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DAS GUT-SCHIFF Hermit Crab raste mit dem Heck voran und aktivierten Triebwerken in einer Umlaufbahn um den pausbäckigen Jupiter.
Michael Poole saß zusammen mit der Virtuellprojektion seines Vaters Harry in der transparenten Lebenskuppel der Crab. Das Schiff umrundete jetzt die Nachtseite des Planeten, und der Feuerstrom des GUT-Antriebs, der einen anderthalb Kilometer langen Schweif unter dem transparenten Kabinenboden bildete, illuminierte große Abschnitte eines Ozeans aus wirbelnden Wolken. Violettes Licht schoß nach oben in die Kabine, und Poole registrierte, daß die darauf reagierenden Frequenzfilter dem jungen Blondschopf seines Vaters einen passenden dämonischen Schattenwurf verliehen.
»Wir haben einen ganz schönen Auftritt«, bemerkte Harry.
»Stimmt. Wenn man Feuerwerke mag.«
Harry wandte sich seinem Sohn zu, wobei die blauen Augen vor Erstaunen kindlich weit aufgerissen waren. »Nein, es ist mehr als das. Du bist der Physiker, Sohn, und ich bin nur ein Regierungsfunktionär; und du verstehst das alles besser, als ich es jemals könnte. Aber vielleicht berührt dich dieses Wunder nicht so stark wie einen Laien wie mich. Wir machen uns Kräfte nutzbar, die seit den ersten paar Sekunden nach dem Urknall im Universum verloren waren…«
»Stimmt im wesentlichen. Nur daß du von den ersten paar Sekunden bruchteilen sprichst…«
GUT stand für ›Grand Unified Theory‹, das Theoriegebäude, das die Fundamentalkräfte der Natur als Teilaspekte einer einzigen Superkraft beschrieb. Das Herz des GUT-Antriebs bestand aus einem faustgroßen Brocken Wasserstoff, der in einem supraleitenden Behälter eingeschlossen war und zum Erreichen der absoluten Grenztemperatur mit Teilchen beschossen wurde. Bei solchen Temperaturen war nur noch die einheitliche Superkraft wirksam. Durch den Wasserstoffzufluß aus dem Behälter durchlief die Superkraft verschiedene ›Phasenumwandlungen‹, wobei sie in die vier Fundamentalkräfte der Natur zerfiel – starke und schwache Wechselwirkung, Gravitation und Elektromagnetismus .
So, wie Dampf Wärme abgibt, wenn er sich durch die Phasenumwandlung der Kondensation in Wasser verwandelt, wurde bei jedem Phasenübergang ein Energieimpuls emittiert.
»Die Crab benutzt GUT-Phasenenergie, um Kometeneis in Plasma umzuwandeln«, erklärte Poole seinem Vater. »Das ultrahocherhitzte Plasma wird dann durch eine supraleitende Düse geschickt…«
Harry nickte und blickte dann an der anderthalb Kilometer langen Hülle hinunter zu dem Kometenüberbleibsel, das sie von der Oort-Wolke hierher gebracht hatte. »Sicher. Aber es war die gleiche Phasenwandlungsenergie, die während der Abkühlungsperiode nach dem Urknall freigesetzt wurde und die Expansion des Universums selbst bewirkte.
Das ist es, was bei näherer Betrachtung so phantastisch erscheint, Michael. Wir haben ein Jahr damit verbracht, um das Sonnensystem zu kreisen – und jetzt lassen wir sogar Jupiter einen Schatten werfen – und wir bewirken das, indem wir uns die Energien der Schöpfung selbst nutzbar machen. Kommt dir das nicht auch wie ein Wunder vor?«
Poole rieb sich die Nasenflügel. »Ja, Harry. Natürlich tut es das. Aber ich glaube eigentlich nicht, daß uns diese Betrachtungsweise in den nächsten Tagen wesentlich weiterhelfen wird. Ich würde gerade jetzt lieber nicht ehrfürchtig an das Funktionsprinzip unserer Triebwerke denken. Erinnere dich nur, daß wir es bald mit Menschen zu tun bekommen, die fünfzehn Jahrhunderte aus der Zukunft zurückgereist sind… oder vielleicht auch mit künstlichen Lebensformen oder gar Aliens.«
Harry lehnte sich näher zu Poole herüber und grinste. »Nicht alle von uns KIs sind solche Schreckgestalten, Michael.«
Poole verengte die Augen. »Wenn du dich als eine solche erweisen solltest, ziehe ich dir auch den Stecker.«
»Vielleicht sind diese Supermenschen aus der Zukunft so hochentwickelt, daß sie die Rechte von KIs anerkennen«, grummelte Harry. »Zum Beispiel das Recht auf ein kontinuierliches Bewußtsein. Aber ich weiß ja, daß das alles nur Theorie ist.«
»Wenn du deine Pfoten nicht aus meinem Kopf läßt, schließe ich dich kurz, du alter Sack, Theorie hin oder her.«
Ein Alarm klingelte durch die Lebenskuppel. Die Crab, die in kaum anderthalbtausend Kilometern Höhe über einem Meer aus purpurnen Wolken ihre Bahn zog, befand sich im Anflug auf den planetennächsten Punkt; und jetzt kreuzte das ramponierte alte Schiff den Terminator des Jupiter und tauchte in das Licht der entfernten Sonne ein. Die auf diese Distanz winzig wirkende Sonne warf ihre Strahlen durch mehrere Wolkenschichten auf den unendlich flachen Horizont des Planeten; als sich die tausend Meilen langen Schatten der Wolken überlagerten, vermittelten sie einen überwältigenden Eindruck von der Tiefe der Jupiter-Atmosphäre. Die Kabine erstrahlte in hellstem Licht. Für eine Sekunde hafteten noch die purpurnen Schatten an Harrys Projektion, die der Antrieb durch den Kabinenboden geworfen hatte. Dann reagierte der Frequenzfilter, und als Harry sein Gesicht der Sonne zuwandte, war sein Profil in Gelb getaucht.
Als ob eine zweite, eckige Sonne aufgehen würde, schob sich dann das Interface-Portal über den Horizont auf sie zu. Michael konnte die funkelnden Lichtreflexe der Schiffe sehen, die das Portal umkreisten und auf weitere Eindringlinge aus der Zukunft warteten. Die Flugbahn der Crab führte sie bis auf etwa hundert Kilometer an das Portal heran. Michael starrte nach draußen auf das blendende Himmelsblau des exotischen Pyramidengitter-Portals, ließ den Blick über diese kühlen Linien schweifen und an den geometrisch perfekten Senkrechten hinabwandern. Die Seitenflächen der Pyramide wirkten wie Milchglasscheiben; er konnte die wie mit Wasserfarben gemalten Ozeane des Jupiter durch diese Fenster erkennen, aber die mit einer silbrig-goldenen Patina überzogenen Wolkenabbildungen waren verzerrt und wirbelten auf eine Art durcheinander, der das menschliche Auge nicht richtig folgen konnte, wie Visionen in einem Traum. Und alle paar Sekunden hellte sich jeweils eine Seite für einen kaum greifbaren Augenblick auf und erlaubte Michael den Blick in ein anderes Universum mit fremden Sternen, wie ein in Jupiter gefrästes Loch.
Die Crab setzte ihren Flug fort und raste an dem Artefakt vorbei, das hinter ihnen rasch auf Spielzeuggröße schrumpfte.
»Mein Gott«, keuchte Harry. »Ich wußte gar nicht, wie schön das ist. Ich habe geglaubt, Sterne in der Pyramide sehen zu können.«
»Du konntest, Harry«, bestätigte Poole leise. »Es ist wirklich ein Tor zu einer anderen Zeit und zu einem anderen Raum.«
Harry beugte sich zu Michael hinüber. »Ich bin sehr stolz auf dich.«
Poole versteifte sich und schob sich weg.
»Hör mal, was glaubst du, werden wir hier draußen wirklich finden?«
»An Bord des Schiffes aus der Zukunft?« Poole zuckte die Achseln. »Außer dieser einen Botschaft, die uns Miriam direkt nach ihrem Auftauchen aus dem Interface vor einem Jahr gesendet hatte, haben sie mit uns nicht mehr kommuniziert. Deswegen ist es sogar schwer, Extrapolationen anzustellen.«
»Was glaubst du, werden die Menschen noch als solche zu erkennen sein?«
Poole bedachte Harry mit einem schrägen Blick. »Sind wir denn etwa ›erkennbar menschlich‹? Sieh uns doch an, Harry; ich bin ein AS-Unsterblicher, und du bist ein semi-sensitiver KI.«
»Semi- sensitiv?«
»Auf den ersten Blick wirken wir wohl menschlich genug, und wir würden vielleicht auch für uns in Anspruch nehmen, menschlich zu sein, aber ich weiß nicht, ob ein Mensch uns in, sagen wir tausend Jahren, noch als seinesgleichen identifizieren würde. Und jetzt sprechen wir sogar von anderthalbtausend Jahren…«
Harry wedelte mit den Fingern in der Luft herum und schnitt ein Gesicht. »Ein dritter Arm, der mitten aus dem Gesicht herauswächst. Körperlose Köpfe, die wie Fußbälle auf dem Boden herumkullern. Meinst du so etwas?«
Poole zuckte die Achseln. »Wenn solche gravierenden Manipulationen möglich oder zweckvoll sind, dann vielleicht. Aber ich glaube eh, daß all das überhaupt verdammt egal ist im Vergleich zu dem, was in ihren Köpfen vorgeht und was sie geleistet haben.«
»Was ist mit der Technologie?«
»Ich würde die Singularitäten-Physik ziemlich weit oben auf die Liste setzen«, erwiderte Poole. »Die Manipulation der Raum-Zeit-Krümmung… Wir beherrschen bereits die Physik der hochverdichteten Materie sowie die Hochenergie-Physik – die ja die Grundlagen des GUT-Antriebes und der exotischen Materie sind, aus der die Interface-Portale errichtet wurden.«
»Und fünfzehn Jahrhunderte später…«, warf Harry ein.
»Welche Entwicklungsmöglichkeiten sollte es hier noch geben? Ich könnte mir höchstens die Manipulation von Singularitäten selbst vorstellen, in Größenordnungen von ein paar Tonnen bis vielleicht zu Asteroidenmassen.«
»Und zu welchem Zweck?«
Poole breitete die Arme weit aus. »Kompakte Energiequellen. Wenn du ein Schwarzes Loch in der Küche hättest, bräuchtest du den Abfall nur hineinzuwerfen und könntest zusehen, wie er in Sekundenbruchteilen auf Null-Größe komprimiert würde und dabei noch nützliche Kurzwellenstrahlung abgibt. Und was ist mit der künstlichen Schwerkraft? Installiere z. B. ein Schwarzes Loch im Schwerpunkt von Luna, und man könnte die Oberflächengravitation nach Belieben regeln.«
Harry nickte. »Natürlich müßte aber irgendwie verhindert werden, daß die Singularität den Mond verschlingt.«
»Genau. Dann gibt es noch Gravitationswellen, die durch die Kollision von Schwarzen Löchern entstehen. Damit ließen sich beispielsweise Traktorstrahlen erzeugen.« Poole lehnte sich in seiner Couch zurück und schloß die Augen. »Wenn auch diese Optionen dann ausgereizt sind, wird man vielleicht noch Verwendung für nackte Singularitäten haben.«
»Und was ist eine nackte Singularität?«
»… Das finden wir vielleicht noch heraus.«
Jetzt tauchten sie in einen Raumsektor ein, der mit Schiffen angefüllt war; Hunderte von ihnen flitzten über den geduldigen Ozean des Jupiter. Die Raumer standen zu weit ab, als daß man irgendwelche Details hätte ausmachen können, aber Poole wußte, daß es Flotteneinheiten von den bewohnten Jupitermonden sein mußten, Expeditionsschiffe aus dem inneren Sonnensystem sowie Touristen und Gaffer von überallher. Gesprächsfetzen aus dem Hintergrund der Lebenskuppel sagten ihm, daß gleich Signale von dieser zusammengewürfelten Armada bei ihm eingehen würden – Poole wußte, daß sich die Aufmerksamkeit des Großteils der menschlichen Rasse seit dem Erhalt von Bergs Nachricht vor einem Jahr auf den Jupiter-Sektor konzentrierte, und sein eigenes Auftauchen hier war das mit der größten Spannung erwartete Ereignis seit dem Auftauchen des Schiffes aus der Zukunft selbst gewesen.
Er ignorierte die Sendungen und ließ sie von virtuellen Ablegern seiner Person bearbeiten; wenn es etwas wirklich Wichtiges gab, würde man es ihm schon melden.
Als er nach den Jahrzehnten der Isolation in den düsteren Randgebieten des Sonnensystems in den überfüllten Weltraum über sich blickte, verspürte Poole plötzlich einen Anfall absurder Klaustrophobie. Er wurde zum einen von Neugier motiviert, zum anderen von einer rudimentären Besorgnis um Miriam Berg und ihre Crew; aber nun, da seine ein Jahr dauernde Reise von der Oort-Wolke hierher beendet war, merkte er, daß er eigentlich überhaupt nicht mehr hier sein wollte, zurück in der stinkenden Welt der Menschheit.
Harry beobachtete ihn mit hochgezogener jugendlicher Augenbraue.
»Entspanne dich, Sohn«, empfahl er ihm. »Es war immer klar, daß es nicht einfach sein würde.«
»Oh, halt um Gottes willen den Mund«, erwiderte Poole heftig. Sogar während er sprach, spürte er das merkwürdige Gefühl der Erleichterung, jemanden beziehungsweise etwas zu haben, das sich so weit außerhalb seines Kopfes befand, daß er darauf reagieren konnte. »Ich sollte dich in eine elektronische Flasche mit dem Etikett ›Dad‹ stecken und dich immer dann hervorholen, wenn ich den Eindruck habe, mal wieder väterliche Bevormundung zu benötigen.«
Harry Poole grinste unbeeindruckt. »Ich tue nur meinen Job«, murmelte er.
Jetzt näherte sich die Crab dem dichtesten Schiffspulk im Raum, wobei ihre Triebwerke noch immer in Flugrichtung feuerten. Als ob sie die Annäherung der Crab gespürt hätten, löste sich der Verband der Schiffe auf.
Innerhalb dieses leuchtenden Nebels konnte Michael die Konturen eines großen Objektes ausmachen, ein grüner Fleck, der sich gegen das schmutzige Rosa von Jupiter abhob.
»Das ist es«, sagte Poole mit rauher Stimme. »Das Schiff aus der Zukunft. Zeit, an die Arbeit zu gehen…« Er blaffte einen Befehl in die Luft.
Das belebte Universum außerhalb der Lebenskuppel wurde plötzlich von einem Schauer aus Bildpunkten vernebelt, die wie Staubkörner um die Crab tanzten und sich langsam zu Ebenen, Kreisen und Geraden um die Lebenskuppel herum verdichteten. Harry verkrampfte sich mit offenem Mund in seinem Sessel, als er sah, wie sich die riesige Projektion um das Schiff herum manifestierte. Schließlich sahen sie mit wenigstens hundert Meter großen Augen nach draußen, mit Augenlidern, die wie Regenfronten über die glitzernden Linsen wischten. Eine Nase, so groß wie eine technische Konstruktion und mit Nüstern wie Raketendüsen, verdeckte den Blick auf das GUT-Triebwerksmodul der Crab; und große ausgeformte Ohren segelten neben der Lebenskuppel her.
Ein feuchter Mund, dessen Dimensionen dem eines Wals in nichts nachstanden, klappte auf.
»Mein Gott«, keuchte Harry. »Das bist du, stimmt’s? Wir sehen durch dein Gesicht.«
»Das war für mich die einzige Möglichkeit sicherzugehen, daß wir auch korrekt identifiziert würden. Keine Sorge: Die Projektion ist nur Show; sie ist nicht einmal so lebendig wie du. Sie spult nur eine Fünf-Sekunden-Schleife mit einer Begrüßungsroutine ab.«
»Wie können sie dann hören, was sie zu sagen hat?«
»Harry, die Projektion ist drei Kilometer hoch«, erläuterte Poole gereizt. »Sie sollen’s ihr von den Lippen ablesen.«
Harrys Kopf wirbelte herum und musterte die Nasenlöcher und kabeldicken Haare über der Kabine, die Poren mit dem Durchmesser kleiner Asteroiden. »Was für ein degoutanter Vorgang«, beklagte er sich dann.
»Sei still und sieh dir die Show an.«
Jetzt war die getarnte Crab völlig von Schiffen eingekreist. Poole identifizierte Flotteneinheiten mit Waffenschächten, offene und zerbrechliche Forschungsplattformen und sogar einen oder zwei Mondfähren, die man sicher nicht so nahe hätte herankommen lassen dürfen. Viele der größeren Schiffe wiesen die gleichen grundlegenden Konstruktionsmerkmale wie die Crab auf, mit durch eine Röhre voneinander getrennten Antriebseinheiten und Mannschaftsquartieren; aus dieser Entfernung wirkten die Schiffe wie im Raum verstreute entflammte Streichhölzer.
»Wie die Menschen aus der Zukunft wohl auf uns reagieren werden?« fragte Harry mit plötzlicher Nervosität.
Poole sah sich um und registrierte, daß Harry an den Nägeln kaute, eine Angewohnheit, an die er sich noch aus früher Kindheit erinnerte. »Vielleicht pusten sie uns vom Himmel«, spekulierte er maliziös. »Aber was kümmert es dich auch? Du liegst doch auf der Erde bequem im Bett, in aller Sicherheit.«
Harry sah ihn vorwurfsvoll an. »Michael, laß uns nicht wieder damit anfangen. Ich bin zwar nur eine Projektion, aber ich verfüge trotzdem über eine eigene Identität und Personalität.«
»Das glaubst du auch nur.«
»Kommt das nicht aufs gleiche raus?«
»Wie dem auch sei, ich glaube nicht, daß wir uns in Gefahr befinden«, beschwichtigte Poole. »Die Menschen aus der Zukunft haben bisher keinen Gebrauch von ihren Waffen gemacht; warum sollten sie es dann jetzt tun?«
Harry nickte grummelig. »Richtig.« Nachdem das Schiff aus der Zukunft in eine Umlaufbahn um Jupiter gegangen war, hatte es mehrere Annäherungsversuche durch Flotteneinheiten gegeben. Die Menschen aus der Zukunft hatten jedoch nicht reagiert und auch nicht auf die Kriegsschiffe gefeuert; sie hatten sich nur mit einer derartigen Geschwindigkeit zurückgezogen, daß ihr Kurs nicht bestimmt werden konnte.
»Vielleicht sind sie unbewaffnet«, meinte Harry.
Poole schürzte die Lippen. »Das halte ich auch für möglich. Aber dafür haben sie ihren Super-Antrieb.«
»Ich weiß, daß über die Möglichkeit eines Hyperraum-Antriebs spekuliert wird«, warf Harry ein.
»Vielleicht. Aber selbst wenn das stimmen würde, wüßten wir nichts über sein Funktionsprinzip. Anders als bei meinen Spekulationen über die Singularitäten-Technologie kann man nicht auf der Grundlage bestehender Technologien extrapolieren; ein Hyperantrieb würde gleichsam einen Quantensprung darstellen.«
»Vielleicht ist er auch gar keine Erfindung von Menschen, sondern von Aliens.«
»Egal; ich glaube nicht, daß wir mit Beschuß rechnen müssen; und wenn sie etwas von uns wollen, werden sie nicht abhauen.«
»Wie beruhigend«, murmelte die Projektion.
Jetzt lösten sich die letzten schalenförmig gestaffelten Verbände vor ihnen auf, wobei die aus den GUT-Triebwerken schlagenden Flammensäulen wie aufgescheuchte Insekten seitlich wegstrebten.
Das Schiff aus der Zukunft stand vor ihnen, wie ein Ausschnitt einer Landschaft, der durch den Riß in einer Wolkendecke sichtbar wurde. Schließlich wurde das Triebwerk der Crab heruntergefahren, und die Projektion von Poole, die nach wie vor ihre dümmlichen Begrüßungsfloskeln herunterleierte, hing über einer vierhundert Meter breiten Scheibe aus grüner Erde. Poole konnte deutlich den Ring antiker Steine im Zentrum erkennen, der wie eine graubraune Narbe von dem Grünzeug abstach. Ein Gürtel einförmiger Gebäude zog sich um die Steine, und hinter diesem Ring erstreckte sich wie in einem surrealistischen Gemälde eine Graslandschaft bis zur Kante der Welt; das Grasgrün und das Purpurrot des Jupiter bissen sich in Pooles Augen, so daß es ihm schien, als ob das Schiff von einer Narbe undefinierbarer Farbe eingerahmt würde.
Dicht am Rand ortete Poole einen Metallspritzer, einen vernarbten Krater im Gras. Konnte das vielleicht ein Beiboot der Cauchy sein?
Lichtfunken streuten wie eingefangene Sterne über dieses fliegende Fragment der Erde. Da und dort konnte Poole winzige, insektengleiche Entitäten über die Landschaft krabbeln sehen. Menschen? Er stellte sich Gesichter vor, die staunend zu seinem großen, lächelnden Mund aufblickten.
Er überflog kurz die Anzeigen der Instrumente der Lebenskuppel und beobachtete, wie die Daten über die Masse des Rettungsboots eingespielt wurden – sie entsprach in etwa der eines Asteroiden – sowie Angaben zu seiner Gravitationskonfiguration und Strahlungscharakteristik.
»Ich habe Bilder gesehen und darüber gelesen«, meinte Harry nun, »aber bis eben habe ich es nicht glauben wollen.«
»Es wirkt zerbrechlicher, als ich erwartet hatte«, murmelte Poole.
»Zerbrechlich?«
»Sieh es dir doch nur mal an. Warum sollte man eine Zeitmaschine so ungeschützt unter einer Erdschicht bauen… doch eigentlich nur dann, wenn man seine Aktivitäten tarnen mußte.«
»Es fliegt zwar, ist aber nicht kampffähig«, stellte Harry fest.
»Exakt. Vielleicht sind sie am Ende doch nicht diese heroischen High-Tech-Götter aus der Zukunft, für die wir sie gehalten hatten. Vielleicht sind diese Leute Flüchtlinge.«
Harry schien zu erzittern. »Flüchtlinge wovor?«
»Nun, zumindest sind sie bisher nicht vor uns geflüchtet. Komm; wir fliegen zu dem Boot und bitten um Landeerlaubnis.«