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Zwanzig Feuerwehrmänner mit erhobenen Händen.
Hatten sie sich ergeben? In die Enge getrieben vom Spitzencop des niederösterreichischen Landeskriminalkommandos, einem grimmigen Gruppeninspektor mit Toupet und Prostataproblemen, der in seiner Freizeit gerne eigenhändig Dumdumgeschosse ohne Narkose aus seinem Abdomen wieder zutage förderte und die Wunde anschließend lächelnd mit rostigem Draht verschloss? Waren die zwanzig unter seinem gekonnten Waterboarding zusammengebrochen? Hatten sie gestanden, kollektiv den Schuppen ihres Kommandanten während dessen Abwesenheit angesteckt zu haben, weil sie ihm mittels eines wie am Schnürchen ablaufenden Löscheinsatzes beweisen wollten, aus welchem Holz sie geschnitzt waren – wobei die zweite Hälfte des Plans halt leider eher mangelhaft funktioniert hatte?
Suchanek war von dem Bild, das sich ihm beim Betreten des Route 66b bot, dermaßen überrascht, dass er sofort das Gehen einstellte. Was wiederum zur unangenehmen Folge hatte, dass ihm die wahrscheinlich aus der Konkursmasse irgendwelcher Karl-May-Festspiele im Steinfeld stammende doppelte Saloon-Schwingtür, von der der Grasel fand, dass sie das insgesamt an ein irisches Pub in der Ostukraine erinnernde restliche Interieur des konkurrenzlosen, weil einzigen Lokals in Wulzendorf hervorragend ergänzte, hart in den Rücken knallte.
«Und jetzt die Gegenprobe!», sagte der Spakowitsch Edi. Alle Hände fuhren wieder nach unten. «Danke. Der Antrag ist also einstimmig angenommen.»
Suchanek nickte einen flüchtigen Gruß in die Hälfte des Cafés, in der sich die angesichts des Versagens der letzten Nacht viel zu sauberen Feuerwerker in direkter Demokratie übten, und ging zur Bar, hinter der Grasel gerade jeden zumindest annähernd freien Fleck mit Toastscheiben und Pressschinken dekorierte. Da hatte wohl jemand Hunger. Und außer Toast stand auf der Speisekarte des Route 66b noch Toast.
«Was ist denn da los?», fragte Suchanek.
«Sie haben abgestimmt, ob das Volksfest abgebrochen werden soll.»
«Und?»
«Der Edi hat ihnen vorgerechnet, wie viel allein die Miete für das Bierzelt kostet. Und was sie den Schaustellern an Standgebühren zurückzahlen müssten. Und dass die wahrscheinlich auch noch auf Verdienstentgang oder was klagen würden. Und dass sie zwar eine Feuerversicherung haben, aber leider nicht daran gedacht haben, die Frau des Kommandanten als Schadensfall reinzuschreiben. Er sagt, wenn sie jetzt abbrechen, machen sie locker 50000 Miese. Also geht’s weiter.»
«Ich bin vorhin beim Fußballplatz vorbeigefahren. Tote Hose ist ein Hilfsausdruck.»
«Ach, das wird schon wieder. Nach dem ersten Schock werden sie alle weitersaufen. Guter Zweck, Bürgerpflicht und so.»
«Gibt’s irgendwas Neues? Verdächtige? Ein Geständnis?»
«Nicht wirklich. Aber die Nidetzky scheint überall zu verbreiten, dass du der Schlüssel zur Lösung dieses Falles bist», sagte Grasel vergnügt.
«Das ist überhaupt nicht lustig. Ich hab bei der Susi den Einundzwanziger, den Heimeder und die Lengauerin getroffen. Und alle wollten von mir wissen, wer es gewesen ist.»
«Na, dann sag’s ihnen halt endlich, damit eine Ruhe ist. Was du dich immer zierst!»
Aus der Feuerwehrecke war jetzt wieder Edis Stimme zu hören. «Und mir ist schon klar, dass da wahrscheinlich manche finden werden, dass das irgendwie pietätlos ist oder was. Aber wie ich vorhin mit dem Kommandanten geredet habe, hat der auch gesagt, dass es seine Frau sicher so gewollt hätte!», dekretierte er hölzern.
«Er hat mit dem Mantler telefoniert?», fragte Suchanek leise. «Weiß man eigentlich schon, wann die zwei zurückkommen?»
Grasel schob sich eine überzählige Schmelzkäsescheibe in den Mund. «Nicht telefoniert. Die sind längst da. Ewig schade für den aufstrebenden österreichischen Pflügersport. Der Gregor hat nach den ersten zwei Durchgängen geführt.»
«So schnell sind die zurück? Aus Polen?»
Grasel zuckte mit den Schultern. «Na ja. Sie sind ganz zeitig in der Früh losgefahren. Und der Gregor ist bekanntlich nicht nur mit dem Traktor schnell.»
«Und außerdem lässt er euch ausrichten», fuhr Spakowitsch fort, «dass wir uns keinen Kopf machen sollen. Er sagt, wir hätten die Johanna so und so nicht mehr retten können.»
Dankbar zustimmendes Gemurmel breitete sich aus. Und der Vizekommandant war erst froh! Er durfte sich das ja nicht anmerken lassen, aber die ganze Geschichte war ihm mehr als eine Nummer zu groß. Der Edi war ein kreuzbraver Bursch, eine hervorragende, fast schon nervtötend pflichtbewusste Nummer zwei. Aber halt kein Einser. Und das wusste er. Auch im Raiffeisen-Lagerhaus in Bernhardsau hatte er sich entschieden, lieber stellvertretender Leiter der Baustoffabteilung zu bleiben.
«Ich kann mir das nicht erklären mit der Pumpe», sagte jetzt aber der Neuner-Ranreiter ketzerisch in den gerade gestillten Schmerz hinein. «Ich habe sie erst bei der letzten technischen Überprüfung vor einem Monat zerlegt und gereinigt. Wie es sich gehört. Und sie hat nachher funktioniert wie ein Einser.»
Man sah dem Edi an, dass er nicht unbedingt vorhatte, dieses Thema groß zu vertiefen. «Na ja. Materialermüdung halt. So was kommt vor», sagte er. «Alex? Bringst mir noch ein Krügerl?»
Der Neuner blieb renitent. «Das kann doch eigentlich nicht sein. Ich hab das Ventil erst vor einem halben Jahr neu eingebaut. Und jetzt auf einmal bricht die Klappe? Einfach so? Das ist mir noch nie untergekommen.»
Edis Zunge schoss aus dem rechten Mundwinkel und spielte nervös mit dem Ende seines Schnauzers. «Neuner, worauf willst du hinaus?», fragte er.
«Na, worauf schon! Mit dem Schraubenzieher rein beim Entlüftungsloch, einmal kurz draufhauen – und die Klappe ist hin. Das dauert zehn Sekunden. Und keinem fällt was auf», lautete die Expertise vom Pfarrhofer René, die er mit einer naiven Unschuld vorbrachte, welche weder zu seinem Körper passte, der sich durch die seit 25 Jahren mit Verve ausgeführte Tätigkeit des Landmaschinenreparierens mit besonderem Schwerpunkt auf dem Traktorreifenwechsel doch ziemlich in die Richtung des Zuges entwickelt hatte, der den Suchanek als Kind fast niedergeführt hätte, noch zu der Schwere des hier ausgesprochenen Verdachts.
Wobei: Jetzt sagte es halt einer laut. Gedacht hatten sie es sich sowieso schon alle.
Betretenes Schweigen. Dann, nach einer Weile, sagte ORF 2: «Aber die Klappe kann doch auch genauso gut von selber gebrochen sein. Es muss überhaupt nicht sein, dass da einer …» Er stockte kurz und fügte dann heiser hinzu: «Von uns …»
Suchanek hielt den Atem an. Grasel riss hinter seiner Bar die Augen weit auf, zog die Mundwinkel tief nach unten und grimassierte sich so ein betroffenes Stummfilmgesicht zusammen.
«He, Suchanek!», rief da auf einmal der Pfarrhofer René, der jetzt, wo er kapiert hatte, dass er eine kollektive Depression ausgelöst hatte, wieder einen Ausweg suchte. «Du hast doch den Feuerteufel gesehen. Wie hat er ausgeschaut?»
Schon wieder.
«Also ich … ich hab nicht wirklich …», stammelte Suchanek. «Eigentlich hab ich gar nichts gesehen. Es war ja finster und alles.»
Der Pfarrhofer, heilfroh, nicht mehr selbst im Zentrum des Interesses zu stehen, insistierte: «Hat da das Feuer schon gebrannt?»
«Ja, es hat gerade …»
«Dann war es doch gar nicht mehr finster!»
«Aber er war ja gleich wieder verschwunden.»
«Warum erzählt dann die Nidetzky, dass du ihm praktisch in die Augen geschaut hast?»
«Das weiß ich auch nicht», erwiderte Suchanek genervt. «Wen interessiert denn, was das alte Tratschweib daherredet, wenn der Tag lang ist? Als Nächstes behauptet sie wahrscheinlich eh, dass es einer von euch war.»
So. Jetzt waren sie wieder deprimiert.
«Leute, wir müssen echt aufhören, uns fertigzumachen», sagte der Edi beschwörend. «Da war nichts mehr zu löschen! Die Bernhardsäue haben sich doch auch nur mehr wichtiggemacht. Selbst wenn unsere Pumpe funktioniert hätte – es hätte nichts mehr geändert.»
Grasel stellte den letzten Toast seiner Lieferung vor dem Urban Ernstl ab und sagte dann unvermittelt: «Außer natürlich für die Bernhardsäue.»
Na ja.
Ja.
Dass die Bernhardsäue, und zwar ein jeder von denen, prinzipiell dazu fähig waren, die heilige Johanna zu verbrennen, stand ja wohl völlig außer Zweifel. Und dass sie darüber hinaus sogar so ruchlos sein könnten, sich mittels Sabotage auch noch auf der Asche von der armen Mantlerin einen triumphalen Auftritt herauszuschlagen, war ihnen genauso zuzutrauen. Aber natürlich, so fair musste man jetzt auch sein: Die Idee, irgendein Fremder habe die Pumpe ruiniert, besaß so oder so ihren Charme. Da konnte man sogar mit einer kleinen Restunsicherheit leben. Es musste also nicht einmal unbedingt eine Bernhardsau gewesen sein – wiewohl die Wahrscheinlichkeit natürlich überwältigend hoch war.
«Aber wie soll denn wer in unser Feuerwehrhaus hineingekommen sein? Das hätten wir doch bemerkt, wenn da einer eingebrochen hätte», sagte der Spakowitsch dann.
Das war jetzt natürlich schade. Gerade, wo die Ermittlungen begonnen hatten, sich wirklich vielversprechend zu entwickeln. Also weg von allen Anwesenden.
«Vielleicht sollte sich die Polizei unsere Schlösser einmal anschauen, wenn wir sie schon im Ort haben», schlug der Neuner vor. «Die können doch mit den modernen Methoden, die sie heute haben, sicher feststellen, ob da einer irgendwie herumgetan hat.»
Uh. Da hatte beim Grasel wieder einmal einer auf den richtigen Knopf gedrückt. «Die Bullen?», höhnte er. «Na freilich! Die haben doch ihre Schädeln nur, damit es oben nicht reinregnet. Wollen wir wetten, dass sie bei der Johanna auch nichts zusammenbringen? Die Pfeifen haben doch nicht einmal das Auto vom Hiefler Andi gefunden.»
Da hatte sich der Grasel jetzt nicht völlig korrekt ausgedrückt. Aber es verstand auch so ein jeder: Das Auto vom jungen Achter-Hiefler, das hatte die Polizei damals natürlich schon gefunden. Das war selbst für Polizisten nicht allzu schwer gewesen, weil schließlich war der Bolide ja bei der Ortstafel von Langegg stehen geblieben, nachdem es den braven Gesetzeshütern vom Posten Bernhardsau endlich einmal geglückt war, dem wahrscheinlich berühmtesten Raser in der ganzen Gegend den Führerschein abzunehmen. Natürlich war das hochgradig ungerecht gewesen. Weil der Andi mit seinen 1,8 Promille in dieser Nacht auch nicht mehr gehabt hatte als sonst immer. Und er war nicht nur jedes Mal mit diesem Spiegel heimgekommen, ohne bei dem Unfall zu krepieren, den ihm immer alle prophezeit hatten, nein: Er hatte in diesem Zustand auch noch mit 17 Minuten und 26 Sekunden den bis heute ungebrochenen Rekord von Langegg nach Wulzendorf aufgestellt.
Das Auto, das die Polizei dann nicht gefunden hatte, war jenes gewesen, das den Andi auf seinem Heimweg zu Fuß im Finsteren zur Kühlerfigur gemacht und eineinhalb Kilometer mitgeschleift hatte. Im ganzen Bezirk hatten sie sich damals alle anthrazitgrauen Autos angeschaut. Und das waren nicht wenige gewesen. Alleine in Wulzendorf acht und in Bernhardsau angeblich sogar zwölf. Ergebnis: keines. Und das war schon eine unglaubliche Niederlage gewesen. Wo doch das, was vom Andi nach seinen letzten eineinhalb Kilometern übrig geblieben war, auch unübersehbare Schäden an dem Auto hinterlassen haben musste, nicht nur umgekehrt.
«17 Minuten 26», sagte der Urban Ernstl mit brüchiger Stimme und hob sein Bier. «Unvergessen!»
«Auf den Andi», sagten zwei, drei andere, und alle hoben ihre Gläser. Auch der Suchanek. Er hatte als Kind ab und zu mit dem Andi gespielt, der ungefähr in seinem Alter gewesen war. Begünstigt worden war dieser nahezu unglaublich enge Kontakt – Suchanek konnte sich nämlich nicht erinnern, dass seine Mutter sonst irgendein Kind in seine Nähe gelassen hätte – dadurch, dass er bei den Hieflern immer die Milch geholt hatte. Jeden Tag einen Liter, frisch vom Euter. Und zu dem Liter hatte er auch, gratis immerhin, eine Textmenge von der Achterin dazubekommen, mit der normale Menschen eine Woche ausgekommen wären. Als die Hieflers dann, wie fast alle Bauern im Ort, beschlossen, die Kühe abzuschaffen, weil Kühe Arbeit machen und Subventionen nicht, hätte Suchanek beinahe einen Dankesbrief an den EU-Landwirtschaftskommissar geschrieben. Aber dann war ihm wohl irgendwas Wichtiges dazwischengekommen. Und die Achterin war eh bald darauf gestorben. Das fiel dem Suchanek heute noch ein, wenn er nach einem Beispiel für schlechtes Timing suchte.
Nach diesem schönen Moment des Gedenkens an eine Legende fühlte Suchanek mit dem ihm einfach ureigenen Instinkt, dass die Gelegenheit günstig war, eine andere Legende anzusprechen. «Sag einmal, Edi», leitete er geschickt ein. «Das Hansi-Burli-Match morgen … Das machen wir jetzt eh nicht, oder?»
«Was?» Edis Empörung über diesen versuchten Denkmalsturm war mit Händen zu greifen. «Und wie wir das machen! Wir haben doch gerade beschlossen, dass das Volksfest weitergeht. Hast du eine Ahnung, was wir allein bei dem Match immer einnehmen?»
«Ach so, na ja. Ich hab mir nur gedacht, dass das jetzt nicht so günstig ist. Und dass ihr vielleicht alle eine Weile mehr auf Tauchstation gehen wollt.»
«Und wieso sollten wir das bitte machen?», antwortete der Pfarrhofer empört. «Wir tragen diese Uniform mit Stolz!»
Oh mein Gott. Der Zauber der Montur, das hatte jetzt gerade noch gefehlt.
«Und dass uns da jetzt einmal ein kleiner Lapsus passiert ist, ändert daran überhaupt nichts.»
René schaute Suchanek verächtlich an. Und dann verhängte er die Höchststrafe: «Aber das versteht einer aus der Stadt halt nicht.»
Grasel rettete Suchanek aus dieser peinlichen Lage. Er gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er mit nach hinten ins Lager kommen solle.
«Da hast», sagte er und drückte ihm ein Säckchen mit Gras in die Hand. «Als kleinen Trost dafür, dass du morgen doch spielen musst.»
«Na ja. Mein Heimaturlaub verläuft ja bis jetzt überhaupt grandios. Das hab ich mir ein bisschen anders vorgestellt.»
Er drückte sich an die Wand neben dem Durchgang zum Lokal und spähte um die Ecke. «Was meinst du? War es einer von denen?»
«Na ja. Kann leicht sein. Sie scheinen es ja selber fast zu glauben.»
«Und welcher am ehesten?»
«Keine Ahnung. Es ist ja dann eh immer der, dem man es nie zugetraut hätte.»
Grasel stellte sich auch zu dem Durchgang und schaute hinaus. «Der Urban Ernstl ist so dämlich, der würde sicher selber verbrennen, weil er den Stadl innen anzünden würde und dann nicht mehr rauskäme. Der Spakowitsch … also nein. Der täte das nie. Der Pfarrhofer … na ja. Möglich. Der ORF 2 … auch möglich. Ist zwar eigentlich ein Netter, würde aber das Täterprofil des stillen Wassers erfüllen.»
«Wer ist eigentlich der da?», fragte Suchanek. «Der … Vierte von links?»
Der Vierte von links war ein ausnehmend bleicher Jüngling, der ein wenig wie der Murnau-Nosferatu aussah. Nur mit Haaren. Wenn man die dünnen schwarz gefärbten Strähnen, die fett an seiner Stirn klebten, so nennen wollte.
«Das ist der Keller Gerry. Ja, stimmt eigentlich. Der wäre auch ein Kandidat. Aber den würden sie doch gleich kriegen, weil der hätte wahrscheinlich auch neben das Feuer geschissen.»
«Wieso?»
«Schau ihn dir doch an. Das ist ein richtiger Nerd, der von seinen Computerspielen nicht wegkommt. Und angeblich ist der auch ein Ritzer. Schneidet an seinen Armen herum und so. Gegen den bist du normal.»
«Na ja», sagte Suchanek. «Wenigstens gegen einen.»
Draußen hatte der Spakowitsch gerade eine Idee. «Bis wann könnten wir denn eigentlich die Pumpe repariert haben?»
«Ich brauch nur ein neues Ventil», sagte der Neuner-Ranreiter. «Wenn wir im Feuerwehrhaus eines haben, dann ist das in einer Stunde erledigt.»
«Gut. Schauen wir einmal. Wenn wir das zusammenbringen, dann haben wir morgen einen Einsatz.»
Suchanek war heilfroh, als er sich endlich wieder auf den Heimweg machen konnte. In seiner Tasche hatte er alles, was er brauchte. Und um Irritationen wie zum Beispiel unerwünschte Zeugenschaften zu vermeiden, nahm er sich fest vor, nur mehr mit geschlossenen Augen zu kiffen.
Als er aus der zweiten Schikanen-Kurve, die die Sackgasse zu bieten hatte, auf die letzte Gerade vor dem Haus seiner Eltern kam, sah er neben der Einfahrt ein Auto stehen. Ein BMW irgendwas, mit Heckspoiler, Bodenschürzen, breiten Reifen, das volle Programm, das man als junger Mann von Geschmack hierorts so haben musste. Auf der Heckscheibe stand in roter Heavy-Metal-Frakturschrift: «Powerbauer». Suchanek rollte langsam an dem Wagen vorbei und blieb stehen, um das Gartentor zu öffnen. Zwei Männer stiegen aus und gingen auf ihn zu.
Die Mantlers.
Suchanek war ja nun nicht so der Gefühlsmensch. Aber jetzt hatte er eines. Und das sagte ihm ziemlich laut, dass diese Unterhaltung nicht so angenehm werden würde. Er steckte seine linke Hand in die Hosentasche, um wenigstens nur mehr eine zu haben, mit der er nichts anzufangen wusste. Dort umkrampfte sie das Sackerl vom Grasel. In schwierigen Situationen brauchte jeder ein wenig Halt.
«Grüß Gott», sagte er dann. Sonst grüßte er eigentlich nie so klassisch katholisch. Aber er stand ja auch selten Menschen gegenüber, denen jemand gerade die Ehefrau und Mutter verbrannt hatte.
«Hallo», sagte Gregor. Seine Augen waren gerötet. Wahrscheinlich hatte er geweint. Der alte Mantler nickte Suchanek zu. «’n Abend.»
«Mein Beileid», sagte Suchanek hastig, weil man das halt so sagte und weil es ihm angebracht erschien, den Mantlers nicht völlig die Initiative zu überlassen.
«Danke», sagte der alte Mantler. «Du kannst dir ja wohl denken, warum wir hier sind.»
Suchanek nickte. «Wegen der Nidetzky. Oder dem Dreier. Oder sonst irgendwem, der euch erzählt hat, dass ich den Mörder ganz genau gesehen habe.»
«Und?», fragte Gregor. «Hast du?»
«Nein, hab ich nicht. Ich hab ihn nur ganz kurz gesehen. Und auf die Entfernung …»
Gregor schloss die Augen und fuhr sich mit der flachen Hand über die Haare. «Wie war denn das genau? Was hat er gemacht?»
Suchanek schüttelte den Kopf. «Nichts. Also, nichts mehr. Es hat gerade angefangen so richtig zu brennen, und er ist einfach nur am Rand von dem Pappelwald gestanden. Und dann war er weg.»
Suchanek kannte den alten Mantler als einen Mann, der gewohnt war, dass man tat, was er sagte. Ein Herrenbauer vom alten Schlag, dessen Selbstbewusstsein die solideste Basis hatte, die sich ein Bauer vorstellen konnte: Besitz. Aber jetzt war er einfach nur ein alter, müder Mann.
«Hast du sie eigentlich auch gesehen? Also, meine Frau?», fragte er.
«Nein. Ich sag ja, es hat schon gebrannt. Die heilige Johanna muss wohl schon vorher …»
Suchanek wusste ja, warum er das Reden nicht so ungemein schätzte. Wenn sich alle Leute immer nur freundlich, aber konsequent anschweigen würden, käme viel weniger Blödsinn heraus.
«Wie nennst du meine Frau?», fragte der Fünfer gedehnt.
«Tut mir leid. Das ist mir so rausgerutscht.»
Gregor legte dem Alten die Hand auf den Arm. «Reg dich nicht auf. Das hat er nicht so gemeint. Du weißt doch, dass sie so zu ihr gesagt haben.»
Der alte Mantler schaute Suchanek mit schmalen Augen an und sagte nichts mehr.
«Was machst du überhaupt hier?», fragte Gregor. «Ich meine, du bist … Wie lang bist du schon weg von Wulzendorf?»
«Fünfzehn Jahre. Meine Eltern sind auf Urlaub, und ich hab das Haus und den Hund.»
«Und dann siehst ausgerechnet du mitten in der Nacht den Feuerteufel.»
Suchanek versuchte rasch, das Thema zu wechseln. «Wisst ihr eigentlich irgendwas Neues? Hat die Polizei schon etwas rausgefunden?»
«Nicht wirklich. Im Stadl gibt es offenbar keine Spuren», sagte Gregor. «Und im Haus haben sie auch nichts gefunden.»
«Der Kerl war im Haus?»
«Ja. Ein Fenster war aufgebrochen. Sag, was meint denn eigentlich die Polizei zu dem, was du gesehen hast?»
Jetzt wurde es richtig peinlich.
«Ich war nicht bei der Polizei», nuschelte Suchanek schuldbewusst. «Also … noch nicht.»
Hinter Gregors Auto blieb jetzt ein weißer Kastenwagen stehen. Ein Mann sprang mit einer Vehemenz heraus, die auf große Eile schließen ließ.
«Was? Warum nicht?»
«Weil … weil ich mir gedacht habe, dass das eh nichts bringt.»
Jetzt wurde der alte Mantler aber richtig wütend. «Hast du einen Vogel? Das können doch wohl die Krimineser besser beurteilen, oder? Was ist zum Beispiel, wenn der Mörder dort, wo du ihn gesehen hast, irgendwelche Spuren hinterlassen hat? Einen Fußabdruck, einen Tschick, was weiß ich?»
Jetzt hatte der andere Mann sie erreicht. Wie viele Leute, die sich dem gesunden Leben verschrieben haben, sah er irgendwie ausgezehrt und krank aus. Und ohne irgendeinen der Anwesenden zu grüßen, sagte der Palenak zum alten Mantler: «Ich hab gehört, dass ihr hier seid. Kann ich mit dir reden?»
Der Fünfer richtete sich kerzengerade auf. Zu behaupten, dass zwischen den beiden keine große Herzlichkeit zu spüren war, hätte dem Begriff Euphemismus eine völlig neue Dimension verliehen.
«Red.»
«Unter vier Augen.»
«So geheim wird’s ja auch wieder nicht sein, oder?», sagte Mantler kühl.
Palenak schaute Suchanek an und überlegte kurz. Dann entschied er, dass Suchanek unwichtig genug war.
«Ich wollte dir nur persönlich sagen, dass ich mit dieser Sache nichts zu tun habe.»
«Aha.» Das verhärtete Gesicht vom Fünfer nahm einen leicht spöttischen Zug an. «Komisch. Du bist der Einzige im ganzen Ort, der das Gefühl hat, er muss mir das extra sagen.»
Der Palenak wurde lauter. «Ich bin ja nicht deppert. Ich weiß, was die Leute damals geredet haben, und ich kann mir schon denken, was sie jetzt reden werden. Aber ich sag dir eins: Nur weil einer kein Großbauer ist und sich nicht alle drei Jahre einen neuen Mercedes kaufen kann und dann mit dem alten aufs Feld fährt und schaut, ob die Frucht eh gut steht, deswegen zündet er noch lange keine Stadeln an, um die Versicherung zu betrügen.»
Unter anderen Umständen hätte der Mantler die Sache mit dem Mercedes jetzt schon ausdiskutiert. Seiner war schließlich schon vier Jahre alt war, und den neuen würde er wegen der langen Lieferzeit, die eh ein Witz war, das hatte er dem Händler auch klipp und klar gesagt, erst in einem halben Jahr bekommen. Aber jetzt wäre das selbst ihm komisch vorgekommen. Jetzt sagte er nur: «Wird schon so sein.»
«Du hast den Kerl doch gesehen.» Palenak tippte dem Suchanek mit dem Zeigefinger auf die Brust. «Sag dem Fünfer, dass es nicht ich war.»
«Der sagt der Polizei nicht einmal, dass er überhaupt wen gesehen hat», knurrte Mantler.
«Was? Wieso nicht?»
Palenak schien ehrlich fassungslos. Entweder war er ein brillanter Schauspieler, oder er war wirklich unschuldig.
Suchanek senkte den Kopf. «Gleich morgen in der Früh rede ich mit denen. Versprochen.»
«Ich habe 10000 Euro Belohnung ausgesetzt», antwortete der alte Mantler. «Vielleicht hilft das ja was.»
«Noch einmal, Fünfer: Ich hab deinen Stadl nicht angezündet. Gestern nicht und vor zwanzig Jahren auch nicht. Und jeder, der was anderes behauptet, kann sich warm anziehen», sagte Palenak mit Nachdruck. Dann drehte er sich um und ging.
«Ich behaupte gar nichts», sagte der Fünfer leise. «Noch nicht.»