Am Bergpass

 

»Ich bringe Nachricht von Aar, dem Hohepriester«, behauptete Rorn. »Er hat einen Zauber gegen den Großmeister des Jadeordens gewirkt und will wissen, ob in der Ebene etwas Besonderes vor sich geht.«

»In der Tat!«, erklang es nach kurzem Zögern. »Die Feuer im Heerlager unseres Feindes sind erloschen! Sieh es dir mit eigenen Augen an!«

Rorn lächelte grimmig. Sein Plan war also aufgegangen. Ohne die Menschen in den Kokons konnte das Geschmeiß keine perfekten Ebenbilder formen, andernfalls hätte es keine Gefangenen gemacht, sondern jene, die es austauschen wollte, in einer tiefen Erdgrube verschwinden lassen.

Die Männer auf der Passhöhe regten sich nicht von der Stelle. Ihre Hände umklammerten weiterhin Vrelle und Schwerter, die Haltung ihrer Körper drückte pures Misstrauen aus. Natürlich hatten sie an Rorns Zungenschlag erkannt, dass er kein Iskander war, trotzdem ließen sie ihn auf Wurfweite herankommen, bevor sie weitere Fragen stellten. Zwei Gestalten auf drei Pferden boten keinen gefährlichen Anblick, jedenfalls nicht auf einem schmalen Bergpfad, auf dem sich die Tiere mühsam hinaufquälen mussten.

»Wer bist du?«, wollte der Sprecher der Männer wissen, deren Konturen sich nach und nach mit Gesichtern, Wämsern und Wehrgehängen füllten. »Und was ist mit deinen Gefährten passiert? «

»Ich bin ein Freund, der euren Kampf unterstützt!«, behauptete Rorn, denn jeder Huftritt, der ihn dem Passrücken näher brachte, erhöhte die Chance, den unausweichlichen Kampf zu überleben. »Wir wurden von feindlichen Kundschaftern überfallen, die sich in den Bitterfelsen herumtreiben. Darum erklingen auch überall Alarmsignale!«

»Die Alarmrufe sind auch bis zu uns gedrungen! Aber irgendetwas sagt mir, dass du derjenige bist, vor dem sie warnen sollen! « Der Sprecher hob seinen Vrell, die anderen Männer folgten seinem Beispiel.

Damit war der Tod der beiden Fremden beschlossene Sache.

Etwas Eiskaltes kroch Rorns Rücken empor.

Von einem Herzschlag auf den anderen setzte sein Verstand aus, und seine Reflexe übernahmen sein Handeln. Die Hand, die die Zügel der nachfolgenden Pferde führte, öffnete sich wie von allein, gleichzeitig rammte er der Stute, die er ritt, so heftig die Fersen in die Flanken, dass sie einen riesigen Satz nach vorn machte.

Grimmschnitter sprang wie von selbst aus der Scheide.

Die Stute glitt beinahe auf dem steilen Boden aus, hielt sich aber aufrecht und stolperte weiter. Tief über den Sattel gebeugt, schlug Rorn rücksichtslos die Breitseite seiner Klinge auf die Hinterhand des Tieres. Wiehernd verdoppelte es seine Anstrengungen und stürmte mit ungeahnter Geschwindigkeit auf die Passhöhe zu.

Wurfspieße zerschnitten die Luft, allesamt zu hoch gezielt. Knallend zersplitterten sie hinter den Pferden auf dem harten Fels. Verdammt! Wo war nur die Phaa, die ihm ihre Unterstützung zugesichert hatte?

Die nächsten Iskander nahmen sich mehr Zeit zum Zielen, und ein herabpfeifender Spieß riss das Leder zwischen Rorns Schulterblättern auf. Der nächste Werfer, der auf die perfekte Distanz gewartet hatte, kam nicht mehr dazu, den Vrell in seiner Rechten zu schleudern. Plötzlich flog ein Schatten über ihm durch die Luft. Der Oberarm des Mannes zuckte zwar noch nach vorn, doch er endete oberhalb des Ellenbogens. Entsetzt starrte der Wachposten auf den blutenden Stumpf, bis ihm auch der Kopf mit einem sauberen Streich von den Schultern getrennt wurde.

Noch ehe der verbliebene Torso mit einem dumpfen Laut zu Boden schlug, fiel der scheinbar aus dem Nichts erschienene Schatten über die anderen Krieger her.

Yako!

Die wendige Bergkriegerin schlug so schnell zu, dass die meisten ihrer Gegner den Tod gar nicht kommen sahen. Trotzdem trieb Rorn sein Pferd unbarmherzig weiter. Die erste Überraschung war vorüber, nun rissen die anderen Iskander ihre Schwerter hervor, die silbrig im Mondlicht funkelten, als sie brüllend auf die Phaa zustürzten. Kampfeslustig stellte sie sich den Feinden entgegen – und übersah dabei einen im Halbdunkel verborgenen Krieger, der seinen Vrell gegen sie richtete.

»Hahh! Hahh!« Rorn trieb die Stute nun nicht mehr nur mit Schlägen, sondern auch mit lauten Rufen an. Die Absicht, die er damit verfolgte, erfüllte sich, als der Iskander nervös über die Schulter blickte. Statt Yako von hinten niederzumachen, wirbelte er in Panik herum. Rorn hielt direkt auf ihn zu.

Um sich zu retten, fasste der Wachposten den kurzen Vrell wie eine Hellebarde und stieß die Spitze hektisch nach vorn.

Es war zu spät, um die Stute noch zur Seite zu lenken. Schaum flockte von ihrem Maul, als sie kreischend in die Höhe steilte. Der Spieß bohrte sich direkt in ihre Brust, und der Schaft zersplitterte unter der Gewalt des Aufpralls, der den Iskander zurückschleuderte. Ehe er sich wieder aufrappeln konnte, war Rorn aus dem Sattel und machte dem Kerl ein Ende.

Blut verdampfte zischend auf Grimmschnitters flammender Klinge, während er an die Seite der Phaa eilte, um sie im Kampf gegen die verbliebenen Gegner zu unterstützen. Das anschließende Scharmützel war kurz, aber heftig. Keiner der Iskander war bereit, die Waffen zu strecken, und so sanken sie einer nach dem anderen tot zu Boden.

Die Passhöhe war längst schlüpfrig von ihrem Blut, trotzdem eilten Rorn und Yako so schnell wie möglich herab, um Mea und die beiden verbliebenen Pferde nachzuholen. Der Stute aber, die Rorn geritten hatte, konnte er bloß noch den Gnadenstoß gewähren.

Danach trat eine unheimliche Stille ein. Während Rorn nach Atem schöpfte, vernahm er den Klang eines Hufeisens, das gegen Stein klirrte. Als er genauer in den unter ihnen abfallenden Hohlweg lauschte, war auch das Knarren von Sattelleder zu hören.

Angelockt vom Kampflärm, nahten die ersten Verfolger. Rorn und seine Gefährten mussten rasch weiter, doch die Wächter der Passhöhe waren unberitten gewesen, und so fehlte ihnen ein Pferd für die Flucht.

»Ich steige hinter Mea auf«, bot Yako an. »Ihr Zossen wird schon zwei Leichtgewichte wie uns tragen.«

»Nein!« Rorn schüttelte entschieden den Kopf. »Draußen in der Ebene sind wir einer Übermacht hilflos ausgeliefert, dort kann uns nur ein Vorsprung retten. Flieh du mit Mea, während ich die Iskander so lange wie möglich aufhalte!«

»Ach was, wir werden es schon schaffen. Mit meinem Kriegsgeschrei …«

»… ist es nicht mehr weit her«, unterbrach er Yako grob. »Ich höre genau, dass deiner Stimme inzwischen die Kraft fehlt. Behaupte nicht, ich läge falsch, denn wenn es so wäre, hättest du deine Schreie eben im Kampf eingesetzt.«

Die Augen der Phaa weiteten sich erschrocken darüber, dass er ihre Schwäche so leicht erkannt hatte. Rorn lag mit allem, was er sagte, richtig. »Du willst dich für uns opfern?«, hauchte sie.

»Unsinn!«, wiegelte er wider besseren Wissens ab. »Sobald ihr weit genug entfernt seid, setze ich mich ab und verstecke mich in den umliegenden Felsen. In dieser zerklüfteten Umgebung kann sich ein einzelner Mann mühelos vor einer ganzen Streitmacht verbergen. Wenn sich herumgesprochen hat, dass Aar tot ist, löst sich das Heer der Iskander ohnehin auf, da bin ich mir ganz sicher. «

Der Phaa gefiel sein Vorschlag nicht, das war ihr deutlich anzusehen. »Dann bleibe ich statt deiner hier«, krächzte sie entschlossen. »Ich komme in den Bergen besser zurecht als jeder andere. Ich habe eine Chance zu überleben, du nicht!«

Rorn war anderer Meinung. »Du hast wohl vergessen, dass mich Dagomars Schergen gefangen nehmen und foltern sollen. Außerdem bist du Meas Leibwächterin. Erfülle also gefälligst deine Pflicht und bring deine Herrin in Sicherheit, statt wertvolle Zeit mit Streiten zu vergeuden!«

Seine verletzenden Worte erreichten ihr Ziel. Yakos Miene wirkte plötzlich wie aus Stein gemeißelt. »Gut«, knurrte sie heiser. »Wenn du unbedingt willst, soll es so geschehen.«

Damit sprang sie in den freien Sattel, nahm die Zügel von Meas Stute auf und ritt mit ihr davon, ohne sich noch einmal umzuwenden. Rorn sah ihr ohne Reue nach. Den Stolz der Phaa anzugreifen war die einzige Möglichkeit gewesen, sie zum Weiterreiten zu bewegen.

Während sie und Mea über die Passhöhe verschwanden, häufte Rorn die Leichen der erschlagenen Iskander neben dem Pferdekadaver zu einer brusthohen Barriere auf, die ihn vor geschleuderten Vrellen schützen sollte. Zufrieden sah er den ersten Kriegern entgegen, die unten auf dem Pfad auftauchten. Er würde ihnen einen Empfang bereiten, von dem an den Feuern der Iskander noch lange zu hören sein würde.

Bannkrieger
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