Kapitel 9

Verwirrter denn je fuhr ich nach Hause. Ich liebte meinen Urgroßvater, so sehr es nach unserer kurzen Bekanntschaft nur möglich war ... und ich hätte ihn sogar gern noch viel stärker geliebt und bedingungslos unterstützt, schließlich war er ein Verwandter... doch ich wusste immer noch nicht, wie ich mich vor diesem Krieg schützen oder ihm ausweichen sollte. Die Elfenvölker wollten sich den Menschen nicht zu erkennen geben, und dabei würde es auch bleiben. Sie waren nicht wie die Wergeschöpfe und die Vampire, die an unserer Welt teilhaben wollten. Die Elfen hatten sehr viel weniger Grund, sich auf die Regeln und Verhaltensweisen der Menschen einzulassen. Sie konnten tun, was immer sie wollten, und einfach wieder an ihren geheimen Ort entschwinden.

Ungefähr zum millionsten Mal wünschte ich mir, ich hätte einen normalen Urgroßvater statt dieser außergewöhnlichen und prachtvollen, aber unwirklichen Elfenprinz-Version.

Gleich danach schämte ich mich schon wieder für diesen Gedanken. Ich sollte froh sein über das, was mir zuteil geworden war, und konnte nur hoffen, dass Gott meine kleine Undankbarkeit nicht mitbekommen hatte.

Heute war schon ziemlich was los gewesen, und dabei war es erst zwei Uhr. Dieser Tag entwickelte sich ganz und gar nicht wie mein normaler freier Tag. Gewöhnlich kümmerte ich mich um die Wäsche, machte den Hausputz, ging einkaufen, las, bezahlte Rechnungen ... Doch heute war das Wetter so schön, dass ich draußen bleiben würde. Am liebsten wollte ich irgendetwas tun, bei dem ich gleichzeitig nachdenken konnte. Denn es gab eine Menge, worüber ich nachzudenken hatte.

Also sah ich mir die Blumenbeete rund ums Haus an und beschloss, Unkraut zu jäten. Wenn ich eine Pflicht lästig fand, dann diese, vielleicht deshalb, weil ich als Kind oft dazu verdonnert worden war. Meine Großmutter war überzeugt gewesen, dass man Kinder frühzeitig zur Arbeit anhalten sollte. Und nur ihr zu Ehren versuchte ich auch heute noch, die Blumenbeete zu pflegen. Ich seufzte und sagte mir, dass ich nur irgendwo anfangen müsste, um fertig zu werden, und entschied mich dann für das Beet an der Auffahrt auf der Südseite des Hauses.

Ich ging hinüber zu unserem Metallgeräteschuppen, dem letzten in einer langen Reihe von Schuppen, die der seit einigen Generationen hier wohnenden Familie Stackhouse gedient hatten. Mit dem wohlvertrauten Gemisch aus Freude und Grausen öffnete ich die Tür, denn eines Tages würde ich hier mal ernsthaft ausmisten müssen. Ich besaß immer noch den alten Handspaten meiner Großmutter; und sie hatte mir nie erzählt, wer ihn vor ihr schon alles benutzt hatte. Das Ding war uralt, aber so gut gepflegt, dass es besser war als jeder moderne Ersatz. Der Schuppen war schummrig, als ich ihn betrat, doch meine Gartenhandschuhe und den Handspaten fand ich sofort.

Ich hatte oft genug die Antiques Roadshow gesehen, um zu wissen, dass es Leute gab, die alte Farmgeräte und Werkzeuge sammelten. Dieser Geräteschuppen hier wäre eine wahre Fundgrube für so einen Sammler. Meine Familie hatte nie etwas weggeworfen, solange es noch funktionierte. Der Schuppen war zwar vollgestopft, aber absolut aufgeräumt, da mein Großvater ein ordnungsliebender Mann gewesen war. Als mein Bruder und ich zu ihm und Großmutter gezogen waren, hatte er alle häufig gebrauchten Geräte mit einem Umriss versehen. Jedes Mal, wenn wir eins davon benutzt hatten, musste dieses Gerät wieder an seinen Platz gehängt oder gestellt werden, und so war es auch heute noch. Ich konnte blind nach dem Handspaten greifen. Er war schwerer, schärfer und schmaler als seine modernen Pendants, doch daran war ich gewöhnt, und er lag gut in der Hand.

Wenn es wirklich schon richtig Frühling gewesen wäre, hätte ich mir den Bikini wieder angezogen und das Schöne mit dem Nützlichen verbunden. Doch meine sorglose Stimmung war verflogen, auch wenn die Sonne noch schien. Ich zog mir die Gartenhandschuhe an, weil ich meine Fingernägel nicht ruinieren wollte. Manches Unkraut schien sich geradezu zu wehren. Eins wuchs an einem dicken fleischigen Strunk und hatte spitze Stacheln auf den Blättern. Wenn man es lange genug wachsen ließ, blühte es sogar, so hässlich, wie es war. Man musste es samt Wurzeln entfernen. Und zwischen dem jungen Blumenrohr hier hatten sich bereits einige Exemplare davon breit gemacht.

Meine Großmutter hätte einen Anfall gekriegt.

Also hockte ich mich hin und begann mit der Arbeit. Mit der rechten Hand stieß ich den Handspaten in die weiche Erde, lockerte die Wurzel des entsetzlichen Gewächses und zog es mit der linken Hand heraus. Damit die Erde abfiel, schüttelte ich den Strunk noch ordentlich, ehe ich ihn zur Seite warf. Ich hatte mir ein Radio auf die hintere Veranda gestellt, bevor ich mit der Arbeit begann, und schon ein paar Minuten später sang ich mit LeAnn Rimes mit. Meine Sorgen traten allmählich in den Hintergrund. Und bald türmte sich ein ansehnlicher Haufen entwurzelten Unkrauts hinter mir, und ich fühlte mich umstrahlt von einer Gloriole der Rechtschaffenheit.

Wenn er geschwiegen hätte, wäre alles anders ausgegangen. Doch er war so sehr von sich selbst eingenommen, dass er den Mund nicht halten konnte. Und so rettete sein Hochmut mir das Leben.

Seine Worte hatte er allerdings auch nicht besonders klug gewählt. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dich für meinen Herrn zu töten« ist einfach nicht die übliche Floskel, um sich vorzustellen.

Ich habe gute Reflexe, und so sprang ich sofort aus der Hocke auf, mit dem Handspaten in der Hand, den ich ihm von unten in den Bauch rammte. Er verschwand einfach darin, als wäre er als Waffe zur Tötung von Elfen gedacht.

Und genau das war er wohl auch, denn der Handspaten war aus Eisen und der Angreifer ein Elf.

Ich schrak zurück und ging in Deckung, den bluttriefenden Handspaten noch in der Hand, und wartete ab, was er tun würde. Mit absolut verblüffter Miene sah er auf das Blut hinab, das ihm durch die Finger troff, so als könnte er nicht glauben, dass ich ihm seinen schönen Plan kaputt gemacht hatte. Dann sah er mich an, mit hellblauen, weit aufgerissenen Augen, und sein Gesichtsausdruck glich einem einzigen großen Fragezeichen, so als wäre er nicht sicher, ob ich ihm das wirklich angetan hatte oder ob es sich nicht vielleicht doch um irgendein Missverständnis handelte.

Langsam zog ich mich rückwärts die Stufen der hinteren Veranda hinauf zurück, ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Doch er war schon längst keine Gefahr mehr. Als ich hinter mich griff und die Fliegengittertür öffnete, sackte mein immer noch völlig überrascht wirkender Möchtegern-Mörder in sich zusammen.

Ich eilte ins Haus und verriegelte die Tür. Auf wackligen Beinen trat ich ans Fenster über der Küchenspüle, lehnte mich vor, so weit es ging, und spähte hinaus. Von hier aus konnte ich nur einen kleinen Teil des zusammengebrochenen Elf erkennen. »Okay«, sagte ich laut. »Okay.« Er war tot, so sah es jedenfalls aus. Es war aber auch alles so rasend schnell gegangen.

Als ich nach dem Telefon an der Wand griff, merkte ich erst, wie sehr meine Hände zitterten. Mein Blick fiel auf mein Handy, das ich zum Aufladen des Akkus auf den Küchentresen gelegt hatte. Und weil dies eine Krise war, die definitiv nach dem Oberboss verlangte, drückte ich die Kurzwahltaste mit der supergeheimen Telefonnummer meines Urgroßvaters für Notfälle. Die Situation schrie geradezu danach, fand ich. Ein Mann, nicht Niall selbst, nahm den Anruf entgegen. »Ja?«, sagte er in verhaltenem Ton.

»Äh, ist Niall da?«

»Ich könnte ihn erreichen. Kann ich Ihnen helfen?«

Ruhig, sagte ich mir. Ganz ruhig. »Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass ich einen Elf getötet habe, der jetzt in meinem Garten liegt, und dass ich nicht weiß, was ich mit der Leiche machen soll?«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.

»Ja, das werde ich ihm ausrichten.«

»Ziemlich bald, hoffe ich doch? Denn ich bin allein und krieg hier gleich die Panik.«

»Ja. Ziemlich bald.«

»Und Sie schicken jemanden her?« Herrgott, ich klang ja total weinerlich. Ich gab mir einen Ruck. »Ich meine, ich könnte ihn natürlich in mein Auto laden oder den Sheriff anrufen.« Ich wollte diesen Unbekannten wenigstens damit beeindrucken, dass ich nicht völlig aufgeschmissen und hilflos war. »Aber da ist ja diese ganze Sache mit dem Geheimnis um euch Elfen, eine Waffe schien er auch nicht zu haben, und wie genau soll ich beweisen, dass der Kerl gesagt hat, es sei ihm ein Vergnügen, mich zu töten?«

»Sie... haben einen Elf getötet?«

»Das habe ich doch gesagt. Schon vorhin.« Mr Schwer-von-Kapee. Ich spähte noch einmal aus dem Küchenfenster. »Ja, er bewegt sich immer noch nicht. Mausetot.«

Diesmal hielt das Schweigen derart lange an, dass ich schon dachte, ich hätte irgendwas nicht mitgekriegt. »Äh, Entschuldigung?«

»Sie wollen sich entschuldigen? Wir sind umgehend bei Ihnen.« Und damit legte er auf.

Ich konnte nicht hinsehen, ich konnte es einfach nicht ertragen. Leichen hatte ich schon öfter gesehen, sowohl von Menschen als auch von Supras. Und seit ich Bill Compton im Merlotte's kennengelernt hatte, waren es mehr als genug Leichen gewesen. Was natürlich nicht heißen sollte, dass das an Bill lag.

Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper.

Ungefähr fünf Minuten später traten Niall und ein anderer Elf aus dem Wald. Dort draußen musste irgendeine Art Portal liegen. Vielleicht hatte Scotty sie ja heraufgebeamt. Oder herunter. Aber vielleicht war ich auch bloß nicht mehr ganz bei Trost.

Die beiden Elfen blieben stehen, als sie die Leiche sahen, und wechselten ein paar Worte. Sie wirkten erstaunt. Aber sie hatten weder Angst, noch verhielten sie sich so, als könnte sich dieser Kerl jeden Moment wieder erheben und sie angreifen. Also schlich auch ich mich über die hintere Veranda und öffnete die Fliegengittertür.

Sie wussten, dass ich hinausgekommen war, wandten ihre Blicke jedoch nicht von der Leiche ab.

Mein Urgroßvater hob einen Arm, und ich schmiegte mich an ihn. Er drückte mich an sich, und als ich ihm ins Gesicht blickte, sah ich ihn lächeln.

Okay, das hatte ich nicht erwartet.

»Du machst unserer Familie Ehre. Du hast einen meiner Feinde getötet«, sagte er. »Ich habe ja so recht, was die Menschen betrifft.« Er wirkte stolz wie Oskar.

»Ist das etwas Gutes?«

Der andere Elf lachte und sah mich zum ersten Mal an. Sein Haar hatte die Farbe von Karamellbonbons und seine Augen ebenfalls, was derart unheimlich war, dass ich es geradezu erschreckend fand - auch wenn er wie alle Elfen, die ich bislang kennengelernt hatte, einfach prachtvoll war. Ich musste ein Seufzen unterdrücken. Unter Vampiren und Elfen war ich dazu verdammt, das hässliche Entlein zu sein.

»Ich bin Dillon«, stellte er sich vor.

»Oh, Claudines Vater. Freut mich, dich kennenzulernen. Dein Name bedeutet sicher auch etwas Bestimmtes, oder?«

»Blitz«, erklärte er und warf mir ein besonders gewinnendes Lächeln zu.

»Wer ist das?«, fragte ich und deutete mit dem Kopf auf die Leiche.

»Das ist Murry«, sagte Niall. »Ein enger Freund meines Neffen Breandan.«

Murry sah sehr jung aus. Nach menschlichen Maßstäben war er vielleicht achtzehn gewesen. »Er hat gesagt, dass er sich schon darauf freue, mich zu töten«, erzählte ich den beiden.

»Und stattdessen hast du ihn getötet. Wie hast du das gemacht?«, fragte Dillon, als wollte er wissen, wie ich Blätterteig ausrollte.

»Mit dem Handspaten meiner Großmutter«, sagte ich. »Er ist schon seit langer Zeit im Besitz meiner Familie. Nicht, dass wir aus unseren Gartengeräten einen Fetisch machen oder so was. Er funktioniert einfach noch und ist eben da, und es besteht kein Grund, einen neuen zu kaufen.« Ich faselte mal wieder.

Die beiden sahen mich an. Und ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob sie mich nicht einfach für verrückt hielten.

»Könntest du uns dieses Gartengerät mal zeigen?«, fragte Niall.

»Klar. Möchtet ihr vielleicht Tee oder etwas anderes? Ich glaube, wir haben noch Pepsi und Limonade da.« Nein, nein, keine Limonade! Davon sterben sie! »Tut mir leid, vergesst die Limonade. Tee?«

»Nein«, erwiderte Niall sehr sanft. »Jetzt nicht, danke.«

Ich hatte den blutigen Handspaten mitten im Beet mit dem Blumenrohr fallen lassen. Als ich ihn aufhob und damit auf die beiden Elfen zuging, fuhr Dillon zusammen. »Eisen!«, rief er.

»Warum trägst du auch keine Handschuhe«, tadelte Niall seinen Sohn und nahm mir den Handspaten ab. Seine Hände waren bedeckt von der durchsichtigen, elastischen Hülle, die in den Chemiefabriken der Elfen hergestellt wurden. Geschützt von dieser Hülle konnten die Elfen in die Welt der Menschen hinausgehen, ohne fürchten zu müssen, sich dabei gleich eine Vergiftung zuzuziehen.

Dillon wirkte schuldbewusst. »Entschuldige, Vater.«

Niall schüttelte den Kopf, als wäre er enttäuscht von Dillon, doch er hatte seine Aufmerksamkeit ganz auf den Handspaten gerichtet. Er war sicher darauf vorbereitet gewesen, es mit etwas für ihn Giftigem zu tun zu bekommen, doch mir fiel auf, wie extrem vorsichtig er trotzdem war.

»Das Ding ist ohne jeden Widerstand in ihn eingedrungen«, sagte ich und musste plötzlich eine aufkommende Übelkeit unterdrücken. »Ich weiß auch nicht, warum. Es ist scharf, aber doch nicht so scharf.«

»Eisen schneidet uns ins Fleisch wie ein heißes Messer in Butter«, erklärte Niall.

»Igitt.« Na, immerhin wusste ich jetzt, dass ich nicht auf einmal superstark geworden war.

»Hat er dich überrascht?«, fragte Dillon. Auch wenn er nicht all die vielen fernen Fältchen hatte, die meinen Urgroßvater sogar noch schöner machten, wirkte Dillon nur wenig jünger als Niall, was ihr verwandtschaftliches Verhältnis umso verwirrender machte. Ich warf noch einen Blick auf die Leiche, und das holte mich wieder ganz in die Gegenwart zurück.

»Natürlich hat er mich überrascht. Ich war gerade dabei, Unkraut zu jäten, und im nächsten Moment hörte ich jemanden sagen, wie sehr er sich darauf freue, mich zu töten. Dabei hatte ich ihm nie etwas getan. Und weil ich einen solchen Schreck bekam, bin ich mit dem kleinen Spaten in der Hand aufgesprungen und habe ihn in den Bauch getroffen.« Und wieder spürte ich dieses Rumoren der Übelkeit in meinem eigenen Bauch.

»Hat er sonst noch etwas gesagt?« Mein Urgroßvater stellte die Frage wie nebenbei, schien aber an meiner Antwort recht interessiert zu sein.

»Nein, Sir«, sagte ich. »Er wirkte irgendwie verblüfft, und dann ist er... na ja, gestorben eben.« Ich ging zu den Verandastufen hinüber und ließ mich ziemlich plötzlich und schwer darauf fallen.

»Es ist nicht so, dass ich mich richtig schuldig fühle«, sprudelte ich hervor. »Schließlich hat er versucht, mich zu töten, und hat sich sogar darauf gefreut, obwohl ich ihm nie etwas getan hatte. Ich kannte ihn nicht mal, und jetzt ist er tot.«

Dillon kniete sich vor mich hin und sah mir ins Gesicht. Er wirkte nicht unbedingt freundlich, aber immerhin etwas weniger teilnahmslos. »Er war dein Feind, und jetzt ist er tot«, sagte er. »Das ist ein Grund zur Freude.«

»Nicht so ganz«, erwiderte ich, auch wenn ich nicht wusste, wie ich es erklären sollte.

»Du bist Christin!«, rief er aus, als hätte er soeben herausgefunden, dass ich ein Hermaphrodit oder eine Frutarierin war.

»Und zwar eine ziemlich schlechte«, entgegnete ich hastig. Er presste die Lippen zusammen, und ich konnte sehen, wie sehr er sich bemühte, nicht zu lachen. Freude wäre das Letzte gewesen, was ich empfunden hätte, zumal der Mann, den ich getötet hatte, nur einen halben Meter von mir entfernt lag. Wie viele Jahre mochte Murry auf dieser Erde gewandelt sein, fragte ich mich, und jetzt lag er dort als ein lebloser Haufen und sein Blut sickerte in meinen Kies. Moment mal! Er lag gar nicht einfach nur da. Er verwandelte sich zu ... zu Staub. Es war nicht wie bei den Vampiren, die nach und nach zu Asche wurden, sondern eher so, als würde irgendwer Murry pulverisieren.

»Ist dir kalt?«, fragte Niall. Er schien die stückweise Auflösung der Leiche zu Staub in keiner Weise ungewöhnlich zu finden.

»Nein, Sir. Ich bin bloß völlig fassungslos. Ich meine, erst habe ich hier schön in der Sonne gelegen, dann bin ich mit Claude und Claudine beim Lunch gewesen, und jetzt sitze ich hier.« Ich konnte den Blick einfach nicht von der sich allmählich pulverisierenden Leiche abwenden.

»Du hast in der Sonne gelegen und Gartenarbeit gemacht. Wir mögen die Sonne und den Himmel«, sagte Niall, als wäre das der schlagende Beweis für meine Verwandtschaft mit dem Elfenzweig meiner Familie. Er lächelte mich an. Hach, wie wunderschön er war. In seiner Nähe fühlte ich mich immer wie ein Teenager, wie ein Teenager mit Akne und Babyspeck. Doch jetzt fühlte ich mich wie ein Killerteenager.

»Werdet ihr seine ... Überreste einsammeln?« Ich stand auf, um mir einen munteren und entschlossenen Anstrich zu verleihen. Wenn ich etwas tat, würde ich mich gleich besser fühlen.

Zwei fremdartige Augenpaare starrten mich verständnislos an.

»Warum?«, fragte Dillon.

»Um ihn zu begraben.«

Beide wirkten entsetzt.

»Nein, nicht in den Erdboden tun.« Niall bemühte sich, weniger aufgeregt zu klingen als er war. »So machen wir es nicht.«

»Was wollt ihr sonst damit machen?« Mittlerweile lag schon ein ansehnlicher Haufen glitzernden Staubs auf meiner Auffahrt und im Blumenbeet, obwohl sein Rumpf immer noch übrig war. »Ich will ja nicht drängeln, aber Amelia könnte jede Sekunde auftauchen. Und ich kriege zwar nicht viel Besuch, aber gelegentlich kommt der UPS-Fahrer mit einem Paket vorbei, und dann ist da auch noch der Stromableser.«

Dillon sah meinen Urgroßvater an, als hätte ich plötzlich japanisch gesprochen. Niall erklärte: »Sookie teilt ihr Haus mit einer anderen Frau, und diese Frau könnte jeden Moment wiederkommen.«

»Wird sonst noch irgendwer hinter mir her sein?«, fragte ich, schon wieder abgelenkt von meiner anderen Frage.

»Möglich ist es«, sagte Niall. »Fintan hat dich besser beschützt als ich bislang, Sookie. Und er hat dich sogar vor mir beschützt, dabei wollte ich dich nur kennenlernen.« Zum ersten Mal, seit ich Niall kannte, wirkte er traurig, zerquält und müde. »Ich habe versucht, dich aus all dem herauszuhalten, und dachte, ich könnte mich noch mit dir treffen, ehe es ihnen gelingt, mich zu töten. Deshalb habe ich unser erstes Treffen durch den Vampir arrangiert, damit es nicht so sehr auffällt. Doch mit diesem Treffen habe ich dich in Gefahr gebracht. Meinem Sohn Dillon hier kannst du vertrauen.« Niall legte dem jüngeren Elf den Arm um die Schulter. »Wenn er dir eine Nachricht überbringt, ist sie garantiert von mir.« Dillon lächelte charmant und ließ dabei seine übernatürlich weißen und spitzen Zähne sehen. Zugegeben, er war furchterregend, auch wenn er Claude und Claudines Vater war.

»Ich melde mich bald wieder bei dir«, sagte Niall und gab mir einen Kuss. Das feine, hell schimmernde Haar berührte meine Wange. Herrje, wie gut er roch - ein Markenzeichen der Elfen. »Es tut mir leid, Sookie. Ich dachte, ich könnte sie alle zwingen zu akzeptieren, dass... Nun, es ist mir nicht gelungen.« Seine grünen Augen leuchteten liebevoll und voller Bedauern. »Hast du - ja, einen Gartenschlauch? Wir könnten die Überreste natürlich einsammeln, aber es wäre vermutlich praktischer, wenn du sie einfach... wegwäschst.«

Er schloss mich in die Arme und drückte mich, und Dillon salutierte spöttisch vor mir. Und dann gingen die beiden zurück zur Baumgrenze und verschwanden einfach im Wald wie sonst nur Rotwild, wenn man es aufgescheucht hat.

Das war's also. Und da stand ich jetzt, im sonnigen Garten, mutterseelenallein und mit einem beträchtlichen Haufen glitzernden Staubs in Form eines Elfenkörpers auf dem Kies.

Und wieder etwas, das auf meine Liste all der seltsamen Dinge gehörte, die ich an diesem Tag schon getan hatte. Ich hatte mit der Polizei gesprochen, in der Sonne gelegen, mich mit zwei Elfen in einem Einkaufszentrum getroffen, Unkraut gejätet und jemanden getötet. Jetzt war also Staubleichen-Entsorgungszeit. Und der Tag war noch längst nicht zu Ende.

Na denn. Ich drehte den Wasserhahn auf und wickelte den Gartenschlauch so weit ab, dass er bis in den richtigen Bereich des Gartens reichte. Und dann richtete ich den Sprühkopf einfach auf den Elfenstaub.

Ich stand irgendwie ganz seltsam neben mir. »Man sollte annehmen, so langsam wäre ich dran gewöhnt«, sagte ich laut und erschrak fast noch mehr über mich selbst. All die Leute, die ich schon getötet hatte, wollte ich lieber gar nicht zusammenzählen, auch wenn die meisten rein technisch betrachtet keine Menschen gewesen waren. Bis vor zwei Jahren (oder vielleicht sogar noch weniger, wenn ich die Monate einzeln abzählte) hatte ich nie einem anderen aus Wut auch nur ein Haar gekrümmt; wenn man davon absah, dass ich als Kind mal mit einem Plastikbaseballschläger auf Jasons Bauch eindrosch, nachdem er meiner Barbie die Haare ausgerissen hatte.

Herrje, reiß dich zusammen, sagte ich mir. Ist doch schon erledigt. Und ein Zurück gibt's jetzt nicht mehr.

Ich ließ den Sprühkopf fallen und drehte den Wasserhahn wieder zu.

Im schwindenden Sonnenlicht war es schwer zu beurteilen, aber ich glaube, ich hatte den Staub ziemlich gründlich weggewaschen.

»Aber nicht aus meiner Erinnerung«, sagte ich in äußerst ernstem Ton. Und dann musste ich plötzlich lachen, denn jetzt klang ich tatsächlich ein wenig verrückt. Da stand ich, draußen hinter meinem Haus, wusch Elfenblut vom Kies und redete melodramatisch auf mich selbst ein. Als Nächstes kam dann wohl der Hamlet-Monolog, den wir in der Highschool hatten auswendig lernen müssen.

Dieser Nachmittag hatte mich wirklich richtiggehend fertiggemacht.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Mittlerweile war meine Begeisterung darüber, einen weiteren lebenden Verwandten zu haben, endgültig verflogen. Ich musste der Tatsache ins Auge sehen, dass Niall zwar charmant war (meistens), aber unberechenbar. Durch sein eigenes Tun hatte er mich, wenn auch unbeabsichtigt, in große Gefahr gebracht. Vielleicht hätte ich mich schon mal vor all dem hier fragen sollen, wie mein Großvater Fintan eigentlich war. Niall hatte mir erzählt, dass er stets über mich wachte, ohne sich mir je zu erkennen zu geben - eine ziemlich gruselige, aber auch sehr anrührende Vorstellung. Auch Niall war gruselig und anrührend. Mein Großonkel Dillon wirkte allerdings bloß gruselig.

Die Temperatur sank mit der hereinbrechenden Dämmerung, und ich zitterte schon, als ich schließlich ins Haus ging. Der Gartenschlauch könnte heute Nacht einfrieren, aber das war mir einfach egal. Im Trockner lag noch Wäsche, und ich musste etwas essen, weil ich mittags im Einkaufszentrum nichts gegessen hatte. Bald war schon Abendbrotzeit. Ich sollte mich auf die kleinen Dinge konzentrieren.

Amelia rief an, als ich die Wäsche zusammenlegte, und erzählte, sie würde gleich nach der Arbeit mit Tray zum Dinner gehen und danach ins Kino. Sie fragte mich, ob ich mitkommen wolle, doch ich sagte, ich hätte zu tun. Amelia und Tray brauchten sicher kein drittes Rad am Wagen, und dieses Gefühl war das Letzte, das ich gerade gebrauchen konnte.

Es wäre natürlich schön gewesen, nicht allein zu sein. Aber worüber hätte ich denn fröhlich plaudern sollen?

Wow, dieser Handspaten glitt in seinen Bauch, als wäre der Typ aus Gelee.

Ich schauderte und fragte mich, was ich als Nächstes tun sollte. Ein völlig unkritischer Gefährte, das war es, was ich brauchte. Ich vermisste unseren Kater Bob (auch wenn er nicht als Kater geboren wurde und jetzt keiner mehr war). Vielleicht sollte ich mir wirklich eine Katze anschaffen, eine echte diesmal. Nicht zum ersten Mal dachte ich daran, ins Tierheim zu fahren. Aber damit wartete ich besser, bis dieser Elfenkrieg vorüber war. Es war sinnlos, sich ein Haustier anzuschaffen, solange ich davon ausgehen musste, jeden Augenblick entführt oder getötet zu werden. Das wäre dem Tier gegenüber doch unfair, oder etwa nicht? Ich begann unwillkürlich loszukichern, und ich wusste: Ein gutes Zeichen war das nicht.

Zeit, mit dem Grübeln aufzuhören. Zeit, etwas Sinnvolles zu tun. Zuerst sollte ich mal den Handspaten reinigen und ihn wieder weglegen. Also trug ich ihn zur Küchenspüle, schrubbte ihn gründlich und ließ viel klares Wasser darüber laufen. Das stumpfe Eisen schien einen ganz neuen Glanz zu haben, wie ein Busch, der nach einer Dürre gewässert worden war. Ich hielt ihn gegen das Licht und betrachtete das alte Gartengerät. Dann schüttelte ich den Kopf.

Okay, der Vergleich war wirklich geschmacklos. Ich verbannte die Idee aus meinem Kopf und schrubbte weiter. Als der Handspaten schließlich makellos war, wie ich fand, trocknete ich ihn gründlich ab. Dann ging ich durch die Hintertür hinaus und marschierte durch die Dämmerung, um das verdammte Ding im Geräteschuppen wieder an den dafür vorgesehenen Haken zu hängen.

Vielleicht sollte ich mir bei Wal-Mart doch irgendeinen billigen neuen Handspaten kaufen, dachte ich. Ich war nicht so sicher, dass ich das Eisending wirklich benutzen konnte, wenn ich das nächste Mal ein paar Narzissenzwiebeln umsetzen wollte. Das wäre ja so, als würde man zur Pistole greifen, um alte Nägel zu entfernen. Ich zögerte. Der Handspaten hing senkrecht an seinem Haken. Dann überlegte ich es mir noch mal anders und trug ihn wieder zurück ins Haus. Auf den Stufen der hinteren Veranda blieb ich stehen und bewunderte einen Augenblick lang die letzten Sonnenstrahlen, bis mein Magen lautstark knurrte.

Was war das für ein langer Tag gewesen. Jetzt wollte ich mich nur noch mit einem Teller voller Essen, das nicht gut für mich war, vor den Fernseher setzen und mir irgendeine Sendung ansehen, die mich in keiner Weise weiterbilden würde.

Ich öffnete gerade die Fliegengittertür, als ich einen Wagen die Auffahrt heraufkommen hörte. Und so blieb ich draußen stehen, um zu sehen, wer mich da besuchen kam. Wer immer es war, musste mich zumindest ein wenig kennen, denn der Wagen fuhr ums Haus herum an die Hinterseite.

Und dieser Tag voller Schocks hielt noch einen weiteren bereit: Der Besucher war eben jener Quinn, der nicht mal mit dem großen Zeh den Bezirk Fünf betreten sollte. Er fuhr einen Ford Taunus, einen Leihwagen.

»Na, großartig.« Ich hatte mir vorhin zwar Gesellschaft gewünscht, aber nicht diese. So sehr ich Quinn auch gemocht und bewundert hatte, dieses Gespräch versprach genauso furchtbar zu werden wie der ganze Tag schon gewesen war.

Er stieg aus und kam in seinem wie immer anmutigen Gang direkt auf mich zu. Quinn war ein sehr großer kahlköpfiger Mann mit lilabraunen Augen, deren Farbe an Stiefmütterchen erinnerte. Er ist einer der wenigen noch lebenden Wertiger auf der Welt und vermutlich der einzige männliche Wertiger auf dem nordamerikanischen Kontinent. Bei unserer letzten Begegnung hatten wir Schluss gemacht. Ich war nicht sonderlich stolz darauf, wie ich es ihm gesagt oder aus welchem Grund ich es getan hatte. Aber ich dachte, ich hätte ihm unmissverständlich klargemacht, dass wir kein Paar mehr waren.

Und trotzdem war er jetzt hier, und seine großen warmen Hände ruhten auf meinen Schultern. Doch alle Freude, die ich über das Wiedersehen hätte empfinden können, ging unter in der Welle der Angst, die über mir zusammenschlug. Ärger lag in der Luft.

»Du hättest nicht herkommen dürfen«, sagte ich. »Eric hat dein Ersuchen abgelehnt, das hat er mir jedenfalls gesagt.«

»Hat er dich zuerst gefragt? Wusstest du, dass ich dich sehen wollte?« Inzwischen war es schon so dämmerig geworden, dass die Sicherheitslampe ansprang. Quinns Gesichtszüge wirkten hart in dem grellen Licht. Er sah mir direkt in die Augen.

»Nein, aber darum geht's nicht«, sagte ich. Ich spürte geradezu, wie mich Wut anwehte. Und es war nicht meine Wut.

»Das finde ich schon.«

Die Sonne ging unter. Es blieb einfach keine Zeit mehr für ein ausführliches Streitgespräch. »Haben wir nicht beim letzten Mal schon alles gesagt?« Ich wollte nicht noch eine Szene erleben, wie sehr auch immer ich diesen Mann mochte.

»Du hast vieles gesagt, Liebling, aber für mich war es noch längst nicht alles. Ganz und gar nicht.«

Na, großartig. Genau das, was ich noch brauchte! Aber weil ich mittlerweile gelernt hatte, dass es nicht immer nur um mich ging, zählte ich erst mal bis zehn, ehe ich erwiderte: »Ich habe kein Schlupfloch offengelassen, als ich dir sagte, dass wir uns nicht mehr treffen sollten, Quinn, und das habe ich auch so gemeint. Was hat sich in deinem Privatleben denn geändert? Ist deine Mutter jetzt in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern? Oder ist Frannie nun erwachsen genug, um allein damit fertig zu werden, wenn deine Mutter mal wieder wegläuft?« Quinns Mutter hatte etwas Fürchterliches erlebt, und war seitdem mehr oder weniger wahnsinnig. Eher mehr. Und seine Schwester Frannie war noch ein Teenager.

Er senkte einen Moment den Kopf, als müsste er sich sammeln. Dann sah er mir wieder direkt in die Augen. »Warum bist du gegen mich härter als gegen alle anderen?«

»Das bin ich nicht«, erwiderte ich augenblicklich. Aber dann dachte ich: Bin ich es vielleicht doch?

»Hast du von Eric verlangt, das Fangtasia aufzugeben? Hast du von Bill verlangt, seine Computer-Geschäfte sein zu lassen? Hast du von Sam verlangt, sich von seiner Familie abzuwenden?«

»Was ...?«, begann ich, während ich noch versuchte, den Zusammenhang zu erkennen.

»Aber von mir verlangst du, andere aufzugeben - Menschen, die ich liebe, meine Mutter und meine Schwester -, wenn ich mit dir zusammen sein will«, sagte er.

»Ich verlange gar nichts von dir«, erwiderte ich. Meine innere Anspannung war in einem fast unerträglichen Maß gestiegen. »Ich habe dir gesagt, dass ich für den Mann in meinem Leben an erster Stelle stehen möchte. Und ich habe kapiert - und das sehe ich immer noch so -, dass bei dir deine Familie an erster Stelle stehen muss, weil deine Mutter und deine Schwester nicht gerade die Sorte Frauen sind, die auf eigenen Beinen stehen können. Und was soll das heißen: Ich hätte von Eric ja auch nicht verlangt, das Fangtasia aufzugeben? Warum sollte ich das tun? Und wieso erwähnst du in diesem Zusammenhang Sam?« Mir fiel kein einziger Grund ein, um auch noch Bill zu erwähnen. Den hatte ich wirklich endgültig überwunden.

»Bill liebt seinen Status in der Welt der Menschen und der Vampire, und Eric liebt sein kleines Stückchen von Louisiana mehr als er dich je lieben wird.« Quinn klang fast, als würde ich ihm leid tun. Das war ja lächerlich.

»Woher kam denn all der Hass?«, fragte ich und hob achselzuckend die Arme. »Ich habe mich nicht von dir getrennt, weil ich Gefühle für jemand anderen hatte. Ich habe mich von dir getrennt, weil ich fand, dass dein Teller bereits randvoll war.«

»Er versucht, dich von allen anderen zu isolieren, denen du etwas bedeutest.« Quinn starrte mich mit nervtötender Intensität an. »Und sieh dir mal all diejenigen an, die von ihm abhängig sind.«

»Sprichst du von Eric?« Die von Eric »Abhängigen« waren allesamt Vampire und konnten verdammt gut auf sich selbst aufpassen.

»Er wird nie seinen kleinen Bezirk für dich aufgeben. Er wird nie seinen kleinen Club eingeschworener Vampire jemand anderem dienen lassen. Er wird nie -«

Ich konnte es einfach nicht mehr aushalten und stieß aus schierer Verzweiflung einen Schrei aus. Und ich stampfte sogar wie eine Dreijährige mit dem Fuß auf. »All das habe ich nie von ihm verlangt!«, schrie ich. »Wovon redest du überhaupt? Bist du hier aufgetaucht, um mir zu sagen, dass mich nie mehr jemand lieben wird? Was ist los mit dir?«

»Ja, Quinn«, sagte da eine vertraute, kühle Stimme. »Was ist los mit dir?«

Ich sprang mindestens zehn Zentimeter in die Höhe, das schwöre ich. Herrje, ich hatte mich so auf meinen Streit mit Quinn konzentriert, dass ich Bills Kommen nicht bemerkt hatte.

»Du machst Sookie Angst«, sagte Bill ungefähr einen Meter hinter mir, und es lief mir eiskalt den Rücken herunter bei dem drohenden Unterton in seiner Stimme. »Das lasse ich nicht zu, Tiger.«

Quinn knurrte, und seine Zähne wurden immer länger und schärfer, quasi direkt vor meinen Augen. Und im nächsten Augenblick stand Bill auch schon neben mir. Seine Augen glühten in einem gruselig silbrigen Braun.

Ich fürchtete natürlich, dass die beiden sich gegenseitig umbringen würden. Aber so langsam war ich es auch endgültig leid, dass ständig irgendwelche Leute auf meinem Grundstück auftauchten und wieder verschwanden, als wäre das hier so eine Art Bahnhof an der Eisenbahnlinie der Supras.

Quinns Hand bekam Krallen. Und aus seiner Brust drang ein tiefes Knurren.

»Nein!«, rief ich, damit sie mir zuhörten. Dieser Tag war wirklich die Hölle.

»Du hast nicht mal mehr eine Chance bei ihr, Vampir«, presste Quinn hervor, dessen Stimme keine Ähnlichkeit mehr mit seiner normalen hatte. »Du bist Geschichte.«

»Aus dir mach ich einen Bettvorleger«, erwiderte Bill, und seine Stimme war noch kühler und samtiger als sonst, wie Eis auf Glas.

Und dann gingen die beiden Idioten aufeinander los.

Ich wollte schon dazwischengehen, als mir der noch funktionierende Teil meines Hirns sagte, dass das purer Selbstmord wäre. Ich dachte: Dann wird mein Rasen heute Abend eben mit noch etwas mehr Blut gesprenkelt. Dabei hätte ich besser denken sollen: Sieh verdammt noch mal zu, dass du da wegkommst. Tja, ich hätte wirklich sofort ins Haus rennen, die Tür verriegeln und die beiden sich selbst überlassen sollen.

Doch hinterher ist man immer schlauer. Und so stand ich einen Augenblick lang einfach nur da, ruderte sinnlos mit den Armen und hoffte auf eine Eingebung, wie ich die beiden trennen könnte ... und dann taumelten und schwankten die zwei miteinander ringenden Gestalten. Quinn stieß Bill mit all seiner Kraft von sich. Und Bill donnerte mit einer solchen Wucht in mich hinein, dass es mich regelrecht um einige Zentimeter vom Boden hob - ehe ich mit einem lauten Krachen wieder aufschlug.