38.

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s war das erste Mal, dass Konrad von Isenhart in einer körperlichen Disziplin bezwungen wurde. Niemals wieder sollte er einen Menschen sehen, der schneller lief.

Isenhart hastete über den Trampelpfad und brach nach rechts ins Unterholz aus, um den Weg zur Scheune zu verkürzen. Mit der Geschicklichkeit fliehenden Wilds berührten seine Füße nur dort den Boden, wo sie vor der Gefahr des Strauchelns gefeit waren.

Es war nicht nur die Angst um Sophias Wohl, die Isenhart jene Kraft in die Beine fahren ließ, es war die gegen sich selbst gerichtete Wut.

Abyssus abyssum invocat.

Was für ein Einfaltspinsel er gewesen war! Zu glauben, Henning von der Braake würde nach all den Jahren jede Achtsamkeit fahren lassen; zu glauben, Lugardis’ Schönheit würde ihm den Verstand rauben und er ihr scheuklappig nachstolpern! Allein die Annahme, Henning würde in eine so plumpe Falle gehen, war in höchstem Grade fahrlässig gewesen.

Eine Fahrlässigkeit, die bestraft gehörte. Daher hatte Henning den Simpel beauftragt, ihm diesen Denkzettel zu überbringen.

Ein Fehler zieht den anderen nach sich.

Es war ein Fehler gewesen, Sophia alleine in der Scheune zurückzulassen.

Isenhart hetzte aus einer Seitengasse in den Hauptweg, rutschte mit einem Fuß im Matsch weg, fing sich gerade noch und rannte all den Flüchtenden entgegen, die sich blass und verletzt vom Kirbach wegschleppten.

Entfernt nahm er das Rasseln des Kettenhemdes wahr, das er einst für den Stammhalter des Hauses Laurin aus über dreißigtausend einzelnen Ringen gewoben hatte, und an dem Konrad nun schwer zu tragen hatte.

»Sophia!« Isenhart stürmte mit erhobenem Dolch in die Scheune. Er drehte sich dabei um seine eigene Achse, um möglichst zügig einen Überblick über den gesamten Raum zu gewinnen, als Konrad die Tür so heftig aufstieß, dass sie gegen die Wand krachte und sich eine Staubwolke von ihr löste.

Isenhart erreichte mit einigen, wenigen Schritten die Stelle, an der Sophia sich versteckt hatte, um den Lauf der Dinge zu beobachten. Eine enge Flucht, linker Hand durch Strohballen, nach rechts durch die Scheunenwand flankiert. Wie Konrad auch schloss er aus den Fußabdrücken im Staub, aus den Blutspritzern an der Wand und an den Strohballen auf einen Kampf.

»Sie hat sich gewehrt«, sagte Konrad tonlos, um dann ansatzlos zu brüllen: »Sophia!« Keine Antwort.

»Sie sind nicht mehr hier«, stellte Isenhart fest, und seine Stimme zitterte leicht wegen seines Bemühens, ihr Ruhe zu verordnen, »sonst hat die Nachricht keinen Sinn.«

»Keinen Sinn?«, echote Konrad, der die Strohballen beiseitewarf und nach seiner Schwester suchte. Er warf einen Blick zu dem Freund, der sich nicht von der Stelle rührte, der jene körperliche Starre an den Tag legte, die immer dann einsetzte, wenn er am intensivsten überlegte. »Warum keinen Sinn?«, brüllte Konrad von Laurin ungeduldig.

Isenhart hob den Blick: »Henning hätte mit der Nachricht nicht auf sich verweisen müssen. Aber genau das hat er getan. Er hat mich vorgeführt, um … um mich jetzt zu bestrafen. Durch Sophia.«

»Er könnte sich in der Schenke verstecken«, gab Konrad zu bedenken.

Isenhart deutete ein Kopfschütteln an, aber er erklärte sich sofort bereit, dort mit ihm nach dem Rechten zu sehen.

Die Fassungslosigkeit in Biz’ gebrochenem Blick fiel Isenhart zuerst auf. Konrad sah sich um, darauf bedacht, keine überflüssigen Geräusche zu verursachen. Da stand der Karren mit dem Harz, selbst das Maultier hatte Henning zurückgelassen.

Isenhart ging neben dem Kaufmann in die Hocke und ergriff sein Handgelenk, um Biz den Finger auf den Puls zu legen. Die Schlagzahl des Lebens, wie Walther den Puls genannt hatte.

Die Schlagzahl bei Biz war gleich Null, stellte Isenhart fest. Er war froh, dass er seine Gedanken für einige flüchtige Augenblicke auf die Begutachtung des Toten lenken durfte.

Dem Kaufmann ragte das Heft des Dolches aus dem blutverschmierten Ohr.

Blutverschmiert. Das ließ Isenhart aufmerken.

Verschmiert. Nicht verkrustet.

»Er kann noch nicht lange tot sein«, sagte er daher leise und griff dem Toten an den Hals, um die weichende Körperwärme zu spüren.

»Ach was«, erwiderte Konrad gereizt, »wir haben ihn ja eben noch mit Lugardis schäkern sehen.«

Isenhart fühlte sich dabei ertappt, eine Umständlichkeit an den Tag zu legen, die der Dringlichkeit ihrer Suche nicht angemessen war. Er musste nicht anhand von Gerinnungsgrad des Blutes und der Körpertemperatur herleiten, wie viel Zeit zwischen der Tat und dem Auffinden des Toten vergangen war. Konrad brachte einfach das Offensichtliche ins Spiel. Vor einer Viertelstunde war Biz noch quicklebendig gewesen. Isenhart hatte es mit eigenen Augen gesehen.

Konrad tastete mit seinen Augen die Umgebung ab, die Gesichter, die Bewegungen. Die Bewohner Haslachs, die sich bisher noch nicht mit ihren Siebensachen aufgemacht hatten, taten es jetzt, als der Strom der Verletzten durch den Ort zog und dabei stetig anschwoll. Sie trugen ihre Kleider mit sich, klapperndes, rußgeschwärztes Kochgeschirr, und einige zogen ein Schwein oder eine störrische Ziege hinter sich her, die sich gegen den Zug des Hanfseils stemmte, das man ihr um den Hals gebunden hatte. Ein Junge verpasste ihr einen Tritt in die Hinterläufe, sodass sie erschrocken vorwärtssprang.

Alles eilte, drängelte, hastete, wieder und wieder warfen sie die Blicke zurück auf das, was sie vielleicht jeden Augenblick einholen würde: die Meute Joseph von Vöhingens. »Herr, schütze uns«, hörte Isenhart ein junges Mädchen wispern, das das Kreuz schlug.

»Wo kann er sein?«, fragte Konrad. Isenhart war ihm dankbar dafür, dass er die Frage, die unzweifelhaft auch in seinem Kopf schwelte, nicht aussprach: Glaubst du, sie lebt noch?

Isenhart wusste inzwischen, wo Henning – und Sophia – sich in diesem Augenblick befanden. Er musste sich dazu nicht in seinen früheren Freund und Wegbegleiter hineinversetzen. Er musste sich nur fragen, wie er selbst seinen Verfolgern in dieser Situation ein Schnippchen schlagen würde.

»Er schlägt sich zu Joseph von Vöhingen durch«, sagte er daher.

Konrad warf ihm einen fassungslosen Blick zu: »Jetzt?«

»Gerade jetzt.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich würde es so machen.«

Auf ihren Pferden bahnten sie sich den Weg gegen die Stoßrichtung der Flüchtlinge. »Herr, kehrt um«, wurde Konrad von einer alten Frau beschworen, während sie sich bemühten, trotz aller Eile, die sie antrieb, niemanden niederzureiten.

Isenharts Augen musterten jeden Flüchtling, Verletzte ebenso wie Alte, Frauen und auch Jünglinge. Vielleicht unternahm Henning doch den Versuch, im Strom der Flüchtenden unbemerkt an ihm vorbeizutreiben, sich auf diese Weise also abermals zu tarnen.

Doch Henning von der Braake würde sich erst dann dem Zufall überlassen, wenn es keine Chance mehr gab, die Situation zu kontrollieren. Die größte Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Flucht bestand darin, sich den feindlichen Verbänden anzuschließen. Scheinbar oder wirklich.

Und für den unwahrscheinlichen Fall, trotzdem von Konrad und Isenhart entdeckt und aufgegriffen zu werden, bot nur eine Geisel von höchster Bedeutung die Möglichkeit auf freies Geleit. Nur deshalb, dachte Isenhart, nur aus diesem Grund musste Sophia noch am Leben sein.

Weil sie von strategischem Interesse war.

Und möglicherweise, möglicherweise, weil in Henning von der Braake ein Rest von Menschlichkeit schlummerte, ein Stück Zugewandtheit, die ihn daran hinderte, Isenhart ein zweites Mal das Liebste zu nehmen. Isenhart hätte gelogen, wenn er behauptet hätte, nicht auch ein wenig auf diesen Umstand zu hoffen.

Sie erreichten eine Weggabelung, von der aus der Strom der Flüchtenden seinen Ausgang nahm. Der Kirbach, kaum zwanzig Fuß breit an seinen ausgedehntesten Stellen, schlängelte sich durch die Auen und teilte eine sattgrüne Wiese, die von Nadelwald begrenzt wurde, in zwei Teile.

Ihre Pferde schnauften.

Diesseits standen die Mannen, die Erik von Owenbühl gefolgt waren. Sie mühten sich, den Feind nicht über den Kirbach treten zu lassen, und verteidigten insbesondere eine schmale Brücke, die kaum mehr als zwei Mann nebeneinander Durchlass bot, und eine Furt etwa hundertfünfzig Fuß links davon, in der sich das Flussbett so sehr erhob, dass ein Mann den Fluss hüfthoch zu durchschreiten vermochte.

Konrads Körper spannte sich bei dem Anblick, der sich ihm bot. Es war jene Spannung, die auch am Tajo in ihn gefahren war, als die berittenen Muselmanen aufgetaucht waren.

Wie von Owenbühls Männer auch bestanden die Gegner vornehmlich aus Bauern und einigen Abenteurern. Doch genau dort, wo eine Schar von Haslachern einen Keil in die feindliche Linie trieb, erhoben sich Piken in die Luft.

Sie waren es, die Konrads Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Piken von gut zwölf Fuß Länge, die sich jetzt senkten und in die Haslacher fuhren, die Arme, Beine, Bäuche durchstießen. Die Piken bildeten selbst im Zustoßen eine geschlossene Formation, die nicht dem Zufall entstammen konnte. Entsetzt von dem, was ihren Kameraden widerfuhr, wichen die Haslacher erst zurück, um dann in der Folge die Flucht zu ergreifen.

Der Keil in der Linie der Gegner wich, die Piken marschierten voran.

»Jemand zahlt sie, nicht wahr?«, fragte Konrad.

Isenhart nickte. Es brauchte kein weiteres Wort, um sich des Unbehagens, das sie bei dem Anblick der Pikenträger empfanden, zu versichern. Der Anblick dieser Männer war Konrad und Isenhart nur allzu bekannt. Behelmt und gepanzert an Schenkeln und Unterarmen waren sie. Sie marschierten unerschrocken voran. Es waren Brabanzonen.

»Sophia.«

Konrads Stimme, sonst kräftig und bestimmt, entfuhr der Name der Schwester wie ein kläglicher Seufzer. Isenhart folgte seinem Blick. Henning und Simon von Hainfeld hatten es durch die Linien von Joseph von Vöhingen geschafft. Sie zerrten Sophia mit sich, die sich sträubte und wehrte und von Simon von Hainfeld geschlagen wurde. Ihr Gesicht war blutig.

Isenhart nahm Konrads Blick nur noch von weit, weit her wahr. Die Flucht der Verwundeten, das Geschrei der Kämpfenden, das Klirren von Metall auf Metall, all das versank, wurde dumpf, ganz so, als befände Isenhart sich unter Wasser. »Das ist Wahnsinn«, drang eine Stimme zu ihm, als er das Schwert zog. In einer merkwürdigen Verzerrung, die die Zeit dehnte, nahm Isenhart seine Umgebung wahr. Die Haslacher, die sich erhoben, jene, die vom Kirbach flohen und nun stoppten und zu ihm aufblickten. Konrad, der vehement den Kopf schüttelte.

Isenhart schaute nach vorne, wo die Haslacher in den Kirbach getrieben wurden, der sich tatsächlich rot einfärbte. Von Vöhingens Männer zwangen sie ins Wasser, wo sie strauchelten und ertränkt, erdolcht und erschlagen wurden. Ein Vorstoß zu der Position, an der Henning, von Hainfeld und Sophia sich befanden, schien unmöglich.

»Männer«, brüllte er daher, »Ihr mögt heute sterben, aber dieses ist der letzte Tag, an dem ihr als freie Männer sterben könnt!«

Seine Worte gingen wie ein Ruck durch die Umstehenden und durch die ganze Umgebung. Es war, als würde die Landschaft sich einen Fußbreit versetzen. Isenhart gab seinem Pferd die Sporen, wendete nach links, hob das Schwert und jagte davon.

Wie einst Walther von Ascisberg bei Doryläum gereichte er damit seinen neu gewonnenen Mitstreitern zum leuchtenden Vorbild. Sie stürmten ihm nach. Darunter auch sieben Reiter, denen Konrad sich anschloss. Isenhart war ein guter Freund und heller Kopf, aber er war kein Kämpfer. Er war mit dem Schwert so erfahren wie Konrad mit dem Federkiel. Er benötigte dringend Schutz und Flankierung.

Isenhart war mitten in die Furt geprescht und natürlich gestoppt worden. Bauern prügelten mit Dreschflegeln auf die Vorderläufe seines Pferdes ein, das hell aufschrie und stieg – aber er fiel nicht.

Konrad und seine Begleiter ritten die Angreifer nieder und schufen so, ohne es zu wollen, den Raum für einen neuen Vorstoß der Haslacher. Denn Isenharts Worte waren für zwei Dutzend von ihnen Ansporn genug gewesen. Sie nahmen sich der niedergerittenen Gegner an – sie schlachteten die Hilflosen ab und sicherten Erik von Owenbühl und seinen Männern auf diese Weise erneut die Furt, was das mörderische Ringen um den Übergang an der Brücke entlastete.

»Keil!«, rief Konrad von Laurin, der sein Pferd als Erster aus dem Kirbach führte und sich an die Spitze jener Formation setzte, mit denen die Kreuzfahrer tiefe Schneisen in die muslimischen Verbände zu jagen pflegten.

»Reite nicht gegen die Brabanzonen!«, rief Isenhart ihm zu, der sich gleichzeitig bemühte, Anschluss zum rechten Ende des Keils zu gewinnen, »geh gegen die linke Flanke!«

Es waren neun einsame Reiter, die jetzt über die Wiese preschten, angeführt von Konrad von Laurin. Sie hoben Schwerter und Lanzen und trieben mit den Sporen die Rösser an, deren Hufe die Erde in die Luft jagten.

Konrad lenkte sein Pferd nach links und führte den Keil auf diese Weise in eine Zangenbewegung, der freilich ihre Entsprechung auf der rechten Seite fehlte und die ihre natürliche Begrenzung in dem Waldrand fand.

Einige Pfeile wurden auf sie abgeschossen, verfehlten sie aber.

Konrad hielt auf das Ende des linken Flügels zu, der keine geschlossene Linie bildete, denn bis auf die Brabanzonen, die von Vöhingen rekrutiert hatte, befanden sich auch auf seiner Seite nur Bauernsöhne und Hasardeure, denen jede Disziplin abging. So führte Konrad die Reiter gegen einen losen Haufen, aus dem die Ersten sich von jener Stelle abzusetzen versuchten, wo der Keil mit der Wucht eines herabkrachenden Baumstammes einschlagen würde.

Aber Konrad wandte einen Kniff an, den er bei den Kämpfen um Philippopolis beobachtet hatte. Kurz vor dem Auftreffen riss er die Zügel scharf nach links. Der Keil ließ von Vöhingens Anhängern, die von diesem Kurswechsel überrascht wurden, keine Chance mehr auszuweichen.

An unvermuteter Stelle und mit der Wucht von neun galoppierenden Pferden traf er auf die Angreifer, die beiseitegeschleudert oder zu Boden gerissen wurden. Schilde, Dreschflegel und Lanzen barsten und flogen empor und zu den Seiten. Wen die Pferde nicht niederritten, der wurde von einer Lanze durchbohrt oder von einem Schwerthieb getroffen. Konrad ließ sein Schwert nach links und rechts niederfahren. Er erblickte Sophia, die von Simon von Hainfeld mitgezogen wurde. Sie trennten vielleicht zweihundert Fuß.

Normalerweise hätte er die Keilformation in vollem Galopp aus der Flanke des Gegners wieder austreten lassen müssen, um sie an eine Stelle zu führen, an der sie sich neu bilden konnte. Aber er und Isenhart waren nicht hier, um die Schlacht für Erik von Owenbühl zu entscheiden, sondern um Henning von der Braake zu stellen und Sophia zu retten.

Also dirigierte er den Keil in engem Bogen weiter nach rechts, wohl wissend, dass die Zahl der Gegner zur Mitte hin zunehmen und der Vorwärtsbewegung der Pferde langsam, aber sicher ein natürliches Ende bereiten würde.

Und so kam es.

Der Vorteil der Überraschung war dahin.

Bogen- und Armbrustschützen feuerten aus nächster Nähe auf die Reiter, auch Lanzen schossen ihnen entgegen. Isenharts Nebenmann wurde aus dem Sattel gerissen.

Ein dürrer Kerl mit dem Herz eines Löwen sprang vor, entriss dem verdutzten Konrad von Laurin die Zügel und brachte das Pferd zu Fall. Konrad stürzte vorne über, rollte sich nach rechts ab in der Hoffnung, sein Pferd, das sich ebenfalls überschlug, möge ihm nicht alle Knochen brechen.

Darüber stürzten auch die beiden folgenden Reiter, und erst die dritte Linie der Keilformation wich aus, nun allerdings im Vorpreschen so abgebremst, dass eine erneute Formierung unmöglich schien. Der eine Streiter sprang daher ab, sein Nebenmann versuchte sein Ross zu wenden und wurde hinterrücks erschlagen.

Isenhart trieb dem Mann das Schwert ins Kreuz, der im Begriff war, dem unter ihm liegenden Konrad mit der Axt den Schädel zu spalten. Erneut krachten Dreschflegel gegen die Vorderläufe seines Pferdes, das wieder stieg – und ihn dieses Mal abwarf.

»Drescht sie in Stücke!«, gellte ein heiserer Ruf über das Schlachtfeld.

Konrad kam auf die Beine. Entgegen jeder Vernunft marschierte er gegen die Feinde, wie es schien. Tatsächlich lief er lediglich Sophia hinterher. Die anderen Kombattanten wähnten in ihm ihren Herzog, jenen, der vor ihnen herzog – und folgten ihm.

»Du kannst ihn treffen!«, brüllte Konrad in den Lärm der Waffen, in das Brüllen, Schreien und Seufzen hinein. In diesem Augenblick erst begriff Isenhart, der inzwischen auch wieder auf den Beinen war, Konrads Absicht. Natürlich, er trug die Armbrust, die Walther von Ascisberg ihm vermacht hatte, stets bei sich. Und offensichtlich schätzte Konrad die Möglichkeit, sich bis zu Sophia durchzukämpfen, als unmöglich ein.

Wie auch?

All diese Männer, die sich ihnen in den Weg stellten, ahnten nicht, in welcher Mission sie unterwegs waren. Einen Mörder zu fassen, ihm sein nächstes Opfer zu entreißen, deshalb waren sie hier. Die Schlacht galt ihnen nichts, es war lediglich Hennings Eingebung zu verdanken, dass sie sich nun hier eingefunden hatten. Mit etwas Fortune hätte der Keil der Reiter sie bis zu von der Braake und seinem Adlatus geführt, das war Isenharts Absicht gewesen. Es hier zur Entscheidung zu bringen. Es hier enden zu lassen.

Der Allmächtige verweigerte ihnen dieses Glück.

Die Zahl der Angreifer mehrte sich von Augenblick zu Augenblick, die anderen Reiter wandten ihnen ihre Rücken zu, sie igelten sich ein und bildeten einen Kreis, in dessen Mitte sich Isenhart wiederfand.

»Schieß jetzt, wenn es noch einen Sinn haben soll!«, herrschte Konrad ihn an, während er ihnen mit einer beeindruckenden Schlagfolge drei Angreifer vom Leib hielt. Isenhart hatte den Bogen bereits von seinem Rücken gerissen und spannte den Bolzen.

Aber auf diesen Gedanken waren ihre Feinde auch schon verfallen. Aus nächster Nähe schossen sie Pfeile und Bolzen ab. Zwei der abgesessenen Reiter wurden schwer verwundet. Brüllend vor Schmerzen stürzten sie vor.

»Herr Jesus sei mit uns!«

Isenhart richtete sich auf, dann wischte etwas durch sein Sichtfeld, ein schmaler dunkler Streifen, der sich in Form goss, als der Pfeil seinen linken Unterarm durchschlug. Mit Mühe hielt er die Armbrust fest und schob das Entsetzen, das er über seine Verwundung empfand, beiseite.

Isenhart visierte Henning an und feuerte den Bolzen ab, als von der Braake stoppte und sich umwandte. Der Armbrustbolzen schoss knapp an ihm vorbei und fuhr einem von von Vöhingens Gefolgsleuten in die Rippen. Henning rief Simon von Hainfeld etwas zu, der sich daraufhin umwandte und ihnen entgegenkam.

Für einen zweiten Schuss reichte es nicht mehr. Von den ehemals neun Reitern standen noch vier. Isenhart griff zum Schwert und ging mit Konrad zum Angriff über, da von Owenbühl zu ihnen durchstieß und ihnen von hinten und von den Flanken her Deckung bot.

Aber Henning zerrte Sophia weiter mit sich, weg von der Kampflinie, an der Konrad von Laurin seinem Vater alle Ehre machte. Mit kühlem Kopf und festem Stand schlug er auf die Gegner ein, täuschte sie mit einer Finte, hieb dem einen die Finger von der Hand und bohrte dem Nebenmann die Schwertspitze in den Unterkiefer. Einige Männer wichen vor ihm zurück, um die nötige Distanz für einen Pfeilschuss zu erreichen.

Doch ermutigt von den Brabanzonen, die mit ihren Piken einschwenkten und sich mit stoischer Schrittfolge näherten, warfen sich von Vöhingens Männer wieder in das Getümmel.

Unter denen, die vorwärtsdrängten, befand sich auch Simon von Hainfeld. Er und Konrad nahmen in dem unübersichtlichen Hauen und Stechen, in dem Brüllen und Wimmern, aneinander Maß.

Jede Faser Isenharts sträubte sich gegen dieses Abschlachten, während er, über tote und verletzte Leiber trampelnd, seine Position an Konrads Seite zu halten versuchte.

Ein Fehler zieht den anderen nach sich.

Von rechts griffen die Brabanzonen mit ihren Piken in den Kampf ein, und entscheidender als ihr Kriegshandwerk, das sie auf den Schlachtfeldern des Abendlandes vervollkommnet hatten, war die Unerschrockenheit, die sie ausstrahlten. Ihre Gewissheit zu siegen war es, die ihren Schrecken ausmachte. Brabanzonen unterlagen nicht.

Schon wichen von Owenbühls Männer zurück: nur hinaus aus dem fürchterlichen Radius der Piken.

Konrad erschlug einen Mann mit einem Dreschflegel. »Wir müssen zurück«, rief er Isenhart im Kampfeslärm zu.

Und natürlich hatte er recht. Die Sache war aussichtslos.

Isenhart entdeckte Henning weiter hinten, er wurde jetzt von zwei Männern eskortiert, die Sophia in die Zange genommen hatten. Sie alle entfernten sich immer weiter vom Kampfschauplatz.

Was war es denn, was ihn am Leben hielt? Der Traum vom Fliegen etwa? Seiner Neugierde vorbehaltlos nachgehen zu können, seine Gedanken ohne Beschränkung auf den Weg zu schicken? Sie an den Ufern der Zeit verweilen zu lassen? Was, um Gottes willen, waren denn diese Augenblicke wert, wenn er sie nicht mehr mit Sophia teilen konnte?

Ahnte Sophia, wie gerne er sie beobachtete, wenn sie sich unbeobachtet wähnte? War sie sich der Anmut ihrer Bewegungen überhaupt bewusst? Selbst aus einem Stolpern ging sie grazil hervor. Und wenn ihr Lächeln ihn ereilte, war ihm, als spürte er es als einen warmen Punkt, der sich ausbreitete und über seine Haut fuhr. Wusste sie überhaupt, dass sie ihn auf eine Weise ergänzte, die ihn erst zu einem Ganzen machte?

Wie sollte sie, denn er selbst begriff es erst jetzt. Hier, mitten unter jenen, die Leben nahmen, mitten in den blutigsten Momenten seines Daseins ereilte ihn diese Erkenntnis.

Auch Henning von der Braake hatte Isenhart ergänzt, aber doch stets nur mit seinen Gedanken, mit seiner Intelligenz, während Sophia ihn dort umschloss, wohin Henning niemals würde vordringen können, in der Tiefe.

»Wir müssen zurück!«, rief Konrad ihm abermals zu.

»Nein«, rief Isenhart zurück. Henning von der Braake hatte ihm bereits einmal das Liebste genommen. Ein zweites Mal würde er es nicht zulassen.

Daher stürmte er vor, bar jeder Kampferfahrung, und griff die Männer vor ihm an, die von dem Vorstoß des hageren Burschen überrascht waren und auswichen. Isenharts Schwerthieb ging ins Leere, und die Wucht, die er in den Schlag gelegt hatte, riss ihn um ein Haar von den Beinen.

Isenhart strauchelte nach vorne, fing sich und sah sich plötzlich Simon von Hainfeld gegenüber, der mit beiden Händen einen Streithammer umklammerte. Ein schweres Stück Holz, das zum Ende hin kugelförmig zulief und mit rostigen Metallspitzen übersät war. Isenhart gelang es noch, sein Schwert in die Höhe zu reißen, um dem Schlag des Hünen wenigstens irgendetwas entgegenzusetzen. Der Streithammer fegte ihm zwar das Schwert aus der Hand, das brachte den mörderischen Hieb aber so weit vom Kurs ab, dass ihn nicht seine volle Wucht traf. An die dreißig Metallspitzen, die seinen Kopf hätten treffen sollen, rissen ihm stattdessen die Schulter auf.

Isenhart fiel hintenüber. Der Schmerz brannte ihm vom Gelenk den Arm hinab. Von Hainfeld holte ein zweites Mal aus. Konrad schlug mit aller Kraft gegen den gepanzerten Arm des Mannes, aber die Schneide seines Schwertes war bereits zu schartig, um den Hünen ernsthaft zu verletzen, das Eisen prallte auf das Metall des Armpanzers und zwang von Hainfeld nur zu einem seitlichen Stützschritt.

Alles Weitere sah Isenhart nur noch durch ein Knäuel aus Leibern und Beinen, die über ihn stiegen und auf ihn traten. Statt den Schlag zu erwidern, packte Hennings Begleiter Konrad und hob ihn hoch, als habe der nur das Gewicht eines Kindes. Er warf ihn einfach von sich weg, sodass auch der Stammhalter des Hauses Laurin zehn Fuß entfernt zu Boden ging.

Wie die Wellen zweier aufeinandertreffender Meere wogten die Haufen von Owenbühls und von Vöhingens genau hier zusammen und bäumten sich auf; die Strömung riss Isenhart von Konrad fort. Mühsam kam er auf die Beine und vermied den Blick auf die eigene Schulter. Hektisch sah er sich um, doch dort, wo der Freund eben noch gelegen hatte, wüteten nun die Brabanzonen.

»Konrad!«

Wie befürchtet erhielt er keine Antwort. Stattdessen wurden sie zurückgedrängt, die meisten nahmen Reißaus vor den Soldrittern.

»Kämpft, um Gottes willen!«, rief Erik von Owenbühl ihnen zu, doch Angst und Panik waren größer, und ohne zum Kampf entschlossene Männer an seiner Seite blieb auch ihm nichts weiter übrig, als zum Kirbach zurückzulaufen.

»Konrad!«

Erneut blieb Isenharts verzweifelter Ausruf ohne Erwiderung.

Seine Schulter brannte. Er hielt sich den durchbohrten Unterarm, während er auf den Bach zulief, wo die Männer sich auch ohne von Owenbühls Kommando sammelten, ganz so, als habe das Durchwaten des kalten Wassers sie zur Räson gerufen.

Immer wieder sah Isenhart sich über die Schulter, einmal schwirrte ein Pfeil nah an seinem Ohr vorbei. Er konnte keinen von ihnen mehr ausmachen, Henning nicht und Sophia, von Hainfeld ebenso wenig wie Konrad. Das Herz krampfte sich ihm zusammen bei dem Gedanken, was man Sophia und Konrad antun würde – wenn man sie überhaupt am Leben ließ.

Er hatte sein Pferd ebenso verloren wie das Schwert, nur mehr die Armbrust, die Walther von Ascisberg vor Ewigkeiten – so erschien es ihm – in den Unterricht mitgebracht hatte, ruhte noch auf seinem Rücken. Ein Pfeil hatte sich in ihr Holz gebohrt und schützte ihn dadurch nicht nur vor einer weiteren Verletzung, sondern mahnte ihn auch zur Eile. Tot oder verkrüppelt wäre er seiner Frau und seinem Schwager keine große Hilfe.

Sich gegen von Vöhingens Leute zu stellen, hatte im Augenblick keinen Sinn. Während er den Kirbach zu erreichen versuchte, lief ihm das Blut den Arm hinab und tropfte von seinen Fingern rot auf die Wiese, deren Gräser von dem Auf und Ab der beiden Bauernheere niedergetrampelt worden waren.

Die Männer um Erik von Owenbühl, der nun ebenfalls das gegenüberliegende Ufer erreicht hatte, verschwammen vor Isenharts Augen. Er blinzelte kurz, aber die Unschärfe wollte nicht weichen. Hinzu gesellte sich eine der Situation unangemessene Leichtigkeit. Von einer Art, die die ersten Frühlingstage für gewöhnlich mit sich brachten. Wenn einen die warmen Sonnenstrahlen im Nacken zu kitzeln begannen und sich selbst die Lippen des überzeugtesten Misanthropen zu einem leisen Pfeifen spitzten.

Um ein Haar hätte Isenhart zu lächeln begonnen. Seine Beine gaben nach, er schlug hart auf, aber er spürte nichts. Nicht einmal Furcht. Ihm wäre es recht gewesen, auf ewig hier liegen zu bleiben, denn ihm war wohl und warm, nur der Arm fühlte sich furchtbar nass an.

Im Liegen sah er, wie von Owenbühls Männer mit ihm selbst an der Spitze erneut vorstürmten, sie liefen gegen die Brabanzonen. Diesmal musste Isenhart tatsächlich lächeln. Es war aller Ehren wert, sich gegen die Soldritter aus Brabant zu stellen.

Aber es hatte natürlich keinerlei Sinn.

Der Geruch des Grases wehte ihm in die Nase. Unsagbar schön. Satt und schön und direkt vor ihm ausgebreitet. Die Farben gewannen an Kraft, die Ränder der Grashalme brachen aus.

Zuerst drang das Stöhnen an sein Ohr.

Stöhnen und Schluchzen und Wimmern. Das leise Jammern der Jünglinge, die heute Morgen noch mit verächtlichem Lächeln auf den Lippen der flehenden Mutter den Rücken zugewandt hatten, um sich in der Schlacht Ruhm und Ehre zu verdienen – oder zumindest ein paar Münzen oder Schuhe oder andere Habseligkeiten –, und die nun ihrerseits flehten, man möge ihre Mütter holen, damit sie ihnen Beistand leisteten in der letzten Stunde.

Er öffnete die Augen. Es war Nacht, und es regnete. Isenhart befand sich bis zur Hüfte unter einem Fell, das man offenbar auf einigen Pfählen befestigt hatte, um den Verletzten einen Schutz zu bieten. Dicht an dicht lagen sie nebeneinander. Einige schliefen tief und fest, sie schnarchten, andere pressten die Atemluft vor Schmerz hinaus.

»Ich habe drei Katzen zu Tode gequält«, hörte Isenhart eine rasselnde, junge Stimme.

»Der Herr vergibt dir«, antwortete eine müde, alte Stimme.

»Und ich habe Unzucht getrieben mit meiner Schwester … mehrmals.«

»Die Güte des Herrn ist unermesslich. Dir sei vergeben, Christoph von Müllersen«, vernahm Isenhart wieder die Stimme des Alten. Er legte den Kopf beiseite und erspähte im Halbdunkel einen Mann seines Alters, der bleich wie ein Knochen nur wenig Schritte entfernt lag. Neben ihm kniend machte Isenhart einen Priester aus, der sich über ihn beugte.

Christoph von Müllersen bibberte. Isenhart empfand Mitleid mit ihm. »Und ich habe noch mehr gesündigt«, fuhr jener mit keuchender Stimme fort.

»Auch das sei dir vergeben«, unterbrach der Geistliche, der die Finger seiner rechten Hand eilig in eine Ledertasche führte. Müllersens Liste seiner Vergehen beanspruchte zu viel Zeit für ihre Aufzählung. Er wäre gestorben, ohne die Letzte Ölung und die geweihte Hostie empfangen zu haben.

Der Priester zog die glänzenden Finger aus der Tasche und zeichnete ihm das Kreuz auf Augen, Ohren, Nase und Lippen. Und im Anschluss auf die Brust, das Herz, die Schultern, Hände und Füße. »Ich salbe diese Hände mit geweihtem Öl, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, sprach der Geistliche dabei, »auf dass getilgt werde, was sie durch unerlaubtes oder schändliches Tun angerichtet haben. Der Allmächtige verzeihe dir, was du gesündigt hast durch deine Sinne. Durch Sehen, Hören, Reden, Riechen, Tasten und Tun. Amen.«

Christoph von Müllersen begann zu weinen. »Ich will nicht sterben«, flehte er.

Der Priester nickte. Er fuhr mit der Hand in einen zweiten Lederbeutel und vollführte dann mit der Hand eine ruckartige Bewegung ganz so, als wolle er ihm eine Maulschelle geben. Doch er berührte ihn nicht, weil er die Hand rechtzeitig zurückzog – auf diese Weise besprenkelte er Christoph von Müllersen mit Weihwasser.

Isenhart wusste, wozu das gut war: um die Dämonen zu vertreiben.

Er hob seinen linken Unterarm. Jemand hatte ihm den Pfeil entfernt und seine Wunde mit einem Verband aus Tonerde, Schimmelpilzen und ein paar Eichenblättern versorgt.

Schimmelpilze eignen sich hervorragend gegen jede Art von Entzündung, hörte er seinen alten Lehrer sagen.

Auch seine Schulter war – offenbar mit den identischen Heilmitteln – bandagiert worden. Zwar spürte er tief drinnen am Gelenk nach wie vor ein Brennen, aber die Intensität war auf ein erträgliches Maß abgeklungen.

Jemand ging neben ihm in die Hocke, Isenhart blickte auf. Im Halbdunkel erkannte er Lugardis in ihrem Habit, die ihn mit einem sorgenvollen Blick bedachte. »Wer hat meine Wunden versorgt?«, fragte er.

»Ich.«

»Das hast du hervorragend gemacht«, lobte Isenhart und bemerkte, wie schwach er klang, »weißt du etwas über mein Weib oder Konrad?«

Lugardis schüttelte den Kopf, in ihrem Blick lag Bedauern. »Schwester Clementia hat Euch auf dem Feld entdeckt und mit einem Maulesel hierherbringen lassen.«

»Wie lange liege ich schon hier?«

»Beinahe drei Stunden.«

Isenhart entfuhr ein tiefes Seufzen. Drei Stunden waren lang, aber gemessen daran, dass er aufgrund seiner Verletzungen auch erst nach zwei Tagen hätte erwachen können oder sogar gar nicht, erschienen ihm drei Stunden verschwindend gering. Hätte er gewusst, was er nur einige Stunden später erfahren würde, ein schmerzlicher Schrei hätte sich in die regnerische Nacht erhoben und für Augenblicke die Welt umspannt. Es war ein Segen, eine göttliche Gnade, die ihn im Moment davor verschonte.

Lugardis reichte ihm eine Holzschale mit einer Brotkruste. Isenhart setzte sich auf, nahm die Schüssel entgegen und roch daran. »Erbsen?«, fragte er.

Lugardis nickte: »Erbsenbrei und Schweinspfoten.«

Von so einer Kombination hatte Isenhart noch nie zuvor gehört, aber der Hunger brach sich Bahn. Mit einer Gier, die ihm selbst wenig schicklich erschien, schob er den Brei mittels der Brotkruste in sich hinein. Die Erbsen waren noch lauwarm.

»Welchen Ausgang hat die Schlacht genommen? Lebt Erik von Owenbühl?«

»Sie haben ihm einen Unterarm abgesägt«, antwortete die Novizin, »aber er ist wohlauf. Und Haslach ist sein. Am Kirbach hat es sich entschieden. Joseph von Vöhingen musste sich mit den Gefangenen zurückziehen.«

Mit den Gefangenen.

Noch gab es Hoffnung.

Mit einem letzten Seufzer an die Welt sackte der Kopf von Christoph von Müllersen beiseite, damit sein bußfertiger Geist diese Fessel des Körpers hinter sich lösen und dem Schöpfer selbst gegenübertreten konnte. Da war der Geistliche schon weiter und spendete der Reihe Verwundeter zu Isenharts Linken Trost und Zuversicht.

Zu beiden Seiten des Kirbachs lagen die Erschlagenen in abnorm anmutenden Verrenkungen, während der Regen unablässig auf ihre Körper prasselte. Fledderer waren unterwegs, Alte und Kinder, Mädchen wie Jungen, die zwischen den Toten hin und her huschten und die Vögel aufscheuchten, die sich diesen Schmaus nicht entgehen ließen, obwohl es Nacht war.

Die Erstarrung, die die Erschlagenen im Augenblick des Todes allesamt erfasst hatte, würde ihren Schmerz, ihre Verblüffung, ihre Angst für ein, zwei Tage konservieren, bevor die Fäulnis ihnen nach und nach ihre Persönlichkeit raubte.

Gebückt schlich Isenhart über das Schlachtfeld. Mit dem Anblick eines jeden Toten erhöhte sich der Druck auf sein Herz. Wofür hatten sie alle sich aus dem Leben reißen lassen, aus dem einzigen, das tatsächlich gewiss war? Waren sie nicht alle dem einen Geschlecht entsprungen, Adam und Eva? Waren sie deswegen nicht folgerichtig allesamt Brüder und Schwestern? Und war es daher nicht von erschütternder Einfalt, sich gegenseitig totzuprügeln?

»Ich hab ihn zuerst gefunden!«, rief ein Mädchen, das einen Kupferring in der Hand hielt. Sie hatte ihn vom erstarrten Finger eines Gefallenen gezerrt. Die Gier in ihren Augen ließ die Ebenheit ihres Gesichts schroff erscheinen, jeglicher Liebreiz war dahin.

Ein Junge trat ihr zwischen die Beine und schlug ihr im Anschluss auf die Nase. Zwei-, dreimal, und als sie zu Boden stürzte, trat er ihr noch einmal gegen den Kopf und stahl ihr den Kupferring.

Das Mädchen weinte nicht, kein Schrei entwand sich ihrem Mund. Es rappelte sich nur auf und lief davon.

Isenhart hockte sich neben einen Leichnam und nahm ihm den Dolch ab. Auf seinem Rücken trug er nach wie vor Walthers Armbrust. Es erschien ihm fast wie ein Wunder, dass man sie ihm nicht vom leblosen Körper gestreift hatte. Vermutlich, dachte er, weil viele sie wegen ihrer nach vorne gerichteten Bogenspitzen für eine Fehlkonstruktion gehalten hatten.

Er erhob sich und schlug eine südwestliche Richtung ein. Obwohl es regnete, glitzerten ein paar Sterne schwach am Firmament. Und mithilfe Andrea Centurións und des Polarsterns bestimmte Isenhart die Richtung, die er zu nehmen hatte.

Nach einer halben Stunde stieß er auf den ersten Wachtposten, den Joseph von Vöhingen für die Nacht abgestellt hatte. Isenhart trug nun einen zweiten Dolch bei sich, den er aus dem Hals eines toten Maultiers gezogen hatte. Der Regen dämpfte seine Schritte und brachte das Laub in den Bäumen über ihm zum Prasseln. Unbemerkt passierte er den Wachmann und auch die zweite Linie von Posten, die in einer engeren Formation ihrer Aufgabe nachgingen und in die Nacht starrten.

Lachen drang an sein Ohr, voll und kehlig. Und durch die Äste und Sträucher schimmerte das Licht von Fackeln. Isenhart duckte sich und warf einen Blick zurück. Eine Viertelmeile, so schätzte er, weiter hatte er sich nicht vom Schlachtfeld entfernt.

Und genau von dort stolperte ihm eine Gestalt entgegen. Groß und hager. Die Gestalt stoppte und starrte ihn unschlüssig an. Isenhart gab seine geduckte Haltung auf und trat dem Mann entgegen, der noch gar kein richtiger war. Ein vielleicht vierzehnjähriger Junge mit nichts weiter als Lumpen am Leib. An den Füßen trug er zwei unterschiedliche Schuhe, wie Isenhart mit einem Seitenblick feststellte. Vermutlich hatte er sie den Toten von den kalten, starren Füßen geklaubt.

Der Junge verharrte immer noch, er war unsicher.

»Man nennt mich Richwin«, stellte Isenhart sich vor und trat näher. Der Junge trug zwei große Holzeimer, in denen Wasser schwappte.

»Ich heiße Thilmann«, erwiderte der Junge.

»Komm, reich mir einen Eimer, mein Wachdienst ist zu Ende«, sagte Isenhart und nahm Thilmann, ohne eine Antwort abzuwarten, einfach einen der beiden Eimer aus der Hand, der sich doch als schwerer erwies, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Zu schwer für seine verwundete Schulter.

Isenhart wechselte den Holzeimer auf die linke Seite und marschierte los – dem Lachen entgegen. Wie von Isenhart erhofft, beeilte Thilmann sich, um an seiner Seite ins Lager zu treten. Mit seinen entschlossenen Schritten hatte Isenhart jeden Zweifel an seiner Zugehörigkeit zu den Leuten Joseph von Vöhingens aus dem Weg geräumt.

Das Lager, das dieser hatte ausheben lassen, unterschied sich keinen Deut von dem, aus dem Isenhart aufgebrochen war. Alle fünfzig Fuß loderte ein Feuer und qualmte gegen den Regen oder brannte im Schutz von eilig improvisierten Dächern aus Holz und Moos.

Der Geruch von heißem Bret hing in der Luft. An die Stelle von Brei, Beeren, Kleie und Waldfrüchten trat das, was gewöhnlich den hohen Herren und den Festtagen vorbehalten blieb. Ziegen, Schweine und Rinder waren zwar kostbar, doch heute waren sie im Rausch des carpe diem, den einige Alphabeten nach Horaz beschworen, geschlachtet und gebraten worden. In einer Mischung aus Übermut und trunkener Freude, den Tag überlebt, dem Gemetzel mehr oder weniger unverletzt entgangen zu sein, und der allgegenwärtigen Erinnerung an die Vergänglichkeit, an die die Sterbenden und Siechenden gemahnten, nahmen sie das Vieh nicht mit nach Hause, was die Vernunft geboten hätte, sondern teilten es in der regnerischen Kälte der Nacht mit ihren Waffenbrüdern.

Die Furcht vor der unermesslichen Nichtigkeit ihres Seins riss sie zu dieser Verschwendung hin, die Angst des Bauches, dass das Paradies ein leeres Versprechen sein konnte, und seine Forderung, ihm hier und jetzt den Himmel zu bereiten, statt ihn in christlicher Tradition auf ein ungewisses vermutlich irgendwann zu vertrösten.

Nichts sah Isenhart, was er nicht auch im Lager von Erik von Owenbühl gesehen hätte. Geistliche verteilten die letzte Ölung, Mönche und Nonnen umhegten die Verletzten. Medici und Bader verödeten und nähten Wunden, entfernten Pfeil- und abgebrochene Schwertspitzen und amputierten großzügig.

Huren hatten sich unter die Unversehrten gemischt. Sie mussten sich ins Zeug legen, denn die erbeuteten Kinder, Mädchen wie Jungen, machten ihnen ebenso unfreiwillig wie kostenlos Konkurrenz. Links und rechts des Weges, den Isenhart und Thilmann nahmen, übten die Krieger Notzucht an denen, die sich nicht zu wehren vermochten, und alles Flehen, Bitten und Weinen half nichts.

Die Männer sprachen dem Met und Bier, dem Wein und dem Gebrannten zu. Der Alkohol und das Gefühl des Glücks, dieses Massaker unversehrt überstanden zu haben, lösten die Zungen. Sie tauschten ihre Erlebnisse aus, wobei jeder Hieb geschildert wurde; kein Augenblick blieb unerwähnt, und ein jeder war ein Held.

Thilmann stellte den Eimer neben einem Bader ab, der bereits einige Amputationen vorgenommen hatte und dem zwei Novizinnen mit aschfahlen Gesichtern assistierten.

Isenhart setzte seinen Eimer ebenfalls ab. »Ich leg mich schlafen«, ließ er Thilmann wissen. Dieser nickte. Isenhart wandte sich von ihm und dem Bader ab und hielt Ausschau.

Möglicherweise war Konrad nicht mehr unter ihnen. Vielleicht lag er unweit des Kirbachs und wurde wie alle anderen auch gefleddert. Und Sophia – Isenhart mochte gar nicht daran denken. Seine Schulter schmerzte. Seine linke Hand versicherte sich des Dolchknaufs, bevor er mit einer Geste eine Nonne stoppte: »Wo finde ich die Gefangenen?«

Die Nonne deutete hinter sich. »Seht Ihr die Trauerweide? Dahinten, am Rande des Lagers?«

»Ja.«

»Da hat man sie zusammengepfercht.« Sie wandte ihm wieder ihr Gesicht zu, in ihre Miene hatte sich Argwohn geschlichen: »Warum fragt Ihr?«

»Ich muss einen Wachtposten ablösen«, sagte Isenhart. Seine Lüge glättete die Züge der Braut Christi.

Zuerst ging er am Lager an der Trauerweide vorbei, um sich einen Überblick zu verschaffen. Rund vier Dutzend Gestalten suchten unter dem ausladenden Baum und seinem Blattwerk Schutz vor dem Regen. Isenhart konnte keine Alten ausmachen und nur eine Handvoll Kinder, die sich mit großen, ängstlichen Blicken im Schein der beiden Fackeln zusammenkauerten, in denen immer wieder Regentropfen zischend vergingen.

Leibeigene waren nur einträglich, wenn Kraft und Zähigkeit sie zu harter Feldarbeit befähigte. Alles andere war der Mühe und der Nahrung nicht wert, die man in ihr Überleben investieren musste. Deshalb fanden sich keine Alten und keine dürren Gestalten unter den Gefangenen. Dieser Auslese folgend, schloss Isenhart, hätte die Meute einen Walther von Ascisberg erschlagen, statt ihn mitzunehmen.

Hinter der Trauerweide schloss sich eine Felswand an, die das Areal der Gefangenen zu zwei Dritteln begrenzte, wie er im Vorbeigehen feststellte. Das restliche Drittel grenzte an einen steilen Abhang, an dessen Senke die Brabanzonen lagerten und unter anfeuerndem Gejohle zwei nackte Knaben mit ihren Piken traktierten und sich an deren entsetzten und gepeinigten Gesichtern ergötzten.

Der einzig mögliche Fluchtweg der Gefangenen führte daher exakt in das Lager, und dort hatte man zwei Wachmänner abgestellt. Isenhart trat den Rückweg an, gab vor, sich an einem Busch zu erleichtern, und warf einen Blick auf die zusammengewürfelte Gruppe unter dem Baum.

Er kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, rotes Haar im Schein der Fackeln schimmern zu sehen. Vergebens. Einige der Gefangenen hatten sich bereits zusammengerottet für die Nacht. So bildeten sie kleine, unförmige Haufen aus Armen, Beinen und Leibern. Bei Regen und Dunkelheit waren weder Konrad noch Sophia auszumachen.

Aber dort mussten sie sein, beschloss Isenhart, denn jeder anderen Mutmaßung wohnte ein Schrecken inne, den er nicht zu ertragen bereit war.

Die beiden Wachposten abzulenken, schätzte er als unmöglich ein. Einer ließ sich unter einem geeigneten Vorwand sicherlich weglocken. Und dann? Wie sollte er den zweiten Mann töten? Lautlos und ohne dass ihn jemand dabei beobachtete?

Unwillkürlich schüttelte Isenhart den Kopf. Selbst wenn ihm das gelang – und er war kein Krieger, das Töten nicht seine Profession –, würde er nicht unbemerkt bleiben.

Eine der beiden Wachen schaute in seine Richtung. Er bückte sich, sammelte etwas Reisig und ein paar halbwegs trockene Zweige ein und ging damit zu einem offenen Feuer, das auszugehen drohte. Das Reisig entflammte sich sofort, als er es in die Glut warf.

Isenhart stocherte mit den Zweigen im Feuer herum, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Mit einer Konfrontation war niemandem geholfen. Im Moment war er selbst die einzige Chance, die Sophia und Konrad besaßen. Sich überwältigen zu lassen, wäre auch ihnen gegenüber fahrlässig gewesen.

Er kam aus Toledo zurück als ein anderer, erinnerte er sich an die Worte Walthers über seinen Vater. Und als ein anderer erhob Isenhart sich jetzt vom Feuer. Er ging mit festen, zielstrebigen Schritten auf die beiden Wachleute zu und setzte eine entschlossene, leicht gereizte Miene auf, ganz so als störe ihn das Treiben um ihn herum bei wichtigen Gedanken und Entscheidungen, die zu fällen waren.

In dieser Pose erreichte er das Lager der Gefangenen. Die beiden Wachmänner sahen auf, die Griffe um ihre Lanzen wurden fest, aber Isenhart kümmerte sich nicht darum, er tat so, als sehe er die kleinen Gesten nicht, sondern stoppte erst so kurz vor ihnen, dass sie einen Schritt vor ihm zurückweichen mussten.

»Bringt mir Sophia und Konrad von Laurin. Mein Herr wünscht sie zu sehen.«

Die beiden stutzten.

»Es eilt. Joseph von Vöhingen ist ungehalten«, fügte er hinzu, um ihnen keine Zeit zum Denken zu geben. Der Mann zu seiner Linken machte kehrt und ging zwischen den Gefangenen umher: »Konrad von Laurin, ist hier ein Konrad von Laurin? Oder Sophia von Laurin?«

Isenhart hoffte inständig auf ein Zeichen, auf eine Hand, die sich hob, einen Blick wenigstens. Gleichzeitig beschäftigte er den zweiten Mann. Er wies ihn auf das Husten und Keuchen hin und ermahnte ihn, den Gefangenen ein Feuer einzurichten, da ihnen mit Kranken nicht gedient sei.

Dann endlich kam der andere Wachmann zurück, er schob zwei Gestalten vor sich her. Der einen fielen die roten Haare über die Schultern, und sie stützte die andere, die den Kopf merkwürdig gesenkt hielt und deren Füße sich nur tastend den Weg über den Boden bahnten.

»Konrad und Sophia von Laurin«, meldete ihm der Mann.

Dann traten sie in den Lichtschein der Fackel. Sophias Gesicht war von tiefen Schnitten verunstaltet. Jemand war ihr mit einer Klinge kreuz und quer durch das Gesicht gefahren, hatte die Wangen aufgeschlitzt und mit der Schneide in Nase, Brauen, Mund und Kinn Furchen bis hinunter zum Knochen getrieben.

Isenhart empfand Erschütterung, Ohnmacht und Schuld. Eine Schuld, die er niemals würde tilgen können, die wie ein Fluch für den Rest seines Lebens an ihm haften würde wie eine besonders hartnäckige Klette. Der Täter hatte genau gewusst, was er ihr antat. Wenn man sie bald nähen würde, würde Sophia zwar noch so etwas wie ein Gesicht behalten. Aber jeder Schnitt durch ihr Antlitz hatte tiefe Risse in ihre Seele getrieben. Die Gewissheit, unwiderruflich ihre Schönheit eingebüßt zu haben, vielleicht ihre Anmut, ganz gewiss aber ihr Selbstverständnis, darin bestand der eigentliche Schmerz. Der dauerhafte. Derjenige, den man nicht beseitigen konnte.

Jeder Blick ins Wasser würde Sophia daran erinnern und den Schmerz erneuern. Wie die Kinder, die sie entsetzt anstarren würden, gleichzeitig abgestoßen und fasziniert von dem zerfetzten Gesicht, von diesen Einzelteilen, die bemüht wären, ein Ganzes darzustellen. So, wie Konrad durch seine bloße Existenz ein Stachel im Fleisch des Abtes von Mulenbrunnen gewesen war, würde Sophia durch ihre Narben bis zum letzten Atemzug daran erinnert werden, dass sie einst eine schöne Frau gewesen war.

Ihr Blick war klar, sie sah Isenhart in die Augen. Tränen hatten ihre Spuren durch das verkrustete Blut gezogen, und Isenhart verstand nun auch, warum. Sie hatte nicht ihr eigenes Leid beklagt, sie hatte die Tränen um ihres Bruders willen vergossen.

Als dieser den Kopf hob, erkannte Isenhart die Brandblasen, deren Form und Aussehen ihm noch allzu gut aus jener Nacht in Erinnerung waren, in der Sigimund von Laurin mithilfe des glühenden Schürhakens die Wahrheit über das verschwundene Herz seiner Tochter Anna aus Alexander von Westheims Haut zu brennen versucht hatte.

Rund um die Augen, über dem Nasenrücken und der Stirn waren sie aus der verbrannten und blutigen Haut getreten, um wild wuchernde Trauben aus kleinen und großen Wölbungen zu bilden. Auf den verglühten Brauen, den Lidern und den Tränensäcken sprossen sie so reichhaltig, dass sie Konrad jede Möglichkeit des Sehens nahmen.

Aber Konrad von Laurin konnte ohnehin nichts mehr sehen. Man hatte ihn geblendet, begriff Isenhart, seine Augäpfel waren verdampft. Hinter den Schwellungen mussten sich zwei leere, wunde Höhlen verbergen.

Isenhart zweifelte keinen Augenblick, wer für die beiden Entstellungen verantwortlich war. Man hatte nicht beabsichtigt, Konrad oder Sophia zu strafen, nein, sie waren lediglich Mittel zum Zweck, zum Zweck, ihn zu strafen. Ihn daran zu erinnern, dass eine Verfolgung Hennings nicht ungesühnt blieb. Dass er, so klug er auch sein mochte, so überlegen er sich wähnen mochte, in Henning stets seinen Meister finden würde. Die Verstümmelungen, die seine Frau und sein Freund hatten erleiden müssen, waren eine Lektion.

»Seid ihr allein?«

Diese Frage riss Isenhart aus seinen Gedanken. Er nickte, zog seinen Dolch und durchtrennte damit die engen Hanffesseln, die man Konrad und Sophia um die Handgelenke gezurrt hatte.

Die beiden Wachleute schauten plötzlich auf. Ihre Blicke gingen an ihm vorbei. Auch Sophia hob die Augen.

»Es ist, wie Ihr vorhergesagt habt«, hörte Isenhart eine Stimme hinter sich, die ihm bekannt vorkam. Sie stammte nicht aus Heiligster oder Spira, ihre Herkunft lag weiter zurück in der Zeit. Er konnte sie ihrem Besitzer nicht sofort zuordnen und wandte sich um.

Nach all den Jahren erkannte Isenhart ihn trotzdem wieder, vor allem, weil ihm seine unbewegte Miene in Erinnerung geblieben war, als er von Sigimund von Laurin beleidigt worden war. Es handelte sich um Hannes von Lauffen, Kurier des Abts von Mulenbrunnen.

Dessen einstmals schwarzer Bart war mittlerweile grau geworden. Er hatte das Wort an einen Mann gerichtet, den er mit seinem Körper verdeckte. Nun trat er beiseite und gab den Blick frei auf Henning von der Braake.

Die Verblüffung, die folgte, ereilte sie alle. Niemand hatte mit der Schnelligkeit gerechnet, mit der Sophia ihrem Mann den Dolch entrissen und sich auf Henning gestürzt hatte. Deshalb gebot ihr niemand Einhalt, als sie den Mörder ihrer Schwester attackierte und ihm die blanke Klinge ins überraschte Gesicht stieß.