8:
Leuchtender Weg und
Winterpflaume
Dao Ming brauste durch die Straßen von DuChamp, wobei sie gekonnt um die Karambolagen und liegen gebliebenen Autos fuhr. Auch den Zombies, die auf die Straßen stürmten, um sie zu jagen, wich sie aus ... größtenteils. Hin und wieder wurden es zu viele Hindernisse, um sie mental zu verarbeiten, dann konnte sie nicht anders, als die eine oder andere Kreatur über den Haufen zu fahren, aber grundsätzlich vermied sie es nach Möglichkeit, die Deadheads zu erfassen. Der Frontalzusammenstoß mit einem erwachsenen Zombie kam dem mit einem Reh gleich und niemand wollte durch die Windschutzscheibe einen Zombie auf den Schoß bekommen.
Mort und Pete stellten sich vom Rücksitz aus vor, während der Mercedes einen Slalomparcours durch die Straßen absolvierte. Den Großteil des Redens allerdings übernahm Pete. Mort präsentierte sich ein wenig einsilbig.
»Hallöchen! Ich bin Peter Bolin. Du kannst mich Pete nennen. Manch einer nennt mich auch Cactus Pete, was genauso in Ordnung ist!« Pete deutete mit dem Daumen auf seinen Gefährten. »Der kleine Kerl da ist mein Kumpel Mort. Nur redet er nicht viel. Er ist ein bisschen schüchtern.«
Pete bemühte sich, ungezwungen zu klingen, und er hatte ein breites, unbekümmertes Grinsen aufgesetzt, aber Mort konnte die Anspannung in seiner Stimme hören. Beide Männer kniffen die Arschbacken so fest zusammen, dass sie dazwischen Nüsse hätten knacken können. Die Geschwindigkeit, mit der ihre Retterin über die von Zombies verseuchten Straßen rauschte, war mehr als nur nervenzerfetzend. Es fühlte sich an, als sei man in einer sadistischen, außer Kontrolle geratenen Vergnügungsparkattraktion festgeschnallt.
Mort stieß Pete den Ellbogen in die Rippen. Er wollte gerade sagen: »Ich bin nicht schüchtern.« Doch bevor er die Worte herausbrachte, raste Dao Ming mit gefühlten 200 Sachen um eine Ecke. Mort schlitterte hilflos quer über den Rücksitz und prallte gegen Pete, als alle vier Reifen quietschend über den Asphalt schrammten. Petes Gesicht klatschte gegen die Fensterscheibe. Dao Mings Haare flogen ihr als rabenschwarzer Wirbel um den Kopf, als sie am Lenkrad kurbelte. Sie riss den Schalthebel vor und zurück, trat aufs Gas und befreite den Mercedes aus seiner Drift.
Danach schnallten sich Mort und Pete in aller Eile an.
»Ist wahrscheinlich eine gute Idee«, kommentierte Dao Ming lachend, als die beiden Männer an den Verschlüssen ihrer Sitzgurte fingerten. Mort schaute auf und ertappte die Frau dabei, wie sie Pete und ihn im Innenspiegel musterte. Die Haut um ihre Augen runzelte sich, als lächle sie dabei. Dann zwinkerte sie ihm zu und Mort spürte, wie sich seine Wangen röteten.
Die asiatische Schönheit jagte den Mercedes kreischend und mit qualmenden Reifen durch eine weitere Kurve. Sogar in angeschnalltem Zustand machte die Zentrifugalkraft sowohl Mort als auch Pete jedes Mal schwer zu schaffen, wenn Dao Ming scharf abbog. Die Kerzen, die Konservendosen und die Munition, die willkürlich im Fußraum des Autos verstreut lagen, rollten bald hierhin, bald dorthin. Hätten sie sich nicht angeschnallt, wäre Mort erneut quer durch das Fahrzeug geschleudert worden, von einer Seite zur anderen geschüttelt wie eine Münze in einer Spardose.
Dao Ming schaute nicht noch einmal zu ihm zurück. Stattdessen richtete sie den Blick der zusammengekniffenen Augen konzentriert auf die Straße. Sie sprach sehr stockend mit ihm. »Also Mort ... bist du aus DuChamp?« Mit einem heftigen Ruck holperte der Wagen auf den Bürgersteig, um einem verunfallten, ausgebrannten Schulbus auszuweichen, bevor er zurück auf die Straße rumpelte.
Einen Moment lang bewegte sich Morts Mund stumm, bevor er die Sprache wiederfand. Schließlich stammelte er: »J-ja.« Nachdem der Mercedes um eine weitere Ecke geschlingert war, fuhr er fort. »Mir gehört ein Comicladen in der Stadt. Oder besser gesagt, mir hat hier ein Comicladen gehört. Bevor ... du weißt schon. Vor all den Zombies.« Mit den Füßen versuchte er zu verhindern, dass die Munitionsschachteln gegeneinanderknallten, weil er befürchtete, dass eine Patrone explodieren und jemanden verletzen könnte.
»Ich komme ursprünglich aus Kentucky«, warf Pete ein. »Die letzten paar Jahre hab ich in New York gelebt. Hab dort als Model gearbeitet. Vielleicht hast du mich mal gesehen. Ich war für eine Show hier in DuChamp, als der ganze Mist losging.«
»Du hast dieses Jahr die Calvin-Klein-Kampagne in der Cosmo gemacht, richtig? Die Anzeigen für Unterwäsche, oder?«, fragte Dao Ming.
»Ja, das war ich.«
»Ich dachte mir schon, dass ich dich kenne, als du ins Auto gesprungen bist.«
»Echt?«, erwiderte Pete mit einem schiefen Grinsen. Er zwinkerte Mort zu. »Vor der Zombieapokalypse bin ich oft erkannt worden.«
»Lass mich dir eine Frage stellen«, sagte Dao Ming, als sie zwischen zwei zusammenströmenden Horden heulender Untoter hindurchsteuerte. »Hast du dir für die Aufnahmen den Schritt ausgestopft?«
Pete öffnete den Mund, um es zu leugnen. Sein Gesicht lief rot an.
»Meine kleine Schwester sagt Nein, aber ich hab gehört, dass es bei Models üblich ist nachzubessern.«
Die Wahrheit war: Er hatte nachgebessert. In gewisser Weise. Unterwäschemodels benutzten keine Socken, die sie sich in die Unterhose stopften. Das war ein verbreiteter Mythos. In Wirklichkeit benutzte man ein Band mit Klettverschluss. Es sorgte für ein halb erigiertes Gemächt, das alles nach oben und außen drückte. Pete tat das nicht gern und glaubte auch nicht, dass er es brauchte, aber es entsprach einer Praktik, auf die fast jeder in der Branche zurückgriff. Nur hatte er nicht vor, dieser Schnalle all das zu erklären. Ihm gefiel ihre grundsätzliche Einstellung nicht. Deshalb hielt er stattdessen die Klappe und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Sitz zurück.
Mort ließ den Blick verwirrt zwischen Pete und Dao Mings Hinterkopf hin- und herwandern. Pete hatte seinen Charmemotor angeworfen und sein überzeugendstes Grinsen eines Jungen vom Land aufgesetzt und die Frau hinter dem Lenkrad hatte ihn zum Schweigen gebracht. Und das nicht allzu zimperlich.
»Was ist mit dir?«, fragte Mort die Asiatin.
Alle zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als der Mercedes einen Zombie streifte und wirbelnd durch die Luft fliegen ließ wie eine von einem Twister erfasste Vogelscheuche. Die Wucht des Aufpralls verursachte Sprünge in der Scheibe des Beifahrerfensters und hinterließ einen großen schwarzen und fächerförmigen Klecks verspritzten Glibbers seitlich an der Karosserie.
»Du musst langsamer fahren, Schätzchen!«, rief Pete und drehte den Kopf, um zu beobachten, wie der Zombie durch die Glasfront eines CD-Ladens krachte.
»Wenn ich langsamer fahre, verfolgen uns diese jiang shi, du Trottel«, herrschte ihn Dao Ming an. »Keine Sorge. Ich bau keinen Unfall. Ich arbeite seit drei Jahren als Stuntfahrerin. Ich war zur Feier des 30. Hochzeitstags meiner Eltern in DuChamp, als das Virus hier zugeschlagen hat ... Und nenn mich gefälligst nicht ›Schätzchen‹.«
Danach beugte sich Dao Ming nach rechts und schnappte sich ein Walkie-Talkie vom Beifahrersitz. Sie musste einige ziemlich garstig aussehende und ziemlich große Automatikwaffen beiseiteschieben, um es zu fassen zu bekommen. Mit einer Hand lenkte sie, mit einem Finger der anderen drückte sie auf die Sprechtaste und sagte: »Dongmei, ich bin noch etwa fünf Minuten entfernt. Bist du bereit? Over.«
Das Funkgerät knisterte, bevor eine junge, weibliche Stimme antwortete: »Ich bin bereit. Sind jiang shi hinter dir her? Over.«
Dao Ming blickte in den Innenspiegel. Mort drehte sich auf dem Sitz herum, weil er ihr helfen wollte nachzusehen. Pete hingegen verharrte mit vor der Brust verschränkten Armen und säuerlicher Miene. Auf der Straße hinter ihnen verfolgten drei Zombies das Fahrzeug. Sie rannten sogar ziemlich schnell, aber durch die Geschwindigkeit des Mercedes schrumpften sie trotzdem unheimlich rasch in der Ferne auf Stecknadelgröße zusammen.
Mort hielt drei Finger hoch. Er fügte einen vierten hinzu, als ein weiterer Deadhead aus einem Gebrauchtwarenladen der Heilsarmee preschte und die Verfolgung aufnahm.
»Vier. Vielleicht auch mehr. Halt dich bereit«, sprach Dao Ming in das Walkie-Talkie.
»Verstanden. Ende der Durchsage.«
Dao Ming warf das Walkie-Talkie beiseite und legte mit hohem Tempo ein S-Manöver hin, um von einer Straße auf eine andere zu wechseln. Die eng aneinandergebauten Gebäude des Wohngebiets wichen teuer wirkenden Häusern auf großzügigen, baumbewachsenen Grundstücken. Mort beobachtete, wie ein junges Mädchen von der Eingangstür eines großen umzäunten Privatanwesens am entfernten Ende der Straße angerannt kam. Das dunkelhaarige Mädchen hielt auf das hohe schwarze Tor zu, das die Zufahrt zum Grundstück sicherte, und drückte es langsam auf. Mort fiel auf, dass die Kleine ein ziemlich klobiges Gewehr um die Schulter geschlungen trug.
»Das ist meine Schwester«, sagte Dao Ming.
Die attraktive Asiatin verlangsamte die Fahrt nicht, bis sie der Zufahrt zu dem Haus gefährlich nahe kamen. Das Haus wurde so schnell größer, dass Mort fast schon befürchtete, ihre wunderschöne Chauffeurin könne nicht rechtzeitig anhalten. Er malte sich aus, wie sie durch die hintere Wand der Garage krachten und auf der anderen Seite wieder hervorschossen, bevor der Wagen zum Stehen kam. Dann aber trat Dao Ming auf die Bremse. Die jähe Entschleunigung presste Mort und Pete gegen die Vordersitze. Der Mercedes-Benz raste holpernd auf die Privatzufahrt, verfehlte das Mädchen um weniger als 30 Zentimeter und schlitterte mit kreischenden Reifen in die offene Garage.
Bevor die Männer ihre Gedanken sammeln konnten, sprang Dao Ming aus dem Wagen und spurtete los, um ihrer kleinen Schwester beim Schließen des Tors zu helfen.
Mit zitternden Händen löste Mort die Schnalle seines Beckengurts und stieg aus dem Auto. Eine Sekunde lang musste er sich an die Seite des Mercedes lehnen. Seine Beine fühlten sich weich wie Gummi an.
Dann setzte er sich schwankend in Bewegung, um den Geschwistern zu helfen, stellte jedoch rasch fest, dass sie keine Unterstützung benötigten. Während Dao Ming das mächtige Stahltor sicherte, setzte ihre kleine Schwester das Gewehr an der Schulter an und knipste jegliche Zombies aus, die der Motorlärm des Wagens angelockt hatte. Zu Morts Überraschung war sie eine regelrechte Scharfschützin. Jeder Schuss ein Treffer. Er fand es geradezu beängstigend.
»Gut gemacht, Dongmei«, lobte Dao Ming und zerzauste ihrer Schwester das Haar. Das Mädchen senkte das Gewehr und lächelte bezaubernd.
Dao Ming drehte sich um und schaute zu Mort. »Laden wir den Mercedes aus und gehen rein, bevor wir noch mehr von denen anlocken.« Mort nickte eifrig. Die Asiatin rief Pete zu: »Hey, Cowboy! Bist du wohl so nett und steigst aus, um mit anzupacken?«
Die Schwestern hatten sich im millionenteuren Stadthaus ihrer Eltern verschanzt. Eine riesige Villa, wie Mort schnell erkannte. Vier Schlafzimmer, drei Badezimmer, ein Kamin, ein Swimmingpool, das volle Programm. Ein knapp zweieinhalb Meter hoher geschweißter Stahlzaun mit Zierspitzen am oberen Ende umgab das gesamte Grundstück. Dao Mings Vater, Zhao Bohai, hatte vor der Zombieapokalypse eine Kette chinesisch-amerikanischer Restaurants gehört. Sein Erfolg hatte ihn zu einem paranoiden Sicherheitsfanatiker gemacht. Je mehr Geld er besaß, desto mehr fürchtete er sich vor Raub und Einbruch. Das Zhao-Heim glich mit seinen vergitterten Fenstern und unzähligen Überwachungskameras einer Festung. Die beiden Geschwister hatten den Ausbruch der Seuche und das damit einhergehende Chaos ohne größere Schwierigkeiten überstanden. Liebe konnte man sich mit Geld nicht kaufen, sinnierte Mort, aber definitiv einen Arschvoll Sicherheit.
Das einzige Problem bestand darin, dass es sich um eine Festung handelte, die auf einem Pulverfass stand.
Mort folgte Dao Ming und ihrer jüngeren Schwester, die beschwingt in die Garage liefen. Er bemühte sich, die Ältere der beiden nicht anzustarren, als er nach wie vor außer Atem hinterhertrottete, aber es fiel ihm mächtig schwer. Dao Ming war schlank und fit und ihre einteilige Kluft schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper.
Die Ladys gingen mit betörend federnden Schritten und ließen die Arme dabei schwingen. Zielstrebige Tussen. Pete stieg mit mürrischer Miene aus, als sie sich dem Auto näherten.
Die jüngere Schwester, Dongmei, bombardierte Dao Ming mit Fragen: »Wo hast du die Typen aufgegabelt? Wie heißen sie? Haben sie dich gerettet oder so? Ich hoffe, ihr habt mir was zum Qualmen mitgebracht. Mir sind die Kippen fast ausgegangen. Hast du noch andere lebende Menschen gesehen oder sind überall nur noch Zombies?« Neugierig ließ sie den Blick während ihres Wortschwalls zwischen Mort und Pete hin- und herwandern.
»Wir haben sie nicht gerettet«, stellte Mort klar. »Sie hat uns gerettet.«
Pete wandte sich ab, um auszuspucken. Dann schniefte er und wischte sich über die Nase.
»Wirklich wahr? Du hast sie gerettet?«, wollte Dongmei von ihrer Schwester wissen. »Was ist passiert? Ich hoffe, die Kerle sind nett und keine Vergewaltiger oder so.«
»Ich weiß nicht, ob sie nett sind«, gab Dao Ming zurück. »Falls nicht, tja, dann müssen wir sie wohl abknallen.«
Bei der Äußerung schaute sie zu Mort und lächelte.
Mort fügte gedanklich die Puzzleteile zusammen, als Dao Ming ihrer jüngeren Schwester schilderte, wie sie Pete und ihm begegnet war. Die wunderschöne Stuntfahrerin hatte sich auf den Weg gemacht, um Vorräte zu beschaffen, als sie auf die beiden Flüchtenden stieß. Das erklärte, warum sich auf dem Rücksitz und im Kofferraum des Fahrzeugs Lebensmittel, Kerzen und Munition stapelten. Wie von Mort vermutet, hatte sie die beiden Männer anfangs für Zombies gehalten und überfahren wollen, dann jedoch erkannt, dass es sich um Überlebende handelte, als Pete versucht hatte, Mort auf die Beine zu helfen. Zombies taten so etwas nicht.
»Es war knapp«, meinte Dao Ming zu ihrer kleinen Schwester. »Um ehrlich zu sein, in der letzten Sekunde habe ich sogar die Augen zugepresst. Ich war überzeugt davon, dass ich sie über den Haufen fahre.«
Mort grinste schelmisch, als er Dao Ming beim Tragen der Vorräte half. Er fragte sich, wie viele Menschen durch Unfälle statt durch die bösartigen Untoten ums Leben gekommen waren, während die Pandemie gewütet hatte. Wahrscheinlich viele.
»Also, wie heißt ihr?«, wollte Dongmei wissen.
»Ich bin Mort«, antwortete Mort. »Das ist mein Kumpel Pete.«
Pete tippte an einen imaginären Hut.
Dongmei musterte Pete von oben bis unten. »Er ist süß«, befand sie.
Erst grinste Pete, dann schaute er unbehaglich drein, als ihn das bezopfte Mädchen weiter anstarrte. Sie war jung, vielleicht 13 Jahre alt, dennoch besaß sie den nach Männern gierenden Blick einer frisch Geschiedenen.
Mort und Dao Ming luden den Mercedes fertig aus, während Pete und Dongmei die Vorräte sortierten und verstauten. Die Innenausstattung des Zhao-Heims erwies sich als dezent, aber kultiviert. Als sich Mort darüber äußerte, wie schön er das Haus fand, lächelte Dao Ming traurig. »Mutter hatte einen guten Geschmack.«
»Ist sie beim Ausbruch der Seuche gestorben?«, erkundigte sich Mort.
Dao Ming nickte. »Mutter und Vater. Ich erzähl euch später davon. Wir sollten den Zaun abgehen, bevor wir uns entspannen. Nur für den Fall, dass uns noch weitere Zombies gefolgt sind.« Danach schritten sie zu viert das Gelände ab, um sich zu vergewissern, dass der Lärm des Mercedes-Motors und von Dongmeis Schüssen keine weiteren Untoten in die nähere Umgebung gelockt hatten.
Außen präsentierte sich das Haus mit Zierbäumen und -büschen, Blumengärten, Springbrunnen und einem großen Koi-Teich genauso geschmackvoll wie innen. Mort ging neben Dao Ming und fühlte sich, als sei er in ein weiteres Paralleluniversum gestolpert – eine Fantasiewelt ohne Monster, ohne Virus, nur mit Blumen und wunderschönen Frauen, warmem Sonnenschein und Beschaulichkeit. Das Einzige, was die Illusion trübte, waren die Schießprügel. Die beiden jungen Frauen trugen großkalibrige Schusswaffen, Pete hatte seine Billigpistole mitgenommen.
Wenn das ein Traum ist, will ich nie wieder aufwachen, beschloss Mort, während er Dao Ming lauschte, die von ihrem alten Leben erzählte, als sie nicht bloß eine Überlebende, sondern Stuntfrau gewesen war. Auch er berichtete, wie sein Leben verlaufen war, bevor die Seuche die Welt auf den Kopf gestellt hatte. Erfreut stellte er fest, dass sie aufrichtig interessiert an ihm zu sein schien. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass ihr Blick wie bei den meisten Menschen abblendete, sobald er von sich erzählte. Wie sich herausstellte, war sie ein großer Science-Fiction-Fan. Sie stand total auf Anime und utopische Filme. Sogar bei Comics kannte sie sich einigermaßen aus. Zwar überwiegend durch Filme, aber zumindest bot ihnen das Gesprächsstoff.
»Welchen Film hast du zuletzt im Kino gesehen, bevor die Zombieseuche ausgebrochen ist?«, fragte Mort.
»Den neuen Batman«, gestand Dao Ming und senkte verlegen den Kopf.
»Ich auch!«, rief Mort, und sie lachten zusammen.
»Nerds«, murmelte Pete hinter ihnen und verdrehte die Augen.
Der Rasen hinter dem Haus grenzte an den Garten eines Nachbarn und konnte daher als relativ sicher betrachtet werden. Nur die Süd- und die Vorderseite des Grundstücks lagen direkt an der Straße. Zum Glück erwies sich die Gegend, abgesehen von den Zombies, die Dongmei erschossen hatte, als frei von Deadheads.
Dongmei hopste neben Pete her, plapperte auf den deutlich älteren Mann ein, kokettierte mit ihm und versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Pete wiederum ließ die ältere Schwester des Mädchens nicht aus den Augen, aber Dao Ming ignorierte ihn geflissentlich.
Dongmei bemühte sich, Pete zu überreden, mit ihr in den Swimmingpool zu springen. »Du kannst dir eine der Badehosen von meinem Pa ausleihen«, versuchte sie ihn zu ködern, nachdem er einwandte, dass er keine geeigneten Sachen dabeihatte. »Du kannst auch in deiner Unterhose rein, wenn du willst. Ist ja kaum anders als eine Badehose. So könntest du dich wenigstens waschen. Du bist echt dreckig. Du riechst nach alten Tennisschuhen und Schweiß.«
»Ne, mir ist nicht nach Schwimmen«, entgegnete Pete. »Außerdem ist es regnerisch. Ich wette, das Wasser ist eiskalt.«
»Es ist nicht kalt. Jetzt komm schon! Ich zeig’s dir.«
»Ne, vielleicht später.«
»Deine Schwester ist eine gute Schützin«, meinte Mort zu Dao Ming, als sie zum Haus zurückkehrten und den Swimmingpool erneut passierten. Die anhaltenden sporadischen Tropfen, die vom bewölkten Himmel fielen, kräuselten die Oberfläche.
»Wir mussten beide schnell lernen, wie man schießt, als die Sache mit den Zombies richtig übel wurde«, erwiderte Dao Ming und fuhr mit einem Finger den glatten schwarzen Lauf ihrer Waffe entlang. »Ein paar Tage haben wir uns in Schichten damit abgewechselt, sie abzuknallen. Ich befürchtete schon, die Kadaver türmen sich irgendwann so hoch auf, dass die anderen drüberklettern und ins Haus gelangen können.«
Mort schaute zum Zaun. »Jetzt sind dort keine Zombies mehr.«
»Ich hab die Erledigten weggeschleift, als endlich keine mehr nachgekommen sind«, erklärte Dao Ming. Dabei lächelte sie ihn an und fächelte mit einer Hand vor ihrer Nase. »Hab sie im Garten unseres Nachbarn abgeladen. Sie haben so widerlich gestunken! Pfui Teufel!«
»Was ist mit deinen Eltern passiert?«, erkundigte sich Mort. »Du musst natürlich nicht darüber reden, falls es noch ... du weißt schon ... zu schmerzhaft ist.«
Bohai und seine japanische Frau Satori waren während eines Aufruhrs an einer militärischen Straßensperre ums Leben gekommen, wie Dao Ming schilderte. Kurz nach Beginn des Ausbruchs hatte das Militär die Stadt unter Quarantäne gestellt. Die Zhao-Familie versuchte, aus der Ortschaft zu flüchten, und war dabei in die Unruhen am Stadtrand geraten. Schützen der Armee hatten ihre Eltern zusammen mit mehreren Dutzend anderen erschossen, als die Menschenmenge einen Versuch unternahm, die Barrikaden zu stürmen.
Mort hatte im Radio von dem Feuergefecht gehört, während er sich noch in seiner Wohnung verkroch. Der Radiosprecher hatte eine Stunde lang hysterisch etwas darüber gebrabbelt, bevor ein gnädiger Tontechniker die Nationalhymne einspielte. Danach ließ er sich eine weitere Stunde lang über die faschistische Regierung und die Endzeit aus der Bibel aus. Dao Ming und Dongmei hatten ihre Eltern bei der versuchten Flucht aus der Stadt natürlich begleitet, allerdings waren sie in den Wirren von ihnen getrennt worden. Dao Ming musste aus einiger Distanz mit ansehen, wie ihre Eltern starben, danach zog sie sich verstört und verängstigt mit ihrer kleinen Schwester in ihr Haus zurück.
»Meine Mutter ... wurde nur in die Schulter getroffen. Ich hab gesehen, wie die Kugel sie erwischt hat. Gestorben wäre sie daran wohl nicht. Aber dann hat die Menschenmenge kehrtgemacht und sie ging zu Boden. Sie haben sie zu Tode getrampelt, all die Leute ... die wegrennen wollten. Ich konnte nicht das Geringste tun, um ihr zu helfen. Ich konnte mir nur Dongmei schnappen und selbst zusehen, dass ich heil davonkam.«
Dao Ming schauderte. Ihr Blick wirkte entrückt.
»Warum haben sie die Straßen überhaupt abgeriegelt?«, warf Mort ein. »Scheint mir ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen zu sein. Als die Unruhen ausgebrochen sind, hatte sich das Virus doch schon so ziemlich überallhin ausgebreitet. Ich hab im Radio davon gehört, bevor die Sender dichtgemacht haben. Oder dichtgemacht wurden. Ich bin nicht sicher, was wirklich mit den Lokalsendern passiert ist. In der ersten Woche hat einfach einer nach dem anderen aufgehört, ein Programm auszustrahlen.«
Dao Ming schauderte erneut. »Ich schätze mal, die Verantwortlichen sind genauso verwirrt wie alle anderen. Wahrscheinlich denken sie immer noch, sie können das Virus eindämmen.«
Im Haus riss Dongmei ein Marlboro-Päckchen auf und steckte sich zornig eine Zigarette in den Mund. Petes Unempfänglichkeit frustrierte sie und über das grausame Schicksal, das ihre Eltern ereilt hatte, wollte sie nicht nachdenken. »Hast du Feuer, Cowboy?«, fragte sie Pete. Sie trug extrem kurze Shorts, ein rosa Shirt mit Spaghettiträgern – ein zierliches Teenagermädchen mit schwarzem Haar, rundem Gesicht und stark geschminkten, großen asiatischen Augen. Zwei Zöpfe standen kess wie Micky-Maus-Ohren zu beiden Seiten von ihrem Kopf ab.
»Verarschst du mich?«, gab Pete zurück. »Du siehst wie 12 aus. Du solltest nicht rauchen.«
Dongmei schnaubte verächtlich. »Ich bin 15, du Hinterwäldler. Und 16 werde ich vielleicht nie. Falls es dir entgangen ist, der Planet ist von Zombies übernommen worden. Also ... hast du jetzt ein Feuerzeug oder nicht?«
Pete schaute zu Dao Ming, die nur mit den Schultern zuckte.
Resigniert kramte Pete ein Feuerzeug aus der Hosentasche und reichte es der Kleinen.
Dao Ming lachte, als ihre jüngere Schwester einen Rauchring hinausblies. Sie spähte zu Mort, um seine Reaktion zu beobachten. Dabei verharrte ihr Blick ein klein wenig zu lange bei ihm und sie wandte ihn verlegen ab, schnippte sich die rabenschwarzen Haare über die Schulter zurück.
Mort trat von einem Bein aufs andere und fühlte sich plötzlich unbehaglich. Wieder spürte er, wie sich seine Wangen röteten. Pete starrte die beiden mit verwirrter, leicht angewiderter Miene an.
Mort war genauso verwirrt. Mochte ihn diese wunderschöne, exotische Frau etwa wirklich? Konnte das möglich sein?
Dao Ming verkörperte das vermutlich atemberaubendste Wesen, das er je zu Gesicht bekommen hatte. Groß, schlank, athletisch, mit dunklen mandelförmigen Augen und langem, seidigem schwarzen Haar. Sie stellte weibliche Hüften zur Schau, volle Brüste und eine Taille so schmal, dass er sie wahrscheinlich mit den Händen hätte umschließen können. Außerdem mochte sie dieselben Sachen wie er, doch noch verblüffender fand er, dass sie sich zu ihm offenbar genauso hingezogen fühlte wie er zu ihr, wenngleich er nicht nachvollziehen konnte, weshalb. Er war fett, sein Haar wurde bereits schütter ...
Na ja, dachte er, eigentlich war er gar nicht mehr so fett. Als er auf seinen Bauch hinabblickte, wurde ihm bewusst, wie gewaltig er im Verlauf der vergangenen vier Wochen an Gewicht verloren hatte. Es fühlte sich beinahe an, als fehle ein Teil von ihm. Mort schockierte es geradezu, dass er statt einer mächtigen Wölbung Bauchspeck seinen Schritt sehen konnte.
Dongmei unterbrach das verlegene Schweigen, indem sie sich an Pete wandte. »Du kommst mir bekannt vor, Mann. Wo hab ich dich schon mal gesehen?«
Pete runzelte die Stirn. »Für ein halbes Kind bist du ziemlich direkt.«
Dongmei lächelte um ihre Zigarette herum. Sie sah ihrer Schwester sehr ähnlich, wenngleich sie eine Spur kleiner und pummeliger wirkte. Ihr Gesicht musste erst noch die weichen Babyspeckzüge verlieren. »Dazu haben mich meine Mutter und mein Vater erzogen. Sie sind der Ansicht, es entspricht der amerikanischen Lebensart, frei von der Leber weg zu sprechen.«
Dao Ming nickte. »Sie sagt die Wahrheit.«
Pete zuckte mit den Schultern. »Vor dem Zombievirus hab ich ein wenig fürs Fernsehen gearbeitet. Sitcoms. Ein paar Werbespots. Hauptsächlich hab ich gemodelt.«
»Du warst Model?«, fragte Dongmei.
»Er war Unterwäschemodel«, klärte Dao Ming sie auf und betonte es, als sei es albern.
Dongmei schaute von ihrer Schwester zu Pete und prustete vergnügt. »Spitze! Kann ich mir gut vorstellen. Du bist ja auch echt ein rattenscharfer Hengst mit ’nem tollen Gehänge.«
»Dongmei!«, stieß Dao Ming empört hervor.
Dann lachten sie zu dritt, während Pete hochrot anlief und murmelte: »Du bist noch ein Kind. Du solltest wirklich nicht so reden.«
Anschließend erkundigte sich Dao Ming, was Mort und Pete gerade getan hatten, als sie sich begegnet waren, oder genauer gesagt, als sie die beiden Männer fast überfahren hätte.
Mort erzählte zuerst von ihren Versuchen, aus der Stadt zu gelangen, danach nannte er ihr den Grund dafür. Er kam sich mies dabei vor, zu ruinieren, was sich die beiden jungen Frauen hier in ihrer millionenschweren Festung geschaffen hatten, aber sie mussten über die Gefahr Bescheid wissen, in der sie schwebten – die Gefahr, die in Form des Atomkraftwerks von DuChamp wie ein Damoklesschwert über allen Überlebenden in der Stadt hing.
»An sich hätte die Kernschmelze längst eintreten müssen«, sagte Mort. »Irgendjemand muss dort noch sein und den Betrieb aufrechterhalten, aber das geht nur eine gewisse Zeit lang.«
»Und danach geht das Teil hoch wie eine Atombombe?«, fragte Dao Ming. Mit entsetzter Miene schaute sie zu ihrer Schwester.
»Das ist eher unwahrscheinlich. In Nuklearkraftwerke werden etliche Sicherheitssysteme eingebaut. In der Grundschule haben wir mal einen Ausflug dorthin unternommen. Deshalb habe ich auch daran gedacht. Es wird nicht hochgehen wie eine Atombombe, aber es könnte schon explodieren und Brände auslösen, und danach treten Strahlung und Fallout auf. Und bei Feuern, tja, da gibt es wohl keine Einsatzkräfte mehr, die sie löschen. Man könnte sich zwar in einem Atomschutzbunker verstecken, nur gehen einem höchstwahrscheinlich die Vorräte aus, bevor es sicher genug ist, um sich ins Freie zu wagen. Ich denke, das Beste ist, die Stadt zu verlassen und sich einen Unterschlupf irgendwo auf dem Land zu suchen. Dort wird es auch weniger Zombies geben, mit denen man sich herumschlagen muss. Und weniger Fallout, je weiter wir aus DuChamp wegkommen.«
Dao Ming sah Dongmei an. »An das Kraftwerk habe ich nie gedacht! Wir hatten vor einfach hierzubleiben, bis alle Zombies gestorben sind. Sie können ja nicht ewig herumlaufen. Die meisten, die ich in den vergangenen Tagen gesehen habe, fangen schon an ein wenig ... na ja, verwest zu wirken.«
Mort breitete die Hände aus. »Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun hast, Dao Ming. Ich sage nur, was Pete und ich beschlossen haben.«
Dao Ming nickte. »Ja ... ja, schon klar. Ich muss darüber nachdenken.«
Mort nickte.
»Aber glaubst du wirklich, dass es wahrscheinlich ist? Eine Kernschmelze?«, hakte Dao Ming nach.
»Es wird passieren. Die einzige Frage ist, welchen Schaden sie tatsächlich anrichtet und wie viel Strahlung in die Umwelt freigesetzt wird.«
Dao Ming rieb sich mit den Händen das Gesicht. Dann schielte sie zu ihrer kleinen Schwester und forderte sie auf: »Gib mir auch eine Zigarette.«
Sie redeten bis zum Einbruch der Nacht, verlagerten ihre Beratungen anschließend ins Arbeitszimmer, einen innen liegenden Raum ohne Fenster. Dort konnten sie gefahrlos Kerzen anzünden, ohne durch das Licht Zombiehorden anzulocken. Dao Ming und Mort gingen in die Küche und bereiteten das Abendessen zu, bevor es zu dunkel wurde, um noch etwas zu sehen: Sandwiches mit Dosenfleisch, Kartoffelchips, Obst und Gemüse aus Konserven und zum Nachtisch ... Milka Tender.
»Meine Lieblingsriegel!«, rief Mort.
Dao Ming lächelte ihn an. Das Kerzenlicht tänzelte in ihren Augen.
Mort nahm jede Bewegung von Dao Ming überdeutlich wahr. Jedes Mal wenn sich ihr Körper seinem näherte, verspürte er ein leichtes elektrisches Kribbeln und fragte sich, ob es real war oder lediglich seiner Einbildung entsprang. Er fühlte sich durch ihren Geruch wie in einem Rausch. Sobald er sich vorstellte sie zu küssen, wurde ihm schwindlig.
Sie unterhielten sich über ihre Eltern, während sie zusammen in der Küche arbeiteten. Dao Ming trauerte immer noch um ihre. Sie konnte noch nicht einmal richtig fassen, dass sie tot waren. Morts Vater war bereits vor fast einem Jahrzehnt bei einer dreifachen Bypass-Operation gestorben, wie er ihr anvertraute. Seine Mutter hatte sich im vergangenen Jahr in Miami zur Ruhe gesetzt. Seit dem Ausbruch des Virus war es ihm nicht gelungen, Verbindung mit ihr aufzunehmen.
Da Mort an so viel Aufmerksamkeit von einer wunderschönen Frau nicht gewöhnt war, hatte er Mühe zusammenhängend zu sprechen. Sein Schwanz blieb die ganze Zeit nur eine Haaresbreite von einem ausgewachsenen Ständer entfernt, obwohl er sich bemühte, an die abstoßendsten Sachen zu denken, die ihm einfielen, um sich mögliche Peinlichkeiten zu ersparen – Greise mit vollen Windeln beim Zungenküssen, die Szene mit der aufbrechenden Brust aus Alien, das Gesicht von Burt Reynolds ... nach dem Liften.
Dao Ming schien sich der Wirkung durchaus bewusst zu sein, die sie auf ihn ausübte, allerdings verhielt sie sich keineswegs abgeschreckt. Im Gegenteil, offenbar empfand sie sein Unbehagen als schmeichelhaft. Als sie um ihn herum auf die andere Seite ging, tätschelte sie ihm den Hintern. Und als er sich am Dressing zu schaffen machte, schob sie ihn mit der Hüfte beiseite. »Was ist denn los, Mort?«, fragte sie neckisch. »Du bist ja ganz verschwitzt und angespannt.«
»Äh ... ja ... mmm ... ähm .... Ich schätze ... äh ... mein Blutzuckerspiegel ist zu niedrig. Ich hab seit heute Morgen nichts mehr gegessen.«
Was für ein engelszüngiger Teufel.
Sie kehrten ins Arbeitszimmer zurück und aßen bei Kerzenschein. Die vier unterhielten sich noch eine Weile und scherzten sogar ein wenig. Alle wirkten entspannt und glücklich. Alle außer Pete. Der zeigte sich ungewöhnlich zappelig, vorwiegend wegen Dongmei. Dao Mings kleine Schwester bestieg Morts Freund regelrecht. Sie versuchte, sich auf seinen Schoß zu setzen. Sie ging hinter das Sofa, auf dem er saß, und spielte an seinen Haaren herum. Sie feuerte ständig doppeldeutige Bemerkungen in seine Richtung ab ... und auch einige unverhohlen schmutzige.
»Verdammt!«, entfuhr es Pete schließlich. »Küsst du mit dem Mundwerk deine Mama?«
»Meine Mama ist tot«, gab Dongmei gekränkt zurück, und Pete wirkte elend und schien sich zu schämen.
Mort hingegen amüsierte sich prächtig.
Als die Zhao-Schwestern sie schließlich für die Nacht einquartierten, schlich sich Pete in Morts Zimmer und schloss fest die Tür. »Dieses Kind ist wie eine läufige Katze«, klagte Pete im Flüsterton.
Mort kicherte.
»Hey, das ist nicht lustig. Ich bin nicht pädophil.«
»Hast du nicht erst heute einen Zombie gevögelt? Außerdem haben wir das Ende der Welt, Mann. Willst du, dass sie als Jungfrau stirbt?«
»Ha-ha-ha, verfickte Scheiße, ha-ha-ha.«
Unterdessen hatte sich Pete ausgezogen und schickte sich an, zu Mort ins Bett zu klettern.
»Sekunde mal! Was soll das werden?«, fragte Mort und zog das Laken um sich. »Heute Nacht haben wir jeder unser eigenes Bett!«
»Ich schlaf nicht mehr gern allein«, erwiderte Pete und hörte sich dabei mehr als ein bisschen bockig an. »Davon bekomm ich Albträume.«
»Dann geh und schlaf bei Dongmei.«
»Kannst du knicken.«
»Nein ehrlich, ich ...«
»Oh, jetzt versteh ich. Du glaubst, Dao Ming wird sich mitten in der Nacht hier reinschleichen.«
»Nein!«
»Mort will blasi-blasi, lecki-lecki, ficki-ficki?«
»Das ist gar nicht ... das ist nicht besonders nett.«
»Ja, sicher.« Pete riss Mort das Laken aus den Händen und kletterte ins Bett. »Oh Mort! Will ich dich so viel! Du machen gut Liebe mit mich!«, verhöhnte Pete ihn mit hoch verstellter Stimme.
»Du bist so ein Arschloch!«
Pete kicherte. Morts Kumpel schüttelte sein Kissen auf, drehte sich herum und zog das Laken bis zu den Schultern hoch.
»So gut sieht sie auch wieder nicht aus«, meinte Pete nach einer Weile.
Mort erwiderte nichts.
»Und sie ist ein Miststück.«
Innerhalb weniger Minuten schnarchte der erschöpfte Pete.
Mort lag neben ihm und konnte gefühlte Stunden nicht einschlafen. Eine Zeit lang starrte er an die Decke, dann rollte er sich auf die rechte Seite. So fand er es nicht gemütlich. Er rollte sich auf die linke Seite. Immer noch fand er keine angenehme Stellung. Schließlich entschied er, dass er etwas zu trinken brauchte, und stieg vorsichtig aus dem Bett. In der Küche standen Wasserflaschen.
Mort schlich zur Tür und zuckte zusammen, als die Bodendielen knarrten. Mit zusammengebissenen Zähnen spähte er zu Pete, aber der schnarchte immer noch leise vor sich hin. Zentimeterweise zog Mort die Tür auf und trat hinaus auf den Gang.
Dao Ming hielt mitten in der Bewegung inne und starrte ihn an. Sie trug nur einen schwarzen Seidenbody und hatte sich den Flur entlang auf Zehenspitzen in Richtung seines Zimmers bewegt.
»Oh! Hallo, Mort«, flüsterte sie verlegen.
»Hallo.«
»Kannst du nicht schlafen?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Oh.«
»Also ... äh ... willst du rummachen?«, fragte Dao Ming lächelnd und schob eine Strähne hinter ihr Ohr zurück.
Bleib cool, Mort. So etwas wird nie, nie passieren. Nicht in 1000 Jahren!
»Äh ... klar.«
»In deinem Zimmer?«
»Nein, Pete ist da drin.« Bei dem Blick, mit dem sie ihn bedachte, musste er kichern. »Wir ... na ja, wir haben uns irgendwie angewöhnt zusammen zu schlafen. Also ... nicht miteinander, nur ...«
»Schon gut. Ich verstehe. In meinem Zimmer ist Dongmei. Komm mit. Gehen wir ins Gästezimmer.«
Damit ergriff Dao Ming Morts auf einmal stark verschwitzte Hand und führte ihn durch die dunklen Gänge des großen Stadthauses zu einem Raum auf der anderen Seite des Anwesens. Kaum befanden sie sich darin, schloss sie die Tür ab und schmiegte sich in seine Arme.
Mort hielt sie fest, genoss den Duft ihrer Haare, den weichen und doch festen Druck ihrer Brüste an seinem Körper. In seiner Umarmung schien sie zu schrumpfen, kleiner und kindlicher zu werden. Sie holte tief Luft und atmete langsam aus.
»Du bist so kräftig«, murmelte sie. »In deinen Armen fühl ich mich sicher.«
»Du duftest so gut«, erwiderte Mort.
Suuuper ...
»Normalerweise bin ich kein solches Flittchen«, flüsterte Dao Ming. »Ich möchte bloß mit jemandem Liebe machen, der süß und zärtlich ist, und du scheinst mir ein wirklich netter Kerl zu sein. Es ist ein harter Monat gewesen.«
»Schon gut. Immerhin haben wir das Ende der Welt, nicht wahr?«
Sie legte den Kopf in den Nacken und er drängte seine Lippen gegen ihre. Während sie sich küssten, führte er sie zum Bett. Dao Ming löste sich kurz von ihm, um sich den Body über den Kopf zu streifen. Ihre nackte Haut schimmerte leicht im Mondschein. Mort zog die Boxershorts runter und trat sie in die Ecke. Er wünschte, es gäbe mehr Licht im Zimmer, damit er sie besser sehen konnte. Dann spürte er ihre Hand auf sich – dort unten –, und er konnte beim besten Willen nicht mehr klar denken.
»Nett«, murmelte Dao Ming.
»Dito«, gab Mort zurück, der die Hände auf ihre Brüste schob. Er ließ die Daumen über ihre Nippel kreisen. Sie wurden hart wie Kieselsteine. »Ich sollte dich wohl warnen. Es ist ziemlich lange her, seit ...«
»Pst!«
Dao Ming legte sich aufs Bett und zog ihn zwischen ihre Schenkel. Mort stöhnte, als er auf sie sank. Sie passten perfekt zueinander, brauchten nicht herumzufummeln. Und sie fühlte sich so heiß an! So heiß und so eng!
»Oh! Langsam, Süßer. Du bist groß gebaut«, stieß Dao Ming japsend hervor.
Mort erwiderte: »Oh Scheiße-Scheiße-Scheiße, nicht bewegen, nicht bewegen! Oh nein! Aaaaaaaah! Ah ... ah ... verdammt.«
Sie streichelte sein Haar, als er in ihre Schulter keuchte. »Äh, Mort ... bist du gerade gekommen?«
»Ja. Tut mir leid. Ich hab dir ja gesagt, dass es lang her ist.«
Dao Ming lachte leise. »Schon okay. Wir können es ja in ein paar Minuten noch mal versuchen.«
Mort schwieg einen Augenblick. »Wir brauchen nicht zu warten. Ich glaube, er ist immer noch hart.«
Dao Ming schlang die Beine um seine Hüfte und lächelte in der Düsternis. »Guter Junge ...«, sagte sie gurrend.