BEIM FON VON BAFUT
Nach unserer Rückkehr aus Eshobi beluden Jacquie und ich den Lastwagen mit Käfigen von den Tieren, die wir kennzeichnen mußten, und machten uns auf den Weg nach Bafut. Bob und Sophie ließen wir in Mamfe zurück, damit sie noch mehr Tiere des tropischen Regenwaldes beschaffen konnten.
Die Fahrt nach Mamfe ins Hochland war lang und anstrengend, begeisterte mich aber immer aufs neue. Die erste Wegstrecke führte durch den dichten Wald des Tales von Mamfe. Der Lastwagen jaulte und rumpelte auf der roten Straße zwischen riesenhaften Bäumen, die mit Schlingpflanzen und Lianen geschmückt waren, daher. Durch die Zweige flogen schreiend kleine Hornvogelschwärme und jadegrüne, dem Kuckuck ähnliche Touraco-Pärchen, deren rote Schwingen beim Flug aufblitzten. Auf den toten Bäumen am Wegrand machten sich orange-blau-schwarze Eidechsen gemeinsam mit den Zwergkönigsfischern über Spinnen, Heuschrecken und andere fette Leckerbissen her, die sie zwischen den roten und weißen Winden fanden. Durch jedes der winzigen Täler floß ein kleiner Fluß, über den eine knarrende Brücke führte und jedesmal, wenn der Laster hinübersetzte, flogen Wolken von Schmetterlingen auf und schwirrten um den Kühler. Nach mehreren Stunden begann der Weg unmerklich mit einer Reihe weitausholender Windungen zu steigen. Hier und da fand man am Rand der Waldwege riesige Farnbäume, die wie grüne Fontänen geheimnisvoll aus dem Unterholz schossen. Wenn man höher hinaufkam, machte der Wald kleineren Grasflächen Platz, welche die Sonne ausgeblichen hatte. Allmählich, als würden wir einen dicken grünen Mantel abstreifen, fiel der Wald zurück, und Grasland trat an seine Stelle. Fröhliche Eidechsen liefen uns trunken von Sonne über den Weg. Schwärme winzig kleiner Finken stoben aus dem Unterholz und flogen vor uns herum, ihr rotes Federkleid ließ sie wie Funkenregen eines gigantischen Freudenfeuers erscheinen. Der Laster heulte und polterte, der Kühler dampfte bei der letzten großen Anstrengung, die der Gipfel der Böschung kostete. In millionenfachen Schattierungen von Grün lag der Wald von Mamfe hinter uns, vor uns dehnte sich das Grasland Hunderte von Meilen weit mit wogenden, gleichsam in Falten daliegenden Bergen; von Wolken gestreichelt, lag es bis zum fernen schwachen Horizont, gold und grün, unnahbar und wunderbar in der Sonne. Der Fahrer zwang den Wagen auf den Hügel und brachte ihn ratternd zum Stehen. Dabei wirbelte roter Staub auf und hüllte uns und alles ein. Der Fahrer lächelte breit und glücklich, wie ein Mensch, der eine bedeutende Leistung vollbracht hat.
»Warum halten wir?« forschte ich.
»Ich geh pinkeln«, erklärte er unverblümt und verschwand im langen Gras am Wegrand.
Jacquie und ich wanden uns aus dem glühenden Innern und gingen nach hinten, um zu sehen, wie die Reise den Tieren bekommen war. Philipp saß aufrecht auf einer Plane und drehte uns sein vom knallroten Staub bepudertes Gesicht zu. Sein Trilby, der bei der Abfahrt noch ganz schwach grau gewesen war, war jetzt ebenfalls knallrot. Er nieste heftig in sein grünes Taschentuch und sah mich vorwurfsvoll an.
»Staub zu viel«, brüllte er, falls diese Tatsache meiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Da Jacquie und ich vorn ebenso staubig geworden waren, bedauerte ich ihn nicht. »Was machen die Tiere?« fragte ich.
»Sie gut, Sah; aber dieses Buschschwein haben dicken Kopf zu viel.«
»Was soll das heißen?«
»Er stehlen mein Kissen«, sagte Philipp ungehalten.
Ich untersuchte den Käfig unserer schwarzfüßigen Mungodame Ticky. Sie hatte sich die Zeit damit vertrieben, Philipps kleines Kissen, das zum Bettzeug unseres vornehmen Kochs gehörte, nach und nach durch die Käfigstäbe zu ziehen. Jetzt hockte sie, umgeben von Schneewehen aus Federn, selbstgefällig und zufrieden auf den traurigen Resten.
»Laß man«, sagte ich tröstend, »ich werde dir ein neues kaufen. Aber du passen auf deine Sachen auf, sonst wird dir Ticky alles stehlen.«
»Ja, Sah, ich aufpassen«, sagte Philipp mit einem bösen Blick auf das federverkrustete Tier.
Dann fuhren wir weiter durch das grünliche, golden-weiße Grasland unter einem blauen Himmel, der von einem feinen Netz zarter Windwolken durchädert war, so daß es aussah, als würden leichte Wollflocken über den Himmel geblasen. In dieser Landschaft schien alles ein Werk des Windes zu sein. Er hatte die großen grauen Felsen zu phantastischen Formen moduliert und das harte Gras zu harten Wellen geformt. Die kleinen Bäume waren gebogen und verkrüppelt. Die ganze Landschaft bebte und sang vom Wind, der leise im Gras pfiff, heulend und schmetternd um die Felskanten fegte und die kleinen Bäume wimmern und knarren ließ.
Weiter ging’s auf Bafut zu. Gegen Abend wurde der Himmel zartgolden. Als die Sonne hinter dem Bergrand verschwand und die Welt in ein kühles, grünes Zwielicht einhüllte, nahm unser Laster die letzte Kurve und hielt im Zentrum von Bafut, vor dem Besitz des Fon. Linker Hand lag der weite Hof und dahinter die Hütten seiner Frauen und Kinder. Alles wurde von der großen Hütte überragt, in welcher der Geist seines Vaters und viele andere, weniger hohe Geister, lebten. Wie ein vom Alter geschwärzter Bienenkorb hob sie sich vom jadegrünen Himmel ab. Rechts vom Weg lag auf einer Anhöhe das Gästehaus des Fon. Es glich einer zweistöckigen italienischen Villa, war aus Stein gebaut und hatte ein sauber gedecktes Ziegeldach. Um das schuhkartonförmige Gebäude lief in beiden Stockwerken eine breite Veranda, die von rosa und ziegelrot blühenden Bougainvillea umrahmt war.
Müde kletterten wir aus dem Wagen und überwachten das Ausladen der Tiere und ihre Unterbringung auf der Veranda im zweiten Stock. Nach den Tieren wurde unsere Ausrüstung abgeladen und verstaut. Während wir schwache Versuche unternahmen, den roten Staub abzuwaschen, ergriff Philipp die Überreste seines Bettzeugs, seinen Karton mit Küchenutensilien und die Lebensmittel und marschierte in die Küche; steifbeinig und zackig stolzierte er davon, wie eine Militärpatrouille, die einen Aufruhr beschwichtigen will. Als die Tiere gefüttert waren, tauchte Philipp mit einem unerwartet guten Abendbrot wieder auf. Wir hatten kaum gegessen, als wir todmüde ins Bett fielen.
In der Kühle des nächsten Morgens gingen wir zu unserem Gastgeber, um ihm unsere Aufwartung zu machen. Wir überquerten den großen Hof und gerieten in das Labyrinth der schmalen Winkel und Gäßchen um die Frauenhütten. Dann kamen wir auf einen kleinen, von einer Agave beschatteten Platz. Da lag, sauber aus Stein und Ziegeln gebaut, die Villa des Fon mit breiter Veranda an einer Seite. Auf der Verandatreppe stand, groß und schlank, mein Freund, der Fon von Bafut. Er trug ein schneeweißes, blaubesticktes Gewand und auf dem Kopf ein Käppchen in den gleichen Farben. Auf seinem Gesicht lag das fröhlich-verschlagene Grinsen, das ich so gut kannte. Seine riesige, schlanke Hand war zum Gruß ausgestreckt.
»Mein Freund«, rief ich, während ich die Treppe hinaufeilte.
»Willkommen... willkommen... du bist da... willkommen«, rief er aus. Dabei nahm er meine Hand in seine großen Handflächen, legte seinen Arm um meine Schultern und klopfte mir freundschaftlich den Rücken.
»Geht es gut, mein Freund?« fragte ich und sah ihm ins Gesicht.
»Ich gut, ich gut«, antwortete er grinsend.
Mir schien diese Behauptung fast zu schwach. Er sah blühend aus. Bei meinem letzten Aufenthalt vor acht Jahren war er gut in den Siebzigern. Es schien, als habe er die dazwischenliegenden Jahre besser überstanden als ich. Ich stellte Jacquie vor und freute mich an dem Gegensatz. Der beinahe zwei Meter große Fon, der in seinem Gewand noch größer erschien, überragte die kleine Jacquie um fast einen halben Meter; ihre Hand war in seiner großen, braunen Tatze verloren wie die eines Kindes.
»Kommt, wir gehen hinein«, sagte er, ergriff unsere Hände und führte uns in die Villa. Es hatte sich nichts verändert. In dem kühlen schönen Raum lagen Leopardenfelle auf dem Boden, an den Wänden standen wunderbar geschnitzte Bänke mit hohen Kissentürmen. Wir setzten uns. Eine der Frauen des Fon erschien mit einem Tablett und Getränken darauf. Der Fon schüttete freigebig Whisky in drei Gläser und reichte sie lächelnd herum. Ich sah den unverdünnten Alkohol zehn Zentimeter hoch in meinem Glas und seufzte. Eins war sicher, was er auch sonst während meiner Abwesenheit getan haben mochte, unter die Abstinenzler war der Fon inzwischen nicht gegangen.
»Chirri-ho!« sagte der Fon und trank mit einem Schluck das Glas halb aus. Jacquie und ich nippten etwas vorsichtiger an den unseren.
»Mein Freund«, sagte ich, »ich bin glücklich, dich wiederzusehen.«
»Wah! Glücklich! Ich war glücklich, als ich hörte, daß du wieder in Kamerun bist.«
Wieder nippte ich an meinem Whisky. »Man hat mir erzählt, daß du böse mit mir bist, weil ich das Buch über die glückliche Zeit mit dir geschrieben habe. Ich hatte Bedenken, zurück nach Bafut zu kommen«, sagte ich.
Der Fon schaute böse drein. »Wer hat dir das erzählt?« forschte er.
»Einige Europäer.«
»Ach, Europäer«, meinte der Fon und zuckte die Schultern, als sei er erstaunt, daß ich ein Wort dessen glaubte, was mir ein Weißer erzählt hatte. »Sie lügen.«
»Gut«, sagte ich erleichtert, »denn ich würde traurig sein, wenn du böse mit mir bist.«
»Nein, nein, ich bin nicht böse«, sagte der Fon. Dabei schüttete er eine weitere große Menge Whisky in mein Glas, bevor ich ihn davon zurückhalten konnte.
»Dein Buch ist fein, es gefällt mir. Alle Leute in der Welt kennen jetzt meinen Namen. Fein, fein das Buch.«
Wieder einmal mußte ich feststellen, daß ich meinen Freund unterschätzt hatte. Er hatte offenbar gemerkt, daß irgendeine Publicity besser ist als gar keine. »Sieh her«, fuhr er fort, »viele, viele Menschen kommen nach Bafut; alle diese verschiedenen Leute zeigen mir dein Buch mit meinem Namen darin... fein, fein.«
»Ja, das ist eine feine Sache«, stimmte ich sprachlos zu. Mir ging auf, daß ich den Fon zu einer Art Salonlöwen gemacht hatte. Nachdenklich hielt er die Whiskyflasche gegen das Licht.
»Als ich in Nigeria war, in Lagos, um die Königin zu sehen, hatten alle Europäer dein Buch. Viele, viele Leute ließen mich meinen Namen in dein Buch schreiben.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Die Vorstellung, wie der Fon in Lagos saß und Autogramme in mein Buch schrieb, verschlug mir die Stimme.
»Gefiel Ihnen die Königin?« fragte Jacquie.
»Wah! Gefallen! Sie gefällt mir zu sehr. Eine feine Frau das. Kleine, kleine Frau, genau wie du. Aber sie ist sehr mächtig. Meine Güte! Die Frau ist sehr mächtig.«
»Gefiel dir Nigeria?« fragte ich.
»Nein«, sagte der Fon bestimmt, »zu heiß, zu viel Sonne, Sonne, Sonne. Ich schwitzte, ich schwitzte. Aber die Königin ist sehr mächtig. Sie geht und geht und schwitzt nie. Feine Frau.« Bei der Erinnerung mußte er lächeln und goß uns geistesabwesend allen die Gläser wieder voll. »Ich gab der Königin einen Elefantenzahn«, fuhr er fort, »du weißt es sicher.«
»Ja, ich weiß.« Ich erinnerte mich an den wunderbar geschnitzten Elfenbeinzahn, den die Einwohner von Kamerun Ihrer Majestät geschenkt hatten.
»Ich habe diesen Zahn für alle Leute in Kamerun gegeben«, erklärte der Fon. »Die Königin saß auf einem Stuhl, und ich ging vorsichtig, vorsichtig und gab ihr den Zahn. Sie nahm ihn. Die Europäer sagen, man darf der Königin nicht den Hintern zeigen; darum gehen sie alle rückwärts. Auch ich ging rückwärts. Wah! Schritt für Schritt. Ich fürchtete, daß ich falle, aber ich ging vorsichtig und fiel nicht, aber ich hatte große Angst.« Er kicherte, als er daran dachte, wie er vor der Königin rückwärts die Treppen hinunterging, bis sich seine Augen mit Tränen füllten.
»Nigeria ist zu heiß, ich schwitze.«
Ich bemerkte, wie sich bei dem Wort »schwitzen« seine Augen gedankenverloren an die Whiskyflasche hefteten. So stand ich eilig auf und erklärte, wir müßten wirklich gehen, denn wir hätten noch so viel auszupacken. Der Fon ging mit uns in den sonnenbeschienenen Hof, nahm unsere Hände und forschte ernsthaft in unseren Mienen. »Kommt ihr am Abend wieder?« fragte er. »Wir wollen zusammen trinken.«
»Ja, am Abend kommen wir wieder«, versicherte ich ihm. Er strahlte Jacquie an. »Am Abend werde ich dir zeigen, was für eine glückliche Zeit wir in Bafut haben werden«, sagte er zu ihr.
»Schön«, sagte Jacquie und lächelte tapfer.
Mit einer eleganten Handbewegung entließ uns der Fon, drehte sich um und ging in seine Villa zurück. Wir beide schleppten uns mühsam ins Gästehaus.
»Nach diesen Whiskymengen kann ich nicht mehr frühstücken«, sagte Jacquie.
»Das war noch gar nichts«, widersprach ich. »Das war man gerade ein kleiner Aperitif vor Tagesanfang. Warte nur bis zum Abend.«
»Heute abend werde ich nichts trinken... das könnt ihr beide besorgen. Ein Glas und nicht mehr!« sagte Jacquie entschieden.
Als wir nach dem Frühstück die Tiere versorgten, sah ich zufällig über die Verandabrüstung und bemerkte, daß auf dem Weg dort unten eine kleine Gruppe von Männern auf das Haus zukam. Beim Näherkommen erkannte ich, daß sie Raphiakörbe oder Kalebassen auf dem Kopf trugen, die mit grünen Blättern verschlossen waren. Sollten sie wirklich schon Tiere bringen? Im allgemeinen dauerte es etwa eine Woche, bis die Neuigkeit herum war und Jäger Beute brachten. Als ich sie mit angehaltenem Atem beobachtete, bogen sie vom Weg ab und stiegen schwatzend und lachend die Verandastufen hoch. Oben wurden sie still und legten ihre Lasten auf den Boden.
»Guten Tag, meine Freunde«, sagte ich.
»Morgen, Masa«, antworteten sie grinsend im Chor.
»Was sind das für Sachen?«
»Das Fleisch, Masa«, kam die Antwort.
»Aber wie wißt ihr, daß ich nach Bafut komme und Fleisch kaufe?« fragte ich erstaunt.
»Eh, Masa, Fon erzählen«, sagte einer der Jäger.
»Du meine Güte, wenn der Fon die Nachricht, daß wir herkommen, herumgetragen hat, werden wir in Nullkomma-nichts überschwemmt sein«, sagte Jacquie.
»Wir sind jetzt schon ganz schön überschwemmt«, meinte ich beim Anblick all der Behälter zu meinen Füßen. »Bisher haben wir nicht einmal unsere Käfige ausgepackt. Nun, wir werden schon damit fertig werden. Mal sehen, was sie mitgebracht haben.« Ich bückte mich, nahm einen Raphiasack auf, hielt ihn hoch und fragte:
»Welcher Mann dies bringen?«
»Ich, Sah.«
»Und was ist drinnen?«
»Sein Squill-lill, Sah.«
Ich begann die Schnüre zu lösen, und Jacquie fragte, was ein Squill-lill sei.
»Keine Ahnung.«
»Wäre es nicht besser, du fragst? Es kann schließlich eine Kobra oder sonst was sein.«
»Du hast recht«, stimmte ich ihr zu.
Ich wandte mich an den Jäger, der mich ängstlich beobachtete.
»Welches Fleisch nennst du Squill-lill?«
»Kleines Fleisch, Sah.«
»Schlechtes Fleisch, das Menschen fressen?«
»Nein, Sah, niemals. Dies ganz klein Squill-lill, Sah. Sein Baby.«
Diese Versicherung beruhigte mich. Ich spähte in die Tiefe des Sackes. Auf dem Boden lag zusammengerollt und zuckend in einem Grasnest ein winziges, kaum zehn Zentimeter langes Eichhörnchen. Es konnte nicht mehr als ein paar Tage alt sein, denn es war mit dem glänzenden, sauberen, plüschähnlichen Pelz ganz junger Tiere bedeckt und noch blind. Der Mund war zu einem O geöffnet wie bei einem Chorknaben: die zierlichen Pfoten paddelten gegen meine Finger. Geduldig wartete ich, bis sich die erste Flut von mütterlichen Gefühlen meiner Frau gegenüber diesem Tierbaby gelegt hatte.
»Gut«, sagte ich, »behalte es, wenn du willst. Aber ich warne dich, es wird eine Qual sein, das Wesen zu füttern. Ich nehme es nur, weil es ein Schwarzohrhörnchen ist. Die Sorte ist selten.«
»Ich werde schon mit ihm fertig werden«, meinte Jacquie zuversichtlich. »Es ist kräftig, damit haben wir schon halb gewonnen.«
Ich seufzte und dachte an die zahllosen jungen Eichhörnchen, mit denen ich in aller Welt den Kampf aufgenommen hatte, und wie eines immer schwächer und schwieriger als das andere war. Ich wandte mich an den Jäger. »Dieses Fleisch, mein Freund, ist gutes Fleisch, und mir gefällt es sehr. Aber sein Baby, eh? Manchmal sterben Babies, eh?«
»Ja, ja«, stimmte er traurig zu.
»Ich zahle dir zwei-zwei Schilling jetzt. Ich gebe dir Gutschein. Wenn du kommst in zwei Wochen und dieses Baby noch lebt, ich zahle dir noch fünf Schilling. Einverstanden?«
»Ja, Sah, ich einverstanden«, sagte der Jäger erfreut grinsend.
Ich zahlte ihm zwei Schillinge und schrieb einen Gutschein für die anderen fünf. Der Jäger verstaute den Zettel sorgfältig in seinem Sarong.
»Nicht verlieren. Wenn du verlierst, ich zahle dir nicht fünf Schilling.«
»Nein, Masa, ich ihn nicht verlieren«, versicherte er vergnügt.
»Es hat wirklich eine herrliche Farbe«, sagte Jacquie und sah auf das Tierchen in ihren Händen. In diesem Punkt war ich ihrer Meinung. Der kleine Kopf war leuchtend orange mit einem zierlichen schwarzen Ring um jedes Ohr. Es sah aus, als habe seine Mutter ihn nicht ordentlich gewaschen. Auf dem Rücken war es grün gefleckt, am Bauch zartgelb; der lächerliche Schwanz war auf der Oberseite dunkelgrün und auf der unteren flammend orange.
»Wie soll es heißen?« fragte Jacquie.
Ich schaute auf das zitternde Häufchen in ihrer Hand, das sich noch immer im Choralsingen zu üben schien.
»Nenn’ es so, wie der Jäger es nannte, >Squill-lill Small< «, schlug ich vor, und so wurde es Squill-lill Small genannt, was wir später aus Gründen der Einfachheit zu Small abkürzten.
Während wir uns über den Namen unseres Schützlings Gedanken machten, öffnete ich den nächsten Raphiakorb, ohne den Jäger vorher gefragt zu haben, was er enthielt. Als ich den Korb sorglos aufmachte, schoß ein kleines, spitzes rattenähnliches Gesicht hervor, biß mir in den Finger, schrie wütend und durchdringend und verschwand wieder in der Tiefe des Korbes.
»Was um alles in der Welt war das?« fragte Jacquie. Ich lutschte an meinem Finger, fluchte gewaltig, und alle Jäger sangen im Chor »Sorry, Sah, sorry, Sah«, als ob sie für meine Dummheit verantwortlich wären.
»Dieser verfluchte kleine Liebling ist ein Zwergmungo«, sagte ich.
»Sie sind für ihre Größe außerordentlich hitzig. Von den kleinen Tieren schreit nur noch das Seidenäffchen so durchdringend.«
»Wo sollen wir es einsperren?«
»Wir werden ein paar von unseren Käfigen auspacken müssen. Bis ich den Rest aussortiert habe, lassen wir es in seinem Korb.«
Vorsichtig band ich den Korb wieder zu.
»Wie schön, daß wir jetzt zwei verschiedene Mungosorten haben«, sagte Jacquie.
»Ja«, stimmte ich zu und saugte an meinem Finger, »wunderbar.«
Die übrigen Behälter enthielten nichts von Bedeutung, lediglich drei gemeine Kröten, eine kleine grüne Blattviper und vier Webervögel. Ich konnte sie nicht gebrauchen.
Als ich die Jäger mit den Tieren nach Hause geschickt hatte, kümmerte ich mich um die Unterbringung des Zwergmungos. Das schlimmste bei einer Tierfangexpedition ist, nicht genügend Käfige vorbereitet zu haben. Das war mir auf meiner ersten Reise so ergangen. Da hatten wir zwar alle möglichen Ausrüstungsgegenstände mitgenommen, aber keine fertigen Käfige, in der Annahme, wir würden an Ort und Stelle genügend Zeit haben, sie zu bauen. Das Resultat war, daß uns die erste Flut von Tieren unvorbereitet traf, und wir Tag und Nacht damit zu tun hatten, sie alle sachgemäß unterzubringen. Kaum waren wir damit fertig, kam die zweite Flut, Und wir mußten von vorn anfangen. Einmal band ich aus diesem Grund nicht weniger als sechs verschiedene Tiere mit Stricken an mein Feldbett. Seitdem gehe ich nie ohne eine Anzahl zusammenlegbarer Käfige auf die Reise, damit ich auf alle Fälle wenigstens die ersten vierzig Tiere unterbringen kann. Ich stellte jetzt also einen unserer Spezialkäfige auf, füllte ihn mit trockenen Bananenblättern und expedierte dann das Zwergmungoweibchen hinein, ohne mich noch einmal beißen zu lassen. Da stand es mitten im Käfig, die eine zierliche Pfote etwas gehoben, betrachtete mich mit kleinen, glänzenden Augen und stieß einen schrillen Wutschrei nach dem anderen aus, bis uns die Ohren schmerzten. Der Ton war so durchdringend und unerträglich, daß ich schließlich in meiner Verzweiflung ein großes Stück Fleisch in den Käfig warf. Die Mungodame sprang darauf zu, schüttelte es heftig, um sich zu vergewissern, ob es tot sei, trug es dann triumphierend in eine Ecke und verspeiste es. Noch immer schrie sie uns an, doch waren ihre Töne durch das Futter wohltuend gedämpft. Ich stellte den Käfig dicht neben Ticky, unser schwarzfüßiges Mungofräulein. Dann setzte ich mich hin und betrachtete die beiden.
Ein flüchtiger Beobachter hätte nicht einmal vermutet, daß die beiden Tiere miteinander verwandt sind. Ticky war noch sehr jung, jedoch schon etwa 60 Zentimeter lang und 25 Zentimeter hoch. Sie hatte ein plumpes, hundeähnliches Gesicht mit dunklen, runden, etwas hervorstehenden Augen; Körper, Kopf und Schwanz waren von üppiger sahneweißer Farbe und die schlanken Beine tiefbraun, ja beinahe schwarz. Ticky war glatt, geschmeidig und graziös und erinnerte mich an eine hellhäutige Pariser Kokotte, die nur mit Seidenstrümpfen bekleidet ist. Der Zwergmungo hingegen sah alles andere als pariserisch aus. Mit Schwanz maß er etwa 25 Zentimeter, hatte ein scharfgeschnittenes Gesichtchen, eine kleine, runde rosa Nase und ein Paar glitzernde, kirschfarbene Augen. Das lange, dicke Fell war schokoladenbraun mit zarten, angedeuteten ingwerfarbenen Flecken. Ticky, ganz Dame, betrachtete den Neuankömmling fast entsetzt und beobachtete interessiert, wie er schreiend und nörgelnd seinen blutigen Fleischbrocken traktierte. Ticky, ein sehr leckriger und wählerischer Fresser, hätte sich nie so unmanierlich aufgeführt, sie hätte nie mit vollem Mund geschrien und sich benommen, als habe sie nie im Leben ein anständiges Stück Fleisch gesehen. Sie fixierte ihre Verwandte einen Augenblick, schniefte zornig, drehte sich ein paarmal elegant um sich selbst und legte sich dann zum Schlafen nieder. Der Zwergmungo, unbeeindruckt von diesem Urteil über sein Benehmen, fuhr auch bei den letzten blutigen Resten seiner Mahlzeit fort zu schimpfen und zu schreien. Als der letzte Happen verschlungen und der Boden sorgfältig nach Überresten abgesucht war, setzte er sich, kratzte sich einige Minuten kräftig das Fell, rollte sich zusammen und schlief ebenfalls ein. Als wir ihn eine Stunde später wieder weckten, um seine Stimme für die Nachwelt festzuhalten, stieß er so laute Wut- und Zornesschreie aus, daß ich das Mikrofon am äußersten Ende der Veranda aufbauen mußte, sonst wäre meine Mühe umsonst gewesen. Bis zum Abend jedoch hatten wir die Stimme des Zwergmungos und die Tickys aufgenommen und daneben noch neunzig Prozent unserer Sachen ausgepackt. Wir badeten, zogen uns um, aßen zu Abend und waren recht zufrieden mit uns.
Nach dem Essen bewaffneten wir uns mit einer Flasche Whisky und einer ausreichenden Menge Zigaretten. Wir nahmen unsere Petroleumlampe und machten uns auf den Weg zur Villa des Fon. Die Luft war warm und einschläfernd, voll vom Geruch der Holzfeuer und der sonnenwarmen Erde. Heimchen zirpten und trillerten im Gras der Wegränder. In den Obstbäumen des großen Hofes hörten wir Fledermäuse schreien und laut mit ihren Flügeln schlagen. Im Hof standen mehrere Kinder des Fon im Kreis. Sie klatschten in die Hände und veranstalteten eine Art Singspiel. In der Ferne dröhnte eine kleine Trommel durch die Bäume wie ein unregelmäßiger Herzschlag. Wir gingen durch das Labyrinth der Frauenhäuser. Jedes war von einem rotglühenden Herdfeuer erleuchtet, jedes duftete nach gerösteten Yamwurzeln, gebratenem Wegerich, gekochtem Fleisch oder dem scharfen, durchdringenden getrockneten Salzfisch. Der Fon erwartete uns auf der Treppe. Seine große Gestalt stand hell in der Dämmerung, sein Gewand rauschte, als er uns die Hand hinstreckte.
»Willkommen, willkommen«, sagte er strahlend, »kommt, wir gehen hinein.«
»Ich bringe Whisky, damit unser Herz fröhlich wird.« Ich schwang die Flasche.
»Wah! Gut, gut«, kicherte der Fon. »Whisky ist eine feine Sache, er macht die Menschen glücklich.
Sein wunderbar scharlachrotes und gelbes Gewand leuchtete im matten Lampenlicht wie ein Tigerfell. An einem Arm trug er ein kostbar geschnitztes Elfenbeinarmband. Wir setzten uns und warteten. Schweigend sahen wir zu, wie der Fon feierlich die erste Runde einschenkte. Als jedes der Gläser halbvoll Whisky war, wandte sich uns der Fon mit seinem breiten, verschlagenen Lächeln zu.
»Chirri-ho! Heute abend werden wir haben glückliche Zeit.«
Damit begann der Abend, den wir später den »Abend mit Schlagseite« nannten.
Als der Whiskyspiegel in der Flasche fiel, berichtete uns der Fon noch einmal von seiner Reise nach Nigeria und wie sehr er geschwitzt habe. Sein Lob für die Königin kannte keine Grenzen. Denn, so betonte er immer wieder, er war hier in Afrika zu Hause und hatte sich heiß gefühlt, sie hingegen hatte viel mehr als er geleistet und war trotzdem immer frisch und charmant geblieben. Ich fand sein freigebiges, der Wahrheit entsprechendes Lob außergewöhnlich, da er einer Gesellschaft angehörte, in der die Frauen nur als nützliche Lasttiere angesehen werden.
»Du liebst Musika?« fragte der Fon Jacquie. Das Thema Nigeria war erschöpft.
»Ja, ich mag Musik sehr gern.«
Der Fon strahlte sie an.
»Du erinnerst dich an meine Musika?« fragte er mich.
»Ja, ich erinnere mich daran.«
Der Fon stieß einen langgezogenen Begeisterungsruf aus. »Du hast geschrieben in deinem Buch über meine Musika, eh?«
»Ja, natürlich.«
»Und«, fuhr der Fon fort und kam damit zu seinem Vorhaben, »du hast geschrieben über das Tanzen und die glückliche Zeit, die wir hatten, eh?«
»Ja, über alles, und alles war sehr schön.«
»Wollen wir deiner Frau unsere Tänze zeigen?« fragte er und streckte seinen langen Zeigefinger nach mir aus.
»Ja, gern.«
»Fein, fein... kommt, wir gehen zum Tanzhaus.« Majestätisch erhob er sich, glättete eine Falte seines Gewandes mit seiner eleganten Hand. Zwei Frauen, die ruhig im Hintergrund gesessen hatten, sprangen auf, ergriffen das Tablett mit den Gläsern und hasteten uns voran. Der Fon führte uns aus seiner Villa quer durch seinen Besitz zum Tanzhaus.
Das Tanzhaus war ein großes, quadratisches Gebäude, den üblichen Gemeindehäusern ähnlich, doch hatte es nur ein Erdgeschoß und sehr kleine Fenster. An der einen Seite des Raumes stand eine Reihe geflochtener Lehnstühle, für den Fon und seine Gäste reserviert, darüber hingen eingerahmte Fotografien verschiedener Mitglieder der britischen Königsfamilie. Als wir den Raum betraten, begrüßten uns vierzig bis fünfzig versammelte Frauen in der landesüblichen Weise mit einem eigenartigen schrillen Geheul. Sie schrien durchdringend und schlugen sich dabei schnell mit den Händen auf den Mund. Es war ohrenbetäubend. Die versammelten, prächtig gekleideten Ratgeber des Fon klatschten in die Hände, wodurch der allgemeine Tumult noch erhöht wurde. Fast betäubt von der Begrüßung, wurden Jacquie und ich zu beiden Seiten des Fon in zwei Sessel plaziert und der Tisch mit Getränken vor uns gestellt. Der Fon lehnte sich in seinen Sessel zurück und sah uns mit breitem, glücklichem Lächeln an. »Jetzt werden wir haben glückliche Zeit.« Bei den Worten beugte er sich vor und goß aus einer jungfräulichen Flasche Whisky die Gläser halbvoll.
Die Kapelle war inzwischen angekommen. Sie bestand aus vier Jugendlichen und zwei Frauen des Fon. Sie hatten drei Trommeln, zwei Flöten und eine mit getrocknetem Mais gefüllte Kalebasse, mit der sie ein angenehm raschelndes Geräusch erzeugten, ähnlich dem einer Marimba. In einer Ecke des Tanzsaales richteten sie sich ein. Nach einigen Versuchsschlägen auf der Trommel sahen sie erwartungsvoll auf den Fon. Dieser bellte einen seiner Befehle. Daraufhin stellten zwei seiner Frauen einen kleinen Tisch mit einer Lampe in die Mitte des Tanzbodens. Es folgte ein neuer erwartungsvoller Trommelwirbel.
»Mein Freund, du erinnerst dich an den europäischen Tanz, den du mir beigebracht hast, als du in Bafut warst?«
»Ja, natürlich.«
Bei einer der Parties, auf der mich der Fon mit seiner großzügigen Gastlichkeit unterhielt, hatte ich ihm, seinen Räten und Frauen beigebracht, wie man eine Conga tanzt. Es war ein unerhörter Erfolg gewesen. Doch glaubte ich, sie hätten es in den acht dazwischenliegenden Jahren vergessen.
»Ich werde es euch zeigen«, sagte der Fon mit glänzenden Augen.
Er bellte einen neuen Befehl. Etwa zwanzig von seinen Frauen schoben sich auf die Tanzfläche und stellten sich um den Tisch herum im Kreis auf. Jede klammerte sich fest an die Taille der anderen. Dann hockten sie sich hin, ungefähr wie Sportler beim Start und warteten.
»Was soll das bedeuten?« flüsterte Jacquie.
Ich beobachtete das Ganze mit diebischem Vergnügen. »Ich glaube, er hat sie seit meiner Abreise vor acht Jahren fortwährend Conga tanzen lassen, und jetzt will er uns eine Vorführung davon geben«, sagte ich halb in Gedanken.
Der Fon hob die Hand; die Kapelle warf sich mit Begeisterung in eine Bafutmelodie mit unverkennbarem Congarhythmus. Die Gesichter vor Anspannung verkniffen, bewegten sich die Frauen, immer noch hockend, im Kreis um die Lampe. Bei jedem sechsten Schlag schleuderten sie ihre Beine zur Seite. Die Wirkung war bezaubernd. Begeistert von der Darbietung sagte ich: »Mein Freund, das ist großartig!« Jacquie stimmte mir enthusiastisch zu: »Sie tanzen wirklich ganz wunderbar!«
»Diesen Tanz hast du mir beigebracht«, sagte der Fon.
»Ja, ich erinnere mich daran.«
Lachend wandte er sich an Jacquie. »Dein Mann ist sehr stark, wir haben getanzt, getanzt und getrunken... Wah! Gückliche Zeit!«
Die Kapelle setzte ganz unregelmäßig aus. Die Frauen des Fon lächelten schüchtern auf unseren Applaus, erhoben sich aus ihrer hockenden Stellung und gingen wieder zu ihren Plätzen an der Wand zurück. Der Fon brüllte einen neuen Befehl. Eine große Kalebasse mit Palmwein wurde hereingebracht. Davon erhielt jede der Tänzerinnen ihren Anteil in die hohle Hand gegossen. Der Anblick veranlaßte den Fon, auch unsere Gläser neu zu füllen.
»Ja«, fuhr er sich erinnernd fort, »dein Mann ist sehr stark beim Tanzen und Trinken.«
»Jetzt bin ich nicht mehr stark, jetzt bin ich ein alter Mann«, sagte ich.
»Nein, nein, mein Freund«, meinte der Fond lachend. »Ich bin alt, du bist jung.«
»Du siehst jünger aus als vor acht Jahren.« Ich sagte dies nicht nur, ich meinte es auch.
»Das kommt, weil du viele Frauen hast«, sagte Jacquie. »Wah! Nein«, sagte der Fon entsetzt, »meine Frauen machen mich zu müde.«
Trübsinnig starrte er auf die Schar seiner Frauen an der Wand und nippte an seinem Whisky. »Meine Frauen halten mich zum Narren.«
»Das gleiche sagt mein Mann von mir auch«, meinte Jacquie. »Dein Mann ist glücklicher, er hat nur eine Frau, ich habe viele. Und die halten mich zum Narren.
»Aber Frauen sind sehr nützlich«, sagte Jacquie.
Der Fon betrachtete sie skeptisch.
»Wenn du keine Frauen hast, hast du keine Babies... Männer haben keine Babies«, war Jacquies realistische Antwort. Diese Bemerkung setzte den Fon in solches Entzücken, daß ich fürchtete, ihn würde der Schlag treffen. In seinen Sessel zurückgelehnt lachte er, bis ihm die Tränen kamen.
Plötzlich setzte er sich auf. Er wischte sich die Augen, noch von Lachen geschüttelt. »Deine Frau hat Verstand«, bemerkte er vergnügt und goß Jacquie ein großes Glas Whisky ein, als Anerkennung für ihre Intelligenz. »Du wärst eine, gute Frau für mich«, sagte er und strich ihr zärtlich über den Kopf. »Chirri-ho.«
Die Kapelle kam zurück. Die Männer wischten sich den Mund von einer Mahlzeit außerhalb des Tanzhauses. Offensichtlich gut gestärkt, intonierten sie eine meiner Lieblingsmelodien aus dem Repertoire von Bafut, den Schmetterlingstanz. Es war eine fröhliche kleine Melodie. Die Frauen stellten sich zu diesem entzückenden Tanz im Saal auf. Sie tanzten in einer Reihe mit minutiösen, komplizierten Bewegungen der Hände und Füße. Dann faßten sich die beiden ersten der Reihe an den Händen, die letzte Tänzerin am anderen Ende wirbelte nach vorn, fiel dann zurück, um von den beiden mit verschränkten Händen aufgefangen und hochgeschleudert zu werden. Je schneller der Tanz und die Musik wurden, desto ungestümer wirbelte sich der Schmetterling herum und desto ekstatischer schossen die beiden anderen ihn wieder hoch. Als der Tanz auf dem Höhepunkt war, erhob sich der Fon majestätisch und schloß sich unter dem Jubel der Zuschauer der Reihe der tanzenden Frauen an. Laut singend wirbelte er die Reihe hinunter; dabei wehte sein rot-gelbes Gewand wie eine bunte Fahne. »Ich tanze, ich tanze, und niemand kann mich anhalten«, jubilierte er, »doch muß ich aufpassen, daß ich nicht wie ein Schmetterling auf den Boden falle.« Wie ein Kreisel wirbelte er umher und übertönte mit seiner Stimme den Gesang der Frauen.
»Ich hoffe inständig, daß sie ihn nicht fallenlassen«, sagte ich zu Jacquie, und beobachtete die beiden kurzen, fetten Frauen, die am Ende der Reihe mit verschränkten Händen etwas nervös auf ihren Herrn und Meister warteten.
Nach einer letzten raschen Drehung ließ sich der Fon rückwärts auf seine Frauen fallen, die ihn zwar hielten, aber unter dem Aufprall schwankten. Bei der »Landung« breitete er die Arme weit aus, so daß die Frauen für einen Augenblick hinter den fliegenden Ärmeln verschwanden, und man nur diesen riesigen bunten »Schmetterling« sah. Hingestreckt auf den Armen der Frauen strahlte er zu uns herüber. Sein Käppchen saß etwas schief. Dann schleuderten ihn die Frauen mit aller Kraft auf den Boden. Lachend und keuchend kam er zu uns zurück und warf sich in seinen Sessel.
»Mein Freund, welch feiner Tanz«, sagte ich voller Bewunderung, »du bist mächtig stark.«
Jacquie, die ebenfalls von dieser Darbietung beeindruckt war, stimmte zu. »Ja, du hast viel Kraft.«
»Schöner Tanz, feiner Tanz«, sagte der Fon. Er lachte und füllte automatisch die drei Gläser.
»Ihr habt einen anderen Tanz hier in Bafut, den ich sehr liebe, ihr tanzt ihn mit Pferdeschwänzen«, sagte ich.
»Ah, ja, ja, ich weiß schon, den Pferdeschwanztanz.«
»Richtig, mein Freund, wirst du ihn meiner Frau einmal zeigen?«
»Aber ja, mein Freund.« Der Fon lehnte sich vor und gab einen Befehl. Eine der Frauen eilte aus dem Saal. Der Fon drehte sich um und lächelte Jacquie zu.
»Bald bringen sie Pferdeschwänze, und dann tanzen wir.«
Kurz darauf kam die Frau mit einem Bündel weißer, seidiger Pferdeschwänze zurück; sie waren 60 und mehr Zentimeter lang und steckten in kunstvollen Haltern, die aus Leder geflochten waren. Der Fon hatte einen besonders langen und prächtigen. Die Riemen für die Halter waren blau, rot und gold gefärbt. Mit einer eleganten, langsamen Bewegung schwang er den Schwanz durch die Luft. Das Haar rieselte und flutete wie eine Rauchwolke vor ihm her. Zwanzig Frauen mit Pferdeschwänzen bildeten auf der Tanzfläche einen Kreis. Der Fon stellte sich in die Mitte. Auf ein Zeichen mit dem Pferdeschwanz setzte die Kapelle ein, und der Tanz begann.
Dieser Pferdeschwanztanz ist zweifellos der sinnenfreudigste und schönste aller Bafuttänze. Der Rhythmus ist ungewöhnlich; kleine Trommeln führen mit hartem Stakkatoschlag, unter dem die großen Trommeln rumpeln und brummen. Die Bambusflöten piepsen und zirpen so hell, daß sie mit den Trommeln nichts gemeinsam zu haben scheinen und doch wunderbar mit ihnen verschmelzen. Zu der Melodie drehen sich die Frauen langsam in Uhrzeigerrichtung; die Füße führen kleine, abgemessene Schritte aus, mit den Pferdeschwänzen wedeln sie leicht vor den Gesichtern hin und her. Der Fon tanzt unterdessen im Kreis gegen den Uhrzeiger, hopst, stampft und dreht sich in einer eigenartig steifen, ungelenken Weise, während seine Hand mit unglaublicher Geschwindigkeit den Pferdeschwanz in hübschen, kunstvollen Kapriolen durch die Luft schwenkt. Die Wirkung ist eigenartig und fast unwirklich.
Eben noch gleichen die Tanzenden einem Beet aus weißem Seetang, das mit den Wellen schwingt, im nächsten Augenblick stampft der Fon steifbeinig wie ein seltener Vogel mit weißen Federn im Balztanz zwischen seinen Hennen. Diese langsame Pavane und die graziösen Bewegungen der Schwänze haben eine eigenartig hypnotische Wirkung auf die Zuschauer; und wenn der Tanz mit einem Trommelwirbel endet, schwingen und kreisen immer noch die wedelnden Pferdeschwänze vor den Augen.
Beschwingt kam der Fon über die Tanzfläche auf uns zu, den Pferdeschwanz leger wirbelnd, und sank in seinen Sessel. Atemlos strahlte er Jacquie an. »Gefällt dir der Tanz?« fragte er.
»Er war wunderschön«, sagte sie, »er gefiel mir sehr.«
»Gut, gut.« Der Fon war zufrieden. Er beugte sich vor und untersuchte die Whiskyflasche; aber sie war leider leer. Taktvoll verschwieg ich, daß drüben im Gästehaus noch einige Flaschen standen. Trübsinnig betrachtete der Fon die Flasche. »Whisky zu Ende«, stellte er fest.
»Ja«, war meine wenig entgegenkommende Antwort.
»Dann müssen wir eben Gin trinken.« Der Fon war unverwüstlich.
Mir sank der Mut. Ich hatte gehofft, wir würden zu etwas Harmloserem übergehen, etwa zu Bier, um die Wirkung des reichlichen, hochprozentigen Alkohols zu dämpfen. Der Fon schrie einer der Frauen einen Befehl zu. Sie lief davon und kam bald darauf mit einer Flasche Gin und einer Flasche Bittern zurück. Wenn der Fon Gin trank, goß er das Glas halb voll Gin und färbte ihn dann tiefbraun mit Bittern. Mit der Mischung konnte man ohne weiteres einen Elefanten umbringen. Jacquie, die zusah, wie mir der Fon diesen Cocktail mischte, bat eilig, davon befreit zu werden, der Arzt habe ihr Gin verboten. Obwohl der Fon offensichtlich nicht viel von einem Arzt und einem solchen Verbot hielt, erfüllte er ihren Wunsch.
Die Kapelle setzte wieder ein. Alles, was Beine hatte, strömte zur Tanzfläche. Man tanzte einzeln und in Paaren. Als der Rhythmus des Tanzes es erlaubte, standen Jacquie und ich auf und tanzten einen schnellen Foxtrott. Der Fon feuerte uns durch Zurufe an, seine Frauen schrien vor Vergnügen.
»Fein, fein«, rief er uns zu, als wir vorbeiwalzten.
»Danke, mein Freund«, rief ich zurück und steuerte Jacquie durch die Schar der Hofräte, die in ihren bunten Roben wie ein Blumenbeet aussahen.
»Wenn du mir bloß nicht immerzu auf die Füße treten würdest«, meinte Jacquie kläglich.
»Es tut mir leid, zu dieser Stunde klappt es mit meiner Navigation nicht mehr so genau.«
»Das merke ich«, war die Antwort.
»Warum tanzt du nicht mit dem Fon?« fragte ich.
»Ich habe auch schon daran gedacht, war aber nicht sicher, ob ich ihn als Frau auf fordern kann.«
»Er wird entzückt sein, bitte ihn um den nächsten Tanz.«
»Was soll ich mit ihm tanzen?«
»Bring ihm etwas bei, was zu seinem lateinamerikanischen Repertoire paßt. Wie wär’s mit einer Rumba?«
»Eine Samba dürfte zu dieser Nachtstunde leichter sein«, meinte Jacquie. Als der Tanz beendet war, gingen wir zurück zu unseren Plätzen, wo der Fon mein Glas wieder gefüllt hatte.
»Mein Freund, erinnerst du dich an den europäischen Tanz, den ich dir beigebracht habe, als ich bei dir in Bafut war?« fragte ich.
»Ja, ja, ein feiner Tanz«, strahlte er.
»Meine Frau möchte mit dir tanzen und dir einen anderen europäischen Tanz zeigen. Einverstanden?«
»Wah!« bellte der Fon voller Begeisterung. »Fein, fein. Deine Frau wird mein Lehrer sein. Fein, fein. Einverstanden.« Als wir eine Melodie fanden, die die Kapelle spielen konnte und die eine leichte Ähnlichkeit mit einer Samba hatte, erhoben sich Jacquie und der Fon. Alle Anwesenden beobachteten sie voller Spannung. Der Gegensatz zwischen dem riesigen Fon und Jacquies 1,55 Metern reizte mich zum Lachen. Schnell zeigte Jacquie dem Fon die einfachen Grundschritte der Samba, die der Fon zu meiner Überraschung ohne Schwierigkeiten begriff. Dann nahm er Jacquie in den Arm und fort waren sie. Es war köstlich anzusehen, wie der Fon Jacquie fest an sich zog, so daß sie fast vollständig in seinen fließenden Gewändern verschwand. Manchmal konnte man sie überhaupt nicht mehr sehen. Dann meinte man, der Fon, dem auf mysteriöse Weise ein zweites Paar Beine gewachsen war, tanze mit sich selbst. Noch etwas kam mir an dem Tanz komisch vor. Zuerst erkannte ich es nicht, dann sah ich, daß Jacquie den Fon führte. Sie walzten lachend an mir vorbei und amüsierten sich beide großartig.
»Du tanzt fein, mein Freund. Du hast gut gelernt von meiner Frau!« schrie ich.
»Ja, ja!« brüllte der Fon über Jacquies Kopf hinweg. »Feiner Tanz. Deine Frau gute Frau für mich.« Nach einer Viertelstunde kamen sie endlich erhitzt und atemlos an ihre Plätze zurück. Der Fon nahm einen riesigen Schluck reinen Gin zur Wiederbelebung und beugte sich dann zu mir. »Deine Frau fein«, teilte er mir in einem rauhen Flüstern mit. Vermutlich meinte er, das Lob könne Jacquie den Kopf verdrehen. »Sie tanzt fein. Sie feine Lehrer. Sie bekommt jetzt Mimbo... Extramimbo werde ich ihr geben.«
Ich drehte mich zu Jacquie um, die sich ahnungslos fächelte. »Du hast großen Eindruck auf unseren Gastgeber gemacht«, sagte ich.
»Er ist ein guter, alter Bursche, und er tanzt außergewöhnlich gut. Hast du gesehen, wie er im Handumdrehen die Sambà begriffen hat?«
»Ja«, antwortete ich, »er war von dir als Lehrerin so begeistert, daß er dich belohnen will.«
Jacquie sah mich argwöhnisch an. «Er will mich belohnen?«
»Du bekommst eine Kalebasse mit Extramimbo — Palmwein.«
»Du liebe Güte, ich kann das Zeug nicht ausstehen.« Jacquie war entsetzt.
»Sei vernünftig, nimm das Glas, probier es und dann frag’ ihn, ob du es mit seinen Frauen teilen darfst.«
Fünf Kalebassen wurden hereingebracht, jede mit grünen Blättern verstöpselt. Der Fon probierte alle, bevor er entschied, welcher Wein der beste sei. Dann wurde ein Glas gefüllt und Jacquie gereicht. Sie dachte an ihre gute Erziehung, nahm einen Schluck, rollte ihn im Munde umher und schluckte; dann erschien ein Ausdruck intensiver Zufriedenheit auf ihrem Gesicht.
»Der Mimbo ist großartig«, rief sie, als habe man ihr eben einen Napoleon angeboten. Der Fon strahlte. Da er sie genau beobachtete, nahm Jacquie einen zweiten Schluck.
Noch größer schien ihr Entzücken.
»Dies ist der beste Mimbo, den ich je getrunken habe«, sagte sie.
»Ha, gut! Feiner Mimbo. Neuer Mimbo.«
»Erlaubst du, daß deine Frauen ihn mit mir trinken?« fragte Jacquie.
»Aber ja.« Auf eine großartige Handbewegung hin, raschelten die Frauen heran. Sie grinsten schüchtern, und Jacquie goß ihnen rasch den Rest des Mimbo in die rosa Handflächen.
In diesem Augenblick — der Stand der Ginflasche war alarmierend gesunken — sah ich auf meine Uhr und mit Entsetzen stellte ich fest, daß es in zweieinhalb Stunden dämmern würde. Da ich am Morgen viel zu tun hatte, entschuldigte ich uns, und wir brachen auf. Der Fon bestand darauf, uns mit der Kapelle bis zur Treppe des Gästehauses zu bringen. Hier umarmte er uns liebevoll.
»Gute Nacht, mein Freund.« Er schüttelte meine Hand. »Gute Nacht. Vielen Dank. Es war sehr schön.«
»Ja, vielen, vielen Dank«, stimmte Jacquie ein.
»Wah«, sagte der Fon und tätschelte Jacquie den Kopf, »wir haben fein getanzt. Du bist gute Frau für mich, eh?«
Wir sahen ihm nach, wie er über den weiten Hof davonging, groß und elegant in seinen Gewändern. Der Bursche mit der Lampe, die einen Teich von goldenem Licht um ihn warf, trottete neben ihm her. Sie verschwanden in dem Gewirr von Hütten. Da Zwitschern der Flöten und das Dröhnen der Trommeln wurde schwächer und erstarb schließlich. Dann hörten wir nur noch die Rufe der Grillen und Laubfrösche und die schwachen, tutenden Schreie der Fledermäuse.
Als wir endlich unter unsere Moskitonetze krochen, krähte irgendwo in der Ferne heiser und verschlafen der erste Hahn.