DIE KAHLKÖPFIGEN VÖGEL

Jenseits des Cross-Flusses, 13 Kilometer tief im Wald, liegt das winzige Dorf Eshobi. Ich kannte das Dorf und seine Bewohner von einem früheren Aufenthalt her, bei dem es mir mehrere Monate als Stützpunkt gedient hatte. Es war ein gutes Jagdgebiet gewesen, und die Bewohner tüchtige Jäger. Darum versuchte ich jetzt, die Verbindung wieder mit ihnen aufzunehmen, damit sie mir Tiere brächten. Die beste Möglichkeit, Informationen zu erhalten und Nachrichten weiterzuleiten, war die über den Dorfmarkt. Ich rief darum Philipp, unseren Koch. Philipp war ein liebenswürdiger Geselle. Er hatte ein Pferdegebiß und grinste ununterbrochen. Seine Angewohnheit, in steifer militärischer Haltung zu gehen und in Hab-acht-Stellung zu stehen, wenn man mit ihm sprach, ließ eine militärische Ausbildung vermuten, die er jedoch nie gehabt hatte. Er stapfte auf die Veranda und stand kerzengrade wie ein Gardist vor mir.

»Philipp, höre, ich will Eshobi-Mann finden«, sagte ich.

»Ja, Sah.«

»Gut. Wenn du zum Markt gehst, geh Eshobi-Mann suchen und bringe ihn zu mir. Ich will ihm Brief nach Eshobi geben.«

»Ja, Sah.«

»Nicht vergessen, eh? Nun geh’, Eshobi-Mann finden.«

»Ja, Sah«, sagte Philipp und trabte in seine Küche zurück. Auf unnötige Unterhaltung verschwendete er nie viel Zeit. Zwei Tage vergingen, ohne daß ein Mann aus Eshobi auftauchte. Da mich andere Dinge beschäftigten, vergaß ich die Angelegenheit. Am vierten Tag marschierte Philipp triumphierend den Weg herunter, einen sehr ängstlich dreinschauenden vierzehnjährigen Jungen im Schlepptau. Offensichtlich hatte der Bursche für den Besuch in der Metropole Mamfe seine Sonntagskleider angezogen. Seine bezaubernde Ausstaffierung bestand aus einem Paar zerknitterter Khaki-Hosen und einem schmutzig-weißen Hemd, das vermutlich aus einem Sack geschneidert war und auf dem Rücken in blauen Buchstaben die vielsagenden und dekorativen Worte PRODUCE OF GR trug. Auf seinem Kopf thronte ein Strohhut, dem Alter und langes Tragen eine gefällige Tönung von Silbergrün gegeben hatten. Die nur widerstrebende Erscheinung wurde von seinem Wärter auf die vordere Veranda gezogen. Dort stand Philipp nun stolz in Habacht-Stellung mit der Miene eines Mannes, der einen besonders komplizierten Zaubertrick fertiggebracht hatte. Ich hatte einige Zeit gebraucht, bis ich Philipps eigentümliche Art zu sprechen verstand. Er sprach sein Pidgin-Englisch sehr schnell und mit einer Lautstärke, die für Taube bestimmt schien. Sein Organ war eine Mischung zwischen Fagott und Regimentsfeldwebel.

»Wer ist das?« fragte ich und sah auf den Jungen.

Philipp schien verletzt, »Dieses ist Mann, Sah«, brüllte er, als ob er es einem völlig verblödeten Kind erklärte. Er starrte auf seinen Schützling und gab dem Unglücklichen auf die Schulter einen Schlag, der ihn um ein Haar von der Veranda schleuderte.

»Ich kann sehen, daß es ein Mann ist«, sagte ich geduldig. »Aber was will er?«

Philipp sah den zitternden Jüngling wild an und gab ihm einen zweiten Schlag zwischen die Schulterblätter.

»Sprich jetzt!« brüllte er. »Sprich, Masa warten.«

Wir warteten. Der Junge scharrte mit den Füßen, spielte vor Verlegenheit mit den Zehen, lächelte uns mit einem kleinen, verwässerten Lächeln an und sah auf den Boden. Wir warteten geduldig. Plötzlich sah er auf, nahm seine Kopfbedeckung ab, beugte den Kopf und sagte:

»Guten Morgen, Sah.«

Philipp strahlte mich an, als erkläre dieser Gruß die Anwesenheit des Burschen. Da ich sah, daß mein Koch keine Begabung zum geschickten, taktvollen Interviewer hatte, nahm ich mich selbst der Sache an.

»Mein Freund, wie heißt du?« fragte ich.

»Peter, Sah«, antwortete er kläglich.

»Er heißen Peter«, bellte Philipp für den Fall, daß ich nicht verstanden haben sollte.

»Nun, Peter, warum kommst du, mich zu sehen?« forschte ich.

»Masa, dieser Mann, dein Koch, er sagen mir, Masa wollen Mann für Brief bringen nach Eshobi«, sagte der Jüngling kleinlaut.

»Ah, du bist der Eshobi-Mann.« Mir ging ein Licht auf.

»Ja, Sah.«

»Philipp«, sagte ich, »du bist ein ausgemachter Idiot.«

»Ja, Sah«, stimmte Philipp mir bei, zufrieden mit dieser unerwarteten Feststellung.

»Warum sagst du nicht, dies Eshobi-Mann?«

»Wah!« schnappte Philipp, bis in die Tiefe seiner Feldwebelseele getroffen, »aber ich sagen, dies sein Mann.«

Da ich sah, daß mit Philipp nichts anzufangen war, wandte ich mich wieder dem Jüngling zu. »Höre, Peter, du kennen in Eshobi einen Mann, sie ihn nennen Elias?«

»Ja, Sah, ich ihn kennen.«

»Gut. Du gehst und sagst Elias, daß ich wieder in Kamerun bin, um Fleisch zu fangen. Du gehst und sagst ihm, daß ich ihn wieder brauche. Du sagst ihm, er soll kommen nach Mamfe und mit mir sprechen. Du sagst ihm, dieser Masa lebt in U.A.C.-Haus, du hören?«

»Ich hören, Sah.«

»Gut. Du gehst also nach Eshobi schnell-schnell und erzählst Elias. Ich gebe dir diese Zigaretten, so bist du glücklich, wenn du durch Busch gehst.«

Er nahm das Päckchen Zigaretten in beide Hände, verbeugte sich und strahlte mich dann an.

»Danke, Masa«, sagte er.

»Schon gut..., geh jetzt nach Eshobi, lauf schnell.«

»Danke, Masa«, wiederholte er. Er stopfte die Zigaretten in die Tasche seines ungewöhnlichen Hemdes und trottete den Weg hinunter.

Vierundzwanzig Stunden später war Elias zur Stelle. Während meines früheren Aufenthaltes in Eshobi hatte er zu meinen ständigen Jägern gehört. Ich freute mich, als ich seine fette, wabbelnde Gestalt auf mich zukommen sah. Seine affenähnlichen Züge öffneten sich zu einem breiten Grinsen entzückten Erkennens. Als die Begrüßungszeremonien vorüber waren, überreichte er mir ein Dutzend sorgfältig in Bananenblätter eingepackte Eier. Ich revanchierte mich mit einer Schachtel Zigaretten und einem Jagdmesser, das ich für ihn aus England mitgebracht hatte. Dann verloren wir uns in dem ernsthaften Gespräch über Tiere. Zunächst erzählte er mir von all den Tieren, die er während meiner achtjährigen Abwesenheit gefangen hatte, und was aus meinen zahlreichen Jägerfreunden geworden war. Der alte N’ago war von einer Buschkuh getötet worden; Andraia hatte ein Wasserbüffel gebissen; Samuels Gewehr war losgegangen und hatte einen Teil seines Armes abgerissen, was Elias sehr spaßig fand; John schließlich hatte kürzlich das größte Buschschwein, das ihm je unter die Augen gekommen war, getötet und das Fleisch für mehr als 40 Schilling verkauft. Dann sagte Elias plötzlich etwas, was meine Aufmerksamkeit ganz in Anspruch nahm.

»Masa, erinnern diesen Vogel, Masa so gern haben?« fragte er mit seiner rauhen Stimme.

»Welchen Vogel, Elias?«

»Vogel, der nicht haben Haare auf Kopf. Letztes Mal Masa in Mamfe, ich bringen Masa zwei davon.«

»Vogel, der sein Haus aus Lehm macht? Vogel, rot auf dem Kopf?« fragte ich aufgeregt.

»Ja, dieser Vogel«, stimmt Elias zu.

»Nun, was ist mit ihm?« Meine Stimme bebte vor Neugier. »Wenn ich hören, Masa sein gekommen zurück nach Kamerun, ich gehen in Busch zu sehen diesen Vogel«, erklärte er. »Ich erinnern, Masa lieben diesen Vogel zu sehr. Ich suchen, suchen in Busch, zwei, drei Tage.«

Er hielt inne und sah mich augenzwinkernd an.

»Na und?«

»Ich ihn finden, Masa.« Er grinste von einem Ohr zum anderen.

»Du ihn finden?« Ich konnte mein Glück kaum fassen. »Wo ist er? Wie viele hast du gesehen. An welchem Ort?«

»Er da, da«, unterbrach Elias die Flut meiner aufgeregten Fragen. »Für Haus er haben großen, großen Felsen. Er leben oben auf Berg. Er haben Haus auf großem Felsen.«

»Wie viele Häuser hast du gesehen?«

»Ich sehen drei, Sah. Aber nie machen fertig ein Haus, Sah.«

»Was bedeutet diese Aufregung?« fragte Jacquie, die eben auf die Veranda herauskam.

»Picathartes«, sagte ich kurz. Und es spricht für sie, daß sie sofort wußte, worum es ging.

Picathartes ist ein Vogel, den man bis vor wenigen Jahren nur von einzelnen ausgestopften Museumsexemplaren her kannte. Kaum mehr als zwei Europäer hatten ihn in der Natur beobachtet. Cecil Webb, seinerzeit offizieller Tierfänger des Londoner Zoos, gelang es, das erste Exemplar dieses seltenen Vogels zu fangen und mit nach England zu bringen. As ich sechs Monate nach ihm in Kamerun war, hatte man mir zwei erwachsene Exemplare gebracht; doch leider starben sie auf der Heimreise an einer bösartigen Lungenkrankheit. Jetzt hatte Elias eine Brutkolonie entdeckt. Wenn wir Glück hatten, mußte es uns gelingen, einige Junge zu fangen und aufzuziehen.

»Dieser Vogel hat Junge im Haus?« fragte ich Elias. »Manchmal er haben Junge, Sah«, antwortete er zögernd. »Ich Vogel nie sehen im Haus. Ich fürchten, er wegfliegen.«

»Also«, sagte ich und wandte mich an Jacquie, »da gibt es nur eins, ich muß nach Eshobi gehen und selbst nachsehen. Du und Sophie, ihr bleibt hier und kümmert euch um die Sammlung, Bob werde ich mitnehmen. Wir werden ein paar Tage lang nach dem Picathartes ansitzen. Selbst, wenn sie keine Jungen haben, möchte ich sie in der Natur beobachten.«

»Gut. Wann werdet ihr aufbrechen?« fragte Jacquie. »Morgen, wenn ich bis dahin Träger bekomme. Rufe Bob und sage ihm, daß wir endlich in den Busch gehen werden; sag ihm auch, er solle seine Ausrüstung zum Schlangenfangen mitnehmen.«

Am nächsten Morgen also, als es noch verhältnismäßig kühl war, erschienen acht Afrikaner vor John Hendersons Haus. Nach dem üblichen Gezänk, wer was tragen sollte, luden sie unsere Bündel auf ihre wolligen Köpfe und machten sich auf den Weg nach Eshobi. Als wir den Fluß überquert hatten, führte der Weg die kleine Kavalkade durch das Grasfeld unserer vergeblichen Schlangenjagd. Dann versanken wir im geheimnisvollen Dunkel des Waldes. Der Pfad nach Eshobi wandte und schlängelte sich durch die Bäume in unzähligen verschlungenen Windungen, die einen römischen Straßenbaumeister entsetzt hätten. Manchmal führte er beinahe im Kreis herum, um einem großen Felsen oder einem gefallenen Baum auszuweichen. Dann wieder lief er schnurgerade über alle diese Hindernisse hinweg, und unsere Träger mußten anhalten und die Lasten von Hand zu Hand über den Baumstamm heben oder von einer kleinen Klippe hinunterreichen. Ich hatte Bob darauf vorbereitet, daß wir kaum »wilde« Tiere auf unserem Marsch antreffen würden. Doch hielt ihn das nicht davon ab, jeden morschen Baumstumpf zu attackieren, in der Hoffnung, irgendein seltenes Tier aus seinem Innern herauszuholen. Es ärgert mich immer wieder, von dem gefährlichen tropischen Urwald zu hören oder zu lesen, in dem es angeblich von wilden Tieren nur so wimmelt. Zum einen ist der tropische Urwald nicht gefährlicher als der Schwarzwald im Hochsommer, und zum andern wimmelt es dort nicht von wilden Tieren, derart, daß hinter jedem Busch eine wütende Bestie sitzt, die darauf wartet, einen anzuspringen. Natürlich gibt es Tiere. Doch gehen sie dem Menschen vernünftigerweise aus dem Wege. Ich möchte denjenigen sehen, der nach einem Marsch durch den Wald nach Eshobi für die »wilden Tiere«, die ihm begegnet sind, alle seine Finger zum Abzählen braucht. Wie schön wäre es für mich, wenn diese Märchen wahr wären. Wie schön wäre es, wenn jeder Busch einen »wilden Bewohner des Waldes« beherbergte, der darauf wartet, einen anzuspringen. Die Arbeit eines Tierfängers wäre viel leichter.

Die einzigen wilden Lebewesen entlang des Eshobi-Pfades waren Schmetterlinge, und auch sie zeigten keine Lust, uns anzugreifen. Am Boden jeder kleinen Talsohle, in die der Pfad eintauchte, befand sich ein winziges Flüßchen. Auf den feuchten, schattigen Ufern entlang dem klaren Wasser saßen diese Schmetterlinge in Scharen. Von weitem schien das Flußufer zu opalisieren, die Farben wechselten von flammenrot zu weiß, von himmelblau zu violett und purpurrot, wenn die Insekten wie im Trancezustand die Flügel langsam öffneten und schlossen, als applaudierten sie dem kühlen Schatten. Die braunen, kräftigen Beine unserer Träger wateten gleichgültig hindurch, so daß wir plötzlich bis zur Taille in einem wirbelnden Farbkarussell standen. Die Schmetterlinge gaukelten und schwärmten um uns herum und ließen sich, wenn wir vorüber waren, wieder auf dem dunklen Boden nieder, der üppig und feucht wie eine Obsttorte und ebenso duftig und locker war.

Ein weitausladender alter Baum markierte die erste Weghälfte nach Eshobi. Er war so in ein Netz von verschlungenen Lianen eingesponnen, daß man ihn kaum sah. Hier war Rastplatz. Die Träger, die den Atem grunzend und zischend durch die Zähne stießen, luden ihre Lasten ab und hockten sich neben sie. Der Schweiß glänzte auf ihrer Haut. Ich reichte Zigaretten herum. Wir saßen da und genossen sie schweigend. In dem trüben, kirchenähnlichen Dämmer des Waldes bewegte sich nicht ein Lüftchen; der Rauch stieg kerzengerade auf und formte in der Luft blaue Säulen. Es gab nur ein Geräusch, den unablässigen kreissägeartigen Gesang der großen grünen Zikaden, die an jedem Baum hingen. In der Ferne hörte man das trunkene Geschrei eines großen Schwarms Hornvögel.

Beim Rauchen beobachteten wir die braunen Skinke, die zwischen den Baumwurzeln jagten. Diese kleinen Echsen sehen immer sauber und glänzend aus, als wären sie eben aus einer Schokoladenmasse gestiegen — glitzernd und unberührt. Sie bewegten sich langsam und vorsichtig, gerade als fürchteten sie, ihre wunderschöne Haut zu beschmutzen. Mit blanken Augen lugten sie von einer Seite zur anderen, wenn sie durch die Welt der braunen toten Blätter glitten, durch Wälder winziger Giftpilze und Mooswiesen, die wie ein Teppich die Steine bedeckten. Ihre Beute waren die zahllosen Bewohner des Waldbodens; kleine schwarze Käfer, die wie verspätete Trauergäste dahereilten; die langsamen, leichtgleitenden Waldschnecken, die ein Silberfiligran von Schleim über die Blätter woben, und die kleinen, nußbraunen Grillen, die im Schatten hockten und ihre ungeheuer langen Fühler hin und her bewegten, wie Sonntagsfischer an einem Flußufer.

In den dunklen, feuchten Vertiefungen zwischen den Brettwurzeln unseres Baumes lebten Schwärme einer Insektenart, die mich stets fasziniert hatten. Sie sahen aus wie kleine schlafende Langbeiner und hatten undurchsichtige, nebelweiße Flügel. In Gruppen zu zehn saßen sie da, zitterten leicht mit den Flügeln und bewegten die zerbrechlichen Beine wie nervöse Pferde auf und nieder. Wenn man sie störte, schwärmten sie auf und tanzten einen Reigen, der sehr amüsant zu beobachten war. Sie stiegen etwa 20 Zentimeter auf und bildeten einen Kreis von der Größe einer Untertasse. Dann flogen sie ungeheuer geschwind im Kreis herum. Einige schossen über ihn hinaus, während die übrigen weiter wie ein Rad herumwirbelten. Aus der Entfernung wirkte das Ganze fast überirdisch, denn die Insekten glichen einem wirbelnden und schimmernden Nebelball, der von Zeit zu Zeit seine Form etwas veränderte, aber stets an der gleichen Stelle verharrte. Die Tiere flogen so schnell, und ihre Leiber waren so zierlich, daß man nur den Schimmer ihrer weißen Flügel erkennen konnte. Ich gestehe, dieses Schauspiel begeisterte mich so, daß ich im Walde oft vom Wege abging, um Gruppen dieser Insekten aufzustöbern, damit sie für mich tanzten.

Zu Mittag kamen wir in Eshobi an, das sich in den acht Jahren seit meinem letzten Hiersein kaum verändert hatte. Da stand immer noch das Häufchen strohgedeckter Hütten in zwei unregelmäßigen Reihen, zwischen denen ein breiter, staubiger Weg lag. Dieser Weg war zugleich Hauptstraße des Dorfes, Spielplatz für Kinder und Hunde und Auslauf für die Hühner. Elias kam uns entgegengewatschelt, um uns zu begrüßen. Dabei mußte er sich vorsichtig einen Weg durch die herumkriechenden Babies und anderen Lebewesen suchen. Zwei kleine Jungen mit zwei großen grünen Kokosnüssen auf dem Kopf folgten ihm.

»Willkommen, Masa. Du kommen«, rief er heiser.

»Wie geht’s Elias«, antwortete ich. Fröhlich grinste er uns an, als die Träger unsere Ausrüstung über die Dorf Straße verteilten.

»Masa trinken diese Kokosnuß?« fragte er erwartungsvoll und schwenkte dabei seine Machete.

»Ja, gern«, sagte ich und betrachtete dabei durstig die beiden riesigen Nüsse.

Elias setzte sich in Bewegung. Man holte zwei wacklige Stühle herbei, auf die Bob und ich an einem schattigen Fleck inmitten der Dorfstraße plaziert wurden. Tief beeindruckt und höflich schweigend standen die Eshobiten um uns herum. Mit raschen, genauen Schnitten seiner Machete entfernte Elias die dicke Schale der Nuß. Als die Spitzen freigelegt waren, schnitt er sie beide geschickt ab und überreichte sie uns sauber geöffnet, so daß wir den süßen, kühlen Saft trinken konnten. Jede Nuß enthielt ungefähr zweieinhalb Glas durstlöschenden, hygienisch versiegelten Nektars, und wir kosteten jeden Schluck aus.

Nach der Rast mußten wir unseren Lagerplatz einrichten. Etwa 200 Meter vom Dorf entfernt gab es ein Flüßchen, an dessen Ufern wir eine Stelle aussuchten, die nicht schwer herzurichten war. Mit Macheten bewaffnet, schnitten einige von uns alle kleinen Büsche und Reiser ab; andere ebneten mit kurzstieligen, breitklingigen Hacken die rote Erde. Nach den üblichen afrikanischen Ausbrüchen, Beschimpfungen, Sitzstreiks und kleineren Zänkereien, war das Gebiet schließlich bearbeitet und glich nun einem schlecht gepflügten Acker. Wir konnten unsere Zelte aufbauen. Während das Essen zubereitet wurde, gingen wir zum Fluß hinunter und wuschen in dem eisigen Wasser Schmutz und Staub von unseren Gliedern. Dabei beobachteten wir, wie uns die rosa und braunen Krabben zwischen den Steinen mit ihren Scheren zuwinkten. Wir fühlten, wie winzige lichtblaue und rote Fische zärtlich an unseren Zehen nuckelten. Erfrischt gingen wir zurück ins Lager, wo langsam Ordnung eintrat. Nach dem Essen kam Elias und hockte sich in den Schatten unseres Zeltes. Jetzt konnten wir unsere Jagdpläne besprechen. »Wann sehen wir diesen Vogel, Elias?« fragte ich.

»Eh, Masa wissen, jetzt zu heiß. Jetzt Vogel suchen Essen in Busch. Am Abend, wenn kalt, er kommen nach Hause und arbeiten. Dann wir gehen sehen.«

»Gut, dann kommst du zurück um 4 Uhr, hörst du? Dann sehen wir diesen Vogel, eh?«

»Ja, Sah«, sagte Elias und stand auf.

»Und wenn du nicht die Wahrheit sprichst, wenn wir diesen Vogel nicht sehen, wenn du Spaß machst, werde ich dich erschießen, Buschmann, hörst du?«

»Eh«, rief Elias kichernd, »ich nie machen Spaß mit Masa, ich sprechen wahr.«

»Nun, bis bald.«

»Ja, Sah.« Elias zog den Sarong um seine massiven Hüften und trabte zum Dorf zurück.

Um 4 Uhr war die Sonne hinter den höchsten Waldbäumen verschwunden. Die dämmrige, warme Ruhe des Abends lag in der Luft. Elias kam zurück. Anstelle seines grellbunten Sarongs hatte er jetzt einen viel zu kleinen, schmutzigen Fetzen um die Lenden geschlungen. Nachlässig winkte er mit der Machete. »Ich sein gekommen, Masa«, verkündete er. »Masa fertig?«

»Ja«, sagte ich und band Feldstecher und Fangsack um, »auf geht’s, Jägersmann.«

Elias führte uns die staubige Hauptstraße hinunter und bog dann plötzlich in einen kleinen Pfad zwischen den Hütten ein. Dieser Pfad führte auf ein Fleckchen Ackerland, das von federblättrigen Casava-Büschen und staubigen Bananenpflanzen übersät war. Unvermittelt tauchte der Pfad in einen kleinen Fluß und wand sich dann in den Wald. Noch auf der Dorfstraße hatte Elias mir einen Hügel gezeigt, auf dem der Picathartes leben soll. Es sah zwar so aus, als sei er ganz nahe, doch wußte ich zu genau, wie leicht das täuschte. Der Kamerunwald ist wie Alices Spiegelgarten. Das Ziel scheint dir vor der Nase zu liegen, doch wenn du darauf zugehst, weicht es aus. Manchmal mußt du, genau wie Alice im Wunderland, in die entgegengesetzte Richtung marschieren, damit du überhaupt hinkommst.

Genauso war es mit diesem Hügel. Der Pfad führte nicht etwa gerade darauf zu, nein, er wand sich aufs Gratewohl durch den Wald, so daß ich schließlich glaubte, ich habe den falschen Hügel gesehen. Da endlich begann der Pfad entschlossen anzusteigen. Wir hatten offensichtlich den Fuß des Hügels erreicht. Elias wich vom Wege ab und hackte sich mit seiner Machete einen Pfad durch Lianen und Dornbüsche. Dabei zischte er leise durch die Zähne. Seine Füße huschten geräuschlos über den weichen Waldboden. Sehr bald arbeiteten wir uns einen Pfad hinauf, der so steil war, daß meine Augen oft in gleicher Höhe mit Elias Füßen waren.

Die meisten Hügel und Berge Kameruns sind eigentümlich geformt und für den Bergsteiger ermüdend. Es sind uralte vulkanische Eruptionen, die von den unterirdischen Kräften ungleichmäßig nach oben geschleudert worden sind. Dieser Entstehung verdanken sie ihre seltsamen, erstaunlich geometrischen Formen. Da gibt es fehlerlose gleichschenklige Dreiecke, spitze Winkel, kegel- und würfelförmige Hügel; die Formen sind so mannigfaltig, daß es keinen Menschen wundern würde, wenn er die schwierigsten und unverständlichsten Lehrsätze des Pythagoras darunter fände.

Der Hügel, den wir jetzt erklommen, war ein fast regelmäßiger Kegel. Nach einer Strecke Wegs meinte man, er sei viel steiler, als er zuerst ausgesehen hatte, und nach einer Viertelstunde glaubte man, das Gelände stiege im Verhältnis eins zu eins. Elias erklomm den Hügel, als ginge er auf einer ebenen Schotterstraße; geschickt duckte und wand er sich zwischen den Zweigen und dem überhängenden Unterholz hindurch. Bob und ich folgten ihm schwitzend und keuchend, manchmal auf allen Vieren, um mit ihm Schritt zu halten. Gerade unterhalb des Gipfels flachte sich die Böschung zu unserer Erleichterung ab. Durch das Gewirr der Bäume konnten wir vor uns ein 15 Meter hohes Granitkliff erkennen, das mit Farnen und Begonien bewachsen war. An seinem Fuß lag verstreut eine Masse großer, vom Wasser geglätteter Felsblöcke.

»Dies sein Platz, Masa«, sagte Elias und plazierte sein fettes Hinterteil auf einem Fels.

»Endlich«, sagten Bob und ich wie aus einem Munde. Wir setzten uns ebenfalls hin, um wieder zu Atem zu kommen.

Als wir uns ausgeruht hatten, führte uns Elias durch den Irrgarten von Felsblöcken bis zu einer Stelle, wo sich das Kliff über die darunterliegenden Felsen vorwölbte. Wir gingen eine Weile unter diesem Überhang dahin, bis Elias plötzlich anhielt.

»Das ist sein Haus, Masa«, sagte er. Dabei grinste er voller Stolz und zeigte seine schönen Zähne. Er wies in die Höhe zu der Felswand, und da sah ich, etwa drei Meter über uns, das Nest eines Picathartes.

Auf den ersten Blick glich es einem großen Schwalbennest aus rötlichbraunem Schlamm und winzigen Wurzeln. In den Lehm der unteren Seite waren längere Wurzeln und Grashalme hineingewoben, die wie ein Bart herunterhingen. Es war schwer zu beurteilen, ob dies von unsauberer Arbeit des Vogels herrührte oder den Zweck der Tarnung hatte. Selbstverständlich verbarg der herunterhängende Bart das Nest, das an der verwitterten Felswand klebte und einem Büschel aus Schlamm und Gras glich. Das Nest war so groß wie ein Fußball und durch den Felsüberhang gegen Regen geschützt. Zuerst mußten wir einmal nachsehen, ob das Nest bewohnt war. Zu unserem Glück wuchs gegenüber ein großer, schlanker Baum, auf den wir kletterten und in das Innere des Nestes spähten. Leider stand es leer, jedoch für die Ablage von Eiern bereit; denn es war mit feinen Wurzeln ausgelegt, die der Vogel zu einer federnden Matte verwoben hatte. In einiger Entfernung fanden wir noch zwei Nester, von denen das eine dem vorigen glich und das andere erst halbfertig war. Junge oder Eier entdeckten wir nicht.

»Wenn wir uns verstecken kurze Zeit, dieser Vogel kommen«, meinte Elias.

»Bist du sicher?« fragte ich zweifelnd.

»Ja, Sah, wirklich, Sah.«

»Gut, wir warten kurze Zeit.«

Elias führte uns zu einer Höhle, die aus dem Kliff herausgewaschen und deren Öffnung von einem Felsblock verschlossen war. Hinter diesen natürlichen Vorhang kauerten wir uns. Wir konnten die Front der Klippe mit den Nestern deutlich erkennen, während uns selbst die Felsen vollständig verdeckten. Wir warteten.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, und es wurde recht dunkel im Walde. Durch das Geflecht von Blättern und Lianen über uns schimmerte der Himmel grün mit goldenen Flecken. Man konnte meinen, man sähe einen riesigen Drachen durch die Bäume. Die typischen Abendgeräusche des Waldes waren jetzt zu hören. In der Ferne vernahm man das anhaltende Lärmen eines Trupps Mona-Affen, die auf dem Weg zum Nachtlager von einem Baum zum anderen sprangen; es klang wie die schwere Brandung an felsiger Küste, durch gelegentliche »Oink-oink«-Schreie der Affen unterbrochen. Sie kamen irgendwo am Fuß des Hügels unter uns vorbei, doch konnten wir sie durch das dichte Buschwerk nicht sehen. Den Affen folgten wie üblich die Hornvögel. Wir hörten ihre ungewöhnlich lauten Flugbewegungen, wenn sie von Baum zu Baum flogen. Zwei Vögel des Schwarms warfen sich in die Zweige über uns. Wir erkannten ihre Silhouette gegen den grünen Himmel. Sie waren in eine lange und komplizierte Unterhaltung vertieft, nickten und wiegten die Köpfe, sperrten die großen Schnäbel auf und schrien und jammerten hysterisch. Die phantastischen Köpfe mit den wurstförmigen Helmen und den riesigen Schnäbeln hoben sich gegen den Himmel ab wie geisterhafte Teufelsmasken aus einem ceylonesischen Tanz.

Das nicht endenwollende Insektenkonzert hatte sich mit dem Anbruch der Dunkelheit vertausendfacht, und das Tal unter uns schien davon zu vibrieren. Irgendwo begann ein Laubfrosch seinen Gesang mit einem langen, trillernden Ton, auf den eine Pause folgte, als ob er mit einem winzigen Luftbohrer ein Loch durch den Baum bohre und hin und wieder anhalten müsse, um sein Instrument auskühlen zu lassen. Plötzlich hörte ich ein neues Geräusch, einen Ton, den ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Fragend blickte ich zu Elias hinüber. Er hatte sich gerade aufgerichtet und spähte in das dämmrige Lianen-Blättergeflecht um uns herum.

»Na, was ist das?« flüsterte ich.

»Vogel, Sah.«

Der erste Schrei kam von weit unterhalb des Hügels, ihm folgte ein zweiter, viel näherer. Ich kann den seltsamen Ton nur sehr mangelhaft beschreiben, es klang wie das plötzliche scharfe Japsen eines Pekinghündchens, nur flötenähnlicher und klagender. Wieder und wieder hörten wir den Schrei. Den Vogel jedoch konnten wir nicht sehen. Angespannt starrten wir durch das Dunkel.

»Meinst du, daß es der Picathartes ist?« flüsterte Bob.

»Ich weiß nicht... ich habe diesen Ton noch nie gehört.« Eine Weile hörten wir nichts. Dann plötzlich klang es nahe. Unbeweglich lagen wir hinter unserem Felsen. Dicht vor uns stand ein neun Meter hoher Baum, von dem Gewicht einer Liane gebeugt, die sich wie ein dickes Seil um ihn herumschlang. Der Hauptstamm war durch das Gezweig eines noch näher stehenden Baums verborgen. Während alles um uns herum dämmrig und verschwommen blieb, stand dieser junge Baum, von der ihn erstickenden Liane liebevoll umschlungen, in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die das ganze Arrangement wie ein übergenau gemaltes Gemälde hervortreten ließ. Und dann erschien plötzlich auf dieser kleinen Bühne ein wirklicher, lebender Picathartes.

Ich sage »plötzlich« und meine es auch so. Im tropischen Wald nähern sich Tiere und Vögel im allgemeinen so lautlos, daß sie plötzlich, unerwartet, wie von Zauberhand hervorgebracht, vor einem auftauchen. Die dicke Liane hing in einer riesigen Schlinge vom Wipfel des Baumes herab. Auf dieser Schlinge trat der Vogel in Erscheinung, leicht schwingend, den Kopf zur Seite gewandt, als lausche er. Es ist immer erregend, ein Tier in seiner natürlichen Umwelt zu beobachten. Hat man gar eine Seltenheit vor sich, ein Geschöpf, das bisher höchstens ein Dutzend Menschen gesehen hat, ist man völlig gebannt und verzaubert. Bob und ich lagen da und starrten heiß und begierig auf den Vogel, wie ein paar Philatelisten, die in einem Kinderalbum eine blaue Mauritius entdeckt haben.

Der Picathartes war ungefähr so groß wie eine Dohle, sein Körper hatte jedoch die rundlichen, geschmeidigen Formen einer Amsel. Er hatte lange, kräftige Beine und große, offensichtlich scharfe Augen. Die Brust war von zartem, sahnigem Chamois. Der Rücken und der lange Schwanz hatten ein wunderbar blasses, leicht eingestaubtes Schiefergrau. Das Ende der Schwingen war schwarz. Dieses Schwarz unterstrich raffiniert die Farbe der Brust und des Rückens. Am meisten zog der Kopf den Blick an und ließ ihn nicht wieder los. Stirn und Scheitel dieses völlig kahlen Schädels zeigten ein lebhaftes Himmelblau, der Hinterkopf ein rosiges, leuchtendes Krapprot, Seiten und Wangen waren schwarz. Im allgemeinen wirkt ein kahlköpfiger Vogel ziemlich aufreizend; man meint, er litte an einer schweren, unheilbaren Krankheit. Picathartes jedoch mit seinem dreifarbigen Kopf sah großartig aus, es schien, als trage er eine Krone.

Als er einige Minuten auf der Liane gehockt hatte, flog er auf den Boden und sprang mit gewaltigen Sprüngen zwischen den Felsen hin und her. Diese Sprünge glichen eigentlich gar nicht denen eines Vogels. Picathartes schien dabei in die Luft zu schnellen, als wären seine kräftigen Beine Sprungfedern. Dann entschwand er unseren Blicken, und wir hörten seinen Ruf, der fast augenblicklich von einem zweiten auf dem Kliff beantwortet wurde. Als wir aufsahen, erblickten wir einen Picathartes auf dem Zweig über uns. Er äugte auf die Nester an der Vorderseite des Kliffs. Plötzlich drehte sich der Vogel abwärts und ließ sich auf einem der Nester nieder; er sah umher und beugte sich vor, um eine winzige, haarfeine Wurzel ordentlich zu biegen, die nicht am richtigen Fleck zu sein schien. Dann sprang er in die Luft — ich kann es nicht anders nennen — und schwang sich den Hügel hinab in den düsteren Wald hinein. Der zweite Picathartes kam zwischen den Felsen hervor und folgte ihm. Kurz darauf hörten wir ihre klagenden Rufe.

»Ah«, sagte Elias; er stand auf und streckte sich. «Er fort.«

»Er kommt nicht zurück?« fragte ich und knuffte dabei mein Bein, das eingeschlafen war.

»Nein, Sah. Er gehen in Busch zu dickem Stamm und schlafen. Morgen er kommen zurück und arbeiten an diesem Haus.«

»Gut, dann können auch wir nach Eshobi gehen.«

Der Abstieg ging wesentlich schneller als der Anstieg. Unter dem dichten Baldachin der Bäume war es jetzt so dunkel, daß wir wieder und wieder den Pfad verfehlten und lange Strecken den Hügel hinabrutschten. Verzweifelt griffen wir nach Bäumen und Wurzeln, um unser Tempo zu stoppen. Zerschunden, zerkratzt und mit Laub bedeckt, langten wir endlich auf dem Eshobi-Boulevard an. Ich war überglücklich, endlich einen lebenden Picathartes in seiner eigenen Umgebung gesehen zu haben, doch gleichzeitig enttäuscht, denn ich wußte, daß wir kaum einen Jungen würden fangen können. Darum war es sinnlos, noch länger in Eshobi zu bleiben und besser, am nächsten Morgen nach Mamfe zurückzukehren. Auf dem Rückweg konnten wir vielleicht einige andere Tiere fangen. Eine der vielversprechenden Möglichkeiten, in Kamerun Tiere zu fangen, ist die, hohle Bäume auszuräuchern. Ich hatte auf dem Weg nach Eshobi mehrere hohle Baumriesen entdeckt, die eine genauere Untersuchung lohnen würden.

Zeitig packten wir am nächsten Morgen unsere Siebensachen zusammen und schickten die Träger damit voraus. Bob und ich, Elias und drei weitere Jäger aus Eshobi folgten ihnen langsam nach.

Unser erster Baum stand etwa fünf Kilometer von Eshobi entfernt ziemlich nahe am Weg; er war 30 bis 40 Meter hoch und hohl wie eine Trommel. Einen Baumstamm auszuräuchern ist eine Kunst für sich und eine langwierige und manchmal schwierige Arbeit. Vor dem Ausräuchern sollte man womöglich untersuchen, ob sich die Mühe lohnt. Hat der Baum an seinem Fuß ein Loch — und die meisten haben eins — so ist das verhältnismäßig einfach. Man braucht nur den Kopf hineinzustecken, während ein anderer mit einem Stock gegen den Stamm schlägt. Sind Tiere in dem Baum, wird man sie unruhig hin- und herlaufen hören. Sollte man sie etwa nicht hören, zeigen sie ihre Anwesenheit durch einen Regen staubigen, verrotteten Holzes an, der im Stamm herunterrieselt. Ist man sicher, daß sich weitere Mühe lohnt, muß man den Stamm mit Feldstechern nach möglichen Löchern, aus denen die Tiere entweichen können, absuchen und sie mit Netzen bedecken. Dann wird ein Mann in den Baum gesetzt, um jedes Tier, das oben herauskommen will, zu schnappen. Ebenso müssen die Löcher am Fuß des Baumes mit Netzen verschlossen werden. Die heikelste Angelegenheit ist das Entzünden des Feuers. Da das Innere solcher Bäume meistens morsch ist und wie Zunder brennt, muß man sehr vorsichtig zu Werke gehen, damit nicht etwa der ganze Baum in Flammen steht. Zuerst entfacht man aus trockenen Zweigen, Moos und Blättern ein kleines Feuerchen; sobald es hell brennt, bedeckt man es nach und nach mit immer größeren Mengen grüner Blätter, damit die Flamme nicht auflodert, sondern nur glimmt, und ein dicker, stechender Rauch aufsteigt, der von dem hohlen Baum wie ein Kamin hochgesaugt wird. Dabei kann nun alles mögliche passieren und für gewöhnlich geschieht auch alles mögliche; denn diese hohlen Bäume beherbergen oft eine teuflische Vielfalt von Einwohnern — von fauchenden Kobras bis zu Zibetkatzen, von Riesenschlangen bis zu Fledermäusen. Deshalb ist es eines der Hauptvergnügen beim Ausräuchern, daß man nie weiß, was alles zum Vorschein kommt.

Unser erster Baum war nicht besonders ertragreich. Ans Tageslicht kamen eine Handvoll blattnasiger Fledermäuse, mit Gesichtern, die unseren Wasserspeiern erstaunlich ähneln, drei riesige Tausendfüßler, die wie Frankfurter Würstchen mit einer Franse aus Beinen aussahen, und eine kleine Haselmaus, die einen der Jäger in den Daumen biß und dann ausrückte. Wir nahmen also die Netze wieder ab, löschten das Feuer und zogen weiter. Der nächste Baum war bedeutend größer und hatte einen unheimlichen Umfang. An seinem Fuß klaffte ein riesiger Spalt von der Größe einer Kirchentür, so daß vier Mann bequem im dunklen Innern des Stammes stehen konnte. Als Antwort auf die Schläge mit der Machete kamen undeutliche, schlurrende Geräusche, und ein Schauer von Staub und morschem Holz fiel auf unsere nach oben gerichteten Gesichter und in unsere Augen. Der Baum war offensichtlich bewohnt. Das schwierigste war jetzt, einen Jäger in die Spitze des Baumes zu bringen, damit er die Löcher mit Netzen bedecken konnte, denn der Stamm ragte fast 50 Meter in den Himmel und war glatt wie ein Spazierstock. Schließlich knüpften wir unsere drei Strickleitern aneinander und banden eine dünne, aber starke Schnur ans Ende. Wir beschwerten die Schnur mit einem Stein und schleuderten sie in den Blätterhimmel, bis uns die Arme schmerzten, als sie endlich über einen Ast fiel, so daß wir die Leitern hochziehen und absichern konnten. Als alle Löcher im Baum mit Netzen bedeckt waren, entzündeten wir unser Feuer und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Im allgemeinen muß man etwa fünf Minuten warten, bis der Rauch in alle Fugen gedrungen ist und bis sich etwas rührt. Diesmal dauerte es kaum einen Augenblick. Zuerst kamen zwei seekrank aussehende Wesen zum Vorschein, die man Geißelskorpione nennt. Mit den langen, angewinkelten Beinen von der Spannweite eines Suppentellers, sahen sie wie eine Gespensterspinne aus, die von einer Dampfwalze überfahren und dünn wie ein Blatt Papier ausgewalzt wurde. Ihre Gestalt erlaubt ihnen, in Fugen und Spalten zu kriechen, die jedem anderen Lebewesen versperrt sind. Außerdem gleiten sie in einem unbegreiflichen Tempo über den Stamm, als sei er glatt wie eine Eisbahn. Die schnellen, geräuschlosen Bewegungen und der Wald von Beinen machen sie so abstoßend. Man schreckt unwillkürlich vor ihnen zurück, auch wenn man weiß, daß sie ganz harmlos sind. Als die erste wie hervorgezaubert aus einem Ritz kroch und über meinen bloßen Arm huschte, den ich an den Stamm gelehnt hatte, war die Wirkung auf mich, gelinde gesagt, außerordentlich demoralisierend. Kaum hatte ich mich von dem Schrecken erholt, als die anderen Bewohner des Baumes geschlossen ihre Behausung verließen. Fünf fette graue Fledermäuse flogen mit bösem Zwitschern und wutverzerrten Gesichtern in die Netze. Ihnen folgten zwei grüne Waldeichhörnchen mit hellbraunen Ringen um die Augen. Sie stießen schrille, zornige Schreie aus, als sie in den Maschen des Netzes herumrollten, und wir sie daraus zu befreien versuchten, ohne gebissen zu werden. Dann kamen sechs Haselmäuse, zwei große grünliche Ratten mit orangefarbenen Nasen und Hinterteilen und eine schlanke grüne Baumschlange mit riesengroßen Augen, die mit leicht beleidigtem Gesichtsausdruck unbeeindruckt durch die Maschen des Netzes glitt und im Gebüsch verschwand, bevor wir überhaupt daran denken konnten, sie zu fangen. Der Lärm und das Durcheinander waren unbeschreiblich. Die Afrikaner tanzten durch den treibenden Rauch, riefen sich Anweisungen zu, die niemand hörte und verstand, schrien voller Angst, wenn sie gebissen wurden, traten sich gegenseitig auf die Füße und schlugen in wildem Durcheinander mit ihren Stöcken und Macheten um sich, ohne sich im geringsten vorzusehen. Der Mann im Wipfel hatte sein Privatvergnügen. Er schrie, bellte und sprang in den Ästen herum, daß ich befürchtete, ihn jeden Augenblick herunterfallen zu sehen. Unsere Augen troffen, die Lungen waren voller Rauch, und der Fangsack war mit einer krabbelnden, springenden Last von Tieren gefüllt.

Schließlich war der letzte Bewohner des Baumes zum Vorschein gekommen und das Feuer erloschen. Wir konnten eine Zigarettenpause einlegen und unsere Verletzungen begutachten und bewundern. Als wir gerade dabei waren, ließ der Mann in der Baumspitze zwei Säcke herunter, bevor er selbst abstieg. Ich nahm die Säcke sorgfältig in Empfang, ohne zu wissen, was sie enthielten, und fragte den Mann, wie er da oben zurechtgekommen sei.

»Was ist in dem Sack?« fragte ich.

»Fleisch, Masa«, antwortete er vielsagend.

»Ich weiß, Buschmann, aber welche Sorte Fleisch hast du?«

»Eh, ich nicht wissen, wie Masa Fleisch nennen. So, so Ratte, aber haben Flügel. Und da sein Fleisch in Sack, haben Augen groß wie Mensch, Sah.«

Plötzlich war ich wie elektrisiert. »Er hat Hand wie Ratte oder Hand wie Affe?« schrie ich.

»Wie Affe, Sah.«

»Was gibt’s?« fragte Bob interessiert, als ich an der Schnur herumknotete, mit der der Sack zugebunden war.

»Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, wir haben ein Buschbaby... wenn es stimmt, kann es nur eins von zwei Arten sein, und beide sind selten.«

Nach einem endlos scheinenden Kampf mit der Schnur hatte ich den Sack geöffnet. Aus dem Innern blickten mich zwei große goldfarbene Augen aus einem kleinen, zierlichen Gesicht an, dessen riesige Ohren wie Fächer an den Seiten des Kopfes angelegt waren. Diese Augen betrachteten mich mit dem entsetzten Ausdruck einer alten Jungfer, die in der Badewanne sitzt und einen Mann im Schrank entdeckt hat. Das Wesen hatte große, menschenähnliche Hände mit langen, schlanken und knochigen Fingern. Alle Finger mit Ausnahme des Zeigefingers liefen in einen kleinen flachen Nagel aus, der sorgfältig manikürt schien. An den Zeigefingern jedoch trug das Tier eine gebogene Kralle, die an einer so menschenähnlichen Hand unangebracht wirkte.

»Was ist das?« fragte Bob, als er sah, daß ich mit einem fast seligen Ausdruck auf das Geschöpf starrte.

»Dies«, sagte ich erregt, »ist ein Tier, das ich versucht habe, zu fangen, sooft ich in Kamerun war. Es ist ein Euoticus elegantulus, oder, wie es seine Freunde nennen, ein nadelklauiger Maki, kurz ein Buschbaby. Das Tier ist sehr selten. Wenn ich es heil und gesund nach England bringen kann, wird es das erste sein, das überhaupt nach Europa kommt.«

»Menschenskind«, sagte Bob, tief beeindruckt.

Ich zeigte Elias das kleine Wesen. »Du kennst dies >Fleisch<?«

»Ja, Sah. Ich kennen.«

»Diese Sorte wünsche ich zu sehr, wenn du mehr fängst, zahle ich ein Pfund. Hörst du?«

»Ich hören, Sah. Aber Masa wissen, diese Sorte Fleisch kommen heraus in Nachtzeit. Dieses Fleisch du müssen suchen mit Jägerlicht.«

»Ja, ich weiß; aber du sagst allen Leuten in Eshobi, ich zahle ein Pfund für dieses Fleisch, hörst du?«

»Ja, Sah. Ich ihnen sagen.«

»Jetzt aber«, sagte ich zu Bob, während ich den Sack mit dem kostbaren »Fleisch« sorgfältig verschnürte, »schnell zurück nach Mamfe, damit wir das Tier in einen anständigen Käfig sperren und es richtig ansehen können.«

Wir packten alle unsere Sachen ein und marschierten in raschem Tempo durch den Wald auf Mamfe zu. Wir hielten öfter an, um uns zu vergewissern, ob unser kostbarer Fang genügend Luft bekam und nicht etwa von einem bösen Juju hinweggezaubert worden war. Gegen Mittag kamen wir in Mamfe an. Wir stürzten ins Haus und riefen nach Jacquie und Sophie, damit sie unsere Kostbarkeit bewunderten. Vorsichtig öffnete ich den Sack. Euoticus elegantulus streckte den Kopf heraus und betrachtete uns der Reihe nach mit seinen riesigen, starrenden Augen.

»Oh, wie süß«, sagte Jacquie.

»Wie lieb«, summte Sophie.

»Ja«, sagte ich stolz, »es ist ein...«

»Wie sollen wir es nennen?« fragte Jacquie.

»Wir müssen uns einen netten Namen dafür ausdenken«, sagte Sophie.

»Es ist ein außergewöhnlich seltener...«, versuchte ich wieder.

»Was meint ihr zu Bubbles?« schlug Sophie vor.

»Nein, er sieht nicht wie Bubbles aus«, sagte Jacquie und musterte ihn kritisch.

»Es ist ein Euoticus...«

»Oder Mooney?«

»Nein, auch wie ein Mooney sieht er nicht aus.«

»Kein europäischer Zoo hat je...«

»Wie wäre es mit Fluffykins?«

Mir schauderte. »Wenn ihr es unbedingt taufen wollt, dann nennt es Bugeyes, >Glotzauge< «, sagte ich.

»O ja«, sagte Jacquie, »das paßt.«

»Nun, mir fällt ein Stein vom Herzen, weil wir endlich einen Namen haben. Ist ein Käfig da?«

»Natürlich haben wir einen, selbstverständlich«, sagte Jacquie. Wir ließen das Tier in den Käfig. Es hockte sich auf den Boden und starrte uns mit unverhohlener Angst an.

»Ist es nicht süß«, wiederholte Jacquie.

»So ein Püppchen«, gurgelte Sophie.

Ich seufzte. Anscheinend wurden trotz meiner sorgfältigen Erziehung meine Frau und meine Sekretärin kindisch, sobald sie etwas Molliges, Kleines vor sich hatten.

»Na ja«, sagte ich resignierend, »ich nehme an, ihr werdet euer Püppchen füttern. Dieses Püppchen hier geht wenigstens jetzt hinein und trinkt ein klitzekleines Schlückchen Gin.«