FLEISCH IN KISTEN

Sobald Bob und Sophie nachgekommen waren, gingen wir daran, unsere umfangreiche, ständig wachsende Sammlung systematisch zu ordnen. Wir hatten die große, schattige Veranda des Obergeschosses in Abteilungen geteilt. Eine Abteilung war für Reptilien, eine für Vögel und die dritte für Säugetiere. Jeder von uns mußte sich um eine Gruppe kümmern und bei den anderen helfen, wenn er eher fertig war. Schon am frühen Morgen gingen wir noch in Schlafanzügen auf die Veranda, um die Tiere zu beobachten und uns zu vergewissern, ob sie gesund seien. Nur durch genaue tägliche Inspektionen lernt man die Tiere so gut kennen, daß man schon das geringste Anzeichen einer Krankheit bemerkt, während der Uneingeweihte sie noch für normal und gesund hält. Dann säuberten und fütterten wir die empfindlicheren, wie zum Beispiel die Sonnenvögel, die beim ersten Tageslicht ihren Nektar bekommen müssen, und die Jungen, die auf ihre Flasche warteten. Erst danach gab es für uns Frühstück. Während des Essens verglichen wir die Aufzeichnungen über unsere Schützlinge. Unsere Tischgespräche, die sich meistens um die Verdauung der Tiere drehten, hätten jedem normalen Sterblichen den Appetit verschlagen. Durchfall oder Verstopfung ist bei einem Tier der beste Hinweis, daß das Futter falsch war, und das erste, manchmal das einzige Symptom für eine Krankheit.

Bei einer Expedition ist im allgemeinen das Fangen selbst der leichteste Teil. Sobald die Eingeborenen wissen, daß man lebende Tiere kaufen will, bringen sie mehr, als man gebrauchen kann. Nur hier und da ist eine Rarität darunter, neunzig Prozent sind unbrauchbare Durchschnittsware. Für ausgesprochene Seltenheiten muß man selbst auf Fang gehen; unterdessen bringen einem die Eingeborenen alles andere ins Haus. Man kann also behaupten, es sei einfach, die Tiere zu bekommen; die Schwierigkeit besteht nur darin, sie am Leben zu erhalten, wenn man sie erst einmal hat.

Bei einem frisch gefangenen Tier ist nicht der Schock, eingesperrt zu sein, am schlimmsten, sondern der Umstand, daß es in der Gefangenschaft mit dem für ihn ärgsten Feind, dem Menschen, zusammenleben muß. Sehr oft gewöhnt sich ein Tier ausgezeichnet an die Gefangenschaft, kann sich jedoch nicht damit abfinden, in so enger Nachbarschaft mit dem Menschen zu leben. Diese scheinbar unüberwindliche Schranke läßt sich nur durch Geduld und Liebe beseitigen. Manchmal wird dich ein Tier monatelang anfauchen und nach dir schnappen, sobald du dich seinem Käfig näherst, und du möchtest schon verzweifeln, ob du jemals einen guten Eindruck bei ihm erweckst. Eines Tages dann, manchmal völlig unerwartet, wird es dir entgegenkommen und das Futter von dir annehmen. Dann weißt du, daß alles Warten und alle Mühe sich gelohnt haben.

Das Füttern ist natürlich eine unserer Hauptsorgen. Man muß ziemlich genau wissen, was jedes Tier in der Freiheit frißt, man muß auch einen passenden Ersatz ausprobieren, wenn die natürliche Nahrung einmal nicht zu beschaffen ist, und man muß dem Tier beibringen, diesen Ersatz zu fressen.

Auch die oft sehr verschiedenartigen Sympathien und Antipathien der einzelnen Tiere wollen beachtet sein. Ich hatte einmal ein Nagetier, das jede normale Kost der Nager, wie Obst, Brot, Gemüse, verweigerte und sich drei Tage lang nur von Spaghetti ernährte. Dann hatte ich fünf Affen, alle gleichen Alters und von derselben Art, die höchst seltsame Idiosynkrasien an den Tag legten. Zwei von ihnen liebten hartgekochte Eier; die anderen drei hingegen hatten Angst vor diesen seltsam geformten, weißen Dingern und wollten sie nicht anrühren, ja, sie begannen zu schreien, wenn ein so schreckliches Objekt in ihren Käfig gesteckt wurde. Alle fünf aßen gern Orangen. Vier schälten die Frucht vorsichtig und warfen die Schale fort. Auch der fünfte pellte seine

Orange ab, warf dann aber die Frucht fort und fraß die Schale. Bei der Pflege von mehreren hundert Geschöpfen, die alle irgendwelche eigentümlichen Vorlieben zeigen, kann man bei dem Versuch, ihre Leidenschaften zu befriedigen und sie gesund und glücklich zu halten, manchmal fast verrückt werden.

Eine der mühsamsten und enttäuschendsten Aufgaben ist das Aufziehen junger Tiere mit der Flasche. Zunächst sind die Jungen im allgemeinen recht ungeschickt beim Annehmen einer Flasche, und es gibt nichts Ungemütlicheres, als mit einem Tierbaby in einem See lauwarmer Milch zu streiten. Sodann müssen die Tiere, besonders nachts, warm gehalten werden; das bedeutete mehrmaliges Aufstehen in der Nacht, um die Wärmflaschen zu füllen, es sei denn, man nimmt die Tiere mit ins Bett, was meistens das Endergebnis ist. Wenn man nach einem harten Arbeitstag um 3 Uhr morgens aus dem Bett muß, um Wärmflaschen zu füllen, verliert der Sport bald seinen Reiz.

Und schließlich haben alle jungen Tiere einen überempfindlichen Magen. Man muß wie ein Schießhund aufpassen, daß die Milch weder zu fett noch zu mager ist. Durch zu fette Milch entstehen leicht Darmstörungen, die zu Nierenbeschwerden führen und den Tod bedeuten können; zu magere Milch hat Gewichtsverlust zur Folge und Anfälligkeit für alle möglichen Krankheiten.

Im Widerspruch zu meinen düsteren Prophezeiungen entwickelte sich das junge Schwarzohrhörnchen Small zu einem Musterbaby. Untertags lag es zusammengerollt in einem Bett aus Watte, die wir auf eine Wärmflasche in einer tiefen Keksdose gelegt hatten. Nachts stellten wir die Dose neben unsere Betten unter eine Infrarotlampe. Sehr bald merkten wir, daß Small einen ausgeprägten eigenen Willen besaß. Für ihre Winzigkeit machte die junge Dame außergewöhnlich viel Lärm. Ihr Schreien klang wie das Gackern einer Henne oder wie das Rasseln eines billigen Weckers. Schon nach vierundzwanzig Stunden wußte sie genau, wann es Essen gab. Waren wir auch nur fünf Minuten zu spät, schnarrte und gackerte sie, bis wir es endlich brachten. Dann kam der große Tag, an dem Small zum ersten Mal ihre Augen öffnete und einen Blick auf ihre Pflegeeltern und die Welt im allgemeinen warf. Das hatte ungeahnte Folgen. Gerade an dem Tag kamen wir etwas spät mit dem Futter. Wir hatten uns in ein Gespräch über Tiere vertieft und, wie ich gestehen mußte, Small ganz vergessen. Plötzlich hörte ich hinter mir leises Rascheln. Ich wandte mich um und sah Small auf der Schwelle zum Eßzimmer hocken mit einer recht ungnädigen Miene. Sobald sie uns erspäht hatte, rasselte sie los, raste durchs Zimmer, zog sich keuchend an Jacquies Stuhl hoch und sprang ihr auf die Schulter. Dort blieb sie mit auf- und abflappendem Schwanz sitzen und schrie meiner Frau böse ins Ohr. Für ein so kleines Eichhörnchen war das alles eine ziemliche Leistung. Sie hatte, wie ich eben erzählte, gerade zum ersten Mal die Augen geöffnet und es dann fertiggebracht, sich aus ihrer Keksdose herauszuziehen, den Weg durch das mit Fotoausrüstung vollgestapelte Schlafzimmer zu finden, die Veranda entlangzulaufen, vorbei an Käfigen mit Tieren, die womöglich gefährlich waren, und uns dann schließlich — vermutlich an unseren Stimmen — im Eßzimmer am äußersten Ende der Veranda ausgemacht. D^imit hatte sie mindestens siebzig Meter durch unbekanntes Territorium und unzählige Gefahren zurückgelegt, nur um uns mitzuteilen, daß sie hungrig sei. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß sie ihr wohlverdientes Lob erhielt und, was für sie das Wichtigste war, ihr Mittagessen bekam.

Seitdem Smalls Augen nicht mehr geschlossen waren, wuchs sie erstaunlich schnell und entwickelte sich zu einem der reizendsten Eichhörnchen, das ich je gesehen habe. Der orangefarbene Kopf mit den zierlichen schwarzumrandeten Ohren stand in auffallendem Gegensatz zu den großen schwarzen Augen. Ihr runder Körper bekam eine satte moosgrüne Färbung, auf der die beiden Reihen weißer Flecken an den Flanken wie Katzenaugen an einem dunklen Weg wirkten. Der Schwanz jedoch war das Prächtigste an ihr. Lang und dick, oben grün, unten lebhaft orange, bot er einen wunderbaren Anblick. Am liebsten legte sie ihn über den Rücken, so daß sein Ende genau über der Nase hing, flappte leicht mit dem Schwanz und bewegte ihn in leisen Wellen hin und her. Es sah aus wie eine Kerzenflamme im Luftzug.

Auch als Small schon recht groß war, schlief sie noch in ihrer Keksdose neben unseren Betten. Wenn sie morgens aufwachte, schrie sie laut und vernehmlich, sprang auf unser Bett und schlüpfte zu uns unter die Decke. Hatte sie zehn Minuten lang ihre verschlafenen Vize-Eltern untersucht, sprang sie wieder hinunter und begab sich zu einem Inspektionsgang auf die Veranda. Von ihrem Eroberungszug kam sie dann häufig mit einer Beute — etwa einer verfaulten Banane, einem trockenen Blatt oder einer Bougainvilleablüte — zurück, die sie in unseren Betten zu verstecken suchte, und wurde sehr ungehalten, wenn wir die Gaben hinauswarfen. Derartige Spielchen trieb sie einige Monate lang, bis ich eines Tages entschied, Small müsse wie alle anderen Tiere in einen Käfig. Ich war nämlich eines Morgens ganz entsetzt aufgewacht, als sie sich abmühte, mir eine Erdnuß ins Ohr zu stopfen. Wahrscheinlich meinte sie, diese Delikatesse, die sie auf der Veranda gefunden hatte, sei in meinem Bett nicht sicher genug und mein Ohr ein besseres Versteck dafür. Bug-eyes, der nadelklauige Maki, den wir bei Eshobi gefangen hatten, zählte auch zu unseren Babies, obwohl er vollkommen entwöhnt war, als wir ihn fingen. In kürzester Zeit wurde dieses Tiermädchen zahm und unser Liebling. Für ihre Größe hatte sie enorme Hände und Füße mit langen, dünnen Fingern und Zehen. Immer wieder entzückte sie uns, wie sie auf ihren langen Hinterbeinen im Käfig herumtanzte und eine Motte oder einen Schmetterling verfolgte, die wir hineingesetzt hatten, die riesigen Hände wie vor Entsetzen gehoben, mit Augen, die fast aus dem Kopf sprangen. Hatte sie das Insekt gefangen, hielt sie es fest in der rosa Hand und betrachtete es mit wilden, weit aufgerissenen Augen, als wundere sie sich, wie das Tier plötzlich dahingekommen sei. Dann stopfte sie sich die Beute in den Mund, aus dem bald ein Schmetterlingsflügel wie ein zitternder Schnurrbart heraushing, und zwei große Augen blickten darüber hinweg erstaunt in die Welt.

Bug-eyes zeigte mir auch als erste eine erstaunliche Angewohnheit der Buschbabies, die ich — ich muß es zu meiner Schande gestehen — bisher nie beobachtet hatte, obwohl ich zahreiche Buschbabies großzog. Eines Morgens beobachtete ich, wie sie aus der Schlafkiste heraussprang, um zu fressen und anschließend Toilette zu machen. Wie ich schon sagte, hat sie große Ohren, zart wie Blütenblätter. Damit die hauchdünnen, durchsichtigen Ohrmuscheln nicht beschädigt werden, können sie wie Segel zusammengerollt und an den Kopf angelegt werden. Die Ohren sind nämlich für das Buschbaby außerordentlich wichtig. Schon das leiseste Geräusch wird aufgefangen, und die Ohren werden ihm wie ein Radarschim entgegengedreht. Ich hatte öfter gesehen, daß Bug-eyes stets sehr viel Zeit auf die Reinigung ihrer Ohren verwendete. An jenem Morgen beobachtete ich den Vorgang von Anfang bis zum Ende und war sehr überrascht von dem, was ich sah. Zuerst saß sie auf einem Zweig, starrte verträumt vor sich hin und säuberte umständlich den Schwanz. Wie sie da sorgfältig das Haar teilte, damit keine Kletten und Knoten darinblieben, erinnerte sie mich an ein kleines Mädchen, das sich die Haare kämmt. Dann legte sie eine ihrer überdimensionalen, marionettenhaften Hände neben sich und machte einen Tropfen Urin darauf, rieb mit dem Ausdruck großer Anspannung die Hände und begann, die Ohren mit dem Urin einzuölen wie ein Mann, der sich Brillantine ins Haar reibt. Mit einem zweiten Tropfen massierte sie sorgfältig Fußsohlen und Handflächen. Ich saß da und staunte. Ich beobachtete das Buschbaby drei Tage, bevor ich sicher war, mich nicht getäuscht zu haben; denn dies erschien mir eine der seltsamsten Angewohnheiten bei einem Tier. Der einzige Grund dafür wird wohl folgender sein: da die Haut der Ohren sehr dünn und empfindlich ist, würde sie trocken und brüchig werden, wenn sie nicht angefeuchtet wird, und das wäre gefährlich für ein Tier, das ganz und gar auf sein Gehör angewiesen ist. Dasselbe gilt für die empfindliche Haut der Fußsohlen und Handflächen. Doch hat hier die verwendete Flüssigkeit noch einen zweiten Vorteil. Hand- und Fußsohlen sind leicht gewölbt und verhalten sich wie die Saugnäpfe an den Zehen der Laubfrösche. Feucht werden diese »Saugnäpfe« beim Buschbaby doppelt wirksam, wenn das Tier von Ast zu Ast springt.

Als wir später noch eine Menge Demidoff-Buschbabies bekamen — die kleinsten dieser Art, nicht größer als eine Maus —, bemerkte ich bei ihnen allen die gleiche Angewohnheit. Der tägliche Kontakt mit den Tieren, bei dem man beobachten, lernen und aufzeichnen kann, gehört für mich zum Interessantesten einer Fangexpechtion. Jeden Tag, ja eigentlich jeden Augenblick, geschieht etwas Neues und Bemerkenswertes. Die nachfolgenden Eintragungen des Tagebuchs zeigen anschaulich, wie jeder Tag von neuen Aufgaben und seltsamen Beobachtungen nur so strotzte.

14. Februar: Zwei Patas-Affen eingetroffen; beide an Zehen und Fingern schwer von Sandflöhen befallen. Ich mußte die Flöhe herausschneiden und vorbeugend Penicillin spritzen. — Die junge Zibet-Katze gab ihre erste Erwachsenen-»Vor-stellung«; als ich mich dem Käfig näherte, sträubten sich ihre Haare, dabei schnaufte sie tiefer und durchdringender, als es sonst beim Füttern ihre Gewohnheit war. — Große Laubbrauenkröte mit außergewöhnlich starken Augenbeschwerden erhalten. Ein großes, bösartiges Geschwür hinter dem Augapfel hatte das Tier erblinden lassen und war dann nach außen gewachsen. Dadurch sah die Kröte aus, als trüge sie einen Luftballon über dem Auge. Sie schien keine Schmerzen zu haben, darum versuchte ich nicht, das Geschwür zu entfernen.

20. Februar: Endlich fand Bob nach vielen Experimenten heraus, was die Haarfrösche fressen: Schnecken. Was hatten wir nicht alles versucht: junge Mäuse und Ratten, kleine Vögel, Eier, Käfer, Käferlarven und Heuschrecken — alles ohne Erfolg. Schnecken verschlingen sie gierig. Wir können jetzt also hoffen, die Frösche lebend nach England zu bringen. — Die Demidoff-Buschbabies haben eine Nierenkolik. Zwei heute früh durchnäßt gefunden, als hätten sie gebadet, habe die Milch für sie verdünnt, wahrscheinlich war sie zu fett. Außerdem mehr Insekten zum Füttern für sie beschafft. Die fünf jungen Demidoffs gedeihen immer noch gut mit Complan-Milch; das wundert mich, denn die Milch ist unglaublich fett, und wenn gewöhnliche Trockenmilch schon den erwachsenen Buschbabies nicht bekommt, so müßte man die gleiche Wirkung auf die Jungen erwarten.

16. März: Zwei schöne Kobras erhalten, die eine von 1,80 Meter, die andere von 60 Zentimetern Länge. Beide haben sofort Nahrung angenommen. — Die besten Eingänge heute waren ein Zwergmungoweibchen mit zwei Jungen. Die Babies sind noch blind und im Vergleich zu der dunkelbraunen Mutter außergewöhnlich hell. Ich habe die Jungen der Mutter fortgenommen, um sie mit der Flasche aufzuziehen, denn die Alte würde sie vernachlässigen oder töten, wenn ich sie ihr ließe.

17. März: Die Zwergmungos weigern sich entschieden, aus der Flasche oder einem Füllfederhalter zu trinken. Darum gab ich sie der Mutter zurück; ich hätte sie sonst nicht durchgebracht. Zu meinem Erstaunen nahm sie die Jungen und nährte sie. Das ist sehr ungewöhnlich. — Heute zwei Beinbrüche. Eine Woodford-Eule, die in einer Falle gefangen wurde, und ein junger Habicht mit einem Grünholzbruch. Ich fürchte, die Eule wird das Bein nicht mehr gebrauchen können, denn die Bänder scheinen gerissen und der Knochen stark gesplittert zu sein. Das Bein des Habichts wird in Ordnung kommen, es ist ein junges Tier. Beide fressen gut. — Die Demidoffs geben ein schwaches, miauendes Zischen von sich, wenn man sie nachts stört. Das ist der einzige Laut, den ich bei ihnen beobachtet habe, ausgenommen ein Zwitschern wie bei Fledermäusen, wenn sie miteinander streiten. — Die Krallenfrösche schreien jetzt nachts; es ist ein schwaches, piependes Geräusch, etwa so, als wenn man leicht mit dem Fingernagel gegen den Rand eines Glases schnippt.

2. April. Heute brachte man einen jungen, etwa zwei Jahre alten männlichen Schimpansen. War in einem fürchterlichen Zustand. Man hatte ihn in einer Drahtschlinge für Antilopen gefangen, dabei waren der linke Arm und die linke Hand zu Schaden gekommen. Handfläche und Gelenk waren aufgerissen und brandig. Das Tier war so schwach, daß es nicht aufrecht sitzen konnte. Die Haut hatte einen gelblichgrauen Ton. Ich verband die Wunden und spritzte Penicillin. Fuhr mit ihm nach Bemenda zum Tierarzt. Trotz Stimulanzien Lethargie und die seltsame Hautfarbe, die mir nicht gefielen. Der Tierarzt nahm eine Blutprobe und stellte Schlafkrankheit fest. Taten alles mögliche, doch das Tier fällt schnell ab; es ist rührend dankbar für alles, was man ihm antut.

3. April: Schimpanse gestorben. Schimpansen gehören zu den »geschützten« Tieren, doch werden sie hier in Bafut wie auch in anderen Teilen Kameruns regelmäßig getötet und gegessen. — Die große Rhinozeros-Viper gefüttert, mit — kleinen Ratten —. Eins der grünen Waldeichhörnchen scheint eine kahle Stelle auf dem Rücken zu bekommen. Wahrscheinlich Vitaminmangel. Verabreiche mehr Abidec. — Da wir jetzt genügend Eier von Webervögeln bekommen, gebe ich den Eichhörnchen täglich zusätzlich zu ihrer gewöhnlichen Kost davon. — Wenn die Quastenstachelschweine nachts gestört werden, schlagen sie einen raschen Trommelwirbel mit den Hinterbeinen (genauso wie ein wildes Eichhörnchen). Dann schwingen sie das Hinterteil herum, um der Gefahr ins Auge zu sehen und rascheln mit dem Stachelbündel am Schwanzende. Das Geräusch erinnerte an eine Klapperschlange.

5. April: Habe herausgefunden, wie man das Geschlecht der Ottos-Affen leichter bestimmen kann. Heute schönes Pottos-Männchen erhalten. Die Merkmale sind bei beiden Geschlechtern erstaunlich ähnlich; die einfachste Art ist, sie zu beriechen. Die Hoden des Männchens erzeugen einen zarten, süßlichen Geruch wie Birnensaft, wenn das Tier befühlt wird.

Wir waren nicht die einzigen, die sich für unsere Tiere interessierten. Die meisten Einheimischen hatten sie nie gesehen und baten, die Sammlung besuchen zu dürfen. Eines Tages fragte der Leiter der Missionsschule an, ob er mit der ganzen Schule, mit mehr als zweihundert Buben, kommen dürfe. Ich stimmte gern zu; ich meine nämlich, daß es gut ist, das Interesse der Eingeborenen für ihre heimatliche Tierwelt und deren Erhaltung zu wecken. Am verabredeten Tag kamen also die Buben in Doppelreihe den Weg heruntermarschiert, geführt von fünf Lehrern. Auf dem Weg unterhalb des Gästehauses wurde die Schar in Gruppen von zwanzig aufgeteilt und von je einem Lehrer heraufgebracht. Jacquie, Sophie, Bob und ich postierten uns in Reichweite, um Fragen zu beantworten. Die Jungen benahmen sich mustergültig. Es gab kein Stoßen, Drängen oder Herumtollen. Sie wanderten von Käfig zu Käfig, gefesselt und begeistert. Bei jedem für sie neuen Wunder stießen sie erstaunte »Wah«-Rufe aus und schnippten vor Vergnügen mit den Fingern. Als schließlich die letzte Gruppe durch die Tierschau geführt war, versammelte der Schulleiter alle Jungen am Fuß der Treppe und wandte sich dann strahlend mir zu.

»Sir, wir sind Ihnen sehr dankbar, daß Sie uns erlaubt haben, Ihre zoologische Sammlung anzusehen. Würden Sie wohl so liebenswürdig sein und einige Fragen der Jungen beantworten?«

»Aber ja, mit Vergnügen.« Ich stellte mich auf die Treppe oberhalb meiner Gäste.

»Jungen!« brüllte er, »Mister Durrell will freundlich einige Fragen beantworten. Also, wer hat eine Frage?«

Das Meer schwarzer Gesichter unter mir wandte sich nachdenkend zu mir empor. Die Zungen schoben sich zwischen die Lippen, die Zehen bohrten sich in den Sand. Zuerst zögernd, dann aber mit schwindender Verlegenheit, immer schneller, schossen sie Fragen auf mich ab, die von erstaunlicher Intelligenz und Einfühlungsgabe zeugten. Mir fiel in der vordersten Reihe ein Junge auf, der mich schon bei der Besichtigung mit einem Basiliskenblick durchbohrt hatte. Seine Stirn war von Konzentration gefurcht, steif stand er in Hab-acht-Stellung. Als schließlich der Vorrat an Fragen versickerte, nahm er plötzlich allen Mut zusammen und schnellte den Zeigefinger hoch.

»Nun, Uano, was willst du wissen?« fragte der Schulleiter und sah stolz lächelnd zu ihm hinunter.

Uano holte tief Luft und schleuderte mir seine Frage entgegen.

»Bitte, Sah, kann uns Mr. Durrell sagen, warum er machen so viele Fotos von den Frauen des Fon?«

Das Lächeln auf dem Gesicht des Meisters verschwand und er warf mir einen Blick des Bedauerns zu.

»Das ist keine Frage, die zur Sache gehört, Uano«, sagte er streng.

»Aber bitte Sah, warum?« wiederholte Uano eigensinnig. Der Direktor schaute wütend drein. »Das ist keine zoologische Frage!« donnerte er. »Mr. Durrell wollte uns nur zoologische Fragen beantworten. Deine Frage nach den Frauen des Fon ist nicht zoologisch.«

»Wenn man großzügig ist, Direktor, ist es dann nicht vielleicht eine biologische Frage?« ich wollte dem Jungen helfen. »Nein, Sir, solche Fragen sollten die Jungen Ihnen nicht stellen.«

Der Boß wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

»Nun, ich beantworte die Frage gern. In meiner Heimat möchten die Menschen wissen, wie man in anderen Ländern lebt und aussieht. Ich kann es ihnen natürlich erzählen, aber das ist nicht das gleiche, als wenn ich ihnen Fotografien zeige. Von einem Foto wissen sie ganz genau, wie alles aussieht.«

»Siehst du, Mr. Durrell hat deine Frage beantwortet«, der Direktor fuhr sich mit der Hand in den Kragen. »Mr. Durrell hat aber sehr viel zu tun und keine Zeit für weitere Fragen. Bitte, ordnet euch ein.«

Die Jungen stellten sich in zwei tadellosen Reihen auf, der Direktor schüttelte mir die Hand und versicherte noch einmal, wie dankbar sie mir alle waren. Dann wandte er sich wieder an die Jungen.

»Jetzt dankt Mr. Durrell mit drei kräftigen Hurras.«

Zweihundert Jungen brüllten drei kräftige Hurras; dann zogen die Jungen an der Spitze aus Säcken, die sie mit sich trugen, mehrere Bambusflöten und zwei Trommeln. Der Boß winkte mit der Hand und los ging’s, den Weg hinunter, angeführt von der Schulkapelle, die ausgerechnet »Men of Harlech« (Patriotisches Lied der Waliser) spielte. Der Direktor folgte ihnen und wischte sich das Gesicht. Die düsteren Blicke, die den braven Uano trafen, versprachen nichts Gutes für ihn.

Am Abend kam der Fon zu einem Whisky herüber. Als wir ihm die Zugänge unserer Sammlung gezeigt hatten und auf der Veranda saßen, erzählte ich ihm von Uanos »zoologischer« Frage. Der Fon konnte nicht aufhören vor Lachen, vor allem über die Verlegenheit des Direktors.

»Warum sagtest du ihnen nicht«, fragte er und wischte sich die Augen, »daß du die Fotos machst, um allen Europäern zu zeigen, wie schön die Frauen in Bafut sind?«

»Der Junge war noch ein Kind, ich glaube, er war zu klein dafür.

»Das ist wahr«, kicherte der Fon, »er ist ein Kind, er ist glücklich, er hat keine Frauen, die ihn an der Nase herumführen.«

Ich versuchte, die Unterhaltung vom Für und Wider des Ehe?-lebens abzulenken. »Man hat mir erzählt, du wirst morgen nach N’dop gehen. Stimmt das?«

»Ja, das stimmt«, antwortete der Fon, »ich gehe für zwei Tage, es ist Gerichtstag in N’dop. Ich komme zurück morgen nach morgen.«

»Schön!« Ich hob mein Glas, »gute Reise, mein Freund.«

In eine prächtige gelb-schwarze Robe gehüllt und angetan mit einem seltsamen Hut, der reich bestickt und mit langen, herabhängenden Ohrenklappen versehen war, nahm der Fon am nächsten Morgen auf dem Vordersitz seines neuen Jeeps Platz. Auf den Rücksitz kamen die Reiseutensilien, drei Flaschen Whisky, seine Lieblingsfrau und drei Mitglieder des Rates. Lebhaft winkte er uns zu, bis das Fahrzeug um die Ecke verschwunden war.

Als ich am Abend die letzten Pflichten des Tages erledigt hatte, ging ich auf die vordere Veranda, um Luft zu schnappen. Unter mir auf dem großen Hof bemerkte ich eine Menge Kinder des Fon. Neugierig beobachtete ich sie. Sie stellten sich zu einem großen Kreis in der Mitte des Platzes auf und begannen nach langem Hin und Her zu singen und rhythmisch in die Hände zu klatschen. Ein Siebenjähriger, der im Zentrum des Kreises stand, begleitete sie auf einer Trommel. Mit ihren jungen Stimmen sangen sie einige der schönsten und rührendsten Lieder von Bafut. Ich vermutete, daß dies keine gewöhnliche Zusammenkunft war. Die Kinder hatten sich aus einem bestimmten Grund versammelt. Doch konnte ich mir nicht denken, was sie feiern mochten — vielleicht die Abwesenheit ihres Vaters? Ich beobachtete die Kinder eine Zeitlang, bis unser Hausboy, müde und leise, wie es seine Art war, neben mir auftauchte.

»Abendbrot fertig, Sah.«

»Danke, John. Sag mir, warum die Kinder singen im Hof des Fon.«

John lächelte schüchtern.

»Weil der Fon gegangen nach N’dop, Sah.«

»Ja, aber warum singen sie dann?«

»Wenn der Fon nicht sein hier, Sah, diese Kinder müssen singen jeden Abend im Hof des Fon. So sie halten seinen Besitz warm.«

Welch reizende Idee. Ich spähte zu den Kindern hinunter, die vergnügt in der dunklen Weite des Hofes sangen, um den Besitz ihres Vaters warmzuhalten.

»Warum tanzen sie nicht?« fragte ich.

»Sie haben kein Licht, Sah.«

»Bring ihnen unsere Lampe aus dem Schlafzimmer. Sag ihnen, ich schicke sie, damit ich helfen kann, den Besitz ihres Vaters warmzuhalten.«

»Ja, Sah.« John grinste entzückt. Er rannte, um die Lampe zu holen, und bald sah ich einen goldenen Schein um den Kreis der Kinder. Das Singen wurde unterbrochen. John richtete meine Botschaft aus. Dann kam eine Reihe freudiger Juchzer, und die grellen Stimmen tönten zu mir herauf: »Danke, Masa, danke!« Als wir beim Abendessen saßen, sangen die Kinder wie Lerchen. Sie stampften und drehten sich um die Lampe. Ihre langen, schmalen Schatten wurden von der leise zischenden Lampe über den halben Hof geworfen.