Die große Überraschung
Nachdem ich Tom verabschiedet hatte, zog ich mich an und versuchte den ersten Tag ohne Robin mit dieser neuen Zuversicht, die ich durch seinen Anruf gewann, sinnvoll und konstruktiv zu verbringen. Ich verspürte einen intensiven Wunsch nach Singen, um endlich wieder auf andere Gedanken zu kommen. Als ich mich an den Flügel setzte, betrachtete ich eine Weile das große Portrait von Liszt. Dieses Bild war mein stummer, treuer Begleiter seit meiner Kindheit. Als stiller Zeuge erlebte es alle meine Entwicklungsphasen und Veränderungen, das Glück und das Leid, was ich in meinem bisherigen Leben erfuhr. Es hörte geduldig zu, wie ich durch die Musik meinen stark gefühlsbetonten und von einer nicht immer erklärbaren Sehnsucht geprägten inneren Welten eine Form gab, eine Struktur, die mir Halt und Schutz bot, wenn die erlebten Krisen und Erschütterungen zu groß waren, und die mich auffing, wenn ich an meinen heftigsten Gefühlsstürzen zu zerbrechen drohte. Ich erlebte die Musik stets als eine äußerst wirkungsvolle Heilkunst, die mich immer wieder aufs neue rettete und mich ganz und heil machte, wenn ich durch die turbulenten Geschehnisse in meinem Leben zu sehr aus meiner Mitte geriet. In gewissem Sinne war ich abhängig von der Musik und von der wunderbaren Erlösung, die ich durch sie so oft erfuhr und ich schätzte mich glücklich, dass sie mir so zuverlässig ihre Zuflucht bot. Auch als ich an diesem Tag zu singen anfing, erhoffte ich mir Erleichterung und Ablenkung von meiner Sehnsucht nach Robin. Meine monotonen, gleichmäßigen Tonübungen zum einsingen versetzten mich in einen ruhigen, konzentrierten Zustand. Mit jeder Tonleiter, die meine Stimme allmählich aufwärmte und sie geschmeidig, folgsam und klar machte, spürte ich, wie ich mich innerlich sammelte und trotz der gähnenden Leere, die nach Robins Abschied in mir aufgetreten war, wieder die alte Freude und Genuss beim Singen empfand. Mein Körper gewann seine Spannung zurück, er richtete sich auf und befreite sich von der schlaffen Müdigkeit, verursacht durch so viele Tränen in den letzten vierundzwanzig Stunden. Das erfreute mich sehr und gab mir Mut für die nächsten Wochen. Es hätte durchaus passieren können, dass mich mein Liebeskummer stimmlich blockieren würde und mir buchstäblich die Kehle zugeschnürt hätte. Dass dies nicht der Fall war, verdankte ich teilweise auch Robin, stellte ich fest. Dadurch, dass er gerade die Musik für seine neue CD schrieb, fühlte ich mich mit ihm eng verbunden, während ich selber musikalisch aktiv war. Wenn ich sang, kam ich ihm ein Stück näher und die Entfernung zwischen uns fühlte sich nicht mehr so unüberwindlich an. Das spornte mich so sehr an, dass ich mich mit meiner ganzen Kraft und Leidenschaft in mein Opernprojekt stürzte. Die Proben in den nächsten Tagen waren lang und anstrengend, aber ich begrüßte sie mit Enthusiasmus und Dankbarkeit. Mit dem ehrgeizigen und klaren Ziel vor meinen Augen fiel es mir leichter, das Fehlen von Robin zu ertragen.
Abends, wenn ich todmüde in mein Bett sank, sehnte ich mich am meisten nach ihm. Ich dachte an unsere Zärtlichkeiten, an seine Umarmungen, an jede kleinste Berührung zwischen uns. Mein Körper vermisste schmerzlich seine streichelnden Hände, seine Küsse, seinen Duft und seine Wärme. Nach zwei Tagen kam leicht verspätet meine Periode und ich begrüßte sie überraschend wehmütig. Die Blutung fühlte sich so an, als ob mein Körper um Robin trauern würde und ich es mir heimlich gewünscht hätte, von ihm geschwängert zu sein. Tief in meinem Bauch, dort wo ich während Robins Umarmungen die ekstatischen Kontraktionen der Lust erlebte, spürte ich jetzt ein krampfartiges, unangenehmes Zusammenziehen und ich legte mir eine Wärmflasche darauf. Als ich mir dabei vorstellte, sie wäre Robins liebkosende Hand, entspannte sich mein Bauch allmählich und ich träumte in dieser Nacht von Robin... Einen heißen, feuchten Traum, der mir am Morgen beim Zähneputzen ein selbstgefälliges Lächeln verlieh, als mir jedes Detail noch einmal durch den Kopf ging.
Das muss ich Robin erzählen, wenn er mich wieder anruft, dachte ich und lächelte mein Spiegelbild keck an. Robin rief mich regelmäßig an. Das Telefon stand jetzt bei meinem Bett, um nicht aufstehen zu müssen, wenn er mich weckte. Zur Zeit stand ich immer spät auf, weil ich extra viel Schlaf für die Stimme brauchte und abends ging ich selten vor Mitternacht ins Bett. Unsere Gespräche waren sehnsüchtig, aber auch ermutigend. Robin arbeitete begeistert an seinen neuen Songs, er befand sich in einem richtigen kreativen Rauschzustand und er genoss das sehr.
Auch ich freute mich selbstlos für ihn und ich fühlte mich glücklich und fast euphorisch, dass ich bei der Entstehung dieser Songs scheinbar eine Rolle spielte. Mit jedem Anruf fiel es mir leichter, auf unser Wiedersehen zu hoffen und daran zu glauben, auch wenn die Zeit, die uns voneinander trennte, noch so grausam lang vor uns lag. Robins Stimme schmeichelte mir, sie liebkoste mich, verführte mich und füllte ein wenig die Lücke, die er in mir hinterließ. Am Morgen danach erzählte ich ihm von meinem erotischen Traum über ihn und er brachte mich dazu, das erste Mal in meinem Leben Telefonsex zu treiben. Ich fand die Vorstellung davon immer irgendwie albern und ich glaubte nicht daran, dass es mich antörnen könnte, aber Robin belehrte mich wie schon so oft eines Besseren und zeigte sich wieder mal als ein unübertrefflicher Meister der Verführung. Als er meinen anfänglichen Widerstand brach und ich mich hemmungslos seinen Anweisungen überließ, erlebte ich eine unvergessliche Erfahrung, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Robin schaffte es, dass ich mich den ganzen Tag auf nichts richtig konzentrieren konnte, sondern nur an seine laszive Stimme und an die heißen Worte, die er mir zugeflüstert hatte, denken musste.
Ich war Robin sexuell hörig, kam ich zu der plötzlichen Erkenntnis. Wenn es sich um einen anderen Mann gehandelt hätte, hätte ich dabei Angst empfunden, aber bei Robin fühlte ich mich sicher und gut aufgehoben, ich vertraute ihm aus dem Bauch heraus. Der Verstand wurde im Zusammenhang mit Robin längst ein Fremdwort für mich...
So verging schnell die erste Woche. Jeden Tag verwandelte ich mich in Mimi, lebte ganz für die Rolle, projizierte hinein alle meine Gefühle für Robin und sang und spielte mit einer Intensität, die mich selber manchmal überraschte. Ich war völlig verändert, meine Mimi war kein romantisches, scheues Mädchen mehr, wie noch vor zwei Wochen. Ich sang sie mit so viel Leidenschaft und Kraft, als ob sie eine Tosca wäre und ich spielte meinen introvertierten koreanischen Tenor oft an die Wand. Wenn ich mit ihm zusammen das Liebesduett sang, hatte ich nur Robin vor meinen Augen. Er füllte die Bühne in mir mit seinem strahlenden Glanz und brachte mich gesanglich und schauspielerisch zu meiner Höchstleistung.
Nach einer erfolgreichen Probe in der zweiten Woche wollte mich der Regisseur unter vier Augen sprechen. Ich folgte ihm in sein Zimmer und erwartete irgendwelche Kritikpunkte. Um so überraschter war ich, als er die Tür hinter mir schloss und begann zu reden, nachdem er mich eine Weile prüfend betrachtete. "Diana, was ist los mit dir?", fragte Herr Bergmann mit besorgter Stimme und faltete seine hohe Stirn, während er seine Brille putzte.
"Wie meinen Sie das? Was mache ich falsch?" verstand ich seine Frage nicht und ich setzte mich verdutzt auf den Stuhl, den er mir vorher angeboten hatte. Ich war sehr gut vorbereitet und in meinem Kopf suchte ich nach eventuellen Fehlern, die mir unterlaufen waren.
"Du machst alles sehr gut und beherrschst die Rolle einwandfrei“, sprach er in einem Atem und setzte die Brille wieder auf. „Aber - wie du sie singst und spielst, das macht mir Sorgen. Du singst, als ob es um Leben und Tod gehen würde, bei jeder Probe gibst du hundert Prozent und interpretierst die Mimi mit einer verzweifelten Verbissenheit. Das ist nicht mehr die gleiche Mimi wie am Anfang der Probezeit." Er verschränkte die Arme an seiner Brust und schaute mich mit einem scharfen Blick an, den ich nicht aushalten konnte. "Was ist mit dir passiert? Du kannst es mir sagen", sprach er mit ruhiger Stimme. Jetzt lächelte er mit einer väterlichen Zuneigung und wirkte sehr vertrauenserweckend. Herr Bergmann war mein Lieblingslehrer und ich mochte ihn von Anfang an sehr. Er befand sich kurz vor seiner Rente und hätte fast mein Großvater sein können. Seine legere, junggebliebene Art und die kosmopolitische Aura, die ihn umgab, machten ihn auch in seinem Alter zu einem hochinteressanten Mann. Vor wenigen Jahren heiratete er sogar eine Sängerin, die dreißig Jahre jünger war als er, und wie ich es aus Tratschgeschichten erfahren hatte, war er früher ein großer Womanizer gewesen. Sein weißes Haar war immer noch dicht und lang und er hatte den temperamentvollen Gang eines jungen Mannes. Ich konnte es mir vorstellen, dass sich noch so manche Studentin, die auf ältere Männer steht, in ihn verlieben könnte. Unsere Beziehung war völlig frei von Hintergedanken in dieser Hinsicht und ich arbeitete sehr gerne mit ihm. Ich liebte seinen Humor und ich bewunderte seine brennende Leidenschaft für die Oper sehr. Ja, ich kann es ihm sagen, entschied ich mich endlich und seufzte laut, bevor ich anfing zu erklären. "Ich habe Liebeskummer", sagte ich kurz und einfach.
"Das dachte ich schon", sagte Herr Bergmann trocken. "Wegen Max?" Es war ihm natürlich bekannt, dass wir ein Paar waren.
"Es ist aus mit Max und mir. Aber ich bin nicht wegen ihm so durcheinander", erklärte ich ihm.
"Also ein anderer", nickte er. "Hat er dir dein Herz gebrochen?", fragte er mitfühlend.
"Er musste mich verlassen, weil er verheiratet ist und in der USA lebt", erzählte ich die kürzeste Version unserer Geschichte.
"Ich verstehe. Das ist schlecht. Sogar sehr schlecht", stellte er auf seine pragmatische Art fest und nickte weiter. "Werdet ihr euch weiter sehen?"
"Ja, im Frühling. Er möchte mich nicht sofort aufgeben und ich kann auch nicht auf ihn verzichten, ich liebe ihn zu sehr", sprach ich leise und dabei füllten sich meine Augen mit Tränen. Die Aussichtslosigkeit unserer Situation wurde mir bei meinen eigenen Worten wieder bewusster und in meiner Brust spürte ich eine beängstigende Verzweiflung aufsteigen. Dachten wir wirklich allen Ernstes, wir könnten so eine komplizierte Beziehung weiterführen?
"Ich habe kein Recht mich einzumischen und dir Ratschläge zu erteilen", unterbrach Herr Bergmann sachlich meine verzweifelten Gedanken. "Ich möchte dir nur als dein Lehrer ans Herz legen, dass du die Rolle nicht als ein Ventil für deine Gefühle benutzen darfst. Ich will nicht, dass du mir bei der Premiere auf der Bühne zusammenbrichst, weil du dich so sehr in die Rolle reingesteigert hast und vergessen hast, wo deine Grenzen sind. Verstehst du mich? Du bist nicht Mimi und dein Lover ist nicht Rodolfo. Also bitte nimm dich in Acht und trenne dein Privatleben von der Rolle. Versprichst du mir das? Du spielst und du singst auf der Bühne nur, aber deine Emotionen gehören dir. Schaffst du das? Sonst sehe ich mich gezwungen, dich aus der Besetzungsliste zu streichen, weil du mir als Risiko für das ganze Projekt erscheinst."
Die ganze Zeit während er mit ernster Stimme zu mir sprach, schwieg ich nur nickend und unterbrach ihn nicht. Ich wusste ja, er hatte völlig recht. In meiner fast selbstzerstörerischen Darstellungswut, mit der ich mich abzureagieren und von meinen eigenen Gefühlen zu befreien versuchte, ging ich wirklich zu weit. „Ich habe es verstanden und ich werde mir Mühe geben, Herr Bergmann. Ich werde Sie nicht enttäuschen“, versprach ich ihm schließlich ohne zu zögern.
"So, dann haben wir das geklärt", beendete Herr Bergmann das Gespräch und ich atmete erleichtert auf.
"Ich dachte, so ein kluges Mädchen wie du wird nicht einem verheirateten Mann auf den Leim gehen", versuchte er anschließend zu scherzen.
"Klugheit schützt leider nicht vor Liebe", erwiderte ich mit einem gezwungenen Lächeln.
"Da hast du recht. Aber er muss schon was Besonderes sein, dass er dich in so einen Zustand brachte."
"Ja, das ist er. Er ist was besonderes", sagte ich verliebt, als ich an Robin dachte. Herr Bergmann lächelte dabei nur wohlwollend und wir verließen gemeinsam das Zimmer.
„Was für einer ist er denn? Was macht er so?“, konnte er sich schließlich seine neugierigen Fragen doch nicht verkneifen.
„Er ist ein ziemlich berühmter Rocksänger“, antwortete ich darauf und spürte meinen unschuldigen Stolz dabei.
„Nein, ein Rockstar?" machte er übertrieben große Augen und ließ seinen Mund in karikierter Überraschung weit offen. „Donnerwetter, das wird ja immer wilder! Sex and drugs and rock’n’roll! Auf so was stehst du also?“, amüsierte er sich weiter schmunzelnd über mich, aber er staunte auch ein wenig, als ob er mir eine so verruchte Affäre nicht zugetraut hätte. Leichten Herzens lachte ich mit ihm zusammen und Herr Bergmann sagte anschließend zu mir: "Jetzt im Ernst - ich wünsche dir viel Glück dabei. In so einer Konstellation wirst du es dringend benötigen. Und pass gut auf dich auf, ja? Ihr jungen Menschen denkt oft, ihr habt die große Liebe gefunden und seid dann viel zu schnell bereit wegen ihr alles hinzuschmeißen. Denk dabei an dich und an dein Leben und nicht nur an ihn", legte er mir noch seinen gut gemeinten Rat ans Herz, ehe er sich mit festem Handschlag von mir verabschiedete.
"Vielen Dank, Herr Bergmann", bedankte ich mich ohne weitere Worte, und vertieft in eigene Gedanken verließ ich die Hochschule. Nach dem hilfreichen Gespräch mit Herr Bergmann fühlte ich mich ermutigt und seine Kritikpunkte empfand ich als sehr konstruktiv, dennoch beunruhigten mich seine Worte stark. An diesem Abend lag ich lange im Bett, ohne einschlafen zu können. Ich war wild entschlossen, meine Rolle nicht länger mit eigenen Gefühlen zu belasten oder sie als Ventil zu missbrauchen. Ich wusste ganz genau, Herr Bergmann meinte es ernst, als er mir drohte die Rolle wegzunehmen, wenn ich mich nicht änderte. Die Sängerin, die als Zweitbesetzung sang, war zwar nicht besser als ich, doch das würde ihn nicht davon abhalten, mich rauszuschmeißen. Er war durch und durch ein Profi und er konnte knallhart sein. Seine wohlmeinende Kritik nahm ich ernst und war bereit, mich professioneller zu verhalten. In diese Rolle hatte ich zu viel Arbeit und Energie investiert, um sie jetzt so leichtsinnig zu verlieren, nur weil ich wegen Robin so aufgewühlt war. Das wäre eine Katastrophe und ganz im Gegensatz zu dem, was ich durch Robin über mich gelernt und erkannt hatte. Endlich beruhigte ich mich und wieder mal empfand ich große Dankbarkeit Herrn Bergmann gegenüber, weil er mir noch rechtzeitig mein Fehlverhalten zeigte und mir die Chance gab, es zu korrigieren. Am nächsten Morgen fühlte ich mich stark, ausgeglichen und selbstbewusst und freute mich auf die bevorstehende Probe. Auf der Bühne war ich wie ausgewechselt, ich sang mit einer ähnlichen Intensität, aber ich spielte nicht mehr mich selbst, sondern die Rolle der Mimi und ich empfand dabei eine wohltuende Erleichterung. Robin ließ ich aus dem Spiel heraus und ich widmete mich nur der Musik und dem Geschehen auf der Bühne. Ich merkte selbst den großen Unterschied - nach der Probe fühlte ich mich nicht mehr so ausgebrannt und völlig erschöpft wie sonst, sondern ich war trotz Anstrengung zufrieden und erfüllt. Herr Bergmann gab mir am Ende der Probe ein Zeichen und erwartungsvoll näherte ich mich ihm.
"Diana, du hast es verstanden! Genau so solltest du die Mimi singen, es hat mir gut gefallen", lobte er mich. "Deine Interpretation war emotional, aber nicht verzweifelt und leidend wie bisher. Du wirkst auch ganz anders als noch gestern nach der Probe, du strahlst richtig, statt wie ein Häufchen Elend auszusehen. Lass dich nicht unterkriegen, es wird schon alles gut! Wenn du so weiter machst, muss ich mir keine Sorgen mehr machen." Er drückte mich kurz an sich und überglücklich bedankte ich mich bei ihm. Das Leben machte wieder Spaß, auch ohne Robin in meiner Nähe! Durch diesen kleinen Erfolg den ich gerade gewann, fühlte ich mich mit Robin noch enger verbunden und ich wusste, er wäre stolz auf mich. Aber noch wichtiger war, dass ich selber stolz auf mich war!
Am nächsten Tag hatte ich probenfrei und so spielte ich am Abend noch im Hotel. Ich wollte nicht länger Schulden bei Sergej haben, der damals am Samstag für mich einsprang. Während der Woche war in der Bar nicht viel los und zusammen mit Tom konnte ich einen entspannten Abend verbringen. Seit ich so intensiv probte, sahen wir uns kaum und ich vermisste seine Gemeinschaft. Und außerdem brauchte ich ein wenig Ausgleich zu dem anstrengenden Opernprojekt und ich sehnte mich wieder danach, noch was anderes zu singen als die Mimi. Seit Robin weg war, hatte ich nicht mehr in der Bar gesungen. Ich freute mich umso mehr auf diesen Abend und versprach mir selber, nicht deprimiert zu werden, wenn die Erinnerungen an die Freitagnacht in mir aufsteigen sollten. Robin liebt mich und wir werden uns wieder sehen, nur das ist wichtig. Ich bin eine glückliche junge Frau und habe keinen Grund zu trauern. Dieser Abend voller Magie bescherte mir die schönsten Momente in meinem Leben und ich will nur mit Freude darauf blicken und auf das, was noch folgen wird. So redete ich mir Mut und Optimismus zu und trat selbstbewusst und gut gelaunt in das Hotel ein. Entspannt spielte ich mehrere Klavierstücke und sang nur einige leichtere Songs, um meine strapazierte Stimme zu schonen. Als letztes Lied wählte ich Robins Ballade, die ich am Freitag für ihn gesungen hatte. Ich sang sie mit der vollen Innbrunst meiner Verliebtheit und spürte, wie ich dabei vor Glück strahlte. Es war keine Spur Traurigkeit dabei, ich lebte tief verankert in der Hoffnung auf unser Wiedersehen und mit diesem Song bewies ich mir symbolisch meine Bereitschaft zu warten und nur das zu akzeptieren, was ich von Robin in dieser scheinbar so aussichtslosen Beziehung kriegen konnte. Als ich die Ballade am vergangenen Freitag sang, wusste ich noch nicht, was auf mich zukommen würde. Ich hatte nur meine unerfüllten Träume und eine leise Vorahnung, die mich durch ihre aufregende Unglaublichkeit ängstigte und einschüchterte. Aber an diesem Abend war für mich das Leben klar und vielversprechend, ich fühlte mich sicher und beschützt und ich freute mich auf die Zukunft, die so vielversprechend und verlockend mit mir liebäugelte. Tom empfing mich mit gespannt überraschtem Blick, als ich vom Flügel aufstand und mich zu ihm gesellte: "Mensch, du bist aber heute gut drauf! Ich hatte schon Angst, dass dich die Erinnerungen an Robin wieder in die Krise stürzen würden", sprach er sichtbar erleichtert.
"Ich weiß, ich hatte auch ein wenig Bammel davor, aber ich sehe das Ganze mittlerweile positiv, so wie du es mir empfohlen hast. Ja, ich bin immer noch verliebt in Robin, aber ich habe die tollsten Erinnerungen an ihn und die lass ich mir durch mein sentimentales Gemüt nicht verderben."
Mein lieber Tom, wenn du nur wüsstest, was für Erinnerungen ich an Robin habe! Und nicht nur Erinnerungen, er ruft mich fast jeden morgen an und wir warten sehnlichst auf unser Wiedersehen. Kein Wunder, dass ich so gut drauf bin!, erzählte ich Tom in Gedanken von meinem süßen Geheimnis, das ich so gerne mit ihm geteilt hätte. Er goss uns Sekt ein und gutgelaunt prosteten wir uns zu. "Auf die Zukunft!", sagte ich bedeutungsvoll.
"Auf die Zukunft!", wiederholte Tom, ohne zu wissen, was konkret ich dabei meinte und wir stießen an. Ich strahlte aber weiter und träumte mit offenen Augen. Vor mir sah ich jeden Augenblick, den ich in jener Nacht mit Robin verbracht hatte und triumphierte innerlich dabei.
Längst war ich kein Aschenputtel mehr. Robin nahm mich zwar nicht in seinen Palast mit, aber er öffnete mir dafür die Tür in mein eigenes Reich, wo ich mich auch ohne ihn an meiner Seite wie eine Königin fühlte. Schon kurz nach Mitternacht kam ich nach Hause und fiel erschöpft, aber zufrieden ins Bett. Die Schmuckschatulle aus Samt, die ich in Y. Gekauft hatte, lag auf meinem Nachttisch neben dem Bett. Wie immer nahm ich sie in die Hände, wie ein festes Ritual vor dem Einschlafen und öffnete sie. Sie ertönte sanft mit ihrer wehmütigen Melodie, aber in dieser Nacht war es das erste Mal, dass mich die Musik nicht traurig machte. Ich betrachtete eine Weile die kleinen Erinnerungsstücke, die sich in der Schatulle befanden - einige getrocknete Rosenknospen, Robins Notizzettel mit seinen Abschiedsworten, der Backstagepass, das Foto mit dem Autogramm und das Bild von Robin, das ich heimlich geschossen hatte, als er in meinem Bett schlief. Es fehlte nur noch eine blonde Haarsträhne und die Sammlung wäre komplett, lächelte ich innerlich. Fast andächtig machte ich meine kleine Schatztruhe wieder zu und legte sie an ihren Platz. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass ich mich mit meiner Situation endlich abgefunden hatte und nicht länger unter der Trennung litt. Ich hatte die Gewissheit, dass ich Robin wiedersehen würde und ich lebte während der langen Wartezeit mein eigenes Leben intensiver und bewusster als zuvor.
Die Nacht schlief ich durch, ich wachte erst auf, als kurz vor sieben das Telefon auf dem Boden neben dem Bett klingelte. Noch schlaftrunken suchte ich nach dem Hörer und meldete mich müde, doch erwartungsvoll. Es konnte nur Robin sein, so früh am Morgen! "Ja, Diana?"
"Guten Morgen Baby, habe ich dich wieder geweckt?" fragte Robin unschuldig.
"Natürlich hast du mich geweckt, wie immer", antwortete ich zufrieden und streckte mich lang unter der Bettdecke.
"Es tut mir leid, ich kann dich nur sehr schwer anrufen, wenn bei dir Abend ist", entschuldigte er sich.
"Ist schon in Ordnung, es ist schön, von dir geweckt zu werden. Es gibt nur eine noch schönere Art, durch dich wach zu werden...", erklärte ich ihm und vergaß sofort meine Müdigkeit.
"Wenn ich es könnte, würde ich dich gerne so wecken, wie du es dir wünschst. Du wirst es schon sehen, es dauert nicht mehr lange...", sprach Robin verheißungsvoll.
"Ich bin ganz geduldig geworden und beklage mich nicht mehr über die lange Zeit, die uns voneinander noch trennt", versuchte ich auch so optimistisch wie Robin zu klingen.
"Braves Mädchen, das höre ich gerne. Wie geht es mit den Proben? Du hast nur noch wenige Tage bis zu der Vorstellung, stimmt's?" erinnerte mich Robin daran, wie die Zeit doch schneller verging, als ich dachte.
"Ja, am Samstag ist es soweit. Ich freue mich sehr, bin aber auch schon ziemlich aufgeregt, wenn ich daran denke. Zum Glück bin ich bestens vorbereitet und fühle mich völlig sicher."
"Das freut mich sehr. Du wirst großartig sein, davon bin ich überzeugt." Robins Stimme klang so glaubwürdig, dass ich mich gleich noch zuversichtlicher fühlte.
"Danke. Und wie kommt ihr mit der CD voran? Bist du immer noch zufrieden mit dem kreativen Vorgang?"
"Auf jeden Fall! Die Jungs finden meine neuen Stücke sehr gut und die passen auch zu den anderen Songs, die wir schon vorher aufgenommen hatten. Tony machte natürlich einige Bemerkungen, als wir alleine im Studio waren, er weiß ja, wie du mich positiv beeinflusst hast. Die anderen Jungs vermuten es bestimmt auch, aber sie trauen sich nichts zu sagen, sie kennen unsere Regeln. Nur Tony als alter Freund erlaubt sich so manchen Scherz mit mir. Aber ich kann ihm völlig vertrauen, er wird uns niemals verraten", lächelte Robin entspannt und erfreut über seine Arbeit.
"Es freut mich so sehr, das zu hören! Ich kann's kaum erwarten bis das Album fertig ist und ich endlich die Songs hören kann", sprach ich auch begeistert und geschmeichelt wie immer, wenn Robin mir zugestand, dass ich ihn bei dem Komponieren inspirierte.
"Baby, ich habe eine Überraschung für dich", sagte Robin plötzlich mit geheimnisvoller Stimme und ich hielt den Atem an.
"Hoffentlich eine Gute", sprach ich verunsichert und richtete mich erwartungsvoll auf.
"Ich glaube schon, dass es dir gefallen wird", erahnte ich in Robins Stimme sein schelmisches Lächeln, als er eine bewusste Pause einlegte.
"Sag es endlich, lass mich nicht zappeln", flehte ich ihn an, als ich die Spannung nicht mehr ertragen konnte.
"Ist in Ordnung, ich erzähle ja schon“, erbarmte er sich endlich und ich drückte den Hörer noch dichter an mein Ohr, um ja nichts zu überhören.
„Ich sprach letzte Woche mit meiner Filmagentin über die Fernsehproduktion in England und mein Treffen mit dem Produzenten. Sie ist ziemlich begeistert über das Projekt und ist überzeugt wie du, dass ich die Rolle des Lords spielen muss, und so habe ich mich entschieden, sie anzunehmen und den Vertrag zu unterschreiben. Vielleicht wird die Rolle doch interessanter, als ich anfangs dachte, ich habe das Drehbuch inzwischen ganz gelesen. Der Typ, den ich spielen soll, ist ziemlich runtergekommen, ein kaputter Trinker, der indirekt schuld an dem Unfalltod seiner Frau ist und zu aggressiven Wutausbrüchen neigt, mit denen er seine innere Verzweiflung und Schuldgefühle vor der Welt verstecken möchte. Er ist ein ziemlicher Widerling, der jedoch hinter seiner rauen, wilden Schale einen weichen Kern verbirgt, der erst entdeckt werden muss. Das hört sich schon ein wenig anders an, er ist nicht so glatt und langweilig wie ich anfangs befürchtete", hörte ich die Erleichterung und auch Begeisterung in Robins Stimme.
"Das ist ja toll, ich wusste es, dass die Rolle für dich wie geschaffen ist!", freute ich mich für ihn. Endlich kriegt er eine Chance als Schauspieler! Und wie es scheint, musste er dabei nicht nur gut aussehen, sondern auch schauspielern können!
"Aber das ist noch nicht alles“, sprach Robin weiter mit zweideutigem Tonfall. „Die Filmagentin sprach anschließend noch mit meinem Manager wegen der Terminplanung und ähnliches und sie telefonierte auch schon mit dem Produzenten wegen der Dreharbeiten. Termintechnisch werde ich für den Dreh nur in den zwei Sommermonaten Zeit haben, im Frühling sind wir unterwegs, um die CD zu promoten und im Herbst touren wir für einige Monate. Der Produzent will dringend einige Probeaufnahmen machen und natürlich den ganzen Papierkram mit mir und der Agentin erledigen, also müssen wir uns sehr schnell treffen. Ich betonte, dass wir nach Weihnachten intensiv im Studio arbeiten und ich keine Zeit mehr haben werde und als er fragte, ob ich sonst eine Möglichkeit für unser Treffen sehe, schlug ich ihm vor, noch vor Weihnachten kurzfristig nach England zu fliegen und mich dort mit ihm zu treffen. Er war sofort einverstanden und so vereinbarten wir einen Termin am nächsten Montag. Meine Agentin wird aus Hollywood direkt nach London fliegen und ich reise allein, wir treffen uns am Sonntag Abend. Nun, was hältst du davon?" fragte er schließlich, nachdem er mir so ausführlich seine Pläne erklärt hatte. Wie sehr ich mich auch für ihn freute - der Gedanke, dass er so bald wieder nach Europa reiste, ich ihn aber nicht treffen würde, hatte einen bitteren Nachgeschmack. "Das sind wunderbare Neuigkeiten, Robin. Ist nur schade, dass wir uns nicht sehen werden, wenn du schon in der Nähe bist...", sagte ich mit immer leiserer Stimme und kämpfte mit der Enttäuschung, die mir die bisherige Stimmung mächtig zu trüben begann.
"Baby, ich habe das wichtigste ausgelassen, ich wollte die Spannung noch weiter steigern. Es tut mir leid, ich bin echt gemein, dass ich so mit dir umgehe", entschuldigte sich Robin hastig, als er meinen inneren Zustand bemerkte. "Ich bin mit der Agentin am Sonntagnachmittag verabredet, aber ich fliege nicht direkt nach London, ich mache einen Abstecher und lande am Samstagnachmittag dort, bei dir, besuche deine Vorstellung und dann haben wir eine ganze Nacht und den Morgen nur für uns. Gefällt dir das besser?"
"Robbie, machst du schlechte Scherze mit mir?" fragte ich zögernd nach einigen Sekunden Pause. So plötzlich konnte ich es noch nicht fassen, dass er tatsächlich am folgenden Samstag zu mir kommen wollte!
"Nein, Baby, es ist mein Ernst, ich komme zu dir, ich will dich auf der Bühne sehen und dann verbringen wir die Nacht zusammen." Robin klang überzeugend und langsam begriff ich, dass wir uns tatsächlich in einigen Tagen schon wiedersehen würden!
"Aber, wie erklärst du es zu Hause, warum du erst hier landest?", suchte ich noch skeptisch nach möglichen Hindernissen, bevor ich mich endgültig der Freude überlassen konnte.
"Claire sagte ich, dass ich mich mit der Agentin schon am Sonntag Vormittag treffe und deswegen eine Maschine früher nehmen muss. Es ist schon alles geklärt und mein Manager kommt auch nicht mit. Francis, meine Agentin, wird sich um alles kümmern, so dass ich problemlos einen Umweg machen kann. Ich fahre auch alleine zum Flughafen und lass das Auto da stehen. Claire wird nicht mitkriegen in welche Maschine ich tatsächlich steigen werde. Ich habe an alles gedacht, Diana. Das einzige Risiko ist, wenn sie am Samstag Abend eventuell noch mal mit mir reden will und versucht mich in Hotel anzurufen. Ich habe schon mit dem Hotel in London gesprochen und sie werden darauf vorbereitet sein. Den Hotelmanager kenne ich persönlich von früher und er tut alles für seine Gäste und erfüllt fast alle ihre Wünsche. Wenn Claire anruft und nach mir verlangt, werden sie sagen, ich bin momentan nicht erreichbar und dann rufen sie gleich bei dir an, so dass ich sie zurückrufen kann."
"Ja, das klingt gut, bin beruhigt", entspannte ich mich endlich.
"Freust du dich ?"
"Robin, ich bin außer mir vor Freude! Ich hoffe nur, ich werde vor doppelter Aufregung am Samstag nicht noch durchdrehen", lächelte ich.
"Nein, das wirst du nicht. Ich kann's kaum erwarten dich zu sehen, ich vermisse dich sehr, Diana", streichelte mich seine Stimme und berührte mich mit der Art, wie er sanft meinen Namen aussprach.
"Und ich dich erst, Robbie“, erwiderte ich zärtlich. „Ich muss jetzt auch noch überlegen, wie ich dich in den Saal reinschmuggle, ohne dass jemand dich erkennt", sagte ich stirnrunzelnd.
"O ja, das wäre schon wichtig, ich möchte mich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Überlege es dir, ob es einen Weg gibt. Sonst muss ich leider in deiner Wohnung auf dich warten."
"Ich finde schon eine Lösung, keine Sorge. Das wäre doch Schade, wenn du mich nicht auf der Bühne sehen würdest."
"Auf jeden Fall, deswegen passt ja dieser Termin so gut. Mir war es wichtig, deine Vorstellung zu erwischen."
"Es ist lieb von dir, dass mein Leben dich so interessiert", sprach ich durchflutet von einer weichen Woge der Zärtlichkeit und Zuneigung für Robin, die bei seinen Worten in mir aufstieg.
"Aber selbstverständlich Baby, du weißt doch, dass du mir wichtig bist."
Auch in seiner Stimme bemerkte ich die Gefühle, die er für mich empfand und ich fühlte fast die gleiche Glückseligkeit wie in seiner Umarmung.
"O Gott, wie ich mich schon auf dich freue!", platzte die ungetrübte Freude endlich laut aus mir heraus.
"Freue dich erst auf deine Vorstellung und dann auf mich", lächelte Robin.
"Ja, du hast recht, ich darf jetzt nicht den Kopf verlieren", lachte ich.
"Nein, das kannst du erst tun, wenn wir danach wieder bei dir im Schlafzimmer sind und ich mich auf die Suche nach deinem Tattoo begebe", sprach Robin verlockend und in mir regte sich augenblicklich die wieder erweckte Begierde nach ihm, die so unerwartet vielversprechende Aussichten bekam.
"Darauf kannst du dich verlassen", versprach ich ihm selbstzufrieden grinsend und angetörnt von dieser Vorstellung.
"Ich ruf dich morgen oder spätestens übermorgen noch mal an, dass wir noch die Details besprechen können, in Ordnung?"
"Ja, in Ordnung. Und ich mache bis dahin einen Plan, wie ich dich unbemerkt in den Saal reinkriege."
"Dann bis bald, Baby."
"Bis bald Robbie." Diesmal versprach dieser Satz wirklich das was er bedeutete! In drei Tagen werde ich ihn wieder sehen! Damit hatte ich niemals gerechnet und ich sah dieses kleine Wunder als eine Bestätigung dafür, dass es für unsere Beziehung wirklich einen Weg geben würde.
Lange blieb ich noch im Bett liegen und fühlte mich wie im leichten Fieber. Dieses Wechselbad der Gefühle, das ich durch Robin empfand, war mit Abstand das Heftigste was ich je bei einem Mann erlebt hatte. Nach den berauschenden Tagen und Nächten die wir zusammen verbracht hatten, war ich noch vor einer Woche krank von dem Trennungsschmerz, den ich nach unserem Abschied empfand und der mich so bedrohlich runterzog. Und als ich endlich mit der Vorstellung, die nächsten Monate ohne ihn verbringen zu müssen Frieden geschlossen hatte und meine Trauer beendete, schon katapultierte mich die unerwartete Tatsache, dass ich ihn so schnell wiedersehen werde, weit aus meiner Mitte heraus und erfüllte mich mit Aufregung, Freude und Euphorie. Dieser Mann wusste es zu gut, wie er mein Leben völlig aus dem Lot bringen konnte. Was sagten mir die Karten? Die Speeracht versprach mir Aufregung, anstrengendes Abenteuer, Geschehnisse, die schneller als erwartet eintreten, eine atemraubende Achterbahn der Gefühle. Genauso fühlte ich mich auch. Aber vor allem war ich glücklich. Ich freute mich auf meinen großen Auftritt am Samstag und der Mann, den ich so liebte und der mich begehrte, wird dabei sein. Und danach wird er die ganze Nacht lang nur mir gehören, als Krönung meines Erfolges, dessen ich mir sicher war.
Ich fühlte eine große innere Stärke und mein Selbstvertrauen überraschte mich immer wieder, wenn ich an die Vorstellung dachte. Ich zerfleischte mich nicht mit Selbstzweifeln und Versagensängsten wie sonst, ich blickte zuversichtlich auf den Samstag und glaubte fest daran, dass mir diese Rolle angeboten wurde, weil ich dafür die erste Wahl war. Das war neu für mich, ich gehörte zu den Musikern, die schon mehrere Tage vor dem Auftritt nicht schlafen können, die an den eigenen Erfolg nicht richtig glauben und die sich selber nicht zu gestehen trauen, wie gut sie eigentlich sind. Diese innere Wandlung gefiel mir und ich wusste, wie vieles ich davon Robin zu verdanken hatte.
Genauso, wie er mir geholfen hatte, als Frau erotisch erwachsen zu werden und mir den Zugang zu meiner noch unentdeckten Sexualität ermöglicht hat, zeigte er mir auch als Künstlerin mein schlummerndes Potential, das ich so stiefmütterlich behandelte und nicht richtig anerkennen wollte. Aus dem anfänglichen Wunsch, Robin mit meinen musikalischen Fähigkeiten beeindrucken zu wollen und seine Aufmerksamkeit zu wecken, entwickelte ich ein gesunder Ehrgeiz und ein Verlangen nach Anerkennung für mich selber, ohne den Anderen gefallen zu wollen. Mir wurde bewusst, dass ich am Samstag in erster Linie wegen der Musik auf die Bühne gehen wollte, wegen der eigenen Befriedigung beim Singen und nicht weil ich bestimmte Erwartungen zu erfüllen hatte.
Gut gelaunt sprang ich aus dem Bett und versuchte nicht länger meine Aufregung wegen Robins Besuch zu unterdrücken. Warum auch? Sie gab mir noch den zusätzlichen Ansporn und Energiekick, die ich gut für meinen Auftritt verwenden konnte. Ich hatte die besten Voraussetzungen für meine Rolle. Nicht nur, weil ich bestens vorbereitet war und ich mich absolut sicher fühlte, ich war körperlich und psychisch top in Form und dazu noch glücklich verliebt.
Später zeigte sich die Sonne, die ich im dunklen Winter noch besonders willkommen hieß. Vor offener Balkontür führte ich meinen Sonnengruß aus und während der Yogaübung hielt ich mein Gesicht den ersten Sonnenstrahlen entgegen. Die brannten nicht, sie verwöhnten mich mit lieblicher Wärme und ausgiebig tankte ich noch zusätzlichen Optimismus und gute Laune. Hoch über mir zeichnete ein aufsteigendes Flugzeug weiße Spuren in den wolkenfreien, blauen Himmel und weckte in mir die Sehnsucht nach gemeinsamem Abheben mit Robin. Mein Leben fühlte sich genau so weit, offen und einladend wie dieser kristallklare Wintermorgen an. Ausgelassen grüßte ich mit dem uralten Ritual die Sonne und mit jedem tiefen Atemzug ließ ich sie ganz in mich hineindringen. Mit der Pranayama Atemtechnik absorbierte ich ihr matt goldenes Licht in jede Zelle meines Körpers und speicherte die lebensspendende Energie als kostbare Reserve für schlechtere Tage. Zwei abgemagerte Spatzen pickten die Körner aus dem Vogelhäuschen auf der Balkonbrüstung und zwitscherten vergnügt dabei, ohne sich von mir gestört zu fühlen. Ich wunderte mich schon, wann die Vögel mein Angebot entdecken würden und der Anblick erfreute mich umso mehr. Ich fühlte mich so lebendig und blühend wie im Mai und die schlafende, spärliche Natur um mich bildete einen starken Kontrast zu meinem überschäumenden inneren Zustand. Als ich zu frieren anfing, schloss ich die Balkontür, aber die Sonne blieb weiter bei mir und begleitete mich mit ihren langen Fingern durch das Zimmer. Sie leistete mir Gesellschaft bei dem späten Frühstück, wo sie schließlich ein breites goldenes Band auf meinen Tisch drapierte. Das blieb auch dann noch dort liegen, als die Sonne schon langsam über die Dächer weiter zog und ihren höchsten Stand an diesem kurzen Dezembertag erreichte. Aus dem Radio auf meinem Kühlschrank ertönte plötzlich Robins Band mit einem ihrer größten Hits, was mich sofort zu einem euphorischen Freudentanz durch die Küche bewegte. Den Song verstand ich als ein gutes Omen und das machte diesen Tag noch vollkommener. Ich liebte mein Leben wie schon lange nicht mehr und als ich nachher den Staub von meinem Altar wischte, lächelte mich die blauäugige Göttin noch lieblicher an als sonst.
An diesem Nachmittag hatte ich meine letzte Probe mit einem Durchlauf. Ich hoffte, Frank würde seinen Spätdienst haben und so könnte ich alles Notwendige für Robins Besuch am Samstag mit ihm besprechen. Frank war der Hauptpförtner in der Hochschule und zu ihm hatte ich einen guten Draht. Seit einigen Jahren verbrachte er seinen Urlaub in meiner Heimat und so hatten wir immer ausreichend Gesprächsstoff. Oft gab ich ihm gute Tipps und Besichtigungsvorschläge, wofür er mir in seiner bescheidenen Art sehr dankbar war. Als ich durch die große Eingangstür eintrat, erblickte ich ihn zu meiner Erleichterung. Er saß wie immer hinter seinem Pult und telefonierte. Ich blieb neben dem großen, von ihm liebevoll gepflegten Ficusbaum stehen, und wartete darauf, dass er sein Gespräch beendete. "Du, es tut mir leid, es gibt kein freies Zimmer im Augenblick", sprach er mich nach dem Gruß an, weil er annahm, ich benötigte wie üblich einen Übungsraum.
"Ich brauche keinen Raum, ich muss mit Ihnen etwas besprechen", sagte ich bedeutungsvoll und sah mich um.
"Ja, was gibt's denn?" weckte ich natürlich sofort seine Neugier. Mit einer Handgeste lud er mich in das Zimmerchen hinter dem Pult ein, wo er mir den einzigen Stuhl im Raum anbot.
"Danke Frank, ich brauche mich nicht hinsetzen", lehnte ich ungeduldig seinen Angebot ab. "Wissen Sie, ich habe eine große Bitte an Sie. Sie sind am Samstagabend doch im Dienst, oder?" musste ich mich erst vergewissern, ehe ich loslegte.
"Aber freilich, wie immer bei großen Vorstellungen", erwiderte Frank nickend und musterte mich erwartungsvoll durch seine dicken Brillengläser.
"Ich kriege an diesem Abend einen wichtigen Gast, der mich unbedingt auf der Bühne sehen will. Das Problem dabei ist aber, dass er ein ziemlich berühmter Mann ist, der rein privat in der Stadt unterwegs ist und er möchte nicht erkannt werden. Deswegen suche ich eine Möglichkeit, ihn in den Saal reinzukriegen, ohne dass jemand ihn dabei sieht. Und dafür bin ich auf Ihre Hilfe angewiesen", bemühte ich mich zu meinem bezauberndsten Augenaufschlag, als ich ihn hoffnungsvoll anschaute.
"Ich verstehe", nickte Frank und ließ seinen Blick in die Ferne streifen. Dabei streichelte er konzentriert über sein Bärtchen und kniff seine Augen noch mehr zusammen.
"Ich hab's!", entspannte sich nach kurzem Grübeln sein angestrengter Gesichtsausdruck und er lächelte mich verschwörerisch an, offensichtlich erfreut über seine Idee. "Der Beleuchtungsbalkon! Da kann er rauf! Was hältst du davon?" fragte er begeistert. In Gedanken überprüfte ich rasch seinen Vorschlag. Der Beleuchtungsbalkon befand sich über dem Publikumsraum und wurde nur noch von den Lichttechnikern benutzt, obwohl man von da aus einen sehr guten Blick auf die Bühne hatte. Dort oben war es immer ganz dunkel und der Lichttechniker würde auch aus der Nähe sein Gesicht kaum erkennen können. So kann Robin die Aufführung ungestört und inkognito verfolgen und dazu noch eine tolle Aussicht genießen! Die Idee gefiel mir immer mehr und ich verspürte eine große Erleichterung. "Frank, das ist eine geniale Idee! Tausendmal Danke! Sie wissen nicht, wie sehr Sie mir damit helfen!", bedankte ich mich bei Frank und am liebsten hätte ich ihn umarmt.
"Dein Gast muss aber kurz nach 19 Uhr bei mir erscheinen, wenn das Publikum schon im Saal sitzt und dann bringe ich ihn auf den Balkon", fuhr Frank mit seinem Plan fort. "Wenn der Vorhang am Ende fällt, muss er auch sofort wieder verschwinden. So wird ihn keiner bemerken." Frank freute sich, als er meine offensichtliche Dankbarkeit und Wertschätzung für seine Hilfe bemerkte. Er war ein hilfsbereiter und freundlicher Mensch und er konnte nicht erahnen, wie sehr er uns damit half. Ich konnte niemand anderen außer ihn um Hilfe bitten, ohne Robin verraten zu müssen.
"Einverstanden. Ich werde meinem Gast alles erklären, so dass er direkt auf Sie zukommt, sagen wir… um zehn nach sieben. Er wird einen Cowboyhut tragen und eine schwarze Sonnenbrille", gab ich ihm noch die nötigen Hinweise, die sich mir spontan anboten.
"So, so, ein Cowboy", lächelte Frank schelmisch und auch ein bisschen staunend.
"Bitte Frank, ich verlasse mich auf Ihre Diskretion. Sie wissen nicht, wie wichtig das für mich ist", erklärte ich ihm ernst.
"Aber natürlich, ich werde schweigen wie ein Grab, auch wenn ich deinen geheimnisvollen Cowboy doch erkennen werde", versicherte mir Frank. Das glaubte ich ihm und ich fand es auch eher unwahrscheinlich, dass er Robin erkennen würde. Frank war ein älterer Mann und mit Sicherheit kannte er sich mit Rocksängern nicht aus. Was ich aber für alle meine Kommilitonen, die Lehrer, das Publikum und besonders eventuelle Presse nicht behaupten konnte. Mit Franks Hilfe ließ sich diese Gefahr fast vollständig vermeiden und meine Freude darüber war immens. "Super! Ich schulde Ihnen etwas", sagte ich schließlich mit einem erleichterten Lächeln auf dem Gesicht.
"Ach komm, ist ja keine große Sache. Du kannst mir für den Sommer eine neue, mir noch unbekannte Ecke deines Landes empfehlen und dann sind wir quitt", antwortete Frank freundlich.
"Sehr gerne, darauf können Sie sich verlassen. Bis später!", verabschiedete ich mich schon von ihm und begab mich in den großen Saal. Auf dem Weg dahin wollte ich nämlich noch die Gelegenheit nutzen und schnell den Beleuchtungsbalkon besichtigen. Leise öffnete ich die Tür im Treppenhaus im ersten Stockwerk und trat in den fast ganz dunklen Raum ein. Neben den Leuchten und Scheinwerfern standen mehrere Stühle und einige Requisiten. Ich blinzelte einige Male mit den Augen, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Der Haupttechniker bediente gerade einen großen Scheinwerfer, der mit bläulichem Licht eine kalte, winterliche Atmosphäre auf der Bühne zauberte. Ich grüßte ihn, als er zu mir aufschaute. "Hallo Peter, alles bereit?"
"Hallo Diana. Ja, es läuft alles bestens. Ist was?" war er wie immer kurz gebunden.
"Nein, nein, alles O.k., ich wollte mich nur umschauen. Ein Freund von mir wird sich am Samstag die Aufführung von hier aus anschauen. Frank wird ihn hierher bringen. Hoffentlich stört dich das nicht?", ließ ich schnell die Katze aus dem Sack.
"Nein, so lange er mir nicht die Scheinwerfer umkippt", erwiderte er knapp.
"Das wird er bestimmt nicht tun, er wird sich gleich neben der Tür hinsetzen", versicherte ich ihm.
"Dann ist es kein Problem."
"Gut, ich wollte es dir nur vorher sagen", merkte ich, dass ihn Robins Anwesenheit am Samstag nicht weiter interessierte. "Na dann, mach’s gut", verabschiedete ich mich schon. Peter war kein besonders gesprächiger Geselle und er murmelte nur etwas wie einen Gruß zurück, weiter vertieft in seine Aufgabe. Das Problem war nun gelöst und Robins Besuch am Samstag stand nichts mehr im Weg! Erfreut darüber lief ich die Treppe hinunter in den Saal. Die Probe lief sehr gut, ich war konzentriert und zuversichtlich. Stimmlich schonte ich mich ein wenig und markierte an einigen Stellen, um am Samstag frisch und fit zu klingen. Herr Bergmann entließ mich anschließend ohne längere Kommentare nach Hause. Vor mir lag nur noch die Generalprobe am Freitag. Am nächsten Tag hatte ich nämlich frei. Die Zweitbesetzung war dran mit dem Durchlauf und Herr Bergmann fand es nicht nötig, noch extra mit mir zu arbeiten. Ich zog den dicken Mantel, den ich auf der Bühne trug, aus und reichte ihn der Kostümbildnerin. Marco, unser Dirigent, gab mir aus seinem Orchestergraben ein Handzeichen. Offensichtlich wollte er mich sprechen. Auf der steilen Holztreppe verließ ich die Bühne und wir trafen uns bei dem Flügel, wo er mir die dicke Partitur vor die Nase hielt. "Es ist alles klar, nur an dieser Stelle wollte ich noch mal mit dir klären, wie viel Zeit genau du brauchst", erklärte mir Marco sein Anliegen. Das war die Stelle vor einem hohen Ton, den ich besonders langsam anschwellen lassen wollte und dafür benötigte ich vorher eine größere Atempause. Marco markierte sich die Stelle, nachdem ich ihm die paar Takte noch mal vorgesungen hatte. "Sehr schön wie du das machst, äußerst effektvoll", lobte er mich. "Ich werde auf dich warten, du kannst dich ganz auf mich verlassen".
"Danke Marco! Toll, dass wir das noch mal geklärt haben, sonst hätte ich Bedenken, ob ich den Ton so singen werde, wie ich es eigentlich möchte. Jetzt muss ich mich nicht mehr zurückhalten", freute ich mich auf sein Entgegenkommen. Als Sängerin fühlte ich mich oft unwohl, wenn ich merkte, dass der Korrepetitor nicht meinem musikalischen Impuls folgte, sondern er mir sein eigenes Tempo oder Phrasierung aufzuzwingen versuchte. Plötzlich musste ich unwillkürlich an Sex denken, wo es genauso darauf ankommt, wie einfühlsam der Partner ist und ob er bereit ist, sich dem Tempo der Partnerin anzupassen. Ich lächelte, als ich merkte, wie mich mein durch Robin verstärktes erotisches Bewusstsein sogar beim Musizieren beeinflusste.
"Warum lächelst du?", fragte Marco und klappte die schwere Partitur zu.
"Ach nichts, ich habe nur eine unpassende Assoziation gekriegt", antwortete ich amüsiert.
"Erzähl doch, ich will auch deine gute Laune haben", forderte Marco von mir und legte seine Brille ab. Seine Augen sahen sehr müde aus. Wie alle jungen Dirigenten war auch er ein Arbeitstier und gönnte sich selten eine Pause.
"Nein, du wirst dann schlecht über mich denken", wehrte ich mich lachend.
"Komm schon, sag es einfach, mich kann nichts so schnell schockieren", ließ er nicht locker.
"Na gut", gab ich schließlich nach. "Ich dachte daran, dass ein guter Dirigent wie ein guter Liebhaber ist. Er gibt der Dame die Zeit die sie braucht und passt sich ihren Impulsen an und ermöglicht ihr damit ihren Höhepunkt, sei es musikalisch oder sexuell gemeint", verriet ich ihm so meine Assoziation.
"Das ist gut! Es gefällt mir!", rief Marco begeistert aus und lachte. "Eine sehr raffinierte Parallele! Musik und Sex sind ähnlicher als man denken würde. Beides ist ein sinnliches, rhythmisches, emotionales und berauschendes Erlebnis. Das Zusammenspiel zwischen zwei musikalischen Partnern ist durchaus vergleichbar mit zwei sexuellen Partnern. Es geht dabei um Verständnis, intuitive Kommunikation, Einfühlungsvermögen, ja, um die richtige Chemie zwischen den Beiden. Wenn das alles passt, ist das Ergebnis wunderbar."
Marco breitete meine Assoziation sehr weit aus und hatte sichtbaren Spaß dabei. Dabei gestikulierte er heftig und seine tief liegenden Augen funkelten, während er seinen typischen, südländischen Charme versprühte und mich zum lachen brachte. Ich mochte Marco ziemlich und wir verstanden uns gut. Als Pianist begleitete er mich öfter, wenn Max gerade keine Zeit dafür hatte.
"Ich finde es einfach toll, dass wir uns mit dem Gestalten meiner Partie so einig sind. Du bist ein sehr guter Dirigent und deine Unterstützung bedeutet mir sehr viel", gab ich ihm schließlich mein ernst gemeintes Kompliment.
"Vielen Dank für die Blumen! Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit", bedankte sich Marco ein wenig verlegen und senkte für einen Augenblick seine dunkelbraunen Augen. "Sag mal, deiner Theorie nach müsste das heißen, dass ich ein guter Liebhaber bin, stimmt's?“, folgte gleich seine freche Frage, begleitet von breitem Grinsen.
"Ja, eigentlich schon", gab ich ihm die Antwort, die er von mir hören wollte und packte etwas reservierter meine Noten in den Rucksack. Ich wollte mich nicht näher auf seine Flirtversuche einlassen, ich vermutete nämlich, dass er Interesse an mir hatte. Er flirtete immer ausgiebig mit mir, obwohl er natürlich wusste, dass ich mit Max zusammen bin. Zusammen war, korrigierte ich mich gleich. Max war endgültig Vergangenheit für mich. Marco mochte ich als Musiker und Kumpel sehr, aber eine erotische Beziehung mit ihm konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht nur, weil ich wegen Robin keine Interesse an anderen Männern hatte, er war als Mann einfach nicht mein Typ. Abgesehen davon flirtete er als typischer Latinlover mit jeder hübschen Musikstudentin, mit der er zu tun hatte.
"Wollen wir noch zusammen etwas trinken gehen?", fragte er wie nebenbei.
"Danke Marco, ein anderes Mal, ich will nach Hause, bin sehr müde", musste ich ihn enttäuschen. Aber nach unserem kleinen Spaß, den wir gerade hatten, wollte ich bei ihm keinesfalls den falschen Eindruck erwecken, ich wäre bereit für einen Flirt oder sogar mehr. Es war ziemlich klar, dass er schon von meiner Trennung von Max gehört hatte, Herr Bergmann tratschte ja gerne und besonders solche Neuigkeiten verbreiteten sich immer sehr schnell.
"Na gut, dann ein anderes Mal. Bis Freitag!", akzeptierte Marco ohne Einwände meine Ausrede.
"Bis Freitag, Marco." Wir verabschiedeten uns mit Küsschen auf die Wange und ich verließ den Saal. Im Foyer winkte ich noch freundlich Frank zu, der einen übertrieben verschwörerischen Gesichtsausdruck machte, als er mir zurück winkte. Es war ein guter Tag, dachte ich, als ich abends in mein Bett sank. Nur zwei Abende trennten mich noch von Robin. Er kam mir mit jeder Stunde ein Stück näher und die wohlige Aufregung, die ich dabei verspürte, genoss ich wie ein ausgedehntes Liebesvorspiel. Robin weckte mich am nächsten Morgen wie immer gegen sieben Uhr. Ich meldete mich hellwach und in freudiger Erwartung, trotz der frühen Stunde. "Hi Robbie", begrüßte ich ihn noch ehe ich seine Stimme hörte.
"Hi Baby, hast du etwa meinen Anruf erwartet?" lächelte Robin an der anderen Seite der Leitung.
"Nein, wie kommst du bloß darauf?", lächelte ich auch und lehnte mich gemütlicher auf das Kopfkissen hinter meinem Rücken.
"Na, wie sieht es aus? Kann ich zu deiner Vorstellung?“, fragte Robin gespannt auf meine Antwort.
"Ja, es ist alles erledigt. Ich sprach gestern mit dem Pförtner und er wird dich reinbringen", erklärte ich Robin den genauen Plan bis ins Detail.
"Großartig, das wird einfacher als ich dachte! Ich darf nur meinen Cowboyhut nicht vergessen." In Robins Stimme merkte ich Zufriedenheit und Vorfreude zugleich und das steckte mich an.
"Ja, der Hut wird das Erkennungszeichen für den Frank, er weiß ja nicht wer du bist und wie du aussiehst. Wann landest du hier in der Stadt?"
„Kurz vor 16 Uhr nach deiner Zeit. Ich bin dann um 17 Ihr bei dir, wenn alles gut läuft. Hoffentlich bist du noch Zuhause?"
"Ja, bin ich. Ich muss gegen halb sechs weg. Ich werde mich schon zu Hause einsingen, so dass ich mich in der Hochschule nur noch anziehen und schminken muss. Ich werde dir meine Wohnungsschlüssel geben, weil du nachher alleine reinkommen musst. Nach der Vorstellung werde ich aber nicht zu dem Abendessen mit dem ganzen Ensemble gehen, sondern ich komme so schnell es geht zu dir nach Hause."
"Diana, du darfst wegen mir nichts verpassen, ich werde schon auf dich warten", protestierte Robin gleich.
"Nein, nein, ich komme nicht zum Italiener mit, dafür werde ich noch genügend Gelegenheiten haben. Du kommst nicht gerade jede Woche zu mir und ich will jede Minute mit dir ausnutzen und sie genießen", erklärte ich ihm entschlossen. Bei der Party hätte ich sowie so keinen Spaß gehabt, wenn Robin auf mich in meiner Wohnung warten würde.
"O.k., wie du meinst, du musst es selber wissen", beendete Robin schließlich das Thema. "Ich freue mich wahnsinnig, dich wieder zu sehen", sprach er weiter mit weicher, samtigen Stimme, die meinen Ohren schmeichelte und die überschäumende Vorfreude auf unser Wiedersehen noch genussvoller in mir aufsteigen ließ.
"Ich kann es auch kaum erwarten, Robbie. Manchmal traue ich mich nicht daran zu denken, weil es viel zu schön ist, um wahr zu sein", beschrieb ich ihm meinen aufgewühlten Zustand bei den Gedanken an unser baldiges Treffen.
"Trau dich ruhig, es ist wahr und es wird schön sein", versicherte mir Robin und ich stellte mir vor, wie ich ihn in meine Arme schließe und küsse.
"Du solltest jetzt noch die Zeit nutzen und dich gut ausschlafen, ich werde dir in dieser Nacht keine Pause gönnen", warnte mich Robin mit seinem verführerischsten Tonfall, worauf mein Bauch mit genüsslichem Zusammenziehen reagierte, als ich ganz klar die Bedeutung dieser Worte vor meinen Augen sah.
"Ja, mach ich. Schaffst du es auch?", fragte ich etwas vorsichtig. Wahrscheinlich wird er vor der Abreise noch mit Claire schlafen, stieg in mir dieser bittere Gedanke hoch, noch ehe ich ihn unterdrücken konnte.
"Keine Sorge, ich werde frisch und ausgeschlafen bei dir ankommen. Bin seit heute alleine im Haus, Claire besucht mit dem Kleinen ihre Schwester und ich kann tun, was ich will. Sie kommt erst am Sonntagabend wieder zurück", erklärte mir Robin und ich verstand, was er mir damit sagen wollte. Er kommt zu mir nicht direkt aus Claires Bett! Das bedeutete mir unglaublich viel. Er verstand mein Schweigen die Erleichterung und unterbrach sie nicht.
"Wir hören uns wahrscheinlich nicht mehr. Hoffentlich haben wir alles besprochen", kehrte ich noch mal zu unserem Hauptthema zurück.
"Ja, ich denke schon. Morgen wecke ich dich lieber nicht mehr so früh, ich rufe dich höchstens am Nachmittag noch mal an, du brauchst jetzt Ruhe und viel Schlaf."
"Ja, es ist besser so. Ich werde heute Abend mein Telefon ausschalten, aber mein Anrufbeantworter bleibt an. Am Nachmittag, wenn du aufstehst, bin ich schon in der Hochschule. Ich singe mich mit meiner Gesangslehrerin ein, bevor ich zur Generalprobe gehe. Ich würde sagen, wir verabschieden uns jetzt schon und sehen uns am Samstagabend. Und Robbie", zögerte ich ein wenig und zupfte nervös an meinem Haarzopf.
"Was ist?", wartete Robin, dass ich meinen Satz beendete.
"Weißt du, am Samstag werde ich ganz bestimmt aufgeregt und gereizt wegen der Aufführung sein und ich weiß, ich bin dann nicht immer ganz nett und ausgeglichen. Bitte, nimm es mir nicht übel, wenn ich nicht ganz so bin, wie du es von mir erwartest", sprach ich endlich meine sorgenvollen Befürchtungen aus.
"Aber natürlich Diana, ich kenne das gut von meinem Job. Bitte, mach dir keinen Kopf wegen mir, es ist dein großer Tag und du kannst so sein, wie du bist, ohne Rücksicht auf mich nehmen zu müssen", beruhigte mich Robin gleich verständnisvoll.
"Vielen Dank Robbie, du bist so lieb", antwortete ich zärtlich darauf.
"Nichts zu danken Baby. Also bis Samstag."
"Ja, bis Samstag."
Wir legten auf und ich sank zurück ins Bett. An diesem Tag wollte ich lange schlafen und erst am Nachmittag ein wenig singen. Durch das Gespräch mit Robin hatte ich keine Sorgen mehr, die mich ablenken würden und ich konnte mich völlig auf meinen Auftritt einstimmen. Aber bevor ich wieder einschlief, tauchte ich ganz in die sehnsuchtsvollen Gedanken an Robin ein, die ich im halbwachen Zustand immer am meisten genoss und die mich wie ein lieb gewonnenes Ritual täglich in den Schlaf begleiteten.
Der Tag verlief ruhig und gemütlich. Ich sang mich am Nachmittag ein, um die Stimme warm zu kriegen, aber ich arbeitete nicht mehr an der Rolle. Sie war in meinem Gedächtnis sicher gespeichert und jederzeit abrufbereit. Dieses beruhigende Gefühl verlieh mir großes Selbstvertrauen und es ermöglichte mir erwartungsvolle Vorfreude auf meinen Auftritt am Samstag. An diesem Abend ging ich früh ins Bett und schaltete das Telefon ab. Mein Schlaf war tief und traumlos, ganz anders als sonst vor den Auftritten und ich genoss diese positive Veränderung in meinem Verhalten.
Erst am
späten Vormittag wachte ich auf und erblickte einen strahlend
klaren Wintertag, der durch das Fenster in mein Schlafzimmer gute
Laune streute. Mein Anrufbeantworter blieb stumm, aber ich wusste,
dass Robin an mich dachte. Die Verbindung zwischen uns spürte ich
fast körperlich, wie eine unsichtbare Schnur, die aus unseren
Gefühlen und Empfindungen füreinander bestand und die mir
ermöglichte Robin zu fühlen - trotz der Entfernung, die nicht nur
räumlich so groß war, sondern die vor allem durch Robins
Familienleben eine fast unüberwindbare Barriere zwischen uns
entstehen ließ. Ich glaubte nie an Fernbeziehungen, obwohl ich
zuletzt selber eine führte. Max vermisste ich nicht sonderlich, wir
sahen uns meistens an jedem zweiten Wochenende und das genügte uns
beiden. Erst durch Robin lernte ich, wie unglaublich schwer ist es,
den geliebten Mann nicht sehen zu können, ihn nicht anfassen zu
können, nicht neben ihm aufwachen zu können. Mag sein, dass eine
Fernbeziehung dann möglich ist, wenn man nicht mehr frisch verliebt
ist und das Bedürfnis nach körperlicher Nähe nicht mehr so stark
ist. Aber Robin und ich wurden in einem Augenblick voneinander
weggerissen, als wir gerade die intensivste und verrückteste Phase
unserer Begegnung durchlebten. Wir waren noch völlig süchtig
nacheinander und wir fingen erst an, uns wirklich kennenzulernen
und uns gegenseitig zu entdecken. Das machte unsere Trennung für
mich umso schmerzlicher, ja sogar tragischer. Ich betrachtete es
wie ein wahres Wunder, dass wir schon nach zwei Wochen die
Möglichkeit kriegten, wenigstens für eine Nacht wieder vereint zu
sein und dort fortfahren zu können, wo wir so abrupt unterbrochen
worden waren. Von dem Gedanken, Robin schon am nächsten Abend in
meine Arme schließen zu können, fühlte ich mich wie berauscht. Die
ganze Zeit während ich duschte, schwelgte ich in heißen
Erinnerungen an ihn. Nachdem mich Robin in die Geheimnisse bisher
unbekannter sexuellen Ekstase eingeführt hatte, war ich noch mehr
besessen von seinem Körper und dem himmlischen Genuss, den er mir
so großzügig bescherte. Auch wenn Robin keine besonderen Gefühle
für mich hätte, würde ich ihn mit großer Sehnsucht erwarten,
Hauptsache ich würde noch mal mit ihm schlafen können. Diese
Feststellung überraschte mich ein wenig. War ich doch nicht so
romantisch, wie ich immer dachte? Oder hatte mich mein durch Robin
gewonnenes, sexuelles Selbstbewusstsein so verändert? Geht es
zwischen Mann und Frau letztendlich nicht überwiegend um Sex? Gibt
es sie überhaupt, die große, einzig wahre Liebe oder ist sie nur
eine erfundene Illusion, der wir nacheifern, ohne sie je erreichen
zu können? Eine Beziehung zwischen Mann und Frau ist ohne Sex nicht
richtig möglich. Wir sind nicht dafür geschaffen, glücklich in
einer kumpelhaften WG miteinander zu leben, oder eine
zweckgebundene Kinderaufzuchtstation zu betreiben. Das mag eine
Weile funktionieren, nicht aber auf die Dauer. Ist es nicht so,
dass schon bei der allerersten Begegnung zwischen Mann und Frau
innerhalb von einer Sekunde entschieden wird, ob wir uns
buchstäblich riechen können? Entweder passen wir zusammen oder
nicht und wenn diese Grundvoraussetzung vorhanden ist, kann ein
Paar tatsächlich zusammen alt werden und Händchen haltend den
Lebensabend gemeinsam genießen. Wenn aber unsere Chemie nicht
miteinander harmoniert, werden auch sonstige Gemeinsamkeiten,
ähnliche Interessen und Ziele nicht ausreichen, um eine glückliche
und dauerhaft erfüllende Beziehung zu führen. Mittlerweile war ich
überzeugt, dass Robin und Claire im Bett und auch sonst sehr wohl
zusammen passen mussten. Ein so sinnlicher, leidenschaftlicher und
potenter Mann wie Robin würde niemals mit einer Frau zusammen
bleiben können, die seine erotischen Bedürfnisse nicht erfüllte.
Daran würde auch ein gemeinsames Kind nichts ändern können. Bei mir
und Max stimmten die ähnlichen Interessen, gleicher Bekanntenkreis,
gemeinsame Ziele und vor allem die Liebe zur Musik, aber wir
passten von Anfang an im Bett nicht zusammen. Klar, eine gewisse
erotische Anziehung war in der Verliebtheitsphase da, aber sie war
nicht ausreichend. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals an Max so
genussvoll geschnuppert zu haben, wie ich das bei Robin tat. Auch
fand ich seinen Schweiß nie erotisch und der Geschmack seiner Haut
ließ mich kalt. Und ich war nie angetörnt beim bloßen Anblick
seines nackten Körpers, obwohl er ein gutaussehender junger Mann
war. Wenn ich aber mit Max beim Sex nur annähernd das erlebt hätte,
was ich mit Robin erfuhr, hätten wir tatsächlich zusammen leben,
heiraten, Kinder kriegen und ein glückliches Paar werden können.
Nach meiner Erfahrung mit Robin war ich mir ganz sicher, dass ich
nie mehr mit einem Mann zusammen bleiben würde, der mich sexuell
nicht befriedigt. Auch was Robin und mich betraf, machte ich mir
nichts vor. Unsere Beziehung basierte größtenteils auf dieser
gewaltigen sexuellen Anziehungskraft, die zwischen uns herrschte.
Sie war wie eine saftige, cremige Sahnetorte. Unsere Gefühle
füreinander und die seelische Verwandtschaft waren aber wie ein
krönender, kalorienreicher Schokoladenguss, der diese Delikatesse
zu einem kulinarischen Höhepunkt machte. So eine Torte würde auch
ohne Schokoglasur köstlich schmecken, aber durch sie wurde sie
einfach unwiderstehlich und perfekt. Wenn die Chemie zwischen uns
nicht so vollkommen im Einklang gewesen wäre, hätte unsere
Begegnung bestimmt einen ganz anderen Lauf genommen. Meine
musikalische Darbietung an diesem schicksalhaften Abend hätte
Robins Interesse an meiner Person geweckt, aber er hätte sich nicht
in mich verguckt. Wir hätten ein nettes Gespräch geführt, uns noch
mal bei seinem Konzert gesehen und die Geschichte zwischen und
würde der Version entsprechen, die ich Tom später erzählt hatte.
Oder aber Robin hätte sich doch auf einen One-Night-Stand mit mir
eingelassen und ich hätte meine große Enttäuschung erlebt. Mein
vergöttertes Idol würde vielleicht als eine nur mittelmäßige, eher
ernüchternde Sexepisode in meinen Erinnerungen enden und ich würde
es nachher bereuen, meinen langjährigen Fantasien und Träumen von
ihm endgültig Lebewohl sagen zu müssen. Ich trocknete mir die Haare
und staunte über diese bisher unbekannten Einsichten, die so
unerwartet meine alten Vorstellungen über Liebe und Sex ziemlich in
Frage stellten. Ich wusste noch nicht, ob ich mich darüber freuen,
oder es eher bedauern sollte, meine noch mädchenhafte Naivität in
Sache Liebe verloren zu haben. Bei Max redete ich mir noch ein, Sex
sei nicht so wichtig, Hauptsache wir verstehen und mögen uns. Diese
routiniert funktionierende Beziehung zwischen uns verwechselte ich
mit Liebe und verzichtete dabei freiwillig auf erotische Erfüllung,
die ich auch aus meinen vorherigen Beziehungen nur ausnahmsweise
kannte. Max hatte mit mir im Bett scheinbar seinen Spaß und es
spielte für ihn keine Rolle, dass ich selber dabei unbefriedigt
blieb. Deswegen spielte ich ihm auch nie einen Orgasmus vor, wie
ich es manchmal bei anderen Liebhabern vor ihm getan hatte. Wir
redeten auch nicht darüber. Nur einmal, am Anfang unserer Beziehung
sagte er so was banales wie: "Bei euch Frauen ist das halt
komplizierter als bei uns Männern. Es wird schon irgendwann
passieren, warte einfach ab." Und er hatte recht. Ich wartete
geduldig und es passierte tatsächlich. Und wie es passierte! Nur
nicht mit ihm, sondern mit Robin… Als ich daran dachte, wurde ich
fast sauer. Ich fühlte mich betrogen um etwas wesentliches was mir
zustand und ich bedauerte es, weil ich so schnell bereit war,
diesen Verzicht als was Normales anzunehmen. Wie sehr ich in diesem
Augenblick der Erkenntnis Robin dankbar dafür war, dass er das
ziemlich angekratzte Selbstbild meiner Weiblichkeit so wunderbar
heilen konnte. In nur zwei unvergesslichen Nächten befreite er mich
von allen Komplexen und Frustrationen und gab mir das wunderbare
Gefühl, eine Sexgöttin zu sein! Robin! Gefühle, die ich für ihn
empfand, fühlte ich in meiner Brust fast körperlich. Wie eine
glühend brennende Flamme, die die schummerigen Schatten aus meinen
verborgenen Ecken verbannte und mich frei und stolz machte. Das was
ich von Robin empfing und was ich für ihn fühlte, war für mich
nichts Selbstverständliches, ich spürte große Dankbarkeit für
dieses Geschenk und wusste es angemessen wertzuschätzen. Tief
ergriffen von diesen Gefühlen verließ ich das Badezimmer und
zündete vor meinem Altar ein betörend duftendes Räucherstäbchen an.
Die Ereignisse der letzten zehn Tage waren für mich kein Zufall,
sondern eindeutig ein Geschenk. Diese kleine symbolische Handlung
half mir innerlich, es als solches nur noch bewusster
anzunehmen.
Die Generalprobe verlief so, wie man es sich von einer Generalprobe nur wünscht - mit kleinen Hindernissen und Zwischenfällen, die aber eine problemfreie Premiere garantieren. Aberglaube ist im Theater immer noch stark präsent und auch an diesem Freitag wurde die kleine Feuerprobe als ein gutes Zeichen für die bevorstehende Premiere begrüßt. Im ersten Akt zündete mir Rodolfo eine Kerze an und durch etwas unvorsichtiges Gestikulieren fiel sie auf den Tisch, der mit einer leicht entflammbaren Tischdecke bedeckt war. Freilich ging sie gleich in Flammen auf. Herr Bergmann löschte geistesanwesend das Feuer mit der Bettdecke sofort aus, aber es folgte eine aufregende Diskussion darüber, ob offenes Feuer auf der Bühne erlaubt war oder nicht. Der Regieassistent, der für die Idee mit der Kerze verantwortlich war, erfuhr, dass Feuer ohne einen anwesenden Feuerwehrmann im Saal nicht gestattet war und er musste sich innerhalb kürzester Zeit um eine schriftliche Genehmigung kümmern. Ende gut, alles gut, wir kriegten die Genehmigung für Samstag, es wurde uns ein voll ausgerüsteter Feuerwehrmann versprochen und die Generalprobe verließ ich mit etwas gemischten Gefühlen. Musikalisch und schauspielerisch verlief alles reibungslos und ich hatte keine Lust mir noch die anschließende Probe von der Zweitbesetzung anzuschauen. Das Missgeschick mit dem Feuer nahm mich doch mehr mit als ich dachte. Herr Bergmann versicherte mir daher bei dem Abschied, dass ich für den morgigen Abend absolut keine Bedenken haben musste. Mit seiner langjährigen Erfahrung garantierte er mir sogar, dass Pannen bei der Generalprobe immer mit einer ausgezeichneten Premiere ausgeglichen werden. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen und während der Fahrt nach Hause beruhigte ich mich allmählich und gewann wieder die Selbstsicherheit zurück. Meine Gedanken weilten erneut bei Robin. Nur noch zwanzig Stunden trennten uns von einander und mein Glücksgefühl dabei verbannte schliesslich aus mir die Aufregung, die ich gerade erlebte. Zu Hause gönnte ich mir ein Entspannungsbad und las danach noch eine Weile im Bett. Es fiel mir nicht leicht einzuschlafen, aber nicht wegen der bevorstehenden Premiere, sondern wegen Robins baldiger Ankunft. Mein Körper glühte wieder in verheißungsvoller Leidenschaft und ich wälzte mich unruhig im Bett hin und her, ehe ich endlich abschalten konnte.