzte unkontrolliert dieser Vorwurf aus mir heraus, den ich so bitter in mir spürte. Mitten in meinem Schmerz erkannte ich sogar so etwas wie Zorn und Wut.
"Diana, bitte, versuche es zu verstehen", bat mich Robin reuevoll und geduldig. "Als ich dich traf, verdrängte ich noch Claires Schwangerschaft. Ich wollte kein zweites Kind, weil ich denke, ich bin nicht selbstlos genug um ein guter Vater zu sein. Ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt und ich verbringe schon mit meinem Sohn zu wenig Zeit. Claire kannte gut meine Meinung, aber sie hat mich ausgetrickst. Sie setzte die Pille ab, ohne es mir zu sagen. Sie wollte unbedingt noch ein Kind. Als ich Ende November von ihrer Schwangerschaft erfuhr, war ich stinksauer auf sie. Ich dachte sogar, sie will das Kind benutzen, um mich noch stärker an sich zu binden. Als wir uns dann begegneten, hatte ich mich noch nicht damit abgefunden, wieder Vater zu werden und ich fand es nicht so wichtig, es dir zu erzählen. Es war noch so früh, Claires Schwangerschaft war noch zu abstrakt für mich. Kannst du das verstehen?"
"Ja, irgendwie schon. Aber spätestens bei unserem Wiedersehen hättest du es mir gesagt haben sollen", antwortete ich besänftigt, aber trotzdem immer noch vorwurfsvoll. Ich kann nicht richtig wütend auf ihn sein...
"Ich weiß, Baby, ich habe es vermasselt. Ich war einfach zu feige, ich befürchtete zu sehr, das Glück zu zerstören, das wir miteinander erlebten. Es war umso härter, dass Claire dir diese Tatsache so knallhart servierte. Sie benutzte ihre Schwangerschaft um sich an dir zu rächen. Das tut mir am meisten leid."
Wir schwiegen beide eine Weile und ich sammelte meinen ganzen Mut für die Frage, die mich so sehr quälte: "Robin, ich muss etwas wissen und ich will die Wahrheit, egal wie hart sie sein wird."
"Diana, ich habe dich nie belogen! Das mit dem Baby habe ich dir nur verschwiegen, aber sonst war ich immer ehrlich zu dir. Frag mich alles, was du wissen willst", sagte Robin und entwaffnete mich mit seiner Stimme, die so offen und vertrauenswürdig klang.
Das erste Mal an diesem dunklen Vormittag spürte ich etwas warmes und feuchtes in meinen Augen, als ich mit klopfendem Herz fragte: "Stimmt das, was Claire sagte? Nämlich, dass du mich nie geliebt hast und dass du deine Gefühle für mich nur vorgespielt hast? Bedeutete ich dir wirklich nichts?"
"Das hat sie zu dir gesagt?" Robin klang noch niedergeschlagener und fast entsetzt. Ich musste ihn nicht sehen, ich fühlte es, wie sein ganzes Strahlen wie erloschen zu sein schien. "Baby, das ist nicht wahr! Ich habe dich geliebt und du warst was ganz besonderes für mich. Verflucht, ich rede in der Vergangenheit! Ich liebe dich immer noch, das hat sich nicht geändert, nur weil Claire jetzt über uns Bescheid weiß! Du musst mir glauben, lass dir das nicht kaputt machen!" Robins leidenschaftliche Antwort durchbrach die dicke Schicht der Verzweiflung, die in mir herrschte und löste den bleiernen Stau in meiner Brust. Endlich konnte ich weinen, die Tränen fanden ihren Weg, erlöst durch Robins Worte.
"Robbie, mein Liebster, du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet! Sie hat es tatsächlich geschafft, dass ich den Glauben an unsere Liebe fast verloren habe. Das tat noch mehr weh, als das Ende."
"Versuch sie zu verstehen, Diana. Sie hat gerade erfahren, dass ich eine Geliebte habe, die mir scheinbar mehr bedeutet als meine Seitensprünge von früher. Sie hörte zu, wie ich unseren Liebesurlaub in Kalifornien plante, die verliebten Worte, die ich zu dir sprach... Ich bin in ein großes Risiko eingegangen, um eine Beziehung mit dir führen zu können und schon das müsste ihr reichen, um zu verstehen wie sehr verrückt ich nach dir bin. Dazu ist sie schwanger und noch besonders empfindlich. Ich erwarte nicht, dass du Mitgefühl für sie empfindest, aber versuche dich in sie hinein zu versetzen. Du bist eine ernsthafte Bedrohung und Konkurrenz für sie. Sie hat gleich erkannt, dass du kein billiges Flittchen bist, die es erst mit den Roadies treibt um an mich ranzukommen und die ich gleich nach der schnellen Nummer abservieren würde. Sie ist sehr verletzt und es war für sie eine Genugtuung, dir dein Glück zu zerstören. Bitte, hasse sie nicht deswegen."
Er verteidigte sie und nahm sie in Schutz! War doch klar, sie war die Nummer Eins und ich nur die Geliebte, egal wie sehr er mich auch liebte. Ich schluckte schwer und versuchte den schlechten Geschmack in meinem Mund loszuwerden. "Robbie, ich hasse sie nicht. Ich will auch nicht, dass sie mich hasst, obwohl sie alle Gründe dafür hat."
"Ich habe versucht, die ganze Verantwortung auf mich zu nehmen und dich so weit wie möglich aus dem Spiel zu lassen", sagte Robin und räusperte sich, bevor er fortfuhr. "Aber ich kann es verstehen - es ist für sie einfacher, dich zu hassen, statt mich. Mich liebt sie doch und du bist nur eine unbekannte Rivalin. Ich weigerte mich, Details von dir preiszugeben, sie wollte alles über dich wissen, aber du bleibst mein Geheimnis", versuchte Robin mühsam zu scherzen und ich stellte es mir vor, wie er aus einem Mundwinkel lächelte, ganz anders als sonst.
"Weiß sie, dass du jetzt mit mir sprichst?", fragte ich.
"Nein. Sie ist nach unserem zweiten Streit mit ihrem Auto weggefahren, wahrscheinlich zu ihrer Freundin in der Nähe. Ich war sehr sauer, weil sie dich angerufen hat und sie wurde dadurch, dass ich dich noch zu verteidigen versuchte, noch wütender."
"Wie geht es weiter mit euch? Hat sie dir verziehen?" fragte ich unsicher, ob ich das auch wirklich wissen wollte.
"Sie ist bereit, mir zu verzeihen und alles zu vergessen, unter einer Bedingung..." Robin wartete ein paar Sekunden und sammelte sich innerlich. Meine Finger umklammerten das Telefon fester, als ich erahnte, was er mir sagen würde.
"Ich darf dich nie wieder sehen, dich nie mehr anrufen oder sonst in einer Form kontaktieren. Wenn ich mich nicht daran halte, verlässt sie mich mit dem Kind und jeder Richter in den USA wird einem untreuen Rocksänger, der seine schwangere Frau betrügt, das Sorgerecht für die Kinder wegnehmen und die Hälfte seines Vermögens dazu. Ich habe keine andere Wahl, Baby, so leid es mir auch tut." Ich nickte stumm und kauerte mich im Bett noch enger zusammen. Eine Wahl hatte er immer, nur er hat sie schon ganz am Anfang getroffen.
Robin hatte nie vor, sich von Claire zu trennen, also würde er auch jetzt alles tun, um seine Ehe zu retten.
"Wie ist das passiert, wie konnte sie dich so überraschen, während wir telefonierten?", versuchte ich deutlicher zu begreifen, warum mein Glück so abrupt enden musste.
"Sie hat schon eine Weile etwas vermutet. Wahrscheinlich bin ich doch verändert zurück nach Hause gekommen. Auch im Bett merkt man am schnellsten, wenn der Partner mit den Gedanken woanders ist, sie kennt mich ja schon so lange", erzählte Robin mit monotoner, leidenschaftsloser Stimme, die in meinen Ohren ganz fremd klang. "Heute Nacht konnte sie nicht schlafen, sie ging zu mir in das Musikstudio und erwischte mich. Ich ließ zwar die Tür offen, um gleich mitzukriegen, wenn jemand im Flur ist, aber unvorsichtigerweise saß ich in meinem Sessel vor dem Mischpult mit dem Rücken zur Tür. Als ich dir von meinen Plänen erzählte, war ich in meiner Begeisterung so überschwänglich, dass ich vergessen habe, mich umzudrehen. Claire stand die ganze Zeit leise in der Tür und kriegte fast alles mit. Erst als sie näher kam und mir eine knallen wollte, bemerkte ich sie und legte instinktiv den Hörer auf. Aber es war schon zu spät, ich konnte die Situation nicht mehr retten. Ich habe einen dummen, idiotischen Fehler begangen. Ich war einfach zu verknallt, um vorsichtig zu sein." Robins Bedauern konnte ich gut nachfühlen, aber ich hatte keine Worte, die uns in dieser hoffnungslosen Situation trösten konnten. "Ich verstehe", seufzte ich nur und schluckte die Tränen, die die ganze Zeit unaufhaltsam über mein Gesicht flossen.
"Baby, wie fühlst du dich jetzt?", fragte Robin mit Zärtlichkeit in seiner heiseren Stimme.
"Grauenvoll. Mein Magen tut so weh und mir ist schlecht. Wie sollte ich mich denn fühlen?", antwortete ich verbittert und holte tief Luft. Ich atmete nur noch ganz flach und mit zusammengeschnürter Brust, um nicht laut zu schluchzen.
"Es tut mir leid. Ich fühle mich so verdammt schuldig, dass du am Ende doch leiden musst! Letztendlich habe ich dir nur Unglück gebracht. Warum habe ich bloß nicht auf Tony gehört! Schon damals, vor dem Konzert, warnte er mich, ich solle lieber die Finger von dir lassen, wegen Claire, aber auch wegen dir, nur ich war ein zu großer Egoist, um auf dich verzichten zu können."
"Robbie, es ist nicht deine Schuld! Auch wenn ich dich jetzt verliere, das war es mir wert! Du hast mich so glücklich gemacht wie noch niemand und ich bedauere keine einzige Sekunde, die ich mit dir verbracht habe." Ich wollte ihm noch so viel sagen, aber ich verstummte unter der wilden Flut der Erinnerungen, die mich bei meinen Worten plötzlich überschwemmten.
"Baby, ich hatte noch so viel vor mit dir! Ich wollte dich malen, in meinem Kopf habe ich schon eine ganze Serie mit deinen Bildern, vom Akt bis zum Portrait ", platzte Robin mit aufsteigender Begeisterung in der Stimme in mein Schweigen hinein. "Ich dachte, in Kalifornien werde ich dafür eine gute Gelegenheit haben, du weißt, wie sehr ich die Malerei liebe. Dann wollte ich dich fragen, ob du nicht eine Weile in den USA leben möchtest, in New York oder in Palm Beach, egal wo, Hauptsache nicht weit von mir, so dass wir nicht immer unter den langen Trennungen leiden müssten. Ich hätte dir für den Anfang einen gut bezahlten Job als Backgroundsängerin bei meiner Plattenfirma besorgt, mir ist klar, dass du nicht von meinem Geld leben wollen würdest. Ich wollte dich meinem Produzenten vorstellen und ihn bitten, sich deine Stimme anzuhören und auch sonst hätten dir meine Beziehungen in der Musikbranche helfen können, deinen eigenen Weg als Sängerin zu gehen, egal ob in der Klassik oder in der Popmusik.
Und während unserer Tour im Herbst hättest du mich als mein Vokalcoach begleiten können. Ich hatte so viele Pläne für uns, Baby! Du und ich - wir hätten trotz der Umstände eine gemeinsame Zukunft haben können! Ich kenne einige Männer aus dem Showbiz, die glücklich verheiratet sind und trotzdem eine heimliche Geliebte haben und es funktioniert beides, die Ehe und die Liebschaft. Warum hätte es bei uns nicht genauso funktionieren sollen? Aber ich habe alles versaut und das werde ich mir niemals verzeihen." Robins überraschender Anfall der Leidenschaft, mit der er mir seine fantastischen Pläne offenbarte, wich dem Bedauern in seinen letzten Worten und seine Stimme zitterte plötzlich auffällig. Verdutzt und erschüttert begriff ich, dass er mit den Tränen kämpfte! Das haute mich endgültig um und bestürzt versuchte ich ihn zu trösten: "Robbie, nicht doch, sei nicht so hart mit dir! Früher oder später musste es passieren, solche heimlichen Affären bleiben selten lange unentdeckt. Mach dir bitte keine Vorwürfe, das hilft keinem von uns!" Ich schluchzte nur noch, unfähig weiter zu reden.
Robin sammelte sich wieder und sprach weiter mit ruhiger, selbstbeherrschter Stimme. "Wahrscheinlich wollte ich zu viel vom Leben. Ich bin einfach unersättlich! Ich kriegte schon meinen Erfolg, das große Geld, meine Familie, mein Publikum, das mich liebt und verehrt und ich war immer noch nicht zufrieden. Ich wollte noch dich haben, ganz für mich und ohne Rücksicht auf Menschen, die schon ein Teil meines Lebens sind und die mich lieben."
Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, wie auch Robin seine Träume von uns hatte. Auch er wünschte sich, einen Abschnitt seines Lebens mit mir zu verbringen und das war etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Seine Zukunftspläne waren zu fantastisch und zu unrealistisch, um in Erfüllung gehen zu können. Sie entsprangen seiner schwärmerischen, überschwänglichen Künstlernatur, aber sie waren sein letztes und größtes Geschenk an mich.
"Robin, das was du mir gerade erzählt hast, wird mir helfen über das Ende unserer Beziehung wegzukommen", lächelte ich durch die Tränen und beschloss spontan, mich nicht mehr als Verliererin zu fühlen. "Ich werde mit der Gewissheit weiterleben, dass du bereit warst mir alles zu geben, was unter diesen Umständen nur möglich war. Ja, ich würde dir liebend gerne in die USA folgen und in deiner Nähe leben und all das tun, was du für uns geplant hast. Für mich ist das kein unerfüllter Traum mehr, es ist die Realität, die nur in unseren Gedanken stattfinden wird, aber deswegen ist sie für mich nicht weniger echt. Kannst du das verstehen?"
"Ich versuche es. Ja, ich weiß was du meinst. Es ist die Absicht, die zählt und nicht das, was letztendlich passiert, oder?" versuchte Robin meinen unerwarteten Stimmungswechsel zu begreifen.
"Ja, so ist es. Ich weiß jetzt, was alles ich noch mit dir haben könnte und das macht mich innerlich reich und erfüllt. Es ist nicht so, dass unsere Liebe plötzlich aus und vorbei ist. Es ist nur die Zeit, die für uns abgelaufen ist, alles andere ist noch da und ich weiß ganz genau, ich werde dich so lange lieben, bis noch die letzte Erinnerung an dich verblasst."
"Baby, bitte, sag so was nicht! Du solltest mich vergessen und nicht weiter an mich denken. Du hast jemanden verdient, der wirklich für dich da ist und der nur dir gehört. Ich wünsche dir von meinem ganzen Herzen, du mögest ihn bald finden. Und ich wünsche dir, dass du als Sängerin alles erreichst, was du gerne erreichen würdest. Bitte, glaube an dich und hab keine Angst, du wirst erfolgreich werden, davon bin ich fest überzeugt."
Die Zuneigung, Rührung und die Endgültigkeit in Robins Stimme taten mir höllisch weh, aber ich versuchte die Fassung zu behalten. "Danke, Robbie. Ich wünsche dir auch alles Liebe. Und vergiss mich nicht ganz." Meine Stimme wurde immer leiser, wie ausgeblendet, als ich diese letzten, schweren Worte zu Robin sprach.
"Ich werde dich niemals vergessen, Diana!" Auch Robin sprach seinen Abschiedssatz leise, aber er klang wie eine Versprechung, gewichtig und unerträglich zugleich. Wir warteten noch wortlos eine Weile, bevor wir fast gleichzeitig auflegten. In diesen ewigen drei Sekunden spürte ich fast körperlich unser Bedauern, Verzweiflung und Schmerz, aber vor allem die Liebe, die uns immer noch verband.
Ich weinte nicht mehr. Ich lag regungslos auf dem Bett, umgegeben von den Scherben meines zerbrochenen Glückes und ich fühlte mich ähnlich einsam und verlassen, wie in der Nacht nach dem Tod meiner Eltern. In gewissem Sinne starb Robin für mich an diesem Morgen.
Es war nicht so, wie normalerweise Liebesbeziehungen enden - ein Partner verlässt den Anderen, weil er ihn nicht mehr liebt und weil er sich in jemand Neuen verliebte, oder aber das Liebespaar trennt sich, wenn beide merken, dass ihre Liebe längst verloren gegangen ist.
Wir liebten uns aber noch, immer mehr sogar, wir schmiedeten begeistert Zukunftspläne und strahlten vor Vorfreude auf baldiges Wiedersehen. Claires Entdeckung vernichtete wie ein Schicksalsschlag unsere Beziehung und beendete unsere Zukunft, noch ehe sie anfangen konnte.
Ich trug das unvermeidliche Ende die ganze Zeit in mir. Schon in der ersten Nacht mit Robin wusste ich, dass wir als Paar keine Zukunft hatten. Diese Erkenntnis war ein fester Teil unserer Romanze und kam daher nicht unerwartet und überraschend. Wir verschoben das Ende einige Male, übermutig in unserem Gefühlsrausch und unfähig klar zu denken. Dachten wir etwa, unsere wilde Verliebtheit würde es rechtfertigen, unsere eigenen Regeln und Grenzen zu erschaffen? Glaubten wir wirklich, wir könnten unser Glück dauerhaft auf Betrug und Lügen gedeihen lassen?
Nein, so naiv und blind waren wir nicht. Aber wir hofften beide, dass das Schicksal für uns eine Ausnahme machen und uns gestatten würde, diesen wunderbaren, einmaligen Augenblick zu verlängern und auszudehnen, bis wir ihn völlig ausgekostet hatten.
Und jetzt war Robin weg. Für immer. Er war für mich sogar noch unerreichbarer als vor unserer Begegnung. Damals hatte ich wenigstens in meinen Träumen die Hoffnung, ihm eines Tages näher zu kommen. Diese Träume hatte ich nicht mehr. Ich verlor ihn endgültig. Der grausame Gedanke erschrak mich mit seiner Brutalität so sehr, dass ich anfing am ganzen Körper zu zittern. Mein verkrampfter Magen zwang mich noch einmal ins Bad zu rennen, obwohl er längst leer war und ich außer meiner Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nichts mehr zu erbrechen hatte.
Ich verbrachte zwei Tage und zwei Nächte ohne meine Wohnung zu verlassen, ohne zu duschen, ohne ans Telefon zu gehen und fast ohne Essen. Meistens lag ich im Bett und versuchte meinen Magen mit Kräutertees und Wärmflasche zu beruhigen. Mein schmerzender Körper führte einen Wettkampf mit meiner Trauer und das war das Einzige, was ich von mir wahrnehmen konnte. Schmerz und Trauer. Sonst nichts. Sogar die glücklichen Erinnerungen an Robin prallten von meinem wie versteinerten geistigen Blick ab und erreichten mich nicht. Zu tief verloren war ich in meinem unersetzlichen Verlust, in meiner zersplitterten Illusion von der großen Liebe, in meinem Wintermärchen mit bösem Ende, das noch lange für schlimmste Albträume sorgen wurde.