Einundzwanzigstes Kapitel
Lance und Pat schlenderten durch das gepflegte Grundstück. »Hoffentlich bist du nicht beleidigt, wenn ich das sage, Lance«, murmelte Pat, »aber das ist der hässlichste Garten, den ich je gesehen habe.«
»Ich bin nicht beleidigt«, sagte Lance. »So schlimm? Ich weiß nicht recht. Drei Gärtner arbeiten doch den ganzen Tag darin.«
»Das ist es ja gerade. Keine Kosten gescheut, die passenden Rhododendren am passenden Ort und alle Beete richtig angelegt, und ich wette, auch zur richtigen Jahreszeit.«
»Nun, was würdest du denn in einen englischen Garten pflanzen, Pat, wenn du einen hättest?«
»Mein Garten«, sagte Pat, »wäre voller Malven und Rittersporn und Canterbury-Glockenblumen, er hätte keine Beete und vor allem keine dieser scheußlichen Eiben!«
Sie schaute vorwurfsvoll zu den dunklen Eibenhecken hinüber.
»Eine Assoziation«, sagte Lance leichthin.
»Ein Giftmörder hat so etwas Furcht einflößendes«, sagte Pat. »Stell dir dieses schreckliche, rachsüchtige Gemüt vor.«
»So siehst du es? Komisch, ich halte es eher für eine geschäftliche, kaltblütige Tat.«
»So kann man es wohl auch sehen.« Mit einem leichten Schaudern fügte sie hinzu: »Aber trotzdem, drei Morde… wer immer sie begangen hat, muss geisteskrank sein.«
»Ja«, sagte Lance leise, »das ist zu befürchten.« Plötzlich brach es aus ihm heraus: »Um Gottes willen, Pat, geh weg von hier. Geh nach London zurück. Geh nach Devonshire oder an die Seen. Geh nach Stratford-upon-Avon oder schau dir die Norfolk Broads an. Die Polizei wird nichts dagegen haben – du hast mit dem allem hier nichts zu tun. Du warst in Paris, als der Alte umgebracht wurde, und in London, als die anderen beiden starben. Ich sorge mich zu Tode, wenn du hier bist.«
Pat wartete einen Augenblick, bevor sie ruhig fragte: »Du weißt, wer es ist, nicht wahr?«
»Nein.«
»Aber du glaubst es zu wissen… Deshalb fürchtest du um mich… Ich wünschte, du würdest es mir sagen.«
»Ich kann dir nichts sagen. Ich weiß nichts. Aber ich wünschte bei Gott, du würdest weggehen.«
»Liebling«, sagte Pat, »ich gehe nirgendwohin. Ich bleibe hier. In guten wie in schlechten Zeiten. Das ist meine Einstellung.« Mit belegter Stimme fügte sie hinzu: »Nur sind es mit mir immer schlechte Zeiten.«
»Was zum Teufel meinst du damit, Pat?«
»Ich bringe Unglück. Das meine ich damit. Ich bringe den Menschen Unglück, die mir nahe sind.«
»Meine liebste, anbetungswürdige Idiotin, du hast mir bestimmt kein Unglück gebracht. Schau doch, nachdem ich dich geheiratet hatte, schrieb mir der Alte und bestellte mich nach Hause, so dass wir Frieden schließen konnten.«
»Ja, und was geschah, als du nach Hause kamst? Ich sage es doch, ich bringe Unglück.«
»Schau, Liebes, das bildest du dir ein. Es ist Aberglaube, schlicht und einfach.«
»Ich kann es nicht ändern. Manche Leute bringen Unglück, und ich bin nun mal so jemand.«
Lance nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie heftig. »Du bist meine Pat, und mit dir verheiratet zu sein, ist das größte Glück auf der Welt! Geht das nicht in deinen dummen Kopf?« Dann beruhigte er sich etwas und fuhr mit nüchterner Stimme fort: »Ernsthaft, Pat, sei bitte vorsichtig. Wenn hier ein Verrückter herumläuft, möchte ich nicht, dass ausgerechnet du die Kugel stoppst oder das Bilsenkraut trinkst.«
»Das Bilsenkraut – schön gesagt.«
»Wenn ich nicht hier bin, halte dich an diese alte Dame, wie heißt sie noch, Marple. Warum, glaubst du, hat Tante Effie sie eingeladen?«
»Der Himmel weiß, warum Tante Effie irgendetwas tut. Lance, wie lange werden wir hier bleiben?«
Lance zuckte die Schultern.
»Schwer zu sagen.«
»Ich glaube nicht, dass wir sehr willkommen sind.« Sie zögerte. »Das Haus gehört nun deinem Bruder, nehme ich an. Er will uns bestimmt nicht hier haben.«
Lance kicherte plötzlich. »Nein, aber so schnell wird er uns nicht los.«
»Und was dann, Lance? Was werden wir tun? Gehen wir nach Ostafrika zurück?«
»Möchtest du das?«
Pat nickte heftig.
»Das ist ein Glück«, sagte Lance, »weil ich das nämlich auch will. Diese Gegend bekommt mir nicht.«
Pats Gesicht erhellte sich.
»Wie schön! Ich hatte schon befürchtet, du wollest hier bleiben, nach dem, was du neulich gesagt hast.«
Ein teuflisches Leuchten erschien in Lances Augen.
»Du musst unsere Pläne geheim halten, Pat. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, meinen lieben Bruder Percival noch ein bisschen länger zu piesacken.«
»Oh, Lance, sei vorsichtig.«
»Ich bin vorsichtig, mein Liebling, aber ich sehe nicht ein, warum Percy so leicht davonkommen sollte.«
Den Kopf leicht zur Seite geneigt, glich Miss Marple einem freundlichen Papagei. Sie saß im großen Salon und hörte Mrs Percival Fortescue zu. In diesem Salon wirkte Miss Marple besonders fehl am Platz. Ihre helle, ungeschmückte Gestalt passte nicht zu dem ausladenden Brokatsofa mit den üppigen, vielfarbigen Kissen. Miss Marple saß sehr aufrecht, weil man ihr als Kind beigebracht hatte, sich nicht gehen zu lassen. In einem großen Lehnstuhl neben ihr thronte Mrs Percival, ganz in kostbarem Schwarz. Sie plapperte, als würde es morgen verboten.
Genau wie die arme Mrs Emmett, dachte Miss Marple, die Frau des Bankdirektors. Sie erinnerte sich, wie Mrs Emmett eines Tages zu ihr gekommen war, um über einen Wohltätigkeitsbazar zu sprechen, und wie sie plötzlich aus dem Reden nicht mehr herausgekommen war. Mrs Emmett nahm in St. Mary Mead eine eher schwierige Position ein. Sie gehörte nicht zur Garde der allein stehenden, verarmten alten Damen, die in kleinen ordentlichen Häusern rund um die Kirche wohnten und die alles über die Landadligen der Gegend wussten, wenn sie auch selber, streng genommen, nicht zum Landadel gehörten. Mr Emmett, der Bankdirektor, hatte eindeutig unter seinem Stand geheiratet, und das Resultat war, dass seine Frau in trostloser Einsamkeit lebte. Denn mit den Frauen der Kaufleute im Dorf konnte sie sich natürlich auch nicht befreunden. Snobismus hatte sein hässliches Haupt erhoben und Mrs Emmett auf diese Insel der Einsamkeit gedrängt.
Das Bedürfnis zu reden war in ihr gewachsen, und an diesem bestimmten Tag war es explodiert. Miss Marple hatte die volle Sturzflut empfangen. Mrs Emmett hatte ihr Leid getan. Und heute tat ihr Mrs Percival Fortescue Leid.
Mrs Percival hatte eine Menge Kränkungen mit sich herumgetragen, und die Erleichterung, sie bei einer mehr oder weniger Fremden abladen zu können, war enorm.
»Natürlich will ich mich nicht beklagen«, sagte sie gerade. »Ich war nie eine, die jammert. Ich sage immer, man muss sich abfinden. Was man nicht ändern kann, muss man ertragen, und ich habe bestimmt nie auch nur ein Wort darüber verloren. Ich wüsste ja nicht einmal, mit wem ich darüber sprechen sollte. In mancher Hinsicht ist es sehr isoliert hier. Sehr isoliert. Es ist natürlich praktisch und eine große Ersparnis, unsere Wohnung hier im Haus zu haben. Aber ein eigenes Haus ist etwas anderes. Da stimmen Sie mir doch zu?«
Miss Marple stimmte ihr zu.
»Zum Glück ist unser Haus beinah bezugsbereit. Ich muss nur noch die Maler und Innenarchitekten loswerden. Diese Leute sind ja so langsam. Mein Mann ist hier natürlich ganz zufrieden. Aber für einen Mann ist es etwas anderes. Finden Sie nicht?«
Miss Marple fand das allerdings auch. Das konnte sie mit gutem Gewissen sagen, da es wirklich ihrer Meinung entsprach. »Die Herren« waren für Miss Marple eine völlig andere Gattung als ihr eigenes Geschlecht. Sie verlangten zwei Eier mit Speck zum Frühstück, drei nahrhafte Mahlzeiten täglich, sie wollten nicht, dass man ihnen widersprach, schon gar nicht vor dem Abendessen.
Mrs Percival fuhr fort: »Mein Mann ist den ganzen Tag in der Stadt, verstehen Sie. Wenn er nach Hause kommt, ist er müde und will seine Zeitung lesen. Ich hingegen bin den ganzen Tag hier allein und habe niemanden zur Gesellschaft. Ich bin ja wirklich gut versorgt und alles. Ausgezeichnetes Essen. Aber ich finde, man braucht doch einen passenden Bekanntenkreis. Und die Leute hier sind einfach nicht meine Art. Die einen nenne ich die angeberische, Bridge spielende Klasse. Nicht nettes Bridge, ich meine, ich spiele selber ganz gern eine Partie, aber hier sind natürlich alle sehr reich. Sie spielen um enorme Summen, und es wird auch wahnsinnig viel getrunken. Man könnte sie fast schon den lokalen Jetset nennen. Dann ist da ein Grüppchen von, wie soll ich sagen, alten Jungfern, die am liebsten draußen in ihrem Garten herumwerkeln.«
Miss Marple sah etwas schuldbewusst drein – sie war selber eine leidenschaftliche Gärtnerin.
»Gegen die Toten soll man ja nichts sagen«, fuhr Mrs Fortescue schnell fort, »aber es besteht kein Zweifel, dass mein Schwiegervater eine sehr törichte zweite Ehe eingegangen war. Meine… ich kann sie nicht gut Schwiegermutter nennen, sie war in meinem Alter. Sie war mannstoll! Das ist die Wahrheit, absolut mannstoll. Und wie sie das Geld ausgab! Mein Schwiegervater war verrückt nach ihr. Er kümmerte sich nicht um ihre Rechnungen. Percy hat das sehr getroffen, wirklich, tief getroffen. Percival ist doch immer so sparsam. Er hasst Verschwendung. Und Mr Fortescue war so eigenartig und übellaunig, mit seinen furchtbaren Wutanfällen, und das Geld floss wie Wasser durch seine Hände, für diese absurden Spekulationen. Nein, es war nicht immer schön!«
Miss Marple erlaubte sich eine Bemerkung: »Das alles muss Ihren Mann doch auch beunruhigt haben.«
»Oh ja, sehr. Das ganze letzte Jahr war Percy sehr in Sorge. Es hat ihn verändert. Wie er sich mir gegenüber verhielt, wissen Sie. Manchmal antwortete er nicht einmal, wenn ich mit ihm sprach.«
Mrs Percy seufzte und fuhr fort: »Und dann Elaine, meine Schwägerin, wissen Sie, ein sehr eigenartiges Mädchen. Eine Frischluftfanatikerin, sehr sportlich. Nicht gerade unfreundlich, aber auch nicht mitfühlend, wissen Sie. Sie wollte nie nach London zum Einkaufen fahren oder in eine Matineevorstellung oder irgendetwas in der Art. Sie interessiert sich nicht einmal für Kleider.«
Mrs Percival seufzte wieder und murmelte: »Aber ich will mich ja nicht beklagen.« Plötzlich holte sie ihr Gewissen ein, und sie sagte schnell: »Sie müssen sich ja wundern, was ich Ihnen alles erzähle, und dabei kennen wir uns nicht einmal. Es ist die Erschöpfung, der Schock – ja, ich glaube wirklich, es ist der nachträgliche Schock. Ich bin so nervös, wissen Sie. Ich musste einfach mit irgendjemandem reden. Sie erinnern mich an diese nette alte Dame, Miss Trefusis James. Sie hatte sich den Oberschenkelhals gebrochen, als sie fünfundsiebzig war. Es dauerte lange, bis ich sie gesund gepflegt hatte, und am Ende waren wir Freundinnen. Sie hat mir eine Pelzmütze zum Abschied geschenkt, das war sehr lieb.«
»Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen«, sagte Miss Marple.
Und wieder sagte sie die Wahrheit. Mrs Percival langweilte offensichtlich sogar ihren Mann, der ihr wenig Aufmerksamkeit schenkte, und die arme Frau hatte hier keine Freunde gefunden. So flüchtete sie nach London in die Läden und Matineen und in ein luxuriöses neues Haus, doch all das füllte die Leere nicht aus, die das Fehlen zwischenmenschlicher Beziehungen hinterließ.
»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich«, sagte Miss Marple in ihrer Reizende-alte-Damen-Stimme. »Aber es klingt nicht gerade so, als sei der verstorbene Mr Fortescue ein sehr netter Mann gewesen.«
»Nein, das war er wirklich nicht. Ganz ehrlich, meine Liebe, ganz unter uns, er war ein verabscheuenswerter alter Mann. Es überrascht mich nicht, wirklich nicht, dass ihn schließlich jemand umgebracht hat.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer – « Miss Marple unterbrach sich. »Oje, das sollte ich vielleicht nicht fragen – irgendeine Ahnung, wer es, nun, getan haben könnte?«
»Ich glaube, es war dieser schreckliche Mann Crump«, sagte Mrs Percival. »Ich habe ihn nie gemocht. Seine Manieren – er ist nicht offen unhöflich, und doch ist sein Benehmen im Grunde unhöflich, oder eher noch unverschämt.«
»Müsste er nicht ein Motiv haben?«
»Solche Leute brauchen doch kein Motiv. Ich kann mir vorstellen, dass Mr Fortescue ihn wegen irgendetwas verärgert hat, und natürlich trinkt er zu viel. Ich glaube, er ist einfach unausgeglichen, wissen Sie. Wie dieser Diener, war es nicht auch ein Butler? Der damals im Haus herumlief und all diese Leute erschossen hat. Natürlich, um ganz ehrlich zu sein, habe ich zuerst Adele verdächtigt, aber dann wurde sie selber vergiftet. Man könnte natürlich annehmen, dass sie Crump zur Rede gestellt hat. Und dann verlor er den Kopf und vielleicht hat er etwas in die Brötchen getan, und Gladys hat ihn dabei beobachtet, und dann musste er sie auch töten… Ich finde es wirklich unvorsichtig, ihn weiter zu behalten. Ach Gott, ich wünschte, ich könnte wegfahren, aber diese furchtbaren Polizisten würden mich ja doch nicht weglassen.« Impulsiv beugte sie sich vor und legte eine pummelige Hand auf Miss Marples Arm. »Manchmal habe ich einfach das Gefühl, ich müsse hier weg, weg von allem. Ich möchte weglaufen, einfach weglaufen, wenn nicht bald etwas passiert!«
Sie lehnte sich zurück und beobachtete Miss Marples Gesicht. »Aber das wäre wohl unvernünftig.«
»Ja, meine Liebe, bestimmt. Die Polizei würde Sie bald finden, wissen Sie.«
»Sind Sie sicher? Glauben Sie wirklich, dass die so schlau sind?«
»Es ist sehr unklug, die Polizei zu unterschätzen. Gerade Inspektor Neele scheint mir ein außergewöhnlich intelligenter Mann zu sein.«
»Oh – und ich hielt ihn für ziemlich dumm.«
Miss Marple schüttelte den Kopf.
»Ich kann mir nicht helfen…« Jennifer Fortescue zögerte: »Ich habe das Gefühl, es sei gefährlich, hier zu bleiben.«
»Gefährlich für Sie?«
»Nun…ja.«
»Weil Sie etwas wissen?«
Mrs Percival atmete tief ein. »Ach nein, natürlich nicht. Was sollte ich schon wissen? Ich bin nur nervös. Dieser Crump – «
Doch es war nicht Crump, der sie nervös machte, dachte Miss Marple. Sie sah zu, wie Jennifer Fortescue ihre Hände zu Fäusten ballte und wieder öffnete. Aus irgendeinem Grund empfindet sie echte Angst, dachte Miss Marple.