Drittes Kapitel

 

Neele schob das Telefon zur Seite und sah Miss Griffith scharf an.

»Man hat sich also in letzter Zeit Sorgen um ihn gemacht«, sagte er. »Wollte, dass er einen Arzt aufsucht. Das haben Sie mir nicht gesagt.«

»Ich habe nicht daran gedacht«, sagte Miss Griffith und fügte hinzu: »Er schien mir auch gar nicht wirklich krank zu sein – «

»Nicht krank, sondern?«

»Nun, einfach seltsam. Nicht ganz wie sonst. Er benahm sich eigenartig.«

»Wirkte er besorgt?«

»Oh nein, nicht besorgt. Wir waren die, die sich Sorgen machten…«

Inspektor Neele wartete geduldig.

»Es ist schwer zu sagen«, fuhr Miss Griffith fort. »Er hatte seine Launen, wissen Sie. Manchmal war er ganz aufgeräumt. Ein- oder zweimal dachte ich sogar, er habe getrunken. Er prahlte mit den unglaublichsten Geschichten, die bestimmt nicht wahr sein konnten. Die meiste Zeit, die ich hier arbeitete, war er sehr verschlossen und gab nichts Geschäftliches preis. Aber in letzter Zeit war er ganz anders, gesprächig und – nun – er hat mit Geld nur so um sich geworfen. Ganz anders als sonst. Als der Bürobote zum Begräbnis seiner Großmutter fahren wollte, rief Mr Fortescue ihn ins Büro und gab ihm einen Fünfpfundschein, den er auf den zweiten Favoriten setzen sollte. Und dann brüllte er vor Lachen. Er war einfach… nun, er war nicht der Alte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Als ob ihn etwas beschäftigte?«

»Nicht im üblichen Sinn. Es war vielmehr, als ob er etwas Angenehmes, etwas Aufregendes erwartete.«

»Vielleicht war er dabei, ein großes Geschäft abzuschließen?«

Miss Griffith stimmte dem mit mehr Überzeugung zu: »Ja, ja, das ist viel eher, was ich meine. Als ob alltägliche Dinge keine Rolle mehr spielten. Er war aufgeregt. Und ein paar recht eigenartige Typen kamen geschäftlich zu ihm – Leute, die er früher nie empfangen hätte. Mr Percival war außer sich.«

»Oh, das hat ihm nicht gefallen, was?«

»Nein. Mr Percival war immer Mr Fortescues Vertrauter, verstehen Sie. Sein Vater hat sich immer ganz auf ihn verlassen. Aber in letzter Zeit…«

»In letzter Zeit kamen sie nicht mehr so gut miteinander aus?«

»Nun, Mr Fortescue hat einige Entscheidungen getroffen, die Mr Percival nicht billigte. Mr Percival ist immer sehr vernünftig und vorausschauend. Aber plötzlich hörte sein Vater nicht mehr auf ihn, und Mr Percival war sehr beunruhigt.«

Inspektor Neele bohrte weiter: »Und dann hatten sie diesen schlimmen Krach?«

»Krach würde ich nicht sagen. Natürlich verstehe ich jetzt… Mr Fortescue kann nicht ganz bei sich gewesen sein… so rumzuschreien.«

»Er schrie rum? Was schrie er denn?«

»Er kam sogar ins Schreibzimmer heraus – «

»So dass ihn alle hören konnten?«

»Nun… ja. Und er beschimpfte Mr Percival aufs Übelste, er tobte und fluchte.«

»Was soll Mr Percival denn getan haben?«

»Es war eher, was er nicht getan hatte. Er nannte ihn einen armseligen kleinlichen Bürogummi. Er hätte keine Vision, keinen Weitblick, keine Vorstellung davon, wie man im großen Stil Geschäfte machte. Er sagte: ›Ich werde Lance zurückholen. Er ist zehnmal so viel wert wie du – und er hat gut geheiratet. Lance hat Mumm, selbst wenn er mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist – ‹ Oje, das hätte ich wohl nicht erwähnen sollen!«

Miss Griffith hatte sich wie andere vor ihr in Inspektor Neeles geschickter Behandlung gehen lassen und war nun ganz konfus.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, tröstete Inspektor Neele. »Was vorbei ist, ist vorbei.«

»Oh ja, es ist lange her, Mr Lance war jung und übermütig, er wusste nicht wirklich, was er tat.«

Inspektor Neele hatte diese Einschätzung oft gehört und teilte sie nicht. Aber er ging zu einer anderen Frage über: »Erzählen Sie mir ein bisschen mehr über die Angestellten hier.«

Miss Griffith, die nach ihrer Indiskretion nur zu gern das Thema wechselte, überschüttete ihn förmlich mit Einzelheiten über die verschiedenen Persönlichkeiten im Büro. Inspektor Neele dankte ihr und sagte dann, er würde gern noch einmal mit Miss Grosvenor sprechen.

Constable Waite spitzte seinen Bleistift. Nachdenklich bemerkte er, dies sei schon eine gediegene Firma. Sein Blick wanderte anerkennend über die riesigen Clubsessel, den ausladenden Schreibtisch, die indirekte Beleuchtung.

»Und die Leute hier haben auch alle so stinkfeine Namen«, sagte er. »Grosvenor – das hat mit einem Herzog zu tun. Und Fortescue ist auch so ein adliger Name.«

Inspektor Neele lächelte.

»Sein Vater hieß nicht Fortescue, sondern Fontescu – er stammte irgendwo aus Mitteleuropa. Unser Mann hier dachte wohl, Fortescue klinge besser.«

Constable Waite sah seinen Vorgesetzten voller Hochachtung an.

»Sie wissen wohl alles über ihn?«

»Ich hab ein paar Dinge nachgeschlagen, bevor ich herkam.«

»Doch nicht etwa im Strafregister?«

»Oh nein. Dazu war Mr Fortescue zu gerissen. Er hatte Verbindungen zum Schwarzmarkt, und er hat ein, zwei Geschäfte abgeschlossen, die nicht ganz lupenrein waren, aber immer im Rahmen des Gesetzes.«

»Ich verstehe«, meinte Waite. »Also doch kein feiner Mann.«

»Ein Schieber«, sagte Neele. »Aber wir konnten ihm nichts anhaben. Das Finanzamt war lange Zeit hinter ihm her, aber er war auch für die zu schlau. Ein echtes Finanzgenie, der verstorbene Mr Fortescue.«

»So ein Mann«, überlegte Waite, »hat doch bestimmt Feinde?«

Seine Stimme klang hoffnungsvoll.

»Oh ja, Feinde hatte er. Aber vergessen Sie nicht, er wurde zu Hause vergiftet. So sieht es wenigstens aus. Wissen Sie, Waite, ich beginne das Muster zu erkennen. Ein altmodisches, vertrautes Muster. Der gute Junge, Percival. Der böse Junge, Lance – wirkt auf Frauen. Die Frau, die viel jünger ist als ihr Mann und nicht genau sagt, auf welchem Golfplatz sie spielt. Ja, es kommt mir alles nur zu vertraut vor. Nur eines passt ganz und gar nicht dazu.«

»Was denn?«, fragte Waite, als sich eben die Tür öffnete und Miss Grosvenor, die sich wieder ganz gefangen hatte, hochmütig eintrat. »Sie wollten mich sprechen?«

»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen über Ihren Arbeitgeber stellen – Ihren verstorbenen Arbeitgeber, muss ich wohl sagen.«

»Arme Seele«, meinte Miss Grosvenor wenig überzeugend.

»Ich möchte wissen, ob Sie in letzter Zeit eine Veränderung an ihm festgestellt haben.«

»Nun, ja, das habe ich tatsächlich.«

»Inwiefern?«

»Schwer zu sagen… Er redete eine Menge Unsinn. Ich konnte wirklich nicht die Hälfte von dem glauben, was er erzählte. Und dann regte er sich auch sehr leicht auf. Vor allem über Mr Percival. Nicht über mich, natürlich. Ich diskutiere nie. Ich sage immer nur: ›Ja, Mr Fortescue‹, egal was er behauptet – behauptete, meine ich.«

»Hat er je… ich meine, ist er Ihnen je zu nahe getreten?«

Beinahe bedauernd antwortete Miss Grosvenor: »Nein, das kann ich eigentlich nicht sagen.«

»Nur noch eine Frage, Miss Grosvenor: Hatte Mr Fortescue normalerweise Korn in seinen Taschen?«

Miss Grosvenor war sichtlich überrascht.

»Korn? In seinen Taschen? Meinen Sie Vogelfutter oder so was?«

»Könnte sein.«

»Oh nein, bestimmt nicht. Mr Fortescue? Tauben füttern? Oh nein!«

»Könnte er aus irgendeinem Grund heute Hafer oder Roggen in seinen Taschen gehabt haben? Vielleicht ein Warenmuster? Ein Geschäft mit Korn?«

»Oh nein! Heute Nachmittag erwartete er die Leute von Asiatic Oil. Und den Präsidenten der Atticus Building Society. Sonst niemanden.«

»Nun gut.« Neele verabschiedete sich vom Thema und von Miss Grosvenor mit einer Handbewegung.

»Tolle Beine«, seufzte Waite. »Und großartige Strümpfe – «

»Tolle Beine helfen mir auch nicht weiter«, sagte Neele. »Ich bin nicht klüger als vorher. Eine Tasche voll Korn – und keine Erklärung dafür.«