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1966 war ich zum ersten Mal betrunken. Das war auf der Abschlussfahrt nach Washington. Wir fuhren mit dem Bus, ungefähr vierzig Schüler und drei Aufpasser (einer davon tatsächlich doch die Alte Billardkugel), und verbrachten die erste Nacht in New York. Dort durfte man damals ab achtzehn Jahren Alkohol kaufen und konsumieren. Dank meiner kaputten Ohren und beschissenen Mandeln war ich schon fast neunzehn. Alt genug also.
Die unternehmungslustigeren unter uns Jungen fanden ein Spirituosengeschäft um die Ecke des Hotels. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass mein Taschengeld ganz und gar kein Vermögen darstellte, ließ ich den Blick über die Regale schweifen. Es gab zu viel – zu viele Flaschen, zu viele Marken, zu viele Preise über zehn Dollar. Schließlich gab ich auf und fragte den Mann hinter der Theke (zweifellos derselbe kahlköpfige, gelangweilt aussehende Kerl im grauen Mantel, der seit Anbeginn des Handels Alkoholneulingen ihre erste Flasche verkauft), was am billigsten sei. Ohne ein Wort stellte er eine Flasche Old Log Cabin Whiskey auf die Winston-Matte neben der Kasse. Auf dem Preisschild stand $ 1,95. Der Preis war in Ordnung.
Ich kann mich erinnern, dass ich später am Abend (vielleicht war es auch früh am nächsten Morgen) von Peter Higgins (dem Sohn der Alten Billardkugel), Butch Michaud, Lenny Partridge und John Chizmar in den Fahrstuhl geführt wurde. Diese Erinnerung ähnelt eher einer Fernsehübertragung als einer echten Erinnerung. Ich schien neben mir zu stehen und die ganze Sache zu beobachten. In meinem Körper ist gerade noch so viel Verstand zurückgeblieben, um zu wissen, dass ich stinkbesoffen, vielleicht sogar sternhagelvoll bin.
Die Kamera zeigt, wie wir zum Stockwerk der Mädchen hochgehen. Sie zeigt, wie ich durch den Gang geschoben werde, als würde eine Attraktion vorgeführt. Offenbar eine sehr unterhaltsame. Die Mädchen in Nachthemden, Morgenmänteln und Lockenwicklern haben Creme im Gesicht. Sie lachen mich aus, doch das Gelächter klingt gutmütig. Die Töne sind gedämpft, so als hörte ich alles durch Watte. Ich will Carole Lemke sagen, dass ich ihre Frisur ganz toll finde und dass sie die schönsten blauen Augen der Welt hat. Heraus kommt etwas wie: »Isn-wisn-blaue Augen, wisnmisn ganze Welt.« Carole lacht und nickt, als verstünde sie mich ganz und gar. Ich bin sehr glücklich. Für die Welt bin ich zweifellos ein Arschloch, aber immerhin ein glückliches, das alle lieben. Einige Minuten lang versuche ich Gloria Moore zu erklären, dass ich das geheime Leben von Dean Martin entdeckt habe.
Irgendwann danach liege ich in meinem Bett. Das Bett steht still, doch das Zimmer fängt an, sich zu drehen, immer schneller. Es kommt mir vor, als drehte es sich wie der Plattenteller meines Webcor-Plattenspielers, auf dem ich früher Fats Domino abspielte und jetzt Dylan und die Dave Clark Five. Das Zimmer ist der Plattenteller, und ich bin die Spindel in der Mitte. Gleich schleudert die Spindel den Plattenteller von sich.
Eine Weile bin ich nicht da. Als ich erwache, knie ich im Bad des Doppelzimmers, das ich mit meinem Freund Louis Purington teile. Ich habe keine Ahnung, wie ich dahin gelangt bin, aber es ist gut so, weil die Toilette randvoll mit hellgelber Kotze ist. Sieht aus wie Häppchen, denke ich, und das reicht schon aus, um wieder loszulegen. Es kommen nur nach Whiskey schmeckende Spuckefäden raus, aber mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich explodieren. Ich kann nicht gehen. Ich krieche zurück ins Bett, das verschwitzte Haar hängt mir in den Augen. Morgen geht’s mir besser, denke ich, dann bin ich wieder weg.
Am nächsten Morgen hat sich mein Magen ein wenig beruhigt, aber mein Zwerchfell schmerzt vom Würgen, und mir brummt der Schädel, als wären sämtliche Zähne entzündet. Meine Augen sind über Nacht zu Vergrößerungsgläsern geworden, die das schrecklich helle Sonnenlicht bündeln und drohen, mein Hirn in Brand zu setzen.
Die Teilnahme am Tagesprogramm – ein Besuch des Times Square, ein Bootsausflug zur Freiheitsstatue, eine Fahrt auf das Empire State Building – steht außer Frage. Gehen? Würg. Boote? Zweimal würg. Aufzüge? Würg hoch vier. Gott, ich kann mich kaum bewegen. Ich denke mir eine schwache Ausrede aus und verbringe fast den ganzen Tag im Bett. Am späten Nachmittag fühle ich mich etwas besser. Ich ziehe mich an, schleppe mich den Gang hinunter zum Lift und fahre ins Erdgeschoss. Essen ist noch immer unmöglich, aber ich glaube, ein Ginger Ale, eine Zigarette und eine Zeitschrift würden mir guttun. Und wer sitzt in der Lobby in einem Sessel und liest die Zeitung? Mr. Earl Higgins, alias Alte Billardkugel. Ich schleiche mich so leise wie möglich an ihm vorbei, aber es nutzt nichts. Als ich vom Souvenirshop zurückkehre, sitzt er mit der Zeitung im Schoß da und sieht mich an. Das Herz sackt mir in die Hose. Jetzt steht neuer Ärger mit dem Direx ins Haus, vielleicht sogar noch schlimmer als der Ärger, den ich mir damals wegen The Village Vomit einhandelte. Er ruft mich zu sich, und ich stelle etwas Interessantes fest: Mr. Higgins ist eigentlich ganz in Ordnung. Wegen der Verarschungs-Zeitung hatte er mir eine gehörige Abreibung verpasst, aber vielleicht hatte Miss Margitan ja darauf bestanden … und ich war ja auch erst sechzehn. Am Tag meines ersten richtigen Katers war ich fast neunzehn. Ich war an der Universität von Maine angenommen worden, und nach der Klassenfahrt wartete ein Job in der Weberei auf mich.
»Ich hab gehört, du warst zu krank, um mit den übrigen Schülern durch New York zu fahren«, sagt die Alte Billardkugel. Er beäugt mich von oben bis unten.
Ich bestätige ihm, ich hätte mich nicht wohlgefühlt.
»Schade, dass du den ganzen Spaß verpasst«, meint die Alte Billardkugel. »Geht’s dir inzwischen besser?«
Ja. Es ging mir besser. Wahrscheinlich so ein 24-Stunden-Magen-und-Darm-Virus.
»Dann will ich hoffen, dass du dir diesen Virus nicht noch einmal einfängst«, sagt er. »Wenigstens nicht auf dieser Fahrt.« Er schaut mich einen Augenblick lang an. Seine Augen fragen, ob wir uns verstanden haben.
»Ganz bestimmt nicht«, antworte ich und meine es auch so. Jetzt weiß ich, wie es ist, betrunken zu sein: ein vages Gefühl überschwänglicher Gutmütigkeit, dazu ein deutlicheres Gefühl, ein vom Körper losgelöstes Bewusstsein zu haben, das über einem schwebt wie eine Kamera in einem Science-Fiction-Film und alles aufnimmt … und dann die Übelkeit, das Erbrechen, die Kopfschmerzen. Nein, diesen Virus wollte ich mir kein zweites Mal holen, sagte ich mir. Nicht auf dieser Fahrt, überhaupt nie wieder. Einmal reicht, nur um herauszufinden, wie das ist. Nur ein Idiot würde es ein zweites Mal probieren, und höchstens ein Verrückter, ein masochistischer Verrückter würde Alkohol zu einem Teil seines Lebens machen.
Am nächsten Tag fahren wir nach Washington und machen eine Pause im Land der Amish. In der Nähe des Busparkplatzes gibt es eine Spirituosenhandlung. Ich betrete sie und sehe mich um. In Pennsylvania muss man einundzwanzig Jahre alt sein, um trinken zu dürfen, doch in meinem guten Anzug und »Fazzas« altem schwarzen Mantel sehe ich bestimmt alt genug aus. Wahrscheinlich wirke ich wie ein frisch entlassener junger Häftling: groß, hungrig und nicht ganz ordentlich zusammengeschraubt. Der Angestellte verkauft mir ein Fünftel Four Roses, ohne mich nach meinem Ausweis zu fragen, und als wir abends anhalten, bin ich schon wieder betrunken.
Ungefähr zehn Jahre später sitze ich mit Bill Thompson in einem irischen Pub. Wir haben einiges zu feiern, darunter nichts Geringeres als die Fertigstellung meines dritten Buches Shining (Originaltitel: The Shining). Das ist der Roman, der zufällig von einem alkoholkranken Schriftsteller und ehemaligen Lehrer handelt. Es ist Juli, im Fernsehen läuft das All-Star-Baseballspiel. Wir haben vor, eins der guten, alten Gerichte zu essen, die auf der Warmhalteplatte stehen, und uns dann die Kante zu geben. Wir beginnen mit einigen Drinks an der Theke, und ich lese die Aufkleber an den Spiegeln: TRINK EINEN MANHATTAN IN MANHATTAN!, steht auf einem. DIENSTAGS ALLES FÜR DIE HÄLFTE, steht auf einem anderen Aufkleber. ARBEIT IST DER FLUCH DER TRINKENDEN KLASSE, besagt ein dritter. Und genau vor mir ist einer, auf dem steht: SPEZIELL FÜR FRÜHAUFSTEHER: SCREWDRIVERS MONTAGS BIS FREI-TAGS 8-10 UHR NUR EINEN DOLLAR!
Ich winke dem Barkeeper. Er kommt herüber. Er ist kahl und trägt ein graues Jackett. Er könnte der Typ sein, der mir 1966 die erste Flasche verkaufte. Ist er wahrscheinlich auch. Ich weise auf den Aufkleber für Frühaufsteher und frage: »Wer kommt denn morgens um Viertel nach acht schon in die Bar und bestellt einen Screwdriver?«
Ich lächele, aber er erwidert mein Lächeln nicht. »Collegejungs«, antwortet er. »So wie Sie.«
Das Leben und das Schreiben
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