24. Kapitel

 

 

»Daddy!« Cass musste schmunzeln, als sie Alexejs Zimmer betrat. Josi lief im Zimmer auf und ab und Alex saß seelenruhig auf dem Sofa. Er wirkte, als würde ihm die ganze Welt gehören.

»Nein! Nichts mit Daddy. Ich bin dagegen.« Sie stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften und stellte sich breitbeinig vor ihn. Sie war richtig niedlich. Komplett schwarz, aber niedlich schwarz. Ihre langen Haare reichten ihr bis zur Taille und waren glatt und glänzend.

Als sie ihr vorhin im Auto das erste Mal in die Augen gesehen hatte, war sie für einen Moment erschrocken gewesen, als sie die schwarzen Pupillen gesehen hatte, aber sie rief sich wieder ins Gedächtnis, dass dieses Mädchen ein Rabe war. Und dieses Mädchen war älter als sie.

»Ich bin keine fünfzehn mehr. Du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich zusammen bin und mit wem nicht.« Gutes Argument. Die Kleine war taff. Und dabei hatte sie die ganze Fahrt bis zum Hotel geschwiegen. Ob ihr das schwergefallen war? Oder wollte sie nur nicht vor Cassandra mit ihrem Vater streiten?

»Du bist und bleibst meine Tochter! Ich lasse dich nicht bei diesem ...« Sie zog die Augenbrauen hoch. Auch Cass war auf die weitere Ausführung des Satzes gespannt.

»Diesem was? Er ist genau so ein Wolf wie du!« Er stieß frustriert Luft aus.

»Er ist nicht gut genug für dich.« Sie klatschte in die Hände und Cass war für den Moment richtig erschrocken. Sicherheitshalber wich sie zu der Tür zurück und blieb dort stehen. Alexej hatte sie sowieso schon gesehen. Nur Josi war zu sehr in Rage, um etwas anderes zu registrieren.

»Dad! Bisher war noch keiner gut genug für mich.« Dann trat sie näher zu ihm und hob drohend den Zeigefinger. »Eins will ich dir sagen: Ich liebe ihn! Wenn du mir das kaputtmachst, rede ich kein Wort mehr mit dir.« Damit drehte sie sich um und stapfte ins Bad. Cass ließ sich neben ihm aufs Sofa fallen.

»Ach ja. Das steht mir auch irgendwann mal bevor. So in sechzehn oder siebzehn Jahren.« Und dafür war sie dankbar. Vielleicht musste sich ja auch nur Josh mit Carmen herumärgern und die beiden Frauen würden sich super verstehen.

»Meine Söhne sind so viel einfacher. Keiner würde das Wort gegen mich erheben. Sie halten sich alle an meine Anweisungen.« Cass kicherte. Er war wirklich ein typischer Mann. Keine Ahnung von Frauen oder in diesem Fall von Töchtern.

»Josi ist ein Mädchen. Ein sehr starkes und temperamentvolles Mädchen. Lass sie ihren Weg gehen.« Er senkte den Kopf und sie war ernsthaft versucht, ihn in eine tröstende Umarmung zu ziehen. Aber so, wie zwischen ihnen die Funken sprühten, wenn sie sich zu nahe kamen, war das vielleicht keine gute Idee. »Du wirst für sie immer der wichtigste Mann in ihrem Leben sein. Keine Angst.« Alexej verdrehte die Augen und stand auf, um zur Minibar zu gehen.

»Darauf muss ich erst einmal einen trinken.«

 

Amam kam gerade aus der Dusche, als die Zimmertür aufgerissen wurde. Joel stürmte herein, sah aber nicht von seinen Papieren auf. Scheiße. Amam hatte vergessen, die Tür zu verriegeln. Das war ihm noch nie passiert. So ein Mist! Er sah Joel mit großen Augen an und sein Herz sank immer tiefer. Jetzt würde er Amam Endtarnen.

»Amam?«, als der Rabe keine Antwort bekam, sah er sich im Zimmer um. Sein Blick blieb sofort an Amam hängen und in der gleichen Sekunde atmete er scharf ein. Amam wusste, was Joel eben sah: eine schlanke, nackte Frau, der das Wasser aus den Haaren tropfte. Eine hilflose nackte Frau, denn sie konnte sich vor Schreck nicht rühren. Er nutzte die Zeit, um ihren Körper von oben bis unten zu mustern.

»Wo ist Amam?« Er klang abgelenkt und eindeutig heiser, sodass sie nur mit den Schultern zuckte. »Und wer bist du?« Gott sei Dank. Er erkannte sie nicht. Gut. Das war sehr gut.

»Shirin. Seine ... Schwester.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein und sie musste ihre Stimme leicht erhöhen, da sie sich sonst verraten hätte. Durch die vielen Jahre, die sie sich als Mann ausgegeben hatte, war ihre Stimme rauer und dunkler geworden. Aber wenn sie diese Stimme beibehalten würde, könnte es sie auffliegen lassen.

Joel starrte sie immer noch an und langsam fühlte sie sich unwohl. Sie bedeckte ihre Brüste und ihre Scham mit den Armen, aber sie war trotzdem nackt. Allerdings schienen ihn ihre Versuche, die Nacktheit vor ihm zu verdecken, wieder zur Besinnung zu bringen.

»Du solltest besser etwas anziehen. Wenn dein Bruder kommt, könnte er das falsch interpretieren.« Das musste er nicht zweimal sagen. Sie drehte sich um und flüchtete ins Bad. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Holz und atmete tief ein. Das erste Mal in ihrem Leben zitterte sie.

Was sollte sie nun tun? Joel stand immer noch draußen und wartete auf sie und auf Amam. So ein verdammter Mist. Sie zog sich ein Shirt und eine weite Hose an und verließ dann das Badezimmer. Joel saß auf einem Sessel, ganz in der Nähe der Tür. Sie hätte sowieso nicht fliehen können. Immerhin war er ihr Auftrag.

»Wie lange bist du schon hier?« Sie schwieg. Sollte sie ihm sagen, dass sie in Wirklichkeit sein Bodyguard war? Nein. Er wäre wütend, wenn er erfuhr, dass sie ihn schon seit Jahrzehnten belog. »Bist du stumm geworden?«

»Amam hat mich hier einquartiert, weil er eine längere Zeit weg musste. Keine Ahnung, wann er wieder kommt.« Joel nickte verhalten. Diese Geste kannte sie nur zu gut. Er glaubte ihr nicht. Jetzt musste sie sich anstrengen.

»Das sieht ihm nicht ähnlich.«

»Das weiß ich. Er hat mich vor ein paar Tagen angerufen und gesagt, dass er mich sehen will. Als ich dann hier war, sagte er, dass er seiner Bestimmung im Moment nicht folgen kann und ich aufpassen soll.« Joel war für den Moment etwas verwirrt, doch dann fragte er ungläubig: »Du sollst auf mich aufpassen?«

»Ja. Wir haben die gleiche Ausbildung genossen. Also bin ich in der Lage, den gleichen Job zu erledigen.« Sie hatte ja gewusst, dass Joel nie eine Frau als Bodyguard einstellen würde. Das war eine Männer-Welt.

»Ihr habt zusammen gelernt?« Er klang jetzt mehr verwundert, statt ungläubig.

»Ja.«

»Erzähl mir davon.« Sie wusste nur zu genau, was Joel schon alles wusste, und genau das Gleiche würde sie ihm nun noch einmal erzählen.

»Als Frau hätte ich nie ein Assassine werden können. Aber mein Vater hat mich zusammen mit meinen Brüdern trainiert. Während sie unsere Familie abgeschlachtet haben, wurde mir, weil ich eine Frau bin, nicht der Kopf abgeschlagen. Ich wurde nur erstochen.« Sie sagte es ganz ungerührt, wie wenn sie über das Wetter sprechen würde.

»Aber gestorben bist du nicht.« Offensichtlich. Aber genau die gleiche Frage hatte er damals auch Amam gestellt.

»Nein. Ich bin unsterblich. So wie du. Nur ohne diese tierischen Anwandlungen.« Er grinste und sie mochte dieses Grinsen nicht. Das verwendete er immer bei seinen Frauen. Und sie würde definitiv nie eine von denen werden.

»Du magst doch sicher meine tierischen Anwandlungen, oder?« Sie verzog keine Miene und blieb auch innerlich ruhig. Sie liebte ihn nicht, also musste sie auch nicht auf ihre oder seine Gefühle achten. Liebe. Pah!

Sie kannte ihn schon viel zu lange, um auf seine Anmache hereinzufallen. Andere Raben und sogar ein paar Hexen waren seinem Charme ziemlich schnell erlegen. Und er musste sich noch nicht einmal anstrengen. Das war das gute Aussehen, dass auch schon seinem Vater jede Schlafzimmertür geöffnet hatte.

»Nein. Sie interessieren mich nicht.« Joels anzügliches Grinsen verschwand und machte einer interessierten Miene platz.

»Okay. Wir versuchen es. Solange wie Amam weg ist, bist du mein neuer Bodyguard. Danach werden wir sehen, was er dazu zu sagen hat.« Es hatte geklappt! Shirin nickte und machte sich im Kopf eine Notiz, Dorothea zum Einkaufen zu schicken. Sie brauchte wohl ein paar neue Sachen. Und sie musste als Amam mit Joel reden, um sich für seine Abwesenheit zu entschuldigen. Sonst wäre er die ganze Zeit vorsichtig und zu aufmerksam. Und das ließ nur wenig Spielraum für Fehler.

Nachdem Joel das Zimmer wieder verlassen hatte, schloss sich Shirin ins Badezimmer ein und rief ihn vom Handy aus an. Joel würde es komisch vorkommen, wenn sich Amam überhaupt nicht meldete. Zum Schluss würde er noch denken, Shirin hätte ihn umgebracht.

»Hallo Joel. Ich wollte dich schon früher anrufen, aber ich bin erst jetzt dazu gekommen.«

»Das kannst du nicht einfach machen. Was, wenn ein neuer Attentäter einen Anschlag auf mein Leben verübt hätte?« Shirin verdrehte die Augen. Jetzt wurde Joel wieder theatralisch. Ein kleiner Charakterzug, der sie schon als Mann genervt hatte.

»Shirin war in der Nähe. Dir wäre also nichts passiert.« Nach einem längeren Schweigen von Joels Seite fragte dieser schließlich: »Warum hast du mir nie gesagt, dass du eine Schwester hast?« Sie räusperte sich. Joel und sie kannten sich nun schon eine Ewigkeit und es erschien wirklich etwas seltsam, dass er nie eine Schwester erwähnt hatte. Also blieb nur die geübte Aufsässigkeit.

»Ich teile niemanden mein Privatleben mit. Auch dir nicht.« Joel stimmte brummend zu. Dann kam eine Frage, die Shirin so nicht erwartet hätte.

»Ist sie verheiratet?« Sie schwieg, was Joel zum Lachen brachte. »Das ist wohl ein Nein? Dir war wohl noch kein Mann gut genug um sie heiraten zu dürfen? Aber sie ist auch wirklich eine Schönheit.« Na toll. Er war an ihr interessiert! Das musste sie sofort unterbinden. Und sie nutzte dazu eines der keuschesten Wesen der Mythenwelt, das ihr einfiel.

»Sie ist eine Priesterin und wird nie heiraten.« Joels atmete vor Überraschung tief ein. Das war wohl eine gute Antwort. So konnte sie sicher sein, dass sich sein Interesse für sie auf das rein geschäftliche beziehen würde.

»Eine Priesterin? Ist das ihr eigener Wunsch oder der eurer Familie?« Er war hartnäckig. Aber sie hatte den längeren Atem.

»Sie ist alt genug, um selbst zu wissen, was sie will. Außerdem sind unsere Eltern schon lange Tod.« Und das war die Wahrheit. Joel brummte wieder und fragte schließlich, wie lange Amam wegbleiben würde.

»Das kann ich dir so pauschal nicht sagen. Ich melde mich aber auf jeden Fall bei dir.« Sie würde das Handy in der Toilette herunterspülen und einfach behaupten, Amam würde sich nicht bei seiner Schwester melden. Damit wäre die Sache gegessen und sie bräuchte nicht mehr diese dumme Verkleidung.

 

Am nächsten Tag sah Alex seiner Tochter und Erik grimmig nach, als sie das Hotelzimmer verließen. Sie hatten sich gestern Abend noch ausgesprochen, und obwohl er nicht begeistert war, musste er ihr ihren Willen lassen. Zumindest, bis er eine Chance sah, das Paar zu entzweien.

Und dafür benötigte er Zeit und eine Bleibe. Immerhin konnte er nicht ewig im Hotel bleiben. Außerdem wollte er wieder verstärkt an seiner Beziehung mit Cassandra arbeiten. Gestern, als sie gegen die Dämonen gekämpft hatten, war ihm fast das Herz stehen geblieben, als sie sich ebenfalls in das Getümmel geworfen hatte. Er war in sie verliebt und er würde um sie kämpfen.

Sein Plan war, erst einmal ein Haus zu finden und Cass zu überreden, dort einzuziehen. Sie würde erst ablehnen, aber dann die Vorteile darin erkennen. Sie war in der Nähe ihrer Tochter und hatte keine Hotelkosten mehr und er hatte sie in der Nähe und könnte sie einfacher verführen.

Wenn er wieder an den Abend ihres Kennenlernens dachte, wurde er augenblicklich hart. Sie war eine temperamentvolle Frau und sie würde in der Leidenschaft ihrer gemeinsamen Liebe brennen. Ja, das war sein Plan. Cass verführen und heiraten. Außerdem wäre er so immer in Josephines Nähe.

Alex hob den Hörer des Hoteltelefons ab und wählte die Nummer eines Immobilienmaklers, die er von einem Geschäftspartner bekommen hatte. Alles Mythenwesen, alle eingeweiht. Wenigstens dahingehend hatte er hier in Amerika keine Probleme.

In Russland gab es nur noch in den entlegensten Gegenden Mythenwesen. Das waren die scheuen Einzelgänger. Der Rest hatte sich schon vor Jahrhunderten in die Gesellschaft eingegliedert. Zuerst Deutschland, dann Großbritannien und Schottland. Und heutzutage war ein Großteil von ihnen in Amerika. Das Wetter war mild, die Wirtschaft boomte und in vielen Städten waren die Menschen so exzentrisch, dass die Mythenwesen gar nicht weiter auffielen.

Der Immobilienmakler am anderen Ende der Leitung nahm ab und nach einem kurzen Gespräch, in dem Alexej seine Wünsche äußerte, machten sie einen Termin für diverse Besichtigungen aus. Anscheinend waren in Alexandria noch einige Immobilen zu haben. Gut für ihn. So hatte er immerhin eine Möglichkeit, über Josi zu wachen. Sein kleines Mädchen.

Er schüttelte den Kopf. Nie in seinem Leben würde er vergessen, wie sie in Michails Burg am Bett gelehnt hatte und fast gestorben wäre. Dieses kleine Ding, das noch nicht einmal die russische Sprache verstanden hatte.

Die folgenden Tage und Wochen hatte er um ihr Leben gebangt, aber unter seiner Pflege hatte sie sich recht schnell erholt. Sie war eine Kämpferin. Und trotzdem musste er sie beschützen. Und das würde er auch weiterhin machen. Ob es sich nun um Dämonen oder einen unzureichenden Mann handelte. Alexej war immer an ihrer Seite.

 


Woelfe der Macht
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