Wieder alleine
Am späten Nachmittag wachte ich im dunklen Zimmer auf. Der Schlaf hatte mir gut getan, wenigstens körperlich erholte ich mich etwas und die Tränen versiegten endlich. Unter der Dusche trennte ich mich schweren Herzens noch von den letzten körperlich wahrnehmbaren Erinnerungen an Robin und seifte mich gründlich ein. Beim Kontakt mit Wasser fühlte ich mich gleich erfrischt und belebt, obwohl mich dabei wieder die Bilder von unserer Liebesszene unter der Dusche verfolgten. Es wird wohl eine Weile dauern, ehe die Erinnerungen an Robin nicht bei jedem kleinen Detail in mir schmerzlich hochsteigen werden, erkannte ich, während ich die Reste nach Sandelholz duftenden Schaums von mir abspülte. Fertig angezogen machte ich mir schnell einen Toastsandwich, nicht aus Hunger, sondern aus Vernunft. Danach packte ich meine Reisetasche aus, räumte die Sachen weg, die noch seit gestern rum lagen und verließ die Wohnung mit einem großen Bilderbuch über Mythologie in meinem Rucksack. Während der Fahrt mit der U-Bahn schaute ich mir immer wieder ein bestimmtes Bild an. Es stellte ein Pferd mit großen Flügeln dar, einen Pegasus, der stark der Tätowierung auf Robins Rücken ähnelte. Ich fuhr in ein bekanntes Tattoostudio und die Aufregung darüber dämpfte erfolgreich meinen Liebeskummer. Im Studio, das ich mit etwas mulmigem Gefühl betrat, zeigte ich mein Bild der jungen Frau in Schwarz, die am meisten mein Vertrauen weckte. Die Tätowierung sollte diskret meine linke Pobacke zieren und somit nur auserwählten Zuschauern zugänglich sein. Sie sollte natürlich auch kleiner ausfallen als Robins Tattoo auf seinem breiten Rücken, aber so identisch wie nur möglich aussehen. Die Frau zeigte mir erst die Skizze, die sie nach der Vorlage und meinen genauen Anweisungen schnell anfertigte. Die Ähnlichkeit war verblüffend und zufrieden legte ich mich auf den Bauch. Die Prozedur an sich war sehr schmerzhaft, ich verzichtete auf jegliche Betäubung und mir liefen die ganze Zeit heiße Tränen aus den Augen. Doch ich begrüßte diesen körperlichen Schmerz, den ich bei jedem Einstich in meinen Körper fühlte, ich versuchte damit den Schmerz in meinem Inneren zu vertreiben, oder wenigstens zu übertönen. Irgendwann spürte ich nur noch ein leichtes Brennen und nicht mehr. Aber ich weinte weiter. "Ist es sehr schlimm?", fragte mich die junge Frau mitfühlend.
"Nein, es ist in Ordnung, ich weine nicht deswegen", erklärte ich ihr und verwirrte sie mit meiner Antwort, so dass sie nichts weiteres fragte. Nur ab und zu schaute sie mich prüfend an, während sie arbeitete. Sie war schneller fertig als ich dachte und anschließend reichte sie mir einen Handspiegel. Aufgeregt betrachtete ich ihr Werk: auf meiner Pobacke bäumte sich temperamentvoll ein kleines, wunderschönes, geflügeltes Pferd mit langer Mähne, wie kurz vor dem Abflug. Das Tattoo gefiel mir sofort und entlockte mir ein erleichtertes Lächeln. Dankbar lobte ich die Frau für ihre Kunstfertigkeit und sie erklärte mir, dass das Bild noch schöner werden würde, wenn die gerötete Haut sich wieder beruhigt hätte. Vorsichtig zog ich mir die enge Jeans wieder an und augenblicklich bereute ich es, dass ich keine bequemere Hose angezogen hatte. Doch zu Hause hatte ich nicht an solche praktischen Details gedacht, meine Aktion war einfach zu spontan und unüberlegt gewesen. Ich bezahlte mit dem noch übrig gebliebenen Geld von Robin, das ich auf dem Hinweg bei der Bank umgetauscht hatte und mit dem Gefühl der Befriedigung verließ ich den Laden. Durch diese Tätowierung fühlte ich mich mit Robin noch mehr verbunden, sie war für mich eine symbolische Handlung, mit der ich für die Ewigkeit meine Liebe für Robin bezeugen wollte. Es war wichtig für mich, die Tätowierung sofort machen zu lassen, ohne zu überlegen und ohne zu zweifeln, die Entscheidung dafür traf ich spontan und mit voller Überzeugung und ich wusste, ich würde es niemals bereuen. Sowohl die Tätowierung wie auch meine Verliebtheit in Robin waren leichtsinnig und unvernünftig, jedoch real und ein wichtiger Teil meiner selbst. Ich ahnte es schon damals, dass Robin für immer ein Teil meiner Vergangenheit bleiben würde und niemals in Vergessenheit geraten wird, genauso wie die Tätowierung auf meinem Körper niemals ganz verblassen wird.
Als ich zurück nach Hause kam, rief ich Tom an. Ich musste ihn sprechen, ich hatte Angst, ganz alleine den Abend zu verbringen und noch tiefer in mein schwarzes Loch zu versinken.
"Tom", meldete er sich mit übertrieben tiefer Stimme.
"Tommy! Was machst du?"
"Diana! Geht es dir besser?" freute er sich sichtbar, dass ich mich mal melde und seine Stimme modulierte sofort in eine höhere, natürlichere Tonlage.
"Ja, bin wieder gesund. Magst du heute Abend vorbei kommen und mir Gesellschaft leisten?" fragte ich hoffnungsvoll.
"Mach ich gerne, ich arbeite heute nicht. Ist alles in Ordnung mit dir?"
"Nicht ganz... Bitte, bring was zum Trinken mit. Heute will ich mich betrinken", sagte ich halb im Scherz, aber eigentlich meinte ich es ernst.
"Mensch, das klingt aber nicht gut! Bin in zwanzig Minuten bei dir. Bis gleich!" Tom legte auf, um schnell loszurennen. Er war wirklich ein Schatz. Aber ich ahnte, dass er auch wahnsinnig neugierig war, ob nicht etwa Robin was mit meinem Zustand zu tun hatte... Er wusste noch gar nichts und ich überlegte, wie viel ich ihm über Robin erzählen durfte, um nicht zu viel zu verraten. In der Küche steckte ich den Kopf in meinen Kühlschrank, der mir ziemlich leer entgegen gähnte. Kein Wunder, ich war seit Donnerstag nicht mehr einkaufen gewesen. Schnell verließ ich die Wohnung und kaufte noch das Notwendigste in dem kleinen Tante Emma Laden zwei Häuser weiter. Kaum packte ich die Sachen in den Kühlschrank, klingelte es schon an der Tür. Tom gab sich wirklich Mühe, um mich nicht lange alleine zu lassen. Wir begrüßten uns mit einem Küsschen auf den Mund und als wir uns auf das Sofa setzten und Tom mich erwartungsvoll anschaute, brach ich einfach in Tränen aus. "O Gott, was ist denn passiert?", erschrak sich Tom und umarmte mich tröstend.
"Robin! Ich habe mich noch schlimmer in ihn verliebt!", schluchzte ich und spürte, wie gut es mir tat, endlich mit jemandem über Robin zu sprechen.
"Ich wusste einfach, dass das nicht gut gehen wird", murmelte Tom unmutig und ließ mich los, um die mitgebrachten Flaschen aus der Tüte zu holen. "Was willst du trinken? Ich habe Wodka und Rotwein", bot er mir die Alternativen an.
"Wodka, mit Saft bitte", entschied ich mich gleich für härtere Variante. Tom machte uns beiden volle Gläser und setzte sich wieder zu mir. "Hier, trink ein wenig und dann erzähl mir was los ist", reichte er mir mein Glas und wir tranken, ohne anzustoßen. Für einen Augenblick vergaß ich, dass ich nur auf einer Pobacke sitzen konnte und ich stöhnte laut vor Schmerz, als ich mich unvorsichtig zurück in das Sofa warf. "Was ist los???", sprang Tom besorgt hoch. "Hast du Schmerzen?"
"Ist nichts schlimmes, ich habe mir heute nur ein Tattoo stechen lassen", erklärte ich ihm mit zusammengebissenen Zähnen und setzte mich so hin, dass mein Gewicht nur auf einer Seite ruhte.
"Waaas? Du hast dir ein Tattoo machen lassen? Sag mal, hast du noch alle?" wunderte sich Tom und schaute mich an, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte.
"Ich weiß, bei mir würde niemand ein Tattoo erwarten, aber ich habe es mir gut überlegt", versuchte ich mich trotzig zu rechtfertigen.
"Ach wirklich?", fragte er mich leicht ironisch. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du je erwähnt hast, dass du auf Tattoos stehst. Wie lange hast du denn darüber nachgedacht?"
"Ein Paar Stunden", gab ich mit gesenktem Blick zu und wusste, wie albern das klang. Tom brach im Lachen aus und auch ich lachte mit, noch halb heulend, aber es fühlte sich verdammt gut an. Ich habe zuletzt mit Robin gelacht, vor einer Ewigkeit, in einem anderen Leben...
"Zeig es mir sofort, ich will es sehen", fing Tom an zu zappeln, wie immer, wenn er aufgeregt war.
Ohne zu zögern stand ich auf, zog behutsam meine Jogginghose runter, die ich vor seinem Ankommen statt der engen Jeans angezogen hatte und zeigte ihm meinen Hintern. Die Überraschung in seinen Augen wurde nur noch größer, wahrscheinlich erwartete er einen weniger intimen Körperteil. Weil ich meinen knappsten Tanga trug, konnte er mein Tattoo gänzlich betrachten. Das Pflaster entfernte ich schon vorher. "Wow, ich das süß! Romantisch und sexy gleichzeitig! Und irgendwie auch verrucht, dort auf der Pobacke. Es steht dir gut, muss ich zugeben. Was wird wohl Max dazu sagen?" Tom bewunderte mein kleines Kunstwerk und redete dabei ununterbrochen. "Tat es weh? Tut es immer noch weh?"
"Oh ja, es wahr schon heftig", antwortete ich, "aber morgen wird es nicht mehr so weh tun, die Haut wird sich über Nacht beruhigen, hoffe ich. Ich habe mir auch ein kühlendes Gel draufgeschmiert und es ist nicht mehr so rot wie gleich nach dem Stechen... Darf ich mich wieder anziehen?" fragte ich ihn schließlich. Es kam mir schon ein bisschen komisch vor, wie er meinen Hintern aus der Nähe betrachtete. Dadurch, dass er schwul war, durfte er sich durchaus diese Intimität erlauben, aber langsam reichte es mir.
"Ja, klar, zieh dich wieder an. By the way, du hast noch gar keine Cellulite, weißt du das?", erwähnte er noch wie beiläufig, als er sich wieder hinsetzte. Für seine letzte aufmunternde Bemerkung, die mich in einer anderen Situation viel mehr erfreut hätte, warf ich ihm nur ein dankbares Lächeln zu.
"Es ist ein geiles Tattoo, muss ich sagen. Wo hast du bloß diese mutige Idee her?", wunderte er sich weiter und streifte sich einige schwarze Haarsträhnen hinter die Ohren. Privat trug er sein langes Haar immer offen. Ich schaute ihn nur bedeutungsvoll mit angehobenen Augenbrauen an und schwieg selbstzufrieden. "Nee…Robin??? Sag mal, in echt?" Tom war schnell von Begriff.
Ich nickte und trank noch einen großen Schluck Wodka. "Es ist die Kopie von seinem Tattoo auf dem Rücken. Öfter bewunderte ich es auf den Fotos oder in Videos, wenn er sich das T-Shirt ausgezogen hat. Und am Samstag sah ich es in echt, auf der Bühne...", gab ich nur die Hälfte der Wahrheit zu.
"Jetzt erzähl aber endlich, ich kann deine Verschwiegenheit nicht länger aushalten!" Tom brachte mich zum lächeln, als er völlig verdutzt dort saß und kaum noch seine Neugier kontrollieren konnte.
"Gut, ich fang an. Also, am Freitag hat er mich zu dem Konzert im Club eingeladen, ich kriegte einen Backstage-Pass von ihm und so konnte ich hinter die Bühne, noch vor dem Konzert. Ich besuchte ihn in seiner Garderobe, lernte noch alle anderen Bandmitglieder kennen, dann genoss ich das Konzert aus der ersten Reihe und Robin hat mir einen Handkuss gegeben, als er mich da in der Menge erblickte", erzählte ich ohne Unterbrechung.
"Nicht so schnell, meine Güte,", sprang mir Tom aufgeregt ins Wort, "ich will alle Details wissen! Was habt ihr so am Freitag miteinander gesprochen?"
"Oh, wir sprachen viel über Musik, ich erzählte ihm von meinem Studium und der Vorstellung, in der ich bald singen werde, er erzählte mir von der Tour und so weiter. Es war Smalltalk, aber sehr angenehm und für mich total aufregend. Du kannst es dir vorstellen, wie es sich für mich anfühlte, neben Robin zu sitzen und mir noch seine Komplimente über mein Singen anzuhören. Er ist so nett und freundlich und so charmant", schwärmte ich von ihm und strahlte dabei. "Dann luden mich die beiden zu ihrem Konzert ein, Tony verabschiedete sich und wie du weißt, sang ich nur für Robin noch die Arie der Mimi. Es hat ihm sehr gefallen und ich war überglücklich, dass ich meinen Traummann so beeindrucken konnte. Das war mein größter Erfolg als Sängerin bis jetzt! Ja, und dann verabschiedeten wir uns noch, Robin ging zurück in sein Zimmer und ich nach Hause."
Von hier an erzählte ich die stark entschärfte Version des Abends und verschwieg ihm alles, was er nicht wissen durfte. Tom hörte aufmerksam zu und seine hellblauen Augen glänzten dabei.
"Am Samstag bin ich dann zu dem Konzert gegangen. Erst habe ich noch den Backstage-Pass abgeholt, den Robin für mich an der Rezeption abgegeben hatte und mit ihm um den Hals kam ich problemlos überall rein. Ich durfte Robin zuschauen, wie er sich in seiner Garderobe für den Auftritt vorbereitete und ich habe mich mit Tony und Jason unterhalten. Es war alles so wahnsinnig aufregend für mich, das kannst du glauben!"
"O ja, das kann ich mir gut vorstellen, ich bin schon nur durch's zuhören total aufgeregt", stimmte mir Tom schnell zu.
"Das Konzert war unglaublich, Robin war so gut wie schon lange nicht mehr. Es war Wahnsinn, diese Energie, die von ihm ausgeht, aus der Nähe zu erleben und die Atmosphäre im Publikum war auch so was von geil. Als Höhepunkt kriegte ich noch dieses Küsschen. Er gab dem Security-Mann ein Zeichen, er ließ mich ganz ran an die Bühne und Robin griff nach meiner Hand und küsste sie. Alle Frauen, die das sahen, kreischten dabei, es war so toll, ich konnte es nicht fassen, dass er mir so viel Aufmerksamkeit schenkte!" Die Erinnerungen an diesen glücklichen Augenblick überfluteten mich und zwangen mich zu einer kurze Pause, in der ich kurz mit den Tränen kämpfte, die mir in die Augen schossen.
"Du Glückliche, bestimmt haben dich alle Fans dafür beneidet! Ach, ich freu mich so für dich! Er ist so rattenscharf!", schwärmte Tom auch kurz über Robin. "Und dann? Was passierte danach?" Mit unruhiger Hand schenkte er sich noch einen Glas Wein ein und musterte mich mit ungeduldigem Blick.
"Nach dem Konzert ging ich noch mal hinter die Bühne, ich bedankte mich bei allen für das unvergessliche Konzert und ich blieb noch eine Weile bei der Party. Irgendwann verabschiedete ich mich von den Jungs und von Robin und bin nach Hause gefahren." An dieser Stelle beendete ich meine Erzählung und griff wieder nach Wodka.
"Und das war dann schon alles?", fragte Tom ein wenig enttäuscht.
"Ja, das war schon alles", wiederholte ich seine Worte.
"Hat er dich wenigstens geküsst?" bohrte Tom weiter und neigte sich näher zu mir, gespannt auf pikante Details, die er so offensichtlich erwartete.
"Ja, er hat mich geküsst. In seiner Garderobe gab er mir einen Abschiedskuss, bevor ich ging“, ließ ich nach. „Und er bedauerte, dass wir uns nicht unter anderen Umständen getroffen hätten, du weißt schon, seine private Situation..." Mehr als das durfte ich wirklich nicht verraten und ich hoffte, Tom würde sich damit zufrieden geben.
"Ach, es ist so ein Jammer, dass er verheiratet ist! Wenn er frei wäre, könntest du bestimmt mehr als einem Kuss von ihm kriegen", seufzte Tom bedauernd. "Und? Wie war der Kuss?" konnte er sich wie vermutet nicht beherrschen.
"Er küsst fantastisch, sein Kuss war einfach unvergesslich", seufzte ich auch.
"War es ein Zungenkuss?", versuchte er unverblümt weiter alle Details aus mir rauszuquetschen und ich lächelte nur noch müde. Wenn du nur wüsstest, wie er wirklich küsst! Und wie er erst liebt… "Ja, es war ein Zungenkuss, aber nur auf die schnelle", entschied ich mich endgültig eine Grenze zu ziehen und weitere Details für mich zu behalten.
"Und er hat dir doch das Herz gebrochen, nicht wahr?" fragte mich Tom mitfühlend, als er sich wieder zurücklehnte und sich über sein glänzendes schwarzes Haar strich. Erleichtert stellte ich fest, dass ich ihn mit diesem intimen Detail endlich zufrieden gestellt hatte.
"Ja, das hat er", sagte ich die Wahrheit und meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. "Du Ärmste, das ist so tragisch", litt er solidarisch mit mir und drückte meine Hand. "Aber versuche es positiv zu sehen! Du hast Robin persönlich kennengelernt, du hast ihn mit deinem Singen begeistert, er schenkte dir so viel Aufmerksamkeit und er gab dir noch einen leidenschaftlichen Kuss am Ende! Andere weibliche Fans würden ihre Seelen verkaufen, um solche Gunst erleben zu dürfen! Na ja, manche männliche auch", schaute er mich augenzwinkernd an. "Diana, du warst ganz was besonderes für ihn und das müsste dir ein riesiger Trost sein, obwohl ich es völlig nachvollziehen kann, wie du ganz durcheinander bist und dich schrecklich in ihn verliebt hast. Komm, trinken wir weiter und heule dich ruhig aus!" Tommy tröstete mich so gut wie er konnte und ich war ihm dankbar dafür. Wenn er nur wüsste, wie besonders ich für Robin war und was für Gunst ich erhalten hatte! Tom glaubte mir, was ich ihm erzählte und ich konnte bei ihm keinerlei Anzeichen von Misstrauen bemerken. Ich war seine beste Freundin und scheinbar hatte er keine Zweifel an meiner Version der Geschichte, so sehr vertraute er mir. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so unehrlich war, aber meine Loyalität zu Robin stand an erster Stelle und so blieb es auch. An diesem Abend tranken wir viel, ich wollte meinen Trennungsschmerz betäuben, wenigstens für eine Nacht. Wir schauten uns alle Videos von Robin und der Band an, die ich besaß, und dazwischen kämpfte ich immer wieder mit den Tränen. Als Robin die Ballade sang, die er in der Samstag Nacht am Flügel für mich gesungen hatte, konnte ich es nicht länger aushalten. Ich verschwand ins Bad und hockte mich leise weinend auf den Boden, mit dem Rücken an die kalte, gekachelte Wand angelehnt. Tom klopfte an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei.
"Ja, ja, es ist alles in Ordnung", lautete meine Antwort. Aber nichts war in Ordnung. Ich hatte große Angst vor der Lücke, die nach Robins Abschied in mir entstanden war, ich fühlte mich unvollständig und mein Leben war nicht mehr das Selbe wie noch am Freitag, als ich zum Hotel eilte. Durch Robin erlebte ich eine große Wandlung in mir, die ich noch nicht ganz verstanden hatte, aber ich ahnte sehr, dass ich nicht mehr die gleiche Person war, wie vor wenigen Tagen.
In der kurzen Zeit, die ich mit Robin verbracht hatte, stellte ich alles in Frage, was bis zu diesem Augenblick ziemlich sicher und fest für mich stand - ich schmiss meine Beziehung mit Max hin, weil ich durchschaute, wie oberflächlich und unbefriedigend sie war. Plötzlich wurde mir klar, dass ich keine Opernsängerin werden mochte, aber eine Alternative sah ich noch nicht vor mir. Ich definierte mich neu als Frau und erlebte eine bisher unbekannte Dimension der Sinnlichkeit und der Lust, die ich nur in Träumen für möglich gehalten hatte. Doch ich befürchtete, so einen fantastischen Liebhaber wie Robin nicht noch einmal zu finden und für die Zukunft würde ich es mit meiner Männerwahl noch schwerer haben. Aber am allerwichtigsten empfand ich das neuerweckte Selbstbewusstsein und den Glauben an mich, die Robin mir schenkte, als er mir mit seiner wunderbaren Art zeigte, was alles in mir steckte. Er befreite mich aus meiner gläsernen Glocke, in die ich mich selber eingesperrt hatte und mich damit hinderte, aus mir heraus zu treten. Ich fühlte mich durch Robin endlich erwachsen, er küsste mich wach als Frau und als Künstlerin zugleich und half mir zu erkennen, wer ich bin und was ich will. Als ich nach ihm griff, nach dem scheinbar unerreichbaren Stern, erreichte ich nicht nur ihn, sondern ich kam auch meinem verborgenen Selbst einen erheblichen Schritt näher. Gerade weil ich Robin mein Herz so weit und bedenkenlos geöffnet hatte, empfing ich auch so viel von ihm. Mein Einsatz war hoch, aber äußerst lohnenswert. Ich schätzte mich überglücklich für all das, was er mir geschenkt hatte, doch die Wunde in mir war noch zu frisch, um nur mit Dankbarkeit und Freude auf die vergangene Zeit mit ihm blicken zu können. Ich war mir bewusst, dass ich erst durch diese unerträgliche Sehnsucht nach ihm gehen musste, um eines Tages ohne jegliche Bitterkeit an ihn denken zu können. Und dabei spielte es keine Rolle, ob wir uns noch mal wieder sehen würden oder nicht. Tief in meinem Innersten verstand ich plötzlich, dass Robins Aufgabe in meinem Leben schon erledigt war und ich auch ohne ihn weiter fortfahren könnte, stärker als vor unserer Begegnung. Doch immer noch berauscht von seiner charismatischen Ausstrahlung fand ich die Welt um mich wie im düsteren Halbschatten, aus dem ich erst wieder den Weg zurück finden musste, zurück in ein Leben ohne Robin... Aber noch nicht jetzt, ich brauche erst die Zeit zum Trauern! Unwillkürlich stellte ich mir die Frage, ob ich Robin genauso vermissen würde, wenn er nur ein Normalsterblicher mit einem gewöhnlichen Beruf gewesen wäre... War ich so sehr von seiner aufregenden, erotischen Aura eines Rockmusikers beeindruckt? Hat mich das fantastische Gefühl, das Bett mit einem berühmten, von unzähligen Frauen verehrten Sexidol zu teilen in so einen mächtigen Rausch gestürzt? Wen vermisste ich so unerträglich - den strahlenden Rockstar Robin S., oder den sensiblen, gefühlvollen Liebhaber, der sich mir offenbarte, als ich aufhörte seine Verehrerin zu sein? Die Antworten auf diese Fragen waren nicht einfach, genauso wenig wie eine Definition unserer Beziehung. War ich bloß Robins Groupie mit besonderen Privilegien? Nur die zeitweilig favorisierte Sexgespielin eines verheirateten Mannes? Oder vielleicht doch eine Geliebte, die Muse, die unter anderen Umständen viel mehr als das geworden wäre? Lieber untersagte ich mir weitere solche analytischen Fragen, die mich nur quälten, aber nirgendwohin führten. Es reichte mir schon, dass ich stark daran zweifelte, dass ich Robin tatsächlich wieder sehen würde. Ich entschied mich, unsere Affäre so in der Erinnerung zu behalten, wie sie war - eine berauschende, einmalige, atemberaubende Begegnung zweier Seelen und Körper, die einige magische, gestohlene Augenblicke miteinander geteilt haben, bevor sie der Fluss des Lebens wieder auseinander trieb...
Mit kaltem Wasser wusch ich mir die vom Weinen angeschwollenen Augen und kehrte zurück ins Wohnzimmer. Wir tranken weiter, bis mir irgendwann übel wurde. Tom übernachtete bei mir auf dem Sofa. Die erste Nacht ohne Robin konnte ich nicht völlig alleine verbringen… Ich schlief unruhig, mit seinem Kopfkissen an meinem Körper und gegen Morgen träumte ich von ihm - er stand auf der Bühne wie am Samstag und suchte mit seinen Blicken nach mir. Laut rief ich seinen Namen und verzweifelt versuchte ich mich bemerkbar zu machen, aber er erblickte mich nicht. Andere Fans verdeckten ihm die Sicht und in der Menschenmasse gefangen konnte ich mich ihm nicht nähern. Ich wurde immer weiter weg von der Bühne getrieben und Robin gab die Suche nach mir auf, er drehte sich um und verschwand. Im Traum weinte ich vor lauter Verzweiflung und mit von Tränen nassem Gesicht wachte ich irgendwann abrupt auf. Plötzlich überfiel mich ein klares Gefühl, dass Robin gerade an mich dachte! Wie unter Strom sprang ich aus dem Bett und rannte ins Wohnzimmer zu dem Telefon. Aber meine Befürchtungen bestätigten sich - ich erblickte den Telefonhörer, der neben dem Apparat lag. Tom wollte offensichtlich nicht, dass jemand uns zu früh störte und das gelang ihm bedauerlicherweise auch. Ich legte den Telefonhörer wieder auf, aber der Apparat blieb stumm. Es war zu spät, Robin gab sein Versuch mich zu erreichen auf…Ich kämpfte mir den Tränen, mein Kopf schmerzte und das Zimmer drehte sich immer noch langsam um mich. Spätestens in diesem Augenblick bedauerte ich die Alkoholmengen, die ich so sinnlos in mich reingekippt hatte. Es war halb sieben, Tom schlief noch fest und ich nahm das Telefon vorsichtshalber mit ins Bad. Die Schnur reichte zum Glück dafür und leise schloss ich die Badezimmertür hinter mir. Die ganze Zeit unter der Dusche dachte ich an Robin und hoffte, nein, betete, er möge noch mal anrufen. Meine Aufregung und Unruhe wurden immer größer und als ich mich abtrocknete und den Bademantel anzog, klingelte es tatsächlich. Mit zittriger Hand griff ich sofort nach dem Telefon das auf der Waschmaschine stand und meldete mich mit einem zusammengekrampften Magen. "Ja, Diana?"
"Hi Baby, ich bin's." Als ich seine vertraute Stimme hörte, schossen mir augenblicklich brennende Tränen in die Augen und ich fühlte, wie ich innerlich auflebte. "Robbie, bin so froh dass du dich meldest", sprach ich mit leiser Stimme, obwohl ich am liebsten vor Freude laut geschrien hätte.
"Ich habe es schon vor einer halben Stunde vergeblich versucht, aber dein Telefon war die ganze Zeit besetzt. Ich befürchtete schon, ich hätte die falsche Nummer", erklärte mir Robin, sichtbar erleichtert, dass er mich doch noch kriegte.
"Robin, ich wusste es, dass du mich angerufen hast!", platzte es aus mir heraus. "Ich habe noch geschlafen und ich träumte gerade wie du nach mir suchst, aber ich konnte nicht zu dir, es war wie im Albtraum. Dann wachte ich auf und spürte, wie du gerade an mich denkst. Als ich zum Telefon rannte, lag der Hörer neben dem Apparat, Tom wollte nicht dass jemand uns stört und ich hoffte die ganze Zeit, du würdest es noch mal versuchen", erzählte ich in einem langen Atemzug, ganz aus dem Häuschen darüber, wie recht meine Intuition hatte.
"Wow, das ist ja abgefahren", staunte Robin. "Du bist doch eine Hexe, wie ich schon vermutete", scherzte er und ich lächelte glücklich. "Sag mal, was für ein Tom schläft bei dir?", fragte Robin mit gespielt misstrauischer Stimme.
"Du kennst den Tom aus der Bar, er ist mein bester Freund, gestern tranken wir den ganzen Abend und er war zu voll, um nach Hause gehen zu können", klärte ich ihn auf und verschwieg ihm, dass ich emotional nicht in der Lage war, völlig alleine die Nacht zu verbringen…
"So, so, der Tom. Gut zu wissen, dass er schwul ist, sonst wäre ich jetzt schon ziemlich frustriert, dass du mich so schnell vergessen hast", sagte Robin heiter, aber ich wurde dabei ernst.
"Robin, wie kannst du nur daran denken,dass ich dich vergessen könnte?", fragte ich traurig.
"Diana, ich mache nur Scherze, ich weiß, wie du mich liebst. Aber ich habe dir auch gesagt, ich habe kein Recht von dir Treue zu erwarten, du kannst dich jederzeit mit anderen Männern treffen und mit jemandem schlafen, wenn dir danach ist." Jetzt klang seine Stimme leicht traurig, obwohl er versuchte ganz locker zu klingen.
"Robbie, bitte, lassen wir das, dieses Thema deprimiert mich nur...", sagte ich und mein Kinn zitterte dabei verdächtig.
"Ja, du hast recht, das war unpassend. Wie bist du nach Hause gekommen?", wechselte Robin schnell das Thema.
"In Ordnung. Und du?"
"Auch alles O.k. Im Flugzeug musste ich wieder ein paar Autogramme geben, aber sonst war es ruhig und ich schlief fast die ganze Zeit." Er machte eine Pause. "Claire schöpfte keinen Verdacht. Dass ich so schweigsam und in mich selbst vertieft bin, schiebt sie wie schon oft auf die lange Reise und anstrengenden Auftritte. So habe ich zum Glück Zeit, um mich zu sammeln und mich einigermaßen normal zu benehmen." Er machte wieder eine kleine Pause. "Du fehlst mir sehr, Diana. Mehr als ich dachte. Und wie geht es dir?" Bei diesen Worten konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen, ich ließ meinen Tränen freien Lauf und versuchte meine Stimme zu beherrschen.
"Robbie, wie sollte es mir gehen? Ich vermisse dich schrecklich und ich denke die ganze Zeit nur an dich", gestand ich ihm.
"Baby, bitte weine nicht. Du weißt, ich liebe dich und ich denke auch ununterbrochen an dich. Wir müssen stark sein. Ich werde mich in die Arbeit vergraben, gleich morgen, ich habe so viele Ideen für die neue CD. Ich warte nicht auf das neue Jahr, ich rufe heute die Jungs an und werde sie in mein Studio einladen, um mit den Songs sofort anfangen zu können. Auch du hast viel Arbeit vor dir, das wird dich ablenken, du wirst es schon sehen. Und ich werde dich regelmäßig anrufen. Wie du gesehen hast, ist die Verbindung zwischen uns so stark, dass ich dich sogar im Traum erreichen kann. Sei nicht so traurig, ich kriege nur ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich weinen höre..." Robin fühlte sich offensichtlich unwohl, mich so aufgelöst zu erleben und mit dem Handrücken wusch ich mir schnell die Tränen weg.
"Wir werden uns wieder sehen, auch wenn drei Monate jetzt so schrecklich lange erscheinen, darauf musst du vertrauen, ja?" ermutigte mich Robin weiter.
"Ja, tue ich auch. Es ist nur so schwer zu ertragen, dass ich dich nicht sehen und nicht anfassen kann...", seufzte ich tief.
"Ich weiß, was du meinst. Mir geht es genauso. Ich konnte trotz Müdigkeit lange nicht einschlafen, du hast mir so sehr gefehlt. Zum Glück schlafe ich in meinem Zimmer immer alleine, wenn ich aus anderen Zeitzonen komme und erst meinen Schlafrhythmus finden muss."
Der Gedanke, dass er höchstwahrscheinlich erst mit Claire geschlafen hatte, bohrte sich stichartig in mein Herz und ich schwieg nur niedergeschlagen. Robin erriet scheinbar meine destruktiven Gedanken und sofort griff er mit Zärtlichkeit in der Stimme ein: "Baby, ich hatte noch keinen Sex mit Claire, wenn du das vermutest. So früh nach unserem Abschied konnte ich das noch nicht..."
Wie sehr war ich ihm dankbar für dieses Geständnis! Wenigstens die erste Nacht blieben wir noch völlig miteinander verschmolzen, trotz der räumlichen Trennung.
"Danke Robbie, das bedeutet mir sehr viel. Natürlich ist mir völlig klar, dass du schon bald mit Claire schlafen wirst, nur... diese erste Nacht nach unserem Abschied wünschte ich es mir, du bleibst noch ganz bei mir..., verstehst du, was ich meine?"
"Ja, völlig, mir ging es genauso, deswegen zog ich mich auch von Claire zurück. Sie denkt, ich leide unterm Jetlag und bin einfach übermüdet, was teilweise auch stimmt. In den letzten Nächten habe ich mich mehr als ordentlich verausgabt, ich brauche erstmal Erholung", spürte ich sein Grinsen, als er mit Andeutung an unsere langen Liebesnächte die betrübte Stimmung aufzuheitern versuchte und er entlockte mir damit ein kleines Lächeln. Wieder folgte eine kurze Pause, in der wir beide unsere Gedanken sammelten. "Baby, bitte, denke nicht daran, wie ich Sex mit Claire haben werde“, meldete sich Robin als erster. „Du darfst dich damit nicht quälen. Das ist ein anderer Teil von mir, der nichts mit dir zu tun hat und keinerlei Einfluss auf meine Gefühle für dich hat, verstehst du?"
"Ich verstehe das vollkommen, Robin. Mach dir keine Sorgen um mich. Du musst mir nichts erklären, dein Leben mit Claire geht mir nichts an", beteuerte ich ihm mit unbeschwert klingender Stimme, aber ich war nicht ehrlich. Natürlich schmerzte mich die Tatsache, dass er schon sehr bald Sex mit Claire haben würde. Und daran wird sich nichts ändern, so lange ich etwas für dich empfinde, wollte ich mir selber nichts vormachen. Aber damit konnte ich mich irgendwie abfinden und es verdrängen. Viel schlimmer war für mich seine körperliche Abwesenheit, die ich in den nächsten drei Monaten erdulden musste, bis wir uns endlich wieder sahen.
"Hast du meinen Zettel gefunden?" fragte Robin, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
"O ja, habe ich. Das war so lieb von dir, damit hast du mir den Abschied erheblich erleichtert", erhellte die Erinnerung wieder etwas meine betrübten Gedanken.
"Das habe ich gehofft. Dieser Song ist in meinem Kopf schon fast fertig, ich werde ihn morgen Tony und Jason vorspielen. Ich freue mich sehr darauf."
Ich erahnte nur, wie er strahlte, während er über den Song sprach. "Und ich freue mich sehr darüber, dass du wieder deine Inspiration gefunden hast".
"Das habe ich dir zu verdanken, Baby", schmeichelte mir seine Stimme und hüllte mich dabei in ein unbeschreiblich wohliges Gefühl. "Ich werde versuchen noch etwas zu schlafen, bevor ich mit Musik anfange. Was hast du heute noch vor?" erkundigte sich Robin.
"Wahrscheinlich gehe ich heute am Nachmittag zu den Proben. Wenn ich richtig wach bin, werde ich üben, ich habe seit Freitag nicht mehr gesungen und ich muss bald in Topform sein, ich habe nur noch zwei Wochen bis zu Premiere", erzählte ich und merkte, wie ich mich plötzlich auf die Musik freute, die auf mich wartete.
"Das ist gut, so werden wir mit Musik weiter verbunden bleiben, jeder an seinem Projekt".
"Robin?", fiel mir plötzlich noch mein Tattoo ein.
"Ja?"
"Ich wollte dir noch etwas erzählen", sagte ich zögernd.
"Sag es ruhig, ich höre zu."
"Du hast gesagt, mit dem übrigen Geld, das du mir gegeben hast, sollte ich mir etwas kaufen, als Erinnerung, und das habe ich auch getan. Möchtest du wissen, um was es sich handelt?" fragte ich leicht aufgeregt.
"Klar, bin ganz Ohr."
"Also", holte ich tief Luft, "ich bin in ein Tattoo-Studio gegangen und ließ mir das gleiche Pferd mit den Flügeln stechen, das du an deinem Rücken trägst."
"Was? Baby, du bist echt crazy!", lachte Robin. "Ich wusste nicht, dass du auf Tattoos stehst."
"Bis jetzt war das so, aber dein Tattoo gefällt mir sehr und ich wollte etwas Verrücktes machen, etwas Ungewöhnliches und für mich Untypisches, verstehst du?"
"Ja, das kann ich verstehen. Hoffentlich wirst du es nicht schon bald bereuen. Sag mal, an welcher Körperstelle hast du das Tattoo?" erkundigte sich Robin neugierig.
"Das erzähle ich dir nicht! Es soll eine Überraschung sein, die du entdecken musst, wenn wir uns wieder sehen", wich ich kokett seiner Frage aus.
"Cool, das gefällt mir! Ich freu mich schon sehr darauf", erwiderte Robin darauf und ich sah vor mir sein lächelndes Gesicht.
"Ich auch", sagte ich und diesmal glaubte ich fest an unser Wiedersehen.
"Gut, ich werde versuchen ein wenig zu schlafen, jetzt wo ich weiß, dass du mich noch magst", scherzte Robin. "Ich melde mich dann wieder, wenn die Gelegenheit dafür günstig wird", versprach er noch ernst.
"Ja, melde dich. Und vergiss mich nicht!"
"Nein, Diana, ich werde dich ganz bestimmt nicht vergessen. Dann bis bald."
"Bis bald, Robbie." Fast gleichzeitig legten wir auf. Ich fühlte mich besser, durch den Anruf war Robin plötzlich wieder anwesend und lebendig und nicht nur eine unvergessliche Erinnerung aus meiner jüngsten Vergangenheit. Wieder kriegte ich die Zuversicht, dass er mich liebte und dass unser Abschied daran nichts verändert hatte. Mein Leben hier ohne ihn wurde erträglicher und der neue Tag schien auf einmal heller zu werden. Ich spürte die Hoffnung, die in mir endlich Fuß fasste und ich betrachtete den gestrigen Abschied nicht mehr als das Ende unserer Romanze, sondern als Anfang einer langen Wartezeit, die in eine mögliche gemeinsame Zukunft führte. Erleichtert verließ ich das Bad und schlich mich leise in mein Schlafzimmer zurück. Robin liebt mich und will mich wieder sehen! Das wird mir Kraft und Mut für die nächsten Monate ohne ihn geben. Ich werde schon irgendwie durchhalten, ich kann mich ja ablenken und mich in die Arbeit stürzen, so wie er das tut. Während ich mich mit diesen Gedanken vertröstete, legte ich mich nochmal hin. Ich merkte, wie müde ich immer noch war und beruhigt gönnte ich mir noch etwas Schlaf.
Erst kurz vor Mittag wachte ich auf. Auch Tom war schon wach und in der Küche machte er gerade Kaffee. "Guten Morgen Diana, wie hast du geschlafen?" fragte er mich, als ich mich zu ihm gesellte und reichte mir eine Tasse. Er sah ziemlich fertig aus, er trank gestern noch viel mehr als ich. Trotzdem erheiterte mich sein Anblick, er wirkte nämlich unglaublich niedlich in meinem hellblauen Schlafanzug mit Sternchen und Monden, den ich ihm für die Nacht ausgeliehen hatte.
"Danke. Es ging. Mir war furchtbar schlecht und mein Kopf tut weh, ich vertrage einfach keinen Alkohol. Vor allem nicht in solchen Mengen", antwortete ich und schmatzte ihm ein Küsschen auf die unrasierte Wange. "Und du?"
"Ich habe auch einen ordentlichen Kater, aber es wird schon langsam“, gähnte Tom müde und ich schloss mich ihm an.
„Sag mal, was macht das Telefon im Bad?" wunderte sich Tom und rieb sich seine geröteten Augen.
"Ach so, ich war frühmorgens wach und ich nahm das Telefon mit, falls jemand von der Hochschule anrufen wollte, wegen der Proben", fand ich sofort eine plausible Ausrede. Wir setzten uns an den Tisch und tranken unseren Kaffee. Appetit aufs Essen hatte noch keiner von uns und so verzichteten wir gemeinsam auf ein Frühstück.
"Tom, Max und ich haben Schluss gemacht", rutschte es plötzlich aus mir heraus.
"Was? Warum? Wann?" Tom starrte mich völlig verdutzt an.
"Am Sonntag. Wir hatten einen furchtbaren Streit am Telefon und so endete das Ganze."
"Aber wieso so unerwartet? Ihr wart doch glücklich miteinander!", konnte es Tom nicht fassen und er schüttelte nur ungläubig den Kopf.
"Das dachte ich auch, es war aber nur der äußerliche Schein. Ich war nicht glücklich mit ihm, es fehlte mir die ganze Zeit etwas", versuchte ich ihm meine Gründe für die Trennung zu erklären.
"Hat das vielleicht was mit Robin zu tun?" äußerte Tom streng blickend seinen Verdacht, worauf ich nur schwieg.
"Diana, komm, mach keine Dummheiten! Robin ist nur eine Illusion, du bist in ihn verknallt wie ein pubertierendes Mädchen und das hat nichts mit der Realität zu tun. Max ist aber echt und du liebst ihn doch, oder?"
"Nein, Tom, ich liebe ihn nicht. Ich habe ihn nie geliebt, unsere Beziehung war oberflächlich, kumpelhaft und ohne Leidenschaft. Max hat meine wahren Bedürfnisse nie erfüllt."
"Meinst du das im sexuellen Sinne?" fragte Tom vorsichtig.
"Ja, das auch, aber auch auf allen anderen Ebenen. Es war alles so halbherzig, routiniert und gewöhnlich zwischen uns. Ich will aber große Gefühle, Feuer, Intensität, Abenteuer!“ gestikulierte ich dramatisch mit meinen Händen, als ich versuchte, Tom, aber auch mir selber, diese bedeutende Entscheidung nachvollziehbarer zu machen. „Kannst du begreifen, was ich meine, Tom?", schaute ich ihn ernst an.
"Ich fürchte, ja," seufzte Tom nickend und biss sich auf die Unterlippe. "Und all das ist dir erst jetzt klar geworden, als du Robin kennen gelernt hast, stimmt's? "
"Größtenteils, ja."
"Aber das ist doch verrückt!“, sprang Tom aufgebracht von seinem Stuhl hoch. „Du vergleichst jetzt Max mit Robin, deinem Traumtypen, den du vergötterst, aber du kennst ihn nicht richtig. Vielleicht ist er in Wirklichkeit arrogant, ein primitiver Macho, oder ein Langweiler, vielleicht ist er schlecht im Bett, hat einen kleinen Schwanz, was weiß ich noch, meine Güte, du bildest dir so viel über ihn nur ein!" Tom lief hin und her in der Küche und versuchte mich leidenschaftlich zur Vernunft zu bringen. Aber er hatte Unrecht, ich kannte Robin sehr wohl, und er übertraf alle meine Erwartungen. Ich lächelte müde, als Tom über Robin redete und nach seinen eventuellen Fehlern und Schwächen suchte. Er konnte ja nicht wissen, dass Robin für mich tatsächlich ein Traumtyp war und ich wollte ihm nicht widersprechen. "Tommy, es ist sehr lieb von dir, dass du mir das alles erzählst, aber es hat keinen Sinn, ich habe mich entschieden, es ist aus zwischen Max und mir", unterbrach ich ihn schließlich und griff nach seiner Hand, um ihn aufzuhalten. Ich hatte keine Lust über Max zu diskutieren. Zwar bedauerte ich, ihn so verletzt zu haben, aber ich empfand nicht mal den geringsten Wunsch, uns noch eine Chance zu geben. Ich war so erfüllt mit Robin, dass es keinen Platz für jemand anderen in meinem Leben gab. Und ich wollte es auch nicht anders.
"O.k., wenn du meinst, es ist ja dein Leben und du wirst es schon wissen“, beugte sich Tom mit einem Küsschen auf die Wange zu mir. „Hoffentlich wird es dir später nicht leid tun", setzte er sich wieder hin und akzeptierte respektvoll, aber mit Zweifeln, meine Entscheidung, die er nicht ganz nachvollziehen konnte. Wenn er alles über Robin und mich gewusst hätte, hätte ich seine völlige Unterstützung gekriegt, er war ja so hoffnungsvoll romantisch und er würde sich tierisch für mich freuen. Aber er durfte die Wahrheit nicht erfahren. Wie sehr ich ihn auch mochte, ich vertraute ihm nicht ganz, dass er so ein Geheimnis für sich behalten können würde. Wir tranken weiter wortlos unseren Kaffee, jeder für sich in seine Gedanken vertieft. So blieb ich völlig alleine mit meiner bittersüßen, geheimen Romanze, die mich so sehr veränderte und mir wie in einem Spiegel mein wahres Ich zeigte, das bis jetzt gut versteckt hinter meinen gläsernen Mauern schlummerte. Robins Anruf schenkte mir den Glauben und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihm und verlängerte damit mein fantastisches Abenteuer bis ins Ungewisse. Es geht weiter, es ist noch nicht zu Ende! Mein Märchen wurde mir zu Gunsten umgeschrieben und ich betrachtete mich nicht länger als Aschenputtel. Selbstzufrieden lächelte ich hinter meiner Kaffeetasse und lauschte freudvoll dem Glücksgefühl in meinem Innern, das sich in mir wie ein zufrieden schnurrendes Kätzchen auf seinem Lieblingskuschelplatz in der Sonne breit machte und sich genüsslich rekelte.