Kristiansand 1943

Auf der gesamten Fahrt nach Norwegen war er seekrank. Die anderen schienen dagegen immun zu sein. Sie waren abgehärtet. Mit dem Meer aufgewachsen. Hatten Seebeine, wie sein Vater zu sagen pflegte, konnten die Bewegungen der Wellen ausgleichen und gingen mit festen Schritten übers Deck. Diese Übelkeit, die vom Magen den Hals hinaufstieg, kannten sie gar nicht. Schwerfällig lehnte sich Axel an die Reling. Eigentlich war ihm nach Kotzen zumute, doch diese Blöße wollte er sich nicht geben. Er wusste zwar, dass ihr Grinsen nicht böse gemeint war, aber für die Scherze der Fischer war er sich trotzdem zu schade. Die Fahrt würde nicht mehr lange dauern, und sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, verflüchtigte sich die Übelkeit wie auf Knopfdruck. Das wusste er aus Erfahrung. Er hatte diese Reise nun schon oft gemacht.

»Land in Sicht«, rief Schiffer Elof, der am Steuer stand. »In zehn Minuten sind wir da.« Axel trat zu ihm, und Elof blickte ihn lange an. Die faltige Haut des Mannes war braun gebrannt und sah wie gegerbt aus. Er war von klein auf Wind und Wetter ausgesetzt gewesen.

»Hast du deine Sachen in Ordnung?«, fragte er leise und blickte sich um. Im Hafen von Kristiansand lagen die deutschen Schiffe in Reih und Glied und ließen keinen Zweifel an den nackten Tatsachen. Norwegen war von Deutschland überfallen worden. Bislang war Schweden verschont geblieben, aber niemand wusste, wie lange dieser glückliche Zustand anhalten würde. Bis dahin behielt man wachsam im Auge, was die Deutschen im westlichen Nachbarland und im restlichen Europa trieben.

»Ihr kümmert euch um euren Kram und ich mich um meinen«, sagte Axel. Es klang schärfer als beabsichtigt, aber ihn quälte das schlechte Gewissen, weil er die Seeleute in die Gefahren mit hineinzog, die er allein hätte schultern müssen. Andererseits zwang er niemanden, rief er sich ins Gedächtnis. Elof hatte sofort zugesagt, als er ihn fragte, ob er manchmal mitfahren und … Waren mitnehmen könne. Elof und die anderen Männer von der Elfrida hatten ihn nie gefragt, was er da eigentlich transportierte.

Sie legten im Hafen an und zeigten die notwendigen Papiere vor. Da die Deutschen nichts dem Zufall überließen, musste immer ein Haufen Papierkram erledigt werden, bevor sie die Ladung löschen konnten. Wenn die Formalitäten erledigt waren, schleppten sie zunächst die Maschinenteile an Land, ihre offizielle Ladung. Die Norweger nahmen die Lieferung entgegen, während die Deutschen das Geschehen mit düsterer Miene verfolgten. Für alle Fälle hielten sie immer die Gewehre bereit. Axel wartete bis zum Abend. Seine Fracht konnte erst in der Dunkelheit gelöscht werden. Meistens brachte er Lebensmittel mit. Und Nachrichten. So auch diesmal.

Nachdem sie in gedrückter Stimmung schweigend zu Abend gegessen hatten, wartete Axel rastlos auf den vereinbarten Zeitpunkt. Ein vorsichtiges Klopfen an die Scheibe ließ ihn und die anderen zusammenzucken. Axel beugte sich hastig nach vorn, klappte einen Teil des Fußbodens hoch und stapelte Holzkisten aufeinander. Behutsame und schweigende Hände griffen nach den Kisten und reichten sie weiter auf den Kai. Alles geschah unter dem lauten Stimmengewirr, das aus der Baracke der Deutschen drang. Zu dieser späten Stunde war man bereits zu den stärkeren Getränken übergegangen, was ihre gefährliche Aufgabe erleichterte. Betrunkene Deutsche ließen sich viel leichter an der Nase herumführen als nüchterne.

Nach einem leisen Dank auf Norwegisch war die Ladung von Bord geschafft und in der Dunkelheit verschwunden. Wieder war die Übergabe glatt verlaufen. Mit einem berauschenden Gefühl der Erleichterung ging Axel zurück in den Mannschaftsraum. Drei Augenpaare blickten ihn an, aber niemand sagte ein Wort. Elof nickte nur, wandte sich ab und stopfte seine Pfeife. Axel verspürte diesen Männern gegenüber eine Dankbarkeit, die ihn überwältigte. Diese Seeleute trotzten den Deutschen genauso, wie sie gefährlichen Stürmen standhielten. Ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hatten sich längst damit abgefunden, dass man gegen die verschlungenen Pfade des Schicksals machtlos war. Man tat sein Bestes und lebte, so gut es ging. Der Rest lag in Gottes Hand.

Erschöpft legte Axel sich hin. Die sanften Schiffsbewegungen und das leise Gluckern wiegten ihn bald in den Schlaf. Oben in der Baracke am Kai dröhnten noch immer die Stimmen der Deutschen. Nach einer Weile fingen sie an zu singen, doch da war Axel bereits in tiefen Schlaf gefallen.

Was wissen wir bisher?« Mellberg sah sich auffordernd in der Teeküche um. Der Kaffee war gekocht, die Zimtschnecken standen auf dem Tisch, und alle waren versammelt.

Paula räusperte sich: »Ich habe mich mit Axel in Verbindung gesetzt, dem Bruder. Er arbeitet – wie jeden Sommer – in Paris, aber nun befindet er sich auf der Heimreise. Er wirkte erschüttert, als ich ihm die Nachricht vom Tod seines Bruders überbrachte.«

»Wissen wir, wann er das Land verlassen hat?«, fragte Martin. Paula blickte auf ihren Notizblock.

»Am dritten Juni, sagt er. Ich werde seine Angaben natürlich überprüfen.«

Martin nickte.

»Liegt ein vorläufiger Bericht von Torbjörn und seinem Team vor?« Vorsichtig bewegte Mellberg die Füße, auf denen Ernst mit seinem ganzen Gewicht lag. Obwohl sie kurz vorm Einschlafen waren, konnte er sich aus irgendeinem Grund nicht überwinden, den Hund wegzuschubsen.

»Noch nicht.« Gösta griff nach einer Schnecke. »Vorhin hat er gesagt, dass wir eventuell morgen etwas bekommen.«

»Gut, bleib dran.« Mellberg versuchte immer noch, eine bequemere Stellung für seine Füße zu finden, aber Ernst schien an ihm zu kleben.

»Gibt es Verdächtige? Feinde? Drohungen? Irgendwas?« Mellberg sah Martin an, doch der schüttelte den Kopf.

»Uns ist nichts Derartiges bekannt. Allerdings hatte er ein etwas umstrittenes Interessengebiet. Der Nationalsozialismus lässt niemanden kalt.«

»Wir könnten zum Haus fahren und nachsehen, ob in den Schubladen ein Drohbrief liegt.«

Alle blickten Gösta verwundert an. In dieser Hinsicht glich er einem Vulkan. Er war selten aktiv, aber wenn, dann war er nicht zu übersehen.

»Nimm Martin mit und fahrt gleich nach der Dienstbesprechung los.« Mellberg lächelte Gösta zufrieden an. Der wiederum nickte und fiel umgehend in seine lethargische Haltung zurück. Gösta Flygare wurde nur auf dem Golfplatz richtig munter, doch seine Kollegen hatten sich daran gewöhnt.

»Paula, du passt auf, wenn der Bruder – der hieß doch Axel, oder? – ankommt. Sorg dafür, dass wir uns mit ihm unterhalten können. Da wir noch immer nicht wissen, wann Erik gestorben ist, könnte er derjenige gewesen sein, der seinem Bruder den Schädel eingeschlagen und sich anschließend aus dem Staub gemacht hat. Also schnapp ihn dir, sobald er schwedischen Boden betreten hat. Wann wird das übrigens sein?«

Wieder warf Paula einen Blick auf ihre Notizen. »Er kommt morgen früh um Viertel nach neun in Landvetter an.«

»Gut. Sieh zu, dass er zuallererst hierherkommt.« Nun musste Mellberg die Füße bewegen, weil sich ein unangenehmes Stechen und Taubheitsgefühle in ihnen bemerkbar machten. Ernst erhob sich, warf ihm einen beleidigten Blick zu und trottete mit eingezogenem Schwanz zu seinem Körbchen in Mellbergs Zimmer.

»Das scheint wahre Liebe zu sein.« Lachend blickte Annika dem Hund hinterher.

»Hm …« Mellberg räusperte sich. »Ich wollte gerade fragen, wann der Köter endlich abgeholt wird.« Er senkte den Blick. Annika setzte eine Unschuldsmiene auf.

»Die Sache ist nicht ganz einfach. Ich habe überall herumtelefoniert, aber offenbar hat niemand Platz für einen Hund dieser Größe. Vielleicht könntest du dich noch ein bisschen um ihn kümmern …?« Annika sah Mellberg mit großen blauen Augen an.

Er grunzte. »Ein paar Tage halte ich es noch mit ihm aus. Aber irgendwann ist Schluss. Wenn du niemanden findest, landet er wieder auf der Straße.«

»Danke, Bertil, wie nett von dir. Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen.« Als Mellberg nicht hinsah, blinzelte Annika den anderen zu. Alle mussten sich das Lachen verkneifen. Allmählich ahnten sie, was Annika vorhatte. Sie war wirklich nicht auf den Kopf gefallen.

»Fein.« Mellberg stand auf. »Dann arbeiten wir weiter.« Er verließ die Teeküche.

»Ihr habt gehört, was der Chef gesagt hat.« Martin erhob sich ebenfalls. »Wollen wir los, Gösta?«

Gösta schien bereits zu bereuen, dass er einen Vorschlag geäußert hatte, der für ihn persönlich eine zusätzliche Belastung mit sich brachte, nickte aber müde und trottete hinter Martin her. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen. Am Samstag und Sonntag konnte er ausschlafen. Die Zeit bis dahin würde er auch noch irgendwie herumkriegen.

Die Gedanken an Erik Frankel und den Orden ließen Erica keine Ruhe. Manchmal gelang es ihr, sie einige Stunden am Stück zu verdrängen, weil sie nun endlich mit ihrem Manuskript vorankam. Aber sobald ihre Konzentration nachließ, musste sie wieder an die kurze Begegnung denken. Sie hatte ihn als sanftmütigen und höflichen Mann erlebt, der aufblühte, wenn er über den Nationalsozialismus sprechen konnte.

Sie speicherte ab, was sie geschrieben hatte, öffnete nach kurzem Zögern den Internet Explorer und gab Erik Frankel ein. Zahlreiche Treffer erschienen. Einige waren offensichtlich falsch und beinhalteten Informationen über andere Personen, aber die meisten betrafen den richtigen Erik Frankel. Sie verbrachte eine gute Stunde damit, sich zumindest durch einen Teil der Informationsflut zu klicken. Er war 1930 in Fjällbacka geboren und hatte neben seinem vier Jahre älteren Bruder Axel keine weiteren Geschwister. Sein Vater war von 1935 bis 1954 Arzt in Fjällbacka gewesen, und er und sein Bruder wohnten in ihrem Elternhaus. Sie forschte weiter. Sein Name tauchte in mehreren Foren zum Nationalsozialismus auf, doch nichts deutete darauf hin, dass er mit diesen Gruppen sympathisierte. Eher im Gegenteil. Allerdings ließ sich aus manchen seiner Beiträge eine Art Negativfaszination für den Nationalsozialismus herauslesen, und die war offenbar auch sein Antrieb.

Sie schloss das Internetfenster und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Eigentlich hatte sie keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, aber ihre Neugier war geweckt.

Ein vorsichtiges Klopfen ließ Erica zusammenzucken.

»Störe ich?«, fragte Patrik.

»Kein Problem.« Erica drehte sich mit dem Bürostuhl zu ihm um.

»Ich wollte nur sagen, dass Maja schläft. Ich muss ein paar Dinge erledigen. Könntest du darauf aufpassen?« Er wollte ihr das Babyphon in die Hand drücken, mit dem sie Majas Schlaf überwachten.

»Eigentlich muss ich arbeiten.« Erica seufzte innerlich. »Was hast du denn vor?«

»Ich habe eine Benachrichtigung bekommen, dass ich bei der Post einige Bücher abholen kann. Außerdem wollte ich in der Apotheke Nasentropfen kaufen, und wenn ich sowieso unterwegs bin, kann ich auch gleich meinen Lottoschein abgeben. Ein bisschen einkaufen wollte ich übrigens auch.«

Erica verspürte plötzlich eine ungeheure Müdigkeit. Sie dachte an all die Besorgungen, die sie im Laufe des vergangenen Jahres mit Maja im Kinderwagen oder auf dem Arm erledigt hatte. Oft war sie hinterher völlig durchgeschwitzt gewesen. Da hatte sich niemand kurz um Maja gekümmert, wenn sie etwas zu erledigen hatte. Sie schob den Gedanken jedoch beiseite, sie wollte ja nicht kleinlich und egoistisch sein.

»Natürlich passe ich auf sie auf.« Sie gab sich redliche Mühe, ein möglichst natürliches Lächeln aufzusetzen. »Wenn sie schläft, kann sie mich ja nicht von der Arbeit abhalten.«

»Das ist wahnsinnig lieb von dir.« Patrik küsste sie auf die Wange und machte die Tür hinter sich zu.

»Stimmt«, murmelte Erica vor sich hin, während sie das WordDokument mit ihrem Manuskript wieder öffnete und versuchte, Erik Frankel aus ihren Gedanken zu verbannen.

Sie hatte gerade die Finger auf die Tastatur gelegt, als das Babyphon ein Knistern von sich gab. Erica erstarrte. Das musste noch nichts bedeuten. Wahrscheinlich hatte Maja sich nur in ihrem Bettchen umgedreht, manchmal war das Gerät etwas zu empfindlich. Draußen hörte sie den Motor starten und Patrik davonfahren. Sie blickte wieder auf den Bildschirm und formulierte im Kopf den nächsten Satz, als es erneut knisterte. Sie starrte das Babyphon an, als wollte sie es beschwören, Ruhe zu geben, erntete aber lediglich ein lautes »Buuuh«, dem ein schrilles »Mamaaa … Papaaa …« folgte.

Mit einem Gefühl der Ohnmacht schob sie ihren Stuhl zurück. Typisch. Sie ging zu Majas Zimmer und öffnete die Tür. Ihre Tochter richtete sich auf und schrie gellend.

»Du sollst schlafen, meine Süße.«

Maja schüttelte den Kopf.

»Doch, du schläfst jetzt.« Erica gab sich Mühe, so entschieden wie möglich zu klingen. Sie legte ihre Tochter hin, aber Maja war so schnell wieder auf den Beinen, als hätte sie eingebaute Sprungfedern.

»Mamaaa!«, kreischte ihre Tochter in einem Ton, der Glas zerspringen lassen konnte. Erica spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Das hier hatte sie schon so oft gemacht. So viele Tage hatte sie damit verbracht, Maja zu füttern, sie ins Bett zu bringen, sie herumzutragen und mit ihr zu spielen. Sie liebte ihre Tochter, aber nun brauchte sie dringend jemanden, der ihr die Verantwortung abnahm. Eine Atempause. Sie musste sich unbedingt wieder mit erwachsenen Dingen beschäftigen – genau wie Patrik es in dem Jahr gekonnt hatte, als sie mit Maja zu Hause war.

Sie legte Maja wieder hin, doch das hatte nur zur Folge, dass die Einjährige sich in Raserei hineinsteigerte.

»Du sollst jetzt schlafen.« Rückwärts verließ Erica das Zimmer und schloss die Tür. Kochend vor Wut und ein wenig zu heftig wählte sie Patriks Handynummer. Sie zuckte zusammen, als im Erdgeschoss das erste Klingeln ertönte. Patriks Mobiltelefon lag auf dem Küchentisch.

»So eine Scheiße!« Sie knallte das Schnurlose auf den Tisch. Dann zwang sie sich, ein paar Mal tief durchzuatmen. Tränen der Wut liefen ihr über die Wangen, doch ihr vernünftiges Ich bemühte sich, logisch zu denken. Einerseits war es kein Weltuntergang, wenn sie ihn für eine Weile ablöste, andererseits aber doch. Sie konnte einfach nicht loslassen, weil sie nicht das Gefühl hatte, dass Patrik ihr die Verantwortung abnahm.

Aber so war es nun einmal. Das Wichtigste war, dass sie ihre Wut nicht an Maja ausließ. Sie konnte schließlich nichts dafür. Erica atmete noch einmal tief durch und ging wieder ins Zimmer ihrer Tochter. Maja hatte vom Brüllen einen hochroten Kopf, und im Zimmer hatte sich ein unmissverständlicher Geruch ausgebreitet. Das Rätsel war gelöst. Deshalb konnte Maja nicht einschlafen. Mit schlechtem Gewissen und der festen Überzeugung, eine Rabenmutter gewesen zu sein, nahm Erica ihre Tochter behutsam auf den Arm und drückte das flaumige Köpfchen an ihre Brust. »Ganz ruhig, meine Süße, jetzt bekommst du eine saubere Windel.« Maja schmiegte sich schluchzend an sie. Unten in der Küche schrillte Patriks Handy.

»Ein wenig unheimlich …« Martin blieb eine Weile im Flur stehen und lauschte den typischen Geräuschen, die es in allen alten Häusern gab. Leises Knacken oder Knirschen, kleine Klagelaute, wenn der Wind das Haus erfasste.

Gösta nickte. Es lag tatsächlich eine unheimliche Stimmung über dem Haus, aber ihm war klar, dass dieser Eindruck vor allem darauf beruhte, dass sie wussten, was hier passiert war.

»Hat Torbjörn nichts dagegen, dass wir hineingehen?« Martin drehte sich zu Gösta um.

»Sie haben alle notwendigen Untersuchungen gemacht.« Gösta deutete mit dem Kopf zur Bibliothek, wo noch Spuren des Pulvers zu sehen waren, mit dem man Fingerabdrücke fixierte. Schwarze, verwischte Flecke, die den Gesamteindruck dieses ansonsten so schönen Zimmers zerstörten.

»Na gut.« Martin streifte die Schuhe an der Fußmatte ab und ging auf die Bibliothek zu. »Sollen wir hier anfangen?«

»Scheint logisch.« Gösta folgte ihm ächzend.

»Ich übernehme den Schreibtisch, dann kannst du die Ordner durchgehen.«

»Klar«, ächzte Gösta. Martin fiel das dauernde Stöhnen gar nicht mehr auf, weil Gösta jedes Mal seufzte, wenn ihm eine konkrete Aufgabe bevorstand.

Vorsichtig näherte sich Martin dem Schreibtisch. Es war ein riesiges verschnörkeltes Möbelstück aus dunklem Holz. Martin fand, dass es besser in ein englisches Herrenhaus als in diesen großen und luftigen Raum gepasst hätte. Auf der Tischplatte lagen ein Stift und eine Schachtel Büroklammern in perfekter Symmetrie. Etwas Blut war auf einen vollgekritzelten Block getropft. Martin beugte sich vor, um zu lesen, was mehrmals darauf stand: Ignoto milite. Die Wörter sagten ihm nichts. Behutsam zog er eine Schublade nach der anderen heraus und ging systematisch den Inhalt durch. Nichts weckte sein Interesse. Er stellte lediglich fest, dass Erik und sein Bruder ganz offensichtlich nicht nur das Arbeitszimmer, sondern auch die Vorliebe für Ordnung geteilt hatten.

»Das geht in eine krankhafte Richtung.« Gösta zeigte Martin den Inhalt eines Ordners. Alle Blätter waren fein säuberlich eingeheftet, und im Inhaltsverzeichnis vorn war verzeichnet, was genau sich hinter welchem Trennblatt befand.

»Meine Unterlagen sehen anders aus«, lachte Martin.

»Ich hatte immer das Gefühl, dass mit solchen Leuten etwas nicht stimmt. Vermutlich haben seine Eltern zu früh mit dem Topftraining angefangen …«

»Interessante Theorie«, grinste Martin. Manchmal konnte Gösta richtig witzig sein, allerdings meistens unfreiwillig.

»Hast du irgendwas gefunden? Hier ist jedenfalls nichts Interessantes.« Martin schob die letzte Schublade hinein.

»Noch nicht. Vor allem Rechnungen, Verträge und so Sachen. Die haben seit Jahrzehnten alle Stromrechnungen aufbewahrt. Nach Datum sortiert.« Gösta schüttelte den Kopf. »Nimm dir auch einen Ordner.« Er zog einen dicken schwarzen Ordner aus dem Bücherregal neben dem Schreibtisch und reichte ihn dem Kollegen.

Martin setzte sich damit in den Sessel. Gösta hatte recht. Alles war perfekt geordnet. Er ging alle Unterlagen durch, studierte sorgfältig jedes Blatt Papier, doch bald verließ ihn der Mut. Bis er zum Buchstaben S kam. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass »S« für Schwedens Freunde stand. Neugierig blätterte er die Papiere durch. Auf jedem Blatt war oben rechts eine Krone vor einer wehenden schwedischen Fahne abgebildet. Der Verfasser der Briefe war immer derselbe, Frans Ringholm.

»Hör mal.« Martin las Gösta laut aus einem der oberen Briefe vor, laut Datum stammte er aus jüngerer Zeit.

»Trotz unserer gemeinsamen Geschichte kann ich nicht mehr lange ignorieren, dass du den Zielen und Absichten von Schwedens Freunden aktiv zuwiderhandelst. Das wird Konsequenzen haben. Unserer alten Freundschaft zuliebe habe ich mein Bestes getan, um dich zu schützen, aber es gibt starke Kräfte im Verein, die das nicht gerne sehen, und es wird eine Zeit kommen, in der ich dir keinen Schutz mehr vor diesen Kräften bieten kann.« Martin zog eine Augenbraue hoch. »Ungefähr in dem Stil geht es weiter.« Hastig blätterte er die übrigen fünf Briefe durch.

»Offenbar ist Erik Frankel mit seiner Tätigkeit einer rechtsradikalen Gruppe auf die Füße getreten, hatte aber überraschenderweise einen Beschützer in dieser Organisation.«

»Einen Beschützer, der vielleicht am Ende machtlos war.«

»Das läge nahe. Wir müssen die restlichen Dokumente durchgehen. Außerdem müssen wir uns unbedingt diesen Frans Ringholm vorknöpfen.«

»Ringholm …« Gösta runzelte die Stirn. »Den Namen kenne ich doch.« Er verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, als wolle er sein Gehirn zwingen, mit der Lösung des Rätsels herauszurücken, aber es gelang ihm nicht. Während sie schweigend die restlichen Ordner durchgingen, wirkte er immer noch nachdenklich.

Nach einer guten Stunde schlug Martin den letzten zu und stellte fest: »Ich habe nichts Interessantes mehr gefunden. Du?«

Gösta schüttelte den Kopf. »Nein, und keine weiteren Hinweise auf Schwedens Freunde

Sie verließen die Bibliothek und durchsuchten die übrigen Zimmer. Überall fanden sie Hinweise auf die Beschäftigung mit Deutschland und dem Zweiten Weltkrieg, aber nichts erregte ihre Aufmerksamkeit. Das Haus an sich war schön, vielleicht etwas altertümlich eingerichtet, und wirkte an manchen Stellen recht abgenutzt. Schwarzweißfotos von den Eltern der Brüder und anderen Verwandten hingen an den Wänden und standen in altmodischen Rahmen auf Kommoden und Sideboards. Ihre Anwesenheit war deutlich zu spüren. Offenbar hatten die Brüder keine großen Veränderungen an dem Haus vorgenommen. Nur eine dünne Staubschicht störte den gepflegten Eindruck.

»Ich frage mich, ob sie selbst saubermachen oder ob sie jemanden haben, der zu ihnen kommt.« Nachdenklich strich Martin mit dem Finger über eine Kommode in einem der drei Schlafzimmer im Obergeschoss.

»Ich kann mir schwer vorstellen, dass die beiden Siebzigjährigen hier selbst putzen.« Gösta öffnete den Kleiderschrank neben der Tür. »Was meinst du? Ist das Axels oder Eriks Zimmer?« Er betrachtete die braunen Anzüge und die weißen Hemden im Schrank.

»Eriks«, sagte Martin. Er hatte ein Buch vom Nachttisch genommen und zeigte auf die erste Seite, wo mit Bleistift ein Name geschrieben stand: »Erik Frankel«. Es handelte sich um eine Biographie von Albert Speer. »Hitlers Architekt«, las Martin laut, bevor er das Buch zurücklegte.

»Der saß nach dem Krieg zwanzig Jahre im Spandauer Gefängnis«, murmelte Gösta. Martin warf ihm einen erstaunten Blick zu.

»Woher weißt du das?«

»Ich finde den Zweiten Weltkrieg auch interessant. In den letzten Jahren habe ich viel gelesen und Dokumentarfilme über das Thema auf Discovery gesehen.«

»Aha.« Martin wunderte sich noch immer. Sie arbeiteten seit einigen Jahren zusammen, aber Gösta hatte nie erwähnt, dass er sich für irgendetwas außer Golf interessierte.

Sie sahen sich eine weitere Stunde im Haus um, aber es kam nichts Neues zum Vorschein. Trotzdem war Martin zufrieden, als er den Wagen zurück zur Dienststelle lenkte. Der Name Frans Ringholm war immerhin ein Anhaltspunkt.

Im Konsum-Supermarkt war nicht viel los. In aller Ruhe streifte Patrik durch die Gänge zwischen den Regalen. Es war befreiend, für eine Weile das Haus zu verlassen. Ein schönes Gefühl, einen Augenblick allein zu sein. Heute war erst der dritte Tag seines Erziehungsurlaubes, und ein Teil von ihm war begeistert davon, dass er mit Maja zu Hause bleiben durfte. Einem anderen Teil fiel es jedoch schwer, sich daran zu gewöhnen. Nicht, dass er nicht alle Hände voll zu tun gehabt hätte. Er hatte schnell gemerkt, dass man wirklich nicht an Beschäftigungsmangel litt, wenn man für eine Einjährige sorgen musste. Das Problem war nur, dass diese Aufgabe nicht sonderlich anregend war, dachte er schuldbewusst. Außerdem war man unglaublich fremdbestimmt. Er konnte nicht einmal in Ruhe auf die Toilette gehen, da Maja sich mittlerweile vor die Tür stellte, »Papa, Papa, Papa« schrie und mit ihren kleinen Fäusten dagegen hämmerte, bis er aufmachte. Dann stand sie neugierig neben ihm und beobachtete ihn bei der Tätigkeit, die er bislang am liebsten allein erledigt hatte.

Er schämte sich ein bisschen, dass er Erica gebeten hatte, für ihn einzuspringen, aber da Maja schlief, konnte sie ja trotzdem arbeiten. Oder sollte er kurz anrufen und sicherheitshalber nachfragen? Er wollte gerade sein Handy aus der Tasche ziehen, als ihm einfiel, dass es wahrscheinlich noch auf dem Küchentisch lag. So ein Mist! Aber es war bestimmt alles in Ordnung. Er sah sich bei der Babynahrung um. »Fleischklößchen in Sahnesauce«, »Fisch in Dillsauce«, na ja … »Spaghetti alla Bolognese« hörte sich viel leckerer an. Er nahm fünf Gläser mit. Oder wäre es nicht vielleicht besser, wenn er das Essen für Maja selbst zubereitete? Das war eine gute Idee, dachte er und stellte drei Portionen wieder ins Regal. Er konnte einen großen Topf auf Vorrat kochen, Maja würde neben ihm sitzen …

»Lass mich raten. Du begehst gerade den Anfängerfehler, die Babynahrung selbst zubereiten zu wollen.«

Die Stimme war ihm seltsam vertraut, aber trotzdem irgendwie fehl am Platz. Patrik drehte sich um.

»Karin? Was machst du denn hier?« Patrik hatte nicht damit gerechnet, seine Exfrau im Konsum in Fjällbacka zu treffen. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie aus dem gemeinsamen Reihenhaus in Tanum ausgezogen war, um mit dem Mann zusammenzuziehen, mit dem er sie in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer erwischt hatte. Ein Erinnerungsfetzen kam ihm in den Sinn, verflüchtigte sich aber genauso schnell, wie er gekommen war. Das war jetzt so lange her.

»Leif und ich haben ein Haus in Fjällbacka gekauft. In Sumpan.«

»Ach.« Patrik versuchte krampfhaft, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

»Wir haben ja jetzt Ludde, und da wollte ich in der Nähe von Leifs Eltern wohnen.« Sie zeigte auf den Einkaufswagen. Patrik bemerkte erst jetzt den grinsenden Knirps, der darin saß.

»Sieh mal an«, erwiderte Patrik, »das war perfektes Timing. Ich habe nämlich ein kleines Mädchen im selben Alter zu Hause, sie heißt Maja.«

»Davon habe ich auch schon gehört«, lachte Karin. »Du bist mit Erica Falck verheiratet? Richte ihr aus, dass mir ihre Bücher gefallen!«

»Werde ich machen.« Patrik winkte Ludde zu, der übers ganze Gesicht strahlte.

»Was machst du jetzt?«, erkundigte er sich neugierig. »Zuletzt hieß es, du würdest bei einem Wirtschaftsprüfer arbeiten.«

»Da habe ich vor drei Jahren aufgehört. Im Moment bin ich im Erziehungsurlaub, aber eigentlich bin ich bei einer Beraterfirma angestellt, die wirtschaftliche Dienstleistungen anbietet.«

»Ich bin auch seit drei Tagen im Erziehungsurlaub«, sagte Patrik nicht ohne Stolz.

»Das ist ja witzig! Wo ist denn …?« Karin blickte sich suchend um. Patrik grinste dämlich.

»Erica passt eine Zeitlang auf sie auf, weil ich ein paar Besorgungen machen musste.«

»Das kenne ich!« Karin zwinkerte ihm zu. »Die männliche Unfähigkeit zum Multitasking ist offenbar weit verbreitet.«

»Scheint so«, gab Patrik beschämt zurück.

»Mensch, sollen wir uns nicht mal verabreden? Es ist ja nicht so einfach, die Kleinen zu beschäftigen, und so hätten wir beide auch mal die Gelegenheit, uns mit einem Erwachsenen zu unterhalten. Ein gutes Gespräch ist viel wert!« Sie verdrehte die Augen und sah Patrik fragend an.

»Klar. Wann und wo?«

»Ich mache mit Ludde jeden Vormittag einen langen Spaziergang. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen. Sollen wir uns um Viertel nach zehn vor der Apotheke treffen?«

»Das klingt super. Wie spät ist es eigentlich? Normalerweise benutze ich mein Handy als Uhr, aber das habe ich zu Hause vergessen.«

Karin blickte auf ihre Armbanduhr. »Viertel nach zwei.«

»Mist! Dann war ich ja zwei Stunden weg!« Im Laufschritt bugsierte er den Einkaufswagen zur Kasse. »Wir sehen uns morgen!«

»Viertel nach zehn. Vor der Apotheke. Aber komm nicht wieder eine Viertelstunde zu spät, so wie früher!«, rief ihm Karin hinterher.

»Keine Sorge!« Patrik warf die Lebensmittel auf das Band. Er hoffte inständig, dass Maja noch schlief.

Als sie sich zum Anflug auf Göteborg bereitmachten, lag der morgendliche Dunst in dicken Schwaden vor dem Fenster. Surrend wurden die Räder ausgefahren. Axel drückte den Kopf an die Rückenlehne und schloss die Augen, doch das war ein Fehler, denn wie so oft in all den Jahren sah er im Geiste sofort die Bilder vor sich. Müde öffnete er die Augen wieder. An Schlaf war in der vergangenen Nacht kaum zu denken gewesen. Die meiste Zeit hatte er sich in seinem Bett in der Pariser Wohnung hin und her gewälzt.

Die Stimme der Frau am Telefon hatte kühl geklungen. Mitfühlend und doch distanziert teilte sie ihm Eriks Tod mit. Offenbar war das nicht die erste Todesnachricht, die sie überbringen musste.

Ihm wurde schwindlig, als er versuchte, sich die vielen Todesfälle vorzustellen, die in der Menschheitsgeschichte übermittelt worden waren. Ein Anruf von der Polizei, ein Pfarrer vor der Haustür, ein Briefumschlag mit militärischem Siegel. All die Millionen von Menschen, die gestorben waren. Irgendjemand musste es den Angehörigen mitgeteilt haben. Einer musste es immer tun.

Axel griff sich ans Ohr. Mit den Jahren war diese Handbewegung zu einem Reflex geworden. Auf der linken Seite hatte er überhaupt kein Gehör mehr, und die Berührung brachte das stille Rauschen zur Ruhe.

Er blickte zum Fenster, sah aber nur sein eigenes Spiegelbild. Ein grauer, zerfurchter Mann um die achtzig. Traurige, tiefliegende Augen. Er berührte sein Gesicht. Einen Augenblick lang glaubte er, Erik zu sehen.

Donnernd setzten die Räder auf dem Boden auf. Er war angekommen.

Mellberg, der aus dem kleinen Unfall in seinem Büro klug geworden war, nahm die Leine vom Haken und befestigte sie an Ernsts Halsband.

»Bringen wir es hinter uns«, brummte er missmutig, doch Ernst sprang so ausgelassen und glücklich zur Tür, dass Mellberg fast rennen musste.

»Du musst den Hund führen, nicht umgekehrt«, bemerkte Annika, als die beiden an ihr vorbeiflitzten.

»Geh doch selbst mit ihm raus«, murrte Mellberg.

Der Köter hatte es faustdick hinter den Ohren. Ihm taten schon die Arme weh. Plötzlich blieb Ernst abrupt stehen, hob das Bein und verschaffte sich Erleichterung. Anschließend ging es in gemäßigtem Tempo weiter. Da fiel Mellberg auf, dass er leise vor sich hin pfiff. Die Sache mit dem Hund war gar nicht so übel. Etwas frische Luft und ein leichtes Konditionstraining würden ihm guttun. Ernst war mittlerweile richtig fügsam. Er ging voran und beschnüffelte den Waldweg, den sie entdeckt hatten. Vollkommen entspannt. Ernst merkte eben, dass hier jemand die Führung übernommen hatte, mit dem nicht zu spaßen war. Es würde ein Kinderspiel sein, diesem Hund zu zeigen, wo es langging.

In diesem Augenblick blieb Ernst stehen. Die Ohren waren steil aufgerichtet, und jeder Muskel seines sehnigen Körpers war zum Zerreißen gespannt. Dann explodierte er.

»Ernst! Was soll das?« Mellberg wurde so heftig hinterhergezerrt, dass er beinahe hinfiel, in letzter Sekunde konnte er jedoch das Gleichgewicht halten und versuchte nach Kräften, mit dem Hund Schritt zu halten.

»Ernst! Ernst! Hör sofort auf! Platz! Hier!«, keuchte er. Aufgrund der ungewohnten physischen Anstrengung fiel ihm das Schreien schwer, und der Hund ignorierte seine Kommandos. Als sie mehr oder weniger fliegend um eine Ecke bogen, wurde Mellberg klar, was den Ausbruch verursacht hatte. Ernst stürzte sich auf einen großen, hellen Hund, der offenbar einer ähnlichen Rasse angehörte. Ungestüm tollten die beiden herum, während das Frauchen an der einen und Bertil an der anderen Leine zerrte.

»Señorita! Platz! Pfui! Sitz!« Eine kleine dunkelhaarige Frau erteilte ihrer Hündin in barschem Ton Befehle, und im Gegensatz zu Ernst gehorchte diese sogar und zog sich von ihrem neuen Freund zurück. Beschämt setzte sie sich auf ihr Hinterteil und blickte ihr Frauchen verstohlen an.

»Pfui, Señorita! Das ist nicht fein!« Unerbittlich zwang die Frau die Hündin während der Ermahnung zum Augenkontakt, und Mellberg war so beeindruckt, dass er beinahe auch bei Fuß gestanden hätte.

»Ich … äh … bitte um Entschuldigung«, stammelte er und riss an der Leine, damit Ernst nicht wieder auf den anderen Hund losging, der dem Namen nach weiblich sein musste.

»Sie haben Ihren Hund überhaupt nicht im Griff«, herrschte sie ihn in scharfem Ton an. Die blitzenden Augen von Señoritas Frauchen durchbohrten Mellberg. Die Dame hatte einen leichten Akzent, der zu ihrem südländischen Aussehen passte.

»Das ist gar nicht mein Hund … Ich passe nur auf ihn auf, solange …« Mellberg stotterte herum wie ein Teenager. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal mit einer etwas respekteinflößenderen Stimme: »Ich bin an Hunde nicht so gewöhnt. Und dieser hier gehört mir nicht.«

»Das scheint er aber anders zu sehen.« Sie zeigte auf Ernst, der sich an Mellbergs Bein presste und ihn voller Bewunderung ansah.

»Nun ja …«, hüstelte Mellberg leicht geniert.

»Wir sollten uns vielleicht miteinander bekannt machen. Ich heiße Rita.« Sie reichte ihm die Hand, und er ergriff sie nach kurzem Zögern.

»Ich habe mein Leben lang Hunde gehalten und kann Ihnen bestimmt ein paar Tipps geben. Außerdem ist es viel angenehmer, mit einer netten Begleitung spazieren zu gehen.« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern marschierte einfach los. Ohne zu begreifen, wie ihm geschah, heftete Mellberg sich an ihre Fersen. Seine Füße schienen ein Eigenleben zu führen, und Ernst stolzierte mit unermüdlich wedelndem Schwanz neben Señorita her.