Glücklich alle Tage

»Am Ende kam Verschiedenes zusammen, doch im Grunde war es … Bella«, erklärte Edward. Unsere Familie und die beiden letzten Gäste saßen im Wohnzimmer der Cullens, während der Wald vor den hohen Fenstern schwarz wurde.

Wladimir und Stefan hatten sich verzogen, noch ehe der Jubel vorbei war. Sie waren furchtbar enttäuscht darüber, wie die Sache schließlich ausgegangen war, doch Edward sagte, sie hätten sich an der Feigheit der Volturi so sehr ergötzt, dass es die Enttäuschung beinahe wettmachte.

Benjamin und Tia folgten schon bald Amun und Kebi, um ihnen zu erzählen, wie es geendet hatte; ich war mir sicher, dass wir sie wiedersehen würden – jedenfalls Benjamin und Tia. Von den Nomaden blieb keiner. Peter und Charlotte sprachen noch kurz mit Jasper, dann waren auch sie verschwunden.

Auch die wiedervereinigten Amazonen hatten es eilig, nach Hause zu kommen – es war ihnen schwergefallen, so lange fern von ihrem geliebten Regenwald zu sein –, doch sie drängten nicht so sehr zum Aufbruch wie einige andere.

»Das Kind muss mich besuchen, du musst sie vorbeibringen«, hatte Zafrina verlangt. »Versprich es mir.«

Nessie hatte ihre Hand an meinen Hals gelegt, auch sie bat mich.

»Natürlich, Zafrina«, sagte ich.

»Wir werden dicke Freunde, kleine Nessie«, verkündete die wilde Frau, bevor sie mit ihren Schwestern verschwand.

Als Nächstes zog der irische Zirkel ab.

»Gut gemacht, Siobhan«, sagte Carlisle beim Abschied.

»Ah, die Macht des Wunschdenkens«, antwortete sie sarkastisch und verdrehte die Augen. Dann wurde sie ernst. »Natürlich ist es noch nicht vorbei. Die Volturi werden nicht vergeben, was hier geschehen ist.«

Darauf antwortete Edward. »Sie sind schwer angeschlagen; ihr Vertrauen ist erschüttert. Doch ja, gewiss werden sie sich eines Tages von dem Schlag erholen. Und dann …« Seine Augen wurden schmal. »Ich nehme an, dass sie versuchen werden, sich uns einzeln vorzuknöpfen.«

»Alice wird uns warnen, wenn sie zuschlagen wollen«, sagte Siobhan mit fester Stimme. »Und wir werden uns wieder versammeln. Vielleicht ist unsere Welt eines Tages bereit, ganz ohne die Volturi auszukommen.«

»Die Zeit mag kommen«, sagte Carlisle. »Und wenn sie kommt, werden wir zusammenhalten.«

»Ja, mein Freund«, sagte Siobhan. »Und wie können wir scheitern, wenn ich das Gegenteil will?« Sie lachte schallend.

»Genau«, sagte Carlisle. Er und Siobhan umarmten sich, dann schüttelte er Liam die Hand. »Versuche Alistair zu finden und erzähle ihm, was geschehen ist. Ich möchte ja nicht, dass er sich die nächsten zehn Jahre unter einem Felsen versteckt.«

Siobhan lachte wieder. Maggie umarmte Nessie und mich, dann war der irische Zirkel verschwunden.

Die Denalis gingen als Letzte, und Garrett begleitete sie – und so würde es auch in Zukunft sein, da war ich mir ziemlich sicher. Die Feierstimmung war zu viel für Tanya und Kate. Sie brauchten Zeit, ihre verlorene Schwester zu betrauern.

Huilen und Nahuel waren die beiden, die blieben, obwohl ich erwartet hatte, dass sie zusammen mit den Amazonen abreisen würden. Carlisle war wie gebannt in einem Gespräch mit Huilen, Nahuel saß dicht neben ihr und lauschte, während Edward uns den Rest der Geschichte erzählte, den nur er kannte.

»Alice lieferte Aro die Entschuldigung, die er benötigte, um sich dem Kampf zu entziehen. Hätte er nicht solche Angst vor Bella gehabt, hätte er den ursprünglichen Plan vermutlich bis zum Ende verfolgt.«

»Angst?«, sagte ich skeptisch. »Vor mir

Er lächelte mich an mit einem Blick, den ich nicht ganz deuten konnte – zärtlich, aber auch ehrfürchtig und sogar verärgert. »Wann wirst du dich jemals klar sehen?«, sagte er leise. Dann sprach er lauter, zu den anderen ebenso wie zu mir. »Die Volturi haben seit zweitausendfünfhundert Jahren keinen fairen Kampf ausgetragen. Und nie, niemals haben sie gekämpft, wenn sie im Nachteil waren. Besonders seit Jane und Alec bei ihnen sind, konnten sie immer ungehindert morden. Ihr hättet sehen sollen, wie wir auf sie wirkten! Für gewöhnlich schneidet Alec den Opfern alle Sinne und Gefühle ab, während die Ältesten ihren vermeintlichen Rat abhalten. So kann niemand fliehen, wenn das Urteil verkündet wird. Doch da standen wir und warteten, zahlenmäßig überlegen und mit reichen Talenten bestückt, während ihre eigenen Talente von Bella außer Kraft gesetzt wurden. Aro wusste, dass sie mit Zafrina gegen sich die Blinden sein würden, wenn die Schlacht losging. Gewiss hätten wir schwere Verluste hinnehmen müssen, doch ihnen war klar, dass auch sie schwere Verluste hätten hinnehmen müssen. Es lag sogar im Bereich des Möglichen, dass sie verloren hätten. Mit dieser Möglichkeit mussten sie sich noch nie auseinandersetzen. Und sie sind heute nicht besonders gut damit umgegangen.«

»Gar nicht so leicht, zuversichtlich zu sein, wenn man von Wölfen umgeben ist, die so groß sind wie Pferde«, sagte Emmett lachend und boxte Jacob gegen den Arm.

Jacob grinste ihn an.

»Die Wölfe haben sie als Erstes aufgehalten«, sagte ich.

»Genau«, sagte Jacob.

»Unbedingt«, stimmte Edward zu. »Dergleichen hatten sie noch nie gesehen. Die wirklichen Kinder des Mondes tauchen nur selten in Rudeln auf und sie können sich nicht sonderlich gut beherrschen. Sechzehn gigantische disziplinierte Wölfe waren eine Überraschung, auf die sie nicht vorbereitet waren. Caius hat fürchterliche Angst vor Werwölfen. Vor ein paar tausend Jahren verlor er einmal beinahe einen Kampf gegen einen Werwolf, das hat er nie verwunden.«

»Dann gibt es also echte Werwölfe?«, fragte ich. »Mit Vollmond und Silberkugel und allem Drum und Dran?«

Jacob schnaubte. »Echte Werwölfe. Bin ich etwa eine Erfindung?«

»Du weißt schon, was ich meine.«

»Vollmond: ja«, sagte Edward. »Silberkugel: nein – das war nur wieder ein Märchen, um den Menschen das Gefühl zu geben, sie hätten eine ehrliche Chance. Es gibt nicht mehr besonders viele Werwölfe. Caius hat sie fast ausrotten lassen.«

»Und du hast das nie erwähnt, weil …?«

»Es hat sich nie ergeben.«

Ich verdrehte die Augen. Alice lachte, beugte sich vor – Edward hielt sie mit dem anderen Arm fest umschlungen – und zwinkerte mir zu.

Ich sah sie wütend an.

Natürlich liebte ich sie wie verrückt. Aber jetzt, da ich endlich begriff, dass sie wieder zu Hause war, dass ihre Flucht nur ein Trick gewesen war, weil Edward glauben sollte, sie hätte uns im Stich gelassen, wurde ich allmählich ziemlich ärgerlich auf sie. Alice hatte einiges zu erklären.

Sie seufzte. »Also red es dir schon von der Seele, Bella.«

»Wie konntest du mir das antun, Alice?«

»Es war notwendig.«

»Notwendig!«, platzte ich heraus. »Du hast mich vollkommen davon überzeugt, dass wir alle sterben mussten! Die letzten Wochen war ich völlig fertig.«

»Es hätte so kommen können«, sagte sie ruhig. »Und in dem Fall hättest du darauf vorbereitet sein müssen, Nessie zu retten.«

Instinktiv nahm ich Nessie, die auf meinem Schoß schlief, fester in die Arme.

»Aber du wusstest, dass es auch anders kommen konnte«, warf ich ihr vor. »Du wusstest, dass es Hoffnung gab. Ist es dir mal in den Sinn gekommen, dass du mir auch einfach alles hättest erzählen können? Ich weiß, dass Edward wegen Aro glauben musste, es gäbe keinen Ausweg, aber mir hättest du es sagen können.«

Sie sah mich einen Augenblick lang abwägend an. »Ich glaube nicht«, sagte sie dann. »Du bist einfach keine so gute Schauspielerin.«

»Es ging also um meine schauspielerischen Fähigkeiten?«

»Ach, komm mal ein bisschen runter, Bella. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie kompliziert es war, das alles zu arrangieren? Ich konnte ja noch nicht mal sichergehen, dass es jemanden wie Nahuel überhaupt gab – ich wusste nur, dass ich nach etwas suchen musste, was ich nicht sehen konnte! Versuch dir vorzustellen, nach einem blinden Fleck zu suchen – nicht gerade die einfachste Übung. Außerdem mussten wir euch noch Zeugen schicken, als hätten wir es nicht so schon eilig genug gehabt. Und die ganze Zeit musste ich die Augen offen halten für den Fall, dass du mir weitere Anweisungen gibst. Irgendwann musst du mir mal verraten, was es genau mit Rio auf sich hat. Und davor musste ich noch versuchen, jeden möglichen Trick der Volturi zu sehen und euch die wenigen Hinweise zu geben, die ich euch geben konnte, damit ihr euch auf ihre Taktik vorbereiten konntet, und ich hatte nur ein paar Stunden Zeit, um alle Möglichkeiten auszumachen. Und vor allem musste ich dafür sorgen, dass ihr alle glaubt, ich würde euch im Regen stehenlassen, denn Aro musste überzeugt sein, dass ihr nichts mehr in der Hinterhand habt, sonst hätte er niemals einen solchen Fehler begangen. Und wenn du denkst, ich wäre mir nicht wie ein Miststück …«

»Ja, ja, schon gut«, fiel ich ihr ins Wort. »Entschuldige! Ich weiß, dass es für dich genauso hart war. Es ist nur … Also, ich hab dich so wahnsinnig vermisst, Alice. Tu mir das nicht noch mal an.«

Alice’ trällerndes Lachen schallte durch das Zimmer, und wir lächelten alle, als wir diese Musik wieder hörten. »Ich hab dich auch vermisst, Bella. Also verzeih mir und versuch dich darüber zu freuen, dass du die Superheldin des Tages bist.«

Jetzt lachten alle und ich verbarg das Gesicht verlegen in Nessies Haar.

Edward analysierte weiter das Hin und Her von Absicht und Widerstand auf der Wiese heute, er behauptete, mein Schild habe die Volturi dazu gebracht, mit eingezogenem Schwanz den Rückzug anzutreten. Ich fühlte mich unwohl, weil alle mich so komisch ansahen. Sogar Edward. Es war, als wäre ich seit heute Morgen dreißig Meter gewachsen. Ich versuchte die beeindruckten Blicke nicht zu beachten und schaute die meiste Zeit auf Nessies schlafendes Gesicht und Jacobs unveränderte Miene. Für ihn würde ich immer nur Bella sein, und das tat gut.

Am schwersten ließ sich der Blick übersehen, der mich am meisten verwirrte.

Dieser Halbvampir Nahuel kannte mich ja gar nicht. Nach allem, was er wusste, lief ich den ganzen Tag herum und schlug angreifende Vampire in die Flucht, und die Szene auf der Wiese war gar nichts Ungewöhnliches. Doch der Junge ließ mich nicht aus den Augen. Oder vielleicht schaute er Nessie an. Auch das war beunruhigend.

Es konnte ihm nicht entgangen sein, dass Nessie das einzige weibliche Wesen seiner Art war, das nicht seine Halbschwester war.

Auf diese Idee war Jacob offensichtlich noch nicht gekommen. Und ich hoffte auch, dass er so bald nicht darauf kommen würde. Ich hatte fürs Erste genug Kämpfe erlebt.

Schließlich hatte Edward alle Fragen beantwortet, und es entwickelten sich mehrere kleinere Gespräche.

Ich war eigenartig erschöpft. Nicht müde natürlich, einfach so, als wäre der Tag lang genug gewesen. Ich wollte ein wenig Ruhe, ein wenig Normalität. Ich wollte Nessie in ihr Bett bringen, ich wollte die Wände meines kleinen Häuschens um mich herum.

Ich schaute Edward an und hatte ganz kurz das Gefühl, als könnte ich seine Gedanken lesen. Ich sah, dass er genau das Gleiche empfand. Auch er hatte das Bedürfnis nach Ruhe.

»Sollen wir Nessie …«

»Das halte ich auch für eine gute Idee«, sagte er sofort. »Gewiss hat sie letzte Nacht nicht gut geschlafen, bei dem lauten Schnarchen.« Er grinste Jacob an.

Jacob verdrehte die Augen, dann gähnte er. »Ist eine ganze Weile her, seit ich in einem Bett geschlafen hab. Garantiert würde mein Dad sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn er mich wieder bei sich hätte.«

Ich berührte seine Wange. »Ich danke dir, Jacob.«

»Jederzeit, Bella. Aber das weißt du ja.«

Er stand auf, reckte sich, küsste erst Nessie auf den Kopf und dann mich. Schließlich boxte er Edward gegen die Schulter. »Bis morgen. Jetzt wird’s bestimmt ganz schön langweilig, was?«

»Das hoffe ich inständig«, sagte Edward.

Als Jacob gegangen war, standen wir auf; ich verlagerte das Gewicht ganz vorsichtig, um Nessie nicht ruckartig zu bewegen. Ich war so dankbar zu sehen, dass sie richtig schlafen konnte. So eine schwere Last hatte auf ihren kleinen Schultern gelegen. Jetzt war es Zeit, dass sie wieder Kind sein konnte, sicher und behütet. Noch ein paar Jahre Kindheit.

Die Vorstellung von Frieden und Geborgenheit erinnerte mich an jemanden, der solche Gefühle nicht immer hatte.

»Du, Jasper?«, sagte ich, als wir uns zur Tür wandten.

Jasper war zwischen Alice und Esme eingezwängt, er schien in diesem Augenblick mehr im Mittelpunkt der Familie zu stehen als gewöhnlich. »Ja, Bella?«

»Ich bin einfach neugierig – aber warum hat J. Jenks so eine Heidenangst, wenn er nur deinen Namen hört?«

Jasper kicherte. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für manche Geschäftsbeziehungen Angst einen besseren Anreiz darstellt als finanzieller Gewinn.«

Ich runzelte die Stirn und nahm mir vor, dass ich von nun an diese Geschäftsbeziehung übernehmen und J damit den Herzinfarkt ersparen würde, der ihm andernfalls drohte.

Wir wurden geküsst und umarmt und sagten unserer Familie gute Nacht. Der einzige Misston kam wieder von Nahuel, der uns so aufmerksam nachschaute, als wäre er am liebsten mitgekommen.

Als wir erst mal über den Fluss waren, liefen wir kaum schneller als Menschen, Hand in Hand, ohne Hast. Ich war es leid, eine Deadline vor Augen zu haben, und ich wollte mir einfach Zeit lassen. Edward empfand wohl genauso.

»Ich muss schon sagen, dass ich von Jacob jetzt gerade tief beeindruckt bin«, sagte Edward.

»Die Wölfe haben eine ganz schöne Wirkung, was?«

»Das habe ich nicht gemeint. Nicht ein einziges Mal hat er heute daran gedacht, dass Nessie Nahuel zufolge bereits in sechseinhalb Jahren erwachsen sein wird.«

Ich dachte kurz darüber nach. »So sieht er sie nicht. Er hat es nicht eilig, dass sie heranwächst. Er will nur, dass sie glücklich ist.«

»Ich weiß. Wie ich schon sagte, beeindruckend. Es geht mir gegen den Strich, das zu sagen, aber sie könnte eine schlechtere Wahl treffen.«

Ich runzelte die Stirn. »Darüber werde ich mir die nächsten sechseinhalb Jahre lang keine Gedanken machen.«

Edward lachte, dann seufzte er. »Es sieht allerdings so aus, als hätte er es mit einem Nebenbuhler zu tun, wenn es so weit ist.«

Mein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Das ist mir auch aufgefallen. Ich bin Nahuel für den heutigen Tag dankbar, aber es war ein bisschen merkwürdig, wie er die ganze Zeit gestarrt hat. Es ist mir egal, dass sie der einzige Halbvampir ist, mit dem er nicht verwandt ist.«

»Ach, aber er hat gar nicht sie angestarrt – er hat dich angestarrt.«

Den Eindruck hatte ich auch gehabt – aber das verstand ich noch weniger. »Warum sollte er?«

»Weil du lebst«, sagte er ruhig.

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

»Sein Leben lang«, erklärte er, »und er ist fünfzig Jahre älter als ich …«

»Tattergreis«, warf ich ein.

Er achtete nicht darauf. »Er hat sich selbst immer als Geschöpf des Bösen betrachtet, als geborenen Mörder. Auch seine Schwestern haben allesamt ihre Mütter getötet, doch sie dachten sich nichts dabei. Joham erzog sie dazu, die Menschen als Tiere zu betrachten, während sie selbst Götter seien. Doch Nahuel wurde von Huilen erzogen, und Huilen liebte ihre Schwester über alles. Das hat seine ganze Weltsicht geprägt. Und in gewisser Weise hat er sich selbst verabscheut.«

»Wie traurig«, sagte ich leise.

»Und dann sah er uns drei – und begriff zum ersten Mal, dass er nicht von Natur aus schlecht ist, nur weil er halb unsterblich ist. Er schaut mich an und sieht … wie sein Vater hätte sein sollen.«

»Du bist wirklich ziemlich ideal in jeder Hinsicht«, stimmte ich zu.

Er schnaubte, dann war er wieder ernst. »Er schaut dich an und sieht das Leben, das seine Mutter hätte haben sollen.«

»Armer Nahuel«, murmelte ich, dann seufzte ich, weil ich wusste, dass ich jetzt nie wieder schlecht von ihm denken konnte, obwohl sein Blick mir ziemlich unangenehm gewesen war.

»Sei nicht traurig seinetwegen. Heute hat er endlich angefangen sich zu vergeben.«

Ich lächelte über Nahuels Glück und dann dachte ich, dass der heutige Tag dem Glück gehörte. Obwohl Irinas Opfer einen dunklen Schatten auf das strahlende Licht warf und den Augenblick trübte, war die Freude nicht zu leugnen. Das Leben, für das ich gekämpft hatte, war wieder außer Gefahr. Meine Familie war vereint. Vor meiner Tochter lag eine endlose wundervolle Zukunft. Morgen würde ich meinen Vater besuchen, er würde sehen, dass in meinem Blick jetzt keine Angst mehr lag, sondern Glück, und das würde auch ihn glücklich machen. Plötzlich war ich mir sicher, dass ich ihn nicht allein antreffen würde. In den letzten Wochen war ich nicht ganz so aufmerksam gewesen wie sonst, aber in diesem Moment war es, als hätte ich es die ganze Zeit gewusst. Sue würde bei Charlie sein – die Werwolfmutter mit dem Vampirvater – und er war nicht mehr allein. Als mir das klarwurde, breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus.

Doch das Wichtigste in dieser Flutwelle des Glücks war das, was ich am sichersten wusste: Ich war mit Edward zusammen. Für immer.

Nicht, dass ich die letzten Wochen gern noch einmal durchlebt hätte, aber ich musste zugeben, dass ich durch sie das, was ich hatte, mehr denn je zu schätzen wusste.

Unser Häuschen war ein Ort vollkommenen Friedens in der silberblauen Nacht. Wir trugen Nessie in ihr Bett und deckten sie sanft zu. Sie lächelte im Schlaf.

Ich nahm Aros Kette ab und warf sie lässig in eine Ecke des Zimmers. Nessie konnte damit spielen, wenn sie wollte, sie mochte alles, was glitzerte.

Edward und ich gingen langsam in unser Zimmer, wir hatten uns an den Händen gefasst und schwenkten die Arme.

»Eine Nacht zum Feiern«, flüsterte er und hob mein Kinn, so dass meine Lippen an seinen waren.

»Warte«, sagte ich und entzog mich ihm.

Er sah mich verwirrt an. Im Allgemeinen entzog ich mich nicht. Na gut, nicht nur im Allgemeinen. Das hier war eine Premiere.

»Ich will etwas ausprobieren«, sagte ich und lächelte ein wenig über seinen verunsicherten Gesichtsausdruck.

Ich legte meine Hände links und rechts an sein Gesicht und schloss die Augen, um mich besser konzentrieren zu können.

Als Zafrina versucht hatte, es mir beizubringen, hatte es nicht besonders gut geklappt, aber jetzt kannte ich meinen Schild besser. Ich hatte begriffen, was es war, das sich gegen die Trennung von mir wehrte, der automatische Instinkt, das Ich vor allem anderen zu schützen.

Es war immer noch viel schwieriger, als andere zusammen mit mir selbst abzuschirmen. Ich merkte, wie die dehnbare Schicht wieder zurücksprang, weil mein Schild mich schützen wollte. Ich musste mich anstrengen, um ihn ganz von mir wegzuschieben, es nahm meine ganze Konzentration in Anspruch.

»Bella!«, flüsterte Edward erschrocken.

Da wusste ich, dass es funktionierte, also konzentrierte ich mich noch mehr, förderte die besonderen Erinnerungen zu Tage, die ich mir für diesen Augenblick aufgespart hatte, ließ sie in meinen Kopf strömen und hoffentlich auch in seinen.

Einige der Erinnerungen waren undeutlich – schwache menschliche Erinnerungen, mit schlechten Augen gesehen und mit schwachen Ohren gehört: das erste Mal, als ich sein Gesicht gesehen hatte … wie es sich anfühlte, als er mich auf der Wiese in den Armen gehalten hatte … der Klang seiner Stimme durch die Dunkelheit meines schwindenden Bewusstseins, als er mich vor James rettete … sein Gesicht, als er unter einem Blumendach wartete, um mich zu heiraten … jeder kostbare Moment auf der Insel … seine kalten Hände, die unser Baby durch meine Haut hindurch berührten …

Und die scharfen Erinnerungen, die ich ganz genau abrufen konnte: sein Gesicht, als ich zum ersten Mal in meinem neuen Leben die Augen aufschlug, zum endlosen Beginn der Unsterblichkeit … der erste Kuss … die erste Nacht …

Seine Lippen, die plötzlich leidenschaftlich auf meinen lagen, rissen mich aus der Konzentration.

Keuchend verlor ich den Halt des widerspenstigen Gewichts, das ich von mir weghielt. Es flutschte zurück wie ein überdehntes Gummiband und verdeckte meine Gedanken wieder.

»Huch, jetzt ist es mir entglitten!« Ich seufzte.

»Ich habe dich gehört!«, flüsterte er. »Wie? Wie hast du das gemacht?«

»Es war Zafrinas Idee. Wir haben es ein paarmal geübt.«

Er war ganz benommen. Er blinzelte zweimal und schüttelte den Kopf.

»Jetzt weißt du es«, sagte ich leichthin und zuckte die Schultern. »Niemand hat je einen anderen so sehr geliebt, wie ich dich liebe.«

»Du hast beinahe Recht.« Er lächelte, seine Augen waren immer noch etwas weiter geöffnet als sonst. »Ich kenne nur eine Ausnahme.«

»Lügner.«

Er küsste mich wieder, dann brach er abrupt ab.

»Kannst du das noch mal machen?«, fragte er.

Ich verzog das Gesicht. »Es ist sehr schwierig.«

Er wartete, er sah sehr gespannt aus.

»Aber wenn ich nur das kleinste bisschen abgelenkt werde, verliere ich es sofort«, warnte ich ihn.

»Ich werde brav sein«, versprach er.

Ich schob die Lippen vor und kniff die Augen zusammen. Dann lächelte ich.

Ich legte ihm wieder die Hände ans Gesicht und schob den Schild aus meinen Gedanken, dann machte ich da weiter, wo ich aufgehört hatte – bei der kristallklaren Erinnerung an die erste Nacht in meinem neuen Leben … bis ins kleinste Detail.

»Zum Teufel damit«, sagte er und wanderte mit gierigen Küssen an meinem Hals herunter.

»Wir haben noch genug Zeit, um daran zu arbeiten«, erinnerte ich ihn.

»Für immer und ewig und allezeit«, murmelte er.

»Das klingt wie Musik in meinen Ohren.«

Glückselig setzten wir unsere Reise in den kleinen, aber vollkommenen Teil unserer Ewigkeit fort.