18

 

»Saubere Arbeit«, sagte Kommissar Spence.

Sein rotes Bauerngesicht war wütend. Er sah rüber zu Hercule Poirot, der ihm ernsthaft zuhörte.

»Sauber und hässlich«, fuhr er fort. »Man hat sie erwürgt. Mit einem Seidenschal – einem ihrer eigenen Schals –, den sie an dem Tag getragen hat. Einfach um den Hals geworfen, die Enden über Kreuz gelegt und zugezogen. Das Opfer wehrt sich nicht, schreit nicht auf – Druck auf die Halsschlagader.«

»Besondere Kenntnisse nötig?«

»Nicht unbedingt. Wenn man es tun will, kann man darüber nachlesen. Es gibt praktisch keine Schwierigkeiten. Vor allem, wenn das Opfer gar keinen Verdacht hegt. Und sie hat keinen Verdacht gehegt.«

Poirot nickte.

»Jemand, den sie kannte.«

»Ja. Sie tranken gemeinsam Kaffee. Eine Tasse stand vor ihr und eine vor dem… Besuch. Fingerabdrücke sind von der Tasse des Gastes sehr sorgfältig abgewischt worden, aber bei Lippenstift ist es ein bisschen schwieriger. Wir fanden noch schwache Spuren von Lippenstift.«

»Also eine Frau?«

»Sie haben doch erwartet, dass es eine Frau war, nicht?«

»O ja. Ja, das war zu erwarten.«

Spence fuhr fort:

»Mrs Upward hat eine dieser Fotografien erkannt – die Fotografie von Lily Gamboll. So hat jener Fall also mit dem McGinty Mord zu tun.«

»Ja«, bestätigte Poirot.

Er erinnerte sich, wie Mrs Upward belustigt gesagt hatte:

»Mrs McGinty ist tot. Wie starb sie? Sprich!

Hielt ihren Kopf hin genau wie ich.«

Spence sprach weiter:

»Sie nahm eine Gelegenheit wahr, die ihr geeignet erschien – ihr Sohn und Mrs Oliver gingen ins Theater. Sie rief die betreffende Person an und bat sie herzukommen. Sehen Sie das auch so? Sie spielte Detektiv.«

»So ähnlich wird’s wohl schon gewesen sein. Neugier. Sie hielt geheim, was sie wusste, aber sie wollte mehr wissen. Sie machte sich nicht klar, dass das, was sie tat, gefährlich war.« Poirot seufzte. »So viele Leute glauben, dass Mord ein Spiel ist. Aber er ist kein Spiel. Das habe ich ihr gesagt. Aber sie wollte nicht auf mich hören.«

»Es passt alles recht gut zusammen. Als Robin mit Mrs Oliver wegfahren wollte und noch einmal ins Haus zurücklief, beendete seine Mutter gerade ein Telefongespräch. Sie wollte nicht sagen, mit wem. Spielte die Geheimnisvolle. Robin und Mrs Oliver meinten, dass sie Sie angerufen hat.«

»Ich wollte, sie hätte es getan«, meinte Hercule Poirot. »Sie haben keine Ahnung, mit wem sie gesprochen hat?«

»Nicht die geringste.«

»Die Haushälterin konnte Ihnen auch nicht helfen?«

»Nein. Sie kam gegen halb elf nachhause. Sie hat einen Schlüssel zum Hintereingang. Sie ging sofort in ihr Zimmer, das neben der Küche liegt, und dann schlafen. Das Haus war dunkel, und sie nahm an, dass Mrs Upward zu Bett gegangen sei und die anderen noch nicht nachhause gekommen wären.« Spence fügte hinzu:

»Sie ist taub und dazu noch ein bisschen verdreht. Kümmert sich sehr wenig um das, was um sie herum vorgeht. Und ich glaube, sie arbeitet sowenig wie möglich und knurrt dabei soviel wie möglich.«

»Nicht die sprichwörtliche alte treue Magd?«

»O nein! Sie ist erst seit zwei Jahren bei den Upwards.«

Ein Polizist steckte seinen Kopf ins Zimmer.

»Eine junge Dame will Sie sprechen, Sir. Sagt, Sie sollten vielleicht etwas wissen. Wegen gestern Nacht.«

»Wegen gestern Nacht? Schicken Sie sie herein.«

Deirdre Henderson trat ins Zimmer. Sie sah bleich und erschöpft aus und wirkte, wie gewöhnlich, ein bisschen unbeholfen.

»Ich meinte, ich sollte lieber herkommen«, sagte sie. »Wenn ich Sie nicht störe«, fügte sie entschuldigend hinzu.

»Gar nicht, Miss Henderson.«

Spence stand auf und schob ihr einen Stuhl hin. Sie setzte sich steif wie ein verlegenes Schulmädchen hin.

»Etwas wegen gestern Abend?«, fragte Spence ermutigend. »Sie meinen, wegen Mrs Upward?«

»Ja, es ist doch wahr, nicht, dass man sie ermordet hat? Ich meine, die Frau von der Post sagte das und der Bäcker. Mutter meinte natürlich, es kann nicht wahr sein…« Sie verstummte.

»Leider hat Ihre Mutter da nicht Recht. Es ist nur zu wahr. Nun, wenn Sie eine… Sie wollten uns etwas erzählen?«

Deirdre nickte.

»Ja«, sagte sie. »Sehen Sie, ich war dort.«

Spences Benehmen veränderte sich unmerklich. Er wurde noch freundlicher, aber darunter lag eine amtliche Härte.

»Sie waren dort«, wiederholte er. »In Laburnums. Um wie viel Uhr?«

»Ich weiß es nicht genau«, sagte Deirdre. »Zwischen halb neun und neun, glaube ich. Wahrscheinlich war es schon gegen neun Uhr. Jedenfalls nach dem Abendessen. Wissen Sie, sie hat mich angerufen.«

»Mrs Upward hat Sie angerufen?«

»Ja. Sie sagte, Robin und Mrs Oliver seien ins Theater nach Cullenquay gefahren, und sie sei ganz allein. Ob ich nicht Lust hätte, sie zu besuchen und Kaffee mit ihr zu trinken.«

»Und Sie gingen hin?«

»Ja.«

»Und Sie haben Kaffee mit ihr getrunken?«

Deirdre schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich kam hin und klopfte an. Aber niemand antwortete. So öffnete ich die Tür und ging in die Halle. Sie war ganz dunkel, und ich hatte schon von draußen gesehen, dass kein Licht im Wohnzimmer brannte. Ich war ganz verwirrt. Ich rief ein paarmal ›Mrs Upward‹, aber ich erhielt keine Antwort. Also glaubte ich, es müsste ein Missverständnis gewesen sein.«

»An was für ein Missverständnis haben Sie denn gedacht?«

»Ich dachte, Sie wäre schließlich doch mit den anderen ins Theater gefahren.«

»Ohne es Ihnen mitzuteilen?«

»Es kam mir natürlich komisch vor, aber…«

»Sie konnten es sich nicht anders erklären?«

»Nun, ich dachte, Frieda hätte die Mitteilung vielleicht falsch verstanden. Das kommt manchmal vor. Sie ist Ausländerin. Und gestern Abend war sie besonders aufgeregt, weil sie von uns weg wollte.«

»Was taten Sie dann, Miss Henderson.«

»Ich bin einfach fortgegangen.«

»Wieder nachhause?«

»Ja – das heißt, zuerst ging ich ein bisschen spazieren. Es war recht schönes Wetter.«

Spence schwieg einen Augenblick lang und sah sie an. Er blickte, wie Poirot bemerkte, auf ihren Mund.

Dann stand er auf und sagte schnell:

»Nun, danke schön, Miss Henderson. Sie haben Recht getan, uns das zu erzählen. Wir sind Ihnen sehr verbunden.«

Er stand auf und schüttelte ihr die Hand.

»Ich meinte, dass ich kommen sollte. Mutter wollte es nicht.«

»Ach, wirklich nicht?«

Er begleitete sie hinaus und kam dann zurück.

Er setzte sich, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und sah Poirot an.

»Kein Lippenstift«, sagte er. »Oder ist das bloß heute so?«

»Nein, es ist nicht nur heute so. Sie benutzt nie Lippenstift.«

»Das ist heutzutage ungewöhnlich, nicht wahr?«

»Sie ist ein recht seltsamer Mensch – irgendwie unterentwickelt.«

»Und, soweit ich riechen konnte, auch kein Parfüm. Mrs Oliver sagt, gestern wäre ein deutlicher Parfümduft – von einem teuren Parfüm – im Hause gewesen. Robin Upward bestätigt das. Es war kein Parfüm, das seine Mutter benutzte.«

»Deirdre Henderson würde sich auch nicht parfümieren, glaube ich«, sagte Poirot.

»Es passt alles nicht«, seufzte Spence. »Kein Lippenstift, kein Parfüm. Und da sie eine wirklich gute Mutter hat und Lily Gambolls Mutter bei einer Schlägerei zwischen Betrunkenen in Cardiff umgekommen ist, als Lily neun Jahre alt war, sehe ich nicht, wie sie Lily Gamboll sein sollte. Aber Mrs Upward hat sie angerufen und gebeten zu kommen – das dürfen wir nicht übersehen.« Er rieb sich die Nase. »Da ist irgendwas faul.«

»Was sagt der Arzt?«

»Sein Bericht hilft uns nicht weiter. Er konnte uns nur sagen, dass sie vermutlich um halb zehn schon tot war.«

»So hätte sie schon tot sein können, als Deirdre Henderson nach Laburnums kam?«

»Wahrscheinlich war sie es, wenn Miss Henderson die Wahrheit sagt.«

Spence seufzte.

»So haben wir Deirdre Henderson auf dem Schauplatz des Mordes. Oder jemanden, der vor Deirdre Henderson hinkam. Eine Frau. Eine Frau, die Lippenstift und teures Parfüm benutzt.«

Poirot sagte leise: »Sie werden nachforschen…«

»Ich bin schon dabei. Vorerst nur ganz diskret. Wir wollen niemanden aufregen. Was hat Eve Carpenter gestern Abend getan? Wo war Shelagh Rendell gestern Abend? Ich wette zehn zu eins, dass sie einfach zuhause saßen. Ich weiß, dass Carpenter eine politische Versammlung hatte.«

»Eve«, sagte Poirot nachdenklich. »Die Moden wechseln auch bei Namen, nicht wahr? Heute hört man kaum noch Eva. Aber Eve ist beliebt.«

»Sie kann sich teures Parfüm leisten«, überlegte Spence. Er hing seinen eigenen Gedanken nach.

Er seufzte wieder.

»Wir müssen mehr über sie erfahren. Es ist so praktisch, eine Kriegswitwe zu sein. Man kann überall auftauchen, Mitleid erregend aussehen und einem tapferen jungen Flieger nachtrauern. Da fragt einen niemand etwas.«

Er wechselte das Thema.

»Der Zuckerhammer, oder wie das Ding heißt, das Sie uns geschickt haben – ich glaube, da haben Sie ins Schwarze getroffen. Er ist die Waffe, die im Falle McGinty verwendet wurde. Der Arzt bestätigt, dass er genau für diesen Schlag geeignet ist. Und es war Blut darauf. Natürlich hatte man es abgewaschen, aber die Leute wissen nicht, dass wir heutzutage Mittel und Wege kennen, schon bei der winzigsten Blutmenge eine Reaktion zu bekommen. Ja, es war Menschenblut. Und das führt uns wieder zu den Wetherbys und der Henderson. Oder etwa nicht?«

»Deirdre Henderson war sich völlig sicher, dass der Zuckerhammer zum Erntedankfestbasar geschickt wurde.«

»Und Mrs Summerhayes war ebenso sicher, dass es der Weihnachtsbasar war?«

»Mrs Summerhayes ist niemals ganz sicher«, meinte Poirot düster. »Sie ist eine reizende Frau, aber sie kennt weder Ordnung noch Methode. Eines jedoch kann ich Ihnen sagen – ich, der ich in Long Meadows wohne –, die Türen und Fenster sind immer offen. Jedermann, ganz gleich wer, könnte kommen, etwas wegnehmen und später wiederbringen, und weder Major Summerhayes noch Mrs Summerhayes würden es bemerken. Ist der Hammer eines Tages nicht da, so wird sie glauben, dass ihr Mann ihn genommen hat, um ein Kaninchen zu zerlegen oder Holz zu hacken – und er, er würde annehmen, dass sie ihn genommen hat, um das Fleisch für die Hunde klein zu hacken. In Long Meadows benutzt kein Mensch das richtige Werkzeug – jeder nimmt, was ihm gerade in die Hände fällt, und lässt es dann an der falschen Stelle liegen. Und niemand erinnert sich an etwas. Wenn ich so leben müsste, würde ich mich dauernd fürchten, aber denen scheint das gar nichts auszumachen.«

»Nun, etwas Gutes ist an der Sache. Man wird James Bentley nicht hinrichten, ehe diese Affäre jetzt aufgeklärt ist. Wir haben einen Brief ans Innenministerium geschickt. Der verschafft uns, was wir brauchen – Zeit!«

»Ich denke«, sagte Poirot, »ich sollte Bentley noch einmal aufsuchen. Jetzt wissen wir ja schon mehr.«

 

James Bentley hatte sich wenig verändert. Er war vielleicht noch magerer geworden, seine Hände waren noch unruhiger – sonst war er das gleiche stumpfe, hoffnungslose Geschöpf. Hercule Poirot sprach vorsichtig. Es gab neues Beweismaterial. Die Polizei hatte den Fall wieder aufgenommen. Deshalb bestand noch Hoffnung…

Aber James Bentley gab nichts auf diese Hoffnung.

»Das wird alles nicht nützen. Was kann man denn noch herausfinden?«

»Ihre Freunde«, sagte Hercule Poirot, »arbeiten sehr eifrig.«

»Meine Freunde?« Er zuckte die Achseln. »Ich habe keine Freunde.«

»Das sollten Sie nicht sagen. Sie haben mindestens zwei.«

»Zwei Freunde? Ich möchte doch wissen, wer die sein sollen.« Sein Ton war völlig ungläubig.

»Da ist einmal Kommissar Spence…«

»Spence? Spence? Der Mann, der das Material gegen mich gesammelt hat? Das ist schon beinahe ein Witz.«

»Es ist kein Witz. Es ist ein Glück. Spence ist ein sehr gescheiter und gewissenhafter Polizeibeamter. Er ist gern völlig sicher, den Richtigen gefasst zu haben.«

»Dessen ist er sicher genug.«

»Seltsamerweise nicht. Deshalb ist er, wie ich schon sagte, Ihr Freund.«

»Schöner Freund!«

Hercule Poirot wartete. Selbst James Bentley, meinte er, musste irgendwelche menschlichen Züge haben. Selbst James Bentley konnte nicht frei von aller Neugier sein. Und es stimmte, denn gleich darauf fragte James Bentley:

»Na, und wer ist der andere?«

»Der andere ist Maude Williams.«

Bentley schien nicht zu reagieren.

»Maude Williams? Wer ist das?«

»Sie hat im Büro von Breather & Scuttle gearbeitet.«

»Ach… diese Miss Williams.«

»Précisément, diese Miss Williams.«

»Aber was hat die damit zu tun?«

In solchen Augenblicken ging die Person James Bentleys Hercule Poirot so sehr auf die Nerven, dass er von Herzen wünschte, er könnte an seine Schuld glauben. Leider aber schloss er sich, je mehr Bentley ihn ärgerte, desto überzeugter der Auffassung von Spence an. Er fand es immer schwieriger, sich vorzustellen, dass James Bentley jemanden ermordet haben sollte. James Bentley, dessen war Poirot sicher, hätte nur gemeint, dass ein Mord ohnedies nichts nützen würde. Wenn Frechheit, wie Spence beharrlich behauptete, ein Charakteristikum von Mördern war, dann war Bentley ganz gewiss kein Mörder.

Poirot beherrschte sich und sagte:

»Miss Williams ist von Ihrer Unschuld überzeugt.«

»Ich wüsste nicht, was sie davon wissen kann.«

»Sie kennt Sie.«

James Bentley blinzelte und brummte:

»Ja, aber nicht gut.«

»Sie haben doch zusammen im Büro gearbeitet? Manchmal haben Sie gemeinsam gegessen?«

»Nun, ja, ein- oder zweimal.«

»Sind Sie nie mit ihr spazieren gegangen?«

»Ach ja, einmal schon. In den Dünen.«

Hercule Poirot platzte heraus:

»Ma foi, will ich denn, dass Sie mir ein Verbrechen gestehen? Einem hübschen Mädchen Gesellschaft zu leisten, ist das nicht ganz natürlich? Ist es nicht erfreulich? Können Sie da nicht zufrieden sein?«

»Ich wüsste nicht, warum«, sagte James Bentley.

»In Ihrem Alter ist es natürlich und richtig, wenn man die Gesellschaft von Mädchen genießt.«

»Ich kenne nicht viele Mädchen.«

»Ca se voit! Aber Sie sollten sich dessen schämen und nicht rühmen. Sie kannten Miss Williams. Sie haben mit ihr gearbeitet und geplaudert und manchmal gegessen, und einmal sind Sie mit ihr in den Dünen spazieren gegangen. Und wenn ich sie dann erwähne, erinnern Sie sich nicht einmal an ihren Namen!« James Bentley errötete.

»Nun, sehen Sie… ich habe nie viel mit Mädchen zu tun gehabt. Und sie ist nicht ganz das, was man eine Dame nennen würde, nicht wahr? Sie ist ja sehr nett und so weiter, aber ich kann mir nicht helfen… Mutter hätte sie als gewöhnlich bezeichnet.«

»Es kommt nur darauf an, was Sie von ihr halten.«

Wieder errötete James Bentley.

»Ihr Haar«, sagte er. »Und die Kleider, die sie trägt… Mutter war natürlich altmodisch…«

Er verstummte.

»Aber Sie fanden Miss Williams – wie soll ich sagen? – sympathisch?«

»Sie war immer sehr nett«, räumte James Bentley zögernd ein. »Aber sie hat mich nicht wirklich verstanden. Ihre Mutter starb, als sie noch ganz klein war, wissen Sie.«

»Und dann haben Sie Ihre Stellung verloren«, sagte Poirot. »Sie konnten keine andere bekommen. Miss Williams hat Sie einmal in Broadhinny getroffen, habe ich gehört.«

James Bentley sah ganz unglücklich drein.

»Ja, ja. Sie kam geschäftlich dorthin und schickte mir eine Postkarte. Bat mich, sie zu treffen. Ich weiß nicht, weshalb. So gut habe ich sie gar nicht gekannt.«

»Aber Sie haben sie getroffen?«

»Ja. Ich wollte nicht unhöflich sein.«

»Und haben Sie sie ins Kino geführt oder zum Essen eingeladen?«

James Bentley sah entsetzt aus.

»O nein. Ganz und gar nicht. Wir – nun – wir haben uns unterhalten, während sie auf ihren Autobus wartete.«

»Ach, wie amüsant muss das für das Mädchen gewesen sein.«

James Bentley erwiderte schroff:

»Ich hatte kein Geld. Vergessen Sie das bitte nicht. Ich hatte überhaupt kein Geld.«

»Natürlich. Das war ein paar Tage, bevor Mrs McGinty ermordet wurde, nicht wahr?«

James Bentley nickte. Ganz unerwartet sagte er:

»Ja, es war am Montag. Sie ist am Mittwoch umgebracht worden.«

»Ich will Sie noch etwas fragen, Mr Bentley. Hat Mrs McGinty den Sunday Corner gehalten?«

»Ja.«

»Haben Sie die Zeitung jemals gelesen?«

»Selten. Mutter hielt nichts von solchen Zeitungen.«

»So haben Sie den Sunday Corner jener Woche nicht gesehen?«

»Nein.«

»Und Mrs McGinty hat nicht davon gesprochen? Oder von etwas, das darin stand?«

»O doch, das schon«, sagte James Bentley prompt. »Sie war ganz erfüllt davon.«

»O lala! Sie war also ganz erfüllt davon. Und was sagte sie? Passen Sie gut auf. Das ist sehr wichtig.«

»Ich erinnere mich nicht mehr genau. Es war etwas von einem alten Mordfall. Craig glaube ich… Nein, vielleicht war es nicht Craig. Na, jedenfalls sagte sie, jemand, der mit dem Fall zu tun hätte, lebte jetzt in Broadhinny. Ich konnte gar nicht begreifen, was das mit ihr zu tun hatte.«

»Sagte sie, wer in Broadhinny es war?«

James Bentley meinte unbestimmt:

»Ich glaube, es war die Frau, deren Sohn fürs Theater schreibt.«

»Hat sie sie namentlich erwähnt?«

»Nein… ich… wirklich, es ist schon so lange her…«

»Ich flehe Sie an – versuchen Sie nachzudenken. Sie wollen doch wieder freikommen, nicht wahr?«

»Frei?«, fragte Bentley überrascht.

»Ja, frei.«

»Ich… ja… ich glaube schon.«

»Dann denken Sie nach! Was sagte Mrs McGinty?«

»Nun, so was wie: ›Was die mit sich zufrieden ist, und so stolz. Hat nicht viel Grund, stolz zu sein, wenn man alles weiß.‹ Und dann: ›Wenn man die Fotografie ansieht, würde man nie glauben, dass es dieselbe Frau ist.‹ Aber die Fotografie war natürlich viele Jahre alt.«

»Und weshalb sind Sie sicher, dass sie von Mrs Upward sprach?«

»Ich weiß nicht recht… Ich hatte nur den Eindruck. Sie hatte von Mrs Upward gesprochen, und dann habe ich das Interesse daran verloren und nicht mehr zugehört, und nachher… nun, wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann weiß ich eigentlich nicht, von wem sie gesprochen hat. Sie hat viel geschwatzt, wissen Sie.«

Poirot seufzte.

»Ich glaube nicht recht, dass sie von Mrs Upward gesprochen hat. Es ist ein furchtbarer Gedanke, dass man Sie hängen könnte, weil Sie den Leuten, mit denen Sie sprechen, nicht ordentlich zuhören… Hat Mrs McGinty mit Ihnen viel über die Häuser gesprochen, in denen sie arbeitete, beziehungsweise über die Damen dieser Häuser?«

»Ja, sozusagen… aber es hat keinen Zweck, mich zu fragen. Sie scheinen nicht zu verstehen, Monsieur Poirot, dass ich damals an mein eigenes Leben zu denken hatte. Ich befand mich in einer sehr ernsten Lage.«

»Jedenfalls in keiner ernsteren als jetzt. Hat Mrs McGinty über Mrs Carpenter gesprochen – damals hieß sie noch Mrs Selkirk – oder über Mrs Rendell?«

»Carpenter hat das neue Haus auf dem Hügel und einen großen Wagen, nicht wahr? Er war mit Mrs Selkirk verlobt. Mrs McGinty hatte immer was gegen Mrs Selkirk, ich weiß nicht, warum. ›Emporgekommen‹ nannte sie sie meistens. Ich weiß nicht, was sie damit sagen wollte.«

»Und die Rendells?«

»Er ist der Arzt, nicht wahr? Ich erinnere mich nicht, dass sie über die was Besonderes gesagt hat.«

»Und die Wetherbys?«

Er schwieg einen Augenblick lang. »Sie sagte, es wäre ein unglückliches Haus.«

Hercule Poirot blickte auf. Eine Sekunde lang war etwas in James Bentleys Stimme gewesen, das er zuvor nicht gehört hatte. Er wiederholte nicht sklavisch, an was er sich erinnern konnte. Sein Geist war einen winzigen Augenblick lang aus seiner Teilnahmslosigkeit aufgewacht. James Bentley dachte an Hunter’s Close, an das Leben, das dort geführt wurde, und er dachte darüber nach, ob es ein glückliches oder ein unglückliches Haus war. Poirot fragte leise:

»Kennen Sie die Leute? Die Mutter? Den Vater? Die Tochter?«

»Nicht richtig. Sie haben einen Hund. Einen Sealyham. War in eine Falle geraten. Sie konnte ihn nicht freikriegen. Ich half ihr.«

Wieder war da etwas Neues in Bentleys Ton. »Ich half ihr«, hatte er gesagt, und in diesen Worten war ein leiser Widerhall von Stolz gewesen.

Poirot erinnerte sich an das, was Mrs Oliver über ihr Gespräch mit Deirdre Henderson erzählt hatte.

Er fragte freundlich:

»Sie haben sich mit ihr unterhalten?«

»Ja. Sie… ihre Mutter litt viel, sagte sie mir. Sie liebte ihre Mutter sehr.«

»Und Sie erzählten ihr von Ihrer Mutter?«

»Ja«, gestand James Bentley leise.

Poirot wartete schweigend.

»Das Leben ist sehr grausam«, meinte James Bentley. »Zu einigen Leuten scheint das Glück nie zu kommen.«

»Das ist möglich«, sagte Hercule Poirot.

»Ich glaube nicht, dass sie glücklich ist. Miss Wetherby.«

»Henderson.«

»Ach ja. Sie sagte mir, sie hätte einen Stiefvater.«

»Deirdre Henderson«, ergänzte Poirot. »Deirdre von den Sorgen. Ein schöner Name, aber kein hübsches Mädchen, habe ich gehört.«

James Bentley errötete.

»Mir hat sie ganz gut gefallen.«