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In Goriah riß die Wolkendecke nach Mitternacht, als der Mond untergegangen war, entlang der bretonischen Küste auf, und die Meteore des Monats März erschienen in all ihrer Pracht. In einem Anfall spielerischer Laune befahl Aiken Drum, daß die Lichter in der Stadt gelöscht wurden. Er ließ Mercy aus dem Schlaf wecken und dahin bringen, wo er auf einer schmalen Brüstung über dem höchsten Turm der Glasburg wartete.

Sie trat in die bezaubernde Nacht hinaus und rief: »Ah!«

Zwischen den westlichen Sternbildern zogen zahllose weiße Funken ihre gekrümmte Bahn, auch größere Meteore mit leuchtenden Silberschwänzen, und gelegentlich rissen orangefarbene Feuerkugeln den Himmel mit ihrem Nachglühen auf. Sie alle rasten von einem dichten Mittelpunkt nach außen, wie die Speichen eines Sternenrades oder die Blütenblätter einer sich endlos auflösenden astralen Chrysantheme. Die Meteorite flogen über die Köpfe Aikens und Mercys und senkten sich jenseits der Meerenge hinter der Masse der Bretonischen Insel nieder. Einige von ihnen erloschen im dunklen Meer. Die Nacht war mit einem schwachen Rascheln wie mit einem ätherischen Flüstern gefüllt.

»Für dich!« erklärte Aiken großspurig und wies mit der stolzen Geste des Besitzers auf das Schauspiel. »Eine meiner bescheideneren Produktionen, aber doch würdig einer Tanu-Königin!«

Lachend trat sie zu ihm. »Noch nicht Königin, mein leuchtender Prahlhans, trotz all deiner kecken Versprechen. Aber der Sternenregen ist schön - nicht etwa, daß ich einen Augenblick lang glaube, du hättest ihn verursacht.«

»Zweifelst du schon wieder an mir, Weib?« Der kleine Mann in dem ganz mit Taschen besetzten schimmernden Anzug hob beide Arme. Ein Dutzend Meteorite fielen mit versengendem Zischen senkrecht auf ihn nieder und schrumpfte zu einer wild funkelnden Krone aus weißem Licht zusammen. Er streckte sie ihr mit triumphierendem Grinsen entgegen. »Ich kröne dich zur Königin des Vielfarbenen Landes!«

»Illusionen!« rief sie. »Soviel für dein schnell vergängliches Liebesgeschenk, Lord Lugonn Aiken Drum!« Sie schnippte mit den Fingern nach dem Sternendiadem. Es erstarb und brökelte Aiken durch die Finger wie ausgebrannte Kohlen durch einen Rost. Doch als sein Gesicht lang wurde, lächelte sie ihn in der flammenden Dunkelheit plötzlich an, so daß sein Herz einen Sprung über einen halben Ozean tat.

»Aber die echten Meteoriten gefallen mir wirklich, und es ist lieb von dir, daß du mich hast rufen lassen, damit ich sie sehe.«

Sie küßte ihn lange voll auf den Mund, die wilden Augen weit offen, und während er entwaffnet und die Abschirmung seines Geistes schwach war, überraschte sie ihn mit einer redigierenden Sonde.

»Du liebst mich ja!« entfuhr es ihr.

»Zum Teufel, nein!« Er überprüfte seine Verteidigungen, verstärkte die Kontrolle und versuchte, ihrem mentalen Forschen zu entschlüpfen, ohne ihr wehzutun. Seine großen metapsychischen Fähigkeiten, die während der Wintermonate ständig weiter gewachsen waren - jene Kräfte, mit denen er sich die bewundernde Unterwerfung oder die verdrossene Ehrerbietung der überlebenden Tanu-Großen errungen hatte - versagten vor Mercy-Rosmar. »Ich liebe dich nicht!« protestierten sein Geist und seine Stimme. »Es ist nicht notwendig.«

Ihre Belustigung blubberte hoch. »Notwendig? Aber meine Freudengeschenke würdest du annehmen, nicht wahr - ob mit oder ohne Liebe, du Erztäuscher! Und du willst sie jetzt. Gib es zu! Nun, dann ...«

Die redigierende Sonde wurde zu einem Strom von Süße, der durch seine Nervenbahnen zog und ihn umwarf, in hilflosem sexuellem Entzücken brennend wie die Meteorite. »Zauberin«, stöhnte er, flach auf dem Glasfußboden des Türmchens liegend, die Füße in den Röcken ihres fließenden Peignoirs verwickelt. Sobald er sich erholt hatte, begann er zu lachen, um die anderen Emotionen zu verdecken.

Mercy kniete sich neben ihn, nahm seinen Kopf auf den Schoß und küßte seine Augenlider. »Hab keine Angst«, sagte sie. »Es wird alles so werden, wie du es geplant hast.«

»Ich habe vor nichts Angst!« widersprach er. »Zusammen werden wir sie alle in die Tasche stecken, Lady Wildfeuer.«

»Das meine ich nicht, du Intrigant.« Sie blickte auf ihn nieder. Entspannt lag er in ihrem Schoß, den Kopf an ihren geschwollenen Bauch gelehnt. »Fast könnte ich dir glauben, daß du fähig bist, die alte Glorie Wiedererstehen zu lassen.«

»Das kann ich! Vertraue mir! Ich habe alles ausgearbeitet. Wie ich die Firvulag behandeln muß, wie ich die Loyalität der alten Garde unter den Tanu gewinne, wie ich die Wirtschaft saniere - all das. Ich werde der König, du wirst die Königin sein, und alle unsere Winterträume werden wahr.«

Sein Gesicht mit dem Kaspergrinsen leuchtete wie eine Kürbislaterne. Er spürte Mercy innerlich unter einem Gefühl des déjà vu zusammenzucken, das in seiner Heftigkeit sogar den schlafenden Fötus erschreckte.

»Ich habe dein Gesicht früher schon gesehen«, stellte sie grübelnd fest. »Damals in der Alten Welt. Ich bin mir ganz sicher. Es war in Italien ... in Florenz.«

»Verdammt unwahrscheinlich. Das einzige Mal, daß ich auf der Alten Erde gewesen bin, war auf meiner Reise zur Auberge, und ich habe Frankreich sofort und ohne jeden Umweg aufgesucht. Du warst schon durch das Zeitportal gegangen.«

»Doch, ich habe dich gesehen. Oder war es ein Bild von dir? Vielleicht im Palazzo Vecchio? Aber wessen Porträt?«

»Kein einziges italienisches Gen in meinem Körper«, murmelte er, hob die Hand und streichelte ihr Haar. Meteorite zeichneten einen surrealistischen Halo hinter ihrem Kopf. »Dalriada, wo ich aufgewachsen bin, ist eine schottische Welt. Und wir Reagenzglaskinder haben alle karierte Chromosomen mit Beglaubigungsschreiben.«

Er levitierte, bis ihre Lippen sich trafen. Von neuem schmolz sie in ihn hinein, wie er es erwartet hatte, löste die neurale Feuersbrunst aus, nach der er sich trotz seiner Furcht sehnte. Als er seine Sinne wiederfand, lag er immer noch in ihrem Schoß, das Baby trat ihm ins Ohr, und die verdammten Meteorite explodierten in pyrotechnischem Spott.

»Pfui über dich, daß du meinen Liebling Agraynel störst«, schalt Mercy.

Ihr mütterliches Gedankenlied beruhigte das ungeborene Mädchen. Aiken spürte es, und aus keinem ersichtlichen Grund füllten sich seine Augen mit Tränen. Beschämt errichtete er eine völlig undurchdringliche Barriere. Mercy sollte nicht erfahren, wie sehr er das Baby beneidete. Er sagte: »Nur noch ein Monat bis zu ihrer Geburt. Und dann werde ich dich haben, meine Lady Wildfeuer! Ich werde herausfinden, wie du es schaffst, mich aus dem Orbit zu hauen - und dir etwas von deinem Kapital mit Zinsen zurückgeben!«

»Nicht vor Mai«, mahnte sie. »Beim Großen Liebesfest, wie wir es ausgemacht haben.«

»O nein! Das ist nur die offizielle Heirat. Du wirst mich nicht so lange hinhalten! ... Und dabei fällt mir ein: Warum sollte ich dich metapsychisch nicht gleich jetzt nehmen, genau so, wie du mich im Geist gefickt hast?« Seine Arme schlossen sich um ihre Schultern, zogen sie nach unten. Seine koerzible Kraft bohrte sich in ihre Weichheit. »Zeig mir, wie du magischen Geschlechtsverkehr treibst! Zeig es mir - oder ich werde es durch Experimentieren herausfinden!«

»Das darfst du nicht!« schrie sie und parierte ihn mit einem psychokreativen Hieb, der ihn fast blendete. »Zu der nervlichen Erregung käme ein Erdbeben im Bauch. So sind wir Frauen nun einmal gemacht. Es wäre schlecht für das Baby.«

Er ließ sie los. Die verdammte Angst kam wieder, und ebenso die Tränen. »Zum Teufel mit dem Baby!«

Ihr Gesicht näherte sich ihm. Der entrüstete Ausdruck verwandelte sich in Zärtlichkeit. »Ah, armer Kleiner. Ich verstehe. Ich verstehe.«

Ihre Lippen tranken seine Tränen.

Auf dem Boden liegend, schlug er heftig um sich, wehrte sich gegen ihre physische Umarmung. Sein Mund kniff sich zu einem schmalen Schlitz zusammen, und seine Augen waren groß und schwarz. »Das will ich nicht von dir! Niemals!«

»Schon gut.« Mercy zuckte die Achseln. »Aber du brauchtest dich nicht davor zu fürchten. Es ist ganz natürlich, daß sich die beiden weiblichen Funktionen in der Liebe vereinigen.«

»Du liebst mich nicht, und ich liebe dich nicht. Also warum so tun, als ob? Und dein Mitleid brauche ich nicht, verdammt noch mal!« Er strengte sich verzweifelt an, sie ins Unrecht zu setzen. »Warum hast du nie zugelassen, daß ich dir Freude bereite? Nicht einmal! Immer bereit, mich in ein Koma zu schleudern - aber nie, dich von mir berühren zu lassen. Bin ich so abstoßend?«

»Sei nicht dumm. Ich sage dir doch, es ist das Baby.«

»Wenn Nodonn bei dir war, habt ihr beide einen Hurrikan herbeigebumst - und da hast du dir keine Sorge um das Baby gemacht. Und dieser arme Teufel von einem Anthropologen hat von dir all die süßen Spielereien bekommen, die er wollte. Die ganze verdammte Hauptstadt hat gewußt, wie ihr beiden es getrieben habt!«

Mercy lächelte leicht. »Damals, im zweiten Trimester hat es Agraynel nichts ausgemacht. Aber jetzt drängt sie darauf, geboren zu werden.«

»Mach mir nichts vor!« Er stand auf. Sein Gesicht strahlte nicht mehr; seine Stimme klang metallisch. »Du willst mich nicht in dich hineinlassen, weil du immer noch um Nodonn trauerst.«

»Wie könnte es anders sein?« gab sie kühl zu. Sie levitierte und stand vor ihm. Der helle Chiffon ihres Gewands schien von den Erschütterungen des Firmaments zu flattern.

Wütend schrie er: »Mayvar hat mir alles über dein kostbares Sonnengesicht erzählt! Einen feinen König hätte er abgegeben! Von dem Herrscher der Tanu erwartet man, daß er seine überlegenen Gene an sein Volk weitergibt - aber weißt du, daß dein wunderbarer Nodonn so gut wie steril war? Der große Schlachtenmeister! Achthundert Jahre hat er gelebt und nur eine Handvoll Kinder gezeugt. Und in dem ganzen Haufen nicht eine einzige erstklassige Begabung! Mayvar Königsmacherin hatte ihn zurückgewiesen. Er war nur erklärter Kronprinz, weil die Heerschar Nontusvels ihn Thagdal aufzwang. Warum, meinst du wohl, war Mayvar so froh, als ich auftauchte? Warum, meinst du wohl, hat sie mich Lugonn genannt nach dem wirklichen Kronprinzen?«

Mercy fing seine gestikulierenden Hände ein. Auf bloßen Füßen standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und sie war mehrere Zentimeter größer.

Leise sagte sie: »Es ist wahr, daß du der Erwählte der Königsmacherin bist. Und vielleicht hättest du das Duell mit dem Schlachtenmeister auf der Weißen Silberebene gewonnen ... Nodonn ist tot. Ertrunken. Aber du lebst, Lord Aiken-Lugonn, und bist an Nodonns Stelle Herr von Goriah. Wer hätte gedacht, daß das geschehen würde, als wir naß und spuckend wie junge Hunde in einem goldenen Kessel mitten in der Großen Flut trieben! Weniger als fünf Monate sind wir jetzt beisammen - und doch ist mir, als hätte ich dich ein Jahrhundert gekannt, du Herr des Chaos. Du wirst König werden! Zweifle nicht daran! Ich sehe es - ich weiß es! Es gibt keinen Tanu und keinen menschlichen Goldenen im Vielfarbenen Land, dessen mentale Kraft an deine herankäme. Niemand sonst hätte es fertiggebracht, die Stücke dieser zerschmetterten Welt aufzulesen und sie neu zusammenzusetzen, wie du es getan hast. Das ist der Grund, weshalb ich bei dir bleiben und mit dir Zusammenarbeiten werde. Und nachdem ich Thagdals Tochter geboren habe, werde ich dich heiraten und deine Königin sein. Im Mai, beim Großen Liebesfest, wie wir es ausgemacht haben. Und was deine Kinder angeht, werden wir abwarten, was die gute Göttin uns schickt.«

Seine Wut versickerte und ließ einen einzigen eigensinnigen Gedanken zurück: Wenn du mich nur lieben würdest, wäre ich sicher.

Ihr Geist, veränderlich wie der westliche Ozean, lächelte zurück. Während der ganzen Zeit, die sie nun zusammen waren, hatten sie dies Spiel getrieben, und bis heute hatte er sich für den Sieger gehalten, immun gegen die Magie, die die anderen an sie gebunden hatte.

Mercy sagte: »Du fürchtest mich, und du hoffst, durch Liebe Kontrolle zu gewinnen. Doch bist du willens, mich wiederzulieben, gebend und teilend? Oder willst du nur herrschen?«

Die festen Barrieren, die in seinem Innern die Wahrheit versteckten, zerbröckelten. »Du weißt, daß ich dich bereits liebe.«

»Genug, um nichts dafür von mir zu verlangen? Selbstlos?«

»Ich weiß es nicht.«

Ihre Stimme und ihre Gedanken tändelten mit ihm. »Und wenn ich dich nun nicht wiederliebe, du Hermes Chrysorapis? Was wirst du dann mit mir tun?«

Er zog sie in seine Arme, begrub sein Gesicht in dem duftenden Haar, das ihr über die Schultern fiel, spürte das ironische Triumphieren hinter ihrer Frage. Sie wußte es. Sie wußte es.

Er riß sich los und stand allein. Der Himmel wurde grau von der falschen Morgendämmerung. Die Zahl der Meteore verringerte sich. Er sagte: »Ich habe den Sternenregen tatsächlich nicht gemacht. Die Meteorite kommen in jedem Frühling. Sie zeigen das Ende der Regenzeit an. Aber ich wollte dich mit ihnen überraschen.«

»Was wirst du mit mir tun, wenn ich dich nicht liebe?« wiederholte sie.

»Ich glaube, du weißt es.«

Er gab ihr die Hand, und sie betraten den lichtlosen Turm. In der kühlen Dunkelheit explodierte der letzte Meteorit.