Unter der Knute

 

Mit einem angriffslustigen Pfeifen zischte der Lederstrang abermals heran. In Erwartung des gleich einsetzenden Schmerzes spannte Bento alle Muskeln an, aber das nutzte nicht viel; als die Peitsche seinen Rücken traf, schien es ihm trotzdem, als bohrten sich Tausende von glühenden Nadeln tief in sein Fleisch.

Der Dorfschulze war keiner dieser unbezwingbaren Helden, von denen man sich gern an langen Winterabenden erzählte. Anstatt die Zähne zusammenzubeißen, schrie er seine Qual laut hinaus. Die damit verbundene Hoffnung, dass man ihn deshalb für einen Schwächling halten würde, der Schonung bedurfte, erfüllte sich leider nicht.

Auch die letzten der angekündigten zehn Hiebe prasselten auf ihn ein.

Jedes Mal, wenn das weiche Leder knallend auf ihm landete, hinterließ es einen langen Riss im Hemd und einen tiefroten Striemen auf der Haut. Die ersten Schläge waren noch erträglich gewesen, doch je länger die unmenschliche Prozedur andauerte, desto mehr schmerzte der Rücken, als hätten ihn seine Peiniger mit flüssigem Blei übergossen.

»Acht … neun … zehn!«, zählte Kraal, der Unhold, dem er sein Unglück zu verdanken hatte, jeden Schlag laut mit.

Bento verstand immer noch nicht, warum ihn der Feldweibel in dem scharlachroten Waffenrock nicht glaubte, aber er war längst über den Punkt hinaus, an dem er sich noch um irgendetwas Gedanken machte. Er wollte einfach nur noch, dass das scharfe Brennen, das ihn vom Nacken bis zu den Oberschenkeln überzog, wieder aufhörte.

Als die Peitsche zum letzten Mal durch die Luft zischte, schwanden ihm endgültig die Sinne. Wären seine Hände nicht über dem Kopf gefesselt gewesen, wäre er zweifellos zu Boden gesackt. Sein schweißüberströmtes Gesicht drückte gegen den rauen Stamm der Dorfeiche, über deren tiefsten Ast das Seil führte, an dem ihn die Gardisten in die Höhe gezogen hatten. Am liebsten hätte sich Bento der Ohnmacht hingegeben. Aber er befürchtete, dass es ihm wie Gryff ergehen würde, sobald er jeden Nutzen für den Unteroffizier verlor.

Um sie herum schluchzten die Weiber – und auch viele Männer – des Dorfes, als wären sie es, die gerade gefoltert würden. Trotzdem wagte keiner von ihnen, gegen das knappe Dutzend berittener Gardisten aufzubegehren, das zur Mittagszeit in Dornhain eingeritten war. Bento schämte sich immer noch dafür, dass sie zuerst alle geglaubt hatten, sie würden Hilfe aus Fagon erhalten. Der blanke Stahl, mit dem sie in der Dorfmitte zusammengetrieben worden waren, hatte sie rasch eines Besseren belehrt.

»Nun, Dorfschulze, kannst du dich vielleicht jetzt erinnern, wo ihr eure Getreidevorräte versteckt habt?«, fragte ihn Feldweibel Kraal wohl schon zum dutzendsten Mal.

Bento versuchte tatsächlich zu antworten, brachte aber nur ein paar tonlose Lippenbewegungen zustande. Als er den Kopf drehte, sah er, dass der Unteroffizier mit provozierend langsamen Schritten auf ihn zukam. Das Lächeln des schlanken, kaum dreißig Sommer zählenden Mannes wirkte seltsam falsch, vermutlich, weil es spöttisch aussehen sollte, aber einfach nur herzlos und gemein war. Bei Bento angelangt, zog der Gardist seine hinter den Leibgurt geklemmten Daumen hervor und verkrallte die Rechte blitzschnell in der weichen Stelle unter dem Kinn des Schulzen.

»Was ist?«, fragte Kraal. »Muss ich deinem Gedächtnis etwa noch mehr auf die Sprünge helfen?« Dabei drückte er Bentos Gesicht so weit in die Höhe, dass er zwangsweise auf einen lang gestreckten Schatten neben der Eiche blicken musste. Genau dorthin, wo Gryff inmitten einer Lache seines eigenen Blutes lag, die sich weiterhin unter ihm ausbreitete.

Gryff.

Dummer tapferer Gryff.

Was hatte er schon getan, außer die Wahrheit zu sagen? Weinend schloss Bento die Augen, denn er konnte den Anblick des Toten nicht mehr ertragen.

»Sieh hin«, forderte Kraal, »oder ich schneide dir höchstpersönlich die Augenlider ab!«

Die Drohung wirkte, und der Schulze tat wie ihm geheißen.

»Brav!«, lobte sein Peiniger. »Und jetzt sag mir endlich, wo eure geheimen Bestände sind.«

Die Hand unter seinem Kinn verschwand, trotzdem brauchte Bento mehrere Versuche, bis ihm seine Stimmbänder wieder gehorchten. »Es gibt keine Vorräte mehr«, krächzte er, obwohl es ganz ähnliche Worte waren, die Gryff den Tod gebracht hatten. »Wir haben alles verloren.«

Der erwartete Tobsuchtsanfall blieb aus. Statt herumzubrüllen, übte sich Kraal lieber in einer schneidenden Freundlichkeit, die mindestens ebenso furchteinflößend war.

»Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage immer noch nicht bewusst«, erklärte er kalt lächelnd. »Gut, dann lass es mich noch ein letztes Mal erklären.« Kraal hob die Stimme an, damit ihn alle Dorfbewohner verstehen konnten, gleichzeitig fuhr er mit dem rechten Zeigefinger über das Geflecht der blutigen Striemen, das sich unter Bentos zerfetztem Leinenhemd abzeichnete. »Iskandische Streitkräfte sind an der Grenze zu Baros aufmarschiert und fallen auf breiter Front in unser Land ein«, rief er den Umstehenden zu, während Bento vor Schmerzen zusammenzuckte. »König Dagomar hat deshalb befohlen, frische Truppen zur Landesverteidigung auszuheben und die Verproviantierung derselben sicherzustellen. Überall im Land kommen die Menschen dieser Anordnung nach. Die waffenfähigen Männer melden sich scharenweise zur Verteidigung des Landes, und jeder gibt bereitwillig, was seine Vorratskammer zu bieten hat. Nur hier, in Dornhain, scheinen alle zu glauben, dass der Schutzbann der Jademeister eine von den Göttern gegebene Selbstverständlichkeit ist.«

Eine ähnliche Rede hatte Kraal gleich nach seinem Eintreffen gehalten. Gryff hatte daraufhin höhnisch aufgelacht und gerufen: »Welcher Schutzbann? Siehst du nicht, was uns widerfahren ist? Uns wurde alles genommen, was wir besaßen! Selbst über den Vorratsspeicher sind die elenden Plagegeister hergefallen!«

Der Alte hatte nur ausgesprochen, was alle dachten – und dafür einen hohen Preis bezahlt. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte ihn der Feldweibel mit dem Schwert niedergestreckt. Aus diesem Grund wagte nun auch niemand einen Ton zu sagen, so lächerlich seine neuerliche Ansprache auch war. Keiner verspürte Lust, Gryffs Schicksal zu teilen.

»Was ist?«, rief Kraal. »Wollt ihr euch endlich eurer Pflichten gegenüber dem König und seiner Priesterschaft besinnen? Oder müssen meine Schergen erst richtig ungemütlich werden?«

Ängstliches Schweigen erfüllte den Platz, bis Bento mit zitternder Stimme das Wort ergriff. »Wir ziehen gern alle gegen Baros in den Kampf«, versuchte er das Wohlwollen der Gardisten zu gewinnen, bevor er hinzufügte: »Für uns gibt es hier ohnehin nichts mehr, was uns hält. Vor allem keine Vorräte.«

Davon ließ sich Kraal nicht erweichen.

»Zehn weitere Peitschenhiebe!«, lautete seine an alle gerichtete Antwort.

Ein vielfaches Aufstöhnen erklang. Diesmal hörte Bento sogar sein Weib und seine beiden Töchter aus dem Chor der Mitleidigen heraus. Nur sich für ihn einzusetzen wagte keiner aus dem Dorf.

Dafür kam unerwartet Hilfe von ganz anderer Seite.

»Seid Ihr sicher, Feldweibel?«, fragte der Gardist, der die Peitsche schwang, ein Veteran mit narbiger Haut und bereits grau durchwirktem Haar, der gut und gern der Vater des Unteroffiziers hätte sein können. »Zehn weitere könnten ihn umbringen. «

»Nicht, wenn er sich rechtzeitig entschließt, die Wahrheit zu sagen.«

Kraals Antwort erschreckte die Menschen, selbst seine eigenen Leute. Im Gegensatz zu ihm zweifelte sonst keiner an den Beteuerungen des Dorfschulzen. Doch der Gehorsam, den ihm die Untergebenen schuldeten, verhinderte große Widerworte. Schließlich diente die Peitsche, die der Narbige schwang, sonst vor allem ihrer Disziplinierung. Auch der Dienstälteste, der sich mehr als die übrigen Gardisten herauszunehmen getraute, ordnete sich wieder unter. Gehorsam rollte er die bereits zusammengelegte Peitsche wieder aus.

»Es ist nur so«, erklärte er dabei, in einem um Entschuldigung heischenden Tonfall, »dass ich bisher nie erlebt habe, dass ein Bauer nach zehn Schlägen noch log.«

»Und das macht dieser Schulze auch nicht!«, schrie da Bentos Weib, obwohl er ihr doch eindringlich geheißen hatte, mit keinem Ton auf sich aufmerksam zu machen, ganz egal, was auch geschehen mochte. »Es gibt keine versteckten Vorräte! Das geflügelte Geschmeiß hat uns alles genommen, genau so, wie mein Mann es euch gesagt hat!«

Bento stöhnte innerlich auf über ihre Unvernunft.

Es war doch längst offensichtlich, dass ihnen dieser elende Feldweibel einfach nicht glauben wollte. Wieso machte sich sein Weib selbst zur Zielscheibe für dessen Spielchen?

Kraals Mundwinkel zuckten umgehend in die Höhe. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen hob er die rechte Hand, um dem Peitschenschwinger Einhalt zu gebieten.

»Vielleicht hattest du recht«, sagte er zu ihm, nur scheinbar milde gestimmt. »Vielleicht stirbt dieser Halunke hier wirklich lieber, anstatt zu reden. Deshalb sollten wir besser jemanden peinigen, der ihm nahesteht.« In einer anklagenden Geste deutete er auf Bentos Weib, das sich plötzlich Halt suchend an ihre beiden Töchter klammerte. »Zündet das nächstbeste Haus an und stoßt diese drei dort hinein. Vielleicht wird das die Zunge des Schulzen lösen.«

Trotz seiner Erschöpfung zerrte Bento verzweifelt an seinen Fesseln, erreichte damit aber nur, dass die Stricke noch tiefer in seine Handknöchel schnitten. So blieb ihm nur noch eins, was er tun konnte, um seine Liebsten vor dem Schlimmsten zu bewahren.

»Lauft!«, schrie er ihnen aus Leibeskräften zu. »Lauft um euer Leben!«

Bannkrieger
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