Kapitel 18

Ich lag nicht im Krankenhaus.

Doch ich lag in einem Bett, wenn auch nicht in meinem eigenen. Und ich war etwas sauberer als zuvor, und trug Verbände, und hatte Schmerzen ... geradezu unerträgliche Schmerzen.

Was die Sauberkeit und die Verbände betraf - oh, wie so wünschenswert. Was die Schmerzen betraf - tja, das war zu erwarten, verständlich und würde nicht ewig dauern. Wenigstens versuchte jetzt keiner mehr, mir noch schlimmere Schmerzen zuzufügen, als ich ohnehin schon hatte. Da ging's mir doch vergleichsweise bereits hervorragend, fand ich.

Mein Gedächtnis wies einige Lücken auf. So wusste ich zum Beispiel nicht mehr, wie ich aus jener Bruchbude hierhergekommen war. Ich erinnerte mich nur noch an rasend schnelle Bewegungen und Stimmengewirr, konnte das alles aber nicht zu einer sinnvollen Geschichte zusammensetzen. Ich wusste noch, dass Kidnapper Eins der Kopf abfiel und irgendwer Kidnapper Zwei in den Hals gebissen hatte, und hoffte, dass die Elfe genauso mausetot war wie der Elf. Aber sicher war ich mir nicht. Hatte ich Bill wirklich gesehen? Und was war dieser Schatten hinter ihm gewesen?

Ich hörte ein Klick, Klick, Klick und drehte, nur ganz leicht, den Kopf. Claudine, mein Schutzengel, saß strickend an meinem Bett.

Doch der Anblick der strickenden Claudine erschien mir genauso unwirklich wie der Anblick Bills im Folterkerker, so dass ich beschloss, lieber noch ein wenig zu schlafen - ein feiger Rückzug, ich weiß. Aber ich fand, der stand mir zu.

»Sie wird wieder gesund«, sagte da Dr. Ludwig. Ihr Kopf erschien an der Seite meines Bettes, was mir endgültig klarmachte, dass ich nicht in einem modernen Krankenhausbett lag.

Dr. Ludwig kümmerte sich um all die Fälle, die nicht in einem normalen Krankenhaus für Menschen behandelt werden konnten, weil das Personal bei ihrem Anblick schreiend davonrennen würde oder das Labor nicht in der Lage wäre, ihr Blut zu analysieren. Ich konnte Dr. Ludwigs dickes, welliges braunes Haar sehen, als sie um mein Bett herum zur Tür ging. Dr. Ludwig hatte eine tiefe Stimme. Ich nahm an, dass sie ein Hobbit war - nein, eigentlich nicht. Aber sie sah auf jeden Fall so aus. Auch wenn sie Schuhe trug. Das tat sie doch, oder? Und einen Augenblick lang versuchte ich, mich zu erinnern, ob ich je Dr. Ludwigs Füße gesehen hatte.

»Sookie«, sagte sie, und ihre Augen tauchten auf Höhe meines Ellenbogens auf. »Wirkt die Arznei?«

Ich wusste nicht, ob dies bereits ihr nächster Besuch bei mir war oder ob ich nur eine Weile weggedriftet war. »Meine Schmerzen sind etwas erträglicher«, erwiderte ich mit sehr rauer und heiserer Stimme. »Mein Körper fühlt sich etwas taub an. Das ist einfach... herrlich.«

Sie nickte. »Ja. Wenn man bedenkt, dass Sie ein Mensch sind, haben Sie sehr viel Glück gehabt.«

Seltsam. Ich fühlte mich natürlich besser als in jener Bruchbude, aber für einen Glückspilz hielt ich mich nicht gerade. Ich versuchte, wenigstens etwas Wertschätzung für mein gütiges Schicksal zusammenzukratzen. Doch es gab rein gar nichts zusammenzukratzen. Ich war total leer. Meine Gefühle waren ebenso verkrüppelt wie mein Körper.

»Nein.« Ich versuchte den Kopf zu schütteln, doch nicht mal die Schmerzmittel konnten die schweren Verletzungen in meiner Kehle lindern. Die beiden Elfen hatten mich wieder und wieder gewürgt.

»Sie sind nicht tot«, bemerkte Dr. Ludwig.

Aber ich war nahe dran gewesen; irgendwie hatte ich die Grenze schon überschritten gehabt. Es hatte einen letzten Zeitpunkt zur Rettung gegeben, und wäre ich vorher befreit worden, hätte ich auf dem ganzen Weg zum Supra-Krankenhaus, oder wo immer ich hier war, gelacht. Doch ich hatte dem Tod aus der Nähe ins Angesicht gesehen - aus solcher Nähe, dass ich jede Pore einzeln im Angesicht des Todes hatte erkennen können -, und ich hatte zu viel erlitten. Diesmal würde ich nicht so rasch wieder auf die Beine kommen.

Ich war emotional und körperlich total am Ende, seit ich zerschnitten, zerstochen und zerbissen wurde bis aufs rohe Fleisch. Und ich wusste nicht, ob diese Wunden sich jemals wieder schließen würden zu der relativen Unversehrtheit, wie ich sie vor diesem Kidnapping besessen hatte. Etwas in diesem Sinne sagte ich, wenn auch in einfacheren Worten, zu Dr. Ludwig.

»Die beiden sind tot, wenn Ihnen das hilft«, erwiderte sie.

Ja, das half tatsächlich ein wenig. Ich hatte gehofft, dass ich mir das nicht nur eingebildet hatte. Nun musste ich wenigstens nicht mehr fürchten, dass ihr Tod nur ein Wunschtraum war, aus dem ich wieder erwachen würde.

»Ihr Urgroßvater hat Lochlan geköpft«, sagte Dr. Ludwig. Das war also Elf Eins gewesen. »Und der Vampir Bill Compton hat Lochlans Schwester Neave die Kehle herausgerissen.« Und hier hatten wir Elfe Zwei.

»Wo ist Niall?«, fragte ich.

»Er führt Krieg«, sagte Dr. Ludwig düster. »Die Zeit der Verhandlung ist beendet, kein Schachern mehr um Vorteile. Jetzt gibt es nur noch Mord und Totschlag.«

»Und Bill?«

»Er ist schwer verletzt«, sagte die kleinwüchsige Ärztin. »Neave hat noch mit ihrem Dolch auf ihn eingestochen, ehe sie verblutet ist. Und sie hat zurückgebissen. Die Schneide ihres Dolchs war aus Silber, genauso wie die blitzenden Kappen auf ihren Zähnen. Er hat es im Körper.«

»Er ist Vampir, er erholt sich wieder«, sagte ich.

Dr. Ludwig zuckte die Achseln.

Ich dachte, mir plumpst das Herz auf den Boden, direkt durchs Bett hindurch. Diesem Unglück wagte ich gar nicht ins Auge zu blicken.

Krampfhaft bemühte ich mich, an jemand anderen als Bill zu denken. »Und Tray? Ist er auch hier?«

Einen Augenblick lang sah sie mich schweigend an. »Ja«, sagte sie schließlich.

»Ich muss ihn sehen. Und Bill auch.«

»Nein, Sookie, Sie dürfen sich nicht bewegen. Bill liegt zurzeit in einem Tagesruheort. Eric kommt heute Abend, es sind nur noch wenige Stunden bis dahin, und bringt einen weiteren Vampir mit. Das wird eine große Hilfe sein. Der Werwolf ist zu stark verletzt, als dass Sie ihn stören dürften.«

Ich konnte das alles kaum verkraften. Meine Gedanken rasten, auch wenn es noch ein enorm langsames Rasen war. Doch ich konnte wieder etwas klarer denken. »Wissen Sie, ob Sam informiert wurde?« Wie lang war ich bewusstlos gewesen? Wie lang fehlte ich schon bei der Arbeit?

Wieder zuckte Dr. Ludwig die Achseln. »Ich weiß es nicht. Vermutlich. Er scheint immer alles zu erfahren.«

»Gut.« Ich versuchte, mich anders hinzulegen, und hielt keuchend inne. »Irgendwann muss ich aber mal aufstehen und zur Toilette«, warnte ich sie vor.

»Claudine«, sagte Dr. Ludwig, und meine Cousine legte ihr Strickzeug zur Seite und stand aus dem Schaukelstuhl auf. Jetzt erst sah ich, dass mein schöner Schutzengel aussah, als hätte irgendwer sie durch einen Holzschredder gejagt. Ihre nackten Arme waren mit Kratzern, Rissen und Schnitten übersät. Und ihr Gesicht sah furchtbar aus. Sie lächelte, doch schmerzverzerrt.

Als sie mich hochhob, konnte ich spüren, welche Mühe es ihr machte. Normalerweise konnte Claudine problemlos ein großes Kalb stemmen, wenn sie wollte.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich kann bestimmt laufen.«

»Denk nicht mal dran«, erwiderte Claudine. »Na, da sind wir doch schon.«

Als unsere Mission beendet war, trug sie mich auch wieder ins Bett zurück.

»Was ist dir passiert?«, fragte ich sie. Dr. Ludwig war ohne ein weiteres Wort gegangen.

»Ich bin in einen Hinterhalt geraten«, erzählte sie in ihrem reizenden Tonfall. »Ein paar blöde Heinzelmännchen und ein Elf namens Lee.«

»Waren es Verbündete von Breandan?«

Claudine nickte und griff wieder nach ihrem Strickzeug. Sie schien gerade an einem winzigen Pullover zu arbeiten, und ich fragte mich, ob der für einen Elf sein sollte. »Das waren sie«, sagte Claudine. »Jetzt sind die Verbündeten nur noch Bündel aus Fleisch und Knochen.« Worüber sie sich sehr zu freuen schien.

Tja, so würde Claudine nie zu einem Engel aufsteigen. Ich hatte keine Ahnung, wie diese Karriere genau verlief. Aber andere in ihre Einzelteile zu zerlegen war vielleicht nicht so ganz der rechte Weg dorthin. »Gut«, sagte ich. Je mehr von Breandans Gefolgsleuten dran glauben mussten, umso besser. »Hast du Bill gesehen?«

»Nein«, sagte Claudine, eindeutig desinteressiert.

»Und wo ist Claude?«, fragte ich. »In Sicherheit?«

»Er ist bei Großvater«, erzählte sie, und zum ersten Mal wirkte sie besorgt. »Sie versuchen, Breandan aufzuspüren. Großvater meint, wenn er die Wurzel allen Übels ausreißt, bleibt den Gefolgsleuten des Feindes nichts anderes übrig, als den Krieg zu beenden und ihm Treue zu schwören.«

»Oh. Und du hast sie nicht begleitet, weil...?«

»Weil ich dich bewache«, sagte sie nur. »Und damit du nicht glaubst, ich ginge den Weg der geringsten Gefahr: Ich bin sicher, dass Breandan dieses Haus hier sucht. Er muss äußerst aufgebracht sein. Jetzt, da seine Lieblingsmörder tot sind, muss er selbst diese Welt betreten, die er so sehr verabscheut. Er hat Neave und Lochlan geliebt, sie waren schon seit Jahrhunderten bei ihm und beide seine Geliebten.«

»Bäh«, machte ich aus tiefstem Herzen, oder vielleicht auch aus der Magengrube heraus. »Oh, bäh.« Ich wollte mir nicht mal vorstellen, auf welche Weise sie sich »geliebt« hatten. Was ich zu sehen bekommen hatte, hatte mit Liebe nicht viel zu tun gehabt. »Ich würde dir übrigens nie vorwerfen, den Weg der geringsten Gefahr zu gehen«, sagte ich, als meine Übelkeit wieder abgeklungen war. »Die ganze Welt ist gefährlich.« Claudine warf mir einen traurigen Blick zu.

Eine Zeit lang sah ich nur zu, wie rasend schnell und schwungvoll sie die Stricknadeln bewegte. Ich war nicht sicher, wie der flauschige grüne Pullover mal aussehen würde, doch ihre Strickerei war beeindruckend.

Dann fragte ich: »Was ist das eigentlich für ein Name, Breandan?«

»Ein irischer«, erklärte sie. »Die ältesten Elfen in diesem Teil der Welt sind alle Iren. Claude und ich hatten auch mal irische Namen. Aber das war mir einfach zu dumm. Warum sollten wir uns nicht selbst einen Gefallen tun? Die irischen Namen kann doch keiner richtig aussprechen. Mein früherer Name klang wie das Keuchen einer Katze, die einen Haarball hervorwürgt.«

Dann herrschte wieder eine Zeit lang Schweigen.

»Für wen ist denn dieser winzige Pullover? Erwartest du etwa was Kleines?«, fragte ich schließlich mit meiner neuen krächzend heiseren Stimme. Es sollte eigentlich witzig klingen, doch es klang leider nur gruselig.

»Ja.« Claudine hob den Kopf und sah mich mit einem Strahlen in den Augen an. »Ich bekomme ein Kind. Ein vollblütiges Elfenkind.«

Ich erschrak, versuchte das aber mit dem breitesten Lächeln, das ich auf mein Gesicht zaubern konnte, zu verbergen. »Oh. Großartig!« Ob es wohl zu weit ginge, wenn ich auch gleich noch nach dem Vater fragte? Vermutlich.

»Ja«, sagte sie ernst. »Es ist wundervoll. Wir sind kein besonders fruchtbares Volk, und die enormen Mengen Eisen auf der Welt haben unsere Geburtenrate stark gesenkt. Unsere Anzahl schrumpft jedes Jahrhundert. Ich habe sehr großes Glück. Das ist einer der Gründe, warum ich nie mit Menschen ins Bett gehe, auch wenn ich es gelegentlich gern tun würde. Manche sind einfach so köstlich. Doch ich wollte auf keinen Fall meine fruchtbaren Tage an einen Menschen verschwenden.«

Und ich hatte immer geglaubt, ihr Wunsch, zu einem Engel aufzusteigen, hätte Claudine davon abgehalten, einen ihrer zahlreichen Verehrer zu erhören. »Dann ist der Vater also ein Elf«, sagte ich und versuchte, irgendwie hintenherum den Erzeuger zum Thema zu machen. »Seid ihr schon lange zusammen?«

Claudine lachte. »Ich wusste, dass ich meine fruchtbaren Tage hatte und dass er zeugungsfähig ist. Wir kennen uns nicht besonders gut fanden uns aber beide begehrenswert.«

»Wird er das Kind mit dir zusammen aufziehen?«

»Oh, ja, er wird es in den ersten Lebensjahren schützen.«

»Kann ich ihn mal kennenlernen?« Auf seltsam entrückte Weise freute ich mich sehr über Claudines Glück.

»Natürlich - wenn wir diesen Krieg gewinnen und der Weg zwischen den Welten immer noch offen ist. Er bleibt meist in der Elfenwelt«, sagte Claudine. »Er hat nicht viel übrig für Menschen.« Das sagte sie in etwa demselben Ton, in dem sie gesagt hätte, dass er eine Katzenhaarallergie habe. »Wenn Breandan siegt, wird die Elfenwelt versiegelt, und alles, was wir in dieser Welt aufgebaut haben, ist verloren. Die wunderbaren Erfindungen der Menschen, die wir nutzen können, all das Geld, mit dem wir diese Erfindungen finanziert haben ... das ist dann alles verloren. Es macht so viel Spaß unter Menschen zu sein. Sie strahlen so viel Energie aus, so viel kostbares Gefühl und sind einfach... berauschend.«

Dieses neue Thema war eine gute Ablenkung, aber mir tat die Kehle weh, und als ich nicht mehr antworten konnte, verlor Claudine das Interesse am Gespräch. Sie hatte sich wieder ihrem Strickzeug zugewandt, und so erschrak ich, als ihre Anspannung und Wachsamkeit nach einigen Minuten stark anwuchsen. Ich hörte Lärm auf dem Flur. Es klang, als würden Leute aufgeregt durchs Haus laufen. Claudine stand auf, ging an die schmale Tür des Zimmers und sah hinaus. Nachdem sie das dreimal getan hatte, schloss sie die Tür von innen ab. Ich fragte sie, was sie denn erwarten würde.

»Schwierigkeiten«, sagte Claudine. »Und Eric.«

Ein und dasselbe, dachte ich. »Sind noch andere Patienten hier? Ist das so etwas wie ein Krankenhaus?«

»Ja«, bestätigte sie. »Aber Dr. Ludwig und ihr Assistent evakuieren die Patienten, die laufen können, gerade alle.«

Ich hatte geglaubt, nach meinen Erlebnissen all meine Angst verbraucht zu haben. Doch meine erschöpften Gefühle regten sich wieder, als ich Claudines Anspannung spürte.

Etwa eine halbe Stunde später hob sie den Kopf und lauschte intensiv. »Eric kommt«, sagte sie. »Ich werde euch allein lassen müssen. Ich kann nicht wie mein Großvater meinen Duft verdecken.« Sie stand auf und schloss die Tür auf, die gleich darauf aufflog.

Eric tauchte fast lautlos auf. In dem einen Moment sah ich noch die Tür an und im nächsten füllte er sie schon gänzlich aus.

Claudine sammelte ihre Siebensachen zusammen und verließ das Zimmer, wobei sie so großen Abstand wie nur möglich von Eric hielt. Seine Nasenflügel bebten, als er den süßlichen Elfenduft einsog. Und dann war sie weg, und Eric stand an meinem Bett. Ich fühlte mich weder besonders glücklich noch zufrieden, also schienen sogar unsere Blutsbande ermattet zu sein, zumindest vorübergehend. Mein Gesicht tat so weh, als ich die Miene veränderte, dass es voller Prellungen und Schnitte sein musste. Mit dem linken Auge konnte ich nur verschwommen sehen. Ich brauchte keinen Spiegel, der mir sagte, wie schrecklich ich aussah. Doch das war mir im Moment auch völlig egal.

Eric bemühte sich sehr, seine Wut nicht zu zeigen, doch es gelang ihm nicht.

»Verdammtes Elfenpack«, sagte er und verzog angewidert den Mund.

Ich konnte mich nicht erinnern, Eric je fluchen gehört zu haben.

»Beide tot«, flüsterte ich, weil ich versuchen wollte, meine Worte auf ein Minimum zu beschränken.

»Ja. Aber ein schneller Tod war noch viel zu gut für sie.«

Ich nickte (so gut ich konnte) rückhaltlos zustimmend. Es hätte sich wirklich fast gelohnt, sie noch einmal ins Leben zurückzuholen, nur um sie erneut und diesmal viel langsamer zu töten.

»Ich werde mir deine Verletzungen ansehen«, sagte Eric, um mich vorzuwarnen.

»Okay«, flüsterte ich, obwohl ich wusste, dass der Anblick ziemlich abstoßend sein würde. Was ich gesehen hatte, als ich auf der Toilette mein Nachthemd hochgezogen hatte, war so schrecklich gewesen, dass ich kein Bedürfnis hatte, mich noch näher zu betrachten.

Mit der Akkuratesse einer Krankenschwester zog Eric die Decke zurück. Ich trug ein typisches Krankenhaushemd - eigentlich würde man sich ja wünschen, ein Krankenhaus für Supras ließe sich etwas Exotischeres einfallen -, und es war mir natürlich bis über die Knie hochgerutscht. Meine Beine waren übersät mit Bisswunden - tiefen Bisswunden. Und an einigen Stellen klafften sogar richtige Löcher im Fleisch. Ich musste beim Anblick meiner Beine unwillkürlich an den Weißen Hai denken.

Dr. Ludwig hatte die schlimmsten Wunden verbunden, und die weiße Gaze verbarg sicher so einige fachgerechte Nähte. Eine ganze Weile stand Eric reglos da. »Zieh das Nachthemd hoch«, sagte er dann. Doch als er merkte, dass meine Hände und Arme dazu zu schwach waren, tat er es selbst.

Die Weichteile hatten den Elfen am besten gefallen, daher wurde es jetzt richtig unerfreulich, oder besser gesagt abscheulich. Nach einem flüchtigen Blick konnte ich nicht mehr hinsehen. Ich hielt die Augen fest geschlossen, wie ein Kind, das in einen Horrorfilm geraten ist. Kein Wunder, dass ich so entsetzliche Schmerzen hatte. Ich würde nie mehr derselbe Mensch sein wie zuvor, weder geistig noch körperlich.

Nach einer Weile deckte Eric mich wieder zu. »Ich bin in einer Minute zurück«, sagte er, und ich hörte ihn das Zimmer verlassen. Er kam umgehend zurück, mit einigen Flaschen TrueBlood, die er neben dem Bett auf den Boden stellte.

»Rutsch rüber«, sagte er, und ich sah ihn verwirrt an. »Rutsch rüber«, wiederholte er ungeduldig. Dann erst merkte er, dass ich dazu nicht in der Lage war. Er schob mir den einen Arm unter den Rücken und den anderen unter die Knie und hob mich mühelos an den Rand des Bettes. Zum Glück war es viel breiter als ein normales Krankenhausbett, so dass ich mich nicht auf die Seite drehen musste, um Platz für ihn zu machen.

»Ich werde dich nähren«, sagte Eric.

»Was?«

»Ich werde dir mein Blut geben. Sonst wird es Wochen dauern, bis deine Wunden verheilen. So viel Zeit haben wir nicht.«

Er klang so forsch und sachlich, dass ich mich endlich entspannte. Mir war gar nicht aufgefallen, wie furchtbar angespannt ich gewesen war. Eric biss sich ins Handgelenk und hielt es mir vor den Mund. »Hier«, sagte er, als wäre es keine Frage, dass ich es nehmen würde.

Den anderen Arm schob er mir unter den Nacken und hob damit meinen Kopf an. Es würde weder amüsant noch erotisch werden, hier ging es nicht um kleine neckische Bisse beim Sex. Und einen Augenblick lang wunderte ich mich über meine widerstandslose Einwilligung. Doch Eric hatte gesagt, dass wir keine Zeit hätten. In gewisser Weise verstand ich, was das hieß. Andererseits aber war ich zu schwach, um in dem Zeitfaktor mehr als eine flüchtige und fast bedeutungslose Tatsache zu sehen.

Ich öffnete den Mund und schluckte. Meine Schmerzen waren so groß, und ich war so entsetzt über meine Wunden, dass ich nicht lange nachdachte, ob es auch klug sei, was ich da tat. Ich wusste, wie schnell die Wirkung des Vampirbluts eintreten würde. Sein Handgelenk heilte schon wieder, und er musste es erneut öffnen.

»Willst du das wirklich tun?«, fragte ich, als er sich zum zweiten Mal biss. Meine Kehle zog sich vor Schmerz zu, und ich bedauerte sofort, einen ganzen Satz ausgesprochen zu haben.

»Ja«, sagte er. »Ich weiß, wie viel zu viel ist. Und ich habe ausreichend Blut getrunken, ehe ich hierherkam. Du musst wenigstens transportfähig sein.« Eric verhielt sich derart pragmatisch, dass ich mich schon ein wenig besser zu fühlen begann. Mitleid hätte ich nicht ertragen.

»Transportfähig?« Die Vorstellung erfüllte mich mit Angst.

»Ja. Breandans Gefolgsleute können - werden - jeden Augenblick dieses Haus hier finden. Sie folgen dir jetzt anhand deines Geruchs, denn du hast den Duft der Elfen an dir, die dich misshandelt haben. Und sie wissen jetzt, dass Niall dich so sehr liebt, dass er Angehörige seines eigenen Volkes für dich tötet. Es wäre ihr höchstes Glück, dich aufzuspüren.«

Bei der Aussicht auf noch mehr Schwierigkeiten hörte ich auf zu trinken und begann zu weinen. Eric strich mir sanft über die Wangen, sagte aber: »Nicht weinen. Du musst stark sein. Ich bin sehr stolz auf dich, weißt du das?«

»Warum?« Ich zog sein Handgelenk an meinen Mund und trank wieder.

»Du bist noch ganz. Du bist noch ein Mensch. Lochlan und Neave haben schon Vampire und Elfen in Stücke gerissen - und ich meine, in jeder Hinsicht in Stücke gerissen ... du aber hast überlebt, und deine Persönlichkeit und deine Seele sind noch intakt.«

»Ich wurde gerettet.« Ich holte einmal tief Luft und zog sein Handgelenk wieder heran.

»Du hättest noch viel mehr überlebt.« Eric griff nach einer Flasche TrueBlood und trank sie rasch aus.

»Das hätte ich nicht gewollt.« Wieder holte ich tief Luft. Meine Kehle schmerzte immer noch, aber nicht mehr so furchtbar. »Ich wollte beinahe nicht mehr leben nach...«

Er küsste mir die Stirn. »Aber du lebst. Und die beiden sind gestorben. Und du bist mein und wirst mein bleiben. Sie werden dich nicht kriegen.«

»Glaubst du wirklich, sie kommen?«

»Ja. Breandans verbliebene Truppen werden uns früher oder später finden, wenn nicht sogar Breandan selbst. Er hat nichts mehr zu verlieren, aber noch seinen Stolz zu wahren. Ich fürchte, sie werden uns sehr bald finden. Dr. Ludwig hat schon fast alle anderen Patienten fortgeschafft.« Er drehte leicht den Kopf, als würde er lauschen. »Ja, die meisten von ihnen sind weg.«

»Wer außer uns ist noch hier?«

»Bill ist im Zimmer nebenan. Er bekommt Blut von Clancy.«

»Wolltest du ihm keins geben?«

»Wenn du tödlich verletzt gewesen wärst... Ja, dann hätte ich ihn verrotten lassen.«

»Aber warum denn?«, fragte ich. »Er kam mich doch retten. Warum bist du so sauer auf ihn? Wo warst du denn?« In mir stieg die Wut hoch.

Eric fuhr einige Zentimeter zurück, eine enorm heftige Reaktion für einen Vampir seines Alters. Er wandte den Blick ab. Ich konnte selbst kaum glauben, dass ich all das aussprach.

»Okay, du bist nicht verpflichtet, nach mir zu suchen«, sagte ich. »Aber ich habe die ganze Zeit gehofft - ich habe gehofft, dass du kommst; ich habe gebetet, dass du kommst; immer und immer wieder habe ich gedacht, dass du mich hören wirst...«

»Du bringst mich um«, sagte Eric. »Du bringst mich um.« Er schauderte, als könnte er meine Worte kaum ertragen. »Ich werde es dir erklären«, flüsterte er. »Das werde ich. Du wirst es verstehen. Aber jetzt haben wir nicht genug Zeit. Hat die Heilung schon eingesetzt?«

Ich horchte in mich hinein. Ich fühlte mich nicht mehr so elend wie zuvor, als ich noch kein Vampirblut getrunken hatte. Die offenen Wunden in meinem Fleisch juckten fast unerträglich, was ein Zeichen dafür war, dass sie langsam verheilten. »Ich fühle mich so, als könnte es mir demnächst wieder besser gehen«, sagte ich vorsichtig. »Ach übrigens, ist Tray Dawson auch hier?«

Mit sehr ernster Miene sah er mich an. »Ja, er kann hier nicht weg.«

»Aber warum denn nicht? Warum hat Dr. Ludwig ihn nicht mitgenommen?«

»Das hätte er nicht überlebt.«

»Oh, nein.« Ich war schockiert, sogar nach all dem noch, was ich durchgemacht hatte.

»Bill hat mir von dem verfaulten Vampirblut erzählt, das er getrunken hat. Die Elfen haben gehofft, er dreht durch und tut dir etwas an, aber er hat dich in Frieden gelassen. Und Lochlan und Neave wurden zunächst aufgehalten. Sie sind auf zwei von Nialls Kriegern getroffen und wurden von ihnen angegriffen, haben die zwei aber besiegt. Danach haben sie dein Haus überwacht. Sie wollten sichergehen, dass Dawson nicht zurückkommt und dir hilft. Bill hat mir auch erzählt, dass er mit dir bei Dawsons Haus war. Zu der Zeit hatten sie Dawson bereits in ihrer Gewalt. Sie haben sich mit ihm amüsiert, ehe sie sich... ehe sie dich gefangen nahmen.«

»Tray ist so schwer verletzt? Ich dachte, die Wirkung des verfaulten Vampirbluts wäre inzwischen längst abgeklungen.« Ich konnte mir den kräftigsten, stärksten Werwolf, den ich kannte, einfach nicht als geschlagenen Mann vorstellen.

»Das Vampirblut diente ihnen nur als Mittel, um ihm das eigentliche Gift einzuflößen. Bei einem Wergeschöpf hatten sie es vermutlich noch nie eingesetzt, denn es dauerte eine ganze Weile, bis es wirkte. Und dann vollführten sie ihre Künste an ihm. Kannst du aufstehen?«

Ich probierte aus, ob meine Muskeln mitspielen würden. »Noch nicht.«

»Dann trage ich dich.«

»Wohin?«

»Bill will mit dir reden. Du musst tapfer sein.«

»Meine Handtasche«, sagte ich. »Ich brauche etwas daraus.«

Wortlos reichte Eric mir die Tasche aus weichem Leder, die völlig verdreckt auf dem Bett neben mir lag. Mit großer Anstrengung gelang es mir, sie zu öffnen und meine Hand hineinzustecken. Eric hob die Augenbrauen, als er sah, was ich aus der Handtasche zog. Doch er hörte draußen etwas, das ihn aufschreckte. Eric war im Nu auf den Beinen und trug mich auf den Armen, als wäre ich nichts weiter als ein Teller Spaghetti. An der Tür blieb er stehen, und es gelang mir, den Türknauf für ihn zu drehen. Mit dem Fuß stieß er die Tür auf, und dann waren wir auf dem Flur. Wir befanden uns in einem alten Haus, irgendeinem kleinen Geschäftshaus, das für den jetzigen Zweck umgebaut worden war. Den ganzen Flur entlang reihten sich Türen aneinander, und etwa in der Mitte befand sich so eine Art Kontrollraum mit Glaswänden. Durch das Fenster gegenüber von diesem Raum sah ich auf ein recht trostloses Lagerhaus, in dem einige Lichter brannten. Es waren gerade genug, um zu erkennen, dass es bis auf wenige Restbestände wie marode Regale oder Maschinenteile leer stand.

Vor der letzten Tür auf der rechten Flurseite blieb Eric stehen. Wieder tat ich ihm den Gefallen mit dem Knauf, was mir diesmal schon weniger Schmerzen verursachte.

Es standen zwei Betten in dem Zimmer.

In dem rechten Bett lag Bill, und Clancy saß auf einem Plastikstuhl an seiner Seite. Er nährte Bill auf dieselbe Weise, wie Eric mich genährt hatte. Bills Haut war grau, und seine Wangen wirkten eingefallen. Er sah aus wie der Tod selbst.

In dem Bett daneben lag Tray Dawson. Wenn Bill wirkte, als läge er im Sterben, dann wirkte Tray, als wäre er schon tot. Sein Gesicht war bläulich unterlaufen, eins der Ohren abgebissen, seine geschlossenen Augen waren verschwollen, und überall klebte verkrustetes Blut. Und das war nur das, was ich von seinem Gesicht erkennen konnte. Seine Arme lagen auf dem Bettlaken, sie waren beide gebrochen.

Eric legte mich neben Bill. Bill öffnete die Augen, und wenigstens die waren noch ganz die alten: dunkelbraun und unergründlich. Er hörte auf, Clancys Blut zu trinken. Doch er bewegte sich nicht und blühte auch kein bisschen auf.

»Er hat Silber im Körper«, sagte Clancy leise. »Und das Gift hat sich überallhin ausgebreitet. Er braucht Unmengen von Blut, um es wieder herauszuspülen.«

Ich wollte fragen: »Wird er wieder gesund?« Doch dann konnte ich es nicht. Nicht in Bills Gegenwart. Clancy erhob sich aus dem Stuhl neben dem Bett und begann im Flüsterton ein Gespräch mit Eric - ein sehr unerfreuliches, wenn ich Erics Miene richtig deutete.

»Wie geht's dir, Sookie?«, fragte Bill. »Wirst du wieder gesund?« Seine Stimme stockte.

»Genau dasselbe wollte ich dich fragen«, sagte ich. Für irgendwelche Höflichkeitsfloskeln hatte keiner von uns beiden die Kraft oder die Energie.

»Du wirst leben«, sagte er zufrieden. »Ich kann riechen, dass Eric dir Blut gegeben hat. Du wärst sowieso wieder gesund geworden, aber das verhindert die Narbenbildung. Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin.«

»Du hast mir das Leben gerettet.«

»Ich habe gesehen, wie sie dich gefangen haben«, sagte Bill.

»Was?«

»Ich habe gesehen, wie sie dich gefangen haben.«

»Und du ...« Ich wollte sagen: »Und du hast sie nicht aufgehalten?« Aber das erschien mir allzu grausam.

»Ich hätte die beiden allein niemals besiegen können«, sagte er nur. »Wenn ich mich auf sie gestürzt und sie mich getötet hätten, wärst du so gut wie tot gewesen. Ich weiß nicht viel über Elfen, doch sogar ich hatte von Neave und ihrem Bruder gehört.« Schon diese wenigen Sätze schienen Bill zu erschöpfen. Er versuchte, den Kopf auf dem Kissen zu drehen, damit er mir ins Gesicht sehen konnte. Doch er bewegte sich nur wenige Zentimeter. Sein dunkles Haar war stumpf und strähnig, und seine Haut hatte all den Schimmer verloren, der mich bei unserer ersten Begegnung so fasziniert hatte.

»Dann hast du also Niall angerufen?«, fragte ich.

»Ja«, erwiderte er, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Oder vielmehr Eric. Ich habe ihm erzählt, was geschehen war und dass er Niall anrufen soll.«

»Wo steht diese Bruchbude eigentlich?«, fragte ich.

»Nördlich von hier, in Arkansas«, erzählte er. »Es hat eine Weile gedauert, deine Spur aufzunehmen. Wenn sie mit dem Auto gefahren wären ... doch sie haben den Weg durch die Elfenwelt genommen. Aber dank meinem Geruchssinn und Nialls machtvollem Elfenzauber haben wir dich schließlich gefunden. Dir konnten wir wenigstens das Leben noch retten. Für den Werwolf war es schon zu spät, glaube ich.«

Ich hatte gar nicht gewusst, dass Tray auch dort in jener Bruchbude gewesen war. Was nicht heißen sollte, dass dieses Wissen irgendetwas besser gemacht hätte. Vielleicht hätte ich mich dann nur weniger einsam gefühlt.

Aber natürlich, genau deshalb hatten die beiden Elfen ja verhindert, dass ich ihn zu Gesicht bekam. Ich hätte Wetten darauf abgeschlossen, dass es kaum etwas gab, das Neave und Lochlan über die Psychologie der Folter nicht wussten.

»Bist du sicher, dass er...?«

»Sieh ihn dir an, meine Liebe.«

»Noch bin ich nicht tot«, murmelte Tray.

Ich versuchte, aufzustehen und an sein Bett zu treten. Es wollte mir immer noch nicht gelingen. Doch ich legte mich auf die Seite, damit ich Tray ansehen konnte. Und die zwei Betten standen so dicht beieinander, dass ich ihn recht gut verstehen konnte. Ich glaube, er ahnte in etwa, wo ich war.

»Tray«, begann ich, »es tut mir alles so leid.«

Wortlos schüttelte er den Kopf. »Mein Fehler. Ich hätt's wissen müssen... die Frau im Wald ... war nicht echt.«

»Du hast dein Bestes getan. Wenn du ihr widerstanden hättest, hätte sie dich getötet.«

»Jetzt sterb ich auch.« Mühsam öffnete er die Augen, und es gelang ihm beinahe, mich direkt anzusehen. »Mein eigener Scheißfehler«, sagte er.

Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Dann schien Tray bewusstlos zu werden, und ich rollte mich wieder zu Bill herum. Seine Gesichtsfarbe war schon etwas heller geworden.

»Ich hätte alles getan, damit sie dir nicht wehtun«, sagte er. »Die Schneide ihres Dolchs war aus Silber, und sie hatte silberne Kappen über den Zähnen ... Es ist mir gelungen, ihr die Kehle herauszureißen, doch sie ist nicht schnell genug gestorben ... Sie hat sich bis zuletzt gewehrt.«

»Clancy hat dir Blut gegeben«, erwiderte ich. »Es wird dir bald besser gehen.«

»Vielleicht.« Seine Stimme klang jetzt wieder so kühl und ruhig wie früher. »Ich spüre meine Kräfte zurückkehren. Den Kampf werde ich auf jeden Fall bestehen. Dafür wird es noch reichen.«

Mir fehlten vor Entsetzen fast die Worte. Vampire starben nur durch Pfählen, Enthauptung oder durch die sehr seltene Krankheit Sino-AIDS. Aber durch eine Vergiftung mit Silber?

»Bill«, sagte ich eindringlich, denn ich wollte ihm noch so vieles sagen. Er hatte die Augen geschlossen, doch jetzt öffnete er sie wieder und sah mich an.

»Sie kommen«, rief Eric, und alle Worte erstarben mir in der Kehle.

»Breandans Gefolgsleute?«, fragte ich.

»Ja«, sagte Clancy knapp. »Ihre Spur hat sie hergeführt.« Selbst jetzt noch lag Verachtung in seinem Ton, so als wäre es eine persönliche Schwäche von mir, dass ich einen Geruch hinterließ, den man aufspüren konnte.

Eric zog einen langen, einen sehr langen Dolch aus der Scheide an seiner Hüfte. »Eisen«, sagte er lächelnd.

Und Bill erwiderte das Lächeln, doch es war ein unfrohes Lächeln. »Töte so viele wie möglich«, sagte er mit fester Stimme. »Clancy kann mir aufhelfen.«

»Nein«, sagte ich.

»Meine Liebe«, erwiderte Bill sehr förmlich, »ich habe dich immer geliebt und werde stolz sein, dass ich in deinen Diensten sterben durfte. Sprich bitte in einer Kirche ein Gebet für mich, wenn ich tot bin.«

Clancy bückte sich, um Bill aus dem Bett zu helfen, und warf mir dabei einen höchst unfreundlichen Blick zu. Dann stand Bill wankend auf seinen Beinen. Er war so schwach wie ein Mensch. Er zog das Krankenhaushemd aus und stand nur in einer Pyjamahose mit Tunnelzug da.

Ich hätte auch nicht in einem Krankenhaushemd sterben wollen.

»Eric, hast du noch einen Dolch für mich?«, fragte Bill, und ohne den Blick von der Tür abzuwenden, reichte Eric Bill eine kürzere Version seines eigenen Dolches, der schon fast ein Schwert war, wenn man mich fragte. Clancy war ebenfalls in höchster Alarmbereitschaft.

Keiner sagte ein Wort davon, dass wir Tray wegschaffen sollten. Ich warf einen Blick auf ihn. Es war gut möglich, dass er bereits gestorben war.

Erics Handy klingelte so plötzlich, dass ich zusammenfuhr. Mit einem knappen »Ja« ging er ran, hörte zu und klappte es dann wieder zu. Ich wäre beinah in Gelächter ausgebrochen. Die Vorstellung, dass Supras die Verbindung untereinander per Handy aufrechterhielten, fand ich zu komisch. Doch als ich Bill ansah, der noch immer grau im Gesicht an der Wand lehnte, beschlich mich das Gefühl, dass gar nichts auf der Welt je wieder komisch sein würde.

»Niall und seine Elfen sind auf dem Weg«, sagte Eric zu uns, so ruhig und gelassen, als würde er uns einen Artikel über den Aktienmarkt vorlesen. »Breandan hat fast alle Portale in die Elfenwelt blockiert. Nur eins ist noch offen. Ob sie es rechtzeitig schaffen, weiß ich nicht.«

»Wenn ich das hier überlebe«, begann Clancy, »werde ich dich bitten, mich von meinem Treueid zu entbinden, Eric, und mir einen anderen Meister suchen. Ich finde allein schon die Vorstellung abstoßend, dass wir zur Rettung einer Menschenfrau den Tod riskieren, egal, welche Verbindung sie zu dir hat.«

»Wenn du stirbst«, erwiderte Eric, »dann stirbst du, weil ich als dein Sheriff dich in den Kampf geschickt habe. Der Grund spielt dabei keine Rolle.«

Clancy nickte. »Ja, Meister.«

»Aber ich werde dich von deinem Treueid entbinden, wenn du überlebst.«

»Danke, Eric.«

Herrje. Hoffentlich waren sie glücklich, nachdem sie das jetzt auch noch geregelt hatten.

Ich konnte nicht hören, was die Vampire hörten. Doch auch ich spürte, dass die Anspannung im Zimmer sich fast unerträglich steigerte, während die Feinde heranrückten. Bill wankte leicht, doch sowohl Eric als auch Clancy sahen ihn voll Vertrauen an.

Und als ich Bill dort jetzt so ruhig stehen und auf den Tod warten sah, ging mir noch einmal blitzartig durch den Kopf, was er mir alles gewesen war: der erste Vampir, den ich je getroffen hatte; der erste Mann, mit dem ich je geschlafen hatte; der erste Verehrer, den ich je geliebt hatte. Alles, was danach geschehen war, hatte diese Erinnerungen getrübt. Doch einen Augenblick lang sah ich ihn wie er war und liebte ihn wieder.

Und dann splitterte die Tür. Ich sah die Schneide einer Axt aufblitzen und hörte andere Elfen den Axtschwinger mit lautem Gejohle anfeuern.

Ich beschloss, nun auch endlich aufzustehen, denn wenn ich schon sterben musste, dann doch lieber auf den Beinen als im Bett. So viel Mut war mir immerhin geblieben. Aber vielleicht übertrug sich, weil ich Erics Blut gehabt hatte, auch nur sein Kampfeswille auf mich. Nichts brachte Eric so sehr in Schwung wie die Aussicht auf einen guten Kampf. Mühsam stellte ich mich hin, und da merkte ich, dass ich wirklich laufen konnte, ein wenig zumindest. An der Wand lehnten hölzerne Krücken. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals welche aus Holz gesehen zu haben, doch in diesem Krankenhaus entsprach eben nichts der Ausrüstung in einem normalen Krankenhaus für Menschen.

Ich hob eine der Krücken an, um zu prüfen, ob ich sie bewegen könnte. Die Antwort lautete: Vermutlich nicht. Die Chance, dass ich damit hinfallen würde, war nicht allzu gering. Doch es war immer noch besser, aktiv zu werden, als passiv zu bleiben. In der anderen Hand hatte ich inzwischen meine Waffen, die ich aus meiner Handtasche gezogen hatte. Und die Krücke würde mich wenigstens aufrecht halten.

All das geschah viel rasanter, als ich es erzählen kann. Die Tür war bereits völlig zersplittert, und Elfen zerrten an dem lose herumhängenden Holz. Schließlich war das Loch groß genug, dass ein großer schlanker Elf mit seidigem Haar durchpasste, in dessen grünen Augen Kampfeslust flackerte. Er hieb mit seinem Schwert auf Eric ein, doch Eric parierte den Angriff, und es gelang ihm, seinem Gegner den Leib aufzuschlitzen. Der Elf ging schreiend in die Knie, und Clancy verpasste ihm noch einen Schlag ins Genick, der ihn auch am Kopf verletzte.

Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand, eine Krücke unter dem Arm und in jeder Hand eine meiner Waffen. Bill und ich standen Seite an Seite, dann aber stellte er sich zwar langsam, aber ganz bewusst vor mich. Bill warf seinen Dolch nach dem nächsten Elf, der in der Tür erschien, und die Spitze drang ihm direkt in den Hals. Und dann ergriff Bill den Handspaten meiner Großmutter.

Die Tür war mittlerweile völlig demoliert. Einen Moment lang schienen die angreifenden Elfen zurückzuweichen. Dann trat ein weiterer Elf durch das zersplitterte Holz und über die Leiche des ersten Elf hinweg. Ich wusste sofort, das es Breandan war. Sein rötliches Haar war in einen Zopf zurückgeflochten, und von seinem Schwert stob ein blutiger Sprühregen, als er es gegen Eric schwang.

Eric war größer, doch Breandan hatte das längere Schwert. Breandan war bereits verwundet, denn sein Hemd war an der einen Seite blutgetränkt. Aus Breandans Schulter sah ich etwas Helles hervorstechen, eine Stricknadel; und da war ich mir sicher, dass das Blut an seinem Schwert Claudines Blut war. Mich packte eine rasende Wut, und diese allein hielt mich wohl aufrecht, denn sonst wäre ich in diesem Augenblick zusammengebrochen.

Breandan wich zur Seite aus, obwohl Eric sich bemühte, ihn nicht davonkommen zu lassen. Eine sehr große Kriegerin nahm mit einem Sprung Breandans Platz ein und warf einen Morgenstern - um Gottes willen, einen Morgenstern! - nach Eric. Eric duckte sich, und der Morgenstern setzte seine Bahn fort und blieb in Clancys Schläfe stecken. Sein rotes Haar wurde augenblicklich noch roter, und er ging zu Boden wie ein Sandsack. Mit einem Satz sprang Breandan zu Clancy hinüber, trennte ihm mit einem Schwerthieb auch noch den Kopf ab und räumte seine Leiche aus dem Weg, weil er weiter zu Bill wollte. Breandans Grinsen wurde immer breiter. »Du bist es«, sagte er. »Du bist der, der Neave getötet hat.«

»Ich habe ihr die Kehle herausgerissen«, erwiderte Bill, und seine Stimme klang so stark wie stets. Doch er wankte noch immer.

»Wie ich sehe, hat sie dich auch getötet«, sagte Breandan lächelnd, und seine Wachsamkeit ließ einen Augenblick nach. »Ich bin nur noch derjenige, der dir helfen wird, das auch zu erkennen.«

Hinter uns allen lag, vergessen in seinem Bett, Tray Dawson und zog jetzt mit einer übermenschlichen Anstrengung den Elf am Hemd. Breandan drehte sich leicht zur Seite und hieb mit seinem glänzenden Schwert auf den wehrlosen Werwolf ein. Als er das Schwert wieder zurückzog, troff es von frischem Blut. Doch in dem einen Moment, den Breandan für diesen Hieb brauchte, stach Bill ihm meinen Handspaten unter den erhobenen Arm. Mit völlig entsetzter Miene drehte Breandan sich wieder herum. Und dann starrte er den Griff an, der da aus seiner Seite stak, als könnte er sich gar nicht erklären, wie der dorthin kam. Bis ihm schließlich Blut aus dem Mund rann.

Bill sackte langsam in sich zusammen.

Einen Augenblick lang erstarrte alles, doch nur in meiner Vorstellung. Direkt vor mir hatte sich eine Lücke aufgetan, und die Elfe, die eben noch mit Eric gekämpft hatte, ließ ihn einfach stehen und sprang mit einem Satz auf die Leiche ihres Prinzen. Sie stieß einen langen, lauten Schrei aus, und weil Bill in sich zusammengesackt war, richtete sie ihr Schwert gegen mich.

Ich drückte ab, und aus meiner Wasserpistole spritzte Zitronensaft.

Wieder schrie die Elfe, doch diesmal vor Schmerz. Der Saft war in einem Sprühregen auf sie niedergegangen, über Brust und Oberarme, und überall dort, wo der Zitronensaft sie getroffen hatte, stieg Rauch von ihrer Haut auf. Ein Tropfen war wohl auch auf einem Augenlid gelandet, dachte ich, weil sie mit ihrer freien Hand ihr brennendes Auge zu reiben begann. Und während sie das tat, schwang Eric seinen langen Dolch und verletzte sie am Arm, ehe er sie erstach.

Plötzlich füllte Niall den Türrahmen aus, sein Anblick tat geradezu weh in den Augen. Er trug nicht den schwarzen Anzug, den er bei seinen Besuchen in der Welt der Menschen immer anhatte, sondern eine Art lange Tunika und weite, in die Stiefel gesteckte Hosen. Alles an ihm war weiß, und ein gleißender Glanz ging von ihm aus ... nur dort nicht, wo er mit Blut bespritzt war.

Und dann trat ein großes Schweigen ein. Alle Feinde, die es zu töten galt, waren mit einem Mal verschwunden.

Ich glitt zu Boden, denn meine Beine waren so weich wie Wackelpudding. Und so saß ich an die Wand gelehnt da, mit Bill vor mir. Doch ich konnte nicht sagen, ob er noch am Leben war oder schon tot. Ich war zu schockiert, um zu weinen, zu entsetzt, um zu schreien. Einige meiner Wunden hatten sich wieder geöffnet, und der Geruch von Blut und der Elfenduft lockten den vom Kampf noch ganz erregten Eric herbei. Noch ehe Niall mich erreicht hatte, kniete Eric schon neben mir und leckte das Blut von der Schnittwunde an meiner Wange. Aber es machte mir nichts aus, er hatte mir schließlich auch seines gegeben.

»Geh, Vampir«, sagte mein Urgroßvater sehr sanft.

Eric hob den Kopf, mit vor Wollust geschlossenen Augen, und ein Schauer lief ihm durch den Körper. Doch dann sackte er auf einmal neben mir zusammen. Mit starrem Blick sah er Clancys Leiche an. Aller Siegestaumel wich aus seinem Gesicht, und eine rote Träne rann ihm die Wange hinab.

»Lebt Bill noch?«, fragte ich.

»Ich weiß nicht«, sagte er und sah auf seinen Arm hinab. Eric war auch verwundet: Er hatte einen bösen Schnitt am linken Unterarm. Ich hatte nicht einmal gesehen, wie es dazu gekommen war. Der Stoff seines Ärmels war zerfetzt, und man konnte sehen, dass die Wunde bereits zu heilen begann.

Mein Urgroßvater kniete sich vor mich hin.

»Niall«, begann ich. Es fiel mir sehr schwer, die Lippen zu bewegen. »Niall, ich dachte, du schaffst es nicht mehr rechtzeitig.«

Ehrlich gesagt, war ich zu diesem Zeitpunkt so benommen, dass ich kaum noch wusste, was ich sagte oder auf welche gefährliche Situation genau ich mich bezog. Zum ersten Mal erschien es mir so schwierig, weiterzuleben, dass ich nicht sicher war, ob es sich tatsächlich lohnte.

Mein Urgroßvater nahm mich in die Arme. »Du bist jetzt in Sicherheit. Ich bin der einzige noch lebende Prinz, und das kann mir keiner nehmen. Fast alle meine Feinde sind tot.«

»Sieh dich um«, sagte ich, obwohl ich gerade meinen Kopf auf seine Schulter legte. »Niall, sieh dir nur all die Opfer an.« Tray Dawsons Blut tröpfelte noch immer gemächlich aus dem durchtränkten Laken auf den Fußboden. Bill lag leblos in sich zusammengesunken da. Während mein Urgroßvater mich festhielt und mir übers Haar strich, sah ich über seinen Arm hinweg Bill an. Er hatte so viele Jahre überlebt, auf Biegen und Brechen, und war bereit gewesen, für mich zu sterben. Es gibt keine Frau - sei sie Mensch, Elfe, Vampir oder Wergeschöpf -, die so etwas nicht berühren würde. Ich dachte an all die Nächte, die wir miteinander verbracht hatten, an die Zeit, die wir redend nebeneinander im Bett gelegen hatten - und weinte bittere Tränen, auch wenn ich beinahe zu erschöpft war, um noch welche zu produzieren.

Mein Urgroßvater setzte sich auf seine Fersen und sah mich an. »Du musst dringend nach Hause«, sagte er.

»Claudine?«

»Sie ist im Sommerland.«

Ich konnte einfach keine weiteren schlechten Nachrichten mehr ertragen.

»Elf, die Aufräumarbeiten hier überlasse ich dir«, sagte Eric. »Deine Urenkelin ist meine Frau, meine und meine ganz allein. Ich bringe sie nach Hause.«

Verärgert sah Niall Eric an. »Nicht alle Leichen sind Elfen«, sagte er und deutete mit einem Blick auf Clancy. »Und was sollen wir mit dem da machen?« Niall nickte in Richtung Tray.

»Der da muss zurück in sein Haus«, sagte ich. »Er soll eine richtige Beerdigung bekommen, er kann nicht einfach so verschwinden.« Ich hatte keine Ahnung, was Tray gewünscht hätte, aber ich durfte einfach nicht zulassen, dass die Elfen irgendeine Grube für ihn schaufelten. Er hatte etwas sehr viel Besseres verdient. Und Amelia musste es auch noch erfahren. Oh, Gott. Ich versuchte, meine Beine anzuziehen, um aufzustehen, doch die Wundnähte spannten, und Schmerz zuckte mir durch den Körper. »Ahh«, keuchte ich und biss die Zähne zusammen.

Ich starrte den Boden an, während ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Und während ich so vor mich hinstarrte, zuckte einer von Bills Fingern.

»Er lebt noch, Eric.« Auch wenn es wehtat wie Hölle, konnte ich plötzlich wieder lächeln. »Bill lebt noch.«

»Das ist gut.« Erics Worte klangen etwas zu ruhig für meinen Geschmack. Er klappte sein Handy auf und drückte eine Kurzwahltaste. »Pam«, sagte er. »Sookie lebt. Ja, und Bill auch. Clancy nicht. Komm mit dem Van hierher.«

Ich hatte das Zeitgefühl längst verloren, doch irgendwann kam Pam mit einem großen Van, in dem hinten eine Matratze lag. Bill und ich wurden dort hineingeladen, von Pam und Maxwell Lee, einem Geschäftsmann, der nur zufällig auch ein Vampir war. Jedenfalls vermittelte Maxwell diesen Eindruck stets. Und sogar an diesem Abend der Gewalt und des Krieges sah Maxwell aus wie aus dem Ei gepellt. Obwohl er größer war als Pam, bugsierten die beiden uns behutsam und mit viel Würde in den Van, wofür ich sehr dankbar war. Pam verzichtete sogar auf ihre übliche Spöttelei, was zur Abwechslung mal ganz erfreulich war.

Auf der Fahrt zurück nach Bon Temps konnte ich hören, wie die Vampire leise über das Ende des Elfenkriegs sprachen.

»Es wäre zu schade, wenn sie diese Welt verlassen«, sagte Pam. »Ich bin ganz vernarrt in sie, auch wenn sie schwer einzufangen sind.«

»Ich hatte leider noch nie eine Elfe«, erwiderte Maxwell bedauernd.

»Hmmm«, machte Pam, und es war das vieldeutigste »Hmmm«, das ich je gehört hatte.

»Seid ruhig«, befahl Eric, und sie hielten beide den Mund.

Bills Hand fand meine und hielt sie fest.

»Clancy lebt in Bill weiter«, sagte Eric zu Pam und Maxwell.

Diese Neuigkeit nahmen die beiden mit einem Schweigen auf, das mir respektvoll erschien.

»So wie du in Sookie weiterlebst«, flüsterte Pam sehr leise.

Zwei Tage später kam mein Urgroßvater mich besuchen. Amelia ließ ihn herein, ging aber gleich wieder nach oben, um weiter zu weinen. Sie kannte die Wahrheit natürlich. Der Rest der Einwohner von Bon Temps jedoch war schockiert, dass irgendwelche Fremden einfach in Tray Dawsons Haus einbrechen und ihn foltern konnten. Die allgemeine Meinung war, dass die Mörder Tray vermutlich für einen Drogendealer gehalten hatten, auch wenn bei der peniblen Durchsuchung von Haus und Werkstatt nirgends Drogenutensilien gefunden wurden. Trays Exehefrau und sein Sohn kümmerten sich um die Beerdigungsformalitäten, und Tray würde in der katholischen Kirche Zur Unbefleckten Empfängnis zu Grabe getragen werden. Ich wollte gern daran teilnehmen, schon allein als Stütze für Amelia. Bis dahin blieb mir noch ein weiterer Tag, um mich zu erholen.

Heute war ich froh, einfach nur im Nachthemd auf dem Bett liegen zu können. Eric konnte mir kein Blut mehr geben, um meine Heilung abzuschließen. Zum einen hatte er mir in den vergangenen Tagen bereits zweimal Blut gegeben, ganz zu schweigen von den kleinen neckischen Bissen beim Sex, und wir waren offenbar irgendeiner undefinierbaren Grenze schon gefährlich nahe gekommen. Zum anderen brauchte Eric all sein Blut, um selbst zu genesen. Er nahm sogar etwas von Pam. Und so juckte mein verheilender Körper vor sich hin, und ich sah mit Genugtuung, dass sich durch das Vampirblut die offenen Fleischwunden an meinen Beinen wieder geschlossen hatten.

Das machte auch die Erklärung meiner Verletzungen (ein Autounfall; ich war von einem Fremden, der Fahrerflucht begangen hatte, angefahren worden) viel plausibler, wenn nicht zu viele Leute meine Wunden zu genau betrachteten. Sam hatte natürlich sofort geahnt, dass es eine Lüge war. Und so hatte ich ihm gleich bei seinem ersten Besuch erzählt, was wirklich geschehen war. Die Stammgäste des Merlotte's ließen mir ihr Mitgefühl ausrichten, als Sam das zweite Mal kam. Er hatte mir Margeriten und frittiertes Hühnchen von Dairy Queen mitgebracht. Und als er mal meinte, ich würde gerade nicht hinsehen, hatte er mir einen strengen Blick zugeworfen.

Niall zog sich einen Stuhl an mein Bett und ergriff meine Hand. Die Ereignisse der letzten Tage schienen die feinen Fältchen noch ein wenig tiefer in seine Haut eingegraben zu haben. Und er wirkte vielleicht ein wenig traurig. Aber mein Urgroßvater aus königlichem Hause war immer noch prachtvoll, immer noch majestätisch, immer noch seltsam, und seit ich wusste, wozu sein Volk fähig war, wirkte er auch... furchterregend.

»Wusstest du, dass Lochlan und Neave meine Eltern getötet haben?«, fragte ich.

Niall nickte nach einem merklichen Zögern. »Ich habe es vermutet«, sagte er. »Als du mir erzählt hast, dass deine Eltern ertrunken sind, erschien es mir sehr wahrscheinlich. Breandans Leute hatten alle eine Vorliebe für das Wasser.«

»Ich bin froh, dass die beiden tot sind«, erwiderte ich.

»Ja, ich auch«, erwiderte er nur. »Und die meisten von Breandans Gefolgsleuten sind ebenfalls tot. Zwei Frauen habe ich das Leben geschenkt, weil wir sie so dringend brauchen. Die eine von ihnen war sogar die Mutter von Breandans Kind, doch ich habe ihr trotzdem das Leben geschenkt.«

Er schien Lob von mir zu erwarten. »Und dem Kind auch?«, fragte ich.

Niall schüttelte den Kopf, und sein langes, helles Haar umwehte ihn.

Er liebte mich, aber er stammte aus einer Welt, die sogar noch grausamer war als meine eigene.

Und als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Niall: »Ich werde die Versiegelung unserer Welt vollenden.«

»Aber in dem Elfenkrieg ging es doch gerade darum, das zu verhindern«, wandte ich verwirrt ein. »Das ist genau das, was Breandan wollte.«

»Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass er recht hatte, wenn auch aus den falschen Gründen. Nicht die Elfen müssen vor den Menschen geschützt werden, sondern die Menschen brauchen Schutz vor uns.«

»Und was bedeutet das? Welche Folgen wird es haben?«

»Die Elfen, die unter Menschen gelebt haben, werden eine Entscheidung treffen müssen.«

»Claude zum Beispiel.«

»Ja. Er muss die Verbindungen zu unserer geheimen Welt kappen, wenn er hier leben will.«

»Und die anderen? Die, die immer in der Elfenwelt gelebt haben?«

»Wir werden nicht mehr herauskommen.« Sein Gesicht strahlte Trauer aus.

»Dann können wir uns nicht mehr treffen?«

»Ja, mein Herz. Es ist besser so.«

Ich versuchte zu protestieren, ihm zu sagen, dass es nicht besser sei, sondern schrecklich, weil ich nur so wenige Verwandte hatte, und dass ich nie wieder mit ihm sprechen würde. Aber ich konnte die Worte einfach nicht herausbringen.

»Und was ist mit Dermot?«, fragte ich stattdessen.

»Wir können ihn nicht finden«, sagte Niall. »Wenn er gestorben ist, wurde er irgendwo unbemerkt zu Staub. Wenn er noch lebt, verhält er sich sehr klug und ruhig. Wir werden weiter nach ihm suchen, bis das letzte Portal geschlossen ist.«

Ich hoffte inbrünstig, dass Dermot sich auf der Elfenseite dieser Tür befand.

Und dann kam Jason herein.

Mein Urgroßvater - unser Urgroßvater - sprang auf. Doch er fasste sich schnell wieder. »Du musst Jason sein«, sagte er.

Jason starrte Niall mit ausdrucksloser Miene an. Seit Mels Tod war mein Bruder nicht mehr er selbst. In derselben Ausgabe unserer Lokalzeitung, die den Artikel über den schrecklichen Mord an Tray Dawson gebracht hatte, stand auch ein Bericht über das Verschwinden von Mel Hart. Es herrschte weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die zwei Ereignisse irgendwie miteinander zusammenhängen könnten.

Ich hatte keine Ahnung, wie die Werpanther den Vorgang hinter Jasons Haus vertuscht hatten, und wollte es auch gar nicht wissen. Und wo Mels Leiche war, wusste ich auch nicht. Vielleicht war sie gefressen worden, vielleicht lag sie aber auch am Grund von Jasons Teich. Oder irgendwo im Wald.

Zuletzt hatte ich gehört, dass Jason und Calvin der Polizei erzählt hatten, Mel sei allein zur Jagd gegangen und habe seinen Pick-up vor einem Jagdrevier abgestellt, für das er einen Erlaubnisschein besaß. Auf der Ladefläche des Pick-up waren einige Blutflecken gefunden worden, die bei der Polizei den Verdacht aufkommen ließen, Mel hätte möglicherweise etwas mit dem Mord an Crystal Stackhouse zu tun. Und Andy Bellefleur hatte sogar schon einmal laut geäußert, dass es ihn gar nicht wundern würde, wenn der gute alte Mel sich irgendwo draußen im Wald umgebracht hätte.

»Ja, ich bin Jason«, sagte mein Bruder langsam. »Und du musst... mein Urgroßvater sein.«

Niall neigte den Kopf. »Das bin ich. Ich bin gekommen, um mich von deiner Schwester zu verabschieden.«

»Aber von mir nicht, wie? Ich bin nicht gut genug.«

»Du bist Dermot zu ähnlich.«

»So 'n Quatsch.« Jason warf sich aufs Fußende des Bettes. »Dermot kam mir gar nicht so schlimm vor, Urgroßvater. Der ist wenigstens gekommen, um mich vor Mel zu warnen und mir zu sagen, dass Mel meine Frau umgebracht hat.«

»Nun ja«, sagte Niall unbestimmt. »Dermot mag dir wegen eurer Ähnlichkeit entgegengekommen sein. Dann weißt du wohl auch, dass er beim Mord an euren Eltern behilflich war?«

Jetzt starrten wir Niall beide an.

»Soweit ich weiß, haben die Wasserelfen aus Breandans Gefolge den Pick-up in das strömende Wasser gelockt. Doch nur Dermot war in der Lage, die Autotür zu berühren und eure Eltern herauszuholen. Und die Wassernymphen haben sie dann in die Tiefe hinabgezogen.«

Ich schauderte.

»Na, dann ist ja gut, dass du dich verabschiedest«, sagte Jason. »Ich bin froh, dass du verschwindest. Hoffentlich kommst du nie wieder, kein einziger von euch Elfen.«

Schmerz durchzuckte Nialls Gesicht. »Wenn du es so empfindest, kann ich es nicht ändern. Ich wollte nur meine Urenkelin kennenlernen. Doch ich habe Sookie nichts als Kummer bereitet.«

Ich wollte schon protestieren, doch dann erkannte ich, dass er die Wahrheit sagte. Allerdings nicht die ganze Wahrheit.

»Du hast mir auch die Gewissheit gegeben, dass ich eine Familie habe, die mich liebt«, erwiderte ich, und Jason schnaubte. »Du hast mir Claudine als Schutzengel gesandt, und sie hat mir mehr als einmal das Leben gerettet. Ich werde dich vermissen, Niall.«

»Der Vampir ist kein schlechter Mann, und er liebt dich«, sagte Niall und stand auf. »Adieu.« Er beugte sich übers Bett und gab mir einen Kuss auf die Wange. Es lag Kraft in seiner Berührung, und plötzlich fühlte ich mich besser. Bevor Jason sich wehren konnte, hatte Niall auch ihn auf die Stirn geküsst, und Jasons Anspannung wich von ihm.

Und dann war mein Urgroßvater entschwunden, noch ehe ich ihn fragen konnte, welchen Vampir er gemeint hatte.