8. KAPITEL
Love Me Two Times
Ich habe offenbar selbst einen klitzekleinen Schluck Margarita genommen, war das Erste, was Sarah am nächsten Morgen um sieben Uhr dachte, als das Telefon läutete. Entweder das, oder ich träume noch.
„Kann ich Sarah Walker sprechen?“
Sie blinzelte müde. „Am Apparat.“
„Sarah, hier ist die Zeitarbeits-Vermittlung Fugit.“
Ihre Agentur? Was hatte das zu … Ein Job! Sie hatte offenbar einen noch besseren Eindruck hinterlassen als erhofft. „Hi!“
„Sie brauchen heute nicht zur Arbeit zu gehen.“
Sarah stützte sich auf den Ellbogen. „Wie bitte?“
„Sie brauchen heute nicht zur Arbeit zu gehen“, wiederholte die Stimme.
Sarah wartete auf eine Erklärung, stellte dann aber fest, dass die Person am anderen Ende im Begriff war aufzulegen. „Einen Moment! Wann soll ich denn wieder hingehen?“
Es entstand eine lange Pause.
„Hallo?“
„Ich verbinde Sie mit Monica“, sagte die Stimme, und schon hörte Sarah die Fahrstuhl-Version von Ricky Martins „La Vida Loca“.
Hier stimmt etwas nicht!
„Sarah?“
„Ja“, sagte Sarah eifrig und mit einem Mal hellwach. „Monica? Was ist passiert?“
„Sarah, es ist sehr ernst“, murmelte Monica mit Grabesstimme. „Ich fürchte, Ihr Arbeitgeber hat angerufen und sich über Sie beschwert.“
„Beschwert? Worüber?“
„Offensichtlich wurden einige sehr wichtige Dateien in der vergangenen Nacht gelöscht. Sie waren zuletzt auf Ihrem Computer geöffnet worden, das haben die Techniker recherchiert.“ Monica klang so, als wisse sie zwar nicht genau, was das bedeutete außer, dass es sehr schlimm war.
Die Datei … verdammt. „Sie haben die Bilanz gelöscht?“
„Ja, es wurde so etwas erwähnt.“
„Ich habe keine Ahnung, wie sie verschwinden konnte, aber ich gehe davon aus, dass all die Informationen irgendwo gesichert sind.“
„Offenbar nicht – denn auch die Sicherungskopien sind von Ihrem Computer aus gelöscht worden. Ich weiß nichts Genaueres, aber es gab sogar Gerüchte über einen Computervirus. Jedenfalls ist diese ganze Geschichte sehr unangenehm.“
Sarah schnappte nach Luft. „Warten Sie eine Sekunde. Wollen Sie damit behaupten, dass ich die Dateien absichtlich gelöscht habe?“
Monica seufzte. „Die Firma spricht entweder von krimineller Handlung oder erstaunlicher Dummheit, um ehrlich zu sein.“
Sarah schloss die Augen. Der Raum schien sich plötzlich zu drehen, und sie wusste, dass das nicht an der Margarita von letzter Nacht lag. „Monica, Sie kennen mich. Sie wissen, über welche Computerkenntnisse ich verfüge.“
„Das ist es ja.“ Es folgte ein tiefes Seufzen. „Und das ist auch der Grund, warum wir Sie hier in der Agentur nicht mehr haben wollen.“
„Wie bitte?“
„Wir können keine Gerüchten über Firmenspionage brauchen, auf gar keinen Fall. Und deshalb sind Sie ab sofort kein Mitglied der Fugit-Familie mehr. Ihr letzter Gehalts-Scheck wird Ihnen zugeschickt … Sie brauchen nicht extra vorbei zu kommen.“
„Monica, Sie können das doch unmöglich glauben! Sie müssen mir die Chance geben zu beweisen …“
„Zudem gibt es den Vorwurf, dass sie mit einem der Mitarbeiter geschlafen haben.“
Sarah erstarrte.
„Ehrlich gesagt hätte ich das nicht von Ihnen gedacht, Sarah“, sagte Monica traurig. „Normalerweise habe ich eine sehr gute Menschenkenntnis.“ Es klang, als fühle sie sich persönlich beleidigt.
„Monica, hören Sie mir zu …“
„Nein, ich finde, wir haben schon lang genug gesprochen. Auf Wiedersehen, Sarah.“
Sarah hörte ein Klicken in der Leitung und legte ebenfalls auf. Okay, auf so etwas hat Judith mich nicht vorbereitet, dachte sie.
Sarah war müde. Sie musste einen neuen Job finden, wahrscheinlich einen schlecht bezahlten im Einzelhandel oder in der Gastronomie. Wie konnte es nur so weit kommen, fragte sie sich. Sie hatte doch alles so genau geplant. Sie hatte Benjamin heiraten wollen, der sie liebte und ihre Entscheidungen unterstützte. Sie hatte sich vorgestellt, fast wie von selbst einen Job zu finden, der ihr Freude bereitete, oder so damit beschäftigt zu sein, ihre Kinder zu erziehen, dass sie die Karriereplanung hinten anstellen würde. Je nachdem. Doch wie Judith es prophezeit hatte: Jetzt war alles verloren. Sollte sie jemals befürchtet haben, eine Versagerin zu werden – davor brauchte sie nun wirklich keine Angst mehr zu haben. Sie war bereits eine riesengroße Versagerin, das Wort konnte sie sich ebenso gut gleich dick und fett auf ihre Stirn tätowieren lassen.
Daran ist nur Benjamin schuld, dachte sie. Sie stellte das Radio an und schaltete durch die Kanäle, bis sie einen Rocksender gefunden hatte, der gerade Limp Biskits „Break Stuff“ spielte. Sie fühlte sich ausgelaugt, wütend … schrecklich. Je länger sie über ihre Misere nachdachte, umso unruhiger wurde sie … und umso entschlossener. Fast unbewusst suchte sie aus den gelben Seiten die Nummer von Jams Firma heraus.
Ruf ihn nicht an. Das ist keine gute Idee! Die Litanei in ihrem Kopf endete erst, als sie den Telefonhörer abnahm und wählte. Sie wusste, dass es eine blöde Idee war. Aber es war die Einzige, die sie hatte.
„Bear Electonics.“
„Könnte ich bitte mit Benjamin Slater sprechen?“ Sie versuchte, ihrer Stimme einen geschäftsmäßigen Tonfall zu geben. Offenbar reichte das aber nicht aus. Die Stimme der Sekretärin klang argwöhnisch.
„Darf ich nach Ihrem Namen und dem Grund Ihres Anrufes fragen?“
„Mein Name ist Sarah Walker. Und er kennt den Grund meines Anrufes.“ Zumindest hoffte sie das. Oder vielleicht hoffte sie auch, dass er ihn nicht kannte, denn wenn er ahnte, dass sie nur anrief, um ihn fertig zu machen, würde er bestimmt nicht mit ihr sprechen.
„Einen Moment bitte.“ Die Stimme der Sekretärin war frostig. Sarah landete in der Warteschleife und lauschte diesmal geschmacklos romantischer Instrumentalmusik – was, wenn man ihre Laune bedachte, fast schon wieder lustig war.
„Benjamin Slater.“
Seine Stimme. Ihr Herz klopfte verräterisch. „Hallo Jam.“
Es entstand eine lange Stille. „Sarah. Weißt du, ich habe nicht einmal richtig hingehört, als Mathilda sagte, wer am Telefon ist.“
„Verstehe.“ Okay, nun hatte sie ihn am Apparat. Und was wollte sie jetzt tun? Was hatte sie sich nur gedacht? Das Schweigen schien endlos.
Schließlich sagte Benjamin: „Weshalb willst du mich diesmal anschreien, Sarah?“
Diese Frage traf sie unvorbereitet. „Wie kommst du darauf, dass ich dich anschreien will?“
Er seufzte. „Ich kenne dich. Ich kenne dich sehr gut. Hast du das vergessen? Du hast bestimmt eine Menge in den letzten Wochen in dir aufgestaut. Und offenbar hast du mir etwas zu sagen.“
„Ich …“ Nun, sie hatte ihm etwas zu sagen. Aber was genau? Du hast mein Leben ruiniert, du egoistischer Bastard? „Du hast nicht mal angerufen, um zu erfahren, ob ich noch lebe.“ Das klang irgendwie nicht gut. Schwach. Voller Selbstmitleid.
„Nun, offenbar lebst du“, sagte er mit einem kleinen Lächeln in der Stimme. Nein, darauf würde sie nicht hereinfallen. Der Typ war … wie nannte Martika ihn? Ein Arsch. Ein absoluter Arsch.
„Wie ist es dir ergangen, Sarah?“
„He, das ist nicht fair.“
„Was?“
„Das klingt so nett und so, als ob du dich dafür interessierst, und das, obwohl du überhaupt nicht mehr an mich gedacht hättest, wenn ich nicht angerufen hätte.“ Jetzt wusste sie, in welche Richtung das Gespräch gehen sollte. „Du eigennütziger, scheußlicher … „
„Ich denke an dich, Sarah“, sagte Benjamin ruhig. „Ich denke sogar sehr oft an dich.“
Sofort ging ihr die Luft aus. „Wirklich?“
„Eigentlich die ganze Zeit.“
Sie dachte darüber nach. „Wieso, schulde ich dir noch Geld oder so?“
„Das ist nicht nett“, antwortete er kühl. „Du weißt, dass du mir wichtig bist, Sarah. Nur weil ich nicht mit allem einverstanden bin, was du tust, heißt das nicht, dass ich mich nicht mehr für dich interessiere.“
Sarah kam sich vor wie ein Idiot. Ein unreifer, jämmerlicher Idiot. Sie umklammerte den Hörer noch fester. „Du hast mich nicht unterstützt. Du hast mir das Gefühl gegeben, ganz allein zu sein.“
„Ich habe dir überhaupt kein Gefühl gegeben, Sarah“, sagte er ruhig und vernünftig. „Ich habe nur erwähnt, dass fristlos einen Job zu kündigen, der dir Aufstiegschancen geboten und für den eine Freundin von dir den Kopf hingehalten hat, eine wirklich schlechte Idee war.“
So gesehen hatte er eigentlich … Nein! Bleib beim Thema. Fang nicht wieder an, dich selbst zu hinterfragen.“
„Ich war verletzt, Benjamin“, sagte sie sanft. „Du schimpfst immer mit mir oder sagst, dass ich endlich erwachsen werden soll. Du hast dich nicht ein einziges Mal dafür interessiert, wie ich mich gefühlt habe oder warum ich es getan habe.“
„Weißt du überhaupt, warum du tust, was du tust?“
„Selbstverständlich!“ rief Sarah leidenschaftlich.
„Warum hast du also gekündigt?“
Sie rieb sich die Schläfen. Das war alles schon so lange her. Warum hatte sie gekündigt? „Ich konnte diese Arbeitsweise nicht tolerieren. Die Leute waren beleidigend, ich habe permanent Überstunden gemacht, und sie waren trotzdem nie zufrieden. Und ich habe darauf gewartet, dass du endlich kommst und mir hilfst. Und was tust du? Lässt mich einfach im Stich!“
„Du hast darauf gewartet, dass ich die rette, Sarah.“
Sarahs Wangen wurden heiß. „Geh doch zur Hölle, Jam.“
„Ich sage das nicht, um dir wehzutun“, behauptete er. „Ich zähle nur die Tatsachen auf.“
„Ich brauchte dich nicht, damit du mich rettest. Ich wollte einfach, dass du bei mir bist. Und das warst du nie – du warst ja immer viel zu beschäftigt. Alles in deinem Leben war dir wichtiger als ich, und das nur, weil ich es dir habe durchgehen lassen.“ Sie hielt inne und dachte über das Gesagte nach. Weil ich es dir habe durchgehen lassen! „Ich habe etwas Besseres verdient.“ Ihre Stimme zitterte leicht, und sie holte tief Luft, um sich wieder zu beruhigen.
„Ich schätze, ich habe dich irgendwie als selbstverständlich angesehen. Du weißt, wie wichtig mir mein Job ist. Ich wollte einfach eine solide Grundlage schaffen …“
„Das ist mir egal.“
Sie hörte, wie Benjamin seufzte. „Weißt du, heute hatte ich einen sehr erfolgreichen Tag. Warum gehen wir nicht zusammen Mittagessen und reden über alles?“
Mittagessen? Sarah blinzelte, hielt den Hörer einen Moment vom Ohr weg und starrte ihn an. Über alles reden? „Äh, okay. Denke ich.“
„Ich freue mich“, sagte er. „Wie wär’s mit … wie heißt das Restaurant, über das jeder spricht? Jozu?“
„Äh, okay.“
„Ich hole dich ab.“
„Äh …“
„Ist das in Ordnung?“
Sie zuckte die Achseln. „Klar.“ Vergeude dein Benzin, nicht meines, dachte sie. Warum nicht?
Sie zog sich drei Mal um. Zuerst wählte sie ein aufregendes Outfit, aber sie wollte nicht, dass er den Eindruck bekam, sie wolle ihn zurückgewinnen, deshalb wechselte sie zu Jeans und einem engen T-Shirt. Dann änderte sie wieder ihre Meinung und entschied sich für ein Sommerkleid, das nicht zu offenherzig, aber auch nicht zu lässig war. Zumindest glaubte sie das.
Es klingelte.
„Ja?“
„Ich bin’s, Benjamin.“
„Ich bin sofort unten.“ Sarah schnappte sich ihre Handtasche und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Er sieht gut aus, dachte sie verärgert. Er trug einen Anzug, den sie nicht kannte. Offenbar hatte auch er entdeckt, dass die Kleidung, die er in Fairfield getragen hatte, nicht unbedingt nach L.A. passte. Er wirkte sehr seriös, vielleicht ein wenig zu konservativ. Andererseits hatte sie so viel Zeit mit Leuten wie Martika, Taylor und Pink verbracht, dass sie das womöglich nicht mehr neutral beurteilen konnte.
Er runzelte die Stirn. „Deine Haare sind anders.“
„Ja.“
„Sie sind viel kürzer.“
Sie sah ihn böse an. „Mir gefällt’s. Und einer Menge anderer Leute auch.“ So! Nun soll er mal überlegen, wer die vielen anderen Leute sind! Ha!
„Ich habe ja nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt. Ich sagte nur, dass es viel kürzer ist.“
Sie wusste, was er gesagt hatte. „Sollen wir?“
Sie liefen schweigend los. Als sie das Restaurant betraten, begann Sarah sich zu entspannen, zumindest so lange, bis er zu reden anfing. Sie umklammerte nervös ihr Glas und fragte sich, ob es wohl unverschämt wäre, etwas anderes zu Trinken zu bestellen als Wasser. Vielleicht einen Red Screaming Zombie. Sie hatte das Gefühl, dass ein muskelentspannendes Mittel jetzt hilfreich sein könnte, sonst würden sich ihre Schultern womöglich für immer verkrampfen.
„Warum hast du mich heute angerufen?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, ich habe schon eine Weile mit dem Gedanken gespielt.“
„Was gibt es Neues in deinem Leben?“
Sie seufzte. „Lass mal sehen. Momentan arbeite ich für eine Zeitarbeits-Vermittlung.“
„Verstehe.“ Sie rechnete es ihm hoch an, dass aus seiner Stimme kein bisschen Ironie heraus zu hören war. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Und gehofft, dass es dir gut geht.“
„Warum hast du mich nicht einfach angerufen?“ fragte sie und dachte an die vielen Stunden, in denen sie sich einsam und verzweifelt gefühlt hatte.
„Es hat zu wehgetan.“
Seine Worte trafen sie direkt ins Herz. Er war verletzt. Er vermisste sie. Sie spürte, wie ihr verräterisch warm ums Herz wurde, und musste sich zwingen, seine Hand nicht zu ergreifen. Stattdessen fixierte sie den Ober, und bestellte zu essen und ein Glas Weißwein.
„Und wie läuft es bei deiner Arbeit?“ fragte sie, um das Thema zu wechseln und weil sie wusste, dass er auf wo eine Frage ausführlich antworten würde. Doch zu ihrer Überraschung sagte er nur: „Es läuft ganz gut – aber nicht so gut, wie ich es erwartet hatte. Ich glaube, ich bin nicht so eine typische L.A.-Person. Ich gewöhne mich zwar langsam daran, doch ehrlich gesagt ist das hier nicht gerade meine Traumstadt.“ Er sah sie nachdenklich an. „Vermisst du Fairfield?“
„Manchmal.“ So wie neulich, als sie den Job geschmissen und Jam verlassen hatte. Oder als sie diese schreckliche Nacht mit Tika in dem Club verbrachte. Oder heute Morgen. Doch sie schüttelte die Gedanken ab. „Manchmal. Aber L.A. hat auch jede Menge Vorteile.“
„So.“ Er verzog sein Gesicht zu seinem verächtlichen Grinsen – wie gut sie das kannte! „L.A. ist wie ein großer Vergnügungspark.“
„Das hört sich so an, als ob das etwas Schlechtes wäre.“
„Na ja, wenn man nur nach Spaß sucht, ist das schon in Ordnung.“ Er nahm einen Schluck Wasser. „Wollen wir nicht über uns sprechen, Sarah?“
„Es gibt kein ‚uns‘, Benjamin.“
„Und wer ist daran schuld?“
„Ich habe dir meine Gründe bereits öfter erklärt.“
„Aber diesmal höre ich dir zu. Ich glaube einfach nur, dass du …“ Er machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. „Du hast etwas übertrieben reagiert.“
„Ich habe was?“
„Seit du in L.A. lebst, hast du dich verändert. Ich meine, sonst warst du immer irgendwie lockerer …“
„Lockerer?“
„Du weißt, wie ich das meine. Du hast dich nie wirklich für etwas entscheiden können.“
„Ich hatte mich für dich entschieden!“ Sie senkte ihre Stimme, schließlich wollte sie keine Szene machen. „Du warst mein Leben, Benjamin. Ich brauchte keine Karriere, du warst eine Ganztags-Beschäftigung für mich!“
Er schwieg einen Moment, und Sarah hätte am liebsten losgeheult. All diese Jahre, und er hatte es nicht kapiert. Er würde es nie kapieren. Er würde wahrscheinlich niemals …
„Ich liebe dich, Sarah.“
Sie blinzelte. Tränen stiegen in ihr hoch. „Wie bitte? Was sagst du?“
„Du hast mich verstanden. Ich liebe dich. Du warst wirklich immer sehr … anhänglich, und erst als du mich verlassen hast wurde mir klar, was ich an dir hatte.“
Sie starrte die Wand an, dann die anderen Gäste – alles, nur nicht ihn. „Das kannst du jetzt nicht einfach so zu mir sagen.“
„Bitte, ich möchte es wieder gutmachen.“ Er bezahlte die Rechnung und sah ihr mit gefährlicher Überzeugungskraft in die Augen. „Lass uns den Nachmittag zusammen verbringen.“
„Musst du denn nicht zurück zur Arbeit?“ fragte Sarah und klammerte sich an diesem letzten Strohhalm fest. Schon mit ihm Mittagessen zu gehen, war keine gute Idee gewesen. Jetzt mit ihm an einen Ort zu gehen, wo ich womöglich mit ihm schlafen werde, ist eine schreckliche Idee!
„Das ist mir egal. Die Arbeit wird noch da sein, wenn ich zurückkomme.“
Sarah beobachtete fassungslos, wie er seine unterkühlte Sekretärin anrief und sie wissen ließ, dass er sich den Rest des Nachmittages frei nehmen würde. „Ja, ich bin mir sicher“, sagte er betont. Offenbar konnte die Sekretärin das genauso wenig glauben wie Sarah. Er sah sie an. „Möchtest du mein Haus sehen?“
Bevor sie ablehnen konnte, stellte sie fest, dass sie bereits genickt hatte. Alarmglocken läuteten in ihrem Kopf, doch sie ignorierte sie. Es war eine Tatsache, dass sie ihn vermisste. Mit ihm zu sprechen, mit ihm zum Auto zu laufen, den leichten Druck seiner Hand auf ihrer Schulter zu spüren, das alles fühlte sich so normal an. Das war es doch, was sie sich immer gewünscht hatte, nämlich ein glückliches Paar zu sein. Sie wollte nicht wirklich in dieser glamourös-verrückten Welt von Martika und Taylor leben. Klar, das war aufregend, aber auch nur für eine gewisse Zeit. Benjamin hingegen bedeutete Sicherheit, Stabilität und langfristige Ziele. Benjamin war beständig.
Als sie sein Haus erreicht hatten, fühlte sie in ihrem Magen dieses nervöse, leicht erregte Flattern, das sie seit Monaten nicht mehr gespürt hatte. Und das Beste: keinerlei Schuldgefühle. Hier bewege ich mich auf sicherem Grund, dachte sie, als sie aus dem Wagen stieg. Das fühlte sich richtig an. Er öffnete die Haustür, und ein kleiner Schmerz durchzuckte sie. Genau das hatte sie sich vorgestellt, als sie beschlossen hatte, nach Los Angeles zu ziehen. Nur hätte ich den Fernseher auf die andere Seite gestellt, dachte sie und die Couch verschoben. Sie fand, dass der Esstisch etwas nackt wirkte, sie hätte vielleicht eine hübsche Tischdecke darauf gelegt. Dann bemerkte sie, dass die Küche ziemlich leer und unbenutzt aussah.
„So, das ist es.“
Sie seufzte.
„Möchtest du jetzt das Schlafzimmer sehen?“ Seine Augen waren halb geschlossen, und er lächelte ein wenig. Ihr Unterbewusstsein sandte ihr eine letzte Warnung. Sarah ignorierte sie entschlossen.
„Liebling? Ich muss heute Abend zu einem Geschäftsessen.“
Sarah setzte sich auf. Sie fühlte sich satt und sehr müde. Sex am helllichten Tag ist doch der beste, dachte sie mit einem Lächeln. „Oh. Gib mir nur eine Minute zum Wachwerden.“
Er kicherte. „Das war ziemlich gut.“
„Mhm.“
Er stand auf und lief nackt ins Bad, das ans Schlafzimmer angrenzte. Sie hörte, wie er die Tür schloss und die Dusche anstellte. Sarah streckte sich und stöhnte ein wenig über die leichten Schmerzen, die sie empfand. Nun, es war lange her, dass sie Sex gehabt hatte. Sie stand auf und schlüpfte in ihre Kleider. Sie würde nach Hause schleichen und hoffen, dass Martika nicht schon auf sie wartete. Schließlich wusste sie genau, dass Tika diese Entwicklung nicht gutheißen würde. Vor allem nicht, nachdem das hier alles ziemlich ernsthaft nach Versöhnung aussah. Vielleicht würde sie bald bei ihm einziehen, das würde ganz schnell gehen, sie hatte ja nicht viele Möbel. Tika könnte dann den Mietvertrag übernehmen.
Das Telefon klingelte. „Soll ich rangehen?“ rief sie.
Jam konnte sie unter der Dusche offenbar nicht hören. Sie beschloss, den Anrufbeantworter sich einschalten zu lassen. Sie ging hinaus, weil sie sich sein Büro ansehen wollte. Sie hatte den Flur halb durchquert, als sie die Ansage des Anrufbeantworters laut hörte.
„Hi. Das ist die Nummer von Benjamin und Jessica. Im Moment können wir leider nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie Ihren Namen und Ihre Telefonnummer hinterlassen, werden wir Sie so schnell wie möglich zurückrufen. Danke.“
Das ist Benjamins Stimme, dachte sie. Wer zum Teufel ist Jessica? Sie drehte sich schnell um. Ihr Herz raste, ihr Magen rumorte, ihr wurde schlecht. All die Möbel gehörten doch Benjamin! Sarah warf einen verstohlenen Blick auf die Badezimmertür. Das Wasser lief noch. Sie öffnete den Kleiderschrank und sah eine Reihe Anzüge, die ordentlich aufgehängt waren. Sie öffnete die andere Tür. Kleider. Ziemlich kleine Kleider. Ich liebe dich, Sarah. Sie hörte seine Worte noch mal. Dieser Bastard, dachte sie benommen. Dieser Lügner, dieser Betrüger!