EIN ZOO IM VORORT
Die Leute aus unserer Villenstraße in Bournemouth konnten stolz auf ihre Gärten hinter dem Haus sein, denn jeder glich dem seines Nachbarn. Kleine Unterschiede gab es natürlich. Die einen zogen die Stiefmütterchen den Wicken vor oder die Hyazinthen den Lupinen, im Grunde jedoch waren alle Gärten gleich. Wenn man aber den meiner Schwester ansah, mußte man zugeben, daß er etwas — sagen wir — ungewöhnlich war. In einer Ecke stand ein großes Zelt, aus dessen Innern drang ein seltsamer Chor von Quietschen, Pfeifen, Grunzen und Brummen; an den Seiten Dexion-Käfige, aus denen Adler, Geier, Eulen und Falken glotzten. Daneben hatte Minnie, die Schimpansin, ihren großen Käfig. Auf dem, was einmal ein Rasen war, tollten an langen Leinen vierzehn Affen herum. In der Garage quakten Frösche, riefen mit heiseren Schreien Touracos und Eichhörnchen knabberten geräuschvoll an Haselnußschalen. Zu jeder Tagesstunde standen neugierige und entsetzte Nachbarn hinter den Gardinen und beobachteten, wie meine Schwester, meine Mutter, Sophie, Jacquie oder ich in diesem Schlachtfeld von Garten mit kleinen Töpfen voll Brot und Milch, Tellern mit zermustem Obst oder — was am schlimmsten schien — mit großen Stücken blutigen Fleisches oder toten Ratten hin und her liefen. Wir hatten den Eindruck, daß die Nachbarn in uns unlautere Konkurrenten sahen. Hätten wir einen krähenden jungen Hahn, einen bellenden Hund oder eine Katze gehabt, die in ihrem schönsten Blumenbeet Junge geworfen hätte, wären sie damit fertig geworden. Die Tatsache jedoch, daß sich plötzlich ein umfangreicher Zoo in ihrer Mitte befand, war so ohne jeden Vergleich und so aufregend, daß es ihnen den Atem verschlug und einige Zeit dauerte, bis sie sich zu einem Protest zusammenschlossen.
Unterdessen hatte ich mich auf die Suche nach einem Zoo für meine Tiere gemacht. Die einfachste Sache der Welt schien mir zu sein, zu den örtlichen Behörden zu gehen, ihnen mitzuteilen, daß ich die Besetzung für einen schönen kleinen Zoo hätte und sie nichts weiter zu tun brauchten, als mich ein passendes Gelände mieten oder kaufen zu lassen. Da ich die Tiere vorweisen konnte, meinte ich in meiner Dummheit, die Behörden würden sich freuen, mir helfen zu können. Ohne daß es sie etwas kosten würde, könnten sie der Stadt eine weitere Sehenswürdigkeit hinzufügen. Die Stadtgewaltigen jedoch waren anderer Meinung. Bournemouth ist nichts mehr als konservativ. Seitdem der Ort Stadt geworden war, hatte es dort keinen Zoo gegeben. Aus welchem Grunde also sollte jetzt einer dorthin kommen? Wahrscheinlich nennen das die Stadtväter fortschrittlich. Erstens, sagten sie, wären die Tiere gefährlich, zweitens röchen sie und drittens meinten sie nach angestrengtem Nachdenken, sie hätten kein Gelände für einen Zoo.
Langsam fing ich an zu kochen. Ich bin nie gut in Form, wenn ich den Kampf mit den pompösen Ungereimtheiten der öffentlichen Meinung aufnehmen muß. Doch dieser vollständige Mangel an Verständnis brachte mich immer mehr auf. Die Tiere saßen im Garten meiner Schwester, fraßen Unmengen und kosteten mich ein Vermögen an Fleisch und Obst. Die Nachbarn, die böse geworden waren, weil wir nicht in das übliche Schema paßten, bombardierten die Gesundheitsbehörde mit Klagen, und der arme Inspektor mußte zweimal die Woche zu uns herauskommen, ob er wollte oder nicht. Die Tatsache, daß er nicht das geringste fand, was die Klagen der Nachbarn gerechtfertigt hätte, half ihm nichts. Ging eine Klage ein, mußte er inspizieren. Der bedauernswerte Mann bekam jedes Mal eine Tasse Tee. Er freundete sich mit einigen Tieren an und brachte sogar seine kleine Tochter mit. Am meisten beunruhigte mich, daß der "Winter vor der Tür stand und die Tiere unmöglich in einem ungeheizten Zelt bleiben konnten. Da hatte Jacquie einen ausgezeichneten Einfall.
»Sollten wir die Tiere nicht einem der großen Warenhäuser für eine Weihnachtsausstellung anbieten?« schlug sie vor.
Ich telefonierte also der Reihe nach mit allen Warenhäusern der Stadt. Sie waren reizend, konnten aber nicht helfen. Sie hatten einfach keinen Platz, so lieb ihnen eine solche Ausstellung gewesen wäre. Dann telefonierte ich mit dem letzten auf meiner Liste, der Firma J. J. Allen. Zu meiner Freude zeigte sie große Begeisterung und bat mich, hinzukommen, um die Sache zu besprechen. So entstand »Durrells Menagerie«.
Ein großer Teil des Erdgeschosses wurde freigemacht, geräumige Käfige aufgestellt mit geschmackvollen Wandmalereien, die tropischen Wald darstellten, und dann brachten wir die Tiere aus der Kälte und Feuchtigkeit in strahlendes elektrisches Licht und eine gleichbleibende Temperatur. Das Eintrittsgeld deckte gerade die Kosten für das Futter, und zehrten nicht länger an meinem Kapital. Von dieser Sorge befreit, konnte ich jetzt von neuem auf die Suche nach einem Zoo gehen. Es wäre ermüdend, alle Enttäuschungen dieser Zeit einzeln aufzuzählen oder eine Liste der Bürgermeister, Stadträte, Parkverwaltungen und Gesundheitsämter aufzustellen, mit denen ich verhandelte. Es mag genügen, wenn ich sage, daß mir manchmal der Kragen platzte bei dem Versuch, anscheinend intelligente Leute davon zu überzeugen, daß ein Zoo in erster Linie eine Attraktion bedeutet. Die Art und Weise, wie man reagierte, war so, als wolle ich eine Atombombe werfen.
Inzwischen unternahmen die Tiere, die nicht ahnten, wie sehr ihr Schicksal auf des Messers Schneide stand, alles mögliche, um unser Leben abwechslungsreich zu gestalten. Eines Tages zum Beispiel meinte Georgina, die Paviandame, es lohne sich, mehr von Bournemouth zu sehen als das Erdgeschoß der Firma J. J. Allen. Zum Glück kam sie an einem Sonntagmorgen, an dem niemand im Geschäft war, auf die Idee. Ich wage kaum, mir vorzustellen, was sonst passiert wäre.
Ich trank gerade meinen Tee und wollte anschließend zu J. J. Allen gehen, um die Tiere zu säubern und zu füttern. Da klingelte das Telefon. Ahnungslos nahm ich den Hörer ab. »Spricht dort Mr. Durrell?« fragte eine tiefe, traurige Stimme.
»Am Apparat.«
»Hier ist die Polizei, Sir. Einer Ihrer Affen ist ’raus. Ich wollte Ihnen das lieber mitteilen.«
»Du meine Güte! Welcher ist es denn?« fragte ich.
»Das weiß ich leider nicht, Sir. Es ist ein großer brauner. Er sieht ziemlich böse aus, Sir. Darum wollte ich Sie lieber benachrichtigen.«
»Ja, danke. Wo ist er?«
»Im Augenblick in einem der Schaufenster. Ich glaube aber nicht, daß er dort lange bleiben wird. Beißt er, Sir?«
»Das ist schon möglich. Gehen Sie nicht zu nahe heran. Ich komme sofort.«
Ich knallte den Hörer auf. Keinesfalls wollte ich einen blutüberströmten Polizisten vorfinden. Ich schnappte mir ein Taxi und raste ins Stadtzentrum, ohne auf Geschwindigkeitsbegrenzungen zu achten. Wir handelten ja schließlich im Sinne der Polizei.
Als ich das Taxi bezahlt hatte, stach mir zuerst das Chaos in einem der Schaufenster in die Augen. Das Fenster zeigte sorgfältig angeordnet eine Schlafzimmereinrichtung. Neben dem großaufgeschlagenen Bett stand eine hohe Nachttischlampe; mehrere Daunendecken waren geschmackvoll über den Boden verteilt. So hatte es wenigstens der Dekorateur eingerichtet. Jetzt sah es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Die Lampe war umgefallen und hatte ein großes Loch in eine Steppdecke gebrannt; die Bezüge waren abgezogen, Kopfkissen und Laken mit großen schwarzen Fußspuren verziert. Auf dem Bett saß Georgina, hüpfte vergnügt darauf herum und schnitt einer aufgeregten Menge von Kirchgängern, die sich vor dem Fenster angesammelt hatten, Grimassen. Ich ging hinein und fand zwei riesige Polizisten hinter einer Barrikade im Anschlag.
»Ah, Sir, da sind Sie ja«, sagte der eine erleichtert.
»Wir wollten nicht versuchen, ihn zu fangen, weil er uns nicht kennt; und wir dachten, wir würden es vielleicht noch schlimmer machen.«
»Ich glaube, schlimmer kann es gar nicht sein«, sagte ich niedergeschlagen. »An und für sich ist sie harmlos, sie macht nur gern Spektakel und sieht böse aus... aber das scheint wirklich nur so.«
»Wirklich?« meinte einer der Polizisten höflich, aber wenig überzeugt.
»Ich will versuchen, sie im Fenster zu fangen. Wenn sie mir aber durchgeht, bitte helfen Sie mir. Lassen Sie sie um Himmels willen nicht in die Porzellanabteilung entwischen.«
»Da ist sie schon gewesen«, sagte einer der Polizisten schwermütig.
»Hat sie was kaputtgemacht?« fragte ich vorsichtig.
»Nein, Sir, zum Glück nicht, sie ist nur gerade hindurchgaloppiert. Bill und ich haben sie gejagt, darum blieb sie nicht stehen.«
»Nun, lassen wir sie nicht zum zweitenmal dahin, es könnte weniger glimpflich abgehen.«
Inzwischen waren Jacquie und meine Schwester Margo in einem anderen Taxi angekommen. Damit verstärkte sich unsere Streitmacht auf fünf Mann. Ich meinte, wir sollten eigentlich mit Georgina fertigwerden. Die zwei Polizisten, meine Frau und meine Schwester postierte ich an geeigneten Positionen beim Eingang zur Porzellanabteilung. Ich ging zum Schaufenster, in dem Georgina noch immer auf dem Bett herumsprang und dem Publikum Fratzen schnitt. »Georgina!« meine Stimme war ruhig und sanft. »Komm, komm her zu Papa!«
Überrascht sah Georgina über ihre Schulter. Sie studierte mein Gesicht, als ich auf sie zuging, und fand, daß es meine honigsüße Stimme Lügen strafe. Sie raffte sich auf, sprang durch die Luft über die noch schwelende Daunendecke und griff nach dem großen Wall aus Frottiertüchern, der den Abschluß der Schaufensterauslage bildete. Zu schwach für das Gewicht des großen turnenden Pavians, kippte diese Wand um. Georgina fiel zu Boden, begraben von einer Kaskade prächtig-bunter Handtücher. Sie kämpfte verzweifelt, um sich zu befreien und war gerade soweit, als ich mich auf sie warf, um sie zu ergreifen. Mit einem hysterischen Aufheulen floh sie aus dem Fenster ins Innere des Ladens. Ich wickelte mich nun meinerseits aus den Handtüchern und folgte ihr. Ein durchdringender Schrei meiner Schwester unterrichtete mich über Georginas Aufenthaltsort. Meine Schwester neigt dazu, bei Gefahr wie eine Sirene loszuheulen.
Georgina war hinter ihr vorbeigeschlüpft. Jetzt hockte sie mit flackernden Augen auf einem Ladentisch und freute sich an dem Spiel. Geschlossen näherten wir uns ihr mit bösen Blicken. Über dem Ende des Ladentisches hing an der Decke eine Weihnachtsdekoration aus Stechpalmen, Rauschgold und Pappsternen. Es sah ungefähr wie ein Lüster aus und schien für Georgina der ideale Gegenstand zum Schaukeln. Siç balancierte zum Ende des Ladentisches, und als wir vorschossen, sprang sie hoch und ergriff die Dekoration, die dem nicht gewachsen war; Georgina purzelte herunter, sprang auf die Füße und rannte mit einem Stechpalmenzweig über dem Ohr davon.
Die nächste halbe Stunde tobten wir im Warenhaus herum, Georgina immer zum Greifen nahe vor uns. In der Schreibwarenabteilung warf sie einen Stapel Kontobücher um, blieb stehen, um auszuprobieren, ob ein Haufen Spitzendecken eßbar sei und machte einen großen, eindrucksvollen See am Fuß der Haupttreppe. Als den Polizisten die Luft ausging und ich verzweifeln wollte, ob wir das vermaledeite Tier je fangen würden, machte sie einen Fehler. Sie lief leichtfüßig vor uns her und kam zu einem anscheinend idealen Versteck, einer langen Reihe Linoleumrollen, die nebeneinanderstanden. Sie sprang dazwischen und war verloren, denn die Rollen bildeten eine Sackgasse, eine von drei Seiten geschlossene Falle, aus der es kein Entkommen gab. Rasch holten wir auf und blockierten den Eingang der Linoleumfalle. Wütend näherte ich mich Georgina. Sie saß wild schreiend da und bat um Gnade. Als ich vorsprang, um sie zu greifen, duckte sie sich, ich drehte mich um und wollte sie packen, dabei stieß ich an eine der schweren Rollen. Ich konnte es nicht verhindern, daß sie wie ein gigantischer Baumstamm nach vorn kippte und einem Polizisten auf den Helm fiel. Als der arme Mann taumelte und Georgina mich ansah, wußte sie, daß sie Polizeischutz brauchte. Sie stürzte auf den schwankenden Polizisten zu und umschlang seine Beine. Sie sah über ihre Schulter zu mir hin und schrie. Ich sprang vor, ergriff ihre behaarten Beine und die Hautfalten am Genick. So zog ich sie, ohne mich von ihren durchdringenden Schreien stören zu lassen, von den Beinen des Polizisten weg. »Verflucht«, sagte er erleichtert, »ich dachte, mein Stündlein hätte geschlagen.«
»Sie hätte nicht gebissen. Sie meinte, Sie könnten sie vor mir beschützen.« Ich versuchte, mich gegen Georginas Schreien durchzusetzen.
»Verflucht«, sagte der Polizist noch einmal. »Gut, das hätten wir überstanden.«
Wir beförderten Georgina wieder in ihren Käfig, dankten den Polizisten, beseitigten die Unordnung, säuberten und fütterten die Tiere und kehrten dann zu einer wohlverdienten Ruhe nach Hause zurück. Für den Rest des Tages fuhr ich bei jedem Telefonanruf hoch.
Auch Cholmondeley St. John tat alles, um uns in Atem zu halten. Zunächst einmal richtete er sich im Hause ein und beherrschte bald meine Mutter und Schwester. Dann bekam er einen bösen Husten, der sich zu einer Bronchitis auswuchs und auch, als er sie überstanden hatte, blieb er noch heiser. Darum sollte er wenigstens für den Winter Kleider bekommen. Da er mit uns im Hause lebte, trug er schon Hosen aus Kunststoff und Papierlätzchen und war an Kleider gewöhnt. Als ich verkündet hatte, Chum solle Kleider bekommen, machte sich meine Mutter begeistert an die Arbeit. Ihre Stricknadeln klapperten unablässig, und in Rekordzeit hatte sie für den Affen eine Aussteuer an wollenen Höschen und Pullovern in den leuchtendsten Farben und den ausgefallensten Shetland-Mustern fertig. Von jetzt ab lungerte Cholmondeley St. John auf der Fensterbank des Wohnzimmers herum, jeden Tag in einer anderen Garnitur, aß unbeteiligt einen Apfel und ignorierte die Gruppe neugieriger Kinder vollkommen, die über den vorderen Zaun hingen und ihn neugierig betrachteten.
Die Haltung der Menschen Cholmondeley gegenüber war für mich äußerst aufschlußreich. Kinder zum Beispiel hielten ihn für nichts anderes als für ein Tier mit einer erstaunlichen Ähnlichkeit zum Menschen, das außerdem die Gabe besaß, sie zum Lachen zu bringen. Die Erwachsenen dachten leider viel weniger intelligent. Mehr als einmal fragten mich die Leute, die nicht einmal dumm waren, ob er sprechen könne. Meine Antwort lautete immer, daß Schimpansen selbstverständlich eine Art Sprache unter sich haben. Das meinten die Fragesteller jedoch nicht; sie wollten wissen, ob er wie ein Mensch spräche, ob er die politische Lage, den Kalten Krieg oder ähnliche aktuelle Probleme diskutieren könne.
Die erstaunlichste Frage, die mir über Cholmondeley vorgelegt wurde, war die einer mittelalterlichen Dame auf dem Golfplatz von Bournemouth. Bei gutem Wetter nahm ich Chum mit dorthin und ließ ihn in den Tannen herumturnen, während ich auf dem Rasen saß und las oder schrieb. An diesem Tage hatte Cholmondeley eine halbe Stunde lang im Geäst gespielt, dann war es ihm zu langweilig geworden, er kam herunter, setzte sich auf meinen Schoß und versuchte, mich zu veranlassen, ihn zu kraulen. Gerade in diesem Augenblick kam die Dame vorbei. Sie sah Cholmondeley und mich, blieb stehen und betrachtete uns; jedoch nicht mit dem üblichen Erstaunen der Leute, wenn sie einen Schimpansen in einem bunten Shetland-Pullover auf einem Golfplatz sehen. Sie trat näher und fixierte den auf meinem Schoß sitzenden Cholmondeley St. John. Dann heftete sie ihren durchbohrenden Blick auf mich.
»Haben Affen Seelen?« fragte sie.
»Das weiß ich nicht, gnädige Frau. Ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ich eine habe, so können Sie kaum von mir erwarten, mich für einen Schimpansen zu verbürgen.«
»Hm.« Mehr brachte sie nicht heraus. Das war der Eindruck, den Cholmondeley St. John auf die Leute machte.
Das Zusammenleben im Haus mit ihm war ein lohnendes Experiment. Sein Charakter und seine Intelligenz machten ihn für mich zu dem interessantesten Tier, dem ich je begegnet bin. Am meisten beeindruckte mich sein Erinnerungsvermögen, das nach meiner Meinung ohne Beispiel war.
Ich besaß damals eine Lambretta mit Beiwagen und entschloß mich, Cholmondeley auf Fahrten ¡in die Umgebung mitzunehmen, falls er sich in den Beiwagen setzte und nicht während der Fahrt hinaussprang. Die erste Fahrt mit ihm machte ich um den Golfplatz herum, um auszuprobieren, wie er sich verhalten würde. Er saß äußerst wohlerzogen da und betrachtete die vorbeihuschende Landschaft mit königlicher Miene. Abgesehen von gelegentlichen Versuchen, .sich hinauszubeugen und vorbeifahrende Radfahrer an die Beine zu greifen, benahm er sich mustergültig. Dann fuhr ich zur Tankstelle. Cholmondeley war genauso begeistert von der Tankstelle, wie der Tankwart von ihm. Er beugte sich vor und beobachtete genau, wie der Tank aufgeschraubt und der Schlauch hineingehalten wurde. Das Plätschern und Gurgeln des einlaufenden Benzins entlockte ihm ein leises erstauntes »Cooo«. Da eine Lambretta mit einer lächerlich geringen Menge Benzin unglaublich lange auskommt, und ich sie zudem selten benutzte, dauerte es vierzehn Tage, bis ich wieder zu der Tankstelle fuhr. Es war auf dem Rüdeweg von einem Besuch bei Chums Freund, dem Müller, und seiner Wassermühle. Der freundliche Mann, der Cholmondeley St. John sehr bewunderte, hatte immer eine Tasse Tee für uns. So saßen wir denn nebeneinander auf dem Wehr, beobachteten die vorbeisdiwimmenden Moorhühner und tranken nachdenklich unseren Tee. Auf dem Rückweg merkte ich, daß mein Benzin knapp wurde und ich tanken mußte. Als ich den Tankwart begrüßte, sah ich, wie er verblüfft über meine Schultern starrte. Ich drehte mich schnell um. Welches Unglück mochte der Affe wieder angerichtet haben? Cholmondeley war aus dem Beiwagen auf den Sitz geklettert und damit beschäftigt, den Verschluß vom Tank zu schrauben, damit das Benzin eingefüllt werden konnte. Dieses Erinnerungsvermögen erscheint mir sehr beachtlich. Erstens hatte er nur einmal beim Tanken zugesehen, und das war über vierzehn Tage her; zweitens hatte er unter all den Vorrichtungen der Lambretta diejenige herausgefunden, die man öffnen mußte.
Ein anderes Mal setzte Cholmondeley mich noch mehr in Erstaunen, und zwar nicht nur durch sein Erinnerungsvermögen, sondern auch durch seine Beobachtungsgabe. Ich mußte zweimal mit ihm nach London, einmal für eine Fernsehsendung und einmal zu einem Vortrag. Meine Schwester fuhr mich. Cholmondeley saß auf meinem Schoß und betrachtete interessiert die vorbeiziehende Landschaft. Auf halbem Weg etwa schlug ich vor, anzuhalten und etwas zu trinken. Wenn man Cholmondeley bei sich hatte, konnte man nicht in jedes Restaurant gehen, da Gastwirte nicht immer von einem Affen in der Bar entzückt sind. Schließlich fanden wir eine Kneipe, die vertrauenerweckend aussah, und hielten an. Zu unserer Erleichterung und Cholmondeleys Entzücken merkten wir, daß die Besitzerin sehr tierliebend war. Im Handumdrehen hatten sie und Cholmondeley Freundschaft geschlossen. Er wurde mit Orangensaft und Kartoffelchips gefüttert, durfte zwischen den Tischen »Catch-as-catch-can« spielen und sogar auf der Bar einen Kriegstanz aufführen. Ausgelassen stampfte er mit den Füßen und rief »hoo... hooo...hoo...«. Wirtin und Schimpanse kamen so gut miteinander aus, daß Chum nur ungern mit uns weiterfuhr. Wäre er Automobilklub-Inspektor gewesen, hätte er dieser Bar bestimmt zwölf Sterne verliehen.
Drei Monate später fuhr ich mit Cholmondeley zu dem Vortrag nach London. Die Bar, in der wir uns bei der ersten Fahrt so gut unterhielten, hatte ich vollkommen vergessen, denn inzwischen waren wir in vielen anderen Lokalen freundlich aufgenommen worden. Unterwegs fing Chum auf meinem Schoß aufgeregt zu zappeln an. Zuerst dachte ich, er habe Kühe oder Pferde entdeckt, Tiere, die ihn stets interessierten. Aber weit und breit war weder Kuh noch Pferd zu sehen. Cholmondeley wurde immer unruhiger und fing schließlich an zu winseln. Ich konnte nicht entdecken, was ihn so aufregte. Dann fing er an zu heulen und hopste wie verrückt auf meinem Schoß auf und ab. Wir bogen um eine Ecke, da lag hundert Meter vor uns die alte Kneipe. Demnach hatte Cholmondeley die Gegend, durch die wir fuhren, wiedererkannt und sie mit seiner Erinnerung an den Spaß, den er damals gehabt hatte, verbunden. Einen solchen Denkprozeß hatte ich bisher bei keinem Tier beobachtet. Meine Schwester und ich waren so verblüfft, daß wir eine Stärkung nötig hatten. So konnte Cholmondeley seine Freundschaft mit der Wirtin erneuern, die sich ebenfalls über das Wiedersehen freute.
Immer noch kämpfte ich um meinen Zoo. Die Chancen wurden mit jedem Tag geringer. Die Tiere waren inzwischen von J. J. Aliens Warenhaus in den Zoo von Paignton übergesiedelt; denn man hatte mir mit großem Entgegenkommen erlaubt, sie vorübergehend dort unterzubringen, bis ich einen Platz für den eigenen Zoo gefunden hätte. Doch das wurde, wie gesagt, immer unwahrscheinlicher. Es war die alte Geschichte. Zuerst braucht man die Hilfe anderer, dann will niemand helfen. Es bleibt einem nichts anderes übrig, man muß allein fertigwerden. Hat man aber Erfolg gehabt, kommen alle, die erst nicht helfen wollten, klopfen einem auf die Schulter und bieten ihre Hilfe an.
»Irgendwo muß es doch einen intelligenten Gemeinderat geben«, meinte Jacquie eines Abends. Wir saßen über einer Karte der Britischen Inseln.
»Daran zweifle ich«, sagte ich düster, »vor allem zweifle ich daran, daß ich noch die Kraft habe, es mit einer weiteren Serie von Bürgermeistern und Stadtschreibern aufzunehmen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen selbst Gelände finden und es ganz mit eigenen Kräften versuchen.«
»Du brauchst aber auf jeden Fall ihre Zustimmung. Es gibt ja schließlich eine Stadtplanung und was sonst noch alles«, meinte Jacquie.
Mir schauderte. »Am besten, wir suchen uns eine einsame Insel in Westindien oder sonstwo. Dort sind die Menschen wahrscheinlich vernünftiger und kennen keine Bürokratie.«
Jacquie schob Cholmondeley von dem Fleck der Landkarte, auf dem er gerade hockte.
»Was meinst du zu den Kanalinseln?« fragte sie.
»Was soll ich dazu meinen?«
»Nun, sie sind ein beliebter Ferienaufenthalt und haben ein sehr mildes Klima.«
»Das stimmt, es wäre ein idealer Platz. Aber wir kennen dort niemanden«, gab ich zu bedenken, »man braucht für solche Angelegenheiten jemanden, der einen berät.«
»Ja«, gab Jacquie zögernd zu, »wahrscheinlich hast du recht.«
So legten wir widerstrebend die Kanalinseln zu den Akten, obwohl es mich sehr gereizt hätte, den Zoo auf einer Insel einzurichten. Erst mehrere Wochen später, als ich in London war und mit Rupert Hart-Davis über meinen Zoo sprach, erschien ein Silberstreifen am Horizont. Ich gestand Rupert, die Möglichkeiten für einen eigenen Zoo wären so gering, daß ich drauf und dran sei, den Plan fallenzulassen. Ich sagte auch, daß wir an die Kanalinseln gedacht hätten, dort aber niemand kennen, der uns helfen könnte. Rupert horchte auf. Mit dem Ausdruck eines Zauberers, der ein kleines Kunststück zeigt, sagte er, er habe gute Verbindungen zu den Kanalinseln — warum man ihn denn nicht eher gefragt hätte — er kenne einen Mann, der seit Jahren dort lebe und nur zu gern helfen würde. Es war Major Fraser. Noch am gleichen Abend telefonierte ich mit ihm. Er schien nicht im geringsten etwas dabei zu finden, daß ein völlig Fremder ihn anrief und um Rat bei der Gründung eines Zoos fragte. Das nahm mich sofort für ihn ein. Er schlug vor, Jacquie und ich sollten nach Jersey kommen, er würde uns die Insel zeigen und alle nötigen Ratschläge geben. Wir vereinbarten ein Treffen.
Wir flogen also nach Jersey. Als die Maschine zur Landung ansetzte, erschien die Insel wie ein Spielzeugkontinent, ein Flickenteppich von winzigen Feldern in einer strahlend blauen See. Eine schöne, zerklüftete Küste war hier und da von glattem Strand unterbrochen, an den das Meer in Bändern schäumte.
Als wir auf dem Rollfeld standen, schien uns, als sei die Luft wärmer, die Sonne strahlender, und unsere Lebensgeister belebten sich wieder.
Hugh Fraser erwartete uns auf dem Flugplatz. Er war ein großer, schlanker Mann und trug seinen schmalkrempigen Trilby so weit nach vorn, daß der Rand fast auf seiner Adlernase ruhte. Er zwinkerte vergnügt mit den Augen, als er uns in den Wagen half und abfuhr. Wir durchquerten St. Hélier, die Hauptstadt der Insel, die mich an einen mittelgroßen englischen Marktflecken erinnerte. Ich war daher erstaunt, als an der Kreuzung ein Polizist in weißem Mantel und mit weißem Helm den Verkehr regelte. Das gab dem Ort auf einmal ein tropisches Gesicht. Wir fuhren durch die Stadt und dann durch schmale Wege mit steilen Böschungen, über die Bäume mit verschlungenen Ästen herabhingen und die Straßen zu einem grünen Tunnel machten. Die Landschaft erinnerte mich mit ihrer roten Erde und dem grünen Gras lebhaft an Devon. Doch war alles viel kleiner: winzige Felder, enge Täler mit Bäumen vollgestopft, kleine Bauernhäuser aus wunderschönem Jersey-Granit, der in Millionen von Schattierungen schimmerte, wenn die Sonne daraufschien. Wir bogen von der Straße ab, fuhren eine lange Auffahrt hinunter und hatten plötzlich Hughs Haus, Les Augres Manor, vor uns.
Das Landhaus war in der Form eines E ohne Mittelbalken gebaut. Das Hauptgebäude bildete den aufrechten Balken, die Flügel den oberen und unteren und endeten in zwei Steinbögen, durch die man in den Hof gelangte. Diese wundervollen Bögen waren um 1660 gebaut und wie das ganze Gebäude aus Jersey-Granit. Voll Stolz führte uns Hugh herum. Er zeigte uns die alte steinerne Apfelpresse, die Kuhställe, den großen, von einer Mauer umgebenen Garten, den kleinen See mit der zerfransten Einfassung aus Simsen und die feuchten Wiesenniederungen mit den kleinen hindurchrinnenden Bächen. Schließlich schlenderten wir zurück unter den Steinbögen hindurch in den sonnenüberfluteten Hof.
»Sie wissen, Hugh, daß Sie einen zauberhaften Besitz haben«, sagte ich.
»Ja, er ist schön, ich glaube, einer der schönsten auf der Insel.«
Ich wandte mich an Jacquie: »Wäre dies nicht ein ausgezeichneter Platz für einen Zoo?« fragte ich.
»Ja, das wäre er«, stimmte Jacquie zu.
Hugh betrachtete mich einen Augenblick.
»Ist das Ihr Ernst?« fragte er.
»Nun, ich meinte es nicht im Ernst, aber es wäre tatsächlich der ideale Platz für einen Zoo. Warum fragen Sie?«
Hugh war in Gedanken. »Nun, mir wird die Unterhaltung etwas teuer, und ich möchte aufs Mutterland übersiedeln. Wollen Sie den Besitz mieten?«
»Das fragen Sie noch? Nennen Sie mir die Bedingungen.«
»Kommen Sie hinein, wir wollen über die Sache reden.« Hugh führte uns über den Hof.
Nach einem Jahr aufreibender Kämpfe mit Stadträten und anderen Behörden hatte ich, eine Stunde nach der Landung auf Jersey, einen Platz für meinen Zoo gefunden.