17. KAPITEL

Unhappy Girl (Dance Remix)

„Zigarette?“ Taylor hielt Martika die Schachtel hin, als sie ins Auto einstieg. Sie winkte ab, kurbelte das Fenster hinunter und ließ sich den frischen Wind ins Gesicht wehen.

Sie hatte keine Ahnung, wie er es aufnehmen würde. Er war schon seit Ewigkeiten ihr bester Freund, er kannte sie besser als irgendjemand sonst auf der Welt, und trotzdem hatte sie verdammt noch mal nicht die geringste Ahnung, wie er reagieren würde.

„Bist du in Ordnung, Prinzessin?“ fragte Taylor. „Du wirst Arthur lieben. Er ist so lecker, das glaubst du gar nicht. Und er wird von dir begeistert sein.“

„Meinst du?“ Ihre Stimme klang schwach, Martika musste immer wieder an das Gespräch mit ihrer Mutter denken.

Sie hatte noch nicht entschieden, ob sie tatsächlich nach Hause zurückkehren würde. Noch hing alles in der Luft, deshalb wollte sie Taylor mit solchen Überlegungen erst gar nicht schockieren.

„Natürlich wird er dich lieben“, rief Taylor spöttisch. „Zumindest würde ich ihm das schwer raten. Denn wenn nicht, kann er gleich wieder abziehen.“

Sie wandte sich ehrlich überrascht um. „Wirklich? Meinst du das Ernst?“

Er lächelte sie nachsichtig an. „Süße, das weißt du doch. Ich meine, unglaublicher Sex ist unglaublicher Sex, aber die Frage ist schließlich, mit wem man gerne alt werden möchte, mit seiner besten Freundin oder mit einem phänomenalen Liebhaber?“

Sie strahlte. „Das ist der Grund, warum ich dich so liebe.“

„Ha.“ Er verdrehte die Augen und zwinkerte ihr zu. „Ich dachte, du liebst mich, weil …“

„Ich behalte das Baby.“

Er bremste. „Wie bitte?“

Sie holte tief Luft. „Ich habe beschlossen, das Baby zu behalten.“

Ein Schweigen entstand, und Martika hätte sich am liebsten im Sitz verkrochen und das Gesicht hinter den Händen versteckt. Zwar wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber …

„Verstehe.“ Er schien nach Worten zu suchen, was sehr untypisch für Taylor war.

Sie wartete noch eine Minute und fragte dann: „Du findest die Idee richtig dumm, nicht wahr?“

Er antwortete nicht, er fuhr einfach weiter. Langsam wurde sie wütend. Sie wusste, dass das reiner Selbstschutz war, und, hey, sie hatte es doch gar nicht nötig, sich zu schützen. „Ich glaube, ich werde eine super Mutter sein.“

„Ist das der Grund, warum du es behalten willst?“

Martika betrachtete ihn, um herauszufinden, ob er mal wieder schnippisch und selbstgerecht war. Doch das war er nicht. Er sah so gleichmütig vor sich hin, wie es bei seinem ausdrucksstarken Gesicht überhaupt nur möglich war.

„Ich habe einen guten Grund“, sagte sie leise und atmete tief ein. „Ich weiß, es klingt wie eine dumme Idee, für dich zumindest, aber ich … ich meine … ich habe tonnenweise Gründe für diese Entscheidung. Tonnenweise!“

„Nenne mir einen, Tika.“

„Okay“, schnappte sie. Und zögerte.

Weil ich immer Mutter sein wollte. Nein, das klang zu weinerlich. Weil ich nicht ertragen könnte, es zu verlieren. Weil ich endlich die Chance habe, jemanden wirklich zu lieben, und vielleicht endlich jemanden gefunden habe, der mich wirklich lieben wird. Weil mein Leben erst jetzt einen Sinn ergibt.

„Weil es diesmal nicht um mich geht“, sagte sie sanft. „Diesmal geht es nur um das Baby.“

Er antwortete nicht, sondern fuhr auf den Seitenstreifen und stellte den Motor ab. Er lächelte. „Diese Art von Neuigkeiten schreit nach einer anständigen Umarmung“, sagte er und beugte sich über den Schalthebel, nahm sie in die Arme und erdrückte sie fast.

„Du wirst Patenonkel, weißt du“, murmelte sie gegen seine Schulter gepresst.

„Wäre ja auch noch schöner wenn nicht.“

Zwei Tage später saß Sarah verzweifelt auf der weichen weiß-grünen Couch in einer Buchhandlung im West Side Pavillon. Martika war nicht mehr ins Apartment zurückgekommen, wahrscheinlich übernachtete sie bei Taylor oder besorgte sich einen neuen Liebhaber, bei dem sie einziehen konnte. Sarah hatte die Zeitarbeitsagentur Fugit angerufen, hatte dann aber keine Lust, diese Woche wirklich zu arbeiten, vor allem, als sie hörte, sie sollte wieder in Jeremys Firma eingesetzt werden. Und sie hatte Kit kein einziges Mal mehr gesehen … Nein, sie wollte über diesen dummen Fehler nicht länger nachdenken. Verzweifelt nippte sie an ihrem Espresso.

Ich stehe wieder ganz am Anfang. Keine Mitbewohnerin, keine Ahnung, wie ich die Miete bezahlen soll, kein richtiger Job, kaum Freunde, keinen Plan.

Wie erbärmlich konnte es einem Mädchen in L.A. eigentlich ergehen … Sie betrachtete die Bücher, die sie ausgewählt hatte, und stellte fest, dass sie keines von ihnen wollte, außerdem musste sie ab sofort sowieso mehr auf ihr Geld achten.

Verdammt. Sie hatte geglaubt, die Antwort gefunden zu haben, endlich zu wissen, was sie tun wollte. Zugegeben, es war zwar nicht gerade ein brillanter Lebensplan gewesen, aber immerhin überhaupt einer. Jetzt hatte ihr das Schicksal jedoch wieder eine ordentliche Ohrfeige verpasst.

Und was willst du jetzt machen?

Sie wünschte, der Streit mit Tika hätte nie stattgefunden. Sie wünschte, sie wäre nicht gefeuert worden. Sie wünschte …

„Sarah?“

Sie sah auf.

Sie wünschte, dass es nicht Benjamin wäre, der sie angesprochen hatte.

Er sah aus wie immer. Wie sie feststellte, hatte sich sein Kleiderstil nicht nennenswert verbessert. Stolz strich sie ihr rosa Fred Segal T-Shirt glatt. „Benjamin. Ich habe dich gar nicht gesehen.“

„Das habe ich gemerkt. Du siehst …“ Er stockte und holte tief Luft. „Was ist los, Sonnenschein?“

Wage es nicht, mich so zu nennen!

Sie lächelte so desinteressiert wie nur möglich. „Mir geht’s gut. Ich habe nur ziemlich viel um die Ohren.“

„Wie läuft es mit deiner Mitbewohnerin?“

„Es könnte nicht besser sein.“

„Und dieser Job? Arbeitest du noch immer für diesen Peerson?“

„Oh, ich wäge noch immer meine Möglichkeiten ab.“ Ihre Stimme klang fröhlich. Absolut beiläufig.

„Und wägst du auch deine Möglichkeiten ab, was Männer betrifft, oder bist du noch immer mit diesem scharfen Typen zusammen, mit dem ich dich letztens gesehen habe?“

„Jeremy ist nur einer von vielen.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich will mich nicht festlegen.“

Er setzte sich neben sie und senkte die Stimme. „Warum siehst du dann so aus, als ob dein ganzes Leben im Eimer wäre?“

Ihr Puls begann zu rasen. „Wie meinst du das?“

„Du hast mich nie anlügen können, Sarah. Das war etwas, das ich an dir immer geschätzt habe. Also lüge mich auch jetzt nicht an.“ Es klang wie ein Tadel. „Ich mache mir Sorgen …“

„Worüber, Benjamin? Darüber, dass es mir ohne deine illustre Gesellschaft gut gehen könnte? Darüber, dass ich die Zeit mit einem anderen Mann genießen könnte?“

„Darüber, dass du offensichtlich nicht sehr glücklich bist.“

Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Als sie sich wieder besser im Griff hatte, schüttelte sie den Kopf. „Wie du siehst, geht es mir gut.“

„Ich sehe nur, dass du traurig bist.“ Er sprach mit seiner Verkäuferstimme, und sie war zu müde, um sich dagegen zu wehren. „Ich habe dich vermisst, Sarah.“

„Oh, leck mich.“

Er blinzelte kurz und begann zu lachen. „Mein Gott, mir gefällt, wie du dich verändert hast. Du warst vorher ein so ruhiges, kraftloses kleines Mädchen, aber jetzt … jetzt kannst du dich richtig durchsetzen.“ Er lächelte zweideutig. „Das gefällt mir, Sarah.“

„Ist mir egal.“ Sie wollte ihm den Rücken zukehren, doch er hielt sie sanft zurück.

„Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint. Was ich sagen will ist, dass ich dich wirklich vermisse. Wir waren ein tolles Team.“

Sie sah ihn an. Nicht einmal Hundebabys hatten so unwiderstehlich traurige Augen wie er.

„Weißt du noch wie das war, als ich BWL studiert habe und du mir meine Diplomarbeit abgetippt hast? Hm?“

Sie nickte. Es hatte ihr nicht ausgemacht. Denn zu sehen, wie schrecklich langsam er tippte, war schlimmer gewesen.

„Oder wie du früher immer in meine Wohnung gekommen bist und für mich gekocht hast, weil du wusstest, dass ich für die Abschlussprüfung lernen musste? Du hast dich darum gekümmert, dass ich etwas Ordentliches zu essen bekam, du hast mir mit der Wäsche geholfen …“

„Willst du mir noch mal unter die Nase reiben, was für ein Vollidiot ich war, Benjamin?“

„Das warst du nicht! Du hast mich unterstützt. Und jetzt möchte ich dich unterstützen!“

„Oh wirklich!“ Sie schnitt ihm eine Grimasse. „Nun, du bist ganz mies im Abtippen, und bevor du nicht einen Kurs besuchst, kann ich auf deine Kocherei auch verzichten.“

„Sarah, ich will dich wiederhaben.“

Sie stand auf. „Okay. Das Gespräch ist beendet.“ Sie ignorierte die bösen Blicke der anderen Kunden, die sich aufs Lesen konzentrieren wollten, stolzierte aus dem Laden in den Innenhof, in dem Cafétische aufgestellt waren, und ging auf die Rolltreppe zu. Benjamin versperrte ihr den Weg.

„Bitte, lass mich ausreden!“

„Warum? Hört Jessica dir nicht zu?“

„Ich habe Jessica verlassen“, sagte er mit einer Stimme, die nun nicht mehr nach einschmeichelndem Verkäufer klang, sondern nach verärgertem Mann. Dieser Stimme vertraute sie schon eher. „Sie war so versessen darauf … das ist schwer zu erklären. Ihr größter Fehler war, dass sie nicht Du war.“ Er seufzte. „Sie saß immer vor mir und starrte mich mit diesen waidwunden Augen an. Du hast viel mehr Temperament, Sarah. Und du hattest immer einen Plan. Das brauche ich jetzt mehr denn je.“

„Wieso?“

„Ich suche mir einen neuen Job. Im Norden“, rief er inbrünstig. „Wir sind beide nicht dafür gemacht, in L.A. zu leben, Sarah. Das hier ist ein Dreckhaufen.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich daran gewöhnt.“

„Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht lieber zurück nach Hause gehen würdest. Was ist denn mit all den Dingen, über die wir gesprochen haben? Kinder, ein hübsches Haus? Kannst du dir das wirklich hier vorstellen?“

Sie antwortete nicht.

„Und was hast du vor, Sarah?“ Er sprach noch etwas leiser und zog sie zu einem der Cafétische. „Hast du dir dein Leben wirklich so vorgestellt? Keine Beziehung, kein Job … weshalb möchtest du hier bleiben?“

Sie zögerte. Dann fragte sie mit der ruhigsten Stimme, die sie aufbieten konnte. „Und was schlägst du mir vor, Benjamin? Hm? Das Glück, irgendwo in deiner Nähe zu leben, irgendwo in Nordkalifornien? Das Glück, zu warten, bis du dein Leben geordnet hast, ohne Job, ohne …“

„Nein. Ich habe gesagt, ich will dir helfen, so wie du mir früher.“ Er strahlte so hell wie die Sonne. „Du müsstest dir keinen Job suchen. Du müsstest überhaupt nichts tun. Nur mit mir leben.“ Er holte tief Luft. „Heirate mich, Sarah!“

„Was?“

„Heirate mich.“ Er ergriff ihre Hände. Sie war zu erstaunt, um sie ihm zu entziehen. „Ich weiß, das ist nicht der romantischste Heiratsantrag der Welt, doch ich habe nicht viel Zeit, ich werde L.A. bald verlassen. Ich war wirklich sehr traurig, als Jessica und ich …, also nicht darüber, dass sie weg war, aber darüber, dass ich einen so großen Fehler gemacht habe. Ich gehe nach Nordkalifornien, um noch einmal ganz von vorne anzufangen. Ich wollte dich anrufen. Dann habe ich dich da sitzen sehen … es war wie ein Zeichen, so kitschig das auch klingen mag.“

„Du willst, dass ich dich heirate?“ fragte sie. „Bald?“

„So bald wie möglich. Ich werde denselben Fehler nicht zwei Mal begehen.“

Das kam so plötzlich. Na ja, natürlich nicht wirklich plötzlich, schließlich waren sie vier Jahre verlobt gewesen, bevor diese kleine Trennung …

Warte eine Sekunde! Denke ich tatsächlich über seinen Antrag nach?

„Warum sollte ich das tun, Benjamin?“ Sie zog ihre Hand weg, kreuzte die Arme vor der Brust und versuchte in seinem Gesicht zu lesen wie ein Richter. „Nenn mir einen guten Grund.“

Er dachte lange über seine Antwort nach und lächelte sie dann herausfordernd an. „Sarah, ich liebe dich und will mich um dich kümmern. Du kannst noch mal von vorne beginnen. Was hast du denn zu verlieren?“

Das fragte sie sich auch. Keine Mitbewohnerin, kein Job, kein Ziel, keine Hoffnung … und da ist mein Ex-Freund, der endlich sagt, dass er mich liebt und dass er mir helfen will!

„Das ist kein guter Grund“, sagte sie schließlich und ließ es zu, dass er sie in die Arme nahm. „Aber es ist einer.“

Judith sprang erschrocken auf, als das Telefon klingelte, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Atemlos nahm sie ab. „Hallo?“

„Judith, ich bin’s, Sarah.“

„Sarah.“ Musste sie ausgerechnet jetzt anrufen? Judith öffnete die Ofentür und stach wütend in den Braten. „Was ist los?“

„Hört sich so an, als ob du beschäftigt wärst“, sagte Sarah. „Vielleicht habe ich nicht den besten Zeitpunkt gewählt.“

Bestimmt nicht. Ich stehe im Begriff, meinem Ehemann die Cyber-Affäre zu gestehen.

„Ich koche gerade das Abendessen“, sagte Judith stattdessen. „Was … ist alles in Ordnung?“

„Ich … ja, ich glaube, alles ist in Ordnung“, sagte Sarah. Ihre Stimme klang merkwürdig. „Ich wollte dich nur, äh, zu etwas einladen.“

Judith war nicht in der Stimmung für eine Einladung. „Das ist gerade nicht so günstig. Hör mal, kann ich dich nächste Woche anrufen? Vielleicht können wir zu Mittag essen und über ein paar Dinge sprechen.“ Judith war sich sicher, dass sie das bald nötig haben würde. Wenn ich nur das Abendessen lebend überstehe!

„Oh. Um ehrlich zu sein kann das nicht so lange warten.“

Judith sah genervt zur Decke, als hoffe sie, dass Gott ihr etwas mehr Geduld schenken würde. „So?“

„Na ja, weißt du, ich werde am Freitag heiraten, in Las Vegas. Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht meine Brautjungfer werden möchtest.“

„Du heiratest?“ Judith kamen diese Worte völlig fremd vor. „Wen?“

„Benjamin.“

Judith schnappte nach Luft. „Wie bitte? Warum?“

Sarah zögerte. „Weil er mich liebt. Weil er … ich weiß auch nicht. Es scheint mir sinnvoll zu sein.“

Judith umklammerte den Hörer. „Wann ist das alles denn passiert?“

„Nun, er hat mich vor etwa einer Woche gefragt, und wir dachten uns, da wir nun seit fünf Jahren verlobt sind, ist es ja nicht so, als ob wir etwas überstürzen würden … ich wollte es einfach hinter mich bringen.“

„Hinter dich bringen?“ Judith fühlte einen bleiernen Druck auf der Brust. „Wie romantisch!“

„Hier geht es nicht um Romantik, Judith“, sagte Sarah. „Das ist einfach … keine Ahnung. Das ist es, was ich immer gewollt habe. Er liebt mich, ich bin ihm wichtig, und er wird sich um mich kümmern.“

„Und das ist es, was du willst?“ Judith konnte es nicht verhindern, dass in ihrer Stimme Abscheu mitschwang, und wollte es auch nicht. Am liebsten hätte sie Sarah kräftig geschüttelt. „Du willst einen Typen heiraten, der sich um dich kümmert?“

„Ich habe gesagt, dass er mich liebt“, gab Sarah mit scharfer Stimme zurück. „Ich dachte, das würde dir gefallen. Du warst doch diejenige, die gesagt hat, ich soll ihm trotz allem noch eine zweite Chance geben.“

„Das war, bevor …“ Sie atmete tief aus. „Das war einfach vorher. Jetzt weiß ich, dass du einen Fehler machst.“

Sarah seufzte. „Dann vermute ich mal, dass du nicht meine Brautjungfer wirst. Ziehst du wenigstens in Betracht, überhaupt zu meiner Hochzeit zu kommen? Ich würde mich freuen, wenn ich zumindest ein bekanntes Gesicht um mich hätte.“

Sie klingt einsam, dachte Judith, und die ganze Geschichte mit der Hochzeit ist einfach furchtbar. „Sarah, du solltest wirklich noch einmal in Ruhe über alles nachdenken. Das ist einfach nicht richtig. Du hast doch mehr verdient als Sicherheit. Was ist mit Leidenschaft? Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.“

„Judith, ich weiß genau, was ich tue“, schnitt Sarah ihr das Wort ab. „Die Zeremonie wird am Freitag um siebzehn Uhr im Excalibur stattfinden. Wir fliegen morgen Abend los. Ich würde mich freuen, wenn du kommst. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Dann rufe ich dich an, sobald ich zurück bin.“

„Sarah!“ Judith machte noch einen letzten Versuch. „Bitte, tu es nicht!“

„Ich melde mich“, antwortete Sarah einfach und legte auf.

Judith stand ganz still. Ein Unglück kam tatsächlich selten allein. Doch war sie jetzt nicht in der Lage, sich um Sarahs Probleme zu kümmern, wo sie doch mit ihren eigenen genug zu tun hatte.

Plötzlich bemerkte sie, dass der Braten bereits ein wenig qualmte. Sie knallte das Telefon auf den Tresen und riss den Braten aus dem Ofen.

„Judith?“ rief David aus dem Wohnzimmer. „Das riecht vielleicht gut! Ist das Abendessen schon fertig?“

„Fast fertig“, antwortete Judith. Der Tisch war bereits gedeckt, jetzt brauchte sie nur noch zu servieren.

„Judith, das ist wunderbares Fleisch. Wo hast du das nur gekauft?“ fragte David wenig später.

„Es gibt da einen neuen Metzger, der schlachtet noch selbst“, antwortete sie und schob ihr Fleisch auf dem Teller herum.

„Es schmeckt fantastisch. Weißt du, ich habe mir überlegt, dass wir die Hendersons zum Grillen einladen könnten. Hat der Metzger auch Spare Ribs? Bestimmt, oder?“

„David, ich hatte eine Affäre.“

Er war völlig auf sein Essen konzentriert. „Sag mal, ist im Moment eigentlich Maiskolben-Zeit? Das würde gut passen. Das und Salat, gar kein Problem. Ist ja nicht viel Aufwand.“

„Ich sagte, ich hatte eine Affäre.“

Er starrte sie an, sein Messer knallte auf den Teller. „Entschuldige bitte. Hast du gerade gesagt, dass du eine Affäre hattest?“

Sie nickte, spießte eine Kartoffel auf die Gabel und aß sie umständlich.

David schien beides zu verdauen, das Fleisch und ihr Geständnis. „Aha. Kenne ich ihn?“

„Nein.“ Sie schluckte schwer an der Kartoffel. „Um ganz genau zu sein kenne ich ihn auch nicht.“

Er zog die Stirn in Falten. „Wovon sprichst du, zum Teufel? Willst du sagen, du hast mich mit einem Fremden betrogen?“

„Nein.“ Sie holte tief Luft. „Ich habe ihn übers Internet kennen gelernt.“

Zu ihrer Überraschung fing er an zu lachen. „Das wird ja immer besser. Und wie lang ist das so gelaufen?“

„Wir haben uns monatelang geschrieben.“ Sie versuchte, noch einen Bissen zu essen, aber es ging nicht. Sie konnte die Fassade nicht mehr aufrecht erhalten.

Er kniff die Augen zusammen. „Judith … habt ihr euch denn wirklich getroffen?“

„Gestern. Wir haben uns gestern getroffen.“

„Dann hast du also nur ein einziges Mal mit ihm geschlafen.“

„Um genau zu sein haben wir nie miteinander geschlafen.“

„Inwiefern handelt es sich dann um eine Affäre?“

Sie starrte ihn an. „David, verstehst du denn nicht? Ich habe mich mit einem anderen Mann unterhalten. Ich … ich war der Meinung, dass er mir sehr viel bedeutet.“

„Und das tut er nicht?“

„Nun …“ Sie versuchte, das Geschehene zu erklären. „Es war einfach nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.“

Er grinste ein wenig hämisch. „Verstehe. Hässlich? Glatze? Furchtbar fett?“

Sie sagte nichts. Es war einfacher, ihn so etwas glauben zu lassen, ihm einen letzten Rest Stolz zu lassen. Andererseits: Warum interessierte sie das überhaupt? Hatte sie in den letzten Jahren nicht schon genug zurückgesteckt?

„Der Punkt ist, ich glaube, wir haben Probleme. Ich glaube, wir sollten zu einer Eheberatung gehen.“

„Warum?“ Er seufzte tief. „Meine Güte, Judith, du weißt doch, dass ich für so was keine Zeit habe. Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie nah ich dran bin, Partner in der Kanzlei zu werden? Wie lange ich darauf hingearbeitet habe?“

„Oh bitte! Komm vom Kreuz runter, jemand anderes braucht das Holz!“

Er stand auf und wanderte um den Tisch, als ob sie sich in einem Gerichtssaal befänden. „Judith, ich glaube das ist die klassische Situation: Du meinst, ich sollte dir mehr Aufmerksamkeit schenken. Nun, wir beide haben gewusst, was es bedeutet, als ich angefangen habe, Jura zu studieren. Ich habe mich nicht verändert. Ich werde nicht auf einmal auf wundersame Weise die Zeit haben, dich, sobald du dich vernachlässigt fühlst, auf Rosen zu betten. Wir sind beide erwachsen, vergiss das nicht.“

„Könntest du bitte noch etwas herablassender mit mir sprechen?“ fragte sie freundlich.

„Könntest du bitte noch etwas unvernünftiger sein?“ Er schüttelte den Kopf.

„Eine Cyber-Affäre. Jesus. Weißt du, wie jämmerlich das klingt, Judith?“ Er warf ihr ein humorloses Lächeln zu. „Wenn du die Frau eines anderen wärst, würde ich mich garantiert totlachen.“

„Nun, ich bin aber nicht die Frau eines anderen, nicht wahr?“

Wie hatte sie nur glauben können, dass es eine gute Idee war, ihm alles zu sagen? Sie war unglücklich, und sie würde unglücklich bleiben. So einfach war das. Hatte sie wirklich geglaubt, er könnte sich ändern? Sie hätte es besser wissen müssen!

„Ich habe wirklich, wirklich keine Zeit für so was“, sagte er. „Wenn du Blumen willst, dann schicke ich dir welche, aber, Mensch Judith, das hast du doch nicht nötig.“

Er ging in sein Büro, murmelte etwas von der Cyber-Affäre und wie komisch er das fand. Sie sah ihm nach. Dann begann sie mechanisch, den Tisch abzuräumen. Was könnte sie jetzt tun?

Sie dachte eine Weile darüber nach.

Ich könnte ihn verlassen.

Sie hörte einen Moment damit auf, den Tisch abzuwischen. Ihn verlassen? Was würde das bringen? Wie würde ihre Familie reagieren? Wie sehr würde es David verletzen? Er hatte Recht, jetzt war wirklich nicht die richtige Zeit dafür. Sie musste so lange durchhalten, bis er Partner in der Kanzlei geworden war. Dann wäre er so beschäftigt, dass er gar nicht bemerken würde, wenn sie ihn verließ. Sie betrachtete die Essensreste und dachte darüber nach, was sie zum Abschied sagen sollte.

Und was bringt es, noch zu warten?

Sie kümmerte sich nicht länger um den Saustall in der Küche, sondern lief hinaus.