13
Als der Abend bei den Carpenters seinem Ende zuging, kam Mrs Oliver mit dem Glas in der Hand auf Hercule Poirot zu. Bis zu diesem Augenblick war jeder von ihnen der Mittelpunkt eines Kreises von Bewunderern gewesen. Nun, da man schon ziemlich viel Gin getrunken hatte und die Gesellschaft gut in Schwung war, neigten alte Freunde dazu, sich zueinander zu gesellen und Lokalklatsch auszutauschen, und die beiden Außenstehenden konnten endlich miteinander sprechen.
»Kommen Sie auf die Terrasse«, flüsterte Mrs Oliver wie eine Verschwörerin.
Gleichzeitig drückte sie ihm einen kleinen Zettel in die Hand.
Gemeinsam traten sie ins Freie und gingen ans Ende der Terrasse. Poirot entfaltete den Zettel.
»Dr. Rendell«, las er.
Er sah Mrs Oliver fragend an. Mrs Oliver nickte energisch, wobei ihr eine dicke Strähne ihres grauen Haares ins Gesicht fiel.
»Er ist der Mörder«, verkündete Mrs Oliver.
»Glauben Sie? Warum?«
»Ich weiß es einfach«, beschied Mrs Oliver ihn. »Er ist der Typ. Herzlich und freundlich und so weiter.«
»Vielleicht.«
Es klang nicht sehr überzeugt.
»Aber was war Ihrer Meinung nach sein Motiv?«
»Vergehen gegen die Standesordnung«, sagte Mrs Oliver. »Und Mrs McGinty wusste das. Aber was immer der Grund war, Sie können sich darauf verlassen, dass er es war. Ich habe mir alle angesehen. Er ist es.«
Poirot bemerkte beiläufig:
»Gestern hat jemand auf dem Bahnhof Kilchester versucht, mich unter den Zug zu stoßen.«
»Lieber Himmel! Um Sie zu töten, meinen Sie?«
»Ich hege keinen Zweifel daran, dass das die Absicht war.«
»Und Dr. Rendell war auf Krankenbesuch. Das weiß ich.«
»Ja, ich habe gehört, dass Dr. Rendell wirklich fort war.«
»Dann ist ja alles klar«, sagte Mrs Oliver zufrieden.
»Nicht ganz«, widersprach Poirot. »Mr und Mrs Carpenter waren gestern auch in Kilchester und sind getrennt nachhause gekommen. Mrs Rendell war vielleicht den ganzen Abend zuhause und hat Radio gehört. Vielleicht aber auch nicht. Das kann niemand sagen. Miss Henderson fährt oft nach Kilchester ins Kino.«
»Aber nicht gestern Abend. Sie war zuhause. Das hat sie mir erzählt.«
»Man kann nicht alles glauben, was einem erzählt wird«, sagte Poirot vorwurfsvoll. »Familien halten zusammen. Und das ausländische Mädchen, Frieda, war gestern im Kino, so kann sie uns nicht sagen, wer in Hunter’s Close war. Sie sehen, es ist nicht so einfach, Personen auszuschließen.«
»Wann, sagen Sie, ist es geschehen?«
»Genau um neun Uhr fünfunddreißig.«
»Dann kommt Laburnums auf keinen Fall in Frage. Von acht bis halb elf haben Robin, seine Mutter und ich Pokerpatience gespielt.«
»Ich dachte, Sie und er hätten sich nach unten zur Zusammenarbeit zurückgezogen.«
»Sodass wir Mama auf ein Motorrad springen ließen, das sie hinter den Stauden versteckt hatte?« Mrs Oliver lachte. »Nein, Mama war in unserem Blickfeld.«
Maureen Summerhayes kam auf sie zu.
Ihr sommersprossiges Gesicht sah ganz verklärt aus. Sie hielt ein Glas in der Hand, lächelte beide liebevoll an.
»Ich glaube, ich habe einen kleinen Schwips«, sagte sie. »So viel guter Gin. Ich mag Gesellschaften so sehr. Wir haben nicht oft welche in Broadhinny. Die heute ist nur, weil Sie beide so berühmt sind. Ich wollte, ich könnte auch Bücher schreiben. Mein Fehler ist, dass ich gar nichts ordentlich kann.«
»Sie sind eine gute Frau und Mutter, Madame«, sagte Poirot.
Maureens Augen öffneten sich weit. Schöne nussbraune Augen in einem kleinen sommersprossigen Gesicht. Mrs Oliver fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Nicht mehr als dreißig, vermutete sie.
»Bin ich das?«, fragte Maureen. »Ich weiß nicht. Ich liebe sie alle schrecklich, aber ist das genug?«
Poirot hustete.
»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für vermessen, Madame. Eine Frau, die ihren Mann wahrhaft liebt, sollte sich sehr um seinen Bauch kümmern. Der Bauch ist wichtig.«
Maureen sah leicht beleidigt aus.
»Johnnie hat einen wundervollen Bauch«, empörte sie sich. »Ganz flach. Hat praktisch überhaupt keinen Bauch.«
»Ich sprach von dem, was man hineintut.«
»Sie meinen meine Küche«, sagte Maureen. »Ich habe nie geglaubt, dass Essen sehr wichtig ist.«
Poirot stöhnte.
»Oder die Kleidung«, fuhr Maureen versonnen fort. »Oder der Beruf. Ich glaube nicht, dass solche Dinge wichtig sind. Nicht wirklich wichtig.«
Einen Augenblick lang schwieg sie. Ihre Augen waren vom Alkohol ein wenig verschleiert. Sie sah aus, als blickte sie in eine weite Ferne.
»Neulich hat eine Frau an die Zeitung geschrieben«, sagte sie unvermittelt. »Einen wirklich dummen Brief. Fragte, was das beste wäre: Sein Kind von jemandem adoptieren zu lassen, der ihm jeden Vorteil bieten könnte – und sie meinte eine gute Erziehung und Kleidung und eine komfortable Umgebung –, oder ob man das Kind behalten sollte, obwohl man ihm gar nichts bieten kann. Ich meine, das ist dumm – wirklich dumm. Wenn man einem Kind nur genug zu essen geben kann, das ist alles, worauf es ankommt.«
Sie blickte in ihr leeres Glas, als wäre es eine Kristallkugel.
»Ich muss das wissen«, fuhr sie fort. »Ich war ein adoptiertes Kind. Meine Mutter hat mich weggegeben, und ich hatte jeden Vorteil, wie man so sagt. Aber es tut immer weh, immer… immer… zu wissen, dass man nicht wirklich erwünscht war, dass die Mutter einen weggehen lassen konnte.«
»Vielleicht war es ein Opfer zu Ihren Gunsten«, versuchte Poirot sie zu trösten.
Ihre hellen Augen begegneten den seinen.
»Ich glaube nicht, dass es das wirklich gibt. So nennt man es nur vor sich selbst. Aber wesentlich ist doch, dass man ohne diesen Menschen auskommen kann… Und das tut weh. Ich würde meine Kinder nicht hergeben, nicht für alle Vorteile der Welt.«
»Ich glaube, da haben Sie Recht«, sagte Mrs Oliver.
»Ich bin auch Ihrer Meinung«, stimmte Poirot zu.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Maureen fröhlich. »Worüber streiten wir dann?«
Robin, der zu ihnen auf die Terrasse getreten war, fragte: »Ja, worüber streiten Sie?«
»Adoption«, erläuterte Maureen. »Ich bin nicht gern adoptiert. Und Sie?«
»Nun, es ist viel besser, als eine Waise zu sein, meinen Sie nicht auch, meine Liebe? Ich denke, wir sollten jetzt gehen, nicht wahr, Ariadne?«
Die Gäste brachen alle gleichzeitig auf, nur Dr. Rendell hatte schon früher fort müssen. Sie gingen gemeinsam den Hügel hinab und plauderten vergnügt.
Als sie ans Tor von Laburnums kamen, bestand Robin darauf, dass alle noch mit hineinkamen.
»Nur, um Madre von der Gesellschaft zu erzählen. So langweilig für die arme Liebe, dass sie nicht mitkonnte, weil ihr Bein ihr wieder Probleme machte. Aber sie kann es nicht leiden, wenn sie gar nichts von der Sache hat.«
Vergnügt eilten alle hinein, und Mrs Upward schien sich zu freuen, sie zu sehen.
»Wer war noch dort?«, fragte sie. »Die Wetherbys?«
»Nein, Mrs Wetherby fühlte sich nicht wohl genug, und die trübselige Henderson wollte nicht ohne sie kommen.«
»Sie ist wirklich ein armer Kerl, nicht wahr?«, meinte Shelagh Rendell.
»Ich halte sie nahezu für pathologisch. Sie nicht?«, meinte Robin.
»Das ist ihre Mutter«, erwiderte Maureen. »Manche Mütter fressen ihre Jungen beinahe auf.«
Sie errötete plötzlich, als sie Mrs Upwards spöttischem Blick begegnete.
»Fresse ich dich auf, Robin?«, fragte Mrs Upward.
»Madre! Natürlich nicht!«
Um ihre Verwirrung zu verbergen, stürzte Maureen sich in eine Erzählung über ihre Erfahrungen mit der Zucht irischer Wolfshunde. Das Gespräch wurde fachlich.
Mrs Upward sagte mit Nachdruck:
»Die Erbmasse ist das entscheidende – bei Menschen wie bei Hunden.«
Shelagh Rendell sagte leise:
»Glauben Sie nicht, dass auch die Umgebung eine Rolle spielt?«
Mrs Upward schüttelte den Kopf.
»Nein, meine Liebe. Das glaube ich nicht. Die Umgebung kann einem einen Firnis geben – mehr nicht. Was wirklich zählt, ist angeboren.«
Hercule Poirots Augen ruhten neugierig auf dem erröteten Gesicht Shelagh Rendells. Sie sagte mit scheinbar unangebrachter Leidenschaft:
»Aber das ist grausam… ungerecht.«
Mrs Upward gab zu: »Das Leben ist ungerecht.«
Johnnie Summerhayes mischte sich ein:
»Ich bin der gleichen Meinung wie Mrs Upward. Nur die Abstammung zählt. Daran habe ich immer geglaubt.«
Mrs Oliver sagte in fragendem Ton: »Sie meinem, dass Dinge weitergegeben werden? Bis ins dritte und vierte Geschlecht…«
Auf einmal schienen alle ein wenig verlegen, vielleicht wegen des Ernstes, der plötzlich ins Gespräch gekommen war.
Sie lenkten ab, indem sie Poirot angriffen.
»Erzählen Sie uns alles über Mrs McGinty, Monsieur Poirot. Warum hat der armselige Zimmerherr sie nicht getötet?«
»Er murmelte gewöhnlich was vor sich hin, wissen Sie«, sagte Robin. »Lief auf Seitenwegen spazieren. Ich bin ihm oft begegnet. Und er sah wirklich äußerst seltsam aus.«
»Sie müssen doch einen Grund haben, warum Sie annehmen, dass er sie nicht getötet hat, Monsieur Poirot. Erzählen Sie uns doch etwas.«
Poirot lächelte alle an und zwirbelte seinen Schnurrbart.
»Wenn er sie nicht getötet hat – wer hat’s dann getan?«
»Ja, wer?«
Mrs Upward bemerkte trocken:
»Bringen Sie den Mann nicht in Verlegenheit. Vermutlich verdächtigt er einen von uns.«
»Einen von uns? Huuu!«
In dem Lärm begegneten Poirots Augen denen von Mrs Upward. Sie schauten belustigt… und noch etwas anderes. Herausfordernd?
»Er verdächtigt einen von uns«, rief Robin begeistert. »Also Maureen«, er tat, als wäre er ein grober Staatsanwalt. »Wo waren Sie am Abend des… Welcher Abend war es doch gleich?«
»Am 22. November«, sagte Poirot.
»Am Abend des 22. November?«
»Lieber Himmel, das weiß ich doch heute nicht mehr«, erwiderte Maureen.
»Nach all dieser Zeit kann das niemand mehr wissen«, bekräftigte Mrs Rendell.
»Nun, ich kann’s«, verkündete Robin. »Weil ich an dem Abend im Radio gesprochen habe. Ich fuhr nach Coalport, um über ›Einige Probleme des Theaters‹ zu reden. Ich erinnere mich genau, weil ich über Galsworthys Putzfrau in Silver Box sehr ausführlich sprach, und am nächsten Tag war Mrs McGinty tot, und ich fragte mich, ob die Putzfrau in dem Stück so war wie sie.«
»Das stimmt«, bestätigte Shelagh Rendell plötzlich. »Denn ich erinnere mich jetzt, dass Sie sagten, Ihre Mutter würde ganz allein sein, weil es Janets freier Abend war, und so kam ich nach dem Essen her, um ihr Gesellschaft zu leisten. Nur traf ich sie dann leider nicht.«
»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte Mrs Upward. »O ja, natürlich. Ich war mit Kopfweh zu Bett gegangen, und mein Schlafzimmer liegt auf der Rückseite des Hauses.«
»Und am nächsten Tag«, sagte Shelagh, »als ich hörte, dass man Mrs McGinty getötet hatte, dachte ich: Huuu! Ich hätte ja dem Mörder im Dunkeln begegnen können. Denn zuerst haben wir alle gedacht, dass ein Landstreicher eingebrochen sei.«
»Nun, ich erinnere mich immer noch nicht, was ich gemacht habe«, sagte Maureen. »Aber ich erinnere mich an den nächsten Morgen. Der Bäcker hat’s uns erzählt. ›Die alte Mrs McGinty ist erschlagen worden!‹ sagte er. Und ich hatte mich gefragt, warum sie nicht wie gewöhnlich gekommen war!«
Mrs Upward beobachtete nach wie vor Poirot.
Er dachte: Sie ist eine sehr intelligente Frau – und ganz unbarmherzig. Auch egoistisch. Was immer sie täte, sie würde weder Gewissensbisse noch Bedauern kennen…
Eine dünne Stimme verlangte dringlich zu wissen:
»Haben Sie denn gar keine Anhaltspunkte, Monsieur Poirot?«
Es war Shelagh Rendell.
Johnnie Summerhayes’ langes, dunkles Gesicht leuchtete begeistert auf:
»Das ist’s, Anhaltspunkte. Das habe ich in Kriminalromanen so gern. Anhaltspunkte, die für den Detektiv alles bedeuten und nichts für einen selbst, bis zum Schluss, wo man sich am liebsten einen Tritt geben möchte. Können Sie uns nicht einen kleinen Anhaltspunkt verraten, Monsieur Poirot?«
Lachende, bittende Gesichter wandten sich ihm zu. Es war ein Spiel für sie alle (aber vielleicht für einen von ihnen nicht?). Aber Mord war kein Spiel – Mord war gefährlich. Man konnte nie wissen.
Mit einer plötzlichen, unerwarteten Bewegung zog Poirot vier Fotografien aus seiner Tasche.
»Sie wollen einen Anhaltspunkt?«, fragte er. »Voilà!«
Und mit einer dramatischen Gebärde warf er die Bilder auf den Tisch.
Sie drängten sich darum, beugten sich vor, stießen Rufe aus.
»Schau!«
»Was für grässliche Vogelscheuchen!!«
»Seht doch bloß die Rosen!«
»Meine Liebe, dieser Hut!«
»Was für ein scheußliches Kind!«
»Aber wer sind sie?«
»War die Mode damals nicht lächerlich?«
»Die Frau muss einmal wirklich recht gut ausgesehen haben.«
»Aber wieso sind das Anhaltspunkte?«
»Wer sind die Frauen?«
Poirot blickte langsam von Gesicht zu Gesicht.
»Erkennen Sie keine davon?«
»Erkennen?«
»Sie erinnern sich nicht etwa, eine dieser Fotografien früher schon mal gesehen zu haben? Ja, Mrs Upward? Sie erkennen jemanden, nicht wahr?«
Mrs Upward zögerte.
»Ja… ich glaube…«
»Welche?«
Ihr Zeigefinger schoss vor und tippte auf das bebrillte kindliche Gesicht von Lily Gamboll.
»Sie haben diese Fotografie gesehen? Wann?«
»Vor kurzem… Aber wo… nein, ich kann mich nicht erinnern. Aber ich bin sicher, dass ich eine solche Fotografie gesehen habe.«
Sie saß stirnrunzelnd da. Ihre Augenbrauen berührten sich fast.
Sie erwachte aus ihrem angespannten Denken, als Mrs Rendell zu ihr trat.
»Auf Wiedersehen, Mrs Upward. Ich hoffe wirklich, dass Sie einmal zum Tee zu mir kommen, wenn Sie sich wohl genug fühlen.«
»Danke sehr, meine Liebe. Wenn Robin mich den Hügel hinaufschiebt.«
»Natürlich, Madre. Ich habe durch das Schieben des Rollstuhls die unglaublichsten Muskeln entwickelt. Erinnerst du dich an den Tag, als wir zu den Wetherbys gingen und es so schlammig war…?«
»Ah!«, sagte Mrs Upward plötzlich.
»Was ist denn, Madre?«
»Nichts. Erzähl weiter.«
»Wie ich dich den Hügel hinaufschob. Erst rutschte der Stuhl, und dann rutschte ich. Ich dachte schon, wir würden nie mehr nachhause kommen.«
Lachend verabschiedeten sich die Gäste.
Poirot meinte, dass Alkohol die Zungen löste.
War er vernünftig oder verrückt gewesen, diese Fotografien zu zeigen? War diese Geste auch eine Folge des Alkohols?
Möglich.
Er entschloss sich plötzlich, noch mal zurückzugehen.
Er öffnete die Gartentür und ging auf das Haus zu. Durch das offene Fenster zu seiner Linken hörte er undeutlich zwei Stimmen. Es waren die Stimmen von Robin und Mrs Oliver. Sehr wenig die Mrs Olivers, und recht viel die Robins.
Poirot stieß die Haustür auf und ging durch die Tür zu seiner Rechten in das Zimmer, das er wenige Augenblicke zuvor verlassen hatte. Mrs Upward saß vor dem Feuer. Ihr Gesicht zeigte einen ziemlich grimmigen Ausdruck. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sein Eintreten sie auffahren ließ.
Beim Klang des um Entschuldigung bittenden Hüstelns sah sie abrupt auf.
»Ach. Sie sind es. Sie haben mich erschreckt.«
»Verzeihung Madame. Dachten Sie, es wäre jemand anderer? Wer sollte es denn sein?«
Sie antwortete nicht, sondern fragte nur:
»Haben Sie etwas hier gelassen?«
»Ich habe befürchtet, etwas hier gelassen zu haben – Gefahr.«
»Gefahr?«
»Gefahr für Sie, vielleicht. Weil Sie eine dieser Fotografien erkannt haben.«
»Ich würde nicht geradezu sagen, erkannt. Alle alten Fotografien sehen gleich aus.«
»Hören Sie zu, Madame. Mrs McGinty hat auch eine dieser Fotografien erkannt, zumindest glaube ich das. Und Mrs McGinty ist tot.«
Mit einem plötzlichen Aufleuchten von Humor in ihren Augen sagte Mrs Upward:
»›Mrs McGinty ist tot. Wie starb sie? Sprich! Hielt ihren Kopf hin, genau wie ich!‹ Meinen Sie das?«
»Ja. Wenn Sie etwas wissen – irgendetwas –, sagen Sie es mir jetzt. Sie werden dann geschützter sein.«
»Mein Lieber, das ist nicht annähernd so einfach, wie Sie denken. Ich bin gar nicht sicher, dass ich etwas weiß – bestimmt nichts so Sicheres wie eine Tatsache. Undeutliche Erinnerungen sind eine sehr kitzlige Angelegenheit. Man müsste eine Ahnung haben, wie und wo und wann, wenn Sie mir folgen können.«
»Aber mir scheint, dass Sie diese Ahnung schon haben.«
»Das ist es ja nicht allein. Verschiedene Faktoren müssen noch berücksichtigt werden. Es hat keinen Zweck, mich zu drängen, Monsieur Poirot. Ich bin keine Frau, die hastige Entschlüsse fasst. Ich habe meinen eigenen Kopf, und ich nehme mir Zeit, ehe ich mich entscheide. Wenn ich einen Entschluss gefasst habe, handle ich. Aber erst, wenn ich soweit bin.«
»Sie sind in mancher Hinsicht eine verschlossene Frau, Madame.«
»Vielleicht – bis zu einer gewissen Grenze. Wissen ist Macht. Macht darf nur für die richtigen Zwecke verwendet werden. Sie werden verzeihen, wenn ich sage, dass Sie sich vielleicht nicht ganz das richtige Bild von unserem englischen Landleben machen.«
»Mit anderen Worten: ›Sie sind ein verdammter Ausländer.‹«
Mrs Upward lächelte.
»So grob möchte ich nicht sein.«
»Wenn Sie nicht mit mir sprechen wollen – da ist noch Kommissar Spence.«
»Mein lieber Monsieur Poirot, nicht die Polizei. Nicht in diesem Stadium.«
Er zuckte die Achseln.
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte er.
Denn ihm war klar, dass Mrs Upward sich jetzt schon daran erinnerte, wann und wo sie die Fotografie gesehen hatte.